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Full text of "Dementia praecox, oder, Gruppe der Schizophrenien [electronic resource]"

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HANDBUCH  DER  PSYCHIATRIE. 


UNTER  MITWIRKUNG  VON 

Professor  A.  Alzheimer  (München),  Professor  E.  Bleuler  (Zürich), 
Professor  K.  Bonhoeffer  (Breslau),  Privatdozent  G.  Bonvicini  (Wien), 
Professor  0.  Bumke  (Freiburg  i.  B,),  Professor  R.  Gaupp  (Tübingen), 
Direktor  A.  Gross  (Rüfach  l  E.),  Professor  A.  Hoche  (Freiburg  i.  B.),  Privat- 
dozent M.  IssERLiN  (München),  Professor  T.  Kirchhoff  (Schleswig),  Direktor 
A.  Mercklin  (Treptow  a.  R.),  Professor  E.  Redlich  (Wien),  Professor 
M.  Rosenfeld  (Strassburg  lE.),  Professor  P.  Schroeder  (Breslau),  Professor 
E.  ScHOLTZE  (Greifswald),  Privatdozent  W.  Spielmeyer  (Freiburg  l  B.), 
Privatdozent  E.  Stransky  (Wien),  Professor  H.  Vogt  (Frankfurt  a.  M.), 
Privatdozent  G.  Voss  (Greifswald),  Professor  J.  Wagner  Ritter  von 
Jauregg  (Wien),  Professor  W.  Weygandt  (Hamburg-Friedrichsberg) 

HERAUSGEGEBEN  VON 

PROFESSOR  De.  G.  ASCHAPFENBUßG 

IN  KÖLN  A.  RH. 


SPEZIELLER  TEIL. 

4.  ABTEILUNG,  1.  HÄLFTE. 

DEMENTIA  PRAECOX  oder  CxRUPPE  DER  SCHIZOPHRENIEN. 

VON 

Professor  E.  BLEULER. 


LEIPZIG  UND  WIEN. 
FRANZ  DEUTIOKE. 

1911. 


J-'BRARY 


DEMENTIA  PRAECOX 


ODER 


GRUPPE  DER  SCHIZOPHRENIEN 


VON 


PROF.  E.  BLEULER. 


^-'BRARY 


LEIPZIG  UND  WIEN. 
FRANZ  DEUTIOKE. 

1911. 


Verlaars-Nr.  1902. 


fe?e 


Druck  von  Rudolf  M.  Rohrer  in  Brünn 


LIBRARY 


Vorwort. 


Die  Kenntnis  der  Krankheitsgruppe,  die  Kraepelin  unter  dem  Namen 
der  Dementia  praecox  zusammengefaßt  hat,  ist  zu  jimg,  als  daß  man  jetzt  schon 
eine  abgeschlossene  Beschreibung  derselben  geben  könnte.  Alles  ist  noch  flüssig, 
unfertig,  vorläufig.  Es  wäre  aber  zu  schleppend,  überall  die  dadurch  bedingten 
Vorbehalte  zu  machen;  ich  darf  wohl  annehmen,  daß  jeder  Leser  sie  sich  hinzu- 
denken kann. 

Noch  eine  Schwierigkeit  kommt  bei  den  psychopathologischen  Kapiteln 
hinzu:  der  embryonale  Zustand  unserer  Psychologie.  Wir  haben  keine  Aus- 
drücke für  die  neuen  psychologischen  Begriffe;  alle  Worte,  die  wir  braucben, 
können  auch  in  anderem  Sinne  angewandt  werden.  Wer  sich  nicht  die  Mühe 
geben  kann,  sich  ganz  in  die  Ideen  des  Schreibenden  hineinzudenken,  wird  die 
Ausdrücke  anders  verstehen  als  sie  gemeint  sind,  und  deswegen  einen  unrichtigen 
Gedankengang  herauslesen.  Wenn  ich  trotz  dieser  Schwierigkeit  versuche,  die 
psychologischen  Zusammenhänge  ein  wenig  zu  beleuchten,  so  tue  ich  es  nicht 
bloß  deshalb,  weil  jedes  neue  Erkennen  an  sich  Wert  hat,  sondern  namentlich 
auch,  weil  man  meines  Erachtens  beim  jetzigen  Stande  unserer  Wissenschaft 
auf  diesem  Wege  am  ehesten  neue  Einblicke  in  die  Natur  der  Psychosen 
erwarten  darf. 

Der  Sachlage  entsprechend  mußten  die  einzelnen  Themen  ungleich  be- 
handelt werden.  Was  im  Prinzip  für  jeden  Psychiater  verständhch  ist,  durfte 
einfach  hingestellt  werden,  während  weniger  bekannte  Dinge  eben  eine  Ein- 
führung, eine  Erklärung  und  Stützung  durch  Beispiele  verlangen.  Es  bheb  mir 
nichts  übrig,  als  den  praktischen  Zielen  die  ästhetischen  zu  opfern.  —  Auch 
Wiederholungen  heßen  sich  nicht  vermeiden,  da  die  Komphziertheit  der  Psyche 
die  gleichen  Vorgänge  in  die  verschiedensten  Zusammenhänge  bringt. 

Die  ganze  Idee  der  Dementia  praecox  stammt  von  Kraepelin; 
auch  die  Gruppierung  und  Heraushebung  der  einzelnen  Sym- 
ptome ist  fast  allein  ihm  zu  verdanken.  Es  wäre  zu  schleppend,  bei  jeder 
Einzelheit  seine  Verdienste  besonders  hervorzuheben.  Diese  Bemerkung  mag 
ein  für  allemal  genügen.  Ein  wichtiger  Teil  des  Versuches,  die  Pa- 
thologie weiter  auszubauen,  ist  nichts  als  die  Anwendung  der 
Ideen  Freuds  auf  die  Dementia  praecox.  Ich  denke,  jedem  Leser  wird 
ohne  weiteres  klar  sein,  wieviel  wir  diesem  Autor  schulden,  auch  wenn  ich 
dessen  Namen  nicht  überall  anführe.  Zu  danken  habe  ich  femer  meinen  Mit^ 


VIII 


arbeitern  im  Burgiiölzli,  ich  nenne  nur  Rikliii,  Abraham,  und  vor  allen 
Jung.  Es  ist  nicht  möglich,  alles  auseinander  zu  halten,  was  an  Beobachtungen 
und  Ideen  dem  einen  oder  dem  andern  von  uns  angehört. 

Die  Literatur  vollständig  anzuführen  wäre  wertlos  und  ist  zugleich  un- 
möghch,  denn  man  müßte  einen  großen  Teil  der  psychiatrischen  Literatur 
zitieren,  da  ja  z.  B.  fast  alle  systematischen  Arbeiten  das  berühren,  was  jetzt 
die  Dementia  praecox-Frage  genannt  werden  kann.  Einen  gewissen  Wert  haben 
nur  neueire  Publikationen^) ;  auch  davon  sind  viele  nur  insofern  interessant,  als 
sie  zeigen,  wie  man  einen  so  schönen  Begriff  falsch  auffassen  kann.  Bei  den 
dem  Deutschen  weniger  zugänglichen  Arbeiten  habe  ich  meist  noch  auf  ein 
bequem  erreichbares  Referat  hingewiesen,  auch  dann,  wenn  ich  das  Original 
kenne.  Unbedeutende  Sachen  im  Original  zu  lesen,  habe  ich  aber  meist 
unnötig  gefunden. 

In  weniger  wichtigen  Dingen  Prioritäten  zu  registrieren,  halte  ich  für 
eine  Rücksichtslosigkeit  gegen  den  Leser.  Danach  habe  ich  gehandelt. 

Die  Arbeit  ist  im  Sommer  1908  abgeschlossen  worden;  doch  gaben  spätere 
Pubhkationen  Anlaß  zu  Zusätzen  und  Änderungen. 

Die  Zahlen  in  Klammern  beziehen  sich  auf  die  Nummern  des  Literatur- 
verzeichnisses. 

^)  Und  von  diesen  hauptsächlich  deutsche,  weil  außerhalb  Deutschlands  nur  wenige 
Autoren  die  Psychosen  unter  dem  hier  maßgebenden  Gesichtswinkel  betrachten. 


Inhaltsübersicht. 


Seite 

....  1 

Einleitung   ^ 

Historisclies   ^ 

Der  Name  der  Krankheit  

Die  Definition  der  Krankheit  

I.  Abschnitt. 

Die  Symptomatologie. 

9 

Einleitung  

1.  Kapitel. 
Die  Grundsymptonie. 

Ä.  Die  einfachen  Funktionen   10 

«)  Die  alterierten  einfachen  Funktionen   10 

a)  Die  Assoziationen   10 

ß)  Die  Affektivität   31 

-y)  Die  Ambivalenz  .  .  .  .'  

h)  Die  „intakten"  einfachen  Funktionen   '^^ 

a)  Die  Empfindung  und  Wahrnehmung   45 

ß)  Die  Orientierung   47 

f)  Das  Gedächtnis   48 

8)  Das  Bewußtsein   50 

e)  Die  Motilität   51 

B.  Die  zusammengesetzten  Funktionen   51 

Das  Verhältnis  zur  Wirklichkeit.  Der  Autismus   52 

ß)  Die  Aufmei'ksamkeit   56 

'()  Der  Wille   57 

8)  Die  Person   58 

e)  Die  schizophrene  „Demenz"    58 

Q  Das  Handeln  und  Benehmen   74 

2.  Kapitel. 

Die  alczessorisclien  Symptome   78 

a)  Die  Sinnestäuschungen   78 

ß)  Die  Wahnideen   96 

'f)  Die  akzessorischen  Gedächtnisstörungen   113 


X 


8)  Die  Alteration  der  Persönliclikeit  

e)  Die  Alterationen  der  Sprache  und  Schrift  121 

Q  Die  körperlichen  Symptome   132 

TTj)  Die  katatonen  Symptome  

1.  Die  Katalepsie  

2.  Der  Stupor   j^^2 

3.  Die  Hyperkinese   I53 

4.  Die  Stereotypien   2,53 

5.  Die  Manieren   jgr^ 

6.  Der  Negativismus   jgg 

7.  Die  Befehlsautomatie  und  die  Echopraxie  163 

8.  Die  Automatismen  jg5 

9.  Die  impulsiven  Handlungen  169 

S-)  Die  akuten  Syndrome  I70 

1.  Melancholische  Zustände  172 

2.  Manische  Zustände  173 

3.  Katatonische  Zustände   174 

4.  Der  Wahnsinn  178 

5.  Die  Dämmerzustände  179 

6.  Benommenheit  182 

7.  Verwirrtheit,  Inkohärenz   184 

8.  Zornanfälle  184 

9.  Gedenktagaufregungen  185 

10.  Stupor  185 

11.  Delirien  185 

12.  Wanderzustände   185 

13.  Dipsomanie  186 

II.  Abschnitt.  ' 

Die  Untergruppen. 

Einleitung  ^'^'^ 

A.  Das  Paranoid  IS^ 

B.  Die  Katatonie  

C.  Die  Hebephrenie  192 

D.  Die  einfache  demente  Form  oder  Schizophrenia  simplex  194 

E.  Spezielle  Gruppen  

a)  Periodische  

197 

b)  Altersgruppen  

c)  Ätiologische  Gruppierungen,  Haftsyndrome   -i»» 

(l)  Gruppierung  nach  der  Intensität  der  Krankheitserscheinungen  200 

III.  Abschnitt. 

Der  Verlauf. 

A.  Der  zeitliche  Verlauf  


XI 


Seite 

^  ^        .   208 

C.  Der  Ausgang  

a)  Der  Tod  f  ^ 

b)  Grad  der  Verblödung.  Heilungsmöglichkeit   209 

Ol  K 

Z).  Die  Endzustände  

IV.  Abschnitt, 

Kombinationen  der  Schizophrenie  mit  anderen  Psychosen. 

a)  Idiotie  ^^'^ 

b)  Organische  Psychosen  217 

91 Q 

c)  Alkoholismus  ''^^ 

d)  Manisch-depressives  Irresein  219 

e)  Epilepsie  219 

f)  Hysterie,  Neurasthenie,  Paranoia  220 

g)  Fieberdelirien  220 

V.  Abschnitt. 

Der  Krankheitshegriff  221 

VI.  Abschnitt. 

Die  Diagnose. 

A.  Allgemeines  239 

B.  Die  dif f erential-diagnostische  Bedeutung  der  einzelnen  Symptome  .  242 

C.  Die  Differentialdiagnose  247 

a)  Manisch-depressives  Irresein  248 

b)  Organische  Psychosen  254 

c)  Idiotien  256 

et)  Paranoia  257 

e)  Epilepsie  257 

f)  Alkoholpsychosen  259 

g)  Amentia  usw  260 

h)  Hysterie.  Neurasthenie  261 

i)  Degeneratives  Irresein  265 

k)  Basedowpsychose  266 

l)  Simulation  266 

VIT.  Abschnitt. 

Die  Torhersage  267 

VIII.  Abschnitt, 

Häufigkeit  und  Verbreitung  273 

IX.  Abschnitt. 

Die  Ursachen. 

A.  Heredität   275 

^•^i*-.  •  ^  ^  ^ ;278 

C.  Individuelle  Dispositionen  und  auslösende  Ursachen  279 


XII 


X.  Abschnitt. 

Die  Theorie. 

1.  Kapitel.  s^itg 
Die  Theorie  der  Symptome  284 

A.  Die  primären  Symptome   285 

B.  Die  sekundären  Symptome   288 

a)  Die  einzelnen  Symptome   288 

b)  Die  Entstehung  der  sekundären  Symptome  289 

a)  Gedankenablauf.  Spaltung  290 

ß)  Die  A£fektivität  297 

Der  Autismus  3O4 

6)  Die  Ambivalenz  305 

e)  Das  Gedächtnis  und  die  Orientierung  307 

0  Der  schizophrene  Blödsinn  308 

7})  Die  Wirklichkeitsfälschungen  311 

1.  Die  Wahnideen  311 

2.  Die  Sinnestäuschungen  315 

3.  Die  Gedächtnistäuschungen  317 

4.  Die  Genese  des  Inhaltes  der  Wirklichkeitstäuschungen    .   .  .  317 
{►•)  Die  katatonen  Symptome  358 

1.  Allgemeines   358 

2.  Stupor   358 

3.  Negativismus    ....   358 

4.  Motorische  Symptome  361 

5.  Katatone  Komplexsymptome  (Automatismen,  Manieren,  Ste- 
reotypien)  364 

i)  Allgemeine  Gesichtspunkte  371 

2.  Kapitel. 

Die  Theorie  der  Krankheit  372 

Ä.  Die  Auffassung  der  Krankheit   372 

B.  Der  Krankheitsprozeß  376 

XI.  Abschnitt. 

Die  Therapie  380 


Literatur 


395 


Einleitung. 


Historisches. 

Die  Beobaclitung,  daß  eine  akute  Krankheit  dauernde  Schädigungen  des 
betroffenen  Organes  hinterlassen  kann,  hat  auf  keinem  Gebiete  eine  so  große 
Bedeutung  bekommen  wie  in  der  Psychiatrie.  Die  „sekundären",  unheilbaren 
Krankheiten  füllen  von  jeher  unsere  Irrenanstalten.  So  wurde  es  zu  einer  der 
brennendsten  Fragen  der  Psychiatrie,  welche  akuten  Formen  in  unheilbare 
Endzustände  übergehen  und  welche  nicht.  Alle  bis  vor  kurzem  aufgestellten 
akuten  Formen  der  „einfachen  Psychosen"  konnten  sowohl  heilen  als  sekundär 
werden.  Endlich  gelang  es  Kraepelin,  bei  den  Krankheiten  ungünstiger  Pro- 
gnose eine  Ari::ahl  Symptome  herauszuheben,  die  bei  anderen  Gruppen  fehlten. 
Die  dadurch  charakterisierten  Psychosen  faßte  er  als  Dementia  praecox 
zusaromen.  Immerhin  fanden  sich  auch  FäUe  mit  jenen  Symptomen,  die  an- 
scheinend heilten.  Es  blieb  aber  die  Erkenntnis,  daß  eine  bestimmte 
Symptomengruppe  die  Neigung  zur  Verblödung  anzeigte,  während 
die  akuten  Krankheiten,  denen  diese  Symptome  fehlten  und  die 
man  größtenteils  unter  dem  Namen  des  manisch-depressiven 
Irreseins  zusammenfassen  konnte,  niemals  in  sekundären  Blöd- 
sinn ausgehen.  Damit  war  praktisch  und  theoretisch  sehr  viel  .'gewonnen, 
indem  doch  eine  große  Anzahl  von  Fällen  ihre  sichere  Prognose  quoad  Anfall 
und  quoad  Kesiduärzustand  bekam. 

Durch  das  Vorhandensein  der  herausgehobenen  Symptomenkomplexe  bleibt 
die  große  Gruppe  der  Dementia  praecox  als  Einheit  charakterisiert.  K  r aep  elins 
Auffassung  findet  aber  immer  noch  Widerspruch,  indem  sich  manche,  ganz 
abgesehen  von  der  Vielgestaltigkeit  der  äußeren  Bilder,  nicht  mit  einem  Krank- 
heitsbegriff befreunden  können,  der  sich  ursprünglich  auf  den  Verlauf  zu  stützen 
schien  und  doch  gut  und  schlecht  ausgehende  FäUe  in  sich  schließt.  Ein  ge- 
naueres Zusehen  zeigt  aber,  daß  aUe  diese  FäUe  doch  viel  Gemeinsames  haden, 
und  daß  sie  sich  von  den  anderen  Formen  klar  abgrenzen,  was  von  keinem  der 
früher  aufgesteUten  Krankheitsbilder  aus  dieser  Gruppe  gesagt  werden  kann. 
Wenn  auch  der  Ausgang  gar  nicht  immer  ein  ausgesprochener  Blödsinn  ist,  so 
lassen  sich  doch  bei  genauem  Zusehen  in  jedem  Falle  mehr  oder  minder  deutHch 
gemeinsame  Residuärerscheinungen  finden;  neben  der  Einheit  in  der  Sympto- 
matologie ist  also  die  Einheit  des  Ausganges  gewahrt,  wenn  auch  nicht  in  bezug 

Handbuch  der  Psychiatrie:  üleui  er. 


2 


Schizophrenie. 


auf  das  Quantitative  des  Prozesses,  so  doch  in  bezug  auf  das  Quäle,  d.  Ii. 
die  Riclitung,  in  der  der  Prozeß  fortschreitet.  Andere  Psychosen  haben  'weder 
die  gleiche  Symptomatologie  noch  den  gleichen  Ausgang.  Umgekehrt  weisen 
alle  die  Psychosen,  die  man  bisher  als  sekundäre  zusammenfaßte,  die  gleichen 
Symptomenkomplexe  auf.  Die  Abgrenzung  dieser  Gruppe  ist  also  bei  dem 
jetzigen  Stande  unseres  Wissens  nicht  nur  erlaubt,  sondern  geboten. 

Es  hat  sich  ferner  herausgestellt,  daß  auch  alle  Verblödungsformen,  die 
ohne  ein  akutes  Stadium  mehr  oder  weniger  schleichend  auftreten,  die  näm- 
lichen SxTuptome  haben  und  zu  keiner  Zeit  von  den  „sekundären"  Formen 
imterschieden  werden  können.  Man  mußte  also  auch  diese  Krankheiten,  die 
unter  verschiedenen  Namen,  wie  „primärer  Blödsinn",  „verblödende  Paranoia" 
usw.,  registriert  worden  waren,  hierher  zählen. 

Alle  Bestrebungen,  die  große  Zahl  von  Fällen  und  von  äußeren  Zustands- 
bildern  in  distinkte  abgrenzbare  Untergruppen  zu  zerlegen,  sind  bis  jetzt  er- 
folglos geblieben. 

So  fassen  wir  unter  dem  Namen  der  Dementia  praecox  oder  Schizo- 
phrenie eine  ganze  Gruppe  von  Krankheiten  zusammen,  die  sich  scharf  von 
allen  anderen  Formen  des  Kr aepelin sehen  Systems  unterscheiden  lassen;  sie 
haben  viele  gemeinsame  Symptome  und  eine  gemeinsame  Richtungsprognose; 
ihre  Zustandsbilder  aber  können  äußerst  verschieden  sein.  Wenn  die  Auf- 
stellung dieses  Begriffes  auch  eine  vorläufige  ist,  insofern  als  er  später  wird 
aufgelöst  werden  müssen  (etwa  in  dem  Sinne  wie  die  Bakteriologie  die  Pneu- 
monien in  verschiedene  Infektionen  zerlegt  hat),  so  halten  wir  doch  den  dadurch 
erreichten  Fortschritt  für  noch  größer  als  den  der  Entdeckung  der  Paralyse, 
die  sich  auch  lange  in  anderen  Krankheitsbildern  versteckt  hatte;  denn  die 
Dementia  praecox-Frage  greift  viel  mehr  in  die  Systematik  aller  Psychosen  ein 
als  seinerzeit  die  Paralyseaufstellung;  und  was  an  systematischer  Unklarheit 
jetzt  noch  übrig  bleibt,  das  bezieht  sich  nicht  mehr  auf  die  Hauptmasse  der 
vorkommenden  Fälle,  sondern  auf  Ausnahmen  und  auf  Krankheiten,  die,  wie 
die  Fieberpsychosen,  dem  Psychiater  bis  jetzt  zu  wenig  zugänghch  waren.  Wir 
haben  zum  ersten  Male  Grenzen,  über  die  man  sich  verständigen  kann,  und  wissen 
nun  auch,  wo  mit  den  jetzigen  Mitteln  Grenzen  nicht  gezogen  werden  können. 

Die  Entwicklung  des  Begriffes  der  Dementia  praecox  ist  ein  guter 
Teil  der  Entwicklung  der  theoretischen  Psychiatrie  überhaupt.  Das  eine  ohne  das 
andere  läßt  sich  nicht  beschreiben.  Es  ist  deshalb  an  dieser  Stelle  nicht  möghch, 
eine  zusammenhängende  Darstellung  der  Genese  des  Dementia  praecox-Begriffes  zu 
geben.  Es  sei  auf  die  Arbeiten  E.  Arndts  und  Voisins  hingewiesen.  Die  Wiege 
des  Begriffes  ist  die  fünfte  Auflage  von  Kraepelins  Psychiatrie  (1896). 

Natürhch  hatte  man  schon  längst  gewußt,  daß  ein  Teil  der  akuten  Psychosen 
heüt  und  ein  anderer  Teil  chronisch  wird.  Man  hat  auch  die  einfacheren  Verblödungen, 
die  ohne  auffallende  akute  Symptomenkomplexe  verlaufen,  von  jeher  beachtet.  Schon 
Es  quirol  trennte  die  „erworbene  oder  akzidentelle  Idiotie"  von  der  angeborenen. 
Er  hat  auch  schon  die  Stereotypien  beachtet.  Man  wußte  ferner  früh,  daß  namenthch 
jugendUche  Leute  von  solchen  Verblödungsprozessen  befallen  wrden;  deshalb  hat 
Morel  den  Namen  der  Demence  precoce  geschaffen.  Man  fand  aber  m  dem  Chaos 
aller  äußerhch  so  verschiedenen  zur  Verblödung  führenden  Symptomenbilder  dio 
Einheit  nicht.  Ein  großes  Hindernis  der  vorurteilslosen  Erkenntnis  war  auch  der 
besonders  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  verbreitete  Glaube,  daß  die  Psy- 


Einleitung.  Historisches. 


3 


chosen  —  oder  die  eine  Psychose  —  einen  bestimmten  Verlauf  haben  müsse,  an 
dessen  Anfang  man  gewöhnlich  ein  melancholisches  Stadium  setzte. 

An  der°letzteren  Vorstellung  krankten  auch  die  Kahlba umsehen  Ideen,  die 
im  übrigen  einen  wesentlichen  Fortschritt  bedeuteten.  Die  klareren  Köpfe  hatten 
natürlich  schon  vor  ihm  gewußt,  daß  die  alten  Namen  wie  Melancholie,  Tollheit, 
Manie,  Delirien  nur  Zustandsbilder  bezeichneten.  Eigentliche  Krankheitsbilder 
herauszuheben  war  man  aber  außerstande,  und  so  behandelte  man  meist  diese  sym- 
ptomatologischen  Begriffe,  wie  wenn  sie  Krankheiten  entsprächen.  Erst  Kahl- 
baum suchte  mit  bewußter  Konsequenz  die  Erscheinungsbilder  zu  Krankheits- 
bildern zu  ordnen. 

Er  hat  1863  in  seiner  ,, Gruppierung  der  psychischen  Krankheiten"  auf  Zu- 
stände wie  die  Katatonie  aufmerksam  gemacht,  aber  erst  im  Laufe  der  folgenden 
Jahre  die  Krankheit  unter  diesem  Namen  genauer  beschrieben  und  endlich  1874 
in  einer  Monographie  fixiert.  Die  Katatonie  durchläuft  nach  ihm  (in  Anlehnung 
an  seine  Vesania  typica)  der  Reihe  nach  die  Stadien  der  Melancholie,  der  Manie,  der 
Stupeszenz,  der  Verwirrtheit  und  schließlich  der  Demenz.  Jedes  einzelne  dieser 
Stadien  konnte  aber  fehlen,  und  die  Krankheit  konnte  in  jedem  derselben  (mit  Aus- 
nahme des  letzten)  heilen.  Sie  wurde  außerdem,  ähnlich  wie  die  Paralyse,  charakterisiert 
durch  eine  Anzahl  von  dem  Autor  als  körperlich  angesehener  Symptome,  die  wir 
jetzt  den  katatonen  Erscheinungen  beizählen. 

Seitdem  ist  der  Begriff  der  Katatonie  aus  der  Literatur  nicht  mehr  ver- 
schwunden, wenn  er  auch  viel  angefeindet  wurde.  Er  hat  sich  nur  bei  einzelnen  Autoren 
die  Anerkennung  als  Krankheitsbegriff  erringen  können;  die  Mehrheit  der  deutschen 
Psychiater  lehnte  ihn  ab  aus  dem  naheliegenden  Grunde,  daß  eben  ein  typischer 
Verlauf  im  Sinne  Kahlbaums  eine  Ausnahme  bildet,  und  vor  allem  deshalb,  weil 
der  Begriff  nach  keiner  Seite  hin  klare  Grenzen  hatte. 

So  hat  denn  auch  Kahlbaum  selbst  die  Hebephrenie,  die  Hecker  1871 
auf  seine  Anregung  hin  beschrieb,  der  Katatonie  angenähert  und  dann  die  ganze 
Gruppe  durch  die  Beschreibung  des  Heboids,  einer  hauptsächlich  auf  dem  Gebiete 
des  Charakters  sich  äußernden  leichten  Form  der  Hebephrenie,  erweitert.  Schuele 
konnte  schon  früh  die  Katatonie  eine    Hebephrenie  mit  zugehöriger  Spannungs- 


neurose" nennen 


Im  Gegensatze  zu  Kahlb  a  um  wurden  von  anderen  die  verblödenden  Psychosen 
mit  der  Entartung  (der  Familie  wie  des  Individuums)  in  Zusammenhang  gebracht, 
nachdem  schon  Morel  die  kausale  Bedeutung  der  Heredität  hervorgehoben  hatte. 
Defekt  angelegte  Hirne  sollten  besonders  disponiert  sein  zu  der  Krankheit. 

Etwas  später  als  die  Katatonie  und  die  Hebephrenie  hat  dann  die  einfache 
Verblödung,  die  oft  in  der  Praxis  diagnostiziert,  aber  wenig  beschrieben  wurde, 
bessere  Beachtung  gefunden;  so  von  Pick  (573),  1891,  dann  aber  besonders  von 
Som  mer  (725),  der  drei  Jahre  später  nicht  nur  eine  gute  Beschreibung  der  katatonen 
Zustände  lieferte,  sondern  auch  die  verschiedenen  Formen  primärer  Demenz,  in 
denen  die  Hebephrenie  der  anderen  eingeschlossen  war,  schilderte  und  dabei  den 
Begriff  in  richtiger  Weise  erweiterte,  indem  er  der  primären  Demenz  die  verblödenden 
paranoiden  Formen  angliederte.  Allerdings  hat  er  in  seinem  System  die  Katatonie 
und  diese  Verblödungen  noch  getrennt. 

Im  Auslande  fanden  Kahlbaums  Aufstellungen  wenig  Beachtung.  Auch 
beglas  und  Chaslin,  die  sich  zuerst  mit  der  Katatonie  eingehender  beschäftigten 
kamen  zu  dem  Schlüsse,  daß  es  sich  bei  dem  Symptomenkomplex  nicht  um°eine 
eigenartige  Krankheit  handle.  In  England  hat  man  die  Sache  noch  später  beachtet. 

im  Jahre  1896  hat  Kraepelin  die  „Verblödungspsychosen"  in  eine  Gruppe 
^zusammengestellt,  die  er  als  Stoffwecliselerkrankungcn  auffassen  zu  müssen  glaubte. 

1* 


4 


Schizophrenie. 


Een  wieder  aufgenommenen  Namen  der  Dementia  praecox  gab  er  zunächst  nur  den 
Hebephrenen  und  primär  dementen  Formen  der  anderen  Autoren,  den  der  Katatonie 
allen  Formen  mit  vorwiegenden  katatonen  Symptomen,  während  er  unter  dem  Namen 
der  Dementia  paranoides  noch  die  nicht  häufigen  Formen  von  rascher  Ausbildung 
von  Halluzinationen  und  konfusem  Wahn  bei  relativ  gut  erhaltener  äußerer  Haltung 
und  frühem  Stillestehen  des  Prozesses  beschrieb.  Erst  drei  Jahre  später  faßte  er 
mit  dem  Namen  der  Dementia  praecox  die  ganze  Verblödungsgruppe  zusammen. 
Die  Katatonie  behielt  ungefähr  ihren  Umfang;  das,  was  vorher  Dementia  praecox 
genannt  war,  wurde  nun  zum  größten  Teil  als  Hebephrenie  bezeichnet;  während  — 
und  das  ist  der  wichtigste  Schritt  —  als  paranoide  Formen  der  Dementia  praecox 
auch  die  früher  sogenannte  Paranoia  hallucinatoria  oder  phantastica  in  den  Begriff 
eingezogen  wurden. 

Seitdem  ist  der  Umfang  des  Begriffes  der  Dementia  praecox  im  wesentlichen 
gleich  geblieben.  Eine  Entwicklung  hat  er  nur  insofern  noch  erfahren,  als  Krae  peli  n 
den  zunächst  stark  betonten  Ausgang  in  Verblödung  ein  wenig  hat  zurücktreten 
lassen,  indem  er  es  deutlicher  aussprach,  daß  auch  viele  Fälle  hierher  gehören,  die 
wenigstens  praktisch  dauernd  oder  doch  für  längere  Zeit  zur  Heilung  kommen^).  Auch 
treten  jetzt  die  katatonen  Symptome,  die  eine  Zeitlang  weniger  den  Krae  peli  n- 
schen  Begriff  als  die  Diskussion  beherrschten,  gegenüber  den  Störungen  der  Asso- 
ziationen und  der  Affektivität  etwas  in  den  Hintergrund. 

Hand  in  Hand  mit  der  Schöpfung  der  Dementia  praecox  ging  die  Ausbildung 
der  übrigen  Krankheitsbegriffe,  unter  denen,  wie  schon  erwähnt,  namentlich  das 
manisch-depressive  Irresein  zu  nennen  ist.  Dadurch  erst  bekam  die  Dementia  praecox 
scharfe  Gegensätze  und  ihre  Grenzen  wurden  nicht  mehr  einseitig  von  innen  heraus, 
sondern  auch  von  außen  festgelegt. 


Der  Name  der  Krankheit. 

Leider  konnten  wir  uns  der  unangenehmen  Aufgabe  nicht  entziehen,  einen 
neuen  Namen  für  die  Krankheitsgruppe  zu  schmieden.  Der  bisherige  ist  zu  unhand- 
lich. Man  kann  damit  nur  die  Krankheit  benennen,  nicht  aber  die  Kranken,  und 
man  kann  kein  Adjektivum  bilden,  das  die  der  Krankheit  zukommenden  Eigen- 
schaften bezeichnen  könnte,  wenn  auch  ein  verzweifelter  Kollege  bereits  „präkoxe 
Symptome"  hat  drucken  lassen.  Eine  ausführliche  Differentialdiagnostik  ohne  ein 
solches  Wort  wäre  schlimm  zu  schreiben  und  noch  schlimmer  zu  lesen. 

Es  gibt  aber  noch  einen  viel  wichtigeren,  materiellen  Grund,  warum  es  mir 
unausweichlich  schien,  neben  den  bisherigen  Namen  einen  neuen  zu  stellen:  der 
alte  Name  ist  gebildet  worden  zu  einer  Zeit,  da  sowohl  der  Begriff  der  Dementia 
wie  der  der  Präcocitas  auf  fast  alle  einbezogenen  Fälle  anwendbar  war.  Zu  dem 
jetzigen  Umfang  des  Krankheitsbegriffes  paßt  er  nicht  mehr,  denn  es  handelt  sich 
weder  um  lauter  Kranke,  die  man  als  dement  bezeichnen  möchte,  noch  ausschließlich 
um  frühzeitige  Verblödungen. 

Man  sollte  allerdings  meinen,  die  ui-sprüngliche  Bedeutung  des  Namens  sei 
irrelevant,  da  Kraepelin  in  klassischer  Weise  ausgeführt  hat,  was  er  darunter 
versteht;  man  spricht  ja  auch  von  Melancholie,  ohne  sich  durch  die  schwarze  Galle 
stören  zu  lassen.  Es  ist  keine  Ehre  für  die  Psychiatrie,  daß  dem  gar  nicht  so  ist. 
Dem  „periodischen  Irresein"  Kraepelins  hat  sein  Name  manche  Türe  verschlossen, 
die  dem  „manisch-depressiven"  Irresein  offen  war,  weil  es  Psychiater  gab,  die  es. 


1)  Seitdem  dies  geschrieben,  hat  Kraepelin  den  Begriff  zu  Gunsten  des  manisch- 
depressiven Irreseins  wieder  stark  eingeengt. 


Einleitung-.  Name  der  Krankheit. 


5 


niclit  über  sich  bringen  konnten,  eine  Krankheit,  die  sich  in  einem  ganzen  Leben 
unter  Umständen  nur  wenige  Male  oder  nur  ein  einziges  Mal  äußerte,  als  eine  periodi- 
sche zu  bezeichnen  oder  so  bezeichnen  zu  hören. 

Dem  Ausdruck  „Dementia  praecox"  geht  es  noch  viel  schlimmer.  Es  wird 
wohl  keinen  Psychiater  geben,  der  nicht  schon  vielfach  gehört  hat,  daß  viele  Kata- 
tonien und  andere  Fälle,  die  symptomatologisch  nach  Kraepelin  der  Dementia 
praecox  zuzuweisen  wären,  doch  nicht  verblödet  seien;  folglich  sei  die  ganze  Kon- 
zeption unrichtig.  Ebenso  glaubt  man  die  Sache  abgetan  zu  haben  durch  den  Nach- 
weis, daß  jemand  nicht  präcociter,  sondern  im  späteren  Alter  erst  verblödet  sei; 
oder  man  identifiziert  den  Begriff  der  Dementia  praecox  mit  dem  des  Jugendirre - 
Seins  und  hat  dann  sehr  leicht  nachzuweisen,  daß  es  verschiedene  Erkrankungen  des 
Pubertätsalters  gebe,  daß  es  also  unrichtig  sei,  diese  unter  einem  Begriff  zusammen- 
zufassen. Am  schlimmsten  steht  es  in  dieser  Beziehung  in  England,  wo,  soweit  ich 
die  Diskussionen  kenne,  die  große  Mehrzahl  der  Psychiater  sich  einfach  an  das  Wort 
der  Dementia  praecox  anklammert  und  den  Begriff  derselben  gar  nicht  kennt  oder 
ignoriert. 

So  bUeb  nichts  anderes  übrig,  als  hier  die  Krankheit  mit  einem  Namen  zu 
bezeichnen,  der  weniger  mißverständlich  ist.  Ich  kenne  die  Schwächen  des  vor- 
geschlagenen Ausdruckes,  aber  ich  weiß  keinen  besseren,  und  einen  ganz  guten  zu 
finden,  scheint  mir  für  einen  Begriff,  der  noch  in  der  Wandlung  begriffen"  ist, 
überhaupt  nicht  möglich.  Ich  nenne  die  Dementia  praecox  Schizophrenie,  weil, 
wie  ich  zu  zeigen  hoffe,  die  Spaltung  der  verschiedensten  psychischen  Funktionen 
eine  ihrer  wichtigsten  Eigenschaften  ist.  Der  Bequemlichkeit  wegen  brauche 
ich  das  Wort  im  Singular,  obschon  die  Gruppe  wahrscheinlich  mehrere 
Krankheiten  umfaßt. 

*  * 
* 


Von  ähnlichen  Vorstellungen  gehen  Zweig  und  Groß  (278)  aus;  ersterer 
nennt  sie  „Dementia  dissecans",  letzterer  „Dementia  sejunctiva".  Wie  schon  ge- 
zeigt, ist  aber  das  Wort  „Dementia"  sehr  ungeeignet^) ;  dazu  kommt  beim  zweiten 
Vorschlag,  daß  der  Begriff  der  Sejunktion  bei  Wer  nicke  nicht  ganz  in  dem  Sinne 
definiert  ist,  wie  er  sein  sollte,  um  die  Krankheit  richtig  zu  bezeichnen,  und  daß  er 
von  anderen  [gerade  Gro  ß  und  nach  ihm  Weber  (798),  S.  922]  in  viel  unbestimmterem 
Smne  gefaßt  wird,  so  daß  weiteren  unfruchtbaren  Diskussionen  wieder  Tür  und  Tor 
geöffnet  wären. 

Paris  hat  die  Bezeichnung  „Psychose  catatonique  degenerative"  vorgeschlagen. 
Da  wir  den  Begriff  der  Degeneration  in  diesem  Zusammenhang  ablehnen  müssen 
und  die  katatonen  Symptome  nicht  wesentlich  sind,  können  wir  auch  diesen  Namen 
nicht  annehmen.  Zu  einseitig  erscheinen  uns  auch  der  von  Bernstein  empfohlene 
Name  der  „Dementia  paratonica  progressiva"  oder  „Paratonia  progressiva"  und 
Evensens  (211)  „Amblythymia"  oder  „Amblynoia  simplex  et  catatonica".  In 
allen  Beziehungen  unpassend  ist  natürlich  „Adolescent  Insanity"  (Conaghey)  und 
„Jugendirresein".  -  Wolff  hat  neuestens  „Dysphrenie"  vorgeschlagen.  Der  Aus- 
druck ist  aber  schon  in  anderem  Sinne  gebraucht  worden,  er  ist  so  leicht  ver- 
ständlich und  seine  Bedeutung  so  weit,  daß  die  Versuchung,' ihm  einen  unpassen- 
den binn  unterzuschieben,  zu  groß  wird. 

T^»^  '^,^^^^°'^,'^<^'?.d°^l!«'lbB3zei^  (IteUener,  Sommer) 

örnrÄS^^  "^r'^'l'  appercoptiva"  (Weygandt)  schon  aus  diesem 

*.runcle  mcht  aufnehmen.  Ich  wurde  auch  noch  Brugias  „Paradementia"  fürchten. 


6 


Schizophrenie. 


Die  Definition. 

Mit  dem  Namen  der  Dementia  praecox  oder  der  Schizophrenie  bezeichnen 
wir  eine  Psychosengruppe,  die  bald  chronisch,  bald  in  Schüben  verläuft,  in 
jedem  Stadium  Halt  machen  oder  zurückgehen  kann,  aber  wohl  keine  volle 
Restitutio  ad  integrum  erlaubt.  Sie  wird  charakterisiert  durch  eine  spezifisch 
geartete,  sonst  nirgends  vorkommende  Alteration  des  Denkens  und  Fühlens 
und  der  Beziehungen  zur  Außenwelt. 

In  jedem  Falle  besteht  eine  mehr  oder  weniger  deuthche  Spaltung  der 
psychischen  Funktionen:  ist  die  Krankheit  ausgesprochen,  so  verhert 
die  Persönhchkeit  ihre  Einheit;  bald  repräsentiert  der,  bald  jener  psychische 
Komplex  die  Person:  die  gegenseitige  Beeinflussung  der  verschiedenen  Komplexe 
und  Strebungen  ist  eine  ungenügende  oder  geradezu  fehlende;  die  psychischen 
Komplexe  fließen  nicht  mehr  wie  beim  Gesunden  zu  einem  Konglomerat  von 
Strebungen  mit  einheitlicher  Resultante  zusammen,  sondern  ein  Komplex 
beherrscht  zeitweilig  die  Persönhchkeit,  während  dessen  andere  Vorstellungs- 
oder Strebungsgruppen  abgespalten"  und  ganz  oder  teilweise  unwirksam  sind. 
Auch  die  Ideen  werden  oft  nur  zum  Teil  gedacht  und  Bruchstücke  von  Ideen 
werden  in  unrichtiger  Weise  zu  einer  neuen  Idee  zusammengesetzt.  Sogar  die 
Begriffe  verlieren  ihre  Vollständigkeit,  entbehren  eine  oder  mehrere,  oft  wesent- 
hche  Komponenten;  ja  sie  werden  in  manchen  Fällen  nur  durch  einzelne  Teil- 
vorstellungen repräsentiert. 

Die  Assoziationstätigkeit  wird  also  oft  nur  durch  Bruchstücke  von 
Ideen  und  Begriffen  bestimmt;  schon  dadurch  bekommt  sie  neben  dem  In- 
korrekten etwas  Bizarres,  für  den  Gesunden  Unerwartetes;  oft  auch  hört  sie 
mitten  in  einem  Gedanken,  oder  wenn  sie  auf  einen  andern  Gedanken  übergehen 
soUte,  plötzHch  auf,  wenigstens  so  weit  sie  bewußt  ist  (Sperrung);  statt  der 
Fortsetzung  tauchen  dann  manchmal  neue  Ideen  auf,  die  weder  das  Bewußt- 
sein des  Patienten  selbst  noch  der  Beobachter  in  Zusammenhang  mit  dem 
früheren  Gedankeninhalt  bringen  kann. 

Primäre  Störungen  der  Wahrnehmung,  der  Orientierung  und  des 
Gedächtnisses  sind  nicht  nachzuweisen. 

Gefühlsäußerungen  sind  in  den  schwersten  Fällen  überhaupt  nicht 
mehr  zu  bemerken.  In  leichteren  fällt  nur  auf,  daß  die  Stärkegrade  der  Ge- 
fühlsreaktionen auf  verschiedene  Erlebnisse  in  keinem  richtigen  Verhältnisse 
zueinander  stehen,  und  zwar  kann  die  Intensität  von  vollständig  fehlender 
Gefühlsäußerung  beim  einen,  Gedankenkomplex  bis  zur  übertriebenen  Affekt- 
reaktion beim  andern  schwanken.  Auch  können  die  Affekte  quahtativ  abnorm 
erscheinen,  d.  h.  den  intellektuellen  Vorgängen  inadäquat  sein. 

Zu  den  angeführten  Zeichen  einer  „Verblödung"  treten  in  der  Mehrzahl 
der  Anstaltsfälle  noch  andere  Symptome  hinzu,  so  namenthch  Halluzinationen 
und  Wahnideen,  Verwirrtheiten,  Dämmerzustände,  manische  und  melan- 
chohsche  Affektschwankungen,  katatone  Symptome.  Von  diesen  akzessorischen 
Symptomen  und  Symptomenkomplexen  tragen  manche  einen  spezifisch  schizo- 
phrenen Charakter,  so  daß  auch  sie,  wenn  sie  vorhanden  smd,  zur  Diagnose 
der  Krankheit  verwendet  werden  können.  Außerhalb  der  Anstalten  gibt  es  viele 
Schizophrene,  bei  denen  akzessorische  Syndrome  zurücktreten  oder  ganz  fehlen. 


Eialeitung.  Definition. 


7 


Wir  zerlegen  die  Dementia  praecox  vorläufig  in  vier  Unterformen: 

1.  Das  Paranoid.  HaUuzinationen  oder  Wahnideen  oder  beide  stehen 

dauernd  im  Vordergrund.  ,       ,         i     a     a  u 

2.  Die  Katatonie.    Katatone  Symptome  stehen  dauernd  oder  doch 

längere  Zeit  im  Vordergrund. 

3.  Die  Hebephrenie.  Akzessorische  Symptome  kommen  vor,  ohne  an- 
haltend das  Bild  zu  beherrschen.  i    i:      •  j 

4.  Die  einfache  Schizophrenie.  Während  des  ganzen  Verlaufes  smd 
nur  die  spezifischen  Grundsymptome  nachzuweisen. 

Genaueres  siehe  im  Abschnitt  IL 

Die  theoretische  Abgrenzung  der  Schizophrenie  von  den  anderen  Psychosen- 
gruppen ist  eine  sehr  scharfe,  wie  ein  Blick  auf  die  in  Betracht  kommenden  Symptome 
der  anderen  Krankheiten  zeigt. 

Die  „organischen  Psychosen",  d.  h.  diejenigen,  die  als  Ausdruck  emes 
diffusen  Schwundes  der  Hirnrinde  zu  betrachten  sind  (die  unter  den  Namen  der 
Dementia  paralytica  und  Dementia  senilis  zusammengefaßten  Krankheiten  und  in 
gewissem  Sinne  der  Korsakow),  haben  folgende  Charakteristika: 

Intellektuelle  Seite:  Unscharfe  und  Langsamkeit  der  Wahrnehmungen: 
Unfähigkeit,  kompliziertere  Dinge  vollständig  zu  denken  (d.  h.  es  werden  nur  die- 
jenigen Assoziationen  herbeigezogen,  die  dem  momentanen  Trieb  entsprechen). 
Gedächtnisstörmig,  stärker  für  die  frischeren  Erlebnisse  als  für  die  älteren.  Die 
Orientierung  in  Eaum,  Zeit  und  Situation  stark  beeinträchtigt.  —  Zwischen- 
gebiet: Die  Aufmerksamkeit  ist  gestört,  die  habituelle  meist  viel  stärker  imd  früher 
als  die  maximale.  —  Af fektivität:  Alle  Affekte  sind  erhalten  und  entsprechen 
qualitativ  dem  intellektuellen  Inhalt.  Sie  sind  aber  „oberflächlich",  meist  flüchtig, 
nicht  imstande,  dauernd  den  Trieben  eine  bestimmte  Richtung  zu  geben.  —  Keines 
dieser  Symptome  gehört  der  Dementia  praecox  an. 

Epileptische  Zustände:  Intellektuelle  Seite:  Auffassung,  wenn 
überhaupt  alteriert,  verlangsamt  mid  unscharf.  Ideenassoziationen  allmählich  sich 
einschränkend,  ähnlich  wie  bei  den  organischen  Psychosen,  aber  deutlicher  ego- 
zentrisch; Gedankengang  verlangsamt,  häsitierend:  Schwierigkeit  von  einem  Thema 
loszukommen;  große  Neigung  zu  unnötigem  Detail  (Umständlichkeit  im  Reden  und 
Handeln);  Tendenz  zu  einer  bestimmten  Art  Perseveration.  Gedächtnisstörung 
spät,  viel  diffuser  als  bei  den  organischen  Krankheiten.  Amnesien  aus  anscheinend 
physischen  Gründen.  —  Affektivität:  Alle  Affekte  qualitativ  dem  intellektuellen 
Gedankeninhalt  adäquat;  aber  verstärkt,  und  zum  Unterschied  von  den  organischen, 
nachhaltig,  schwer  ablenkbar.  In  einem  gegebenen  Moment  ist  die  Affektivität 
durchaus  einheithch  (epileptisches  Delir!).  —  Motorisch:  Singende  häsitierende 
Sprache.  (Die  epileptischen  Anfälle  kommen  in  ganz  der  gleichen  Weise  auch  bei 
verschiedenen  anderen  Krankheiten,  so  namentlich  bei  der  Schizophrenie  vor; 
charakteristisch  für  Epilepsie  ist  nicht  der  Anfall  an  sich,  sondern  die  häufige  Wieder- 
hohmg  während  vieler  Jahre  und  dann  eben  der  psychische  Zustand.)  —  Bei  der 
Dementia  praecox  nichts  von  all  diesen  Symptomen. 

Alle  die  vielen  idiotischen  Störungen  haben  gemeinsam:  Beginn  in  früher 
Jugend  oder  intrauterin,  im  wesentlichen  ohne  Fortschreiten.  Affektivität  ungemein 
verschieden,  aber  prinzipiell  nicht  abweichend  von  der  des  Gesunden,  nur  scheint 
die  Variationsbreite  womögUch  noch  größer  als  bei  den  Normalen;  keine  Affekt- 
einklemmung.  Assoziationen  emgeschränkt  auf  das  intellektuell  zunächst- 
liegende.  — -  Bei  Dementia  praecox  andere  Assoziationsstörimg,  typische  Affekt- 
störung. 


8 


Schizophrenie, 


^.1,  ,f  Ai'Mdung  eines  aus  gewissen  falsehen  Prämissen  lo^iscli  ent- 

«ckelten  und  m  semen  Teilen  logisci.  verbundeneu  unerschütterlichen  Wahn  ystem, 
ohne  nachweisbare  Störung  aller  anderen  Funktionen,  also  auch  Mangel  aU  r  : 

idet'IÄneVwir  ""^^  ^» 

Bei  Demeutia  praecox  zeigen  die  Wahnideen  selbst,  wenn  solche  vorhanden 
sind,  meist  ganz  grobe,  immer  aber  feinere  Verstöße  gegen  die  Logik;  außerdem 
kommen  die  anderen  Symptome  der  Dementia  praecox  hinzu. 

Alkoholismus  chronicus:  Intellektuell:  Rascher,  oberflächlicher  Ge- 
dankenablauf mit  starkem  Bedürfnis  zur  Abrundung  der  Ideen,  namentlich  in  kausaler 
Beziehung.  Im  Speziellen  lebhaftes  Empfinden  aller  persönlichen  Antastungen  mit 
bestandiger  Bereitschaft  von  Ausreden.  —  Die  Affektivität  schlägt  auf  alles  an 
rasch  entflammt,  Strohfeuer,  labil.  Dementsprechend  Aufmerksamkeit  auf  das 
Momentane  gerichtet,  ohne  Ausdauer.  In  späteren  Stadien  oft  Zeichen  organischer 
Störung  (Hirnatrophie).  —  Also  überall  das  Gegenteil  der  Schizophrenie.  (Doch  sind 
Kombinationen  beider  Krankheiten  sehr  häufig!) 

Delirium  tremens:  Bestimmte  Art  der  Halluzinationen.  Charakteristischer 
deliriöser  Bewußtseinszustand  mit  Weckbarkeit.  Variable,  aber  in  jedem  Moment 
■einheitliche  Affektivität  mit  Gruiidstimmung  des  „Galgenhumors". 

Alkoholwahnsinn:  Siehe  den  Abschnitt  V. 

Amentia:  Die  Kraepelinsche  Amentia  hat  eine  charakteristische  Störung 
der  Wahrnehmung  und  Auffassung.  Es  gibt  aber  auch  andere  Formen,  die  noch 
-nicht  beschrieben  sind. 

Die  Fieberpsychosen  können  nicht  kurz  charakterisiert  werden,  weil  sie 
noch  gar  nicht  studiert  sind. 

Manisch-depressive  Formen:  Erklärbarkeit  alles  Wesentlichen  im  Krank- 
heitsbilde durch  eine  ganz  allgemeine  Erhöhung  oder  Depression  des  psychischen 
Tonus  in  bezug  auf  Affektivität,  Assoziationen  und  Motilität  (krankhafte  Euphorie, 
Ideenflucht,  Beschäftigungsdrang  auf  der  einen  Seite,  Depression,  Denkhemmung, 
allgemeine  motorische  Hemmung  auf  der  andern  Seite).  Fehlen  der  spezifischen 
Zeichen  der  übrigen  Krankheitsgruppen,  so  auch  der  Verblödung  im  Sinne 
der  Schizophrenie.  (Was  man  beim  manisch-depressiven  Irresein  etwa  Verblödung 
nennt,  ist  affektive  Inkontinenz  oder  depressive  Denkhemmung  oder  hinzukommende 
hirnatrophische  Demenz.)  —  Bei  der  Dementia  praecox  sind  die  positiven  Symptome 
des  manisch-depressiven  Irreseins  nicht  selten;  sie  sind  aber  kompliziert  durch  die 
spezifischen  Symptome  der  Dementia  praecox. 

Hysterie  (wie  bei  der  Dementia  praecox):  Psychogene  Erklärbarkeit  der 
wesentlichen  Symptome  und  namentlich  auch  des  Verlaufes  aus  Übertreibungen 
von  an  bestimmte  Vorstellungen  geknüpften  Affekten.  Dagegen:  Fehlen  von  Ver- 
blödung und  eigentHch  schizophrenen  Zeichen.  Bei  Dementia  praecox  kommen 
hysterische  Symptome  in  Menge  vor,  erscheinen  aber  meist  schizophren  gefärbt, 
karikiert  und  werden  gemischt  mit  den  spezifischen  Symptomen  dieser  Krankheit. 

Von  den  beiden  letzteren  Kranlcheiten,  manisch-depressivem  Irresein  und 
Hysterie,  und  in  gewissem  Sinne  vielleicht  auch  von  der  Paranoia  kennen  wir  also 
bis  jetzt  nur  Symptome,  die  bei  Dementia  praecox  auch  vorkommen  können.  Der 
Unterschied  zwischen  diesen  Psychosen  und  der  Dementia  praecox  besteht  nur  in 
einem  Plus  auf  Seite  der  Dementia  praecox.  Alle  anderen  psychotischen  Zustände 
haben  ihre  spezifischen  Symptome,  die  bei  der  Dementia  praecox  nicht  vorkommen. 


I.  Abschnitt. 

Die  Symptomatologie. 


Einleitung. 

Einzelne  Symptome  der  Scliizophrenie  sind  zu  jeder  Zeit  und  in  jedem 
Talle  vorhanden,  wenn  sie  auch  wie  jedes  andere  Krankheitssymptom  einen 
gewissen  Grad  erreicht  haben  müssen,  um  überhaupt  mit  Sicherheit  erkannt 
zu  werden.  NatürUch  reden  wir  hier  nur  von  den  großen  Symptomenkomplexen 
als  Ganzen.  Immer  vorhanden  ist  z.  B.  die  eigenartige  Assoziationsstörung, 
nicht  aber  jede  Teilerscheinung  derselben.  Die  AssoziationsanomaHe  wird  bald 
mehr  in  Sperrungen,  bald  in  Zerklüftung  der  Ideen,  bald  in  irgend  welchen 
anderen  schizophrenen  Erscheinungen  manifest. 

Neben  diesen  spezifischen  Dauersymptomen  oder  Grundsymptomen  finden 
wir  ein  Heer  von  anderen  mehr  akzessorischen  Erscheinungen,  die  wie  die  Wahn- 
ideen, Halluzinationen  und  die  katatonen  Symptome  zeitweise  oder  sogar 
während  des  ganzen  Verlaufes  eines  Krankheitsfalles  fehlen  können,  während 
sie  andere  Male  allein  und  anhaltend  die  Erscheinungsweise  bestimmen. 

Die  Grundsymptome  sind,  soviel  wir  bis  jetzt  wissen,  für  die  Schizophrenie 
charakteristisch,  während  die  akzessorischen  Symptome  auch  bei  anderen 
Krankheiten  vorkommen  können.  Doch  findet  man  auch  hier  bei  genauerem 
Zusehen  oft  Eigentümhchkeiten  der  Genese  oder  der  Erscheinung  eines  Sym- 
ptoms, die  nur  bei  der  Schizophrenie  zu  finden  sind;  und  es  ist  zu  erwarten,  daß 
man  nach  und  nach  das  charakteristische  in  einer  großen  Zahl  dieser  akzessori- 
schen Symptome  erkennen  wird. 

Der  Beschreib  ung  der  Symptome  können  natürlich  nur  ausgesprochene 
Fälle  zugrunde  gelegt  werden.  Es  ist  aber  sehr  wichtig  zu  wissen,  daß 
es  alle  Übergänge  zum  Normalen  gibt,  und  daß  die  leichten  Fälle, 
die  latenten  Schizophrenien  mit  wenig  ausgesprochenen  Sym- 
ptomen, viel  zahlreicher  sind  als  die  manifesten.  Ferner  darf  man 
bei  den  großen  Schwankungen  im  schizophrenen  Krankheits- 
bilde nicht  darauf  rechnen,  in  jedem  Moment  jedes  Symptom 
nachweisen  zu  können. 


10 


Scliizophrenie. 


1.  Kapitel. 
Die  Griindsymptome. 

Die  Grandsymptome  werden  gebildet  durch  die  schizoplu-ene  Störung 
der  Assoziationen  und  der  Affektivität,  durch  eine  Neigung,  die  eigene  Phantasie 
über  die  Wirklichkeit  zu  steUen  und  sich  von  der  letzteren  abzuschheßen  (Autis- 
mus). Man  kann  ferner  dazuzählen  das  Fehlen  der  Symptome,  die  bei  gewissen 
anderen  Krankheiten  eine  große  EoUe  spielen,  z.  B.  der  primären  Störungen 
der  Wahrnehmung,  der  Orientierung,  des  Gedächtnisses  usw. 

A,  Die  einfachen  Funktionen. 

a)  Die  alterierten  einfachen  Funktionen, 
a)  Die  Assoziationen. 
Überblick. 

Die  Assoziationen  verlieren  ihren  Zusammenhang.'  Von  den  tausend  Fäden, 
die  unsere  Gedanken  leiten,  unterbricht  die  Krankheit  in  um-egelmäßiger  Weise 
da  und  dort  bald  einzelne,  bald  mehrere,  bald  einen  großen  Teil.  Dadurch  wird 
das  Denkresultat  ungewöhnlich  und  oft  logisch  falsch.  Ferner  schlagen  die 
Assoziationen  neue  Bahnen  ein,  von  denen  uns  bis  jetzt  folgende  bekannt  sind: 
Zwei  zufällig  zusammentreffende  Ideen  werden  miteinander  in  einen  Gedanken 
verbunden,  wobei  die  logische  Form  der  Verknüpfung  durch  die  Umstände 
bestimmt  wird.  Klangassoziationen  bekommen  eine  ungewohnte  Bedeutimg; 
ebenso  die  mittelbaren  Assoziationen.  Zwei  oder  mehrere  Ideen  werden  in 
eine  verdichtet.  Die  Neigung  zu  Stereotypierung  bewirkt,  daß  der  Gedanken- 
gang an  einer  Idee  hängen  bleibt,  oder  daß  der  Kranke  immer  wieder  auf  die 
gleichen  Ideen  zurückkommt.  Überhaupt  besteht  häufig  Ideenarmut  bis  zu 
Monoideismus;  oft  beherrscht  eine  irgendwie  aufgefaßte  Idee  den  Gedanken- 
gang in  Form  der  Bannung,  des  Benennens,  der  Echopraxie.  Die  Ablenkbarkeit 
ist  in  den  verschiedenen  schizophrenen  Zuständen  nicht  in  einheitlicher  Weise 
gestört.  Sind  die  schizophrenen  Assöziationsstörungen  hochgradig,  so  führen 
sie  zu  Verwirrtheit. 

In  bezug  auf  den  zeitHchen  Ablauf  der  Assoziationen  kennen  wir  nur  zwei 
speziell  der  Schizophrenie  angehörende  Störungen,  das  Gedankendrängen, 
d.  h.  ein  pathologisch  vermehrtes  Zuf Keßen  von  Gedanken,  und  dann  die  be- 
sonders charakteristische  Sperrung. 

*  * 

* 

Ein  junger  Schizophrene,  der  erst  paranoid  oder  hebephren  erschien  und 
einige  Jahre  später  schwer  katatonisch  wurde,  schrieb  spontan  folgendes: 

Die  Blütezeit  für  Hortikultur. 
Zur  Zeit  deß  Neumondes  steht  venuß  am  Augusthimmel  Aegyptens  und  er- 
leuchtet mit  seinen  Lichtstrahlen,  die  Kauffahrteihäfen,  Suez,  Kairo  und  Alexandria. 


Grundsymptome.  Assoziationen. 


11 


in  dieser  historiscli  berühmteu  Kalifenstadt,  findet  sich  das  Museum  assyrischer 
Denkmäler  von  Makedonien.  Dort  gedeihen  neben  Pisang  Maiskolunen,  Hafer, 
Klee  und  Gerste  auch.  Baananen,  Feigen,  Citronen,  Orangen  und  Oliven.  Das  OHven- 
öl  ist  eine  arabische  Liqueur  Sauce,  mit  welcher  die  Afghanen  Mauren  und  Mosle- 
miten  die  Straußenzucht  betreiben.  Der  indische  Pisang  ist  der  Whiyski  des  Parsen 
und  Arabers.  Der  Parse  oder  Kaukasier  besitzt  genau  so  viel  Beeinflußungskraft 
auf  seinen  Elephanteu  wie  der  Maui'e  auf  sein  Dromedar.  Das  Kameel  ist  der  Sport 
des  Juden  und  indier.  In  indien  gedeiht  vorzüglich  Gerste,  Reis  und  Zuckerstock 
das  heü3t  Artischoc.  Die  Brahmanen  leben  in  Kasten  auf  Beladschistan.  Die  Tscher- 
kessen  bewohnen  die  Mandschurei  von  China.  China  ist  das  Eldorado  deß  Pawnees." 

Ein  Hebephrene,  der,  seit  mehr  als  15  Jahren  krank,  immer  noch  arbeits- 
fähig ist  und  voller  "Wünsche  steckt,  gab  mir  auf  die  Frage:  Wer  war  Epami- 
nondas?  mündHch^)  folgende  Antwort: 

„Epaminondas  war  einer,  der  namentHch  zu  Wasser  und  zu  Lande  mächtig 
war.  Er  hat  große  Flottenmanöver  und  offene  Seeschlachten  gegen  Pelopidas  ge- 
führt, war  aber  im  Zweiten  punischen  Krieg  aufs  Haupt  geschlagen  worden  durch 
das  ScLeitern  einer  Panzerfi'egatte.  Er  ist  mit  Schiffen  von  Athen  nach  dem  Hain 
Mamre  gewandert,  hat  kaledonische  Trauben  und  Granatäpfel  hingebracht  und 
Beduinen  überwimden.  Die  Akropolis  hat  er  mit  Kanonenbooten  belagert  und 
heß  die  persische  Besatzung  als  lebende  Fackeln  verbrennen.  Der  nachherige  Papst 
Gregor  VIT.  —  äh  —  Nero  folgte  seinem  Beispiel,  und  durch  ihn  wurden  alle  Athener, 
alle  romanisch-germanisch-keltischen  Geschlechter,  die  den  Priestern  gegenüber 
keine  günstige  Stellung  einnahmen,  durch  den  Druiden  verbrannt  am  Fronleich- 
namstag dem  Sonnengott  Baal.  Das  ist  die  Periode  der  Steinzeit.  Speerspitzen 
aus  Bronze." 

Die  beiden  Leistungen  zeigen  mittlere  Grade  der  schizophrenen  Asso- 
ziationsstörung. Sie  stammen  von  Patienten  mit  diametral  verschiedenem 
Verhalten  und  sind  doch  verblüffend  gleichartig.  Unter  den  Determinanten 
ihrer  Assoziationsrichtung  fehlt  die  wichtigste,  die  Zielvorstellung.  Der 
eine  scheint  über  orientalische  Gärten  schreiben  zu  wollen,  ein  sonderbarer 
Einfall  für  einen  Kommis,  der  nie  über  die  Grenzen  seines  kleinen  Vaterlandes 
hinausgekommen  ist  und  seit  einigen  Jahren  in  der  Anstalt  herumsitzt;  der 
andere  hält  sich  zwar  formell  an  die  gestellte  Frage,  redet  aber  faktisch  gar 
nicht  von  Epaminondas,  sondern  von  einem  viel  weiteren  Begriffskreis. 

Die  Gedanken  werden  also  hier  durch  eine  Art  Oberbegriff,  nicht  aber 
durch  eine  Richtungs-  oder  Zielvorstellung  zusammengehalten.  So  sieht 
es  aus,  als  ob  man  Begriffe  einer  bestimmten  Kategorie  —  beim  ersten  auf  den 
Orient  bezügliches,  beim  zweiten  Tatsachen  aus  der  alten  Geschichte  —  in 
einen  Topf  geworfen  und  durcheinander  gerüttelt  hätte,  und  nun  nach  Belieben 
des  Zufalles  die  einzelnen  herausgriffe,  sie  durch  grammatische  Formen  und 
einige  Hilf s Vorstellungen  miteinander  verbindend.  Immerhin  haben  manche 
nacheinander  folgenden  Begriffe  wieder  ein  gemeinsames,  etwas  engeres  Band, 
das  aber  doch  viel  zu  locker  ist,  um  eine  logisch  brauchbare  Verbindung  darzu- 
stellen (Flottenmanöver  —  Seeschlacht  —  Panzerfregatte;  Akropolis  —  per- 

1)  Für  die  Theorie  des  assoziativen  Denkens  muß  der  Umstand,  daß  die  EigentümUch- 
^eiten  emes  Ideenganges  sich  raeist  ganz  gleich  im  müncUichen  wie  im  schriftliclien  Ausdruck 
zeigen,  von  noch  unerkannter  Wichtigkeit  sein. 


12 


Schizophrenie. 


sisclie  Besatzung  -  verbrennen  -  lebende  Fackeln  -  Nero ;  Priester  -  Druide  - 
J^ronleichnamstag  —  Sonnengott  Baal  usw.). 

w.«  .•^''■p'^'J',-^''''^^f  1''  Assoziationsstörungen  ist  es  nötig,  sich  klar  zu  machen, 
''"Vn  ^^bejrhaupt  unsere  Gedanken  leiten.   Durch  Assoziationen  bloß 

nach  Gewohnlieit,  Ähnlichkeit,  Subordination,  Kausalität  usw.  kann  natürlich  kein 
h-uchtbarer  Gedankengang  entstehen;  erst  die  Ziel  Vorstellung  formt  Begrif£sreihen 
zu  Gedanken.  Was  man  aber  Zielvorstellung  nennt,  ist  nicht  eine  Einheit,  sondern 
eine  unendhcli  komplizierte  Hierarchie  von  Vorstellungen.  Bei  Ausarbeitung  eines 
Themas  ist  das  nächste  Ziel  die  Formulierung  des  Teilgedankens,  den  wir  gerade 
fixieren  wollen  und  für  den  im  allgemeinen  der  Satz,  den  wir  eben  schreiben  das 
Symbol  sein  wird.  Ein  weiteres,  allgemeineres  Ziel  liegt  etwa  im  Absatz-  dieser 
ordnet  sieb  einem  Abschnitt  unter  usw.,  usw.  Im  Gedanken  des  arbeitenden  Bauers 
darf  nie  fehlen  das  Hauptziel,  die  möglichste  Fertilisation  seines  Bodens,  mag  auch 
diese  Vorstellung  im  gegebenen  Moment  im  Bewußtsein  noch  so  sehr  zurück- 
treten; sie  bestimmt  seine  Assoziationen;  denn  könnte  man  ihm  beweisen,  daß  das, 
was  er  gerade  tut,  nicht  jenem  Hauptzweck  dient,  er  ließe  es  sofort  sein.  Der  Haupt- 
zielvorstellung ordnen  sich  eine  Menge  Nebenziele  unter:  rüstet  er  sich  zu  einer 
bestimmten  Zeit  zum  Säen,  so  muß  er  sich  abfinden  mit  anderen  Geschäften,  die 
damit^  kollidieren  können,  mit  Essen,  Schlafen,  mit  Wetter  und  Tageszeit.  Auch 
alle  die  einzelnen  Handlungen,  aus  denen  sich  der  Säakt  zusammensetzt,  Samen 
zurichten,  aufs  Feld  gehen,  Samen  auswerfen,  haben  wieder  ihre  Spezialziele.  Die 
Vorstellungen  dieser  Ziele  sowie  die  des  Zusammenhanges  derselben  müssen  be- 
ständig sein  Tun  (also  zunächst  seine  Assoziationen)  beeinflussen. 

Nicht  nur  die  Zielvorstellungen,  sondern  auch  die  als  einfach  geltenden  Begriffe, 
mit  denen  wir  gewöhnlich  operieren,  sind  zusammengesetzt  aus  mannigfaltigen 
Komponenten,  die  je  nach  dem  Zusammenhang  wechseln:  der  Begriff  Wasser  ist 
ein  ganz  anderer,  je  nachdem  er  gebraucht  wird  in  bezug  auf  Chemie,  Physiologie, 
Schiffahrt,  Landschaft,  Überschwemmung  oder  als  Kraftspender  usw.  Jeder  dieser 
Spezialbegriffe  wird  durch  ganz  andere  Fäden  mit  den  übrigen  Ideen  verbunden; 
kein  Gesunder  denkt  an  das  Kristallwasser,  wenn  ihm  das  Wasser  sein  Haus  fort- 
schwemmt, niemand  an  die  Tragfähigkeit  desselben  für  Schiffe,  wenn  er  sich  damit 
den  Durst  stillen  will. 

Natürlich  ist  sogar  der  engste  Begriff  ,, Wasser"  wiederum  zusammengesetzt 
aus  Vorstellungen  wie:  flüssig,  verdampfbar,  feucht,  kalt,  farblos  usw.;  auch  von 
diesen  Teilvorstellimgen  stehen  beim  normalen  Menschen  immer  nur  diejenigen 
im  Vordergrund,  die  zum  Zusammenhang  gehören;  die  anderen  existieren  nur  potentia 
oder  treten  wenigstens  so  zurück,  daß  wir  ihren  Einfluß  gar  nicht  nachweisen  können. 

So  bestimmen  nicht  einzelne  Kräfte,  sondern  eine  fast  unendliche  Menge  von 
Einflüssen  die  Richtung  unserer  Assoziationen. 

Alle  die  hier  angedeuteten  Assoziationsfäden  können  im 
Gedankengang  der  Schizophrenie  einzeln  oder  in  beliebigen  Kom- 
binationen wirkungslos  Ibleiben.  Einige  weitere  Beispiele  mögen  das 
erläutern : 

Liebe  Mamma! 

Heute  befinde  ich  mich  besser  als  gestern.  Es  ist  mir  eigentlich  gar  nicht  um's 
schreiben.  Ich  schreibe  dir  aber  doch  sehr  gern.  Ich  kann  ja  zweimal  d'ran  machen. 
Ich  hätte  mich  gestern,  am  Sonntag,  so  sehr  gefreut,  wenn  Du  und  Luise  und  ich 
in  den  Park  hätten  gehen  dürfen.  Von  der  Stephansburg  hat  man  eine  so  schöue 
Aussicht.  Es  ist  eigentlich  sehr  schön  im  Burghölzli.  Luise  hat  auf  den  letzten  zwei 
Briefen,  ich  will  sagen  auf  —  den  Couverts,  nein  Briefumschlägen,  die  icli  erhalten 


Grundsymptomo,  Assoziationen. 


13 


habe  geschrieben,  BurghölzU.  Ich  habe  aber  wo  ich  das  Datum  hingesetzt,  Burg- 
hölzli  geschrieben.  Es  gibt  auch  Patienten  im  Burghölzli  die  sagen  Hölzüburg. 
Andere  reden  von  einer  Fabrik.  Man  kann  es  auch  für  eine  Kuranstalt  halten. 

Ich  schreibe  auf  Papier.  Die  Feder  die  ich  dazu  benütze,  ist  von  einer  Fabrik 
die  heißt  Periy  u.  Co.  Die  Fabrik  ist  in  England.  Ich  nehme  das  an.  Hinter  dem 
Namen  Perry  Co.  ist  die  Stadt  London  eingekritzt;  aber  nicht  die  Stadt.  Die  Stadt 
London  liegt  in  England.  Ich  weiß  das  aus  der  Schule.  Da  habe  ich  immer  gern 
Geographie  gehabt.  Mein  letzter  Lehrer  darin  war  Professor  August  A.  Das  isfc 
ein  Mann  mit  schwarzen  Augen.  Ich  habe  die  schwarzen  Augen  auch  gern.  Es  gibt 
noch  blaue  und  graue  Augen,  auch  noch  andere.  Ich  habe  schon  gehört  sagen,  die 
Schlange  habe  grüne  Augen.  Alle  Menschen  haben  Augen.  Es  gibt  auch  solche, 
die  blind  sind.  Die  Blinden  werden  dann  von  einem  Knaben  am  Arm  geführt.  Es 
muß  sehr  schrecklich  sein  nichts  zu  sehen.  Es  gibt  auch  Leute,  die  nichts  sehen 
und  noch  dazu  solche,  die  nichts  hören.  Aber  ich  kenne  auch  einige,  die  hören  zu 
viel.  Man  kann  zu  viel  hören.  Man  kann  auch  zu  viel  sehen.  Im  Burghölzli  hat 
es  yiele  Kranke.  Man  sagt  ihnen  Patienten.  Einer  hat  mir  gut  gefallen.  Er  heißt 
E.  Sch.  Der  lehrte  mich:  Im  Burghölzli  giebts  viererlei,  Patienten,  Insassen, 
Wärter.  —  Dann  hats  noch  solche  die  gar  nicht  hier  sind.  Es  sind  alles  merkwürdige 
Leute. ..." 

Ein  nicht  schizophrener  Briefschreiber  würde  berichten,  was  an  der  Umgebung 
auf  sein  Befinden  Einfluß  hat,  was  ihn  irgendwie  angenehm  oder  unangenehm 
berührt,  oder  dann,  was  den  Adressaten  interessieren  kann.  Hier  fehlt  ein  solches 
Ziel:  das  Gemeinsame  aller  Ideen  besteht  darin,  daß  sie  an  des  Patienten 
Umgebung  anknüpfen,  nicht  aber,  daß  sie  Beziehungen  zu  ihm  haben.  Insofern  ist 
also  der  Gedankengang  noch  zerfahrener  als  der  der  ,,Hortikultur"  und  des  ,,Epami- 
nondas".  Dafür  ist  er  geordneter  in  bezug  auf  die  Details.  Während  diese  dort  nur 
ausnahmsweise  und  in  kleinen  Gruppen  zusammenhängen,  finden  wir  hier  nirgends 
einen  Sprung.  Die  „Assoziationsgesetze"  behalten  in  dieser  Beziehung  ihre  Geltung. 
Im  Experiment,  wo  die  Zielvorstellung  ausgeschlossen  ist,  würden  die  meisten  dieser 
Assoziationen  sogar  als  vollwertig  gelten  müssen :  London  —  Geographieunterricht  — 
Geographielehrer  —  dessen  schwarze  Augen" —  graue  Augen  —  grüne  Schlangen- 
augen —  Menschenaugen  —  Blinde  —  Handleiter  —  schreckliches  Los  usw.  — 
Sind  aber  auch  die  ausgedrückten  Ideen  fast  alle  richtig,  so  ist  das  Schreiben 
doch  bedeutungslos.  Patient  hatte  das  Ziel,  zu  *  schreiben,  aberg^nicht,  etwas  zu 
schreiben. 

Eine  Hebephrene  will  unter  einen  Brief  wie  gewöhnlich  ihren  Namen  setzen: 
,,B.  Graf."  Sie  schreibt  Gra;  da  kommt  ihr  ein  anderes  Wort,  das  mit  Gr  anfängt, 
m  den  Sinn;^  sie  korrigiert  das  a  in  ein  o,  setzt  ss  hinzu  und  wiederholt  dann  das 
Wort  „Gross"  noch  zweimal.  Von  der  ganzen  Vorstellungsmasse,  die  der  Unterschrift 
zugrunde  liegt,  ist  bei  der  Kranken  auf  einmal  alles  wirkungslos  geworden  mit  Aus- 
nahme der  Buchstaben  Gr.  —  So  können  sich  die  Patienten  in  die  unbedeutendsten 
Nebenassoziationen  verheren,  und  es  kommt  nicht  zur  Entwicklung  eines  einheitüchen 
Gedankenganges.  Man  hat  das  Symptom  auch  Vorbeidenken  genannt. 

Ein  Patient  antwortet  auf  die  Frage:  Was  war  Ihr  Vater?  „Johann  Friedrich". 
Daß  es  sich  um  den  Vater  handelt,  hat  er  begriffen,  die  Frage  nach  dem  Beruf  aber 
hat  keinen  Einfluß  auf  die  Antwort,  dafür  beantwortet  er  die  nicht  gestellte  Frage 
nach  dem  Namen.  Wenn  man  in  solchen  Fällen  näher  prüft,  so  stellt  sich  meist 
heraus  daß  die  Kranken  die  Frage  als  solche  erfaßt,  aber  sich  die  dazu  gehörige 
Vorstellung  nicht  ausgebaut  haben. 

Ein  Hebephrene  verlangt  von  der  Regierung  seine  Entlassung  aus  der  Anstalt 
m  folgender  lorm:  „Sie  sind  eingeladen,  meine  Enthaftung  vorzunehmen  und  die 


u 


Scliizoplirenie. 


Publikation  mit  Tagblattiiiseraten  vom  Mai  1905  vorzunehmen,  anderfalls  sind  Sie 
aus  Ilirem  Amte  entlassen  auf  Grund  meiner  traditionellen  Rechte. 
Bis  zu  den  Neuwahlen  wollen  Sie  die  Geschäfte  weiter  führen. 

Hochachtend. . ." 

Der  Mann,  der  früher  im  Stadtrat  gesessen,  hat  im  übrigen  gar  nicht  die  Wahn- 
idee, daß  er  der  Regierung  befehlen  oder  sie  gar  absetzen  könne;  nur  während  er 
■das  schreibt,  fehlt  in  seinem  Denken  alles,  was  momentan  nicht  zu  dieser  Vorstellung 
stimmt. 

Ein  Hebephrene  schreibt:  ,-,Bewundernswert  ist  das  Gebirge,  das  sich  in  den 
Schwellungen  des  Sauerstoffes  zeichnet."  Es  handelte  sich  um  die  Beschreibung 
eines  Spazierganges,  zu  der  der  chemische  Begriff  nicht  paßt.  Offenbar  hat  ihm 
«twas  von  der  „gesunden  Luft"  vorgeschwebt,  denn  gleich  im  folgenden  Satz  spricht 
Patient  scheinbar  ganz  abrupt  von  seiner  Gesundheit.  —  Ähnliches  Beispiel :  Haben 
Sie  Kummer?  ,,Nein."  Ist  es  Ihnen  schwer?  ,,Ja,  Eisen  ist  schwer."  Schwer  wird 
auf  einmal  im  physikalischen  Sinne  gefaßt. 

Es  wird  der  Tisch  neben  einem  Patienten  weggenommen.  Er  sagt:  ,, Lebet 
"wohl,  ich  bin  Christus,"  lehnt  zurück  wie  ein  Sterbender  und  neigt  das  Haupt. 
Patient  hält  sich  sonst  nicht  für  Jesus.  Die  Teilvorstellung,  daß  etwas  von  uns  weg- 
kommt, haben  wir  beim  Abschied  eines  Menschen  wie  beim  Wegnehmen  eines  Tisches. 
Für  den  Normalen  sind  die  Unterschiede  der  beiden  Vorgänge  gewaltig;  auf  die 
Assoziationen  des  Patienten  hat  aber  nur  das  Tertium  comparationis  des  Weg- 
kommens Einfluß,  eine  Vorstellung,  die  für  den  vorliegenden  Fall  gar  nicht  paßt. 
Das  Abschiednehmen  —  wohl  in  Verbindung  mit  dem  Bild  des  Tisches  —  erregt 
bei  ihm  die  Vorstellung  Jesus;  die  enormen  Unterschiede  zwischen  dem  Abschied 
Jesu  und  dem  Abschied  des  Patienten  von  seinem  Tisch  kommen  bei  der  Assoziation 
nicht  zur  Geltung.  Es  tritt  aber  nicht  nur  die  Assoziation  Jesus  auf,  sondern  die 
minime  Ähnlichkeit  in  der  Situation  des  Patienten  mit  der  Situation  Christi  genügt, 
um  den  Patienten  und  Christus  für  eine  kurze  Zeit  zu  identifizieren.  Aber  auch  hier 
sind  wieder  eine  Reihe  von  Vorstellungen  ausgefallen,  die  den  Abschied  Jesu  von 
•den  Jüngern  und  den  am  Kreuz  unterscheiden.  (Die  weiteren  konstellierenden 
Momente,  die  speziell  die  Idee  Jesus  auftauchen  ließen,  konnten  in  diesem  Fall  nicht 
nachgewiesen  werden.) 

Wo  die  zerrissenen  Assoziationsfäden  mehr  nebensächlicher  Natur  sind, 
werden  die  Assoziationen  nicht  gerade  unsinnig;  sie  erscheinen  aber  fremdartig, 
bizarr,  verschoben,  auch  wenn  sie  in  der  Hauptsache  richtig  sind.  Weim 
z.  B.  Brutus  „ein  Italiener"  genannt  wird,  so  ist  alles  richtig,  bis  auf  das  mit 
diesem  Volksnamen  angedeutete  Zeitverhältnis,  ungewöhnlich  aber,  daß  der 
genauere  Begriff  „Eömer"  durch  den  allgemeinen  des  Italieners  ersetzt  wird. 
Der  Verfasser  der  Blütezeit  für  Hortikultur  antwortete  auf  die  Frage:  „Wo 
liegt  Ägypten?"  „zwischen  Assyrien  und  dem  Kongostaat".  In  dieser  inhalthch 
richtigen  Antwort  ist  die  Lagebestimmung  durch  ein  afrikanisches  und  ein 
asiatisches  Land  ungewohnt,  noch  mehr  die  Verbindung  eines  der  ältesten  mit 
dem  modernsten  Staate.  In  bezug  auf  Ort  wie  auf  Zeit  sind  Begriffsbestand- 
teile unwirksam  geworden,  die  sonst  niemals  fehlen.  —  Beim  Experiment  asso- 
ziiert eine  Patientin  auf  Herz  „Faden",  weil  zwei  Herzen  wie  durch  enien  Faden 
verbunden  seien;  eine  andere  (Zürcherin)  auf  Nadel  —  „der  Pime".  Em  Hebe- 
phrene nennt  Heu  „ein  Unterhaltungsmittel  der  Kühe".  Der  Schluß  eines 
Briefes  lautet:  „Bitte  grüße  mir  auch  meine  übrigen  Geschwister,  Schwagerinneu 
lind  euere  Kinder.  Nicht  nur  der  Zorn  und  die  Strafe  Gottes,  sondern  auch  die 


CTrundsyini)tome«  Assoziationen. 


15 


Liebe  Gottes  und  die  Gnade  unseres  Herrn  Jesu  Christ  sei  mit  uns  allen,  auch 
mit  Dir  und  Du  kommst  zu  mir"  („Du  kommst  zu  mir"  ist  im  Original  plötzlich 
im  Dialekt).  Hier  lassen  sich  aUe  Übergänge  von  einer  Idee  auf  die  andere 
aus  den  Umständen  und  den  die  Patientin  beherrschenden  Gefühlen  sehr  leicht 
erklären;  jeder  Satz  drückt  einen  Gedanken  aus,  den  die  Patientin  ganz  wohl 
am  Schlüsse  ihres  Briefes  sagen  kann;  er  ist  auch  mit  dem  vorhergehenden 
verständhch  verbunden;  und  dennoch  Idingt  alles  so  bizarr,  daß  man  gar  nicht 
daran  denken  könnte,  es  einer  manischen  Ideenflucht  zuzuschreiben,  geschweige 
einem  gesunden  Denken. 

In  manchen  Fällen  reißen  alle  Fäden  des  Gedankenganges;  werden  dann 
nicht  neue  Bahnen  eingeschlagen,  so  haben  wir  den  Stupor  oder  die  Sperrung. 
Häufig  aber  geht  der  Patient  mit  der  größten  Selbstverständlichkeit  von  einem 
verlassenen  Gedanken  zu  einem  ganz  andersartigen  über,  der  keine  assoziative 
Verbindimg  mit  dem  vorhergehenden  erkennen  läßt. 

In  dem  folgenden  Bruchstück  einer  ,, Lebensbeschreibung"  sind  die  Sprünge 
durch  //  bezeichnet;  ein  Teil  derselben  läßt  sich  durch  Anknüpfung  an  die  Umgebung 
(Ablenkung)  erklären,  aber  nicht  alle. 

,,Man  muß  eben  zur  rechten  Zeit  aufgestanden  sein,  dann  gibt  es  auch  den  dazu 
nötigen  ,, Appetit".  L'appetit  vient  en  mangeant,"  sagt  der  Franzose.  — 
//  Mit  der  Zeit  und  mit  den  Jahren  wird  der  Mensch  im  öffentUchen  Leben  so  be- 
quem, daß  er  nicht  einmal  mehr  imstande  ist,  zu  schreiben.  —  Auf  einen  solchen 
Bogen  Papier  bringt  man  sehr  viele  Buchstaben,  wenn  man  richtig  aufpaßt,  daß 
man  nicht  einen  ,, Quadratschuh"  darüber  hinauskommt.  //  Bei  solch  prächtigem 
Wetter  sollte  man  können  spazieren  im  Walde.  Selbstverständlich  nicht  allein, 
sondern  mit  Avec!^)  //  Am  Ende  eines  Jahres  wird  immer  ein  Jahresabschluß  ge- 
macht. —  //  Die  Sonne  steht  erst  jetzt  am  Himmel  und  es  ist  noch  nicht  mehr  als 
10  Uhr.  —  Auch  im  Burghölzli?  —  ?  Das  weiß  ich  ja  nicht,  denn  ich  habe  keine 
Uhr  bei  mir  wie  früher ! — Apres  le  manger  ,,0n  va  p. .."  !  Es  gibt  auch  Unter- 
haltungen genug  für  solche  Leute,  welche  nicht  in  diese  Irrenheilanstalt  gehören 
und  nie  gehörten.  Denn  „Unfug"  zu  treiben  mit  „menschlichem  Fleisch"  ist 
in  der  „Schweiz'  nicht  erlaubt! !  //  —  La  foi  das  Heu,  L'herb  das  Gras,  morder  = 
beißen  etc.  etc.  etcetera  usw.  und  so  weiter !  —  R . . .  K .  . .  —  Aus  Zürich  kommt 
jedenfalls  sehr  viel  „Waare"  ins  Burghölzli,  sonst  müßten  wir  nicht  im  „Bette" 
bleiben,  bis  es  diesem  und  jenem  „gefällig"  ist  zu  „sagen"  wer  daran  schuld  hat, 
daß  man  nicht  mehr  in's  Freie  kann.  O  $  //  1000  Zentner  //  Anhäneung  an  die 
Eicheln!!!  ^ 

A.  les  Eschelles,  d'un  homme,  qui  ne  peut  plus  aller  au  pieg.  —  XII  Vous 
connaissez  Qal  En  „AUemagne:  Die  Eicheln  und  das  heißt  auf  französisch:  Au 
Malträitage".  —  //  TABAK.  (Ich  habe  dir  so  schön  gesehen.)  //  Wenn  auf  jede 
Lmie  etwas  geschrieben  ist,  so  ist  es  recht.  „Jetzt  ischt  albi  elfi2)  grad.  Der  Andere.  — 
//  Hü,  Hü,  Hüst  umme  nö  hä?!  —  //  Zuchthäuslerverein:  Burghölzli.  — 
//  Ischt  nanig  a  pres  le  Manger !?—!?!_  Meine  Frau  war  eine  verraöghche  gewesen." 

Im  gewöhnlichen  Sprechen  und  Schreiben  ist  dieses  eigenartige  Zerreißen 
der  Assoziationsfäden  meist  vermischt  mit  anderen  Störungen,  so  daß  es  schwer 
ist,  reme  Beispiele  zu  finden.  In  akuten  Zuständen  kann  die  Anomalie  so 
weit  gehen,  daß  man  nur  ausnahmsweise  einen  Gedanlcoii  durch  mehrere  Glieder 

^)  D.  h.  mit  einom  Mädchen  (übliche  Redensart). 
^)  =  „halb  elf"  in  Aussprache  der  Italiener. 


16 


ScliizoplireniCi 


ZU  verfolgen  vermag,  man  spricht  dann  von  „Dissoziativem  Denken" 
(Ziehen  842)  und  „Inkohärenz"  und  muß  das  äußere  Krankheitsbild 
als  „Verwirrtheit"  bezeichnen.  Manchmal  aUerdings  ist  nur  die  Ausdrucksweiae 
eine  unldare,  so  daß  man  immer  noch  logische  Übergänge  wenigstens  vermuten 
darf;  man  kann  dann  nie  mit  Sicherheit  sagen,  ob  bei  einer  abnormen  Ver- 
bindung gänzhcher  Abbruch  des  Gedankenganges  stattgefunden  habe;  so  im 
folgenden  (nachstenographiert): 

„Schweizerstolz  will  verdient  sein.  Salü  K...,  ich  bin  die  Nonne,  wenns 
genügt,  bist  du  noch  sein.  Das  ist  ein  braver  Eeitersmann,  nehmt  ihn  nur  zum  Manne 
an.  Karohne  du  weißt  ja,  bist  du  mein  Herrgott,  so  warst  du  nur  ein  Traum.  Bist  du  s 
Taubenhaus,  ist  der  Frau  K.  immer  noch  Angst.  //  Ich  bin  sonst  nicht  so  exakt  im 
Essen.  Trag  der  Brühe  sorg.  //  Wo  hast  den  Pinsel.  Hermann  wo  bist  du?  Her- 
mann, Altorf,  Anna,  Walder,  oder  Z.  H.  Lokomotivheizer  geben,  in  deinen  Armen 
schlaf  ich  süß.  //  Hier  ist's  Burghölzh.  //  Ida  bist  du  Mexikaner  worden,  du  scheinst 
mir  sehr  belesen  zu  sein.  Jetzt  ist  es  eine  Seite,  ein  Eitter  vom  Burghölzh,  dann 
habens  ein  Seefest  oder  bringen  sonst  einen  Fackelzug.  Das  verlorene  Kind  hat 
einen  Ziegelkopf.  Wo  bleiben  die  Herren  des  heihgen  Festes.  Das  ist  die  Quelle 
des  Lebens." 

Alle  die  angeführten  Störungen  können  vom  Maximum,  das 
einer  vollständigen  Verwirrtheit  entspricht,  bis  auf  nahezu  Null 
schwanken.  Nicht  jede  Gedankenverbindung  bei  einem  Schizophrenen  hat 
diesen  Charakter;  aber  während  in  schweren  Fällen  die  falschen  Assoziationen 
geradezu  dominieren,  kann  bei  „geheilter"  oder  latenter  Dementia  praecox  nur 
eine  geduldige  und  anhaltende  Beobachtung  einzelne  solcher  Denkfehler  aufdecken. 

Am  deutlichsten  wird  das  Neuauftauchen  von  Ideen  beim  Fragen  und 
Antworten  und  dann  beim  Assoziationsexperiment,  wo  der  Patient  auf  ein 
genanntes  Wort  sofort  zu  sagen  hat,  was  ihm  einfällt:  Ein  Kranker  starrt  eine 
Kerze  an  und  gibt  auf  die  Frage,  was  er  denn  sehe,  den  Bescheid:  „Dort  ist 
eine  Kerze;  ewig  Licht:  //  Barbara  v.  R.  in  S.  //  Etwas  rechts  hinten.  Barben 
eben  ja,  die  gibt  es  im  Rhein."  —  Auf  die  Aufforderung  zur  Arbeit  zu  gehen, 
kann  man  die  Antwort  bekommen:  ,,Was  lassen  Sie's  fallen?  //  Die  Sonne  steht 
am  Himmel.  //  Was  lassen  Sie's  fallen?"  (Es  hat  niemand  was  fallen  lassen.)  — 
Abgesehen  von  den  mit  //  markierten  Gedankensprüngen  knüpft  schon  der  erste 
Satz  gar  nicht  an  die  Aufforderung  an.  Es  ist  dies  etwas  ganz  Gewöhnhches ;  das 
auf  eine  Frage  Erwiderte  ist  oft  nur  formell  eine  Antwort,  hat  aber  inhaltlich 
mit  dem  Gefragten  gar  nichts  zu  tun. 

Eme  Patientin,  die  bei  den  Hausgeschäften  helfen  sollte,  wird  gefragt,  warum 
sie  nicht  arbeite;  die  Antwort:  „Ich  kann  ja  nicht  französisch"  hat  weder  mit  der 
Frage  noch  mit  der  Situation  überhaupt  einen  logischen  Zusammenhang. 

Einer  arbeitsfähigen,  sich  ganz  gut  benehmenden  Patientin,  die  auf  das  Ex- 
periment eingeht,  wird  zur  Prüfung  des  stereognostischen  Sinnes  ein  Schlüssel  in 
die  Hand  gegeben;  auf  die  Frage,  was  das  sei,  bekommt  man  die  Antwort:  „ein 
Gemeinderat". 

Im  Expermient  wird  auf  Tinte  assoziiert:  „Tintenfleck;  //  das  wollen  wir 
doch  erben". 

Manchmal  wird  die  Lücke  dui'ch  grammatische  Formen  überbrückt,  so 
daß  ein  Zusammenhang  vorgetäuscht  wird;  verschiedene  Ideen,  die  gar  nicht 


Gl'uudsymptome.  Assoziationen. 


17 


•^^J^  l^^^^^'  BurghöUU,  »onst  miißten  wir  nicht  i. 
Bette  bSel  "  Die  neue  Idee  des  Imbettebleibens  mid  der  Form  nach  als 
Beweis  für  das  Vorhergehende  angeführt. 

Das  Bisherige  läßt  sich  zusammenfassen: 

4us  den  zahllosen  aktuellen  und  latenten  Vorstellungen, 
deren  resultierende  Wirkungen  beim  normalen  Tdeengang  jede 
einzelne  Assoziation  bestimmen,  können  bei  der  Schizophrenie 
in  scheinbar  regelloser  Weise  einzelne  oder  ganze  Kombinationen 
wirkungslos  bleiben.  Dafür  können  Vorstellungen  zur  Wirkung 
kommen,  die  keinen  oder  einen  ganz  ungenügenden  Zusammen- 
hancr  mit  der  Hauptidee  haben  und  somit  vom  Gedankengang 
ausgeschlossen  sein  sollten.  Dadurch  wird  das  Denken  zerfahren, 
bizarr,  unrichtig,  abrupt.  Manchmal  versagen  alle  Faden,  der 
Gedankengang  wird  ganz  unterbrochen;  nach  dieser  „Sperrung" 
können  Ideen  auftauchen,  die  keinen  erkennbaren  Zusammen- 
hang mit  den  früheren  haben. 

Höchstens  in  gewissen  Stuporfällen  aber  mag  das  Denken  ganz  aufhören. 
Gewöhnlich  steigen,  auch  wenn  die  Fäden  abgebrochen  sind, 
sofort  oder  nach  kurzer  Zeit  neue  Ideen  auf,  deren  Zusammen- 
hang mit  den  früheren  oft  nicht  zu  finden  ist. 

Das  Auftauchen  einer  Idee  ohne  jeden  Zusammenhang  mit  dem  bisherigen 
Gedankengang  oder  mit  einer  von  außen  kommenden  Empfindung  ist  aber 
trotz  Swoboda  etwas  der  normalen  Psychologie  so  Fremdes,  daß  man  ver- 
pfhchtet  ist,  auch  bei  den  scheinbar  entferntesten  Einfällen  Kranker  einen 
Assoziationsweg  von  vorhergehenden  Gedanken  oder  von  einer  Wahrnehmung 
aus  zu  suchen.  Hierbei  kann  man  zwar  nicht  in  allen  FäUen  die  Verbindung 
nachweisen,  aber  doch  in  so  vielen,  daß  es  möglich  wird,  einige  Hauptrichtungeii 
zu  nennen,  in  denen  die  Entgleisung  stattfindet. 

Auch  da,  wo  nur  ein  Teil  der  Assoziationsfäden  unterbrochen 
ist,  kommen  statt  der  logischen  Direktiven  andere  Einflüsse  zur 
Geltung,  die  sich  unter  normalen  Umständen  nicht  bemerkbar 
machen.  So  weit  wir  bis  jetzt  wissen,  sind  es  meist  die  nämlichen  Direktiven, 
die  auch  nach  dem  völligen  Abreißen  des  Gedankens  die  neue  Anknüpfung 
bedingen:  Verbindungen  zufällig  angeregter  Gedanken,  Verdichtungen,  Asso- 
ziationen nach  Wortklang,  mittelbare  Assoziationen  und  zu  langes  Haften- 
bleiben von  Ideen  (Stereotypierung).  Alle  diese  Gedankenverbindungen  sind 
auch  der  normalen  Psyche  nicht  fremd;  sie  kommen  aber  daselbst  nur  aus- 
nahmsweise und  nebensächlich  vor,  während  sie  bei  der  Schizophrenie  bis  zur 
Karikatur  übertrieben  werden  und  oft  den  Gedankengang  geradezu  beherrschen. 

Am  häufigsten  beobachtet  man,  daß  zwei  Ideen  ohne  inneren 
Zusammenhang,  die  den  Patienten  gleichzeitig  beschäftigen,  ein- 
fach verbunden  werden.  Wie  die  logische  Form  der  Verbindung  sei,  hängt 

Handbuch  der  Psychiatrie:  Ulculer.  2 


18 


Scbizoplirenie, 


von  den  begleitenden  Umständen  ab:  Fragt  man  etwas,  so  gibt  der  Patient 
eine  Idee,  die  er  gerade  hat,  als  Antwort;  suclit  er  einen  Grund,  so  werden  die 
Ideen  kausal  verbunden.  Hat  er  ein  krankhaft  übertriebenes  Selbstbewußtsein, 
oder  fühlt  er  sich  umgekehrt  benachteiligt,  so  bezieht  er  die  neue  Idee  im  Sinne 
dieser  affektbetonten  Komplexe  direkt  auf  sein  Ich. 

So  nennt  ein  Kranker  einen  abgebildeten  Kamm  „Waschzeug",  weil  ein  Wasch- 
becken daneben  gezeichnet  ist;  einen  Käfer  einen  „Käfervogel",  weü  ihm  vorher 
ein  Vogel  gezeigt  worden  ist. 

Warum  haben  Sie  solange  nicht  gesprochen?  „Aus  Ärger."  —  Worüber? 
„Man  will  aufs  Klosett  und  sucht  Papier  und  hat  keines."  (Abraham.)  Hier  dient 
der  erste  beste  Gedanke  als  Begründung.  —  Die  Frau  eines  schizophrenen  Lehrers  hat 
einen  Schlüssel  verloren;  am  nämlichen  Tage  hat  ein  Dr.  N,  die  Schule  besucht;  also 
hat  Dr.  N.  Beziehungen  zu  des  Lehrers  Frau. 

Es  ist  etwas  ganz  Gewöhnliches,  daß  uns  die  Patienten  Antworten  geben, 
die  nur  irgend  einen  zufälligen  Gedanken  aufgreifen.  So  ist  es  denn  auch  selbst- 
verständlich, daß  sie  sich  alle  Augenblicke  widersprechen,  wenn  man  ihnen 
die  Frage  mehrfach  steUt. 

Dawsons  Hebephrene,  der  sich  ins  Wasser  gestürzt  hatte,  motivierte  diese 
Tat  zu  verschiedenen  Zeiten  mit  folgenden  Gründen:  er  glaube  nicht  an  eine  Zukunft 
imd  erwarte  nicht,  besser  zu  werden;  er  gehöre  zur  imteren  Menschenklasse  und 
müsse  Platz  für  die  obere  machen;  er  sei  vergiftet  worden;  er  habe  es  aus  reUgiöser 
Depression  getan. 

Manchmal  werden  die  zwei  Gedanken  durch  äußere  Umstände  oder  durch 
den  Gedankengang  direkt  gegeben: 

Wie  geht  es  Ihnen?  „Schlecht"  (mit  lachendem  Gesicht).  Sie  sehen  ja  gut 
aus;  gut  geht  es  Ihnen  (dabei  klopfe  ich  der  Patientin  auf  den  Rücken).  „Nein, 
ich  habe  Schmerzen  im  Rücken"  (auf  die  geklopfte  Stelle  zeigend).  —  Warum  lachen 
Sie?  „Weil  Sie  die  Kommode  ausräumen."  —  Sie  haben  ja  vorher  schon  gelacht.  — 
,,Weil  die  Sachen  noch  d'rin  waren."  — 

Am  häufigsten  geschieht  die  Anknüpfung  an  diejenigen  Dinge,  die  den 
Patienten  gerade  gemüthch  beschäftigen. 

Es  ist  etwas  AUtägUches,  daß  die  Kranken  schmieren  oder  Kleider  zerreißen, 
„weil  man  sie  nicht  nach  Hause  gehen  läßt".  —  Ein  Kranker  assoziiert  auf  Schiff: 
"Der  Herrgott  ist  das  Schiff  der  Wüste";  vorn  setzt  er  an  das  gegebene  Wort  den 
Herrgott  an,  das  im  Vordergrund  seines  pathologischen  rehgiösen  Interesses  steht 
vmd  bei  ihm  auch  sonst  oft  auftaucht;  hinten  kam  die  Wortergänzung  in  ganz  anderem 
Gedanlcengang.  —  Auf  „Holz"  wurde  von  einem  Mädchen  assoziiert:  „daß  mem 
Cousm  Max  wieder  lebendig  wird";  die  Kranke  benutzt  den  Teilbegriff  „Holzsarg", 
der  in  ihrer  unglückhchen  Liebe  eine  Rolle  spielt,  um  das  Reizwort  mit  dem  Komplex 
zu  verbinden  —  Der  nach  oben  strebende  Boßhard  von  Oerhkon  ist  Bonaparte 
von  Orleans,  wie  ihm  sein  Name  sagt.  Wie  diese  Beispiele  zeigen,  spielt  diese  Art 
Assoziation  eines  zufälligen  Eindruckes  mit  einem  bestehenden  Komplex^)  eme 
große  Rolle  bei  der  Entstehung  der  Wahnideen. 

1)  Komplex:  Abgeküi-zter  Ausdruck  für  Komplex  von  Vorstellungen  der  so  sterk 
affektbesetzt  ist,  daß  er  die  psychischen  Vorgänge  (andauernd)  ^"^^^.^^['«^^^"f ^.'^ 
normale  Einwirkung  des  Affektes  auf  die  Assoziationen  bringt  es  mit  sich,  daß  dei  Komplex 
schon  beim  Gesunden  eine  gewisse  Neigung  hat  sich  abzugrenzen  eme  Ar  J 
zu  erlangen;  er  wird  ein  resistenteres  Gebilde  innerhalb  der  wechselnden  Vor tstellungsmasse. 


Grundsymptome.  Assoziationen. 


19 


Häufit^  sind  ferner  Assoziationen  nach  dem  Wort  klang;  Kopf  —  Tropf; 
Frosch  -  i°ost  —  rostig;  sauber  —  Tauber  —  (wilder  —  böser  —  starker  — 
Kerl);  geschlagen  —  betrogen  —  betroffen  —  beklagen.  Solche  Verbindungen 
gleichen  zwar  den  Klangassoziationen  bei  Ideenflucht;  doch  wäre  schon  Frosch  — 
Rost  für  einen  Manischen  auffaUend,  ein  Produkt  wie  „betrogen  —  betroffen" 
oder  „Diamant  —  Dynamo"  recht  selten;  der  Gleichldang  ist  denn  doch  zu 
gering.  Noch  ungewöhnhcher  kommen  uns  vor:  Pauline  —  Baum  —  Raum; 
See  —  Säuhund;  Tinte  —  Gige  (=  Geige),  Nadel  —  Nase.  Bei  Tinte  —  Gige 
wird  der  Gleichldang  von  Gesimden  kaum  empfunden,  das  i  in  Tinte  ist  kurz 
und  hat  einen  anderen  Klang  als  das  lange  i  in  Gige.  Wird  aber  assoziiert  „schon 
—  ein  Paar  Schuhe"  und  gleich  darauf:  „Krieg  —  das  ist  die  Schönheit",  so 
wird  niemand,  der  nm-  die  manischen  und  die  normalen  Assoziationen  kennt, 
in  der  bloßen  Assonanz  die  Verbindung  zwischen  Schuh  und  Schönheit  suchen. 
Und  doch  haben  uns  viele  Hunderte  von  solchen  Zusammenstellungen  mit 
Sicherheit  belehi-t,  daß  die  Gleichheit,  ja  die  ÄhnHchkeit  eines  einzigen  Lautes 
senüst,  um  die  Richtung  der  Assoziationen  mitzubestimmen. 

Auch  die  Klangassoziationen  haben  häufig  den  schizophrenen  Charakter 
des  Bizarren. 

So  sagte  uns  eine  Patientin,  Kalender  sei  Felsen  verkauf,  weil  die  Felsen  kahl 
seien.  Man  spricht  in  Gegenwart  einer  Katatonischen  vom  Fischmarkt.  Sie  jammert: 
„Ja,  ich  bin  auch  so  ein  Haifisch."  Sie  benutzt  eine  ganz  sonderbare  und  für  jeden 
andern  Avachen  Menschen  als  einen  Schizophrenen  unmögHche  Klangassoziation 
, .Fischmarkt  —  Haifisch"  um  auszudrücken,  daß  sie  etwas  ganz  Schlechtes  sei,  dabei 
die  ganze  Unmöglichkeit  dieser  Identifikation  ignorierend. 

Anderes  Beispiel  von  Klangassoziation  beim  freien  Gedankengang:  Der  Arzt 
hatte  einer  Hebephrenen,  die  ganz  arbeitsfähig  ist  imd  sich  auch  außerhalb  der  Anstalt 
gut  bewegen  kann,  Vorwürfe  gemacht,  weil  sie  schlechte  Ordnung  in  ihrem  Zimmer 
hielt,  imd  bekam  die  Antwort:  ,,Ich  will  kern  italienisches  Geld."  Auf  die  Frage, 
was  das  heißen  solle,  sagte  sie:  ,,Sou  ist  doch  itahenisches  Geld  oder  französisches; 
ich  bin  nicht  Surberli  (eine  Angestellte,  die  bei  dem  Begriff  ,Ordnung  halten' 
kaiun  in  Betracht  kommen  kann)  und  die  Frau  Suter  ist  überhaupt  gestorben." 
Die  Patientin  hatte  bei  dem  Vorwurf  bewußt  oder  unbewußt  an  das  für  solche  Fälle 
unter  weniger  Gebildeten  übliche,  aber  vom  Arzt  nicht  gebrauchte  Wort  „Sau- 
ordnung" (ausgesprochen  Sou. . .  oder  Su. . .)  gedacht;  damit  sind  die  Worte  — 
und  Begriffe  —  Sou,  Surberli  und  Suter  teilweise  determiniert,  während  die  negative 
Form  des  Satzes  ausdrückt,  daß  Patientin  nicht  als  unordenthch  gelten  wolle 
(Eiklin).  —  Eme  Patientin  variierte  die  seit  30  Jahren  bei  ihr  bestehende  stereotype 
Redensart:  „es  ist  mir  nicht  wohl",  indem  sie  für  „wohl"  verschiedene  Dialektaus- 
drücke und  schheßhch  das  englische  „well"  einsetzte.  Aus  dem  letzten  Wort  wurde 
eines  Tages  „es  ist  mir  nicht  Velo"  (=  Fahrrad). 

Natürlich  kann  eine  Klangähnlichkeit  niemals  allein  eine  Assoziation 
bestimmen.  Wenn  auf  „schon"  „Schuh"  und  dann  „Schönheit"  assoziiert  wird, 
so  hegt  in  der  Assonanz  nur  eine  von  vielen  Determinanten.  Es  gibt  noch  Hun- 
derte von  Worten,  die  mit  Sch  anfangen;  warum  sind  gerade  Schuh  und  Schön- 
heit aufgetaucht? 


„Tmte  —  Geige"  kennen  wir  einen  der  übrigen  mitbestimmenden 
:  Der  Patient  hat  sexuelle  Gedanken,  die  sich  in  manchen  Asso- 
sehr  unverblümt  ausdrücken.  (Geige  wird  in  unserem  Dialekt  fast 


2* 


20 

Schizophrenie. 

nur  im  obszönen  Sinn,  kaum  je  für  das  Musikinstrument  gebraucht.)  Der  näm- 
iche  Eintluß  ist  noch  bei  vielen  Assoziationen  des  gleichen  Patienten  und  ebenso 
bei  vielen  Produkten  anderer  Kranker  nachzuweisen;  denn  klangliche  und 
sexuelle  Du'ektiven  sind  gerade  bei  Schizophrenen  so  häufig,  daß  sie  auch  oft 
kombimert  zu  finden  sein  müssen.  So  antwortet  eine  Kranke  auf:  „Bitte,  sagen 

 "  '•  »ein  Bidet  habe  ich  nicht  nötig"  (d  und  t  werden  in  unserem 

Dialekt  scharf  unterschieden).  —  Sehr  häufig  ist  das  Verhören  von  Worten  im 
Sinne  eines  Komplexes,  z.  B.  des  Verfolgungswahnes. 

Zwei  Einflüsse  bestimmen  aber  eine  Assoziation  noch  lange  nicht  ein- 
deutig. Es  gibt  gewiß  noch  recht  viele  Wörter,  die  sowohl  Gleichklänge  in  dem 
hier  in  Frage  kommenden  aller  weitesten  Sinne,  wie  auch  eine  sexuelle  Be- 
deutung haben.  Die  Auswahl  muß  dann  noch  durch  andere  Verhältnisse  mit- 
bestimmt werden,  die  uns  aber  meist  entgehen. 

Ziemhch  gleichwertig  den  Klangassoziationen  sind  die  einfachen  Fort- 
setzungen von  gewohnten  Redensarten,  die  bei  Schizophrenen  ganz 
deplaciert  auftreten  können.  So  fing  eine  Patientin,  die  im  Begriffe  war  von 
einem  Spaziergang  mit  ihrer  Famihe  zu  berichten,  an,  die  Famihengheder 
aufzuzählen:  „Vater,  Sohn",  fuhr  dann  aber  fort  „und  heihger  Geist",  dem 
sie  dann  noch  die  „heihge  Jungfrau"  anfügte,  indem  sie  durch  das  Zitat  auch 
begrifflich  abgelenkt  worden  war. 

Nicht  prinzipiell  verschieden  von  den  zufälHgen  Assoziationsverbindungen 
sind  die  Verdichtungen,  d.  h,  Zusammenziehungen  von  mehreren  Ideen  in 
eine  einzige. 

Dieser  Vorgang  wirkte  mit  bei  der  Bildung  des  oben  erwähnten  Gedankens 
,,der  Herrgott  ist  das  Schiff  der  Wüste",  indem  zwei  ganz  verschiedene  imd  ver- 
schiedenen Ideenkomplexen  angehörige  Dinge  in  einen  Gedanken  zusammengezogen 
wurden.  Ein  Katatoniker  assoziierte  auf  Segel  ,,  Dampf  seger zusammengesetzt 
aus  den  beiden  sich  aufdrängenden  Assoziationen  „Dampfschiff"  und  „Segelschiff". 
An  der  Bildung  von  Wahnideen  und  Symbolen  ist  die  Verdichtung  in  hervorragen- 
dem Maße  beteiligt,  auch  ist  sie  die  Ursache  einer  Menge  von  Wortbildungen: 
„trauram"  für  „traurig"  und  „grausam";  ,,schwankelhaft"  zusammengesetzt  aus 
Bruchstücken  der  drei  Worte  ,, wankelmütig",  ,, schwankend",  , .nicht  standhaft". 

In  den  experimentellen  Untersuchungen  sind  die  mittelbaren  Asso- 
ziationen auffallend  häufig;  ich  vermute,  es  ist  nur  ein  Beobachtungsmangel, 
daß  wir  sie  im  gewöhnhchen  Gedankengang  der  Kranken  noch  recht  wenig 
nachgewiesen  haben. 

Die  früher  erwähnte  Assoziation  „Holz  (Holzsarg)  —  toter  Cousin"  kann  auch 
als  mittelbare  aufgefaßt  werden.  Sicher  sind  „See  —  Geist"  über  „Seele";  „Sten- 
gel —  Wädenswü"  über  „Engel",  ein  Gasthof  in  Wädenswü,  der  für  das  Gefühls- 
leben der  Patientin  wichtig  geworden  ist;  „Herz  —  Tannenbaum"  über  „Harz"; 
„Kochen  —  Schwindsucht"  über  „Koch  —  TuberkuUn".  Man  zeigt  einer  Kata- 
tonika  einen  Schlüssel  mit  der  Frage:  „Was  ist  das?"  Sie  antwortet  prompt: 
„Das  ist  die  weiße  Schüssel",  diese  Assoziation  kann  wohl  nur  über  „Schlüssel" 
gegangen  sein. 

Auch  bei  Leseversuchen  an  der  Trommel  hat  Reis  (S.  617)  mittelbare  Asso- 
ziationen gefunden  in  dem  Sinne,  daß  statt  Krieg  „Zank",  statt  Vieh  „Pferd"  ge- 
lesen wird.  Der  prhnäre  Sinneseindruck  kommt  hier  gar  nicht  zum  Bewußtsein, 
bedingt  aber  doch  eine  neue  Assoziation.  —  Auch  Groß  macht  darauf  aufmerksam, 


Grundsymptome.  Assoziationen. 


21 


daß  die  Patienten  mauclimal  auf  eine  eindeutige  Frage  statt  der  Antwort  eine  Asso- 
ziation zu  dieser  Antwort  geben.  [In  Stransky  (748),  S.  1077.] 

Nicht  selten  wird  die  Neigung  zu  Stereotypierung  eine  weitere 
Ursache  zu  Entgleisungen.  Die  Kranken  bleiben  an  den  gleichen  Ideenkreisen, 
den  gleichen  Worten,  den  gleichen  Satzformen  hängen  oder  kommen  ohne 
logischen  Grund  immer  wieder  darauf  zurück.  Busch  fand  bei  Auffassungs- 
versuchen in  einzelnen  Fällen  zahlreiche  falsche  Angaben,  die  vorhergehende 
Reize  wiederholten. 

Beim  Assoziatiousexperiment  knüpfen  die  Patienten  oft  an  das  frühere 
Reiz-  oder  Reaktionswort  an:  ,, Stern  —  das  ist  der  beste  Segenswunsch; 
Streicheln  —  das  ist  die  Vollkommenheit;  gi-oßartig  —  den  Willen;  Kind  — 
der  Gottheit;  dunkeh'ot  —  Himmel  und  Erde."  Durch  das  Wort  Stern  ist  eine 
reh'giöse  Idee  wachgerufen  worden,  die  nun  ganz  imbekümmert  um  die  ver- 
schiedenen Reizworte  in  den  unmittelbar  folgenden  Reaktionen  weiter  gesponnen 
wird.  In  den  ersten  beiden  Antworten  zeigt  sich  zugleich  noch  die  Stereotypie 
der  Form,  die  in  den  meisten  Assoziationen  dieses  Kranlcen  sich  nachweisen 
läßt  und  zu  Gebilden  führt,  wie  „Katze  —  die  Katze  ist  eine  Maus":  an  das 
Reizwort  wird  „Maus"  assoziiert,  aber  in  durch  vorhergehende  Assoziationen 
gegebener  Form  des  Prädikativs. 

Die  Stereotypien  können  sich  für  lange  fixieren.  In  einzelnen  wenigen  Fällen 
sahen  wir,  daß  z.  B.  nach  vier  Wochen  auf  40^0  der  Reizworte  wieder  gleich 
reagiert  wurde,  wie  das  erste  Mal;  eine  Patientin  reagierte  auf  „so"  mit  dem 
unverständlichen  „das  ist  ein  Kanal";  es  stellte  sich  heraus,  daß  sie  an  einem 
vorhergehenden  Tage  auf  „See"  mit  dem  gleichen  Satz  reagiert  hatte.  Die 
nämliche  Patientin  assoziierte:  „Rechnen  —  das  ist  essen"  und  später  „Recht 
—  das  ist  viel  essen"  —  auch  hier  wieder  die  gleiche  Anknüpfung  an  ein  klanghch 
ähnhches  Wort. 

In  den  pseudo-ideenflüchtigen  Äußerungen  akut  verwirrter  Schizophrenen 
ist  das  beständige  Zurückkommen  auf  früher  Gesagtes  etwas  ganz  Gewöhnliches. 

Die  Neigung  zum  Stereotypwerden  in  Verbindung  mit  dem  Mangel 
eines  Zieles  im  Denken  führt  auf  der  einen  Seite  zum  „Klebedenken",  zu  einer 
Art  Perseveration,  auf  der  andern  zu  einer  Verarmung  des  Denkens 
überhaupt.  —  Die  Kranken  reden  dann  immer  nur  vom  gleichen  Thema  (Mono- 
ideismus) und  sind  nicht  fähig,  auf  etwas  anderes  einzugehen.  (Vgl.  die  ex- 
penmentellen  Assoziationen  am  Ende  des  Abschnittes.) 

Im  Zusammenhange  mit  der  ZieUosigkeit  und  der  Stereotypierung  der 
Ideen  mag  es  auch  stehen,  daß  die  Kranken  oft  dazu  kommen,  nichts  mehr 
wn-khch  zu  Ende  zu  denken;  ein  sinnloses  Ausassoziieren  ersetzt  das  Denken 
Em  Hebephrene  kam  von  den  Begriffen  „Liebe"  und  „haben"  nicht  mehr  los 
und  assoznerte  spontan  während  langer  Zeit  Reihen  wie  die  folgende:  „Liebe 
Diebe  Gabe,  Dame,  haben,  Liebe,  Diebe,  Gaben,  Dame,  haben,  Liebe,  Diebe' 
zurückgenommen,  zurückgenommen,  zurückgenommen,  zurückgenommen,  haben 

Auf  diese  Weise  kommen  die  Patienten  oft  in  Aufzählungen  hinein  die 
meist  wieder  deutHch  den  Charakter  der  schizophrenen  Assoziationsstörung  haben 

VVil,  sondern  auch  über  Amerika,  Südafrika,  Mexiko,  Mc.  Kinley,  Australien." 


22 


Scbizoplireuie. 


tti  f  r  .  t\'"''  bestimmte  Idee  durch  Ausassoziieren  von  allen  möglichen 
Seiten  beleuchtet:  „Ich  wünsche  Euch  daher  ein  gutes  glückliches  feeudenreiches 
gesundes,  gesegnetes  und  obstreiches  Jahr  und  noch  viele^olgende  gute  ^^^^ 
sowie  gesunde  und  gute  Erdäpfeljahr  sowie  Sauerkohl  und  Spitzkohl  Snd  gute  Kürbis 
und  Kernenjahr.  Em  gutes  Eierjahr  und  auch  ein  gutes  Käsejahr"  usw.  usw  - 
Ein  Patient,  dessen  Tochter  katholisch  geworden,  schreibt  ihr,  der  Rosenkranz  sei 
„eine  (xebetsvervielfachung,  und  diese  ist  wiederum  ein  Vervielfachungs- 
gebet, und  ein  solches  ist  nichts  anderes  als  eine  Gebets raühle,  und  eine  solche 
ist  eine  Muhlengebetsmaschine,  und  eine  solche  ist  wiederum  eine  Gebets- 
maschinenmüllerei" usw.  zwei  Folioseiten  durch. 

Im  Assoziationsexperiment  kommt  es  nicht  selten  vor,  daß  die  Kranken 
anfangen,  alles  das  zu  nennen,  was  sie  gerade  sehen,  so  daß  sie  z.  B.  auf  die 
verschiedensten  Reizworte  alle  Möbel  eines  Zimmers  der  Reihe  nach  nennen, 
und  zwar  auch  dann,  wenn  sie  von  der  Vorstellung  loskommen  wollen  und  das 
Experiment  ganz  begriffen  haben. 

Dieses  Symptom  hat  eine  äußerliche  und  gewiß  manchmal  auch  eine  innere 
Ähnlichkeit  mit  dem,  was  Sommer  als  Nennen  und  Abtasten^)  bezeichnet. 
Bei  manchen  Patienten,  namentlich  bei  etwas  benommenen,  besteht  die  einzige 
erkennbare  Assoziation  an  von  außen  gegebene  Eindrücke  im  Nennen  des 
Eindruckes:  „Spiegel",  „Tisch";  oder  der  Eindruck  wird  durch  den  Satz  be- 
zeichnet: „Das  ist  ein  Barometer.  Das  ist  die  Gasleitung.  Das  sind  MänteP)." 
Das  „Nennen"  kommt  nicht  nur  bei  optischen  Eindrücken  vor;  ich  fasse  z.  B. 
■eine  Patientin  bei  der  Hand,  sie  sagt:  „la  mano"  (sie  ist  Deutsche);  oder  auf- 
gefordert, irgend  etwas  zu  tun,  bezeichnet  sie  es  auch  durch  ein  Stichwort:  ,,in 
'den  Garten";  auskleiden".  In  ganz  ähnlicher  Weise  benennen  oft  die  Hallu- 
.zinationen  der  Kranken  das,  was  sie  tun:  ,, jetzt  setzt  er  sich";  ,, jetzt  Avill  er 
schreiben";  ,, jetzt  schreibt  er".  Der  Übergang  von  den  Briefen,  die  einfach 
aufzählen,  was  um  die  Kranken  ist  und  um  sie  geschieht,  bis  hinab  zu  diesem 
Benennen  ist  ein  ganz  flüssiger;  und  auch  der  obige  Patient,  der  berichtet, 
was  auf  der  Stahlfeder  steht,  ist  nicht  weit  von  den  nennenden  Kranken  ent- 
fernt; hierher  gehört  es  auch,  wenn  ein  Patient,  der  jemanden  mit  einer  Laterne 
kommen  sieht,  bemerkt:  „ich  konstatiere,  daß  das  eine  Laterne  ist".  Gemein- 
sam ist  eben  die  Anknüpfung  an  einen  Sinneseindruck  bei  Mangel  einer  Ziel- 
vorstellung; die  Patienten  knüpfen  an  alle  möglichen  von  außen  oder  innen 
gegebenen  Ideen  weitere  an;  woran  sie  anknüpfen  und  in  welcher  Richtung, 
das  ist  oft,  wie  gerade  bei  unserem  Briefschreiber,  wechselnd,  wird  also  in  bezug 
auf  die  Assoziationstätigkeit  vom  Zufall  bestimmt. 

Ganz  ähnlich  ist  auch  das  ebenfalls  von  v.  Leupoldt  beschriebene  „Ab- 
tasten^)",  das  darin  besteht,  daß  die  Kranken  den  Konturen  der  erreichbaren 
Gegenstände  nachfahren.  Statt  der  Gegenstandbezeichnung  wird  in  solchen 
Fällen  die  entsprechende  Gleitbewegung  assoziiert. 

1)  Manche  Autoren  zählen  diese  Erscheinungen  zu  den  motorischen  Anomalien; 
Kleist  z.  B.  unter  dem  Namen  der  „Kurzschlußakte". 

2)  Warum  v.  Leupoldt  (413)  dabei  von  einem  Zwange  spricht,  obschon  er  selbst 
sagt,  es  sei  kein  Zwang  „in  engerem  Sinne",  verstehe  ich  nicht.  Ebensowenig  wird  es  für 
alle  Fälle  stimmen,  wenn  er  einen  Mangel  in  der  Fähigkeit,  Komplexe  aufzufassen,  als 
Grundlage  der  Erscheinung  annimmt.  Sein  eigener  Patient  faßte  das  Bild  der  Einweiliung 
eines  Denkmals  „im  ganzen"  als  einen  Festzug  auf. 

*)  Hypermetamorphotische  Bewegungen  Wernikes. 


23 

Grundsymptorae.  Assoziationen. 

Wenn  der  irgendwie  gegebene  Begriff  ein  motorischer  ist  so  kann  die 
ein.igrrennbare'A3S0.iatiL'die  sein,  daß  die  e»^^^^^^ 
wird  der  Patient  macht  nach,  was  er  sieht  und  hört,  Echopraxie  una 
Ech;ialieMvgl.  Befehlsautomatie).  Prin^ipieU  kann  ich  die  Erscheinungen 
des  B  —  und  der  Echopraxie  nicht  ganz  voneinander  trennen.  AUe  Vor- 
igen ha\en  eine  motorische  Komponente;  bei  Handlungen,  die  man  vor 
eten  Au^en  ausgeführt  sieht,  bei  Worten,  die  man  ausgesprochen  hört  ist 
1  ese  Komponente^c^  beim  Gesunden  eine  oft  sehr  deuthche.  Wenn  k.n 
Grund  ist/andere  Assoziationen  herbeizuziehen,  so  ist  es  sehr  begreiflich,  daß 
diese  Komponente  nicht  unterdrückt  wird.  Wir  zählen  deshalb  hierher  auch  Voi- 
kommnisse\vie  das  folgende:  Ein  Patient  hat  eine  TürfüUung  herausgeschlagen; 
ein  anderer  kriecht  nun  beständig  dui-ch  das  Loch  hinaus  und  herem,  ohne 

selbst  zu  wissen,  warum. 

Bekommen  so  bei  der  „Fesselung  durch  den  optischen  Eindruck  unter 
Umständen  die  Sinneswahrnehmungen  ein  pathologisches  Übergewicht,  so  kann 
luncrekehrt  der  Patient  unter  anderen  Umständen  die  Außenwelt  voUstandig 
icrnorieren.  Zwischen  diesen  Extremen  gibt  es  aUe  Übergänge.  Die  Ablenk- 
barkeiti)  igt  bei  der  Schizophrenie,  soweit  die  Assoziationen  m  Betracht 
kommen,  nicht  prinzipiell  in  einer  bestimmten  Richtung  verändert;  sie  ist  hier 
die  Resultante  vieler  primärer  Vorgänge,  unter  denen  einer  der  wichtigsten 
ist  die  aktive  Abschließung  der  Patienten  von  der  Außenwelt.  Die  Kranken 
scheinen  bald  ganz  von  den  äußeren  Eindrücken  abhängig  zu  sein  und  gar  keine 
eigene  Direktive  zu  besitzen,  so  wenn  das  S3miptom  des  Nennens  das  Bild 
beherrscht;  bald  aber  sind  sie  in  keiner  Weise  ablenkbar;  die  stärksten  Reize 
vermögen  nicht,  ihren  Ideengang  zu  beeinflussen  oder  die  Aufmerksamkeit  zu 
erregen. 

Das  Gros  der  chronischen  Fälle  zeigt  beim  gewöhnlichen  Verhalten  iu 
dieser  Richtung  wenig  Auffallendes;  die  Leute  sind  bei  ihrer  Beschäftigung; 
wenn  etwas  Besonderes  geschieht,  so  sehen  sie  auf,  gerade  wie  Gesunde  und 
beschäftigen  sich  mit  dem  neuen  Ereignis,  soweit  es  sie  interessiert.  Wenn 
sie  reden,  so  kann  man  sie  unterbrechen.  Oft  aber,  namenthch  in  allen  schwe- 
reren Fällen  ist  die  Ablenkbarkeit  vermindert.  Sommer  (724)  hat  das  auch 
experimentell  nachgewiesen,  indem  er  bei  starkem  Lärm  von  den  Patienten 
die  gleichen  Rechenresultate  erhielt  wie  sonst.  Sind  die  Schizophrenen  im 
Affekt,  besonders  im  Zorn,  dann  zeigt  sich  regelmäßig  eine  Störung  der  Ab- 
lenkbarkeit. Einwände  werden  gar  nicht  beachtet  oder  nur  im  Sinne  ihres 
Gedankenganges  verstanden  und  geben  oft  nur  neues  Material  zu  ihren  Er- 
güssen. Auch  durch  Veränderung  der  Umstände  lassen  sich  die  Kranken  wenig 
beeinflussen,  so  lange  sie  im  Eifer  sind.  Es  ist  ja  etwas  GewöhnHches,  daß  ein 
achimpfender  Schizophrene,  den  man  verläßt,  einfach  weiter  schimpft,  imbe- 
kümmert  darum,  daß  niemand  mehr  da  ist,  der  ihn  hört,  oder  wenigstens  niemand, 
an  den  er  seine  Suade  richten  kann. 

Ein  Mangel  an  Ablenkbarkeit  wird  oft  durch  die  Interesselosigkeit 
der  Kranken  vorgetäuscht.  Da  sie  sich  um  nichts  kümmern,  kann  sie  auch 
nichts  in  ihrem  Verhalten  beeinflussen.  Man  kann  aber  bei  den  gleichen  Kranken 


1)  Vigilitiit  clor  Aufmerksamkeit  (Ziehen). 


24 


Schizophrenie. 


nachweisen,  daß  sie  ganz  gut  auffassen,  was  um  sie  geschieht,  auch  wenn  sie 
aktiv  gar  keine  Aufmerksamkeit  darauf  wenden  (vgl.  unter  Aufmerksamkeit). 

In  gewissen  akuten  Zuständen  ist  die  Ablenkbarkeit  meist  erhebhch  re- 
duziert, oft  bis  auf  Null. 


An  den  meisten  Erzeugnissen  von  Schwerkranken  kann  man  die  ver- 
schiedenen Eigentümlichkeiten  des  schizophrenen  Gedankenganges  zu  gleicher 
Zeit  finden. 

„Ich  bin  noch  nie  in  Hamburg,  noch  nie  m  Lübeck,  nie  in  Bern  gewesen,  ich 
habe  den  Professor  Hilty  noch  nie  gesehen;  ich  bin  noch  nie  an  der  Universität 
Basel  gewesen,  ich  habe  noch  nie  den  Luther  gesehen,  noch  nie  den  Lütter  (vulgärer 
Ausdruck  für  Diarrhöe)  gehabt,  aber  ich  habe  schon  alle  Bundesräte  gesehen,  ich 
gehe  zum  General  Herzog,  ich  will  dem  Aas  schon  zeigen. .  ." 

Hier  hat  sich  die  negative  Form  durch  sieben  Gedanken  hindurch  erhalten. 
Die  Ortsaufzählung  ist  nicht  systematisch  geordnet.  Von  Lübeck  nach  Bern  ist  ein 
IUI  vermittelter  Sprung  i);  der  letztere  Name  erinnert  den  Patienten  an  einen  Professor 
an  der  Universität  Bern;  dieser  vermittelt  den  Übergang  zur  „Universität  Basel". 
Diese  spielt  in  der  Eeformationsgeschichte  eine  KoUe,  daher  die  Assoziation  Luther". 
Dieser  folgt  nun  die  ganz  unsinnige  Klangassoziation  „Lütter",  bei  der  aber  die 
Änderung  des  Verbums  zeigt,  daß  der  Patient  das  darunter  denkt,  was  das  Wort 
gewöhnlich  sagt  (Diarrhöe).  Die  „Bmidesräte"  hängen  wieder  an  dem  früheren 
Begriff  Bern;  von  ihnen  aus  ist  es  nicht  ganz  unlogisch,  wenn  auch  unter  den  ge- 
gebenen Umständen  ganz  absonderlich,  an  den  längst  verstorbenen  General  Herzog 
zu  denken;  an  diesen  knüpft  sich  der  unsinnige  Einfall,  daß  Patient  zu  üim  gehen 
wolle.  Der  Begriff  ,,  General"  ist  verbunden  mit  der  Vorstellung  „Macht"  oder  etwas 
Ähnlichem;  wohl  deshalb  folgt  mm  das  ganz  sinnlose:  ,,ich  will  dem  Aas  schon 
zeigen ..."  indem  die  Machtvorstellung  auf  einem  der  üblichen  Wege  an  den  Patienten 
selbst  assoziiert  wird,  der  sich  nun  auf  einmal  stärker  fühlt  als  der  General. 

In  dem  folgenden  Brief  läßt  sich  der  Ideengang  meist  nicht  mehr  analysieren  ; 
es  kommt  uns  alles  als  ein  unzusammenhängendes  „verwirrtes"  Geschwätz  vor. 
Genaue  Kenntnis  der  gefühlsbetonten  Komplexe  der  Kranken  würde  uns  allerdings 
manches  erklären  lassen. 

Burghölzh,  20igsten  Nov.  1905. 

Werthe  Famihe  Fridöri  und  Familie  Graf  odern  Ohren  SchmidU ! 

Hier  im  Schmiedtenhaus  gehts  nicht  gut.  Hier  ist  nicht  Kirche,  Pfarrhaus 
auch  nicht  Armenhaus  sondern  hier  ist  das  ganze  Jahr  Schall,  KoUder,  Brumberen  — 
Sonnen  =  Himmelschall;  Mancher  große  und  kleine  Landwirth,  Humel,  Surbeck, 
Armtrunk  aus  Thalweil,  Adlisweil,  von  Albis  von  Sulz,  von  Seen,  von  Rorbach,  von 
Eorbas  hat  sein  Haus  verlassen,  ist  nicht  mehr  zurückgekommen,  entaucht  so 
ein  Metzgerknecht,  Siegrist,  Bauer  Vorsängers,  auch  ein  Meier  Gutsverwalter,  Messner 
Jakob,  ält,  jüngere  Schweizersoldaten,  auch  Ernst,  vom  Ernst,  der  sich  2  Finger 
abgehauen  hat  im  Jahr  1900igsten  Monat  August,  sowie  sein  Vater  Konrad  mid  Frau 
sind  verschieden.  Denn  die  Seidenhaspehnänner  und  Frauen  haben  die  Verauchung 
täghch,  Besuche  umzubringen,  weils  so  lange  warten,  bis  Patienten  herausballgen, 
gute  Milch  habens  auch  da  nicht,  hohen,  Wärterinnen  sind  auch  nicht  anders  Jvarrinnen 
Kappseierinnen,  die  einem  Herz  durchbohren,  ist  genug  an  Strikern  von  Unterrocken, 


1)  Vielleicht  über  das  klangälinliche  Bremen  5 


Grundsymptome.  Assoziationen. 


25 


Uüterleibclien,  Strümpfen,  des  Tages,  müssen  noch  des  Nachts  Unruhe  schaffen 
den  Himmeln  und  Erdengästen  


Auch  einen  Gruß  an  Alle,  die  noch  leben. 

Anna. 

Die  Meinigen  sind  nicht  mehr. 

Wen  doch  Direktion  Foreli  sind  umgekommen,  wenn  nur  Am  Bühl  König 
inis  auf  einem  Wagen  heimführte,  da  die  Bahn  ja  nur  schadet,  wenn  die  Biene  von 
Wvl  Hüntwangen  bis  Neuhausen  umgehen  würde,  die  Bahnwagen  in  eine  Kiesgrube 
werfen  und  zudeken  mit  Erde.  Weiberherzlein  richtet  nicht  viel  aus.  Männerherz 
ist  doch  stärker." 

Die  höheren  Grade  der  schizophrenen  Assoziationsatörung  führen  also  zu 
vollständiger  Verwirrtheit. 

Verwirrtheit  darf  man  nicht  als  ein  Symptom  sui  generis  ansehen;  sie  ist 
das  Resultat  der  verschiedensten  psychischen  Elementarstörungen,  die  einen  so 
hohen  Grad  erreicht  haben,  daß  für  den  Patienten  oder  den  Zuschauer  oder  für  beide 
der  Zusammenhang  verloren  geht.  Die  manische  Ideenflucht,  die  wir  strikte  von 
der  schizophrenen  Störung  des  Ideenganges  trennen  müssen,  führt  ebenfalls,  wenn 
sie  hochgradig  ist,  zur  Verwirrtheit;  sogar  die  melancholische  Hemmung  kann  dazu 
führen,  wenn  die  Langsamkeit  des  Ideenablaufes  und  der  Mangel  an  Anknüpfungs- 
fähigkeit  die  Orientierung  und  das  Ausdenken  einer  komplizierten  Vorstellung  ver- 
unmöglicht.  Auch  die  Halluzinationen  können  zu  einem  Bilde  führen,  das  wir  als- 
Verwirrtheit  bezeichnen,  wenn  sie  sich  mit  den  wirklichen  Wahrnehmungen  mischen 
xmd  so  Konfusion  in  das  Weltbild  bringen  i). 

So  ist  bei  der  Schizophrenie  die  Verwirrtheit  bald  eine  Folge  des  Auseinander- 
fallens der  Ideen,  bald  die  der  Sperrungen  mit  neu  auftauchenden  Ideen,  bald  die 
der  Unterdrückung  einzelner  Assoziationsdeterminanten  mit  Einschlagen  von  Neben- 
assoziationen, dann  wieder  Folge  des  ,, Gedankendrängens"  (siehe  unten)  oder  wirk- 
hcher  Ideenflucht  oder  der  Halluzinationen  oder  auch  mehrerer  dieser  Faktoren 
zusammen. 

Der  Verlauf  der  Assoziationen. 

Über  die  zeitlichen  Verhältnisse  des  schizophrenen  Assoziationsverlaufes 
wissen  wir  noch  so  viel  wie  nichts.  Es  ist  möglich,  daß  sie  nichts  Charak- 
teristisches haben.  Natürlich  haben  wir  bei  interkurrenten  manischen  Zuständen 
„beschleunigten"  Ablauf  im  Sinne  der  Ideenflncht,  bei  Depression  Verlang- 
samung; wir  dürfen  ferner  annehmen,  daß  bei  gewissen  Stuporzuständen,  die 
als  Ausdruck  von  Exazerbationen  des  schizophrenen  Gehirnprozesses  selbst 
angesehen  werden  dürfen,  die  Assoziationen  verlangsamt  seien;  bei  allen  diesen 
Dingen  handelt  es  sich  aber  nicht  um  dauernde  Zustände,  sondern  um  Episoden 
oder  gar  Komplikationen. 

Bloß  das  Gedankendrängen  dauert  oft  jahrelang,  wenn  es  auch  bei 
ganz  abgelaufenen  Fällen  kaum  zu  beobachten  ist.  Manche  Patienten  beklagen 
sich,  daß  sie  zu  viel  denken  müssen,  da  ihre  Ideen  sich  in  ihrem  Kopf  jagen 
Sie  reden  selber  von  „Gedankenfluß",  weil  sie  nichts  festhalten  können^ 

BPU.,t  "f^  '^^'^  Zuständen,  bei  denen  die  Halluzinationen  und  Illusionen 

selbst  ein  Durchemander  produzieren,  das  dann  natürlich  nichts  anderes  ist  als  der  Ausdruck 
üer  verwirrten  Assoziationen,  die  den  Halluzinationen  zugrunde  liegen 


26 


Schizophrenie. 


von  „Gedankendrängen'-',  „Gedankensammel n",  weil  ihnen  zu  viel  auf 
einmal  einfällt.  Manchmal  allerdings  ist  die  Auskunft  über  das  viele  Denken 
so  daß  der  Beobachter  eher  den  Eindruck  bekommt,  trotz  der  gegenteiligen 
subjektiven  Empfindung  denke  der  Kranke  eher  zu  wenig.  Immerhin  ist  es 
sicher,  daß  sich  bei  manchen  Kranken  die  Ideen  in  pathologischer  Weise  drängen. 
Die  Patienten  haben  dann  die  Empfindung  eines  Zwanges;  sie  meinen  oft,  daß 
man  sie  so  denken  mache;  sie  beklagen  sich  über  die  daraus  entstehende  Er- 
müdung; fehlt  das  Gefühl  des  Zwanges,  so  glauben  sie  etwa,  damit  eine  große 
Arbeit  zu  leisten.  Das  Gedankendrängen  scheint  äußerHch  im  Gegensatz  zu 
stehen  zu  den  gleich  zu  beschreibenden  Sperrungen,  dem  GedankenstiUstand. 
Häufig  beobachten  wir  aber  beide  Erscheinungen  nebeneinander;  einer  unserer 
gebildeten  Patienten  zeichnete  eine  Linie,  diesseits  derselben  sei  ein  „zwangs- 
mäßiges Drängen  von  verschiedenen  Ideen",  jenseits  „einfach  nichts". 

Der  Inhalt  dieses  Gedankendrängens  ist  der  nämliche,  wie  der  des  übrigen 
schizophrenen  Denkens.  Ein  Theologe  lachte  eine  ganze  Nacht  durch,  weil  ihm 
immer  ,,ethymologische  Witze"  in  den  Sinn  kamen:  „Ich  bin  ein  Witz  —  ein 
Nichts  —  ein  Nietzsche."  Am  besten  beschrieb  das  Phänomen  die  intelHgente 
Patientin  Forels  (299).  Man  beachte  auch,  wie  ihr  das  Zurückkommen  auf 
frühere  Ideen  selbst  auffiel. 

„In  meinem  Kopf  Hef  wie  ein  Uhrwerk  eine  zwingende,  quälend  ununterbrochene 
Kette  von  Ideen  ihren  unaufhaltsamen  Gang.  Sie  waren  natürlich  nicht  scharf 
ausgeprägt,  deuthch  ausgebildet,  sondern  in  den  wmiderHchsten  Assoziationen 
knüpfte  sich  Einfall  an  Einfall,  doch  immerhin  in  einem  gewissen  Zusammenhang 
von  Ghed  zu  Glied,  und  es  war  so  weit  System  darin,  daß  ich  z.  B.  immer  je  Licht- 
und  Schattenseite  der  Dinge,  Menschen,  Taten,  Aussprüche,  die  mir  einfielen,  unter- 
scheiden mußte.  Was  haben  sich  nicht  für  Vorstellungen  in  meinem  Kopf  getummelt, 
welche  komische  Ideenassoziationen  sich  ergeben!  Auf  gewisse  Begriffe,  gewisse 
Vorstellungen  kam  ich  dann  immer  wieder  zurück,  die  mir  aber  kaum  mehr  alle 
gegenwärtig  sind,  z.  B.  Droit  de  France!  Tamins!  Barbera!  Rohan!  Sie  bildeten 
gleichsam  Etappen  in  jener  Gedankenjagd,  und  ich  sprach  dann  sozusagen  in  einem 
Losungswort  den  Begriff,  bei  dem  die  rastlosen  Gedanken  gerade  angekommen  waren, 
rasch  aus.  Besonders  auch  bei  gewissen  Abschnitten  meines  täglichen  Lebens,  wie 
beim  Hereinkommen  in  den  Saal,  wenn  die  Zellentür  geöffnet  wurde,  wenn's  zum 
Essen  ging,  wenn  jemand  auf  mich  zukam  usw.,  gleichsam,  um  den  Faden  nicht  zu 
verheren  oder  doch  einen  gewissen  Halt  zu  erfassen  in  den  tollen,  mir  über  den  Kopf 
gewachsenen  Gedankenfolgen." 

Das  auffälligste  im  Formellen  des  schizophrenen  Gedankenablaufes  sind 
die  Sperrungen.  Die  Assoziationstätigkeit  steht  manchmal  plötzHch  ganz 
still;  wenn  sie  wieder  einsetzt,  tauchen  meist  Ideen  auf,  die  mit  den  vorher- 
gehenden in  keinem  oder  nur  ungenügendem  Zusammenhang  stehen. 

Man  spricht  mit  einem  Patienten;  im  zeithchen  Ideenablauf  bemerkt  man 
zunächst  nichts  Abnormes ;  Rede  und  Gegenrede  folgen  sich  wie  bei  jedem  normalen 
Gespräch.  Auf  einmal  mitten  im  Satz  oder  beim  Übergang  auf  eine  neue  Idee 
stockt  der  Patient  und  kommt  nicht  mehr  weiter.  Oft  kann  er  das  Hindernis 
nach  einem  wiederholten  Anlauf  überwinden;  ein  anderes  Mal  gehngt  es  ihm 
nur  in  einer  neuen  Richtung  weiter  zu  denken;  manchmal  auch  wird  die  Sper- 
rung für  längere  Zeit  unüberwindüch,  und  in  diesem  Falle  kann  sie  sich  auf 


Grundsyraptorae.  Assoziationen. 


27 


•die  ganze  Psyche  ausdelinen,  der  Patient  bleibt  stumm  und  bewegungslos  und 
auch  mehr  oder  weniger  gedankenlos. 

Der  von  Kraepelin  geschaffene  Begriff  der  Sperrung  ist  von  funda- 
mentaler Bedeutung  für  die  Symptomatologie  und  die  Erkennung  der  Schizo- 
phrenie; wir  begegnen  ihm  auch  bei  der  Motilität,  dem  Handeln,  beim  Erinnern 
und  sogar  bei  den  Wahrnehmungen  wieder.  Die  Sperrung  ist  prinzipiell  ver- 
schieden von  der  Hemmung,  einem  gewöhnlichen  Begleitsymptom  der  stär- 
keren gemütHchen  Depressionen  aller  Art:  gehemmtes  Denken  und  Handeln 
geht  langsam  und  schwer  unter  abnorm  großem  Aufwand  von  psychischer 
Energie  von  statten.  Das  Psychokym  bewegt  sich  wie  eine  viskose  Flüssigkeit 
in  einem  Eöhrensystem;  dieses  ist  aber  überall  passierbar.  Bei  der  Sperrung 
wird  eine  sich  leicht  bewegende  Flüssigkeit  plötzlich  gehemmt,  indem  da  oder 
dort  ein  Hahn  geschlossen  wird.  Oder  vergleichen  wir  den  psychischen  Me- 
chanismus mit  einem  Uhrwerk,  so  entspricht  die  Hemmung  einer  starken  Rei- 
bung, die  Sperrung  dem  plötzlichen  Abstellen  des  Werkes.  Auf  motorischem 
Gebiete  läßt  sich  der  Unterschied  sehr  oft  leicht  zeigen,  indem  man  den  Pa- 
tienten, der  sich  bis  jetzt  wenig  oder  gar  nicht  bewegte  und  langsam  und  kraftlos 
oder  gar  nicht  sprach,  auffordert,  seine  Hände  so  rasch  als  möglich  umeinander 
zu  drehen  oder  schnell  auf  10  zu  zählen;  der  Gehemmte  wird  trotz  aller  Anstren- 
gung langsam  drehen  und  zählen,  der  Gesperrte  kann  plötzlich  und  so  gut  wie 
ein  Gesunder  reden  und  die  Hände  bewegen,  wenn  die  Sperrung  einmal  über- 
wunden ist. 

Die  Sperrungen  im  Gedankengang  werden  von  den  Patienten  selbst  wahr- 
genommen und  unter  den  verschiedensten  Namen  beschrieben.  Meist,  aber  nicht 
immer,  empfinden  sie  sie  unangenehm.  Eine  intelligente  Katatonika  mußte 
stundenlang  dasitzen,  „um  den  Gedanken  wieder  zu  finden".  Eine  andere 
wußte  nichts  darüber  zu  sagen  als:  „Ich  kann  zuweilen  reden,  zuweilen  nicht." 
Ein  Kranker  „wird  abgestorben"  (Abraham),  ein  anderer  hat  „Denkhinder- 
nisse", ein  dritter  wird  „steif  im  Kopf,  wie'  wenn  man  den  Kopf  zusammen- 
^ziehen  würde".  Ein  vierter  meint,  „man  werfe  plötzKch  den  Gummisack  über 
ihn";  und  eine  Bäuerin  drückt  sich  so  aus:  „Es  wird  mir  entgegengeladen  wie 
em  ganzes  Fuder  (macht  eine  Geste,  wie  wenn  etwas  gegen  ihre  Brust  käme); 
■es  ist,  wie  wenn  man  einem  den  Mund  zuhalten  würde,  wie  wenn  man  sagte: 
halts  Maul."  In  dieser  letzteren  DarsteUung  liegt  zugleich  die  Sperrung  der 
motonschen  Sprachfunktion,  die  ein  Patient  Rusts  mit  den  Worten  be- 
:schreibt,  es  werde  ihm  die  Sprache  festgehalten.  Es  ist  überhaupt  etwas  sehr 
Häutiges,  daß  die  Sperrungen  von  den  Kranken  einem  fremden  Einfluß  zuge- 
schrieben werden.  So  läßt  man  einen  unserer  Patienten  Lieder  singen;  plötzHch 
kann  er  mcht  mehr  weiter;  dann  sagen  ihm  die  Stimmen;  „siehst  du,  du  hast 
es  schon  wieder  vergessen";  die  Redenden  sind  aber  diejenigen,  die  nach  seiner 
Meinung  ihn  vergessen  machen. 

Den  besten  Ausdruck  hat  Jung  von  einer  Patientin  gehört:  er  bezeichnet 
d^s  Phänomen  von  der  subjektiven  Seite  als  „Gedankenentzug".  Das 
Wort  ist  so  treffend,  daß  es  von  vielen  Schizophrenen  sofort  verstanden  wird 
Wenn  em  Patient  die  Frage:  Haben  Sie  Gedankenentzug?"  gleich  mit  ja  be- 
antwortet und  dann  eventuell  beschreiben  kann,  was  Ir  dLnter  verlh t, 
so  daif  man  wohl  mit  ziemhcher  Sicherheit  die  Diagnose  der  Schizophrenie 


28 


Schizoplirenie. 


machen.  Wir  haben  wenigstens  noch  keine  Ausnahme  gefunden.  Auch  Kranke, 
die  sich  für  den  Begriff  der  Sperrung  einen  andern.  Ausdi-uck  geschaffen  haben' 
wissen,  was  man  mit  Gedankenentzug  meint;  ein  Patient  antwortete  Jung 
auf  die  Frage,  ob  er  Gedankenentzug  habe,  prompt:  „So,  das  nennen  Sie  Ge- 
dankenentzug, ich  habe  es  bis  jetzt  ,  Gedanken  Verstopfung'  genannt."  Ähnlich 
sprach  ein  Patient  Kraepelins  von  „Abziehen  der  Gedanken". 

Die  Sperrung  hat  anscheinend  etwas  ungemein  Launisches,  sowohl  ob- 
jektiv für  den  Beobachter  als  subjektiv  für  den  Kranken.  Bald  kann  der 
Patient  geläufig  sprechen,  sich  ganz  frei  bewegen,  bald  stockt  wieder  der  Ge- 
danke oder  die  Motihtät.  Bei  genauerem  Zusehen  findet  man  aber  meist  den 
Grund  der  Sperrung  in  der  Bedeutung  des  gesperrten  Gedankenganges  für  den 
Patienten;  und  umgekehrt  kann  man  bei  Kranken,  die  man  noch 
nicht  genau  kennt,  aus  dem  Eintreten  einer  Sperrung  auf  das 
Anschlagen  eines  wichtigen  Komplexes  schließen. 

Wir  fragen  ein  Mädchen  über  ihr  Vorleben  aus;  sie  gibt  ganz  gut  chronologi- 
schen Bescheid  über  ihre  Vergangenheit.  Auf  einmal  kommt  sie  nicht  weiter;  wir 
fragen,  was  mm  weiter  geschehen  sei ;  nichts  mehr  ist  zu  erfahren.  Erst  lange  nachher, 
auf  allerlei  Umwegen  dazu  gebracht,  platzt  sie  heraus,  daß  sie  zu  jener  Zeit  den  Ge- 
liebten kennen  gelernt  habe.  —  Ein  Lehrer,  der  seine  ganze  Kraft  für  die  Erlangung 
einer  Gehaltserhöhung  eingesetzt  hatte,  antwortet  auf  die  Frage,  ob  er  eine  Gehalts- 
erhöhung bekommen  habe:  ,,Was  ist  eine  Gehaltserhöhung?"  Er  konnte  den  Aus- 
druck nicht  verstehen,  weil  der  Gehaltkomplex  bei  ihm  abgesperrt  wurde.  —  Viele 
Kranke  verlangen  den  Arzt  in  dringender  Sache  zu  sprechen ;  wenn  er  da  ist,  wissen 
sie  nichts  zu  sagen. 

Ein  hochintelligenter  und  gebildeter  Patient  singt  ein  Liebeslied,  meint  aber 
nachher,  es  sei  nur  die  Schilderung  einer  schönen  Landschaft  gewesen;  er  kann  gar 
nichts  mehr  daraus  reproduzieren ;  auch  wenn  man  ihm  Bruchstücke  daraus  vorsingt, 
behauptet  er  bestimmt,  das  nicht  gesungen  zu  haben. 

Bei  unseren  Kranken  sind  die  gefühlsbetonten  Komplexe  meist  mit  den 
Wahnideen  und  den  Halluzinationen  in  Verbindung;  daher  bekommt  man 
über  diese  bei  der  Schizophrenie  so  wenig  Auskunft,  während  sie  doch  meist 
das  ganze  Denken  und  Fühlen  der  Kranken  beherrschen.  Eine  Patientin  merkt, 
„daß  gewisse  Leute  besessen  seien,"  daran,  daß  sie  mit  ihnen  nicht  sprechen 
kann;  die  „Besessenen"  sind  diejenigen,  die  in  ihre  Wahnideen  verwoben  sind. 

Die  Sperrungen  sind  nicht  in  allen  Fällen  absolut  und  unüberwindbar ;  durch 
fortgesetztes  Fragen,  durch  Anregungen  aller  Art^)  und  namenthch  durch  Ab- 
lenkrmg  kann  man  sie  häufig  durchbrechen  oder  umgehen.  Oft  haben  die 
Kranken  aber  dabei  ein  unangenehmes  Gefühl;  eine  Patientin  fuhr,  nachdem 
sie  geantwortet,  geradezu  erschrocken  zusam.men,  wie  wenn  sie  etwas  Un- 
rechtes getan  hätte. 

So  ist  auch  der  Wille  oder  wenigstens  der  Wunsch  des  Patienten  nicht 
immer  unbeteihgt  an  dem  Eintreten  der  Sperrung.  Ein  Hebephrene  nannte 
den  Symptomenkomplex  der  Sperrungen  (verbunden  mit  Wahmdeen  und 
anderen  psychopathologischen  Gebilden)  den  „Postzeichner";  diesen  schaltete 
er  oft  auch" ein,  wenn  man  ihm  eine  unerwünschte  Arbeit  geben  wollte;  er  war 


1)  Auch  durch  Alkohol  lassen  sich  die  Sperrungen  manchmal  beseitigen, 
dies  bei  der  Untersuchung  benutzen. 


Grundsymptome.  AssoziationcD. 


29 


dann  für  alles  gesperrt,  und  es  war  mchts  mehr  von  ihm  zu  wollen.  Daß  es  von 
einem  solchen  Verhalten  aus  aUe  Übergänge  zu  bewußtem  Nichtwollen  und  zu 
allen  Formen  von  Simulation  gibt,  ist  selbstverständlich.  Ebenso  ist  die  Grenze 
der  Sperrungen  gegen  den  Negativismus  weder  theoretisch  noch  sympto- 
matologisch  eine  scharfe.  Die  beiden  Erscheinungen  gehen  in  einander  über, 
und  der  passive  Negativismus  Heße  sich  sogar  durch  eine  Kombination  von 

Sperrungen  erklären. 

Ganz  wie  Negativismus  verhielten  sich  die  Sperrungen  bei  einer  Patientin, 
die  langsame,  zögernde  und  leise  Antworten  gab;  oft  versagte  ihr  die  Stimme 
ganz,  besonders  wenn  man  sie  eindringlich  befragte.  Die  Sperrung  ließ  sich 
lungehen,  wenn  man  sich  nicht  direkt  an  sie  wendete. 

In  einzelnen  Fällen  ist  es  einfach  unmöglich  zu  sagen,  ob  es  sich  um 
Sperrung  oder  um  Negativismus  handelt,  namentlich  dann,  wenn  der  Patient 
dem  Hindernis  durch  Danebenantworten  ausweicht.  Eine  Kranke  zeigte  bei 
der  Untersuchung  weder  Sperrungen  noch  Negativismus  noch  Vorbeireden, 
außer  wenn  man  sie  fragte,  wann  sie  in  die  Anstalt  gekommen  sei.  Auf  die 
vielfach  gestellte  Frage  bekamen  wir  Antworten  wie :  In  einem  Sanitätswagen  — 
die  Schwester  L.  hat  mich  gebracht  —  drei  Tage  bin  ich  hier  und  lange  Nächte 
(Patientin  ist  am  Tage  vorher  gekommen),  und  ähnhche. 

Teilweise  Sperrungen,  wie  sie  sich  hier  zeigen,  kommen  auch  in  an- 
derer Weise  vor.  Nicht  allzu  selten  ist  es,  daß  die  Sprache  gesperrt  wird,  während 
der  Gedankengang  sich  noch  in  einer  kleinen  Reihe  von  Gesten  ausdrückt,  die 
den  begonnenen  Satz  abschließen.  In  meinen  Beobachtungen  hörte  dann  der 
Gedankengang  mit  der  mimischen  Beendigung  des  angefangenen  Satzes  eben- 
falls auf. 

Eine  Art  teilweiser  Sperrung  ist  das,  was  eine  Patientin  Jungs  „Ban- 
nung" nennt.  Durch  irgend  einen  Sinneseindruck  werden  die  Gedanken  voll- 
ständig gehemmt,  nur  der  Sinneseindruck  bleibt  im  Bewußtsein.  Sommers 
„optische  Fesselung"  bezeichnet  zum  Teil  wohl  das  nämliche  Symptom. 


Die  experimentellen  Assoziationen  scheinen  für  unsere  Kenntnisse  in 
den  chronischen  Stadien  leichter  Fälle  oft  nicht  gestört.  Meistens  allerdings  findet 
man  Auffälhgkeiten,  die  zwar  nicht  für  sich  allein  eine  sichere  Diagnose  erlauben, 
aber  doch  mit  Wahrscheinlichkeit  auf  die  Krankheit  hindeuten. 

1.  Große  Unregehnäßigkeit  in  den  Assoziationszeiten,  die  sich  nicht  allein 
durch  die  Herrschaft  gefühlsbetonter  Komplexe  erklären  lassen.  Die  Zeitunterschiede 
sind  viel  größer  als  bei  Komplexen  Gesunder,  und  oft  besteht  ein  merkAvürdiger 
Wechsel,  bald  scheinen  die  Assoziationen  langsam  zu  verlaufen;  dann  sieht  man 
wieder,  daß  der  Kranke  (im  gleichen  Experiment)  sehr  rasch  denken  kann.  Man  ist 
natürhch  bei  aolchen  Unregelmäßigkeiten  zunächst  geneigt,  sie  Schwankungen  des 
guten  WiUens  oder  wenigstens  der  Aufmerksamkeit  zuzuschreiben ;  die  anderen  Zeichen 
dieser  Störungen  sind  aber  oft  nicht  zu  finden.  In  akuten  Fällen  werden  die  Reaktionen 
während  des  einzelnen  Versuches  gerne  immer  langsamer. 

2.  Auffallend  ist  auch  das  schon  erwähnte  Anschheßen  an  frühere  Reizworte 
oder  auch  frühere  Antworten;  diese  Nachwirkung  eines  früheren  Gedankens  braucht 
nicht  eine  kontinuierhche  zu  sein:  der  Kranke  kommt  von  einem  Gedanken  ab 
,reitt  dann  aber  m  einer  späteren  Assoziation  wieder  darauf  zurück,  wie  oben  an 


30 


Schizoplirenie. 


„Bern  „Bundesrat"  angeknüpft  wurde,  nachdem  drei  ganz  andere  Gedanken  den 
Patienten  weit  ab  von  der  ersten  Vorstellung  geführt  hatten.  Häufiger  immerhin  ist 
es,  daß  die  perseverierenden  Ideen  aneinander  schließen. 

3.  Die  Nachwirkung  des  früheren  Gedankenganges  zeigt  sich  auch  in  der 
Neigung  zu  Stereotypien  der  Antwort  in  Form  und  Inhalt.  Einzehie,  namentlich 
akute  Patienten  antworten  am  Schluß  des  Experimentes  nur  noch  ganz  sinnlos  mit 
wenigen  Ausdrücken,  die  im  vorhergehenden  einmal  richtig  angewandt  waren: 
,,Zum  Denken,  zum  Schreiben,  zum  Essen"  usw.  (Ideenarmut  begünstigt  natür- 
lich dieses  Verhalten.) 

4.  Manchmal  bleiben  die  Kranken  auch  an  dem  Reizwort  hängen  und  repe- 
tieren dasselbe,  ohne  einen  weiteren  Gedanken  anzuschließen.  Diese  Art  Echo- 
lalie  kommt  viel  häufiger  bei  akuten  Zuständen  (Benommenheit)  vor  als  bei  chro- 
nischen. 

5.  Auch  dann,  wenn  die  Wiederholung  des  gleichen  Wortes  nicht  häufig  vor- 
kommt, sieht  man  bei  vielen  Kranken  eine  große  Armut  der  Ideen;  sie  verharren 
nicht  beim  gleichen  Wort,  aber  doch  bei  ähnlichen  und  sehr  naheliegenden  Ideen. 

6.  Die  Schizophrenen  haben  mehr  individuelle,  bei  Andern  nicht  vor- 
kommende Reaktionen  (Kent  imd  Rozanoff).  Bietet  man  ihnen  nach  längeren 
Zwischenräumen  die  nämlichen  Reizworte,  so  wechseln  die  Reaktionsworte  mehr 
als  bei  Gesunden  (Pfenninger). 

7.  Am  auffallendsten  sind  aber  die  bizarren  Assoziationen,  von  denen  S.  14 
und  16  Beispiele  gegeben  sind  und  dann  die  scheinbar  oder  wirklich  ganz  unzusammen- 
hängenden, bei  denen  das  Reizwort  bloß  das  Signal  zum  Aussprechen  irgend  eines 
Wortes  bildet.  (Nennen  eines  beliebigen  Möbels,  das  im  Blickfeld  ist  usw.) 

8.  Nicht  selten  ist  ein  Zusammenhang  nicht  zu  finden,  auch  nicht  mit  Hilfe  des 
Patienten.  In  diesen  Fällen  handelt  es  sich  wohl  meist,  w^enn  nicht  immer,  um  An- 
schlüsse an  einen  bereit  liegenden  gefühlsbetonten  Ideenkomplex.  Wenn  ich  sage 
,, bereit  liegend",  so  meine  ich  nicht  ,,im  Bewußtsein  bereitliegend";  denn  der  Kranke 
selbst  kann  ja  darüber  keine  Auskunft  geben.  So  assoziierte  ein  äußerlich  ganz 
geordneter  imd  auch  jetzt  noch  recht  intelligenter  Patient  an  viele  Begriffe,  die 
irgendwie  seine  Gefühle  trafen:  „kurz",  ohne  zu  wissen  warum.  Des  Rätsels  Lösung 
lag  darin,  daß  er  selbst  sehr  klein  war  und  daß  auch  dieser  Umstand  zu  seinen  Kom- 
plexen gehörte. 

9.  Ausgesprochene  Neigmig  zu  mittelbaren  Assoziationen  ist  nicht  selten. 

10.  Die  Merkmale  gefühlsbetonter  Komplexe  treten  oft  in  ganz  übertriebener 
Weise  in  die  Erscheinung.  Die  Reaktionszeiten  auf  komplexanregende  Reizwörter 
wachsen  oft  ins  ungemessene,  oder  die  Reaktion  versagt  vollständig,  und  alle  übrigen 
von  Jung  gefimdenen  Komplexzeichen  sind  in  manchen  Fällen  besonders  deutlich: 
die  Oberflächlichkeit  bei  langen  Zeiten;  Zitate;  Reaktion  in  fremden  Sprachen; 
rasches  Vergessen;  intellektuelle  und  affektive  Nachwirkung  auf  die  folgenden  Asso- 
ziationen. In  manchen  Fällen  sind  die  Komplexe  so  sehr  in  Bereitschaft,  daß  nur 
an  solche  assoziiert  wird.  Alle  diese  Zeichen  sind  aber  sehr  wechselnd,  nicht  nur 
von  einem  Fall  zum  andern;  sie  können  beim  gleichen  innerhalb  kurzer  Zeiten  vom 
Maximum  zum  Minimum  schwanken.  i  ,  •  i  i 

Das  Bedürfnis,  intelHgent  zu  erscheinen  (IntelHgenzkomplex),  macht  sich  auch 
hier  wie  beiden  Imbezillen  etwa  geltend  in  der  Neigung  zu  Defimtionen,  deren 
Bizarrerie  dann  oft  den  spezifisch  schizophrenen  Stempel  verrat:  Auge  —  behungs- 
punkt,  Großmutter  —  Geschlechtsanteilung,  Ofen  —  AVärmungsartikel.  _ 

Trotz  vielem  Suchen  fanden  sich  in  den  experimentellen  Assoziationen  keine 
direkten  Spuren  von  Negativismus.  Bloß  bei  zwei  Kranken  haben  wir  eine  Neigung 


Grundsymptome.  Affektivität. 


31 


zu  Negationen  und  Kontrastassoziationen  gesehen;  gerade  diese  Patienten  waren 
aber  nicht  negativistisch. 


*  * 


Ziehen  (847)  hat  auch  die  rückläufigen  Assoziationen  geprüft  und  bei 
Krankheitszustcänden,  die  wir  zur  Schizophrenie  rechnen,  eine  Erschwerung  gefunden 
in  der  rückläufigen  Reproduktion  von  Reihen.  Es  ist  aber  so  schwierig,  hierbei  die 
Störungen  der  Assoziation  zu  trennen  von  denjenigen  der  Aufmerksamkeit,  des 
guten  Willens  usw.,  daß  ich  aus  der  kurzen  PubHkation  des  Autors  nicht  wage,  auf 
ein  definitives  Resultat  zu  schließen. 


Die  beschriebenen  Assoziationsstörungen  sind  charakteristiscli  für  die 
Schizophrenie.  Neben  ihnen  kommen  aber  auch  andere  Formen  von 
Anomalien  des  Gedankenganges  interkurrent  vor.  Bei  manischen 
Zuständen  der  Schizophrenie  addiert  sich  Ideenflucht  zur  schizophrenen  Asso- 
ziationsstörung; bei  depressiven  Zuständen  treffen  wir  Denkhemmungen  und 
die  durch  krankhafte  Reaktion  auf  die  Affektivität  hervorgebrachten  Asso- 
ziationsstörungen; vor  allem  beherrschen  oft  hysteriforme  systematische  Ab- 
schheßungen  geradezu  das  Bild.  Zwangsgedanken  sind  häufig. 


Die  Assoziationsstörungen  sind  hier  insofern  ungenügend  beschrieben,  als 
auf  die  akuten  Zustände  wenig  Rücksicht  genommen  ist.  Wir  haben  indes  bei 
solchen  Syndromen  bis  jetzt  keine  neuen  quahtativen  Eigentümhchkeiten  gefunden, 
wohl  aber  etwa  Übertreibungen  der  schon  beschriebenen.  (Natürlich  sehen  wir  ab 
von  den  Zeichen  manischer,  melancholischer  oder  organisch  gehemmter  Zustände.) 

Eher  empfinde  ich  es  als  Mangel,  daß  wir  die  meisten  Anomahen  nur  aus  den  münd- 
hchen  und  schrifthchen  Äußerungen  der  Kranken  deduziert  haben;  die  komplizierteren 
Handlungen  sind  ja  ohne  Zweifel  Ausflüsse  ganz  der  gleichen  Gedankentätigkeit, 
wie  sie  in  der  Diskussion  zum  Vorschein  kommt;  wir  sind  auch  gewohnt,  die  Kranken 
über  die  Motive  ihres  Handelns  auszufragen.  Anders  ist  es  mit  den  Assoziationen, 
die  unsere  kleinen  Handlimgen  leiten,  die  wir  gar  nicht  bewußt  dirigieren,  indem  in 
unserem  Bewußtsein  nur  die  Absicht,  das  und  das  zu  tun,  auftaucht.  Wenn  ich 
etwas  schreibe,  so  denke  ich  bewußt  an  mein  Thema;  aber  ich  weiß  nicht,  wie  ich 
das  Papier  aus  meinem  Schrank  hole,  was  ich  da  alles  für  Einzelbewegungen  mache 
usw.  Wir  haben  nun  ^Anhaltspunkte  anzunehmen,  daß  bei  Schizophrenen  auch  diese 
äußerst  fest  eingeübten  Mechanismen  alteriert  werden,  wie  uns  z.  B.  das  Vorkommen 
von  apraxieartigen  Erscheinungen  zeigt.  Ob  aber  sich  diese  Störungen  auch  auf 
eine  Unvollständigkeit  der  zur  speziellen  Tätigkeit  nötigen  Summe  von  Einzel- 
assoziationen zurückführen  läßt,  das  ist  uns  noch  ganz  unbekannt.  Es  ist  ja  auch 
denkbar,  daß  die  Ungeschickhchkeiten  hervorgerufen  würden  durch  negativistische 
Gegenströmungen  oder  Perplexität. 


ß)  Die  Affektivität. 

Bei  ausgesprochenen  Formen  der  Schizophrenie  steht  die  „gemütliche 
Verblödung"  im  Vordergrunde  des  Bildes.  So  wußte  man  seit  den  Kinderjahren 
der  modernen  Psychiatrie,  daß  eine  „akute  heilbare"  Psychose  „chronisch" 


Schizophrenie. 

werde,  wenn  der  Affekt  anfing  zurückzutreten.  Manche  Schizophrenen  der 
Endstadien  zeigen  Jahre  und  Jahrzehnte  lang  keinen  Affekt;  mit  nichtssagenden 
Gesichtern  sitzen  sie  in  nachlässiger  oder  zusammengeschobener  Haltung  in  den 
Pflegeanstalten  herum;  sie  lassen  sich  wie  Automaten  an-  und  auskleiden,  von 
dem  gewöhnhchen  Platz  ihrer  Untätigkeit  zum  Essen  und  wieder  zurückführen, 
ohne  ein  Zeichen  von  Befriedigung  oder  Unlust  zu  äußern.  Sogar  auf  Miß- 
handlungen durch  andere  Kranke  reagieren  sie  nicht. 

Auch  in  den  weniger  schweren  Formen  ist  Gleichgültigkeit  die  äußere 
Signatur,  und  zwar  Gleichgültigkeit  gegen  alles,  gegen  Verwandte  und  Freunde, 
.gegen  Beruf  und  Lustbarkeit,  gegen  Pfhchten  und  Rechte,  gegen  Glück  und 
Unglück.  ,,Es  ist  mir  maßlos  egal,"  sagte  ein  Patient  L.  Bins wangers.  Am 
ausgesprochensten  zeigt  sich  der  Defekt  meist  gegenüber  den  höchsten 
Interessen,  wobei  es  ganz  irrelevant  ist,  ob  es  einer  kompHzierten  Denkarbeit 
bedarf,  sie  zu  erfassen  oder  nicht.  Eine  Mutter  kann  schon  im  Anfang  der 
Krankheit  für  das  Wohl  und  Wehe  ihrer  Kinder  indifferent  sein  und  doch  nicht 
nur  ganz  die  Worte  einer  normal  empfindenden  Mutter  brauchen,  sondern  auch 
wirklich  alles  verstehen,  was  für  ein  Kind  gut  oder  schädhch  ist,  und  bei  Ge- 
legenheit, z,  B.  wenn  sie  ihren  Austritt  aus  der  Anstalt  motivieren  möchte, 
darüber  ganz  richtig  diskutieren.  Ob  ihre  Famihe  oder  sie  selbst  zugrunde 
gehen,  das  ist  solchen  Kranken  gleichgültig;  der  Trieb  der  Selbsterhaltung  ist 
oft  auf  Null  reduziert :  die  Kranlcen  kümmern  sich  nicht  darum,  ob  sie  verhungern 
oder  nicht,  ob  sie  auf  Eis  liegen  oder  auf  einem  erhitzten  Ofen.  Bei  einem 
Anstaltsbrande  mußten  eine  Anzahl  Patienten  aus  den  bedrohten  Abteilungen 
geführt  werden;  sie  hätten  sich  nicht  vom  Platze  bewegt,  sie  hätten  sich  ohne 
Affekt  ersticken  oder  verbrennen  lassen.  Krankheiten,  Bedrohungen  mit  allen 
möghchen  Übeln  können  viele  Schizophrene  nicht  in  ihrer  Ruhe  stören.  Was 
andere  angeht,  ist  ihnen  natürlich  erst  recht  gleichgültig:  in  einem  Schlafsaal 
schlägt  ein  Patient  einen  andern  tot;  die  übrigen  finden  nicht  nötig,  den  Wärter 
zu  wecken.  Ein  Student  hat  seine  Mutter  beinahe  erwürgt;  er  begreift  nicht, 
■daß  man  ,, wegen  dem  akzentuierten  Sprechen"  soviel  Geschichten  machen 
kann.  Eine  Kranke  schreibt  nach  anderthalbmonathchem  Anstaltsaufenthalt  j 
zum  erstenmal  nach  Hause,  weiß  aber  außer  einigen  nichtssagenden  Phrasen 
nur  zu  fragen,  wie  es  der  Katze  gehe. 

Ganze  Lebensgeschichten  können  die  Schizophrenen  schreiben,  ohne  ein  i 
einziges  Gefühl  darin  zu  äußern ;  sie  beschreiben  ihre  Leiden  und  Taten  wie  ein  Thema 
aus  der  Physik.  Eine  Kroatin,  die  kein  Wort  außer  ihrer  Muttersprache  versteht, 
verirrt  sich  nach  Zürich,  bleibt  monatelang  in  der  Anstalt,  ohne  daß  man  sich  mit 
ihr  verständigen  könnte,  da  sie  auch  nicht  auf  Gesten  achtet,  obschon  sie  sehr  lebhaft 
ist.  Endlich  spricht  eine  Dame  aus  ihrer  Heimat  sie  an;  die  Patientin  gibt  auf  Fragen 
einige  Auskunft,  zeigt  aber  nicht  den  leisesten  Affekt.  Ein  Hebephrene  berichtet 
über  den  Tod  seines  Vaters:  „Da  ich  damals  zu  Hause  war,  so  ging  ich  auch  ans 
Leichenbegängnis  und  war  aber  froh,  daß  ich  nicht  selber  begraben  wurde;  lebendig 
begraben  bin  ich  jetzt. ..." 

Am  meisten  fällt  auf,  daß  manche,  namentUch  der  älteren  Patienten  die 
nämhche  Gleichglütigkeit  auch  ihren  Wahnideen  gegenüber  zur  Schau  tragen, 
die  sie  doch  beständig  beschäftigen. 

Ein  Paranoider  beklagt  sich  während  einer  längeren  klinischen  Vorstellung 


Grundsymptome.  Affektivität. 


33 


best-ändig  über  die  Verfolgungen,  sitzt  aber  sehr  gemütlich  in  nonchalanter  Haltung  da. 
Gefragt,  ob  er  denn  die  Halluzinationen  für  Wirklichkeit  halte,  sagt  er  mit  Achsel- 
zucken/„Vielleicht  sind  sie  krankhaft,  vielleicht  Wirklichkeit";  die  Frage  interessiert 
ihn  offenbar  gar  nicht.  Daß  ältere  Paranoide  mit  der  größten  Seelenruhe  erzählen, 
wie  sie  in  der  Nacht  geschunden,  gebrannt  worden  seien,  wie  man  ihnen  die  Einge- 
geweide herausgeschnitten  habe,  ist  etwas  Allbekanntes.  Eine  Hebephrene  kommt 
zum  Arzt,  um  ihn  zu  bitten,  er  möchte  sie  doch  nicht  totschlagen;  obschon  sie  wklich 
meint,  es  handle  sich  um  ihr  Leben,  ist  sie  ganz  affektlos. 

In  leichteren  Fällen  kann  diese  Gleichgültigkeit  fehlen  oder 
jnaskiert  sein.  Im  Beginn  der  Krankheit  sehen  wir  oft  geradezu  eine  gewisse 
Überempfindlichkeit,  so  daß  die  Patienten  sich  bewußt  isolieren,  um  jedem 
Anlaß  zu  Affekten  aus  dem  Wege  zu  gehen,  und  das  auch  dann,  wenn  sie  noch 
Interesse  am  Leben  haben.  Latente  Schizophrene  können  geradezu  labil  in 
ihren  Affekten,  sanguinisch  erscheinen.  Es  fehlt  dann  aber  die  Tiefe  des  Af- 
fektes. Auch  findet  man  in  solchen  Fällen  bei  genauerem  Zusehen  meist  eine 
partielle  Gleichgültigkeit  gegen  diese  oder  jene  Interessen,  die  dem  Patienten 
sonst  nicht  fremd  waren;  ich  möchte  aber  nicht  behaupten,  daß  das  auch  der 
Fall  sei  bei  den  Patienten,  die  nicht  zum  Psychiater  kommen.  Es  gibt  ferner 
ziemlich  viele  Schizophrene,  die  dauernd  wenigstens  in  bestimmten  Richtungen 
lebhafte  Affekte  haben:  die  aktiven  unter  ihnen,  die  Schriftsteller,  Welt-  imd 
Gesundheitsverbesserer,  die  Religionsstifter.  Diese  Leute  sind  in  ihrem  Denken 
einseitig  und  rücksichtslos;  es  ist  schwer  zu  sagen,  ob  auch  ihre  Affekte  an  sich 
immer  in  krankhafter  Weise  einseitig  sind. 

Oft  sehen  wir  deutliche  Grundstimmungen,  so  daß  man  nicht  gut 
von  allgemeiner  Gleichgültigkeit  reden  kann.  Die  Stimmung  kann  euphorisch, 
traurig,  ängsthch  sein.  Den  Übergang  von  der  euphorischen  Stimmung  zur 
gleichgültigen  oder  eine  Mischung  von  beiden  sehen  wir  in  dem  bei  Hebephrenen 
sehr  häufigen  Gemütszustand  der  „Wurstigkeit",  den  die  Franzosen  noch 
bezeichnender  „je-m'en-fichisme"  nennen.  Die  Kranken  sind  dann,  wenn  auch 
nicht  glücklich,  so  doch  zufrieden  mit  sich  und  der  Welt;  was  Unerwünschtes 
geschieht,  das  wird  nicht  als  unangenehm  empfunden.  Sie  werden  dann  auch 
■sehr  leicht  schnodderig  in  ihren  Antworten,  wozu  ihnen  die  ungenauen  Asso- 
ziationen ein  sehr  günstiges  Material  liefern.  —  Auch  andere  Stimmungen  drücken 
sich  in  ähnhcher  Weise  aus.  Eine  unserer  Kranken  wird  seit  mehr  als  zwanzig 
Jahren  in  der  Krankengeschichte  als  „herzHch  verrückt"  bezeichnet,  indem  sie 
mit  einer  gewissen  Bonhomie  und  unter  Lächehi  alle  ihre  unsinnigen  Klagen 
vorbringt. 

In  denjenigen  akuten  Anfällen,  die  man  früher  als  Manien  und  Melan- 
choHen  bezeichnete,  fehlt  natürlich  der  Affekt  nicht;  er  bekommt  aber  ein 
spezifisches  Timbre,  das  oft  an  sich  schon  die  Erkennung  der  Krankheit  erlaubt. 
An  Stelle  der  klaren,  tief  empfundenen  Affekte  beim  manisch-depressiven  Irre- 
sein haben  wir  den  Eindruck  einer  Gemütsbewegung,  die  nicht  in  die  Tiefe 
geht.  Vor  aUem  fehlt  sehr  leicht  die  Einheitlichkeit  der  Affektäußerung 
Die  Worte,  die  Freude  oder  Schmerz  ausdrücken  sollen,  passen  nicht  zu- 
einander und  nicht  zum  Ton  der  Stimme,  zu  den  Bewegungen,  zum  übrigen 
Verhalten.  Der  Mimik  fehlt  die  Einheit;  die  hochgezogene  Stirn  drückt  z  B 
«twas  aus  wie  Verwunderung,  die  Augen  können  mit  den  Krähenfüßen  den  Ein- 

Handbuoh  (Ut  Psychiatrie:  Bleuler 

3 


34 


Schizophrenie. 


druck  des  Lacheins  machen,  und  zugleich  mögen  die  Mundwinkel  traurig  gesenkt 
sem.  Ott  ist  der  Ausdruck  ungemein  übertrieben,  pathetisch  und  theatralisch 

Steifigkeit  der  Bewegungen  gerade  hier  besonders 
auttallt,  ist  selbstverständHch.  Klagen  wie  Jauchzen  bekommen  etwas  Ein- 
töniges. 

Alle  diese  Dinge  sind  leichter  zu  fühlen  als  zu  beschreiben.  In  der  Dar- 
stellung läßt  sich  am  besten  herausheben  der  Mangel  an  Anpassung  an  den 
Avechselnden  Gedankeninhalt,  der  Defekt  der  Modulationsfähigkeit.  Die 
Stimmung  des  manischen  Schizophrenen  folgt  nur  sehr  wenig  oder  gar  nicht 
dem  wechselnden  Inhalt  des  Gedankens.  Während  der  Manische  wie  ein  Nor- 
maler die  Gefühlsnuancen  der  geäußerten  Gedanken  mit  entsprechenden  quali- 
tativen und  quantitativen  Modifikationen  der  Affektäußerungen  begleitet, 
sehen  wir  beim  ausgesprochenen  Schizophrenen  von  solchen  Modulationen 
Avenig  oder  geradezu  gar  nichts,-  ob  er  einen  AVitz  vorbringe  oder  über  seine 
Einsperrung  sich  beklage  oder  aus  seinem  Leben  erzähle^).  Eine  Katatonika 
jammert,  ihr  Mann  sei  im  Zuchthaus.  Ich  versichere  sie,  er  sei  in  der  Freiheit, 
Avorauf  sie  antwortet:  „So,  das  ist  recht."  Sie  sagt  das  aber  in  absolut  unver- 
ändertem Jammerton,  genau,  wie  wenn  ich  ihr  die  Einsperrung  des  Mannes  ' 
bestätigt  hätte. 

Ein  solches  Verhalten  unterscheidet  sich  nm-  scheinbar  von  der  Gleich- 
gültigkeit. Der  vorhandene  Affekt  ist  ja  hier  gar  nicht  die  Keaktion  auf  den 
Gedanken,  sondern  ein  irgendwie  bedingter  abnormer  Grundzustand  der  Affekt- 
lage, eine  andere  Einstellung  des  affektiven  Nullpunktes^).  Von  diesem  Null- 
punkt aus  reagieren  die  anderen  Kranken  je  nach  den  Vorstellungen  mit  Schwan- 
kungen nach  unten  und  oben,  die  Schizophrenen  aber  nicht. 

In  einzelnen  FäUen  sehen  wir  immerhin  deuthche  Affektschwankungen, 
die  geradezu  der  Norm  nahekommen  können.  Dann  kann  sich  eine  gewisse 
Äff ektsteifigkeit  doch  darin  verraten,  daß  dem  Ausdruck  der  verschiedensten  Stim- 
mungen ein  Etwas,  das  schwer  beschreibbar  ist,  gemeinsam  bleibt.  Es  ist,  um 
ein  Bild  aus  der  Koloristik  zu  gebrauchen,  wie  wenn  die  ganze  Mimik  in  die 
gleiche  Sauce  getaucht  wäre;  die  Leute  weinen  mit  ähnhcher  oder  mit  gleicher 
Stimme,  mit  der  sie  lachen;  und  wenn  sie  auch  die  Mundwinkel  beim  einen 
Affekt  nach  oben,  beim  andern  nach  unten  verziehen,  so  haben  beide  Ausdrucks- 
weisen doch  etwas  deutHch  Gemeinsames. 

Manchmal  zeigt  sich  ein  ungenügender  Tiefgang  der  Affekte  darin,  daß 
die  Kranken  eine  Stimmung  nicht  festhalten  können.  Eine  Katatonische  fürchtete 
sich  sehr  vor  einem  halluzinierten  Judas  Ischarioth,  der  sie  mit  dem  Schwerte 
bedrohte;  sie  schrie,  daß  man  den  Judas  vertreibe,  verlangte  aber  dazwischen 
Schokolade.  Am  andern  Tage  klagte  sie  über  die  betrefienden  Halluzinationen, 
bat  um  Verzeihung  wegen  der  verübten  Gewalttätigkeiten,  drückte  aber  mitten 

1)  Hört  man  einen  Schizophrenen  in  einer  Sprache  reden,  die  man  nicht  versteht, 
so  fehlen  oft  alle  Anhaltspunkte  zur  Bestimmung,  worüber  er  spricht.  Auch  wichtiger  Thema- 
wechsel (Essen  —  Tod  der  Mutter)  kann  dann  ganz  symptomlos  verlaufen. 

2)  Die  Unabhängigkeit  solcher  schizophrener  Stimmungen  vom  Gedankengang  zeigt 
sich  namentlich  deutUch  in  den  nicht  seltenen  Fällen,  in  denen  der  Patient  umgekehrt  eine 
während  der  Depression  gebildete  und  ihr  entsprechende  Wahnidee  nach  einem  raschen 
Umschlag  der  Stimmung  festhält,  aber  nun  mit  der  dem  Inlialt  widersprechenden  fröhlichen 
Betonung  vorbringt. 


Grundsymptome.  Affektivität. 


35 


im  Klagen  die  Freude  an  einem  schönen  Gürtel  aus,  den  sie  indes  sehi 
Ue  mhnideen  verwebte,   daß  wir  sie  versichern  mußten,   er  sei  nicht  ,  eim 
t:.^^e  andere  Katatomka  ergeht  sich  Tag  und  Nacht  m  wMen  Selbs^ 
anklagen  mit  energischen  Selbstbeschädigungsversuchen;  wenn  e.  ihr  aber 
ceUngt,  sich  einer  Wärterin  zu  entwinden,  so  muß  sie  herzhch  lachen. 
^  akuten  Zuständen  können  aber  auch  ohne  eine  dauernde  ^rund^^- 

immg  innerhalb  ganz  kurzer  Zeit,  z.  B.  während  einer  Idinischen  Vorstellung, 
die  verschiedensten  Affektäußerungen  miteinander  abwechseln.  Bei  Aiüaß  von. 
irgend  welchen  zufälhgen  Assoziationen  kommt  der  Patient  von  einer  Sekunde- 
auf die  andere  in  hochgradigste  zornige  Aufregung,  schimpft,  brüllt,  springt  m 
die  Höhe,  um  nach  wenigen  Minuten  in  ebenso  übertriebener  Weise  erotisch 
fi-öhlich  zu  sein,  dann  in  Trauer  zu  heulen  usw.  In  diesen  FäUen  wechselt  die 
aanze  Persönlichkeit  mit  dem  Affekt.  Im  Gegensatz  zu  dem  oben  erwähnten 
Stehenbleiben  gewisser  Komponenten  der  vorhergehenden  Affektäußerungen 
Avirken  hier  umgekehrt  die  früheren  Affekte  nicht  einmal  so  weit  nach,  wie  sie 
es  normaler  Weise  tun  sollten;  ganz  plötzHch  ist  ein  voUständig  neues  Register 
gezogen.  Die  Art  des  Umschlages  und  die  Affektsteifigkeit  unterscheidet  die 
FäUe  meist  leicht  von  Organischen. 

So  ist  es  verständlich,  wenn  Masseion  (S.  83)  als  affektive  Eigentümhch- 
keit  der  Schizophrenen  neben  der  Nonchalance,  Indifferenz  und  Reizbarkeit 
auch  eine  abnorme  Labilität  der  Affekte  (mobilite  d'humeiu«,  versatilite) 
nennt.  Schon  die  Reizbarkeit  scheint  in  einem  gewissen  Gegensatz  zu  der 
Gleichgültigkeit  zu  stehen,  noch  mehr  aber  diese  Labilität,  die  eine  abnorm 
leichte  Anschlagsfähigkeit  voraussetzt. 

Bei  leichten  Fällen,  vne  sie  seltener  in  die  Anstalten  kommen,  scheint  die 
LabiHtät  oft  im  Vordergrunde  zu  stehen;  bei  genauerem  Zusehen  findet  man 
aber  auch  da  die  Affektivitätsdefekte. 

Ein  Hebephrene  stand  wegen  Drohung  von  Verbrechen  in  Untersuchung. 
Er  war  etwas  euphorisch,  hielt  es  für  ein  Glück,  daß  er  in  die  Anstalt,  unter  ärztliche 
Behandlung  komme,  lobte  die  (schlechten)  Bilder  an  der  Wand,  wollte  nicht  auf 
eine  bessere  Abteilung,  weil  die  Patienten  hier  so  nett  seien.  Nach  erfolgter  Versetzung 
schimpfte  er  maßlos  über  die  frühere  Abteilung.  Bei  einem  unbedeutenden  Fieber 
(und  gelegentlich  auch  ohne  bekannte  Ursache)  war  er  deprimiert,  Aveinte  wie  ein 
Kind,  er  müsse  sterben,  ebenso  bei  noch  nichtigeren  Anlässen,  so  wenn  er  erzählte, 
wie  ungern  sein  Vater  die  1  Fr.  80  pro  Semester  Schulgeld  für  ihn  bezahlt  habe. 
Wenn  ihm  jemand  etwas  sagte,  was  ihm  nicht  paßte,  so  wurde  er  aufgeregt,  drohte, 
zerschlug  auch  etwa  einen  Gegenstand,  warf  in  der  Wut  Geld  fort,  mißhandelte 
die  Frau.  Trotz  dieser  Labilität  bei  ganz  leichter  manischer  Stimmung  ist  die  schizo- 
phrene Affektstörung  deutHch:  er  sucht  keinen  Kontakt  mit  der  Umgebung 
wie  andere  Euphorische;  in  den  wichtigsten  Dingen  (Internierung,  Geschäft,  das 
er  ganz  vernachlässigt  hatte,  Scheidungsantrag  der  Frau)  bUeb  er  ganz  gleichgültig; 
das  Taktgefühl  war  dem  guterzogenen  Manne  ganz  abhanden  gekommen;  seine 
Mimik  hatte  etwas  steifes,  fixiertes,  in  großem  Widerspruch  zu  seinen  bombastischen 
Ausdrücken;  Dinge  von  affektiv  verschiedener  Bedeutung  wurden  mit  der  gleichen 
Miene  vorgebracht;  er  konnte  im  Tone  der  größten  Gleichgültigkeit  sagen,  wie  furcht- 
bar aufgeregt  er  sei. 

Zu  einem  kleinen  Teil  ist  diese  gemütliche  Labilität  gewiß  im  Zusammen- 
hang mit  der  Unfähigkeit  der  Kranken,  manche  wichtige  Ereignisse  als  solche 

3* 


36 


Schizophrenie, 


ZU  erfassen.  Unwichtige  Gedanken  vermögen  auch  den  Gesunden  wenig  zu  fesseln; 
es  ist  also  begreiflich,  wenn  der  Schizophrene,  für  den  nichts  von  Wichtigkeit  ist,' 
manchmal  von  einem  Affekt  zum  andern  springt.  Andernteils  aber  entspricht 
der  Affektwechsel  der  Sprunghaftigkeit  der  Gedanken.  Ein  Hebephrene  wehrt 
sich  verzweifelt,  brüllt  laut,  er  habe  alles  ruiniert;  plötzUch  sagt  er  in  gleich- 
mütigem Ton:  „Jetzt  lache  ich",  und  lacht  trocken.  Bald  nachher  sagt  er: 
„Jetzt  schreie  ich",  und  brüllt  und  schlägt  wieder.  Ein  anderer  bekommt 
regelmäßig  beim  Eintritt  des  Arztes  Wutausbrüche,  geht  zähneknirschend 
auf  ihn  los,  so  daß  er  gehalten  werden  muß.  Nach  ganz  kurzer  Zeit  springt 
er  jedesmal  mit  einem  eleganten  S.chwung  ins  Bett  und  offeriert  dem  Arzt 
den  ,, Versöhnungskuß".  —  Gelegenthch  kommt  es  auch  bei  besonnenen  Hebe- 
phrenen  vor,  daß  sie  das  in  der  Erregung  Getane  wirklich  bereuen.  Einer 
unserer  Paranoiden  konnte  weinen,  wenn  er  seine  Frau  mißhandelt  hatte. 
Eine  so  stark  ausgesprochene  Keue  habe  ich  allerdings  sonst  nicht  wieder 
gesehen. 

Auch  wenn  die  Affekte  wechseln,  geschieht  das  indes  meist  langsamer  als 
beim  Gesunden.  Die  Affekte  hinken  oft  geradezu  den  Ideen  nach. 
Bei  einer  Untersuchung  wurde  einer  Patientin  häufig  das  Bild  eines  Kindes 
gezeigt;  erst  eine  Viertelstunde  später  erschien  der  entsprechende  traurige 
Affekt.  Auch  bei  Festen  sieht  man,  wieviel  länger  als  Gesunde  die  Schizo- 
phrenen brauchen,  um  in  Stimmung  zu  kommen.  Daß  Zorn  und  Ärger,  ob- 
gleich sie  die  Neigung  haben,  nur  langsam  zu  verschwinden,  oft  sehr  rasch 
einsetzen,  sieht  man  bei  Gesunden  ebenso  häufig  wie  bei  Schizophrenen.  Man 
darf  das  nicht  als  eine  besondere  Labilität  der  Kranken  deuten.  Unzweifel- 
haft zeigt  sich  aber  ein  pathologisches  Andauern  des  Affektes  in  der  ge- 
wöhnlichen Eigenschaft  der  Schizophrenen,  in  ihrem  Zorn  auszuharren  oder 
diesen  noch  längere  Zeit  zu  steigern,  auch  wenn  kein  Grund  mehr  dazu  vor- 
handen ist. 

Aus  all  dem  dürfen  wir  wohl  im  Gegensatz  zu  Masseion  den  Schluß 
ziehen,  daß  die  Labilität  bei  der  Schizophrenie  eine  unwesenthche  Erscheinung 
bildet* 

Viel  auffallender  als  der  rasche  Wechsel  der  Affekte  ist  das  äußerlich 
unbegründete  Schwanken  der  Gemütslage,  die  Launenhaftigkeit  im  Auf- 
treten der  Affekte.  Die  gleichen  Kranken,  die  heute  ganz  gleichgültig  er- 
scheinen, können  morgen  gereizt  sein  oder  ganz  verschiedenen  Gefühlen  zu- 
gänglich. Pfersdorff  (562,  S.  118)  bemerkt  von  seinen  Kranken:  „Die  Affekt- 
lage kam  nur  zum  Vorschein,  wenn  die  Kranken  sprachen,  was  sie  spontan 
sehr  selten  taten,"  Sobald  sie  sich  eben  genötigt  sahen,  die  Umgebung  zu  er- 
fassen und  auf  sie  zu  reagieren,  zeigten  sich  die  Affekte,  wie  so  oft.  Am  häufig- 
sten aber  ist  es,  daß  die  Kranken  nur  dann  gemütlich  erregt  werden, 
wenn  sie  bestimmte  Ideen  zu  denken  gezwungen  werden,  die  sie 
vor  oder  während  des  Krankheitsbeginnes  bewegt  haben  (Kom- 
plexe). So  saß  eine  Hebephrene  in  blöd-erotischer  Euphorie  herum;  ein  ganz 
normaler  Affekt  kam  aber  zum  Vorschein,  wenn  ihr  Verhältnis  zum  Manne 
erörtert  wurde.  Der  Schmerz  um  verlorene  Liebe,  die  Freude  an  genossener 
Liebe  sind  bei  vielen  Kraulten  nach  Jahrzehnten  noch  mit  großer  Lebendigkeit 
hervorzurufen,  wenn  es  gehngt,  die  gerade  bei  diesen  Themen  nie  fehlenden 


Grundsymptome.  Aft'ektivität. 


37 


Sperrungen  zu  überwinden.  Dabei  erscheinen  diese  Affekte  wie  konserviert; 
aUe  Nuancen  von  sexueller  Freude,  von  Genieren,  von  Schmerz  und  Eifersucht 
können  so  lebhaft  zum  Vorschein  kommen,  wie  es  beim  Gesunden  nicht  mehr 
der  Fall  ist,  wenn  es  sich  um  alte  Erinnerungen  handelt.  Gar  nicht  selten  haben 
diese  Äußerungen  ganz  den  Charakter  der  früheren  Zeit  und  stehen  in  auffallen- 
dem Widerspruch  mit  dem  reifen  Lebensalter  der  Kranken. 

Eine  Hebephrene,  die  nach  der  Pubertät  einen  ersten  übersehenen  Schub 
ihrer  Krankheit  gehabt  hatte,  wurde  mit  71  Jahren  durch  eine  leichte  Depression 
in  die  Anstalt  gebracht.  Sie  sprach  mit  großer  Gleichgültigkeit  von  ihren  Schicksalen, 
namentlich  von  ihrem  Manne.  Als  es  uns  aber  gelungen  war,  sie  an  einen  GeHebteii 
aus  der  Zeit  unmittelbar  vor  der  ersten  Erkrankung  zu  erinnern,  zeigte  sie  die  ganze 
verschämte  Mimik  eines  jungen  Mädchens,  das  über  diese  Dinge  ausgefragt  wird, 
mit  allen  charakteristischen  Einzelheiten,  nicht  nur  dem  Erröten,  dem  Augen- 
niederschlagen,  sondern  auch  dem  zufrieden  verlegenen  Lächeln,  dem  Zupfen  an  der 
Schürze,  dem  Zurechtstreichen  der  Haare  und  allen  den  anderen  Äußerungen,  die 
man  nur  sehen,  aber  nicht  beschreiben  kann.  Der  jugendhche  Affekt  konnte  nach 
mehr  als  einem  halben  Jahrhundert  ganz  frisch  wieder  ausgegraben  werden  und 
bildete  einen  rührenden  Gegensatz  zu  der  zusammengesimkenen  Gestalt  und  dem 
gefurchten  Gesicht  der  Alten. 

In  diesem  Falle,  wie  in  manchem  andern,  ließ  sich  das  Experiment  wiederholen. 
Analoge  Erfahrungen,  wenn  auch  nicht  immer  so  frappierende,  macht  man 
bei  den  meisten  gelmigenen  Analysen  Schizophrener;  und  wenn  man  in  der  Klinik 
zuerst  die  gefühlsbetonten  Komplexe  der  Kranken  hervorgeholt  hat,  ward  es  manchmal 
schwer,  die  Zuhörer  von  der  Gemütlosigkeit  der  Vorgestellten  zu  überzeugen,  so- 
normal scheinen  sie  zu  reagieren,  auch  wenn  sie  sonst  jahrelang  die  größte  Gleich- 
gültigkeit nicht  nur  zur  Schau,  sondern  wirklich  in  sich  getragen  haben. 

Mit  einiger  Geduld  kann  man  auch  ohne  besondere  Analyse  die  Affekte 
in  den  Wahngebilden  der  scheinbar  nur  noch  vegetativ  lebenden  Kranken  nach- 
weisen. Es  braucht  oft  Monate,  bis  man  mit  solchen  ganz  passiven  imd  mu- 
tistischen  Kranken  einen  intellektuellen  Rapport  hergestellt  hat;  gelingt  es- 
aber,  so  findet  man  regehnäßig  ein  Wahnsystem,  das  nicht  nur  aus  Wünschen 
und  Befürchtungen  entstanden  ist,  sondern  auch  jetzt  noch  von  ganz  entsprechen- 
den Gefühlen  betont  werden  kann. 

Auch  werm  Hnnatrophie  einsetzt,  kommen  manchmal  die  Affekte  zum 
Vorschein,  so  daß  einzelne  dieser  Kranken  sich  wenig  mehr  von  gewöhnlichen 
Senilen  unterscheiden,  „die  weinen  und  lachen  können,  wann  sie  wollen".  Jjx 
Rheinau  beobachtete  ich  zehn  Jahre  lang  eine  Katatonika,  die,  abgesehen  von 
der  allerersten  Zeit,  nichts  als  Schimpfwörter  zu  mir  gesagt  und  negativistisch 
mit  seitlich  herausgestreckter  Zunge  dagesessen  hatte.  Als  ich  sie  zehn  Jahi-e 
nach  meinem  Weggang  in  Rheinau  wieder  sah,  stürzte  sie  auf  mich  zu,  um- 
armte mich  gerührt,  wie  man  einen  alten  Freund  umarmen  kann.  —  Eine  Para- 
noide, deren  Gleichgültigkeit  ich  seit  bald  dreißig  Jahren  kannte,  hatte  eine 
Apoplexie.  Da  sie  mit  Süßigkeiten  viele  Fliegen  anlockte,  sagte  ich  einmal  im 
Scherz  zu  ihr,  ob  die  Fliegen  sie  nicht  fressen  werden.  Sie  ging  fröhlich  auf 
den  Scherz  ein:  „Es  kommen  immer  so  gi-oße,  große  und  woUen  mich  fi-essen  " 
Zu  der  ersten  Hälfte  des  Satzes  lachte  sie,  bei  der  zweiten  war  sie  als  echte 
Senile  bereits  von  der  Idee,  gefressen  zu  werden,  so  übermannt,  daß  sie  iämmer- 
lich  weinte.  '' 


38 


Schizophrenie. 


So  ist  es  ganz  unzweifelhaft,  daß  die  Fähigkeit  der  Psyche, 
Affekte  zu  produzieren,  bei  der  Schizophrenie  nicht  zugrunde 
gegangen  ist. 

Wir  dürfen  uns  deshalb  nicht  verwundern,  wenn  wir  auch  in  schweren 
Fällen  die  einen  oder  anderen  Affekte  erhalten  sehen.  Welche  aber  wir  an- 
treffen, hängt  meist  vom  „Zufall"  ab.  Doch  haben  einige  Gefühle  größere 
Chance  sich  zu  zeigen  als  andere. 

Wie  wir  oben  gesehen,  lassen  sich  z.  B.  die  erotischen  Regungen  (im  fei- 
neren Sinne)  manchmal  herausgraben.  Aber  auch,  wenn  man  die  Wachträume 
der  Kranken  verfolgen  kann,  findet  man  oft  sehr  zarte  Gefühle,  und  das  bei 
Patienten,  die  nach  außen  nichts  als  Gewalttat  und  Unreinlichkeit  zeigen. 

Statt  des  Interesses  treffen  wir  häufig  auch  in  vorgeschrittenen  Fällen 
sein  (schon  bei  Vögeln  und  Katzen  sehr  ausgebildetes)  Äquivalent,  die  Neu- 
gierde. Kranke,  die  sich  scheinbar  um  gar  nichts  kümmern,  wissen  es  immer 
so  einzurichten,  daß  sie,  wenn  irgend  wo  eine  Türe  aufgeht,  wie  zufälhg  hindurch 
sehen  können,  daß  sie  ein  Gespräch  belauschen,  ein  liegen  gelassenes  Buch 
betrachten  können,  und  zwar  letzteres  auch  dann,  wenn  sie  zu  torpid  sind, 
um  die  Merkwürdigkeit  auch  nur  in  die  Hand  zu  nehmen. 

Bei  Pflegeanstaltspatienten  sieht  man  auch  ein  gewisses  Verwachsen 
mit  der  Anstalt.  Schizophrene,  die  viele  Jahre  lang  in  einer  Anstalt  gearbeitet 
haben,  bekommen  eine  Art  AnhängHchkeit  an  sie;  sie  haben  ein  Interesse  an 
dem  Gutsbetrieb  und  können  auch  spontan  etwas  dafür  einsetzen.  Auch  Heim- 
weh nach  der  Anstalt  bekommen  sie,  wenn  sie  herausgenommen  werden.  Aller- 
dings sieht  man  ebenso  häufig,  daß  auch  die  gut  arbeitenden  Kranken  einfach 
wie  Maschinen  ihr  Tagewerk  tun  in  immer  derselben  Stimmung,  bei  Regen 
oder  Schnee,  Hitze  oder  Kälte. 

In  der  Richtung  der  Reizbarkeit  bis  zu  Zorn  und  Wut  finden  wir  die 
Affekte  am  häufigsten  erhalten.  Viele  Kranke  der  Anstalten  reagieren  überhaupt 
nur  in  diesem  Sinne.  Das  Personal,  das  für  ihre  gewöhnhchsten  Bedürfnisse 
sorgt,  sogar  wer  ihnen  das  Essen  bringt,  risldert  jedesmal  geschlagen  oder 
insultiert  zu  werden.  Von  diesen  extremen  und  heutzutage  seltenen  Fällen  bis 
zur  gewöhnlichen  Reizbarkeit  gibt  es  alle  Übergänge. 

In  den  Anstalten  ist  diese  Reizbarkeit  namentUch  unangenehm  in  ihrer 
Verbindung  mit  den  Wahnideen  und  dem  Negativismus.  Die  Verfolgten  sind 
mit  der  Umgebung  unzufrieden,  weil  sie  sie  verfolgt;  diejenigen,  die  ihre 
Wünsche  erfüllt  glauben,  werden  in  ihren  Träumen  durch  die  Umgebmig  gestört  — 
Anlaß  genug  zu  Zorn  und  Wut.  So  bildet  der  Zorn  denn  auch  die  gewöhnliche 
Reaktion  vieler  Patienten  auf  die  Halluzinationen,  imd  zwar  bezeichnender- 
weise auch  dann,  wenn  ihnen  die  Stimmen  gar  nicht  gerade  etwas  Unange- 
nehmes sagen.  -n  i.  •■  ^ 

Nicht  ganz  das  Gleiche  ist 'die  in  den  Anstalten  so  häufige  Entrüstung 
über  die  Freiheitsberaubung  oder  andere  Unannehmlichkeiten,  die  die 
Behandlung  mit  sich  bringt.  Sehr  viele  Kranke  sprechen  auch  von  Heimweh; 
verhältnismäßig  selten  aber  kann  man  objektive  Zeichen  finden,  dae  aiif  wirk- 
liches Heimweh  oder  auch  nm:  auf  eine  wirldiche  Sehnsucht  nach  Hause  zu 
kommen,  schließen  lassen.  Es  ist  gar  nicht  so  selten,  daß  Schizophrene,  die  lange 
um  Entlassung  queruherten,  die  erhaltene  Erlaubnis,  zu  gehen,  gar  nicht  be- 


Grundsymptome.  Affektivität. 


39 


nutzen  oder  doch  nur  planlos  die  Anstalt  verlassen,  ohne  nach  Hause  zu 

^'^'"rar  nicht  selten  finden  wir  bei  unseren  Kranken  als  einzige  Affektäußerung 
oder  neben  de  Sarkeit  d.e  Elternliebe  erhalten;  narnentUch  Mütter  smd 
oft  an' e  um  das  Ergehen  ihrer  Kinder  wirklich  besorgt,  wahrend  sie  sich  somt 
1  Sts  "cht  einlial  um  ihr  eigenes  körperUches  Beenden  kummern  So  che 
^^aX  zeiL  denn  auch  wirkliche  Freude,  wenn  sie  Besuch  oder  gute  Näch- 
sten von  den  Kindern  bekommen.  Eine  seit  dreißig  Jahren  kränkelnd  seit 
mn'eTer  Zeit  in  schwerem  halluzinatorischem  Zustande  befmdhche  Patientin 
suchte  den  Arzt,  den  sie  als  Schwiegersohn  ins  Auge  gefaßt,  zu  uberzeugen, 
daß  ihre  Krankheit  sich  nicht  auf  die  Tochter  vererbt  habe. 

4uch  das  Mitgefühl  mit  anderen  ist  gar  nicht  immer  erloschen.  Be- 
sonders  in  der  Pflegeanstalt,  wo  die  meisten  Patienten  einander  genauer  kennen, 
können  sie  sich  oft  sehr  gut  in  die  Lage  der  anderen  hinemfühlen.  Em  Heb e- 
phrene  der  ganz  verwirrt  sprach,  hat  jahrelang  einem  an  Muskelatrophie  leiden- 
den Kranken,  dessen  Lippen  nicht  mehr  fähig  waren,  die  Zigarre  zu  tragen, 
das  Kauchzeug  im  Munde  gehalten,  mit  einer  Geduld  und  einer  Unermudbarkeit, 
deren  wohl  niemals  ein  Gesunder  fähig  gewesen  wäre.  Es  kommt  auch  etwa 
vor,  daß  solche  schizophrene  Samariter  abstinierende  Kranke  ohne  Gewalt 
nähi-en  können,  während  es  sonst  niemand  fertig  bringt. 

Sogar  ein  künstlerisches  Hineinfühlen  in  andere  ist  nicht  so  selten.. 
Leichter^schizophrene  Dichter  und  Musiker  aller  QuaUtäten  zeigen  diese  Fähig- 
keit. Eine  akute  Katatonika  war  im  anscheinend  schwersten  Stupor  fähig, 
nach  der  Musik  zu  tanzen,  und  zwar  mit  selbsterfimdenen  Bewegungen,  die 
ein  feiner  und  ästhetisch  überraschender  Ausdruck  der  in  der  Musik  liegenden 
Empfindimg  waren.  Eine  unserer  chronischen  Katatonischen  ist,  abgesehen  von 
fast  beständiger  Gereiztheit  mit  Neigung  zu  Gewalttat,  ganz  indifferent 
gegen  die  Umgebung,  indezent  und  unrein  im  höchsten  Grade.  Sie  kann  aber 
nicht  nur  tanzen,  sondern  sich  ganz  genau  allen  Nuancen  der  Musik  und  der 
Bewegungen  des  Tänzers  anpassen. 

Wenige  Kranke  zeigen  Neigung  zu  Humor,  vielleicht  sind  sie  noch  eher 
fähig,  etwas  Humoristisches  selbst  zu  produzieren,  als  es  zu  genießen,  wenn 
es  von  außen  dargeboten  wird,  während  gröbere  Scherze  oft  noch  Anklang 
linden. 

Meist  allerdings  fällt  auf,  wie  früh  die  Gefühle,  die  den  Verkehr  der 
Menschen  untereinander  regeln,  verkümmert  sind.  Ob  die  Kranken 
mit  einem  Höherstehenden  oder  mit  einem  Niederen,  mit  Mann  oder  Frau 
sprechen,  macht  ihnen  meist  keinen  Unterschied.  Von  Scham  in  irgend  einer 
Richtung  ist  oft  keine  Spur  mehr,  und  zwar  auch  bei  sonst  recht  gut  erhaltenen 
Kranken.  Alle  mögüchen  Schandtaten,  die  sie  als  solche  ganz  gut  erkennen, 
geben  sie  nicht  nur  zu,  sondern  erzählen  sie  spontan  ohne  jeden  Anlaß.  Sie 
kramen  ihre  sexuellen  Verhältnisse  oft  in  den  krassesten  Ausdrücken  aus,  sie 
onanieren  coram  publico.  Ein  eben  erkrankter,  sehr  gut  angelegter  Gymnasiast 
schreibt  an  seine  Mutter:  ,, Liebe  Mutter!  komm  doch  sofort  zu  mir.  Ich  muß 
wissen,  wie  alt  du  gewesen  bist,  als  der  Vater  mich  machte." 

Zu  solchen  schweren  Defekten  kann  dann  wieder  die  lebhafte  Gefühls- 
betonung von  Kleinhchkeiten  einen  sonderbaren  Kontrast  bilden.    Ein  Hebe- 


40 


Scliizoplirenie. 


phrene  der  em  wenig  auf  unserem  Bureau  arbeitet,  geht  aufs  sorgfältigste 
geputzt  und  geschniegelt  herum,  läßt  sich  aber  von  einem  rohen  AngesteUten 
m  der  ungeziemendsten  Weise  necken,  ohne  etwas  Unangenehmes  dabei  zu 
finden;  und  als  ihn  die  Mutter  bittet,  ans  Totenbett  seines  Vaters  zu  kommen 
schreibt  er  ihr  „zum  Trost"  einige  Phrasen,  geht  aber  nicht.  Zwei  Patientinnen 
essen  ihre  Exkremente;  die  eine,  eine  ältere  Jungfrau,  ziert  sich  aber,  ihr  Alter 
anzugeben;  die. andere,  eine  Malerin,  freut  sich  an  der  schönen  Farbe  iener 
Speise. 

Auf  Anstaltsfeste  u.  dgl.  Anlässe  reagieren  die  Kranken  verschieden 
Im  ganzen  haben  sie  etwas  Steifes,  bei  Spielen  fäUt  der  Mangel  an  Initiative 
auf.  Die  Anregbarkeit  ist  zeithch  in  der  Weise  verändert,  daß  es  oft  lange 
dauert,  bis  die  Kranken  in  Stimmung  kommen;  dafür  ist  sie  oft  quantitativ 
gesteigert,  indem  viele  immer  mehr  vom  Festtaumel  ergriffen  werden  und  nicht 
mehr  aufhören  können.  Ein  Ball  aber,  bei  dem  man  die  Kranken  etwas  aushest, 
läßt  gewöhnlich  für  den  Laien  nicht  viel  oder  gar  nichts  Auffallendes  erkennen. 

Die  ethischen  Eigenschaften  der  Schizophrenen  sind  sehr  verschieden. 
Im  großen  und  ganzen  sind  die  Kranken  in  dieser  Eichtung  abgestumpft,  wie 
in  anderen.  Da  sie  sehr  wenig  aktiv  sind,  werden  aber  merkwürdig  wenige  zu 
eigentlichen  Verbrechern.  Allerdings  betreten  einzelne  erst  nach  der  Er- 
krankung die  Laufbahn  eines  Diebes  oder  Betrügers.  Es  ist  dann  nicht 
zu  sagen,  ob  bloß  eine  vorher  gehemmte  Anlage  zum  Vorschein  gekommen 
ist  oder  ob  erst  die  Krankheit  die  verbrecherischen  Triebe  erzeugt  hat.  Im 
ganzen  kann  man  von  der  moraHschen  Seite  den  Schizophrenen  nicht  mehr 
und  nicht  weniger  trauen  als  den  Gesunden  (schlimmer  ist  ihre  Unberechen- 
barkeit). Aber  im  allgemeinen  wird  von  den  Kranken  wohl  eher  weniger  gestohlen, 
betrogen,  gelogen,  verleumdet  als  von  Gesunden.  In  leichteren  Fällen  tritt 
sogar  oft  andauernd  eine  ganz  peinhche  Gewissenhaftigkeit  hervor.  Nichts 
mit  der  Ethik  zu  tun  haben  natürlich  die  Attentate  infolge  von  Wahnideen, 
die  vom  Standpunkte  des  Kranken  aus  nichts  als  berechtigte  Notwehr  sind. 

So  ist  der  Charakter  der  Schizophrenen  so  mannigfaltig  wie  der  der 
Gesunden.  Allerdings  gibt  die  Gleichgültigkeit  allen  vorgeschrittenen  FäUen 
äußerhch  gemeinsame  Züge ;  auch  die  Neigung,  sich  abzuschheßen,  und  die  geringe 
Beeinflußbarkeit  sind  auffallende  Eigenschaften,  die  sich  oft  wiederholen, 
ebenso  die  Launenhaftigkeit  und  Eeizbarkeit.  Einzelne  behalten  trotz  aller 
Erschwernis  einen  liebenswürdigen  Charakter  bis  weit  in  die  Krankheit  hinein, 
andere  werden  zu  Scheusalen  der  verschiedensten  Kategorien,  rachsüchtig, 
grausam,  lügnerisch,  allen  Ausschweifungen  hingegeben.  Die  Krankheit  kann 
aber  auch  manche  ab  ovo  schlechte  Personen  durch  den  Energieverlust  un- 
schädlich, wahrscheinlich  aber  nicht  besser  machen. 

Die  niederen  Triebe  und  die  mit  ihnen  zusammenhängende  Gefühls- 
betonung körperlicher  Vorgänge  leiden  etwas  weniger  als  die  höheren 
Affekte,  aber  der  Unterschied  ist  nicht  so  groß,  daß  ein  solches  Verhalten  im 
einzelnen  Falle  regehnäßig  nachzuweisen  wäre.  Kraepelin  schildert  das  häufige 
Vorkommnis,  daß  die  Kranken  ohne  Gruß  oder  andere  Zeichen  gemütUcher 
Anregung  die  Besuche  ihrer  Angehörigen  empfangen,  aber  eifi'igst  deren  Taschen 
und  Körbe  nach  Eßwaren  durchstöbern,  die  sie  sich  sofort,  mit  vollen  Backen 
kauend,  bis  auf  den  letzten  Best  einzuverleiben  pflegen.  Umgekehrt  sind  viele 


Grundsymptome.  Affektivität. 


41 


den  kritisclien  Momenten  untersuchen. 


Die  Kranken  verhalten  sich  ihren  affektiven  Störungen  gegenüber  sehr 
verschieden.  Die  meisten  bemerken  sie  nicht,  halten  ihre  Keaktion  für  die 
normale  Intelligentere  aber  können  unter  Umständen  sehr  scharf  darüber 
räsonieren  Im  Anfang  empfinden  sie  dann  die  Gefühlsleere  geradezu  schmerzhch, 
so  daß  sie  leicht  mit  Melanchohkern  verwechselt  werden.  Emer  unserer  Kata- 
toniker  hielt  sich  für  „vergleichgültiget",  eine  Patientin  Jungs  konnte  nicht 
mehr-  beten  wegen  „Gefühlsverhärtung".  Später  verlegen  sie  die  Veränderung 
sehr  leicht  in  die  Außenwelt;  diese  kommt  ihnen  auch  aus  affektiven  Gründen 
schal,  leer,  anders  vor.  Das  „anders"  hat  oft  das  Timbre  des  UnheimHchen, 
Feindhchen.  —  In  anderer,  aber  sehr  charakteristischer  Weise,  sprach  sich  eine 
intelligelite  Patientin  Aschaff enburgs^)  aus.  Nach  einem  leichten  AnfaU 
befand  sie  sich  subjektiv  entschieden  besser  als  vorher;  denn  während  sie  vorher, 
sobald  in  der  Famihe  etwas  zu  helfen  war,  durch  ihre  moralischen  Gefühle  ge- 
zwungen war,  ihre  Euhe  oder  auch  ihre  Gesundheit  zu  opfern,  konnte  sie  nachher 
ohne  jede  Plage  von  selten  ihres  Gewissens  sich  selbst  leben.  —  Von  manchen 
Hebephrenen  wird  die  Gleichgültigkeit  bewußt  zur  Schau  getragen. 

GelegentHch  behaupten  die  Kranken,  starke  Affekte  zu  haben,  während 
das  ganze  Verhalten  dem  Beobachter  gar  keinen  oder  einen  andern  Affekt  an- 
deutet, als  der  Patient  in  sich  spüren  will  [vgl.  z.B.  Schott  (666),  S.  262].  Ob 
solche  Patienten  etwas  anderes  mit  dem  Namen  der  Affekte  bezeichnen  als  wir, 
oder  ob  sich  das  Phänomen  durch  Spaltung  der  Psyche  erklärt,  muß  ich  dahin- 
gestellt sein  lassen. 

Die  körperlichen  Erscheinungen  der  Affekte  entsprechen  nicht  immer, 
aber  doch  im  großen  und  ganzen  der  psychischen  Seite.  Manchmal  drückt  bloß 
eine  einzelne  Erscheinung,  wie  die  Veränderung  der  Atmung  (270  a),  eine  gemütliche 
Schwankung  aus. 

Besondere  Erwähnung  verdient  nur  das  psycho-galvanische  Phänomen 
(Veraguth,  Jung),  das  sich  auch  hier  als  Index  für  den  Ablauf  der  Affektivitäts- 
welle  bewährt.  Allerdings  sind  noch  weitere  Studien  sehr  erwünscht.  Wir  können 
zurzeit  nur  sagen,  daß  sich  die  Gleichgültigkeit  und  der  Stupor  in  ganz  geradem  Verlauf 
der  Ruhekurven  ausdrückt,  daß  sich  aber  auch  labile  Kurven  nicht  selten  finden, 
so  namentlich  bei  Halluzinanten.  Die  Reaktionen  auf  psychische  und  physische 
Reize  sind  im  ganzen  abgeschwächt,  in  schweren  Fällen  bis  auf  Null.  Ricksher  und 
Jung  fanden  bei  ihren  Paranoiden  verlangsamten  Verlauf  der  Schwankungen. 

^)  Mündliche  Mitteilung. 


42 


Scliizoplirenie. 


mrV     ^^       T  ^"^r'i^rr^  ^  ^^"^^e  und  Kehrer  (Archiv 

Ja  Psychologie,  Band  XL VII,  S.  945)  gefundene  Fehlen  der  Volumsschwankungen 
der  Glieder,  der  Puls-  und  Atmungsveränderungen  -unter  Schmerz-  und  Kälte- 
reizen  (vgl.  auch  die  Pupillenreflexe). 

*       ^  * 
* 

Besonders  auffällig  ist  die  bei  Schizophrenen  häufige  Parathymie.  Auf 
traurige  Botschaften  können  die  Kranken  mit  Fröhlichkeit  oder  doch  mit  Lachen 
reagieren;  auf  Erlebnisse,  die  anderen  angenehm  oder  gleichgültig  sind,  werden 
sie  manchmal  traurig  oder  noch  häufiger  gereizt;  der  bloße  alltägUc'he  Gruß 
kann  sie  aus  der  Fassung  bringen.  Manchmal  Imüpfen  sie  erotische  Gefühle 
an  irgend  etwas  oder  jemanden,  der  gar  nicht  dazu  geeignet  erscheint;  eine 
Patientin  erzählt,  das  Badewasser  sei  vergiftet  gewesen,  es  habe  einen  ganz 
bitteren  Geschmack  gehabt,  dabei  lacht  sie  aber  in  erotisch  verschämter  Weise. 
Andere  Kranke  lieben  Nebenpatienten  ohne  Eücksicht  auf  Geschlecht,  Häßlich- 
keit und  eventuelle  Ekelhaftigkeit  derselben.  Sie  erzählen  lachend  von  ihren 
halluzinatorischen  Qualen,  stellen  sich  mit  vergnügter  öliene  als  Unglücks- 
wesen hin  (Foersterling,  S.  288).  Eine  besonders  häufige  Form  der  Para- 
thymie ist  das  laute  Herauslachen  ohne  Anlaß  oder  bei  ganz  unpassenden 
Gelegenheiten.  Die  Parafunktion  der  Affekte  kann  sich  auch  in  den  quanti- 
tativen Verhältnissen  der  Gefühle  untereinander  ausdrücken,  so  wenn  eine 
Patientin  Masseions  bei  der  Nachricht  vom  Tode  des  Bruders  laut  auflacht, 
weil  sie  sich  freut,  Briefe  mit  schwarzem  Eand  zu  bekommen,  während  sie  den 
Verlust  des  Bruders  nicht  mit  Gefühlen  betont. 

Auf  dem  Gebiete  des  Geschmackes  und  des  Geruches  sind  die  Para- 
thymien  oft  sehr  in  die  Augen  fallend.  Viele  Kranke  verschhngen  mit  Behagen 
Dinge,  die  den  Gesunden  nur  unangenehme  Empfindungen  machen:  Käfer, 
Sägespäne,  Drähte,  Löffel,  Erde,  Petrol,  und  dann  namenthc-h  häufig  die 
eigenen  flüssigen  und  festen  Exkremente.  Ein  Katatoniker,  den  ich  fragte, 
warum  er  seinen  Urin  trinke,  gab  mir  zur  Antwort:  ,,Herr  Direktor,  wenn  Sie 
das  einmal  versucht  hätten,  so  würden  Sie  nie  mehr  etwas  anderes  trinken," 
und  dabei  machte  er  ein  selig  verzücktes  Gesicht. 

Nicht  immer  läßt  sich  die  Parathymie  von  der  Paramimie  unterscheiden. 

Eine  unserer  Katatonischen,  die  bei  der  Aufnahme  melanchohsch  erschien, 
erzählte  bald  nachher  die  Aufnahmsformalitäten  in  ganz  angenehmem  Sinne;  der 
Händedruck  des  Arztes  z.  B.  sei  ihr  als  etwas  HeiUges  erschienen.  Eine  andere  Katato- 
nika  geht  auf  eine  Pflegerin,  die  sie  ganz  gerne  hat,  zu  und  sagt  ihr  ohne  jeden  Grund 
mit  der  freundlichsten  Miene  und  im  hebevollsten  Ton;  „ich  meine,  ich  wolle  dir  gleich 
die  Schnauze  verhauen,  so  eine  nennt  man  doch  einen  Sauhund".  Eine  ^dritte 
Patientin  tanzt  und  trällert  ein  lustiges  Lied,  macht  aber  dazu  ein  verzweifeltes 
Gesicht  und  eine  traurige  Stimme. 

Zu  einer  Art  Paramimie  führt  auch  der  oben  erwähnte  Mangel  an  Ein- 
heithchkeit  im  Ausdi'uck.  Eine  Patientin  beklagte  sich  über  ihre  Stimmen  und 
Körperhalluzinationen:  Mund  und  Stirne  zeigten  deuthchen  Abscheu,  die  Augen 
freudige  Erotik;  nach  einiger  Zeit  nahm  auch  der  Mund  den  Ausdruck  der 
Fröhlichkeit  an,  während  die  Stirne  finster  und  gerunzelt  bheb.  Sie  gab  selber 


Grundsymptome.  Ambivalenz. 


43 


an,  daß  die  Gefühle,  die  sie  als  unangenehm  beschrieben,  in  gewisser  Beziehung 
auch  angenehm  gewesen  seien.  So  können  alle  einzelnen  Bestandteile  der  Mimik 
(inklusive  Stimme,  Haltung,  Bewegung  der  Hände,  der  Füße  usw.)  dissoziiert 
und  untereinander  widersprechend  reagieren. 

y)  Die  Ambivalenz. 

Die  Neigung  der  schizophrenen  Psyche,  die  verschiedensten  Psychismen 
zugleich  mit  negativem  und  positivem  Vorzeichen  zu  versehen  (Ambi- 
valenz), ist  zwar  nicht  immer  sehr  ausgebildet.  Doch  findet  man  sie 
bei  längerer  Beobachtungsdauer  meist  auch  in  leichten  Fällen,  und  sie  ist 
eine  so  direkte  Folge  der  schizophrenen  Assoziationsstörung,  daß  ein  vollständiges 
Fehlen  unwahrscheinlich  wird.  Wir  führen  sie  deswegen  unter  den  Grund- 
symptomen an. 

Die  nämliche  Vorstellung  kann  zu  gleicher  Zeit  mit  angenehmen  imd  un- 
angenehmen Gefühlen  betont  sein  (affektive  Ambivalenz):  der  Gatte  liebt 
und  haßt  seine  Frau.  Die  Halluzinationen  berichten  der  Mutter  den  ,, ersehnten" 
Tod  des  Kindes  vom  imgehebten  Manne,  sie  bricht  in  nicht  endenwollendes 
Jammern  aus.  Sie  hat  die  größte  Angst,  man  wolle  sie  erschießen,  und  bittet 
die  Umgebung  beständig,  man  solle  sie  erschießen.  Sie  meint,  es  stehe  draußen 
ein  schwarzer  Mann;  nun  fleht  sie  im  buntesten  Durcheinander,  unter  Aufwand 
von  Tränen,  Anklammern  und  Gewalt  ebenso  oft,  man  solle  sie  hier  behalten, 
vne,  man  solle  sie  zu  dem  Manne  hinausgehen  lassen;  sie  verbigeriert :  ,,Du 
Teufel,  du  Engel,  du  Teufel,  du  Engel"  (gemeint  ist  der  Gehebte). 

Bei  der  Ambivalenz  des  Willens  („Ambitendenz")  will  der  Patient 
zugleich  essen  und  nicht  essen;  er  setzt  Dutzende  von  Malen  an,  den  Löffel  zum 
Munde  zu  führen,  bringt  es  aber  nicht  fertig  oder  macht  ganz  andere  unnütze 
Bewegungen.  Er  drängt  aus  der  Anstalt,  widersetzt  sich  aber  unter  lebhaftem 
Schimpfen,  wenn  man  ihn  entlassen  will.  Er  verlangt  Ai-beit,  ärgert  sich  aber, 
wgnn  man  ihm  welche  anweist,  und  kann  sich  nicht  entschließen,  sie  zu  tun. 
Er  macht  sich  in  einem  ersten  Anfall  schwere  Gewissensbisse,  daß  er  einmal  in 
der  Jugend  einem  andern  Knaben  am  Penis  gesaugt  habe,  sucht  aber  einige 
Jahre  später  mit  beständiger  roher  Gewalt  den  anderen  Patienten  am  Penis 
zu  saugen.  Die  Stimmen  raten  ihm,  er  solle  sich  ertränken,  und  verspotten 
ihn  zu  seiner  Verwunderung  im  gleichen  Satze  deshalb,  weil  er  sich  erträn- 
ken wiU. 

Intellektuelle  Ambivalenz  ist  es,  wenn  der  Patient  in  einem  Atemzug 
sagt:  „Ich  bin  der  Dr.  A.;  ich  bin  nicht  der  Dr.  A."  oder:  „Ich  bin  ein 
Mensch  wie  ihr,  wenn  ich  auch  kein  Mensch  bin"  (Foersterling).  Solohe  Reden 
hört  man  recht  häufig,  und  zwar  ohne  daß  im  zweiten  Satz  den  gleichen  W^orten 
eme  andere  Bedeutung  gegeben  wäre  als  im  ersten  (bei  Foersterlings  Patienten 
wäre  noch  an  eine  solche  Unldarheit  zu  denken). 

Ein  philosophisch  gebildeter  Katatoniker  machte  selbst  die  Beobachtuncr  • 
„Wenn  man  emen  Gedanken  ausspricht,  sieht  man  immer  einen  Gegengedanken 
Das  verstärkt  sich  nun  und  geht  so  schnell,  daß  man  wieder  nicht  weiß,  welcher 
der  erste  war    und  in  naiverer  Weise  meinte  ein  anderer,  den  ich  darauf  auf- 
merksam machte,  daß  er  seiner  Frau  auf  einen  sehr  freundlichen  Brief  einen 


44 


Schizoplirenie. 


Abschiedsbrief  schreibe:  „Ich  hätte  ebensogut  einen  andern  Brief  schreiben 
können;  guten  Tag  sagen  oder  Abschied  nehmen,  das  ist  das  Gleiche." 

So  kann  man  auch  behebig  oft  konstatieren,  daß  die  Patienten  den  Wider- 
spruch gar  nicht  merken,  wenn  man  ihre  negative  Antwort  positiv  nimmt.  Ich 
frage  einen  Kranken:  ,, Haben  Sie  Stimmen?"  Er  verneint  es  bestimmt.  Ich 
fahre  fort:  ,,Was  sagen  sie  denn?"  —  ,,Na,  allerlei,"  Oder  es  kommt  nun  sogar 
ein  bestimmtes  Beispiel  als  Antwort.  —  Noch  öfter  ergibt  sich  aus  Reden  und 
Benehmen  der  Kranken,  daß  sie  einen  Gedanken  zugleich  positiv  und  negativ 
denken,  wenn  das  auch  nicht  immer  so  in  die  Augen  springt  wie  in  der  Satz- 
folge: ,,Sie  hatte  kein  Taschentuch;  mit  dem  Taschentuch  hat  sie's  erwürgt." 
Es  gehört  hierher,  wenn  eine  Idee  durch  ihr  Gegenteil  ausgedrückt  wird:  Ein 
Patient  beklagt  sich,  daß  ihm  der  Hauptschlüssel  weggenommen  werde,  während 
er  verlangen  will,  daß  man  ihm  den  Hauptschlüssel  gebe.  In  der  ,, Grundsprache" 
Schrebers  heißt  ,,Lohn":  „Strafe",  „Gift":  ,, Speise"  usw. 

Die  drei  Formen  der  Ambivalenz  lassen  sich,  wie  schon  aus  einzelnen 
der  Beispiele  hervorgeht,  nicht  scharf  auseinander  halten.  Affektivität  und 
Willen  sind  ohnehin  nur  Seiten  einer  einheithchen  Funktion;  aber  auch  die 
intellektuellen  Gegensätze  sind  oft  von  den  affektiven  nicht  zu  trennen.  Die 
Mischung  von  Größenwahn  mit  Verfolgungswahn  und  Kleinheitswahn  ergibt 
sich  aus  Wunsch  und  Befürchtung  oder  daraus,  daß  der  eigene  Wert  bald  bejaht, 
bald  verneint  wird.  Der  Patient  ist  besonders  mächtig,  und  er  ist  zugleich 
machtlos;  der  Gehebte  oder  die  Beschützer  werden  ganz  alltäghch  auch  die 
Verfolger,  ohne  die  erste  Rolle  aufzugeben.  Seltener  ist  es,  daß  Feinde  zu 
Gönnern  werden  (eine  kathohsche  Paranoide  war  ältkathohsch  geworden,  wähnte 
sich  dann  vom  Papst  verfolgt,  der  ihr  aber  schUeßhch  viele  Millionen  schenken 
woUte).  Ähnlich  ist  es,  wenn  sich  viele  Kranke  zwar  über  Verfolgung  beklagen, 
aber  meinen,  daß  diese  zu  ihrer  Belehrung,  Besserung  oder  als  Vorstufe  zur 

Erhöhung  dienen  müsse. 

Wieder  etwas  anders  zeigt  sich  die  gemischte  Ambivalenz  auch  in  den> 
folgenden  Beispielen:  eine  Patientin  rühmt  und  schilt  ihren  Mann,  ihre  Ver- 
mögensverhältnisse; auch  noch  vieles  andere  sagt  sie  durcheinander  positiv  und 
negativ  es  ist  ganz  unmöghch  zu  verstehen,  in  welchem  Sinne  sie  es  denkt.  — 
Ein  Hebephrene  setzt  mit  großem  Affekt  in  schimpfendem  Tone  auseinander 
daß  ihm  die  Zeit  in  der  Anstalt  nie  zu  lang,  sondern  zu  kurz  sei,  wobei  er  sich 
nicht  etwa  versprochen  hatte;  er  hatte  aber  einige  Zeit  vorher  auf  „lang 
assoziiert  „Zeit".  -  Die  Kranken,  die  glauben,  der  Arzt  wolle  sie  vergiften,  und 
ihn  dennoch  festhalten,  oder  die  sich  bitter  über  Ärzte  und  Wärter  beldagen, 
um,  wie  als  Fortsetzung  des  Vorhergesagten,  im  nächsten  Augenbhck  ihr  dank- 
bares Herz  überschwenghch  über  sie  auszuschütten,  sind  bekannt. 

Die  Ambivalenz  hat  auch  aUe  Übergänge  zum  Negativismus  namentlich 
im  Form  der  Ambitendenz.  Ferner  werden  wir  sehen,  daß  sie  bei  der  Ausge- 
staltung der  Wahnideen  von  Bedeutung  ist. 

b)  Die  intakten  Funktionen. 

Zum  Unterschied  von  den  organischen  Psychosen  finden  wir  bei  der 
Schizophrenie  mit  unseren  gegenwärtigen  Untersuchungsmitteln  Empfindung, 


Grundsymptome.  Empfindung  und  Wahrnehmung. 


45 


Gedächtnis,  ,.Bemißtsein'-  und  Motilität  nicht  direkt  gestört.  Em  ganz  inten- 
siver Krankheitsprozeß  kann  vieUeicht  auch  diese  Funktionen  alterieren;  wir 
können  aber  daraus  entstehende  Störungen  in  keinem  FaUe  von  den  sekundären 
miterscheiden.  Die  Anomahen,  die  wir  auf  diesen  Gebieten  kennen  sind  alle 
sekundäre  und  somit  zufällige  Erscheinungen,  obschon  sie  wie  z.  B  die  Hallu- 
zinationen oft  das  ganze  Krankheitsbild  beherrschen.  Sie  sind  unter  den  „akzes- 
sorischen" Symptomen  anzuführen. 

Man  findet  in  der  Literatur  Berichte  über  Alterationen  dieser  Funktionen. 
Sie  beruhen  aber  auf  Täuschungen  durch  den  Negativismus,  die  Gleichgültigkeit 
und  Denkfaiüheit,  namentiich  aber  durch  das  In-den-Tag-hinemantworten  der 
Kranken.  Diese  und  ähnliche  Fehlerquellen  hat  Masseion  übersehen,  wenn  er 
(457,  S.  115)  sagt,  es  sei  selten,  daß  die  Kranken  das  Jahr,  den  Monat,  den  Tag  kennen; 
ja  die  Jahreszeiten  sollen  sie  nach  ihm  oft  "nicht  wissen.  Man  muß  sich  immer 
auf  indirektem  Wege  gründlich  über  die  Kenntnisse  der  Kranken 
informieren;  aus  bloßen  negativen  Antworten  darf  man  nie  auf  ein 
Nichtwissen  schließen.  Die  einfache  Frage  nach  der  Jahrzahl  wird  z.  B. 
sehr  häufig  falsch  beantwortet,  während  die  gleichen  Kranken,  etwa  wenn  sie  einen 
Brief  schreiben,  sich  vollständig  im  Datum  orientiert  zeigen.  Eine  aus  der  Straf- 
anstalt hergekommene  Patientin  „weiß"  die  Jahreszahl  1899  nicht,  sie  gibt  aber 
gleich  nachher  an,  sie  sei  „1897  ins  Gefängnis  gekommen,  also  zwei  Jahre  dort  ge- 
wesen". 

Häufig  werden  Störmigen  dadurch  vorgetäuscht,  daß  Untersucher  und  Unter- 
suchter nicht  die  gleiche  Sprache  sprechen.  Der  Patient  nimmt  symbohsch,  was  der 
Arzt  im  eigentUchen  Sinne  versteht.  So  behauptet  ein  Kranker,  er  könne  nicht 
sehen,  er  sei  bhnd,  während  er  ganz  gut  sieht,  aber  die  Dinge  nicht  „als  Wirklichkeit" 
wahrnimmt.  Eine  Patientin,  die  im  übrigen  viele  Beweise  richtiger  zeithcher  Orientie- 
rung gegeben  hatte  und  sich  seit  vielen  Wochen  in  der  Anstalt  aufhielt,  behauptete 
auf  die  Frage,  wie  lange  sie  hier  sei,  mit  großer  Bestimmtheit,  sie  sei  drei  Tage  da. 
Diese  Zeitbestimmung  von  drei  Tagen  war  ihr  aber  identisch  mit  der  „mein  ganzes 
Leben".  Sie  gab  dann  selber  die  Erklärung,  daß  der  erste  Tag  der  gewesen  sei,  da 
,sie  in  ihrer  frühesten  Jugend  sich  sittlich  vergangen  habe,  der  zweite,  da  sie  das  gleiche 
als  erwachsene  Tochter  getan,  der  dritte  sei  jetzt  noch  nicht  fertig;  letzteres  in  un- 
zweideutigem HinbUck  darauf,  daß  sie  die  Liebe  auf  den  Abteilungsarzt  übertragen 
hatte.  Ebenso  häufig  kommt  das  Umgekehrte  vor;  irgend  eine  uneigentHche  Redens- 
art wird  vom  Patienten  wörtlich  genommen. 

Besonders  wichtig  ist  es  zu  wissen,  daß  die  Kranken  in  vielen  Beziehungen 
eine  doppelte  Buchführung  haben.  Sie  kennen  ebensogut  die  richtigen  Ver- 
hältnisse wie  die  verfälschten  und  antworten  je  nach  den  Umständen  im  Sinne  der 
einen  oder  der  andern  Art  der  Orientierung  —  oder  beider  zugleich,  letzteres  namentUch 
häufig  bei  Personenverkennungen :  Der  Arzt  „ist  jetzt  da  als  Dr.  N."  (sc.  zu  anderen 
Zeiten  ist  er  der  frühere  Gehebte). 

a)  Die  Empfindung  und  Wahrnelimung. 

Die  Empfindung  äußerer  Kelze  an  sich  geht  normal  von  statten.  Die 
Kranken  beklagen  sich  zwar  etwa  darüber,  daß  alles  anders  erscheine  als  sonst, 
und  wir  konstatieren  nicht  selten  den  Mangel  des  „Bekanntheitsgef ühles" ;  da 
handelt  es  sich  aber  um  den  Ausfall  von  gewohnten  Assoziationen  (vgl.  Kapitel 
„Sinnestäuschungen")  und  namentlich  um  Veränderung  der  Gefühlsbetonung 
(siehe  oben),  nicht  um  Empfindungsstörung;   auch  dem  Normalen  kommen 


46 


Schizophrenie. 


unter  Linstanden  gewisse  Wahrnehmungen  auf  einmal  anders  vor  als  sonst 
und  die  „graue  Färbung  der  Welt"  kennen  wir  von  der  Melancholie  her.  Noch 
häufiger  mmmt  man  an,  daß  die  Empfindungen,  die  uns  von  den  Organen 
des  Korpei;s  zugehen,  bei  der  Krankheit  alteriert  seien,  und  man  hat  darauf 
eme  Anzahl  von  komphzierteren  Symptomen  zurückführen  wollen.  Es  ist  aber 
unmoghch,  die  Sensationen  der  Patienten  von  Halluzinationen  und  Illusionen 
zu  unterscheiden,  zu  denen  sicher  viele,  wenn  nicht  alle,  dieser  Parästhesien 
geboren.  Jedenfalls  kann  man  häufig  nachweisen,  daß  solche  Empfindungen 
die  Folge  von  affektbetonten  Vorstellungen  sind,  während  eine  primäre 
Empfmdungsstorung  noch  nicht  sicher  nachgewiesen  ist. 

Rosenfeld  (626/7)  behauptet,  daß  bei  der  Katatonie  der  stereognostische 
hmn  häufig  gestört  sei.   Ich  habe  das  trotz  eifrigem  Suchen  nicht  gesehen  und 
kann  den  Verdacht  nicht  los  werden,  der  Autor  habe  sich  durch  den  Negativismus 
die  Sperrungen  oder  den  schlechten  Willen  der  Patienten  täuschen  lassen. 

Wiersma  hat  bei  drei  Fällen  von  „Paranoia"  Verlängerung  der  Reiz- 
nachwirkung beobachtet,  doth  nicht  so  konstant,  daß  man  schon  Schlüsse  aus 
dieser  Notiz  ziehen  könnte. 

Nicht  selten  ist,  auch  bei  ganz  besonnenen  Patienten,  vollständige  Anal- 
gesie vorhanden,  die  sowohl  die  tiefen  Teile  wie  die  Haut  betrifft.  Die  Kranken 
können  sich  deshalb  absichtlich  oder  unabsichthch  schwere  Verletzungen  zu- 
fügen, ein  Auge  ausdrücken,  sich  auf  den  heißen  Ofen  setzen  und  die  Glutäen 
verbrennen  usw.  Nach  Alter  (11,  S.  252)  kann  die  Schmerzempfindung  durch 
die  Aufmerksamkeit  ausgelöscht  werden. 

Auch  bei  der  Wahrnehmung,  die  wir  bei  imseren  Beobachtungen  nicht 
immer  scharf  von  der  Empfindung  zu  trennen  vermögen,  kennen  wir  bis  jetzt 
keine  primären  Störungen;  denn  die  Halluzinationen  und  Illusionen  dürfen 
wir  natürhch  nicht  dazu  rechnen.  Ebenso  wenig  ist  es  eine  Wahrnehmungs- 
störung, wenn  die  Bannung  die  Kranken  nicht  von  einem  Sinneseindruck 
loskommen  läßt,  oder  wenn  Sperrungen  die  Empfindungen  und  Wahr- 
nehmungen vom  Bewußtsein  abschheßen.  Letzteres  ist  nicht  so  selten. '  Ein 
hebephrener  Student  beklagte  sich,  daß  er  manchmal  plötzlich  vom  Vortrag 
nichts  mehr  höre;  es  sei,  wie  wenn  er  taub  würde;  ein  anderer  sah  auf  einmal 
nichts  mehr,  was  er  sich  durch  irgend  einen  geheimnisvollen  Einfluß  erklärte; 
eine  Katatonika  hat  ,,wie  einen  Schlag";  es  ist  dann  plötzlich,  wie  wenn  ihr 
die  Ohren  zugingen,  sie  hört  nur  noch  den  Schall,  versteht  aber  nichts. 

Busch  und  Kraepelin  haben  gefunden,  daß  die  Schizophrenen  bei  Wahr- 
nehmungsversuchen am  Schußplattenapparat  wie  an  der  Drehtrommel  mehr  Fehler 
und  namenthch  mehr  Auslassungen  aufweisen  als  die  Gesunden.  Die  Zahl  der  richtigen 
Lesungen  ist  etwas  vermindert,  bewegt  sich  aber  bei  manchen  Kranken  innerhalb 
der  Breite  der  Gesunden.  Natürlich  haben  die  akuten  und  besonders  die  stuporösen 
Kranken  die  schlechtesten  Resultate.  Die  Versuche  weisen  aber  mit  Deutlichkeit 
darauf  hin,  daß  man  es  im  wesentUchen  nicht  mit  einer  Wahrnehmungsstörung, 
sondern  mit  Störungen  der  Aufmerksamkeit  und  des  höheren  Interesses  zu  tun  hat. 
Auch  die  Neigung  zu  Stereotypien  spielt  in  manchen  Fällen  eine  Rolle.  Ebenso 
die  Schwierigkeit,  Vorstellungen  von  Wahrnehmungen  zu  unterscheiden.  Die  Kranken 
haben  bei  falschen  Lesungen  von  ungenau  Erfaßtem  mehr  Sicherheitsgefühl  als  die 
Gesunden.  Charakteristisch  ist,  daß  die  Autoren  bei  emer  Patientin,  die  sie  als  Hy- 
sterika  auffassen,  die  nämlichen  Störungen  fanden  wie  bei  den  Schizophrenen. 


Gi-undsymptome.  Orientierung. 


47 


An  anderem  Orte  führt  Kraepelin  (388,  Bd.  II,  S.  177)  an,  daß  sehr  kurz 
einwirkende  Reize  regelmäßig  sehr  unvollkommen  wahrgenommen  werden  Mit 
exakten  Apparaten  konnten  wir  die  Versuche  nicht  nachprüfen.  Die  Beobachtung 
der  Reaktion  auf  äußere  Reize,  beim  Spielen,  bei  Prügeleien,  die  Untersuchung  mit 
mö<-lichst  kurz. dauerndem  Vorzeigen  von  Bildern,  haben  uns  aber  bei  gutem  Willen 
und  guter  Aufmerksamkeit  der  Patienten  (und  bei  Fehlen  von  „Benommenheit  ) 
noch  keine  Anomalien  der  Auffassung  ergeben,  wenn  wir  Negativismus,  Interesse- 
losigkeit, affektive  Abspaltung,  Benommenheit  u.  dgl.  ausschließen  konnten.  Sogar 
in  Ausgesprochen  deliriösen  Zuständen  können  Kranke  aus  dem  Ton  von  Schritten, 
entferntem  Räuspern  u.  dgl.  mindestens  so  gut  auf  das  Nahen  bestimmter  Personen 
schließen  wie  Gesunde.  Wir  möchten  deshalb  die  Frage  noch  offen  lassen,  ob  es  sich 
bei  den  Kraepelinschen  Ergebnissen  nicht  um  Störungen  der  Aufmerksamkeit, 
der  Ideenassoziationen  oder  anderer  zentraler  Vorgänge  handelt.  Kraepelin  selber 
fügt  jener  Mitteilung  hinzu,  „daß  die  Kranken  neben  spärlichen  richtigen  immer  eine 
ganz  ungewöhnlich  große  Anzahl  von  völlig  falschen  Angaben  machen,  ein  Zeichen 
dafür,  daß  die  Neigung  zu  willkürlichem  Vorbringen  beliebiger  sich  darbietender 
Vorstellungen  gesteigert  war". 

fS)  Die  Orientierung. 

Auch  die  Verarbeitung  der  Wahrnehmungen  zur  räumlichen  und 
zeitlichen  Orientierung  ist  eine  ganz  gute;  sogar  delirierende  Schizophrene 
sind  zum  großen  Teil  im  Raum,  ja  auch  in  der  Zeit  orientiert.  Immerhin  sind 
hier  starke  sekundäre  Störungen  nicht  selten.  Massenhafte  Halluzinationen 
können  der  Psyche  statt  der  wirkhchen  Wahrnehmungen  eine  solche  Menge 
falscher  Bilder  der  Umgebung  beibringen,  daß  die  richtige  Auffassung  unnaöghch 
wird.  Wer  um  sich  einen  Königssaal,  nicht  aber  die  Krankenabteilung  sieht, 
ist  natürhch  während  cheser  Zeit  nicht  imstande,  sich  richtig  zu  orientieren. 
Wer  aus  Komplexgründen  in  der  Zeitrechnung  acht  Tage  voraus  zu  sein  wähnt, 
wird  in  den  meisten  Zusammenhängen  ein  verfrühtes  Datum  nennen.  Wer  die 
Wahnidee  hat,  mit  Christus  auf  der  Welt  gewesen  zu  sein,  kann  seine  Geburt 
und  sein  Alter  um-  richtig  angeben,  wenn  er  diese  Idee  gerade  nicht  berück- 
sichtigt. Er  wird  also  bald  richtig,  bald  falsch  antworten,  je  nach  der  Kon- 
stellation. Überhaupt  tritt  die  doppelte  Buchführung  nirgends  so  hervor 
wie  bei  der  Orientierung.  Ein  Patient  kann  jahrelang  fast  nichts  als  Wortsalat 
sagen  und  dementsprechend  handeln  und  daneben  alles,  was  um  ihn  geht, 
auf  Tag  und  Stunde  registrieren. 

Die  Orientierung  in  der  allgemeinen  Situation,  die  Erkenntnis 
des  eigenen  Verhältnisses  zu  den  Nebenmenschen  und  deren  Strebungen  und 
Einrichtungen  beruht  auf  recht  verwickelten  Verstandesschlüssen,  die  bei  unseren 
Kranken  häufig  unmöghch  sind,  teils  infolge  der  Assoziationsstörung,  teils  infolge 
von  Wahnideen.  Wer  zu  seinen  logischen  Operationen  nicht  mehr  alle  die  Assozia- 
tionen herbeiziehen  kann,  die  sich  auf  seine  Stellung  zu  den  Vorgesetzten  be- 
ziehen, der  kann  sich  auch  kein  klares  Bild  über  seine  Position  verschaffen,  und 
wer  sich  durch  Intrigen  verborgener  Feinde  in  der  Anstalt  interniert  glaubt, 
kann  nicht  ermessen,  daß  es  für  ihn  am  besten  sei,  daselbst  zu  bleiben.  So  ist 
denn  bei  Schizophrenie  diese  Orientierung  in  der  eigenen  Lage 
sehr  häufig  gestört,  bei  den  Anstaltskranken  sogar  fast  immer. 

Die  Orientierung  in  Raum  und  Zeit  aber  ist  nie  primär  gestört. 


I 


48  o 

Schizophrenie. 


Y)  Das  Gedächtnis. 

Auch  das  Gedächtnis  als  solches  leidet  bei  der  Krankheit  nicht.  Die 
Patienten  reproduzieren  so  gut  wie  Gesunde  ihre  Erlebnisse  aus  der  Zeit  vor/ 
und  nach  der  Erkrankung  —  in  vielen  Fällen  die  letzteren  sogar  besser  als  Ge- 
sunde, indem  sie  registrieren  wie  die  photographische  Kammer,  die  das  Un- 
wesenthche  ebensogut  fixiert  wie  das  Wichtige.  So  können  sie  oft  mehr  Einzel- 
heiten angeben,  als  ein  Normaler  erzählen  würde,  was  z.  B.  bei  Tatbestand- 
untersuchungen in  der  Anstalt  von  Vorteil  sein  kann.  Auch  Daten  und  ähnhche 
Äußerhchkeiten  halten  die  Kranken  oft  mit  bewunderungswürdiger  Zähigkeit 
fest,  und  besonders  manche  Paranoide  sind  imstande,  von  allen  Ereignissen, 
über  die  sie  in  ihren  langen  Eingaben  berichten,  auch  das  Datum  anzugeben. 
„Ich  kenne  Fälle  von  Paranoia,  bei  denen  eine  eigenartige  Alteration  des 
Gedächtnisses  auffällt,  die  fast  wie  eine  Art  Hyperfunktion  (Hypermnesie)  aus- 
sieht. Die  betreffenden  Paranoiker  erinnern  sich  jedes  noch  so  geringen  Details 
einer  längst  vergangenen  Begebenheit  .  .  .  i)". 

Die  allmähliche  Usur  der  Erinnerungen  fehlt  natürlich  bei  unseren  Kjanken 
nicht.  Manche  Schulkenntnisse  gehen  mit  der  Zeit  verloren.  Wemi  man  aber 
vergleicht,  was  der  Normale  alles  wieder  vergißt,  z.  B.  von  seiner  Gymnasial- 
gelehrsamkeit, so  muß  man  oft  staunen,  wieviel  vom  Erinnerungsschatz  bei 
unseren  Kranken  noch  hängen  geblieben  ist.  Sogar  körperliche  Fertigkeiten, 
bei  denen  nach  der  gewöhnlichen  Anschauung  auch  die  Übung  der  Gelenke  und 
Muskeln  eine  Eolle  spielen  sollte,  können  nach  vieljähriger  Pause  plötzUch 
wieder  benutzt  werden,  wie  wenn  sie  immer  geübt  worden  wären.  Eine  Kata- 
tonische, die  während  dreißig  Jahren  sozusagen  keine  normale  Bewegung  gemacht 
und  seit  Jahren  kein  Klavier  mehr  berührt  hat,  kann  plötzhch  irgend  ein 
technisch  schwieriges  Stück  richtig  und  mit  Ausdruck  spielen. 

Trotzdem  hören  wir  in  den  Anamnesen  alltäghch,  daß  die  „Vergeßlichkeit" 
eines  der  ersten  oder  eines  der  wichtigsten  Symptome  der  Krankheit  gewesen 
sei,  und  die  Patienten  selber  Idagen  häufig  über  ihr  Gedächtnis.  Auch  Beob- 
achter wie  Masseion  (457,  S.  105)  finden  das  „Gedächtnis"  bei  der  Dementia 
praecox  geschwächt.  Dieser  Autor  will  sogar  gefunden  haben,  es  sei  schlecht 
für  kompHziertere  Dinge,  gut  für  einfache  (S.  117)^). 

Auch  Ziehen  findet  bei  allen  seinen  „Defektzuständen"  Gedächtnis- 
schwäche, wenn  auch  bei  der  „sekundären  Demenz"  zunächst  nicht  so  deutlich 
wie  bei  der  Paralyse  3). 


1)  Berze  (58,  S.  443).  Der  Autor  zählt  unser  Paranoid  zur  Paranoia. 

2)  Masseion  meint  auch  (S.  110),  es  können  keine  Details  wiedergegeben  werden; 
auch  das  ist  unrichtig.  Wenn  er  ferner  erwähnt,  daß  eine  HebammenschiUerin  alle  ihre 
während  des  Studiums  erworbenen  Kenntnisse  verloren  habe,  sich  aber  an  die  Kindlieit 
erinnere,  so  ist  das  ein  Zufall,  der  in  den  Komplexen  der  Patienten  hegen  muß  —  oder  auch 
in  der  Art  des  Fragens.  Fichtig  beobachtet  ist  dagegen,  wenn  Masseion  eme  „Stereotypie 
des  Gedächtnisses"  findet:  es  kommt  whklich  häufig  vor,  daß  auch  die  Gedachtms- 
leistungen,  wie  andere  Funktionen  sich  stereotypieren,  so  daß  bei  nur  entferntem  Anschlagen 
eines  bestimmten  Themas  ünmer  wieder  das  gleiche  Gedächtnismaterial,  oft  sogar  mit  den- 
selben Worten,  reproduziert  wird.  .    ,    ,     .  ,  ^  1 1  •    „  v.. 

3)  Auch  bei  der  Idiotie  respektive  Imbezillität  ist  mur  trotz  mcht  ganz  kleiner  Er- 
fahrung die  Gedächtnisschwäche  nicht  begegnet,  obschon  sie  da  auch  noch  andere  Autoren 
£,ls  Ziehen  beschreiben.  Unsere  Begriffe  von  „Gedächtnis"  müssen  voneinander  abweichen. 


Grundsymptome.  Gedächtnis. 


40 


Der  scheinbare  Widerspruch  ist  sehr  leicht  zu  heben.  Gut  ist  eben 
bei  der  Schizophrenie  die  Registrierung  des  Erf ahrungsmaterials 
und  die  Aufbewahrung  der  Gedächtnisbilder.  Gestört  kann  aber 
sein  die  Reproduktion  des  Erlebten  in  einem  bestimmten  Moment,  was 
selbstverständlich  erscheint,  wenn  man  bedenkt,  daß  dieselbe  auf  dem  Wege 
der  Assoziationen  geschehen  muß,  daß  sie  von  der  Affektivität  beeinflußt  wird, 
und  daß  gerade  diese  beiden  Funktionen  bei  der  Schizophrenie  besonders  stark 
leiden. 

Die  Sperrungen  sind  beim  Reproduzieren  von  Erinnerungen  während  der 
ärzthchen  Untersuchung  recht  häufig  und  hindern  zeitweise  die  Wiederbelebung 
der  Gedächtnisbilder,  vor  allem  die  der  gefühlsbetonten  Komplexe.  Die  Ent- 
gleisimgen  der  Assoziationen  bringen  falsche  Antworten  in  Menge  hervor:  die 
Interesselosigkeit  oder  gar  negativistische  Tendenzen  verhindern  eine  richtige 
Überlegung  und  begünstigen  das  In-den-Tag-hineiuantworten  und  das  Vor- 
beireden. 

So  ist  es  selbstverständhch,  daß  wir  beim  Ausfragen  der  Schizophrenen 
sehr  häufig  gar  keine  oder  falsche  Antworten  bekommen;  ob  nun  die  Ant- 
wort eine  Leistung  des  Gedächtnisses  oder  eine  Überlegung  ver- 
lange, das  Resultat  ist  in  der  Regel  ungefähr  gleich;  die  Kranken 
antworten  auch  ebenso  unrichtig,  wenn  sie  etwas  Aktuelles  er- 
läutern sollten.  Daraus  ersehen  wir,  daß  wir  die  Störung  nicht  ins  Gedächtnis 
verlegen  dürfen.  Natürüch  laufen  kompHziertere  und  weniger  geübte  Funktionen 
mehr  Gefahr  an  einer  dieser  Klippen  zu  scheitern  als  einfache  und  alltägUche, 
so  daß  Masseion  in  gewisser  Beziehung  recht  bekommt.  Wenn  man  aber  das 
numerische  Verhältnis  beachtet  zwischen  dem  Versagen  der  einfachen 
Operationen  und  der  komplizierteren,  so  muß  man  zu  der  Überzeugung  kommen, 
daß  die  einfachen  psychischen  Tätigkeiten  durch  den  pathologischen 
Prozeß  ebensowohl  getroffen  sind  wie  die  komplizierteren;  der  Einfluß  der 
Krankheit  wird  nur  bei  den  letzteren  häufiger  manifest,  gerade  wie  der  Einfluß 
der  normalen  Usuf  des  Gedächtnisses  die  Erinnerung  an  den  Ort,  wo  man  in 
die  Schule  gegangen,  weniger  schädigt,  als  etwa  die  an  die  Erlebnisse  Alexanders 
des  Großen. 

Das  Gedächtnis  als  solches  ist  also  für  unsere  jetzigen  Be- 
obachtungsmittel bei  der  einfachen  Schizophrenie  nicht  gestört; 
alteriert  ist  manchmal  die  assoziative  Wiederbelebungsfähigkeit 
der  Erinnerungsbilder;  dies  aber  sekundär  durch  die  allgemeinen 
Störungen  aller  assoziativen  und  affektiven  Prozesse  und  nur 
für  bestimmte  psychische  Konstellationen. 


Mir  scheint  es  selbstverständhch,  daß  ein  Idiot  eine  Rede,  ein  Ereignis,  das  er  nicht  ver- 
standen hat,  so  wenig  im  Gedächtnis  behalten  kann,  wie  icli  eine  chinesisclie  Oper;  dennoch 
gibt  es  viele  Imbezille,  die  von  unverstandenen  Details  mehr  im  Gedächtnis  behalten  als 
die  mei.sten  Normalen  (Einmaleins,  ganze  Predigten)  und  die  verstandene  Erlebnisse  nach 
Jahrzehnten  noch  mit  großer  Plastik  reproduzieren,  auch  wenn  sie  der  Sprache  kaum  mächtig 
smd.  Ich  nenne  eine  Prüfung  nur  dann  eine  Gedächtnisprüf un-r,  wenn  sie 
■sich  möglichst  unabhängig  macht  von  anderen  Störungen,  so  bei  der  Idiotie 
von  dem  Mangel  an  Verständnis,  bei  der  Schizophrenie  von  den  Sperrungen 
der  Interesselosigkeit,  der  Denkfaulheit.  * 
Handbuch  der  Psyoliialrie :  llleulei- 

4 


50 


Schizophrenie. 


So  kann  es  kommen,  daß  die  Patienten  vergeßlich  erscheinen,  daß  sie  sich 
oft  auf  die  einfachsten  Dinge  nicht  besinnen  können,  daß  ihnen  entfällt,  was 
sie  eben  tnn  wollten,  oder  gar,  daß  sie  wie  Senile,  ohne  es  zu  merken,  in  der/ 
gleichen  Gesellschaft  mehrmals  hintereinander  das  nämliche  fragen.  Vor  allem 
aber  ist  wichtig,  sich  zu  merken,  daß  die  Kranken  je  nach  den  Umständen  die 
gleiche  Sache  bald  wissen,  bald  ,, vergessen"  haben. 

Natürhch  kann  die  Gedächtnisfunktion  auch  noch  durch  andere  psychische 
Momente  geschädigt  werden.  Es  kann  begegnen,  daß  ein  Patient  über  die  Zeit 
vor  seiner  Erkrankung  ganz  gute  und  klare  Auskunft  gibt,  sich  dann  aber  bei 
den  Schilderungen  aus  der  kranken  Zeit  in  Unklarheiten  und  Weitläufigkeiten 
ergeht,  so  daß  es  unmöglich  wird,  zu  verstehen,  was  er  sagen  will.  Das  kann 
seinen  Grund  darin  haben,  daß  sich  die  psychischen  Erlebnisse  der  Krankheit 
gar  nicht  in  den  Worten  der  gewöhnhchen  Sprache  schildern  lassen.  Mitwirken 
wird  auch  der  Umstand,  daß  die  Erlebnisse  der  Krankheit  für  den  Patienten 
wie  für  die  Zuhörer  des  logischen  Zusammenhanges  entbehren,  so  daß  beide 
auch  bei  ganz  richtiger  Keproduktion  einen  konfusen  Gedankengang  vor  sich 
zu  haben  wähnen.  Die  nicht  seltenen  Amnesien  und  Paramnesien  gehören  zu 
den  akzessorischen  Symptomen. 

Busch  hat  die  bemerkenswerte  Tatsache  gefunden,  daß  bei  Leseversuchen 
an  der  Schußplatte  eine  Pause  von  10  Sekunden  zwischen  Wahrnehmung  und  Ee~ 
Produktion,  die  bei  Gesunden  die  Resultate  verbessert,  bei  Schizophrenen  eine  Ver- 
schlechterung bewirkt,  die  auch  bei  einer  Pause  von  30  Sekunden  noch  vorhanden  ist. 
Wahrscheinlich  hat  dieses  Verhalten  mehr  Beziehung  zu  der  mangelhaften  Verarbei- 
tung der  Eindrücke  bei  Schizophrenen  als  zu  dem,  was  wir  Gedächtnis  nennen. 


5)  Das  Bewußtsein. 

Dem  Ausdruck  „Störungen  des  Bewußtseins",  der  sich  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  mit  dem  alten  Namen  der  „Trübung  des  Sensoriums"  deckt, 
entspricht  kein  klarer  Begriff.  Orientierung  und  Gedächtnis  bilden  einen  wesent- 
lichen Bestandteil  des  Bewußtseins  in  diesem  Sinne^).  Das  „Zeit-  und  Orts- 

1)  „Bewußtsein"  hat  zunächst  die  Bedeutung  der  (nicht  beschreibbaren)  Eigenschaft 
der  psychischen  Vorgänge,  die  das  empfindende  Wesen  vom  Automaten  unterscheidet. 
Dieses  Bewußtsein  ist  vorhanden  oderj  es  fehlt;  letzteres  nicht  bei  psychotischen  Zu- 
ständen, sondern  im  Koma,  in  tiefer  Ohnmacht.  Es  gibt  keine  Störung  im  Sinne  einer  Para- 
funktion  des  Bewußtseins.  Man  kann  sich  dasselbe  höchstens  insofern  quantitav  verändert 
denken,  als  zu  gleicher  Zeit  viele  oder  wenige  Vorgänge  bewußt  sein  können,  und  als  die  Vor- 
gänge, um  bewußt  zu  werden,  eine  mehr  oder  weniger  hohe  Intensität  haben  müssen.  Diese 
Auffassungen  lassen  sich  aber  nicht  durchführen:  Das  „Bewußtsein"  eines  Idioten  hat  gewiE 
sehr  oft  viel  weniger  Inhalt  als  das  eines  im  Dämmerzustand  befindlichen  intelligenten 
Epileptikers  oder  Träumers,  und  doch  nennen  wk  das  erstere  normal,  das  zweite  getrübt. 
Und  was  die  notwendige  Stärke  der  Reize  betrifft,  so  kann  in  einem  „Dämmerzustand- 
ein minimaler  Reiz  ganz  gut  bewußt  werden,  der  im  Normalzustand  des  gleichen  Menschea 
gar  nicht  beachtet  würde.  (Hysterischer  Dämmerzustand!)  Auch  sind  die  inneren  Reize 
in  den  Dämmerzuständen  meist  sehr  bewußt,  ohne  daß  wir  Gmnd  hätten,  eine  besondere 
Stärke  derselben  anzunehmen.  Wir  wissen  ja  über  die  dynamischen  Verhä  tmsse  der  psychi- 
schen Vorgänge  überhaupt  nichts.  —  Eine  ganz  andere  Bedeutung  bekommt  das  ^^olt 
Bewußtsein",  wenn  man  schon  bei  lückenhafter  Orientierung  und  ungenügendem  Rappoit 
mit  der  Außenwelt  von  einem  „gestörten  Bewußtsein"  spricht;  es  gibt  sogar  Leute  die  voa 
einer  Bewußtseinsstörung  reden,  wenn  Wahnideen  auftreten.  Manchmal  galt  auch  die  nach- 


et 

Grundsymptome.  Bewußtsein.  Motilität. 

bemißtsein"  ist  ja  nichts  anderes  als  die  Orientierung  in  Zeit  und  Raum 
iZerhrkommt  bei  den  Bewtxßtseinsanomalien  („Triibungen  des  Sensormms  ) 
Lernoch  hinzu  eine  primäre  Störung  nicht  nur  in  der  Zusammensetzung  der 
l^^nneseindrücke  z^^  einem  Zeit-  und  Ortsbilde,  sondern  auch  eme  Alteration 
drEmpfindmag  und  Wahrnehmung:  die  Sinnesreize  werden  zu  emem  großen 
Tel  (Zmals  alle!)  gar  nicht  erfaßt  oder  dann  illusionistisch  umgedeutet;  dafür 
schafft  s"h  die  Psyche  von  innen  heraus  eine  eigene  Welt,  die  nach  außen  verlegt 
wird  Wir  reden  dann  von  Dämmerzustanden. 

In  dem  Sinne  nun,  daß  die  Patienten  den  sinnlichen  Zu- 
sammenhang mit  der  Umgebung  verlören,  ist  in  den  Dauerzu- 
ständen der  Schizophrenie  das  Bewußtsein  nicht  alteriert;  die 
Schizophrenen  verhalten  sich  in  dieser  Beziehung  wie  Gesunde. 
Dagegen  gibt  es  recht  häufig  akute  Syndrome,  die  einem  hysterischen  Dämmer- 
zustand ganz  analog  sind,  und  Verwirrtheitszustände  verschiedenster  Genese. 
Ferner  kann  das  Dauersymptom  des  Autismus  (folgendes  Kapitel)  in  gemssem 
Sinne  eine  Störung  des  Bewußtseins  genannt  werden. 

e)  Die  Motilität. 

Die  Motihtät  erweist  sich  unseren  jetzigen  Untersuchungsmethoden  gegen- 
über nur  in  akzessorischer  Weise  alteriert  (Katalepsie  usw.).  Die  Patienten  sind 
unter  Umständen  sehr  gewandt,  die  psychomotorische  Seite  der  Sprache  zeigt 
nichts  Abnormes,  ebensowenig  die  der  Schrift^) ;  sogar  so  fein  abgestufte  Be- 
wegungen wie  die  des  Viohnspielens  scheinen  nicht  gestört;  immerhin  wird 
ein  vollendetes  Spiel  selten  sein,  aber  aus  Gründen  der  musikalischen  und 
affektiven  Auffassung. 


B.  Die  zusammengesetzten  Funktionen. 

Die  kompHzierten  Funktionen,  die  aus  dem  Zusammenwirken  der  bis 
jetzt  genannten  resultieren:  Aufmerksamkeit,  Intelligenz,  Wille  und  Handeln, 
sind  natürhch  gestört,  insofern  die  sie  bedingenden  Elementarfunktionen,  von 
denen  hier  nur  die  Assoziationen  und  die  Affektivität  in  Betracht  kommen, 
alteriert  sind.  Eine  ganz  besondere  und  für  die  Schizophrenie  charakteristische 
Alteration  aber  erleidet  das  Wechselverhältnis  des  Binnenlebens  mit  der  Außen- 
welt. Das  Binnenleben  bekommt  ein  krankhaftes  Übergewicht  (Autismus). 


trägliche  Erinnerung  als  Index  für  das  Vorhandensein  von  Be^v^^ßtsein  zu  einer  bestimmten 
Zeit.  —  Daß  mit  einem  solchen  Begriff  nichts  anzufangen  ist,  sollte  klar  sein.  —  Ebenso 
ungeschickt  ist  der  Begriff  des  Selbstbewußtseins,  mit  dem  auch  viel  Unklarheit  ge- 
züchtet wird.  Wer  ein  Bewußtsein  hat,  verwechselt  sich  sicher  nicht  mit  der  Außenwelt, 
er  muß  auch  Selbstbewußtsein  im  Sinne  der  Psychologen  haben.  Auch  das  Selbstbewußtsein 
kann  also  nicht  wohl  alteriert  sein.  Versteht  man  aber  darunter  die  Auffassung  der  eigenen 
Persönlichkeit,  so  wollen  wir  lieber  diesen  letzteren  und  klareren  Namen  für  die  Erscheinung 
brauchen. 

^)  Vgl.  die  akzessorischen  Anomalien  der  Schrift  weiter  unten,  ferner  271  und  272. 


4* 


52 


ScliizoiDbrenie. 


a)  Das  Verhältnis  zur  Wirklichkeit.  Der  Autismus. 

Die  scliwersten  Schizophrenen,  die  gar  keinen  Verkehr  mehr  pflegen,  leben 
in  einer  A\elt  für  sich;  sie  liaben  sich  mit  ihren  Wünschen,  die  sie  als  erfüllt 
betrachten,  oder  mit  den  Leiden  ihrer  Verfolgung  in  sich  selbst  verpuppt  und 
beschranken  den  Kontakt  mit  der  Außenwelt  so  weit  als  möghch. 

Diese  Loslösung  von  der  Wirklichkeit  zusammen  mit  dem  relativen  und 
absoluten  Uberwiegen  des  Binnenlebens  nennen  wir  Autismus i). 

In  weniger  ausgesprochenen  Fällen  hat  die  Wirklichkeit  nur  affektiv  und 
logisch  an  Bedeutung  mehr  oder  weniger  eingebüßt.  Die  Kranken  bewegen  sich 
noch  m  der  Außenwelt,  aber  weder  Augenschein  noch  Logik  haben  Einfluß  auf 
Wunsche  und  Wahn  der  Kranken.  Alles  was  den  Komplexen  widerspricht, 
existiert  einfach  nicht  für  das  Denken  oder  Fühlen. 

Eine  viele  Jahre  lang  als  neurasthenisch  verkannte  intelligente  Dame  hat 
„eine  Mauer  um  sich  gebaut,  so  eng,  daß  es  ihr  oft  war,  wie  wenn  sie  in  einem 
Kamin  wäre". 

Eine  sonst  ganz  salonfähige  Patientin  singt  in  einem  Konzert,  kann  aber 
nicht  mehr  aufhören.  Das  Pubhkum  fängt  an  zu  pfeifen  und  Lärm  aller  Art 
zu  machen;  sie  kümmert  sich  nicht  darum,  singt  weiter  und  fühlt  sich,  als  sie 
fertig  ist,  sehr  befriedigt.  Ein  gebildetes  Fräulein,  dem  mau  von  der  Krankheit 
kaum  mehr  etwas  anmerkt,  setzt  plötzlich  vor  Zeugen  ihre  Fäzes  mitten  in 
den  Salon  und  begreift  die  Entrüstung  der  Umgebung  gar  nicht.  Ein  Patient 
gibt  mir  seit  zehn  Jahren  von  Zeit  zu  Zeit  Zettel,  auf  denen  immer  die  gleichen 
vier  Worte  stehen,  die  bedeuten,  daß  er  unrechtmäßig  interniert  ist;  es  macht 
ihm  nichts  aus,  mir  gleich  ein  halbes  Dutzend  der  Zettel  zugleich  zu  geben; 
das  Unsinnige  begreift  er  nicht,  wenn  man  ihn  zur  Kede  stellt.  Dabei  hat  dieser 
Kranke  ein  gutes  Urteil  über  die  anderen  und  arbeitet  selbständig  auf  der  Ab- 
teilung. Auch  sonst  geben  uns  die  Schizophrenen  oft  eine  Menge  Briefe,  ohne 
eine  Antwort  zu  erwarten,  oder  sie  stellen  uns  mündlich  gleich  ein  Dutzend 

^)  Autismus  ist  ungefähr  das  gleiche,  was  Freud  Autoerotismus  nennt.  Da  absr 
für  diesen  Autor  Libido  und  Erotismus  viel  weitere  Begriffe  sind  als  für  andere  Schulen,  so 
kann  das  Wort  hier  nicht  wohl  b3nutzt  werden,  ohne  zu  vielen  Mißverständnissen  Anlaß 
zu  geben. 

Der  Name  Autismus  sagt  im  wesentlichen  von  der  positiven  Seite  das  nämliche,  was 
P.  Janet  (321)  negativ  als  ,,perte  du  sens  de  la  r  ealit  e"  bezeichnet.  Wir  können  aber 
den  letzteren  Ausdruck  nicht  ohne  weiteres  akzeptieren,  weil  er  das  Symptom  viel  zu  all- 
gemein faßt.  Der  Sens  de  la  realite  fehlt  dem  Schizophrenen  nicht  ganz,  er  versagt  nur  für 
diejenigen  Dinge,  die  sich  gerade  in  Widerspruch  gestellt  haben  zu  seinen  Komplexen.  Unsere 
doch  relativ  schweren  Anstaltspatienten  können  zum  größten  Teil  solche  Anstaltsbegebnisse, 
die  für  ihre  Komplexe  irrelevant  sind,  sehr  richtig  auffassen  und  behalten.  Man  kann  von 
ihnen  detaillierte  Anamnesen  erhalten,  die  sich  bestätigen  usf.,  kurz  sie  zeigen  alle  Tage, 
daß  ihnen  der  Sinn  für  Auffassung  der  Wirklichkeit  nicht  abhanden  gekommen  ist,  sondern 
daß  diese  Fähigkeit  nur  in  gewissen  Zusammenliängen  gcliemmt  und  verfälscht  M'ird.  Der 
gleiche  Kranke,  der  sich  jahrelang  nicht  um  seine  Familie  gekümmert  hat,  kann  auf  einmal 
eine  Menge  richtiger  Gründe  aufzählen,  wie  notwendig  er  zu  Hause  sei,  wenn  ihm  darum 
zu  tun  ist,  seinen  Verfolgern  in  der  Anstalt  zu  entkommen.  Das  hindert  ilin  aber  nicht, 
die  übrigen  Konsequenzen  aus  seinen  Überlegungen  ungezogen  zu  lassen.  Wenn  er  wirklich 
entlassen  wird,  oder  wenn  man  ihm  leicht  erfüllbare  Bedingungen  der  Entlassung  stellt, 
so  fällt  es  ihm  in  den  wenigsten  Fällen  ein,  etwas  zur  Realisierung  der  „Wünsche"  für  seine 
Familie  zu  tun. 


Grundsymptome.  Aiitismus. 


53 


Fragen  nacheinander,  ohne  uns  nur  Zeit  zu  einer  Antwort  zu  geben.  Sie  pro- 
phezeien auf  einen  bestimmten  Tag  irgend  ein  Ereignis.  Es  stört  sie  so  wenig, 
wenn  das  Vorausgesagte  nicht  eintritt,  daß  sie  in  vielen  Fällen  nicht  einmal 
eine  Ausrede  suchen. 

Auch  wo  die  Wirklichkeit  scheinbar  mit  den  krankhaften  Gebilden  der 
Patienten  identisch  ist,  wird  sie  oft  ignoriert. 

Das  Wünschen  so  vieler  Patienten  dreht  sich  um  die  Entlassung;  gegen 
die  wirkliche  Herausnahme  bleiben  sie  gleichgültig.  Einer  unserer  Kranken  mit 
ausgesprochenem  Kinderkomplex  machte  einen  Mordversuch  auf  seine  Frau,  Aveil 
er  in  zehn  Jahren  nur  vier  Kinder  von  ihr  bekam;  gegen  die  wirkhchen  Kinder  ist 
er  ganz  gleichgültig.  Andere  lieben  eine  bestimmte  Person;  ist  sie  leibhaftig  vor 
ihnen,  so  macht  das  keinen  Eindruck  auf  sie;  stirbt  sie,  so  bleiben  sie  gleichgültig. 
Der  Kranke  verlangt  beständig  nach  dem  Abteilungsschlüssel;  wenn  er  ihn  bekommt, 
weiß  er  nichts  damit  anzufangen  und  gibt  ihn  wieder  zurück.  Er  versucht  tausendmal 
in  einem  Tage  die  Tür  zu  öffnen;  sperrt  man  sie  nicht  zu,  so  wird  er  verlegen  und 
weiß  nichts  zu  machen.  Er  verfolgt  den  Arzt  auf  der  Visite  beständig  mit:  ,, Erlauben 
Sie,  Herr  Dr.".  Fragt  man  ihn,  was  er  wünsche,  so  ist  er  ganz  verwundert  und  weiß 
nichts  zu  sagen^).  Eme  Mutter  verlangt  wochenlang  mit  Aufbietung  aller  Künste, 
ihr  Kind  zu  sehen;  hat  sie  die  Erlaubnis,  so  will  sie  heber  ein  Glas  Wein.  Eine  Frau 
verlangt  jahrelang  die  Scheidung  vom  Mann;  ist  sie  endHch  geschieden,  so  glaubt 
sie  gar  nicht  daran,  wird  wütend,  wenn  man  sie  nicht  mit  dem  Familiennamen  des 
Mannes  anredet.  Viele  Kranke  verzehren  sich  in  Angst  vor  dem  Tod,  nehmen  aber 
selbst  nicht  die  mindeste  Rücksicht  auf  Erhaltung  ihres  Lebens  und  bleiben  von 
wirklichen  Bedrohungen  ganz  unberührt. 

Der  Autismus  ist  gar  nicht  immer  auf  den  ersten  Blick  zu  bemerken.  Das 
Benehmen  vieler  zeigt  zunächst  nichts  Auffallendes ;  erst  bei  längerer  Beobachtung 
sieht  man,  wie  sehr  sie  immer  eigene  Wege  suchen,  und  wie  wenig  sie  die  Um- 
gebung an  sich  herankommen  lassen.  Auch  schwerer  kranke  Chronische  haben  oft 
in  den  gleichgültigen  Alltäglichkeiten  eine  ganz  gute  Verbindung  mit  der  Um- 
gebung; sie  plaudern,  nehmen  an  Spielen  teil,  suchen  oft  noch  Reize  auf  — 
aber  sie  wählen  aus;  ihre  Komplexe  haben  sie  für  sich;  sie  sagen  nie  ein  Wort 
davon  und  wollen  nicht,  daß  sie  von  außen  berührt  werden. 

So  wird  die  Gleichgültigkeit  der  Kranken  gegenüber  dem,  was  ihr  nächstes 
und  größtes  Interesse  sein  sollte,  verständlich.  Andere  Dinge  sind  füi-  sie  die 
wichtigeren.  Sie  reagieren  nicht  mehr  auf  Einwirkungen  von  außen,  und  sie 
erscheinen  „stuporös,"  auch  wenn  keine  andere  Störung  das  WoUen  und  Handeln 
hemmt.  Die  Außenwelt  muß  ihnen  oft  geradezu  feindhch  vorkommen,  indem 
sie  sie  m  ihren  Phantasien  stört.  Es  gibt  aber  auch  Fälle,  wo  der  Abschluß  nach 
außen  emen  gegenteihgen  Grund  hat:  Namentlich  im  Anfang  scheuen  manche 
Krarike  ganz  bewußt  den  Kontakt  mit  der  Wirklichkeit,  weil  ihre  Affekte  zu 
stark  sind,  und  sie  alles  vermeiden  müssen,  was  ihnen  Emotion  machen  kann. 
nie  Gleichgültigkeit  gegen  die  Außenwelt  ist  dann  eine  sekundäre,  entspringend 
aus  ubergroßer  Empfindlichkeit.  ^ 

türli.h^''  "^"If'rr  ^^^"^"^^^^  ^^^«li  äußerlich  ausgedrückt  (na- 

tuüich^ohnhch  unbeabsichtigt).   Nicht  nur,  daß  sie  sich  um  nicht,  in  der 


54 


Scliizophrenie. 


Umgebung  kümmern,  sie  sitzen  beständig  da  mit  abgewandtem  Gesicht,  nur 
die  leere  Mauer  betrachtend;  oder  sie  schließen  die  Sinnespforten,  ziehen  die 
Schürze  oder  die  Bettdecke  über  den  Kopf,  ja  die  zusammengekauerte  Stellung, 
die  in  früheren  Zeiten,  da  man  die  Kranken  mehr  sich  selbst  überließ, 
recht  häufig  war,  scheint  darauf  hinzudeuten,  daß  sie  auch  die  ganze  Sinnes- 
fläche der  Haut  möglichst  nach  außen  abzuschließen  bestrebt  sind. 

Mißverständnisse,  die  aus  autistischem  Ideengang  entspringen,  können  die 
Patienten  gar  nicht  oder  nur  schwer  korrigieren. 

Eine  Hebephrene  liegt  (in  schlechter  Stimmung)  aut  einer  Bank.  Da  sie  mich 
sieht,  will  sie  sich  aufsetzen.  Ich  bitte  sie,  sich  nicht  zu  derangieren.  Sic  antwortet 
in  gereiztem  Ton,  wenn  sie  nur  sitzen  könnte,  würde  sie  nicht  liegen;  d.  h.  sie  hat 
sich  eingebildet,  daß  ich  ihr  einen  Vorwurf  mache,  weil  sie  auf  der  Bank  liege.  Ich 
wiederhole  mehrmals  mit  verschiedenen  Worten  die  Aufforderung,  ruhig  liegen  zu 
bleiben ;  sie  wird  nur  immer  gereizter.  Alles  was  ich  sage,  wird  im  Sinne  ihres  autisti- 
schen  Gedankenganges  falsch  gedeutet. 

Die  autistische  Welt  ist  für  die  Kranken  ebensogut  Wirklich- 
keit wie  die  reale,  wenn  auch  manchmal  eine  andere  Art  Wirklich- 
keit. Oft  können  sie  beide  Arten  von  Wirklichkeit  nicht  ausein- 
anderhalten, sogar  wenn  sie  sie  im  Prinzip  unterscheiden.  Ein 
Patient  hat  vom  Dr.  N.  sprechen  hören;  gleich  nachher  fragt  er,  ob  das  eine 
Halluzination  gewesen  sei,  oder  ob  wir  von  Dr.  N.  gesprochen  haben.  Busch 
hat  die  schlechte  Unterscheidung  von  Vorstellung  und  Wahrnehmung  auch 
durch  seine  Leseversuche  nachgewiesen. 

Der  Wirklichkeitswert  der  autistischen  Welt  kann  auch  ein  größerer  sein 
als  der  der  Eealität;  die  Kranken  halten  dann  ihre  Phantasiegebilde  für  das 
Reale,  die  Wirklichkeit  für  etwas  Vorgetäuschtes;  sie  glauben  dem  Zeugnis 
ihrer  eigenen  Sinne  nicht  mehr.  Sehr  eher  bezeichnet  seine  Wärter  als  „flüchtig 
hingemachte  Männer".  Der  Kranke  kann  zwar  wissen,  daß  andere  Leute  die 
Umgebung  so  und  so  beurteilen;  er  weiß  auch,  daß  er  sie  selber  in  dieser  Form 
sieht,  aber  das  ist  ihm  nicht  wirkHch:  „Man  sagt,  daß  Sie  der  Herr  Doktor 
seien,  aber  ich  weiß  es  nicht."  Auf  einer  höheren  Stufe  sagt  der  Kranke:  „Aber 
ich  glaube  es  nicht",  oder  gar:  „Aber  Sie  sind  eigenthch  der  Minister  N."  In 
den  höchsten  Graden  wird  die  Wirklichkeit  umiUusioniert  und  zu  einem  er- 
heblichen Teil  durch  Halluzinationen  ersetzt  (Dämmerzustände). 

In  den  gewöhnlichen  halluzinatorischen  Zuständen  ist  zwar  die  höhere 
Einschätzung  der  Einbildungen  die  Regel;  doch  handeln  und  orientieren  sich 
die  Kranken  daneben  noch  im  Sinne  der  WirkHchkeit.  Viele  handeln  aUerdings 
gar  nicht,  auch  nicht  mehr  im  Sinne  ihrer  autistischen  Gedanken.  Das  mag  in 
einem  Stuporzustand  vorkommen,  oder  es  kann  der  Autismus  selbst  einen 
so  hohen  Grad  erreichen,  daß  sogar  das  Handeln  die  Beziehungen  zu  der  von 
der  Psyche  abgesperrten  Wirklichkeit  verloren  hat,  und  die  Kranken  so  wenig 
auf  die  reale  Welt  einzuwirken  versuchen  wie  ein  Träumender.  Natm-  ich  laufen 
die  beiden  Störungen:  die  MotiUtätssperrung  des  Stupors  und  die  Außeracht- 
lassung der  Wirldichkeit,  häufig  nebeneinander. 

Besonnene  Kranke  erscheinen  oft  viel  weniger  autistisch  als  sie  sind,  weil 
sie  die  autistischen  Gedanken  unterdrücken  können  oder  sich  mit  ihnen  nur 


Gruadsymptome.  Autismus. 


55 


theoretisch  beschäftigen!)  gewisse  Hysterische,  ihnen  aber  für  gewöhnlich 
keinen  oder  nur  einen  ganz  geringen  Einfluß  auf  ihr  Handeln  gestatten.  Diese 
Kranken  behalten  wir  aber  nicht  mehr  unter  unseren  Augen;  wir  entlassen  sie 
als  gebessert  oder  geheilt. 

Ein  vollständiger  und  andauernder  Abschluß  gegen  die 
Außenwelt  kommt,  wenn  überhaupt,  nur  etwa  in  den  höchsten  Graden  von 
Stupor  vor.  In  den  leichteren  Fällen  existieren  die  reale  und  die  autistische 
AVeit  nicht  niu-  nebeneinander,  sondern  sie  verquicken  sich  oft  in  der  unlogi- 
schesten Weise  miteinander.  Der  Arzt  ist  nicht  nur  in  einem  Moment  der  An- 
staltsarzt und  im  andern  der  Schuster  S.,  sondern  er  ist  beides  im  gleichen 
Gedankeninhalt  des  Kranken.  Eine  Patientin,  die  noch  ziemlich  gesellschafts- 
und  weitgehend  arbeitsfähig  ist,  macht  sich  eine  Puppe  aus  Lumpen,  die  sie 
als  das  Kind  ihres  eingebildeten  Liebhabers  betrachtet.  Als  dieser  nach  Berlin 
verreist,  wiU  sie  es  ihm  nachsenden,  geht  aber  vorsichtigerweise  zuerst  zur 
Pohzei,  mn  zu  fragen,  ob  es  nicht  als  Betrug  betrachtet  werden  könne,  wenn 
sie  dieses  Kind  als  Gepäck  und  nicht  mit  Personenfahrkarte  reisen  lasse. 

Den  Inhalt  des  autistischen  Denkens  bilden  Wünsche  und  Be- 
fürchtimgen;  Wünsche  allein  in  den  nicht  gerade  häufigen  Fällen,  wo  der  Wider- 
spruch mit  der  Wirkliclikeit  nicht  gefühlt  wird;  Befürchtungen,  wenn  die  sich 
den  Wünschen  entgegenstellenden  Hindernisse  empfunden  werden.  Auch  da, 
wo  keine  eigentlichen  Wahnideen  entstehen,  ist  der  Autismus  nachweisbar  in 
der  Unfähigkeit  der  Kranken,  mit  der  Wirklichkeit  zu  rechnen,  in  ihrer  un- 
passenden Reaktion  auf  die  Einwirkungen  von  außen  (Reizbarkeit)  und  in  ihrem 
Mangel  an  Widerstand  gegen  irgend  welche  Einfälle  und  Triebe. 

Wie  das  autistische  Fühlen  der  Wirklichkeit  abgewandt  ist,  so  hat  das 
autistische  Denken  seine  besonderen  Gesetze:  der  Autismus  benutzt  allerdings 
die  gewöhnhchen  logischen  Zusammenhänge,  so  weit  es  ihm  paßt;  ist  aber  durch- 
aus nicht  daran  gebunden.  Er  wird  von  affektiven  Bedürfnissen  dirigiert.  Da- 
neben denkt  er  in  Symbolen,  in  Analogien,  in  unvollständigen  Begriffen,  in 
zufälligen  Verbindimgen.  Wendet  sich  der  gleiche  Patient  der  Wirklichkeit  zu, 
so  kann  er  unter  Umständen  wieder  scharf  und  logisch  denken.  Wir  haben 
also  ein  realistisches  und  ein  autistisches  Denken  zu  unterschei- 
den, und  zwar  beim  gleichen  Patienten  nebeneinander.  Im  reali- 
stischen Denken  orientiert  sich  der  Kranke  ganz  gut  in  Zeit  und  Raum  der 
Wirklichkeit;  er  richtet  danach  seine  Handlungen,  so  weit  sie  uns  normal  er- 
scheinen. Dem  autistischen  Denken  entspringen  die  Wahnideen,  die  groben 
Verstöße  gegen  Logik  und  Anstand  u.  dgl.  krankhafte  Symptome.  Die  beiden 
Formen  sind  oft  recht  gut  getrennt,  so  daß  der  Patient  bald  ganz  autistisch, 
bald  ganz  normal  denken  kann;  in  anderen  Fällen  mischen  sie  sich  bis  zu  voll- 
ständiger Durchdringung,  wie  wir  oben  gesehen. 

Das  Besondere,  von  der  früheren  Erfahrung  Abweichende  des 
autistischen  Denkens  braucht  den  Kranken  nicht  bewußt  zu 
werden.  Intelligentere  Patienten  können  aber  den  Unterschied  gegen  früher 

V,  -  r  ^^^^f  4^"dere8  als  eine  autistische  Betätigung  ist  die  bei  jungen  Hebephrenen 

kann  ^'r^       T  '-.^^f-^-^-g-".  d.  h.  denen,  die  nJa^nicht  ents'cheld  n 

kann,  wo  die  Raalitat  nicht  mitspricht.  -  Freud  n3nnt  Zweifel  und  Unsicherheit  eine  Vor- 
atufe  seines  Autoerotismus.  (Jahrbuch  für  Psychanal.,  Bd.  I,  S.  410.)  «'?^l2L 


5ß 


Schizophrenie. 


jahrelang  empfinden,  meist  schmerzlich,  seltener  als  Amiehmlichkeit.  Sie  be- 
klagen sich,  daß  die  Wirklichkeit  anders  aussehe  als  früher;  die  Dinge  imd  Per- 
sonen sind  eigentlich  gar  nicht  mehr  das,  als  was  sie  bezeichnet  werden ;  sie  sind 
anders,  fi-enid  haben  keine  Beziehungen  mehr  zum  Patienten.  Eine  entlassene 
Patientin  „hef  wie  m  einem  offenen  Grab  herum,  so  fremd  kam  ihr  die  Welt 
vor".  Eine  andere  „hat  angefangen,  sich  in  ein  ganz  anderes  Leben  hinein- 
zudenken; wenn  sie  dann  vergUch,  so  war  alles  ganz  anders;  auch  der  GeUebte 
ist  gar  nicht  so,  wie  sie  sich  ihn  vorstellt".  —  Eine  noch  sehr  inteUigente 
Patientin  hielt  es  für  eine  vorteilhafte  Veränderung,  daß  sie  sich  nach  Belieben 
m  einen  Zustand  versetzen  konnte,  in  dem  sie  die  höchste  (sexuelle  und  reli- 
giöse) Seligkeit  empfinde,  und  wollte  uns  Anleitung  geben,  es  ihr  gleich  zu  tun. 

Der  Autismus  darf  nicht  verwechselt  werden  mit  dem  „Unbewußten".  Autisti- 
sches  wie  realistisches  Denken  können  sowohl  bewußt  als  auch  unbewußt  sein. 


(3)  Die  Aufmerksamkeit. 

Als  Teilerscheinung  der  Affektivität  (74)  leidet  mit  dieser*  auch  die  Auf- 
merksamkeit. Soweit  Interesse  vorhanden  ist  —  also  in  den  leichteren  Fällen 
für  die  Mehrzahl  der  Erlebnisse  und  in  den  schweren  für  gefühlsbetonte  Tätig- 
keiten (wie  die  Ausarbeitung  von  Fluchtplänen)  —  erscheint  zwar  die  Aufmerk- 
samkeit unseren  jetzigen  Beobachtungsmethoden  normal.  Wo  aber  der  Affekt 
fehlt,  mangelt  auch  der  Trieb,  den  äußeren  und  inneren  Vorgängen  zu  folgen 
und  die  Richtung  der  Sinne  und  der  Gedanken  zu  dirigieren,  d.  h.  die  aktive 
Aufmerksamkeit. 

Ganz  anders  wird  die  passive  Aufmerksamkeit  alteriert:  Es 'ist 
zwar  selbstverständHch,  daß  die  interesselösen  oder  autistisch  abgekapselten 
Patienten  die  Außenwelt  sehr  wenig  beachten.  Daneben  aber  wird  merkwürdig 
viel  von  den  Ereignissen  registriert,  um  die  sich  die  Patienten  nicht  kümmern. 
Die  Auslese,  die  die  normale  Aufmerksamkeit  unter  den  Sinneseindrücken 
trifft,  kann  bis  auf  Null  herabgesetzt  sein,  so  daß  fast  alles  registriert  wird,  was 
den  Sinnen  zugeht.  Die  bahnende  wie  die  hemmende  Eigenschaft  der  Auf- 
merksamkeit ist  also  in  gleicher  Weise  gestört. 

Vorgänge  auf  der  Abteilung,  die  die  Kranken  nicht  berührten,  Nachrichten  aus 
Zeitungen,  von  denen  sie  nur  beiläufig  gehört  haben,  können  nach  Jahren  noch  mit 
allen  Details  reproduziert  werden  von  Patienten,  die  ganz  mit  sich  selbst  beschäftigt 
schienen,  die  scheinbar  immer  in  eine  Ecke  sahen,  so  daß  man  gar  nicht  begreifen 
kann,  wie  sie  diese  Dinge  überhaupt  erfahren  konnten.  Eine  unserer  Katatonischen, 
die  sich  einige  Monate  lang  immerf  nur  damit  beschäftigt  hatte,  gegen  die  Wände 
Faxen  zu  machen,  zeigte  sich  nach  der  Besserung  darüber  orientiert,  was  in  der 
Zwischenzeit  im  Burenkrieg  gegangen  war;  sie  muß  einzelne  Bemerkungen  der  ganz 
blödsinnigen  Umgebimg  aufgeschnappt  und  in  geordneter  Weise  aufbewahrt  haben. 
Eine  andere,  die  während  vieler  Jahre  kein  vernünftiges  Wort  gesagt,  keine  ver- 
nünftige Handlung  getan  (nicht  einmal  selbst  gegessen  hatte),  wußte  den  Namen 
des  neuen  Papstes  eme  Anzahl  Jahre  nach  seinem  Regierungsantritt,  obgleich  sie 
immer  in  protestantischer  Umgebimg  lebte,  in  der  man  sich  nicht  um  Rom  kümmerte. 

Die  Tenazität  und  die  Vigilität  der  Aufmerksamkeit  können  unab- 
hängig voneinander  sowohl  im  positiven  wie  im  negativen  Sinne  alteriert  sein. 


Grundsymptome.  Aufmerksamkeit.  Wille. 


aber  die  Störungen  haben  niclits  für  die  Schizophrenie  Charakteristisches^). 
Immerhin  gibt  es  spezifische  innere  Störungen,  die  eine  Hypovigiütät  verursachen, 
so  wenn  „die  Gedanken  abgezogen  werden".  Verliert  sich  der  Gedankengang 
in  Nebenbahnen,  so  kann  von  einer  Tenazität  nicht  die  Rede  sein. 

Der  Erfolg  der  Aufmerksamkeitsspannung  ist  ein  sehr  verschie- 
dener. Er  kann  normal  sein.  Anderseits  können  sich  Patienten,  auch  wenn  sie 
sich  anstrengen,  oft  nicht  recht  konzentrieren,  die  Intensität  der  Aufmerk- 
samkeit ist  gestört.  Meist  leidet  dann  auch  die  Extensität:  die  Kranken 
sind  nicht  imstande,  alle  zu  einer  Überlegung  notwendigen  Assoziationen  herbei- 
zuziehen. Diese  Störungen  mögen  mitbegründet  sein  in  noch  unbekannten 
primären  Hemmnissen  in  den  psychischen  Prozessen;  am  meisten  aber  beein- 
flussen außer  den  Affekten  natürlich  die  Assoziationsstörungen  den  Erfolg  der 
Aufmerlvsamkeit.  Ist  der  Ideengang  ganz  auseinandergef allen,  so  wird  ohne 
abnorm  starke  Anstrengung  ein  richtiger  Gedanke  überhaupt  unmöglich. 

Die  allgemeine  Neigung  einzelner  Fälle  zu  Ermüdung  läßt  auch 
die  Aufmerksamkeit  rasch  erlahmen;  die  meisten  der  chronischen  Patienten  zeigen 
aber  eine  normale  oder  sogar  eine  übernormale  Fähigkeit,  die  Aufmerksamkeit 
angespannt  zu  erhalten,  wenn  es  überhaupt  zum  aktiven  Aufmerken  kommt. 

Präokkupation  durch  die  Komplexe,  Sperrungen  und  Bannungen  verhindern 
die  Kranken  oft  andauernd  oder  vorübergehend,  einem  bestimmten  Gedankengang 
zu  folgen,  oder  in  der  gewollten  Eichtung  zu  denken.  So  können  manche  einer  Ge- 
schichte, die  sie  lesen,  einer  dramatischen  Vorstellung  nur  bruchstückweise  folger,, 
während  andere  das  Gehörte  und  Gesehene  in  vorzüghcher  Weise  erzählen,  und  zwar 
merkwürdigerweise  auch  dann,  wenn  sie  sich  während  des  Zuhörens  beständig  mit 
Stimmen  unterhalten  haben.  Auch  die  Aufmerksamkeit  kann  gespalten 
sein.  —  Sehr  oft  ist  die  Aufmerksamkeit  wie  die  anderen  Funktionen  abgesperrt: 
mitten  im  Gespräch,  in  einer  Arbeit,  acheinen  die  Patienten  einen  anderen  Gedanken- 
gang zu  haben  oder  gar  nicht  zu  denken.  Merkwürdigerweise  können  sie  in  beiden 
Fällen  mit  voller  Kenntnis  des  während  der  Unaufmerksamkeit  Geschehenen  weiter 
denken  und  z.  B.  eine  scheinbar  nicht  aufgefaßte  Frage  nachträghch  beantworten. 

Bei  manchen  Katatonikern  besteht  ein  Zwang,  die  Aufmerksamkeit  auf 
bestimmte  äußere  oder  namenthch  innere  Vorgänge  zu  richten.  Besonders  die  Hallu- 
zinationen erzwingen  sich  oft  dauernde  Beachtung  gegen  den  Willen  des  Patienten. 

Der  Zustand  der  Aufmerksamkeit  in  der  Benommenheit,  in  traumhaften  und 
halluzinatorischen  Zuständen  ist,  weil  einerseits  zu  schwer  zu  beschreiben  und  ander- 
seits selbstverständHch,  hier  nicht  berücksichtigt. 


y)  Der  Wille. 

Der  Wille,  die  Resultante  aller  der  v&schiedenen  affektiven  und  asso- 
ziativen Vorgänge,  ist  natürlich  in  der  mannigfaltigsten  Weise  gestört,  vor 
allem  durch  das  Darniederliegen  der  Gefühle.  Schon  leichtere  Fälle  kommen 
wegen  ihrer  Abulie  nicht  selten  in  Konflikt  mit  der  Umgebung;  die  Kranken 
erschemen  faul  und  nachlässig,  weil  sie  keinen  Trieb  mehr  haben,  irgend  etwas 
zu  tun,  weder  aus  eigener  Initiative  noch  auf  Geheiß.  Sie  liegen  jahrelano-  im 
Bett,  oder  wenn  sie,  in  leichteren  Fällen,  noch  Wünsche  und  Begehren  haben, 

Seite  23).'^''''"  ''"'^^  "Ablenkbarkeit"  (siehe> 


58 


Schizophrenie. 


tun  sie  nichts  zur  Realisierung  dieser  Wünsche.  Wir  sehen  aber  auch  die  andere 
Form  der  Willensschwäche,  die  darin  besteht,  daß  die  Kranken  Antrieben, 
von  innen  oder  außen,  nicht  widerstehen  können;  was  sie  gelüstet,  was  ihnen 
einfällt,  das  tun  viele  von  ihnen  gleich,  teils  ohne  die  Folgen  zu  überlegen,  teils 
bei  voller  Einsicht  in  die  Konsequenzen,  aus  Mangel  an  Widerstandsfähigkeit 
oder  aus  Gleichgültigkeit  gegen  die  Folgen.  Im  Affekt  sind  sie  deshalb  zu  allem 
fähig  und  können  auch  schwere  Verbrechen  begehen. 

Unter  Umständen  indes  kann  man  geradezu  von  Hyperbulie  sprechen. 
Es  gibt  Kranke,  die  mit  großer  Energie  durchführen,  was  sie  sich  in  den  Kopf 
gesetzt  haben,  sei  es  nun  etwas  Vernünftiges  oder  etwas  Unsinniges.  Sie  können 
dann  rücksichtslos  gegen  sich  selbst  sein,  sich  bis  zum  äußersten  anstrengen, 
Schmerzen  und  Unbilden  aller  Art  erdulden  und  sich  durch  nichts  von  ihrem 
Vorhaben  abbringen  lassen.  In  solchen  Fällen  können  sie  auch  Ausdauer  zeigen, 
die  unter  Umständen  jahrelang  anhält. 

Anderseits  sieht  man  häufig,  die  auch  sonst  so  gewöhnhche  Verbindung 
von  Willensschwäche^)  mit  Eigensinn,  indem  je  nach  den  Umständen 
das  eine  oder  das  andere  zur  Geltung  kommt.  Überhaupt  erscheinen  die  meisten 
Patienten  launenhaft,  wankelmütig.  Sie  versprechen  alles  möghche,  ohne  es  zu 
halten.  Bei  den  Anstaltsinsassen  kommt  es  recht  häufig  vor,  daß  sie  z.  B.  Arbeit 
verlangen,  aber  sofort  versagen,  weiln  man  ihnen  Arbeitsgelegenheit  gibt.  Auch 
ihre  Drohungen  bleiben  eben  so  oft  unausgeführt. 

Die  Sperrungen  sind  auf  dem  Gebiete  des  Willens  ganz  besonders  in 
die  Augen  fallend:  es  ist  nicht  selten,  daß  die  Kranken  wirklich  etwas  tun 
wollen,  aber  nicht  können,  indem  ihnen  der  psychomotorische  Apparat  versagt. 
Wenn  solche  Willenssperrungen  anhalten,  haben  wir  eine  Form  des  kata- 
tonen  Stupors. 

Unter  anderen  Umständen  wieder  können  Zwangshandlungen  und 
automatische  Handlungen  und  die  Formen  der  Befehlsautomatie 
auftreten.  Diese  Dinge  gehören  aber  in  ein  anderes  Kapitel  (siehe  unten,  „Kata- 
tone  Symptome"). 

5)  Die  Person. 

Die  autopsychische  Orientierung  ist  gewöhnlich  normal.  Die  Kranken 
wissen,  wer  sie  sind,  so  weit  nicht  Wahnideen  die  Person  fälschen.  Ganz  intakt 
ist  dennoch  das  Ich  nirgends ;  es  zeigt  regelmäßig  gewisse  Alterationen,  namentlich 
Neigung  zu  Spaltungen.  Diese  Störungen  sind  aber  m  den  emfachen  FaUen 
nicht  so  ausgesprochen,  daß  sie  sich  gut  beschreiben  ließen.  Sie  sollen  deswegen 
unter  den  akzessorischen  SjTuptomenkomplexen  näher  gekennzeichnet  werden. 

e)  Die  schizophrene  Demenz. 

Die  schizophrene  Inteüigenzstörung  ist  eigenthch  durch  den  Zustand  der 
Assoziationen  und  der  Affektivität  am  klarsten  gekennzeichnet  Die  Beschrei- 
bung der  Resultanten  dieser  Funktionen  wird  der  unendhchen  Manmgfaltigkeit 

^enschwäche  hier  sowohl  im  Sinne  mangelnder  Stärke  der  Triebkraft  (Apathb) 
wie  in  dem  der  mangelnden  Nachhaltigkeit  und  Emheithchkeit  des  Wollens  (Lumen 
haftigkeit,  Leichtsinn)  und  in  dem  der  Hemmungsdefekte. 


Gruadsymptome.  Person.  Schizophrene  Demenz.  59 

derselben  niemals  gerecht  werden.  Wir  können  also  nur  in  Stichproben  die 
wichtigsten  Richtungen  der  Störungen  anfuhren. 

Wir  sprechen  hier  nur  von  der  eigentlichen  schizophrenen  Demenz,  mcht 
der  besonderen  Färbung,  die  sie  oft  durch  akzessorische  Symptome  bekommt. 


von 


Bei  keiner  Krankheit  ist  die  Störung  der  Intelligenz  mit  den  Worten  Bhodsmn 
und  Demenz  so  unzulänglich  bezeichnet  wie  bei  der  Schizophrenie.  Von  .^eüniUvem 
Verlust  der  Erinnerungsbilder"  oder  anderen  Gedächtnisstörungen,  die  zum  Begri« 
der  Demenz  gehören  sollen,  ist  eben  hier  nichts  zu  sehen.  So  kommt  es  daß  Psy- 
chiater von  schweren  Schizophrenen  behaupten  können  sie  seien  nicht  dement, 
oder  daß  man,  wie  einige  französische  Autoren,  das  Bedürfnis  fühlte,  diese  Form 
der  Verstandesstörung  als  „Pseudodemenz"  von  den  anderen  abzutrennen.  Jl.me 
Demenz  im  Sinne  der  organischen  Psychosen  ist  etwas  prinzipiell  anderes;  ebenso 
verschieden  sind  die  mannigfaltigen  Formen  angeborenen  Blödsinns,  wenn  auch  die 
defekte  Leistun^r  des  Intellektes  schließlich  bei  den  verschiedensten  Arten  der  Störung 
zu  einem  äußerlich  gleichen  Resultat,  zu  ungeeigneter  Reaktion  auf  die  Verhältnisse 
der  Außenwelt  führen  kann.  Mit  anderen  Worten,  der  Begriff  der  Demenz  ist  nahezu 
so  weit  wie  der  der  Geisteskrankheit  überhaupt^)  und  enthält  ebensoviel  differente 
Unterabteilungen  wie  dieser. 

Zunächst  ist  festzuhalten,  daß  auch  bei  einer  hochgradigen 
Schizophrenie  potentia  alle  bis  jetzt  der  Prüfung  zugänglichen 
Orundfunktionen  erhalten  sind.  Während  bei  der  Idiotie  kompliziertere 
Zusammenhänge  in  Begriffen  und  Assoziationen  gar  nie  gebildet  werden,  während 
bei  den  Organischen  vieles,  wenn  auch  nicht  dem  Gehirn,  so  doch  der  Benutzung 
durch  die  Psyche  verloren  gegangen  ist,  so  kann  auch  der  blödsinnigste  Schizo- 
phrene unter  geeigneten  Umständen  auf  einmal  irgend  eine  recht  hohe  Leistung 
produzieren  („raffinierter"  Fluchtversuch).  Der  schwere  schizophrene 
Blödsinn  ist  (außer  durch  den  stärkeren  Mangel  an  Interesse  und 
Betätigung)  dadurch  charakterisiert,  daß  unter  allen  Gedanken 
und  Handlungen  numerisch  viele  Fehlleistungen  sind;  ob  eine 
gestellte  Aufgabe  schwierig  oder  nicht  schwierig  sei,  ist  dabei 
von  untergeordneter  Bedeutung.  Die  Demenz  der  leichtesten 
Formen  ist  umgekehrt  dadurch  zu  kennzeichnen,  daß  diese  Leute 
für  gewöhnlich  ganz  vernünftig,  potentia  aber  jeder  Dummheit 
fähig  sind.  Der  leichte  Paralytiker  oder  Imbezille  macht  seine  Ungeschick- 
lichkeiten da,  wo  eine  für  ihn  zu  komplizierte  Überlegung  vonnöten  wäre;  in 
einfacheren  Dingen  handelt  er  normal.  Bloß  bei  diesen  Kranken  kann  man 
die  Grade  der  Demenz  nach  der  Höhe  der  möglichen  Leistungen  abstufen, 
und  auch  da  nur  bei  ganz  vorsichtiger  Prüfung  unter  Berücksichtigung  der 
Konstellation,  der  Stimmung,  der  Ermüdung,  individueller  Eigentümlichkeiten 
usw.  Wer  von  diesen  Patienten  nicht  fähig  ist,  eine  Multiplikation  zu  machen, 
wird  einer  Division  noch  weniger  gewachsen  sein;  wer  den  Witz  einer  Fabel 
nicht  erfaßt,  wird  einen  Roman  nicht  verstehen,  und  wer  umgekehrt  den  ganzen 
Zusammenhang  eines  Romans  begreift,  dem  kann  eine  einfachere  Geschichte 

^)  Wie  unklar  der  Demenzbegriff  ist,  zeigt  am  besten  die  Diskussion  über  das 
Vorhandensein  von  Blödsinn  bei  Paranoia.  Die  einen  halten  die  Paranoiker  für  dement, 
weil  sie  so  unlogisches  Zeug  glauben  und  nach  demselben  handeln;  die  andern  halten 
sie  nicht  für  dement,  weil  sie  in  ihrem  Berufe  als  Architekten,  Richter,  Gelehrte  noch 
ganz  richtig  handeln. 


60 


Schizophrenie. 


keine  Schwierigkeiten  machen.  Ganz  anders  bei  der  Schizophrenie :  Ein  Kranker, 
der  zu  einer  bestimmten  Zeit  nicht  17  und  14  zusammenzählen  kann,  auch 
wenn  er  sich  ernsthch  anstrengt,  löst  auf  einmal  eine  schwierige  Rechenaufgabe 
oder  hält  eine  wohlgesetzte  und  erfolgreiche  Rede.  Es  kann  ein  Schizophrener 
die  Handlungen,  den  Krankheitszustand  und  die  Zweckmäßigkeit  der  ergriffenen . 
Maßregeln  bei  seinen  Nebenpatienten  mit  klarer  Kritik  bem-teilen  und  zu  gleicher 
Zeit  nicht  begreifen,  daß  er  selber  außer  der  Anstalt  unmögUch  ist,  wenn  er 
jede  Nacht  Skandal  macht  und  die  Leute  prügelt.  Ein  Kranker  kann  jahrelang 
in  blöder  Euphorie  auf  seiner  Bank  gesessen  und  nichts  als  die  banalsten  Phrasen 
geäußert  haben,  um  dann  auf  einmal  an  allen  Arbeiten  teilzunehmen  und  zu  Hause 
in  allen  Beziehungen  als  geheilt  zu  erscheinen.  Das  äußere  Bild  des  schizophrenen 
Blödsinnes  wird  deswegen  viel  mehr  durch  den  Zustand  der  Affektivität, 
namentlich  des  Interesses  und  der  Spontaneität,  gekennzeichnet  als  durch  die 
Intelligenzstörung  im  engeren  Sinne.  Diese  ist  im  wesentlichen  ein  numerischer 
Begriff  und  läßt  sich  nicht  nach  der  Höhe  der  möghchen  Leistungen,  sondern 
nach  dem  Verhältnis  der  richtigen  zu  den  falschen  Leistungen  abstufen. 

So  ist  es  in  allen  Beziehungen  vmrichtig.  wenn  man  versucht,  den  Blödsinn 
eines  Schizophrenen  mit  der  Intelligenz  eines  Kindes  von  bestimmtem  Alter  zu 
vergleichen  (Rizor,  S.  1027),  und  es  zeugt  von  einer  vollständigen  Verkennung  der 
schizophrenen  Eigentümlichkeiten,  wenn  man  glaubt,  durch  eine  , .Intelligenz- 
prüfung" —  dauere  sie  ein  paar  Minuten  oder  ein  paar  Tage  —  den  schizophrenen 
Blödsinn  nachweisen  oder  ausschließen  zu  können.  Der  Bestand  an  Wissen  bleibt 
ja  im  großen  luid  ganzen  erhalten,  er  steht  aber  nicht  immer  zur  Verfügung  oder 
wird  in  unrichtiger  Weise  verwertet.  Was  jedoch  in  der  einen  Konstellation  der 
Psyche  unzugänghch  ist,  das  kann  in  der  andern  frei  benutzt  werden.  Deshalb  ver- 
sagen auch  die  Ebbi ngh aussehen  Ergänzungsversuche  wie  die  Heilbronner- 
schen  (293  a)  Bildertests  bei  dieser  Krankheit  sehr  oft^)  und  unter  allen  Umständen 
sind  sie  dann  unbrauchbar,  wenn  man  die  InteUigenz  graduell  bestimmen  will.  Das 
Leben,  die  Mängel  in  der  Anpassung  an  die  Umgebung,  zeigen  bei  den  leichteren 
Fällen  allein,  wie  weit  vorgeschritten  der  Blödsinn  ist.  In  der  Anstalt  läßt  sich  eine 
kurzdauernde  Prüfung  am  ehesten  in  der  Form  machen,  daß  man  den  Kranken  über 
seine  eigene  Lage,  den  Grund  der  Internierung,  sein  Verhältnis  zu  den  Gewalt- 
habern, seme  Zukunftspläne  ausfrägt.  Doch  kann  auch  da  ein  volles  Verständnis 
vorhanden  sein  bei  schweren  Defekten  auf  anderen  Gebieten. 

Wemi  man  also  bei  unseren  Kranken  von  intellektuellem  Blödsinn  sprechen 
will,  muß  man  sich  etwa  so  ausdrücken:  Der  Schizophrene  ist  nicht  blöd- 
sinnig schlechthin,  sondern  er  ist  blödsi n nig  in  bezugauf  gewisse 
Zeiten,  gewisse  Konstellationen,  gewisse  Komplexe.  Bei  dem  leichter 
Kranken  sind  die  mangelhaften  Funktionen  aie  Ausnahmen;  bei  den  schwersten 
FäUen,  die  teilnahmlos  in  unseren  Pflegeanstalten  herumsitzen,  sind  sie  die 
Regel;  dazwischen  gibt  es  alle  Übergangsformen.  Der  Unterschied  zwischen 
leichtem  und  schwerem  Blödsinn  ist  ein  extensiver,  nicht  ein  intensiver  Der 
leichte  Schizophrene  kann  _eben  so  große  Dummheiten  machen  wie  der  Schwer- 
kranke, aber  er  macht  sie  seltener. 

1)  Manche  Patienten  allerdings  brauchen  auch  für  richtige  Lösungen  abnorm  lange 
Zeiten,  und  viele  der  schwerer  Kranken  sind  einer  solchen  Aufgabe  gar  i^^ht  gewachsen, 
sie  füllen  die  Lücken  mit  unpassenden  oder  ganz  falschen  Wörtern  aus  und  lassen  daoei 
die  Rücksicht  nicht  nur  auf  den  Sinn,  sondern  auch  auf  die  Grammatik  aulier  acut. 


Grundsymptome.  ScLizoplireiie  Demenz, 


61 


Immerhin  ist  der  intellektuelle  Defekt  nicht  ein  ganz  regelloser,  die  besonders 
schlechten  Leistungen  sind  z.  B.  an  die  gefühlsbetonten  Komplexe  gebunden.  Ferner 
ist  es  selbstverständlich,  daß  bei  jedem  Grad  der  Erkrankung  die  Chancen  für  Al- 
teration einer  Verstandesfunktion  um  so  größer  sind,  je  komplizierter  diese  ist.  Wenn 
durchschnittlich  von  100  Assoziationen  eine  pathologisch  ist,  so  wird  die  Funktion, 
die  aus  einigen  wenigen  Assoziationen  besteht,  nur  selten  gestört  sein,  die  aus  mehreren 
hundert  Einzelfunktionen  zusammengesetzte  fast  immer.  Dazu  kommt,  daß  den 
Schizophrenen  offenbar  die  Fähigkeit  der  Zusammenfassung  vieler^  Begriffe  unter 
einem  einheitlichen  logischen  Gesichtspunkt  erschwert  ist,  was  wieder  die  kom- 
plizierten Funktionen  mehr  schädigen  wird  als  die  einfachen.  So  werden  also  doch 
im  großen  und  ganzen  die  höheren  geistigen  Funktionen  stärker  gestört  sein. 

Die  Anomalie,  die  man  sciiizoplirenen  Blödsinn  nennt,  setzt  sieb  zusammen 
aus  den  "Wirkungen  der  Assoziationsstörung,  der  Gleichgültigkeit  und  Reiz- 
barkeit auf  affektivem  Gebiete  und  der  autistischen  Abschließung  von  den 
Einflüssen  der  Außenwelt. 

Unter  dem  Zerfall  der  Assoziationen  leiden  schon  die  Begriffe.  Allerdings 
erscheint  die  Hauptmasse  derselben  in  den  Dauerzuständen  nicbt  viel  weniger 
scharf  als  bei  Gesunden;  man  siebt  z.  B.  sehr  wenig  von  der  Verwaschenheit, 
wie  sie  bei  den  Begriffen  blöder  Epileptiker  so  auffallend  ist,  wenn  auch  da 
und  dort  die  Neigung  besteht,  Allgemeinbegriffe  zu  brauchen,  wo  speziellere 
angezeigt  wären.  So  nennen  unsere  Klranken  eben  eiserne  Instrumente  ,, Eisen" 
oder  eine  Schaufel  ,,ein  Hausgerät".  Wenn  auch  solche  Bezeichnungen  außer 
bei  speziellem  Fragen  selten  sind,  so  handelt  es  sich  doch  meist  um  Anomalien 
der  Begriffe  und  nicht  bloß  des  Ausdruckes.  Eine  eigentliche  schizophrene  Ver- 
armung an  Begriffen  in  dem  Sinne,  daß  einzelne  derselben  verloren  gingen, 
kenne  ich  nicht.  Dagegen  werden  die  Begriffe  nicht  immer  in  allen 
ihren  Bestandteilen  gedacht.  Es  handelt  sich  dabei  immer  um  Störungen, 
die  von  einem  Moment  auf  den  andern  wechseln  können.  Einigermaßen  kon- 
sequente und  andauernde  Defekte  zeigen  sich  nur  an  Begriffen,  die  in  AVahn- 
ideen  verwoben  sind  oder  sonst  von  gefühlsbetonten  Komplexen  konstelliert 
werden. 

Wernickes  Methode,  die  Kranken  nach  den  Unterschieden  verwandter 
Begriffe  zu  fragen,  ist  deshalb  zur  Untersuchung  der  Störung  ganz  ungenügend, 
wenn  auch  natürlich  unter  Umständen  die  Vergleichung  und  Unterscheidung  un- 
vollständig gedachter  Begriffe  leiden  muß.  Es  ist  äußerst  wahrscheinhch,  daß  die 
Hebephrene  S.  41  seiner  Krankenvorstellungen  den  Unterschied  von  Stadt  und  Dorf 
sehr  gut  kannte,  trotz  ihrer  sonderbaren  Antworten,  die  übrigens  gar  nicht  auf  ein 
Nichtwissen,  sondern  höchstens  auf  eine  Parafunktion  der  aktuellen' Assoziationen 
deuten.  Ebensowenig  kann  ich  glauben,  daß  der  Kranke  Wer  nie  kes,  der  den  Wärter 
für  seine  Schwester  Laura  bält^),  die  Erinnerungsbilder  der  männlichen  und  weiblichen 
Kleidung  vergessen  habe.  Besonnene  Schizophrene  gehen  mit  solchen  Begriffen  und 
Erinnerungsbildern  in  der  Regel  ganz  gut  um;  Ausnahmen  machen  sie  nur  bei  be- 
stammten psychischen  Konstellationen,  z.  B.  wenn  die  Komplexe  mitspielen  bei 
Unaufmerksamkeit,  und  dann  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auch  in  Zuständen 
stärkerer  organischer  Affektion.  So  assoziiert  ein  Hebephrener  auf  Faß  ~  Rad  und 
>;o,gt,  daß  ihm  überhaupt  die  Begriffe  Rad  und  Reif  -  zurzeit  -  ungefähr  identisch 
«UKl.  Der  gleiche  Kranke  kann  aber  nachher  diese  Begriffe  sehr  gut  unterscheiden, 

^)  Zitiert  nach  Sandberg,  S.  627. 


62 


Schizophrenie. 


ohne  daß  die  Krankheit  eine  Veränderung  zeigte.  Bei  Verkennungen  von  Dingen 
wird  oft  nur  ein  Teil  von  deren  Eigenschaften  beachtet  (die  anderen  sind  nicht  ganz 
„vergessen  )  und  dann  frei  zu  einem  andern  Gegenstand  ergänzt:  ein  an  der  Wand 
hangendes  Bild  mit  tiefem  Rahmen  ist  z.  B.  ein  Spucknapf;  die  Notleiter  vor  der 
Abteilung  ist  „unsere  Scheunenleiter";  der  Direktor  ist  Pfarrer  F  (weil  er  hier 
dirigiert,  v\ue  Pfarrer  F.  im  Krankenhaus) ;  die  Baumwollspinnerei,  in  der  ein  Patient 
gearbeitet  hat,  wird  als  Kleiderfabrik  bezeichnet. 

Durch  die  Verdichtung  werden  mehrere  Begriffe  in  einen  einzigen 
zusammengezogen.  Namentlich  mehrere  Personen  werden  oft  als  eine  aufgefaßt. 
Ein  Patient  ist  sogar  selbst  Vater  und  Mutter  seiner  Kinder.  Ein  anderer  unter- 
scheidet während  eines  akuten  Schubes,  in  dem  er  aUerdings  oft  ganz  leicht 
dämmerig  erscheint,  nicht  zwischen  seinen  Kindern,  wie  sie  jetzt  sind  und 
wie  sie  als  Säuglinge  waren;  wenn  von  sexuellen  Dingen  und  von  Kindererziehung 
die  Rede  ist,  fließen  ihm  seine  Frau  und  sein  eigenes  Ich  in  einen  unteilbaren 
Begriff  zusammen;  in  ganz  gleicher  Weise  vermengt  er  hiesige  und  häusliche 
Verhältnisse:  bei  Fragen  und  anderen  Anregungen  kommt  es  aufs  gleiche  heraus, 
von  welchem  Teile  dieses  Begriffspaares  er  selbst  oder  der  Untersucher  redet, 
er  sagt  von  beiden  die  gleichen  Dinge  aus,  und  es  ist  nicht  möglich,  eine  Trennung 
zu  erzwingen.  Eine  Patientin  identifiziert  die  Jugendgeschichte  Moses  und  den 
bethlehemitis  chen  Kindermord. 

Oft  sind  es  die  gefühlsbetonten  Komplexe,  welche  die  Umänderung  der 
Begriffe  determinieren. 

Da  spricht  eine  Patientin,  die  von  der  Zukunft  etwas  Außerordentliches  er- 
wartet, ganz  selbstverständlich  von  ihren  „zukünftigen  Eltern".  Ein  Paranoider 
mit  militärischem  Ehrgeiz  hat  sich  ,,als  General  in  französischer  und  schweizerischer 
Uniform"  abgebildet  gesehen;  die  Vermischung  der  beiden  Armeen  stört  ihn  nicht, 
imd  auf  den  Einwand,  daß  die  Schweiz  gar  keinen  General  habe,  meint  er,  ein  Oberst 
sei  auch  ein  General.  In  solchen  Fällen  läßt  es  sich  leicht  nachweisen,  daß  nicht  nur 
die  Ausdrucksweise,  sondern  wirkUch  die  Begriffe  alteriert  sind.  Ein  Hebephrene 
unterzeichnet  einen  Brief  an  die  Mutter  „dein  hoffnungsvoller  Neffe";  wie  er  dazu 
gekommen,  ist  nicht  herauszubringen;  Patient  verteidigt  den  Unsinn  damit,  seine 
Mutter  habe  ja  eine  Schwester,  und  dieser  sei  er  Neffe ;  sicher  aber  ist  da  die  Vorstellung 
verwandtschaftHcher  Verhältnisse  wenigstens  für  einige  Momente  unklar  geworden. 
Eine  Katatonika  hat  eine  Uhr  zum  Geschenk  bekommen,  an  der  sie  Freude  hat; 
sie  hat  aber  auch  Freude  an  ihrem  übrigen  Eigentum  sowie  an  ihrem  Schatz;  alles 
das  ist  ihr  ein  einziger  Begriff  geworden,  den  sie  meist  mit  dem  Ausdruck  „Geschenk" 
bezeichnet.  —  Hinter  den  uneigentlichen  Ausdrücken  der  Halluzinanten  stecken 
häufig  stark  erweiterte  Begriffe;  ein  Hebephrene  „hat  zweimal  Schmerzen  gehabt, 
das  ist  Giftmord". 

Die  Identifikation  zweier  Begriffe  auf  Grund  eines  gemeinsamen  Bestand- 
teiles führt  in  vielen  Fällen  zum  Symbol,  das  in  den  Wahnideen  eine  hervor- 
ragende Rolle  spielt.  Ein  Patient  unterzeichnet  sich  als  „Anfang  und  Ende  der 
Welt";  darin  ist  seine  Wahnidee  ausgedrückt.  Das  Symbol  wird  unseren  Kranken 
gern  zur  Wirklichkeit;  wenn  sie  ihre  heimliche  Liebe  brennt,  so  können  sie  sich 
von  wirklichen  Menschen  mit  wirklichem  Feuer  gebrannt  glauben.  Ähnlich  sind 
Vorstellungen  wie  die  folgende:  Ein  Katatoniker  macht  mit  den  Brauen  eine  Be- 
wegung wie  Frl.  N.  und  behauptet  nun,  mit  ihr  geschlechtlich  verkehrt  zu  haben; 
die  Geste  des  Frl.  N.  an  seinem  Körper  ist  ihm  gleichwertig  mit  dem  Frl.  N.  selbst. 


Grundsymptome.  Schizophrene  Demenz. 

Die  Begriffsalterationen  der  Schizophrenie  haben  das^  eigentümliche,  daß 
einfache  Begriffe  nahezu  ebensogut  gestört  sein  können  wie  komphzierte  und 
Wig  zu  erfassende.  Ausschlaggebend  ist  in  erster- L.me  die  Zugehörigkeit  zu 
etm  gffühlsbetonten  Komplex,  die  eine  Begriffsbi  dung  bald  erleichtert  ba^d 
verhindert.  Außerdem  schwankt  die  Störung  mit  den  Wellen  der  Kranlcheit, 
Z  bald  den  größten  Teil  des  Denkens  erfassen,  bald  wieder  eich  auf  wemge 
Einzelfunktionen  zurückziehen.  v  i.  i  •  n„^«« 

Mit  den  unausgedachten  Begriffen  lassen  sich  naturhch  kerne  klaren 

Denkoperationen  ausführen. 

Ein  träger  Kranker  hat  endlich  einmal  eine  halbe  Stunde  ein  wenig  gearbeitet. 
Nun  glaubt  er  sich  zum  Bezüge  aller  möglichen  und  unmögbchen  Belohnungen 
berechtigt  und  setzt  die  Arbeit  wieder  aus,  weil  er  nichts  erhält.  Er  denkt  noch 
richtig  daß  er  für  die  Arbeit  Belohnung  bekommen  müsse,  aber  er  unterscheidet 
nicht  zwischen  halbstündiger  und  lang  andauernder  Arbeit,  ebensowenig  wie  zwischen 
kleinen  und  großen  Belohnungen;  die  kurze  Arbeit  ist  ihm  Arbeit  überhaupt;  unter 
Belohmmg  versteht  er  alles,  was  er  gerade  wünscht.  Die  Vorstellungen  von  Leistung 
und  Lohn  smd  unklare,  deshalb  ist  eme  richtige  quantitative  Korrelation  zwischen 
beiden  Begriffen  unmöghch. 

Die  unscharfe  Begrenzung  von  Begriffen  begünstigt  ganz  unsinnige  Ver- 
allgemeinerungen mancher  Vorstellungen. 

Bei  einem  Paranoiden  hört  das  halluzinierte  Geräusch  einer  Maschine  auf; 
nun  hört  für  ihn  die  Anstalt  auf.  Ein  anderer  Paranoider  hatte  feierbch  mit  einem 
Gegner  Frieden  geschlossen;  nun  wollte  er  auch  sonst  als  Friedensstifter  auftreten. 
Ein  Hebephrene  gab  seinem  Vater  eine  grobe  Antwort  und  glaubte  nachher,  er 
müsse  sich  für  den  Fehler  reinigen;  die  Reinigung  dehnte  er  schließhch  auf  alles 
möghche  aus,  er  wusch  nicht  nur  sich  und  die  Möbel,  sondern  legte  auch  die  Kleidungs- 
stücke aufs  Dach,  damit  sie  vom  Eegen  geremigt  werden^).  Die  eigentbchen  Wahn- 
ideen dehnen  sich  oft  in  der  Form  solcher  Verallgemeinerungen  aus. 

Die  Affektstörung  wirkt  in  mannigfaltiger  Weise  auf  die  Intelligenz.  Wo 
das  Interesse  fehlt,  wird  wenig  gedacht  oder  nicht  zu  Ende  gedacht.  Hat  der 
Kranke  aber  einmal  eine  ernste  Strebung,  so  kann  er  ausnahmsweise  zur  Er- 
reichung eines  ersehnten  Zweckes  ganz  scharfsinnige  und  komplizierte  Deduk- 
tionen machen.  Umgekehrt  denken  viele  leichtere  Paranoide  nur  dann  unrichtig, 
wenn  ihre  Komplexe  direkt  in  Betracht  kommen.  Sehr  eher  konnte  seine  Bevor- 
mundungsgutachten in  scharfsinniger  Weise  kritisieren,  während  er  die  blöd- 
sinnigsten Wahnideen  verteidigte. 

Die  intellektuelle  Leistung  wechselt  überhaupt  mit  den 
gefühlsbetonten  Komplexen,  die  die  Überlegung  bald  unter- 
drücken, bald  in  ihren  Dienst  nehmen  und  begünstigen.  (Mit  diesen 
funktionellen  Schwankungen  sind  nicht  zu  verwechseln  die  Schwankungen  der 
Krankheit;  oft  erscheint  ein  Patient  zu  einer  bestimmten  Zeit  deshalb  blöd- 
sinniger, weil  sein  Krankheitsprozeß  intensiver  ist.) 

Die  Affektivitätsstörung  ist  die  wichtigste  Ursache  des  „Verlustes  der 
psychischen  Wertzeichen"    (Schuele).  Auch  Idioten  und  Organischen 

^)  Hier  ist  die  Erweiterung  des  Begriffes  zugleich  eine  Übertragung;  das  Gefühl  der 
moralischen  Unreinheit  führt  wie  bei  bloß  Nervösen  häufig  zu  übertriebener  physischer 
Reinlichkeit. 


64 


Schizophrenie. 


mange  t  oft  das  Gefühl  für  die  Unterscheidung  von  Wesenthchem  und  Un- 
wesenthchem;  den  Idioten,  weil  sie  komplizierte  Ideen  nicht  in  ihrer  Gesamtheit 
erfassen  können,  den  Organischen  aus  dem  gleichen  Grunde  und  dazu  noch 
weil  der  Ideengang  emgeschränkt  wird  auf  das,  was  dem  herrschenden  Affekt 
entspricht.  Bei  der  Schizophrenie  ist  der  Vorgang  viel  komplizierter.  Die  Ideen 
werden  in  ganz  unregelmäßigen  Bruchstücken  gedacht,  die  manchmal  das  Fern- 
liegende enthalten,  das  Nächste  vermissen  lassen;  die  Affekte  hemmen  und 
bahnen  die  Assoziationen  in  noch  viel  ausgedehnterem  Maße  als  bei  den  Or- 
ganischen, und  darüber  hinaus  sind  sie  selbst  qualitativ  und  quantitativ  ver- 
ändert. Ist  es  dem  Kranken  gleich,  ob  seine  Famihe  und  er  selbst  zugrunde 
gehe,  ob  er  immer  eingesperrt  bleibt,  ob  er  im  Schmutz  liegt  oder  nicht,  so 
können  diese  für  andere  so  wichtigen  Ideen  keinen  Einfluß  auf  die  Überlegung 
haben.  Hat  ein  solcher  Kranker  die  Wahl,  irgend  eine  Marotte  aufzugeben  oder 
seine  Stelle  zu  verHeren,  so  entscheidet  er  sich  ohne  Besinnung  für  das  letztere, 
weil  nur  die  Marotte  mit  Affekt  betont  ist.  Das  ist  eine  der  wichtigsten  Seiten 
des  schizophrenen  Blödsinns. 

Mit  der  Affektivität  ist  auch  die  Suggestibilität  verändert.  Sie  ist 
im  ganzen  herabgesetzt;  das  erschwert  die  psychische  Beeinflussung  von  außen, 
und  erleichtert  dem  Patienten  selbst  die  Benutzung  eines  eigenen  Urteils,  wo 
ein  solches  noch  möghch  ist.  IntelHgentere  Schizophrene  haben  in  dieser  Be- 
ziehung geradezu  einen  Vorteil  in  der  Durchführung  neuer  Ideen.  Nicht  nur 
daß  sie  wegen  der  Lockerheit  der  Assoziationen  vom  Gewöhnlichen  Abweichendes 
eher  auffassen  und  konzipieren  können  als  Normale ;  sie  sind  auch  unabhängiger 
vom  Urteil  der  anderen  und  haben  deswegen  die  Kraft,  Dinge  durchzuführen, 
die  Gesunden  undenkbar  erscheinen.  Ich  wurde  einmal  wegen  eines  Schizo- 
phrenen konsultiert,  der  jetzt  daran  ist,  mit  Hilfe  der  Staatsbehörden  in  ver- 
schiedenen Ländern  Pläne  von  sehr  weitgehender  ökonomischer  Tragweite  zu 
realisieren,  Pläne,  die  der  Normalmensch  auch  etwa  gedacht  haben  mag,  aber 
für  undurchführbar  hielt.  Jede  neue  Bewegung,  sie  sei  gut  oder  schlecht,  zieht 
regelmäßig  Schizophrene  in  ihren  Bann. 

Allerdings  verbindet  sich  in  anderen  Fällen  die  Oberflächlichkeit  der 
Affekte  mit  der  assoziativen  Denkstörung  zu  einer  übertriebenen  Gläubigkeit. 
Ein  äußerhch  ganz  besonnener,  in  den  Zwischenzeiten  als  Setzer  arbeitender 
Hebephrene  ließ  sich  viermal  unter  dem  immer  gleichen  Vorwand,  man  gehe 
wegen  eines  körperlichen  Leidens  zum  Arzte,  in  die  Anstalt  bringen.  In  kom- 
plizierten Geschäften  werden  die  Kranken  gerne  die  Beute  derjenigen,  die  sie 
zu  nehmen  wissen.  Hypochondrisch  Angelegten  kann  man  durch  eine  Frage 
leicht  eine  Krankheit  ansuggerieren.  Natürhch  bestimmt  die  Richtung  der 
Komplexe  die  Richtung  partieller  Suggerierbarkeit;  eine  intellektuell  noch  sehr 
gut  erhaltene  Kranke  mit  hypochondrischen  Ideen  war  von  uns  in  zwei  Monaten 
durch  allerlei  suggestive  Bemühungen  bedeutend  gebessert  worden.  Ein  Verkehr 
von  nur  wenigen  Tagen  mit  einer  Melanchohschen  brachte  sie  in  den  früheren 
Zustand  zvu'ück.  Paranoide  lassen, sich  durch  jeden  Dummkopf  aufschwatzen, 
daß  der  oder  jener  ihr  Feind  oder  ihr  Helfer  sei,  während  sie  logischen  Beein- 
flussungen gänzlich  unzugänglich  sind. 

Auch  gleichgültige  Beeinflassungen  nehmen  Schizophrene  oft  auffallend 
leicht  an.  Einer  Paranoiden  antwortete  ich  einmal  statt  nein  „noi"  mit  schwä- 


I 

Grundsymptome.  Schizophrene  Demenz. 


65 


bischem  Ton  (der  in  gar  keinem  Zusammenhang  mit  unserem  Gespräch  stand). 
Sofort  fing  sie  an,  das  schwäbische  Idiom  zu  imitieren,  obschon  sie  zu  diesem 
in  keiner  Weise  nähere  Beziehungen  hatte  als  jeder  beUebige  Zürcher.  Sie  blieb 
dann  dabei  bis  zum  Ende  des  Gespräches,  obschon  ich  ihr  keinen  Anlaß  mehr 
dazu  gab. 

Man  kann  auch  frische  wie"  längst  erkrankte  Schizophrene  hypnotisieren; 
doch  geht  die  Macht  der  hypnotischen  Suggestion  der  Krankheit  gegenüber 
nicht  sehr  weit. 

Der  Masse  nsuggestibi  Ii  tat  können  sich  viele  Schizophrene  besser  ent- 
ziehen wie  Gesunde.  Doch  steigert  sich  auch  hier  der  Einfluß  irgend  einer  Suggestion, 
wenn  sie  einer  Anzahl  Personen  zugleich  gegeben  wird.  Schizophrene  sind  denn 
auch  merkwürdigerweise  das  feinste  Reagens  auf  den  Spiritus  loci.  Es  kann  nicht 
Zufall  sein,  daß  von  Anstalt  zu  Anstalt,  von  Arzt  zu  Arzt,  von  Wärter  zu  Wärter 
die  äußere  Form  der  Krankheit  so  stark  wechselt.  Katalepsie,  Negativismus,  Hyper- 
kinese,  Gewalttätigkeit,  Selbstmordtrieb,  Notwendigkeit  der  Sondenfütterung  und 
andern  Zwanges,  alles  das  ist  nach  Ort  und  Zeit  quantitativ  sehr  verschieden,  auch 
wenn  man  an  leitender  Stelle  das  Möghchste  tut,  die  Behandlmig  gleichförmig  zu 
machen.  Die  Suggestion  geht  aber  nicht  allein  von  dem  Anstaltspersonal  und  den 
Einrichtungen  aus,  sondern  ebensogut  von  den  Patienten.  Ein  einzelner  Kranker 
kann  eine  ganze  Abteilung  vergiften.  Wenn  jemand  auf  einer  Abteilung  geschickt 
den  Ton  angibt,  so  hat  er  gewöhnlich  imter  den  aktiveren  Schizophrenen  rasch  eine 
Anzahl  Nachbeter;  auf  der  einen  Abteilung  ist  z.  B.  eine  Speise  verpönt,  auf  der 
andern  eine  andere,  bis  der  Modemacher  versetzt  wird. 

Die  Macht  der  Suggestion  kommt  auch  beim  induzierten  Irresein  zur 
Geltung,  wobei  es  sich  ja  oft  so  verhält,  daß  ein  aktiver  Schizophrener  sein  Wahn- 
system einem  latent  schizophrenen  Famihenglied  aufoktroiert. 

Eine  ganz  besondere  Erhöhung  der  Suggestibihtät  zeigt  sich  in  der  Form  der 
Befehlsautoraatie,   die  bei  den  katatonen  Symptomen  besprochen  werden  soll. 

Der  Stand  der  schizophrenen  Intelhgenz  ist  natürlich  auch  in  wechsel- 
seitigem Zusammenhang  mit  dem  Autismus.  Dieser  kann  nicht  ohne  die 
InteUigenzschwäche  entstehen,  bewirkt  dann  aber  seinerseits  die  blödsinnigsten 
Fehler  der  Logik  durch  den  Ausschluß  der  Wirklichkeit  vom  Denkmaterial. 
So  bei  der  „erotomanischen"  Jungfrau,  die  einen  hochstehenden  Herrn  zu 
heiraten  gedenkt,  obschon  der  in  Wirklichkeit  gar  nichts  von  ihr  wissen  will. 
Em  Hebephrene  ernennt  seinen  Oheim  zum  General,  damit  er  ihm  besser  helfen 
könne,  als  wenn  er  nur  Oberst  ist;  die  Assoziation,  daß  diese  Ernennung  gar 
keine  Wirkung  haben  kann,  wird  nicht  gemacht.  —  Auf  die  Frage:  „Waren 
Sie  auch  schon  in  einer  Anstalt?"  antwortet  ein  anderer  Patient:  „Nein,  aber 
unschuldig". 

Mit  dem  Autismus  hängt  auch  zusammen  der  verminderte  Einfluß 
der  Erfahrung.  Gebrannte  Schizophrene  fürchten  das  Feuer  gar  nicht  immer. 
Wenn  es  ihnen  noch  so  schlecht  bekommt,  überlassen  sie  doch  immer  wieder 
die  Führung  ihren  verdrehten  Ansichten  oder  ihrer  Nachlässigkeit.  Allerdings 
gilt  das  nicht  von  allen  Erfahrungen.  Disziplinarstrafen  und  Belohnungen  haben 
auch  auf  ganz  schwere  Kranke  oft  noch  einigen  erzieherischen  Einfluß 

Am  meisten  Unordnung  in  das  logische  Denken  bringt  natürHch  die  Asso- 
ziationsstorung.  Logisches  Denken  ist  Reproduktion  von  Assoziationen 
gleich  oder  analog,  wie  sie  die  äußere  Erfahmng  eingeübt  hat.    Durch  die 

Handbuch  dor  Psychiatrie:  IJ leuler. 

5 


66 


Schizophrenie, 


Lockerung  der  gewohnten  Verbindungen  zwischen  den  Begriffen  wird  das  Denken 
von  der  Erfahrung  losgelöst  und  kommt  in  falsche  Bahnen;  Sperrungen  setzen 
gerade  an  den  wichtigen  Stellen  ein,  so  daß  der  Kranke  gewisse  Dinge  gar  nicht 
fertig  denken  kann;  und  was  das  Schlimmste  ist,  statt  der  abgesperrten  Asso- 
ziationen tauchen  andere  auf,  die  nicht  zu  diesem  Ideengang  oder  nicht  an  diese 
Stelle  desselben  gehören.  So  kann  die  Geschichte  von  dem  Esel,  der  zuerst 
mit  Salz,  dann  mit  Schwämmen  durch  den  Bach  gegangen  ist,  erzählt  werden: 

„Man  hat  dem  Esel  soviel  aufgeladen,  bis  es  ihn  erdrückt  hat  ,  dann  ist 

es  bei  der  kathohschen  Konfession  der  Brauch  ,  man  hat  gesagt,  das 

wäre  die  letzte  Ölung,  die  man  Sterbenden  reiche." 

Sind  die  unpassenden  Ideenverbindungen  sehr  zahlreich,  so  kann  es  gar 
nicht  zu  einem  Resultat  des  Gedankenganges  kommen,  weil  die  Denkrichtung 
'beständig  wechselt. 

Viele  logische  Operationen  mißhngen  deshalb,  weil  ein  behebiger  Gedanke 
:sofort  mit  dem  herrschenden  Komplex  verbunden  wird  (Beziehungswahn), 
•oder  weil  umgekehrt  die  Patienten  keine  Verbindung  mit  den  Komplexen  finden 
können.  So  werden  die  meisten  direkten  Fragen  nach  den  die  Symptomatologie 
bestimmenden  affektiven  Ereignissen  zunächst  oder  andauernd  negativ  beant- 
wortet, oder  die  Patienten  weichen  aus.  Die  Kranken  sind  in  die  Irren- 
anstalt gekommen,  „weil  sie  sich  den  Fuß  verstaucht  haben,"  oder  sie  sind 
(auf  die  Frage  warum?)  „in  einer  Droschke  gekommen".  Es  handelt  sich  hier 
wirklich  um  ein  Danebendenken,  nicht  nur  um  ein  Danebenreden. 

(Was  sagen  die  Stimmen?)  Ich  habe  auch  zwei  Kinder.  (Wiederholung  der 
Frage.)  Man  sagt  hier  vielerlei.  (Wiederholung.)  Nicht  viel.  (Wiederholung.)  Ich 
rede  überhaupt  nicht  viel.  (Wiederholung.)  Ja,  nicht  viel.  (Wiederholung.)  Ja,  ich 
kann  es  nicht  sagen.  (Warum  nicht?)  Ich  weiß  es  nicht.  (Was  sagen  die  Stimmen?) 
Ja,  man  redet  etwa  miteinander;  zu  viel  rede  ich  nicht. 

Diese  Art  des  Denkens  kann  auf  gleichgültige  Themen  übergreifen,  ja 
sich  ganz  verallgemeinern.  Die  Frage,  welches  Datum  wir  haben,  kaim  dann 
beantwortet  werden  mit:  „das  gleiche"  (welches  gleiche?)  „eben  das  Datum, 
das  wir  heute  haben".  Derartige  Antworten  können  von  nicht  benommenen 
Patienten  gegeben  werden,  auch  wenn  sie  sich  anstrengen,  richtig  zu  denken; 
sie  kommen  über  solche  allgemeine  Redensarten  nicht  hinaus. 

Den  Eindruck  hochgradigen  Blödsinns  macht  namenthch  das  so  häufige 
In -den -Tag -hinein  antworten:  (Wann  geboren?)  „1876".  (Ist  das 
richtig?  Wann?)  „1871".  (Welches  richtig?)  „1872".  (In  Wirkhchkeit  ist  gar 
keine  dieser  Zahlen  richtig.)  Namenthch  bei  Fragen,  die  bloß  mit  Ja  oder  Nem 
zu  beantworten  sind,  muß  man  sich  sehr  hüten,  die  Antwort  für-  bare  Münze 
zu  halten.  Oft  geht  es  folgendermaßen  zu:  (Wollen  Sie  aufstehen?)  „Ja".  (WoUen 
Sie  im  Bett  bleiben?)  „Ja". 

j  Die  ungenügende  Hinzuziehung  der  notwendigen  Assoziationen  bedingt 
auch  ein  vorschnelles  Fertigwerden  mit  den  Überlegungen.  Oft  fangen 
die  Kranken  schon  mit  der  Antwort  an,  bevor  man  die  Frage  zu  Ende  gesprochen. 
Daher  auch  so  viele  unfertige  „blödsinnige"  Urteile. 

Das  unvermittelte  Auftauchen  neuer  Ideen  führt  zu  pathologischen 
Einfällen.  Da  verlangt  ein  Katatoniker  auf  einmal  allen  Ernstes,  den  Niagara 


Grundsymptome.  Schizophrene  Demenz. 


67 


zu  sahen;  ein  anderer  hat  beim  Eintritt  nichts  Wichtigeres  zu  fragen,  als  ob 
die  Sahara  no^h  in  Afrika  sei. 

Ganz  besonders  unsinnig  werden  die  Resultate,  wenn  eine  Spaltung  zwischen 
den  logischen  Direktiven  des  Gedankenganges  und  dem  inhaltlichen  Assoziieren 
eintritt,  und  jede  dieser  Funktionen  ihren  besonderen  Weg  geht. 

Ich  frage  einen  Patienten,  was  ein  bekannter  Herr  für  ihn  tun  könne.  Antwort: 
Nichts  außer  wenn  ich  ein  Gedicht  von  ihm  bekommen  könnte."  Formell  hat  er 
mir  die  Antwort  auf  meine  Frage  gegeben;  das  Gedicht  wird  in  richtiger  logischer 
Form  als  der  gewünschte  Gegenstand  bezeichnet;  in  Wahrheit  aber  hat  Patient 
diesen  Begriff  nur  bekommen  von  einem  Gespräch  über  Gedichte,  das  ich  unmittel- 
bar voj'her  mit  einem  andern  Kranken  geführt  habe,  und  er  wünscht  gar  kein  Ge- 
dicht. —  Ich  bestreite  einer  Kranken,  daß  sie  ein  Haus  besitze;  „doch,"  gibt  sie 
mir  zur  Antwort,  „das  weist  die  Musik  aus";  in  der  Ferne  intonierte  gerade  eine 
Musik,  und  die  so  erhaltene  Idee  wurde  gleich  als  Beweis  gegen  meine  Einrede  ver- 
wertet. 

Der  Gedankeninhalt  ist  häufig  determiniert  durch  einen  abrupten  Einfall 
(Warum  schütteln  Sie  die  Hände?  ,,Weil  ich  keinen  Studenten  essen  kann"), 
durch  einen  Wunsch  oder  eine  Befürchtung,  die  den  Kranken  beschäftigt  (der 
Patient  schmiert,  „um  in  eine  bessere  Abteilung  zu  kommen"),  oder  er  wird 
ihm  von  außen  gegeben  (Beispiele  oben),  oder  er  gehört  zu  dem  in  der  Frage 
gegebenen  Gedankenkreis.  So  ist  es  gar  keine  inhaltliche  Motivierung,  wenn 
der  Patient  Stranskys  erklärt,  er  gerate  in  Wut,  weil  der  Arzt  ein  graues 
Kleid  trage;  nach  meiner  Erfahrung  gerät  der  Patient  aus  irgend  einem  andern 
mit  seinen  Komplexen  in  Verbindung  stehenden  Grunde  in  Wut  und  gibt  dann 
aufs  Geratewohl  das  graue  Kleid  des  Arztes,  das  er  vor  sich  sieht,  als  Grund  an. 

Solche  nachträgliche  Pseudomoti  vier  ungen,  an  die  die  Patienten  selber 
glauben,  sind  bei  der  Schizophrenie  etwas  ganz  Gewöhnliches.  Einer  unserer 
Kranken  wußte  wohl,  daß  er  die  Motivierungen  immer  erst  nachträglich  mache, 
„nachdem  er  sich  über  die  begangenen  Dummheiten  verwundert  habe".  Eine 
Patientin  war  wegen  eines  Suizidversuches  ins  Bett  gebracht  worden  und  be- 
hauptete, sie  hätte  den  Versuch  gemacht,  weil  sie  im  Bette  liegen  müsse.  Die 
nämliche  „Treppenbegründung"  ist  es  auch,  wenn  ein  liederlicher  Hebephrene 
seine  Schulden  nur  deshalb  gemacht  haben  will,  um  der  Frau  zu  zeigen,  daß 
er  ohne  sie  Geld  bekomme,  oder  wenn  ein  gefährlich  Drohender  seinen  Revolver 
nur  gekauft  hat,  um  zu  beweisen,  daß  er  seiner  Frau  nichts  antue,  obschon 
er  einen  Revolver  habe.  In  solchen  Fällen  macht  die  hintendrein  erfundene 
Begründung  bei  oberflächlichem  Zusehen  den  Eindruck  eines  wirklichen  Grundes, 
so  daß  sich  oft  auch  intelligente  Leute  täuschen  lassen,  dem  Patienten  eine 
gesunde  Überlegung  zuzuschreiben. 

Auffallend  ist  die  U  ne mpf i ndlich keit  der  Kranken  gegen  die 
gröbsten  Widersprüche.  Ein  Hebephrene  kann  sich  im  Hauptsatz  darüber 
beklagen,  daß  er  nie  schlafe,  während  er  im  Nebensatz  ausführt,  wie  herrlich 
er  geschlafen  habe.  Die  Kranken  beklagen  sich  bei  ihren  Verwandten  mit  den 
schärfsten  Ausdrücken,  daß  man  ihnen  irgend  etwas  nicht  erlaube;  sobald  sie 
die  Erlaubnis  haben,  wollen  sie  sie  nicht  benutzen.  Ein  Kranker  verlangt  im 
gleichen  Brief  von  der  Frau  erstens  ein  Rasiermesser,  um  sich  das  Leben  zu 
nehmen,  zweitens  die  Abholung  und  drittens  ein  Paar  Schuhe. 

5* 


68 


Schizophrenie. 


Es  hilft  nur  ausnahmsweise  etwas,  die  Patienten  auf  die  Widersprüche 
aufmerksam  zu  machen.  Das  Bedürfnis,  sich  die  Dinge  logisch  zu  gestalten 
sie  auszudenken,  unter  einen  bestimmten  Gesichtspunkt  zu  bringen  ist  über- 
haupt sehr  stark  herabgesetzt.  Während  am  andern  Extrem  die  Alkoholiker  in 
ihre  Erzählungen  immer  noch  Ergänzungen  zur  Abrundung  und  zur  kausalen 
Begründung  von  Handlungen  aus  freier  Erfindung  einfügen,  denken  die  Schizo- 
phrenen umgekehrt  logische  Bruchstücke.  Die  Kausahtät  scheint  oft  für  sie 
gar  nicht  zu  existieren.  Viele  kümmern  sich  nicht  darum,  woher  ihre  Stimmen 
kommen;  sie  können  lange  in  der  Anstalt  eingesperrt  sein,  ohne  nach  einem 
Grunde  zu  fi-agen.  Es  scheint  das  nicht  nur  ein  affektiver,  sondern  auch  ein 
logischer  Defekt  zu  sein. 

So  fehlt  den  Kranken  in  gewissen  Beziehungen  die  Diskussionsfähig- 
keit. Sie  denken  etwas,  und  dann  ist  es  so;  zur  Unterstützung  geben  sie  höchstens 
Scheinbeweise,  und  die  klarsten  Gegenbeweise  bleiben  wirkungslos. 

Bei  komphzierteren  Aufgaben  erscheinen  die  Kranken  oft  so  zerfahren, 
ihre  Psyche  so  zerspalten,  daß  man  die  Genese  der  Denkfehler  nicht  mehr  so 
leicht  finden  kann.  Doch  lassen  sich  bei  einiger  Geduld  auch  in  solchen  Fällen 
Stichproben  gewinnen. 

Die  Denkstörung  zeigt  sich  in  ihren  verschiedensten  Formen  beim  Er- 
kennen von  Bildern.  Manche  Kranke  allerdings  kennen  einfache  und  kom- 
plizierte Bilder  so  gut  wie  Gesunde;  die  von  Jung  beschriebene  Paranoide 
B.  St.  war  allen  darauf  hin  geprüften  Wartpersonen  im  Verständnis  bildlich 
dargestellter  Situationen  überlegen.  Dagegen  werden  von  vielen  Kranken 
kompliziertere  Bilder  gar  nicht  oder  nur  teilweise  erfaßt  oder  falsch  ausgelegt; 
letzteres  namentHch,  indem  sie  an  Komplexe  assoziiert  werden.  Aber  auch 
Bilder  einfacher  Gegenstände  werden  verkannt. 

Eine  leicht  erregte  Hebephrene  nennt  einen  Studenten  eine  Tabakspfeife": 
sie  beachtet  nur  einen  Teil.  Einen  Hammer  nennt  sie  „die  Natur  (=  Sperma),  den 
Hammer":  der  Hammerstiel  ist  ihr  zwar  der  Hammerstiel,  aber  zugleich  ent- 
sprechend ihren  erotischen  Komplexen  auch  der  Penis;  eine  Uhr  ist  ihr  ,,eine  Elek- 
trisieruhr", weil  sie  die  Vorstellung  der  sexuellen  Halluzinationen  damit  verbindet. 
Einen  Tannenzapfen  in  natürlicher  Größe  und  Farbe  nennt  sie  eine  Ähre;  sie  beachtet 
nur  die  Form  und  auch  die  ungenügend.  Eine  andere  nennt  die  Ohren  des  Zebra  eine 
,, Schleife  am  Kopf",  entsprechend  ihren  auf  Schmuck  und  Größe  gerichteten  Ten- 
denzen. Eine  Teilvorstellung  erscheint  in  den  Antworten:  ,, aufgehäugt"  (statt 
hängende  Wäsche),  „ein  Haufen"  (statt  Kartoffeln).  Manchmal  ist  die  Absperrung 
gerade  wie  die  Anknüpfung  eine  systematische:  (Braut)  ,,weiß  nicht  was";  (was 
machen  die?  [Musikanten])  „Lärm".  (Braut  besonders  gezeigt)  „eine  Frau,  trägt 
einen  Hut"  (als  Hut  wird  der  Strauß  bezeichnet).  Dinge,  wie  Spargel,  Schlange 
werden  gern  falsch  bezeichnet,  gewöhnhch  in  Verbindung  mit  anderen  Zeichen 
erregter  Sexualität. 

Manchmal  wird  an  gezeigte  Bilder  auch  von  sonst  attenten  Kranken 
offenbar  gar  nichts  assoziiert  (ähnlich  wie  es  uns  mit  den  tausend  Dingen  geht, 
die  wir  auf  der  Straße  sehen,  ohne  sie  zu  beachten). 

Charakteristisch  ist  manchmal  auch  das  Erzählen  von  Erlebtem  oder  Ge- 
ksenem.  Oft  zeigt  sich  ein  Unterschied  zwischen  Erfahrungen  vor  und  nach  der 
Erkrankung.  Bei  den  letzteren  können  natürhch  die  verschiedenen  Störungen 
der  Auffassung  das  Kesultat  trüben;  manchmal  aber  kommt  auch  bei  guter 


Gruudsymptome.  Schizophrene  Demenz. 


69 


Auffassimg  und  bei  gutem  Willen  in  Betracht,  daß  die  Kranken  etwas  Neues 
nicht  mehr  verarbeiten;  sie  erzählen  dann  die  früher  gelernten  Geschichten, 
wenn  auch  stückweise,  in  richtigen  Zusammenhängen,  die  neu  gelesenen  un- 
genügend. Manchmal  setzen  sie  auch  in  die  alten  Ereignisse  neue  Begriffe 
hinein,  so  wenn  ein  gebildeter  Hebephrene  Teil  „einen  Schiffskapitän"  nennt; 
oder  es  ist  ihnen  zu  viel,  die  Erinnerungen  wachzurufen,  dann  hört  man  auf 
die  Frage:  Was  wissen  Sie  vom  Teil?  Erwiderungen,  wie:  „Es  ist  schon  ziemlich 
viel  darüber  diskutiert  worden." 

Gelesene  Geschichten^)  l^önnen  von  vielen  Kranken,  die  die  größten  Dumm- 
heiten machen  oder  die  unsinnigsten  Wahnideen  mit  sich  herumtragen,  nicht 
nur  tadellos  wieder  erzählt,  sondern  auch  resümiert  und  auf  andere  Verhältnisse 
angewandt  werden.  Meistens  aber  versagen  bei  den  Anstaltspatienten  solche 
x\ufgaben  ganz,  oder  die  Moral  wird  im  Sinne  der  Komplexe  abgeleitet  oder 
aus  einer  zufälHgen  Assoziation  gebildet.  So  zieht  ein  Patient  aus  der  Test- 
fabel die  Moral,  daß  man  sich  nicht  soll  erschrecken  lassen,  wenn  man  eine  schwere 
Arbeit  bekomme. 

Das  Erfassen  einer  Geschichte  kann  auch  bei  sonst  ziemlich  ungehindert 
denkenden  Kranken  durch  Sperrungen  erschwert  sein.  Ein  sonst  sehr  attenter, 
von  Natur  intelligenter  Patient  konnte  eine  kleine  Fabel  einfach  nicht  in  den 
Kopf  bringen,  obschon  er  seine  Aufmerksamkeit  so  anstrengte,  daß  er  dunkelrot 
im  Gesichte  wurde,  schwitzte  und  schwer  atmete;  ,,die  Stimmen  verhinderten 
ihn  daran".  Manchmal  hilft  mehrfaches  Lesen;  aber  nicht  immer  wird  dadurch 
das  Resultat  besser. 

Einzelne  Kranke  erzählen  statt  des  Gelesenen  ganze  andere  Geschichten 
von  einem  Esel  oder  von  Salz  usw.  Andere  bringen  Bruchstücke  der  gegebenen 
Idee  in  neuen  naheliegenden  Zusammenhang;  so  haben  wir  mehrfach  gehört,  daß 
„ein  Esel  sich  habe  ersäufen  wollen".  Dann  wieder  werden  Bruchstücke  ohne  Zu- 
sammenhang reproduziert,  oft  auch  mit  schizophrenen  Zutaten:  „Ein  Esel  wurde 
schwer  mit  Salz  beladen  und  ging  mit  der  Last  davon  —  durch  die  Wüste."  Ge- 
legentlich bemerken  die  Kranken  die  Zusammenhanglosigkeit  oder  die  Unklarheit 
ihrer  Erzählung.  (Nach  zweimaligem  Lesen) :  „Ein  Esel  hat  Salz  mit  sich  geführt  und 
hat  in  den  Fluß  gemußt;  da  ist  ein  Schwamm  gekommen  —  ich  weiß  nicht,  ist  es 
ein  Schwamm  —  oder  ein  Schwan  —  oder  eine  Gans. . (Hier  hat  die  Patientin 
gemerkt,  daß  ein  Schwamm  nicht  gut  kommen  kann,  und  dann  den  Schwamm  in 
emen  Schwan  umgewandelt.)  In  schwereren  Fällen  werden  die  Begriffe  der  Geschichte 
durchemander  gemengt  und  grammatisch  miteinander  verbunden :  „Ein  Esel  watete 
durch  emen  Fluß,  in  dem  Schwämme  waren,  imd  da  war  ihm  die  Last  zu  schwer." 

')^u3verschiedenen:GrüncleQ  hat  sich  uns  alsText  für  einfache  Leistungen  die  foleende 
Fabel  gut  bewährt:  "  * 

Der  mit  Salz  beladene  Esel. 
Ein  Esel,  der  mit  Salz  beladen  war,  mußte  durch  einen  Fluß  waten.  Er  fiel  hin  und 
blieb  emige  Augenblicke  bshaglich  in  der  kühlen  Flut  liegen.   Beim  Aufstehen  fühlte  er 
sich  um  emen  großen  Teil  sMner  Last  erleichtert,  weil  das  Salz  im  Wasser  geschmolzen  war 
Langohr  merkte  sich  diesen  Vorteil  und  Avandte  ihn  gleich  am  folgenden  Tage  an,  als  er 
mit  Schwammen  belastet  wieder  durch  eben  diesen  Fluß  ging. 

n=iml,VW??w"^^     absichtlich  nieder,  sah  sich  aber  arg  getäuscht.  Die  Schwämme  hatten 

g^ß  daß^rTrr  ""'"'^  '"'^'^'"'^^  ^^'^  «° 

Ein  Mittel  taugt  nicht  für  alle  Fälle. 


70 


Scliizoplirenie. 


Wird  umgekehrt  der  kausale  Zusammenhang  besonders  betont  oder  gar  noch  durch 
unnötige  Zutaten  ergänzt,  so  handelt  es  sich  in  der  Eegel  um  eine  Komplikation 
mit  Alkoholismus:  „Ein  Esel  hatte  eine  Last  von  Schwämmen;  er  hatte  Durst, 
stieg  in  einen  Fluß,  um  Wasser  zu  trinken..." 

Eigentliche  Umbildungen  der  Erzählung  erweisen  sich  meist  als  Komplex- 
beeinflussungen. Eine  Kranke,  die  sich  Gewissensbisse  wegen  ungenügender  Abwehr 
bei  einem  Attentat  machte,  sollte  erzählen,  die  Axt  sei  in  einen  Fluß  gefallen;  statt 
„Fluß"  sagte  sie  aber  „Grube";  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  es  ein  Fluß  ge- 
wesen sei,  sagt  sie  „ja  eine  Grube  mit  Wasser".  Abgesehen  von  solchen  Fällen  sehen 
wir  bei  der  Schizophrenie  merkwürdig  wenig  Eigenbeziehungen  beim  Lesen  der 
Fabeln,  während  organisch  Depressive  die  Geschichte  des  Ertrinkenden  oder  über- 
lasteten in  der  Regel  auf  sich  beziehen,  und  auch  die  meisten  Alkoholiker  in  dem 
Wasser  eine  Anspielung  auf  ihre  Schwäche  finden. 

Die  Mehrzahl  der  Veränderungen  erscheinen  bei  unserer  Krankheit  meist  als 
„zufällige",  können  aber  nichtsdestoweniger  sehr  fest  gehalten  werden:  Eine  Hebe- 
phrene  behauptete,  sie  habe  soeben  von  einem  „tiefen"  Fluß  gelesen,  und  als  man 
ihr  das  Buch  vorhielt,  meinte  sie,  der  Druck  sei  inzwischen  verändert  worden.  Von 
dem  Walten  einer  eigentlichen  Phantasie  sieht  man  verhältnismäßig  wenig;  ist  sie 
aber  einmal  vorhanden,  so  kann  sie  bei  dem  Mangel  an  Sinn  für  die  Wirklichkeit 
ganz  frei  schalten.  Ein  hebephrener  Maler  beschrieb  die  Maltechnik  ganz  richtig; 
eigene  Erlebnisse,  die  Bibel,  Teil,  wurden  aber  in  den  Details  falsch  reproduziert, 
,,wie  es  etwa  gewesen  sein  könnte". 

Die  allgemeine  Denkerschwerung  zeigt  sich  unter  Umständen  im  Stillestehen 
des  Erzählens  und  den  kleinen  Schritten,  die  der  Gedankengang  macht:  ,,Es  war 
ein  Esel  (was  gemacht?)  durch  einen  Fluß  gegangen"  (imd  da?)  ,,er  ist  umge- 
fallen" (und  da?)  liegen  geblieben"  (und  da?)  ,, aufgestanden. .. "  Ein  anderer 
Patient  antwortet  auf  die  beständige  Frage  „und  dann?"  nur  mit  einzelnen  Worten: 
,, Langohr  —  schwimmen  —  schwere  Belastung  —  Kopf  hochheben  —  waten  — 
halten  ein  Ohr  zu  —  Abschütteln  —  Straße  nach  —  muß  geprügelt  werden  —  ..." 

Von  jeher  gilt  als  ein  Maß  für  die  Intelligenz  die  Krankheitseinsicht, 
und  diese  ist  bei  der  Schizoptreme  sehr  charakteristisch.  Wie  bei  anderen  Geistes- 
kranken fehlt  sie  auf  der  Höhe  der  Krankheit  meist  ganz  oder  teilweise.  Im 
Anfange  aber  halten  sich  viele  nicht  nur  für  nervös,  sondern  sie  erkennen  die 
GedankenanomaHe,  die  AbuHe  und  viele  andere  Symptome  ganz  gut;  wenn 
sie  sich  nicht  für  geisteskrank  halten,  fürchten  sie  manchmal  „geisteskrank  zu 
werden",  während  man  sie  in  einem  späteren  Stadium  „geisteskrank  gemacht" 
hat.  Auch  in  alten  Fällen  ist  teilweise  Krankheitseinsicht  nicht  selten,  wenn 
auch  die  Kranken  nur  ausnahmsweise  praktische  Konsequenzen  daraus  ziehen. 
Am  auffallendsten  sind  die  Paranoiden,  die  in  die  Sprechstunde  kommen  mit 
der  Klage,  sie  leiden  an  Verfolgungswahn  oder  an  Halluzinationen,  und  die 
Anomahe  so  objektiv  als  Krankheit  beschreiben,  wie  es  nur  möghch  ist.  Ein 
normal  denkender  Teil  ihres  Ich  beui-teilt  den  abnormen  bis  in  alle  Details  hmaus 
richtig,  aber  ohne  ihn  beeinflussen  zu  können.  Natürhch  gibt  es  auch  bei  diesen 
Kranken  Zeiten,  wo  die  WahnvorsteUungen  sie  ganz  beherrschen,  und  schon 
während  der  Untersuchung  kann  man  regelmäßig  Zusammenhänge  finden,  m 
denen  die  Einsicht  fehlt  oder  doch  ungenügend  ist. 

Vielen  Kranken  fäUt  es  zwar  auf,  daß  sie  die  Dinge  anders  ansehen  als 
früher,  sie  glauben  aber  früher  sich  getäuscht  und  jetzt  die  Wn-khchkeit  er- 
kannt zu  haben.  Sie  besitzen  eben  nun  „einen  verstärkten  Verstand  .  Die 


Grundsymptome.  Scliizophrene  Demenz. 


71 


eigenen  Handlungen  und  ihre  Motivierungen  werden  auf  der  Hohe  der  Krankheit 
falsch  beurteilt.  So  meinte  eine  so  intelligente  Kranke,  wie  Forels  Frl  L.  S. 
alles  geduldig  ertragen  zu  haben,  währenddem  sie  eine  Zeitlang  eme  recht  un- 
angenehme Patientin  gewesen  war. 

Bei  Wiederholung  der  Anfälle  können  die  Kranken  die  gleichen  Hand- 
lungen, die  sie  mit  Bezug  auf  die  Vergangenheit  als  unrichtig  bezeichneten, 
letzt  wieder  begehen  und  als  ganz  begründet  verteidigen. 

In  guten  Kemissionen  werden  die  Wahnideen  als  solche  erkannt,  wenn 
auch  da  wohl  ausnahmslos  in  bestimmten  Verbindungen  noch  etwas  von  den- 
selben nachzuweisen  ist.  Auch  das  Verhalten  während  der  Krankheit  können 
die  „Geheilten"  als  ki-ankhaft  und  unsinnig  bezeichnen:  aber  auch  da  fehlt 
meist  die  volle  Einsicht.  Ich  habe  eine  Katatonika  gesehen,  die  in  einer  Anstalt 
gegen  sich  und  andere  sehr  gewalttätig  war,  schmierte,  die  Nahrung  verweigerte, 
dann  während  der  größten  Erregung  vom  Vater  herausgenommen,  diesem  vom 
ersten  Tage  an  die  Haushaltung  führte  und  seine  Memoiren  redigierte.  Sie 
erinnerte  sich  an  alle  Details  des  Anstaltsaufenthaltes,  konnte  auch  das  eine 
oder  andere  Symptom  als  krankhaft  bezeichnen,  hielt  sich  aber  dennoch  für 
ungerecht  eingesperrt,  und  meine  vorsichtigen  Einwände,  daß  ihre  Gewalt- 
taten und  die  Nahrungsverweigerung  doch  kein  Zeichen  von  Gesundheit  ge- 
wesen seien,  glaubte  sie  damit  zu  entkräften,  sie  habe  eben  „in  den  Gang  der 
Anstalt,  wo  man  sie  so  ungerecht  behandelte,  störend  eingreifen  woUen". 

Neues  lernen  köimen  die  schwereren  Kranken  nicht  mehr  gut.  Ein- 
fache landwirtschaftliche  Verrichtungen  eignen  sie  sich  zwar  häufig  noch  an; 
auch  zu  dieser  und  jener  industriellen  Tätigkeit  können  sie  herbeigezogen  werden, 
müssen  aber  immer  unter  Aufsicht  sein.  In  der  Pflegeanstalt  Rheinau  habe  ich 
mir  seinerzeit  Mühe  gegeben,  das  Korbflechten  einzuführen;  es  war  aber  un- 
möghch,  auch  nur  einen  von  dieser  Auslese  schwerer  Kranker  zu  einem  selb- 
ständigen Arbeiten  zu  bringen. 

Das  schHeßt  nicht  aus,  daß  in  einem  andern  FaUe  ein  Patient,  der  einige 
Jahre  lang  ganz  schwer  katatonisch  gewesen  war  und  nun  an  ausgesprochener 
Paranoia  hallucinatoria  leidet,  auf  einmal  anfängt,  englisch  zu  lernen,  und  es 
in  der  Anstalt  autodidaktisch  soweit  bringt,  daß  er  seine  Übersetzungen  ver- 
kaufen kann. 

Die  Übungsfähigkeit,  gemessen  an  der  Gewandtheit  im  Addieren,  soll 
nach  Specht  (733)  normal  sein.  Nach  Reis  erweist  sich  bei  verschiedenen 
psychologischen  Prüfungsarten  der  Übungsfortschritt  als  etwas  vermindert;  in 
einem  Falle  fehlte  er  ganz.  Weitere  Untersuchungen  an  fortgeschrittenen  Kranken 
wären  allerdings  noch  erwünscht;  denn  Aufmerksamkeit,  guter  Wille  usw. 
beeinflussen  natürlich  das  Resultat  sehr  stark. 

Die  Fähigkeit,  zu  rechnen,  wird  in  schwereren  Fällen  leicht  alteriert, 
doch  kann  sie  sich  jeden  Augenblick  wieder  herstellen,  wenn  die  Patienten 
komponiert  genug  sind,  um  eine  Rechnungsaufgabe  zu  überschauen.  Versehen 
aller  Art,  wie  sie  bei  Perplexität  und  bei  mangelnder  Aufmerksamkeit  vor- 
kommen, sind  natürlich  bei  den  Anstaltspatienten  sehr  häufig;  dazu  kommt 
noch,  daß  sie  oft  nicht  den  Willen  haben,  richtig  zu  antworten;  auch  ganz 
gescheite  Schizophrene  genieren  sich  keineswegs,  bei  einer  klinischen  VorsteUung 
zu  sagen  3  x  34  sei  100.  Leichtere  Fälle  im  chronischen  Stadium  eignen  sich 


72 


Schizophrenie. 


aber  manchmal  sehr  gut  zu  rechnerischen  Bureauarbeiten.  Sie  sehen  nicht 
nebenaiis,  denken  nichts  anderes  und  können  jahrein  jahraus  wie  eine  Maschine 
mit  der  größten  Gewissenhaftigkeit  oder  sagen  wir  „Genauigkeit"  arbeiten. 

Bei  Spiele n  aller  Art  verhalten  sich  die  Kranken  wie  bei  anderen  geistigen 
Leistungen,  d.  h.  äußerst  verschieden.  Viele  haben  gar  keine  Spur  eines  Be- 
dürfnisses sich  zu  unterhalten.  Diejenigen,  die  den  Trieb  haben,  zu  spielen, 
wenden  dieser  Beschäftigung  oft  volle  Aufmerksamkeit  wie  ein  Gesunder  zu; 
und  zwar  können  nicht  nur  chronische  Fälle  die  gewohnten  Spiele,  besonders 
Kartenspiele  mit  Raffinement  und  voller  Erwägung  aller  komphzierten  Ver- 
hältnisse spielen,  sondern  auch  ein  recht  verwirrt  erscheinender  Katatoniker 
im  akuten  Stadium  kann  durch  ein  virtuoses  Schachspiel  überraschen.  Von 
Gesellschaftsspielen  sind  natürlich  diejenigen,  die  Esprit  verlangen,  mit  den 
meisten  Patienten  nicht  durchzuführen. 

Die  Phantasie  der  Schizophrenen  leidet  in  der  Regel  stark.  Die  meisten 
haben  keinen  Trieb,  Neues  zu  denken  und  ebensowenig  das  Vermögen,  es  zu  tun. 
Neue  Gedanken  bestehen  oft  in  sonderbaren  Zusammensetzungen  des  vor- 
handenen Vorstellungsschatzes,  die  aber  ohne  intellektuelles  Ziel  zustande 
.kommen  und  deshalb  nur  Bizarrerien,  aber  keine  eigentlichen  Schöpfungen 
.von  Ideen  hervorbringen.  Ein  Paralytiker  der  manischen  Form  kann  in  einem 
Tage  mehr  Neues  produzieren  als  eine  ganze  Abteilung  voll  Schizophrener 
.  während  Jahren. 

Die  ästhetischen  Fähigkeiten  werden  durch  die  Krankheit  meist 
vernichtet  oder  doch  stark  geschädigt.  Es  fehlt  eben  die  Konsequenz  des  Denkens, 
das  Urteil,  die  gemüthche  Unterlage  und  vor  aUem  die  Initiative  und  die  Fähig- 
keit, zu  produzieren.  Es  fehlt  auch  meist  die  Genußfähigkeit  für  Kunstwerke. 

Dann  und  wann  fällt  es  auf,  daß  ein  anscheinend  ganz  verblödeter  Patient, 
der  viele  Jahre  lang  kein  rechtes  Gefühl  und  kein  vernünftiges  Wort  geäußert 
hat,  in  einer  musikalischen  Phantasie  einen  künstlerischen  Ausdruck  für 
die  verschiedensten  Stimmungen  findet.  Aber  Stimmung  und  Ausdrucksmittel 
wechseln  bei  den  meisten  musizierenden  Kranken  ganz  abrupt;  der  schizophrene 
Gedankengang  mit  seinen  unvermittelten  Ubergängen,  seinen  Bizarrerien, 
Sperrungen  und  Perseverationen  zeigt  sich  ebensogut  in  den  musikalischen 
Äußerungen  wie  in  den  sprachlichen;  man  kann  manchmal  aus  einer  kurzen 
Kla%aerproduktion  die  Diagnose  mit  Sicherheit  machen. 

Bildende  Kü  nstler  werden  meist  durch  die  Krankheit  schwer  geschädigt; 
hier  tritt  das  Bizarre  in  Idee,  Technik  und  Durchführung  meist  sofort  in  die 
Augen.  Daß  die  Produktivität  leidet,  ist  selbstverständhch ;  doch  gibt  es  Maler, 
die  lange  Zeit  immer  eine  bestimmte  Idee  unendhche  Male  wiederholen i).  Oft 
dient  dFe  Kunst  als  Ausdrucksmittel  der  Wahnideen  und  ist  dann  auf  den  ersten 
Bhck  als  krankhaft  zu  erkennen. 

Dichterisches  Talent  leidet  natürlich  schwer  unter  dem  schizophrenen 
Ideengang,  der  Zerfahrenheit,  der  GefühUosigkeit,  der  Geschmacklosigkeit  und 
dem  Mangel  an  Produktivität  und  Initiative.  Wenn  auch  ziemHch  viel  schizophrene 
Dichtungen  gedruckt  werden,  so  kommt  selten  etwas  dabei  heraus.  Am  besten  ist 
es  noch,  wenn  die  Sachen  nur  unbedeutend  sind;  meist  sind  sie  ganz  ungenießbar. 

1)  In  leichteren  FcäUen  kann  die  Eigentümlichkeit  der  Sujets,  der  Auffassung  und  der 
Technik  den  schizophrenen  Maler  berülimt  machen. 


Grundsymptome.  Schizophrene  Demenz. 


73 


Gute  Beispiele  geben  die  späteren  Gedichte  von  Hölderlin,  unter  denen 
TatJs  l  bekrtest'en  ist  und  den  -l-phrenen  Gedanke nga„^ 
We^e  illustriert.  Ein  bezeichnendes  Beispiel  für  die  LeeAeit  und  Unklaiheit  der 
Heen  bei "nnehaltung  einer  gewissen  formellen  Technik  gibt  Christian  (126)  S.  27. 

Sous  le  chaud  soleil  qui  rayonne 

Cach6e  a  l'ombre  du  Sumac. 

La  dormeusc  mele  au  tabac 

Sa  criniere  epaisse  de  lionne. 

Das  Banale  in  Gedanken  und  Form  zeigen  die  von  Stawitz  publizierten 


Verse ; 


Der  Chorgesang. 

Stärker  als  die  Sprache  der  Natur 
von  bekannten  Sängern  schallte  nur, 
eines  Tags  ein  Lied  mir  zu. 
Manch  Träne,  die  mein  Herz  verbarg, 
trat  hervor,  im  Überwinden  karg, 
schaffte  so  der  Seele  Ruh! 
Mehr  noch  schätzte  ich  das  Singen 
als  vorher;  es  gab  ja  Sch-wingen. 
Meinem  Rückblick  in  die  Zeit.  . 
Meinem  Ohr'  ward  es  zur  Weid. 


Mehr  als  alle  andern  Künste 
macht  Gesang  das  Herz,  das  dümmste, 
stärker  dir  im  Nu. 
Er  ist  seiner  Schwestern  Führer 
reuiger  Gemüter  Kürer  # 
schafft  dem  Herzen  Ruh'. 
Jeder  Bund,  der  gerne  übet 
den  Gesang,  wird  nicht  getrübet 
durch  die  Wolken  aller  Zeiten, 
läßt  sich  von  Entzücktheit  leiten. 

Das  Bizarre  drückt  sich  in  folgenden  Versen  aus,  deren  Autor  ich  nicht  mehr 
anführen  kann: 

Wie  hat  die  Liebe  mich  entzückt, 
als  ich  noch  schwer  und  kugelmnd! 
Hier  sitz  ich.  jetzt  und  bin  verrückt, 
und  wiege  kaum  noch  hundert  Pfund. 

In  schwereren  Fällen  kommt  es  zu  ganz  unverständlichem  Wortsalat  oder 
gar  zu  einer  mehr  oder  weniger  versifizierten  Aneinanderreihung  von  unbekannten 
Worten. 

Wo  solche  Fehler  nicht  gemacht  werden,  leiden  doch  die  Geistesprodukte 
der  Schizophrenen  meist  unter  dem  Mangel  der  Verarbeitung,  an  Gedanken- 
leere und  Plattheit  des  Inhaltes.  Oder  es  macht  der  Mangel  an  Verarbeitung 
auch  an  sich  gute  Ideen  ungenießbar. 

Alles  das  gilt  von  den  höheren  Graden  der  Krankheit,  wie  sie  zur  ärztlichen 
Behandlung  kommen.  Wir  wissen  aber,  daß  einige  sehr  bekannte  Künstler  und 
Dichter  (z,  B.  Schumann,  Scheffel,  Lenz,  van  Gogh)  Schizophrene  waren. 

Es  ist  nicht  auszuschließen,  daß  die  ganz  leichte  Schizophrenie  für 
künstlerische  Produktivität  geradezu  günstig  sei.  Die  Unterordnung  aller  Ge- 


74 


Schizophrenie. 


dankenverbmdungen  unter  einen  Komplex,  die  Neigung  zu  neuen,  ungewohnten 
Gedankengängen,  die  Unbekümmertheit  um  die  Tradition,  der  Mangel  an 
hene  müssen  günstig  wirken,  wenn  diese  Eigenschaften  nicht  überkompensiert 
werden  durch  die  eigenthchen  Assoziationsstörungen.  Sind  doch  alle  echten 
Kunstlernaturen  Leute  mit  stark  abgespaltenen  gefühlsbetonten  Komplexen 
weshalb  bei  ihnen  hysteriforme  Symptome  so  häufig  sind.  „Komplexmenschen" 
sind  aber  auch  die  Schizophrenen.  Die  Frage  sollte  weiter  studiert  werden. 

In  akuten  Zuständen  kann  sich  sogar  eine  Ai-t  pathologischer  Produk- 
tivität ausbilden.  Die  Patientin  Foreis  konnte  sonst  keine  Verse  machen;  im 
Vorstadium  der  Krankheit  „verfolgten"  sie  die  werdenden  Verse  geradezu'. 


Q  Das  Handeln  und  Benehmen. 

Das  ausgesprochen  schizophrene  Handeln  ist  gestempelt  durch  Interesse- 
losigkeit, Mangel  an  Initiative  und  an  einem  bestimmten  Ziel,  durch  ungenügende 
Anpassung  an  die  Umgebung,  d.  h.  Außerachtlassen  vieler  Faktoren  der  Wirk- 
lichkeit, durch  Zerfahrenheit,  plötzliche  Einfälle  und  Sonderbarkeiten. 

Die  leichteren  latenten  Fälle  leben  im  wesentlichen  wie  andere  Leute  und 
gelten  als  gesund.  Sie  fallen  höchstens  durch  EmpfindHchkeit  und  hie  und  da 
durch  eine  Bizarrerie  auf,  arbeiten  innerhalb  und  außerhalb  der  Anstalten, 
der  eine  sehr  fleißig,  der  andere  in  launisch  um-egelmäßiger  Weise.  Sie  sind  in 
allen  einfacheren  Berufen  tätig,  gelegentlich  auch  einmal  in  einem  künstlerischen 
oder  akademischen.  Oft  geht  es  gut,  manchmal  sogar  sehr  gut;  letzteres  aber 
nur  bei  bestimmt  vorgezeichneter  Arbeit,  z.  B.  als  Bauernknecht,  als  Dienst- 
mädchen, öfter  allerdings  weichen  sie  vom  Üblichen  ab.  Sie  wechseln  häufig 
den  Beruf  oder  die  Stellung.  Da  läuft  einer  einfach  aus  der  Arbeit,  ohne  nur 
den  Lohn  zu  beziehen;  ein  junger  Bildhauer,  dem  es  im  Beruf  ganz  gut  geht^ 
zieht  ein  J ahr  lang  mit  einem  Phonographen  herum.  —  Die  meisten  beschränken, 
den  Kontakt  mit  der  Außenwelt  mehr  oder  weniger  deutlich,  teils  allgemein,, 
teils  in  einer  Auswahl  von  Beziehungen. 

Am  auffallendsten  ist  in  diesen  leichten  Fällen  gewöhnlich  die  Keizbarkeit 
und  Empfindlichkeit.  Wegen  irgend  welchen  Kleinigkeiten,  die  ihnen  im  ge- 
gebenen Moment  nicht  gefallen,  können  sie  schmollen,  schimpfen,  davonlaufen; 
kommt  der  Bräutigam  nicht,  so  ist  es  nicht  recht,  kommt  er,  so  hat  die  Braut 
erst  recht  zu  tadeln.  Im  großen  wie  im  kleinen  entwickeln  sie  einen  unangenehmen 
Eigensinn.  Daneben  sind  sie  launisch,  laufen  unter  Umständen  mitten  in  der 
Nacht  weg. 

Die  Neigung,  sich  von  den  übrigen  Menschen  abzuschließen,  kann  sich 
verbinden  mit  Exzessen  in  liederhcher  Gesellschaft.  Die  Gleichgültigkeit  in 
wichtigen  Dingen  und  die  Faulheit  bringt  die  Leute  auf  die  Straße  oder  sonst 
in  ein  ungünstiges  Milieu,  sie  werden  Vaganten^),  Diebe,  seltener  Betrüger  und 
andere  Verbrecher.  Auch  zwei  schizophrene  Pyromanen  habe  ich  gesehen.  Doch 
bedingt  die  Apathie  und  Willenlosigkeit  im  allgemeinen  eine  relative  Unge- 
fährlichkeit.  Wenn  auch  jedes  Zuchthaus  Schizophrene  beherbergt,  so  ist  ihre 
Zahl  doch  in  keinem  Verhältnis  zu  der  Häufigkeit  der  in  der  Freiheit  Lebenden, 


^)  Vgl.  Willmanns. 


Grundsymptome.  Handeln  und  Benehmen. 


75 


von  denen  ja  viele  der  sozialen  Gefühle  mehr  oder  weniger  entbehrten  oder  m- 
oi;  von  Wahmdeen,  aus  Ingrimm  wegen  der  erlittenen  f -^«"^^^^^^^^ 
geradezu  antisozial  denken  und  fühlen.  Immerhni  smd  m  absoluter  Zahl  die 
schizophrenen  Mörder  nicht  ganz  so  selten.  .   ,    ,  , 

Das  Streben  ist  meist  kraftlos,  wenn  es  mcht  ganz  aufgehört  hat.  In  ein- 
zelnen FäUen  allerdings  ist  es  übertrieben  stark,  wenn  auch  einseitig  (Welt- 
"rbesser  r  Pseudodichter).  Bei  Arbeiten,  deren  die  Kranken  mcht  ganz 
gew^^^^^^^  sind,  versagt  zunächst  nicht  sowohl  die  Intelligenz  als  die  Enerke. 
Viele  schwerer  Kranke  veimeiden  jede  Arbeit  mit  einer  blödsinrngen  Ausrede  oder 
auch  ohne  eine  solche.  GelegentHch  arbeiten  sie  wie  eine  Maschine;  gibt  man 
dem  Patienten  eine  Säge  in  die  Hand,  so  zieht  er  sie  hm  urid  her,  bis  das 
Holz  durch  ist,  um  dann  regungslos  stehen  zu  bleiben,  bis  der  Warter  die 
Arbeit  neu  eingerichtet  hat.  Andere  machen  sich  sehr  nützHch,  wenn  man 
ihnen  eine  Arbeit  geben  kann,  die  nicht  viel  zu  denken  gibt  und  keine  eigene 
Initiative  verlangt:  sie  tragen  Kohlen,  jäten,  stricken,  halten  bestimmte  Räume 
in  Ordnung;  auch  zum  Posten  sind  sie  oft  noch  zu  verwenden.  Es  gibt  dann 
und  wann  Schizophrene,  die  keine  Ermüdung  spüren  und  teils  ohne  viel  zu 
denken,  teils  mit  etwelcher  Überlegung  den  ganzen  Tag  schaffen,  so  daß  man 
sie  vor  ihrer  Arbeitsgier  schützen  muß. 

Interessant  und  weiterer  Verfolgung  wert  ist  die  Beobachtung  Kraepelins 
(390,  Bd.  II,  S.  315),  der  in  einem  Fall  den  Mangel  des  Schlußantriebes  kon- 
statierte. Wo  weder  Eimüdung  noch  Interesse  ist,  war  das  zu  erwarten. 

Der  Intelligenzdefekt  im  engeren  Sinne  macht  die  Leute  in  den  höheren 
Graden  der  Erkrankung  zu  komplizierten  Arbeiten  ganz  oder  teilweise  unfähig. 

So  konnte  ein  Patient  Kraepelins  noch  ganz  gut  abzeichnen,  aber  keine 
Kurven  mehr  konstruieren,  ein  anderer  genau  kopieren,  nicht  aber  die  Einschaltungs- 
zeichen richtig  verwerten.  Überhaupt  zeigen  die  Patienten  auch  bei  der  Arbeit 
wenig  Variationsfähigkeit;  bei  sehr  vielen  muß  die  Arbeit  so  gemacht  werden,  wie 
es  ihnen  nun  einmal  im  Kopf  steckt,  auch  dann,  wenn  es  ganz  unpassend  ist.  Der 
Mangel  an  Überlegimgsfähigkeit  macht  sich  sehr  fühlbar.  Da  verlangt  ein  pensionierter 
Lehrer  WiederansteUung,  beschimpft  aber  im  gleichen  Schreiben  die  Behörden. 
Ein  Arzt,  der  wegen  gemeingefährlicher  Drohungen  in  die  Anstalt  gewiesen  ist,  meint 
allen  Ernstes,  er  könne  jede  gewünschte  Freiheit  dadurch  erzwingen,  daß  er  mir  einen 
Prozeß  anhänge;  dann  sei  ich  sein  Prozeßgegner  und  habe  nicht  mehr  als  Experte 
und  Anstaltsdirektor  die  Gewalt,  ihn  einzuschränken.  AlltägUch  sind  die  ganz  un- 
überlegten Fluchtversuche  anscheinend  besonnener  Kranker  vor  den  Augen  der 
Wärter  oder  vom  Zimmer  in  einen  Korridor  hinaus,  aus  dem  erst  noch  einige  ge- 
schlossene Türen  zu  passieren  wären. 

Die  Ziele,  die  die  Patienten  sich  gesteckt  haben,  sind  oft  in  grobem  Wider- 
spruch, nicht  nur  mit  ihrem  aktuellen  Können,  sondern  mit  ihren  geistigen 
Anlagen  überhaupt.  Weltverbesserung,  Poesie,  Philosophie  sind  von  manchen 
Schizophrenen  geschätzte  Tätigkeiten.  Immerhin  sagen  viele  im  kleinen  und 
im  großen  Wahrheiten,  an  die  der  Gesunde  nicht  denkt. 

Auch  in  kleineren  Dingen  können  sie  recht  naseweise  und  altklug  erscheinen, 
so  wenn  ein  ungebildeter  Patient  in  einem  langen  Briefe  einem  Arzte  gute  Räte 
gibt,  wie  er  seinen  (des  Arztes)  Verwandten  behandeln  müsse,  oder  wenn  einer 
blödsinnigen  Patientin  in  wichtigem  Tone  Belehrungen  über  feines  Benehmen 


I 


76 


Schizophrenie. 


in  Gesellschaft  gegeben  werden.  Nicht  viel  besser  ist  es,  wenn  einer  Zeitungs- 
artikel über  den  bildenden  Wert  des  Zirkus  auf  das  Zürcher  Publikum  schreibt. 
Auch  im  äußeren  zeigt  sich  zeitweilen  übertriebene  Eitelkeit  bis  zur-  tollen  Fratze. 
Häufiger  allerdings  werden  die  Kranken  schließhch  unsauber,  salopp  in  allen 
Beziehungen. 

Manchmal  aber  können  auch  Schwerkranke  ihren  Nebenmenschen  gerade 
dadurch  imponieren,  daß  sie  alle  Schwierigkeiten  außer  acht  lassen.  Eine  schizo- 
phrene Dame  erheiratet  sich,  ohne  daß  er  eigentlich  einverstanden  ist,  einen 
Mann,  der  sonst  eipen  eigenen  Willen  besitzt  und  sich  in  sehr  ausgesetzter 
Stellung  einen  Namen  gemacht  hat.  In  einer  öffentHchen  Rede  können  solche 
Leute  ein  ganzes  Auditorium  von  ihrer  Gesundheit  und  vielen  anderen  fingierten 
Dingen  überzeugen.  Der  Dichter  von  „Freut  euch  des  Lebens"  wählte  sich 
eine  schizophrene  Braut,  gerade  um  der  „naiven  Etourderie"  willen,  die  sie  in 
der  damaligen  steifen  Gesellschaft  auszeichnete. 

In  den  mittleren  und  schweren  Fällen  tritt  auf  intellektuellem  Gebiet 
die  Zerfahrenheit  in  den  Vordergrund. 

Eine  gebildete  Dame  schreibt  eine  Menge  Briefe,  adressiert  sie,  versieht  sie 
mit  dem  Vermerk  ,, Einschreiben",  schickt  sie  aber  nicht  ab.  Ein  Lehrer  verlangt 
auf  einmal  eine  Stelle  mit  2000  Fr.  Gehalt  und  läuft  aus  der  bisherigen  Anstellung 
fort.  Ein  ungebildeter  Mensch  will  Theorie  der  Musik  studieren.  Ein  Kommis  reist 
jede  Nacht  zwischen  Eomanshorn  und  Genf  hin  und  her,  weil  er  gehört  hat,  daß 
sich  schon  Leute  auf  Nachtzügen  gut  verlobt  hätten.  Ein  Mann  zieht  sich  im  Winter 
im  Freien  aus,  geht  nackt  durch  das  Dorf,  um  in  dem  eine  halbe  Stunde  entfernten 
Flusse  zu  baden.  Ein  junges  Mädchen  näht  Strümpfe  auf  einen  Teppich. 

Die  pathologischen  Einfälle  machen  manchen  Patienten  den  Broterwerb 
unmöglich.  Sonst  fleißige  Leute  kommen  ohne  ersichthchen  Grund  eines  Tages 
nicht  zur  Arbeit,  sehen  es  aber  als  ganz  selbstverständhch  an,  daß  sie  nachher 
einfach  wieder  ihren  Arbeitsplatz  einnehmen,  ohne  sich  nur  zu  entschuldigen. 
Ein  Hebephrene,  der  viele  Jahre  lang  mit  nie  aussetzendem  Fleiß  den  Dung 
über  die  weiten  Gartenkulturen  der  Anstalt  verteilt  hatte,  wird  eines  Tages 
dabei  betroffen,  wie  er  die  Zwergbäumchen  unter  Abschneiden  der  Wurzeln 
hebt,  „höher  einsetzt",  wie  er  meint.  In  der  unklaren  Idee  etwas  Gutes  zu 
stiften,  hatte  er  einige  hundert  Bäume  rmniert.  Es  gibt  keine  Dummheit,  die 
nicht  als  pathologischer  Einfall  von  unseren  Kranken  ausgeführt  werden  kann, 
ohne  daß  sie  sich  darüber  Rechenschaft  geben;  der  eine  allerdmgs  schlägt  nur 
ein  paar  Mal  auf  den  Tisch  oder  kräht  wie  ein  Hahn,  ein  anderer  aber  zündet 
ein  Haus  an  oder  wirft  seine  Mutter  in  den  Brunnen. 

Oft  entfernen  sich  die  Patienten  in  ihrem  allgemeinen  Benehmen  mehr 
und  mehr  von  dem  gewöhnlichen  und  werden  immer  schrullenhafter.  Das  kann 
so  weit  gehen,  daß  drei  unserer  Kranken,  aus  guten  Famihen,  während  sie  noch 
als  gesund  galten,  lange  Zeit  ihre  Fäzes,  in  Papier  eingewickelt,  in  Schränken 
versteckten.  Eine  in  der  Anstalt  tüchtig  arbeitende  Kranke  geht  jeden  Sonntag 
nach  Hause  und  sitzt  von  1  Uhr  45  Minuten  bis  5  Uhr  30  Minuten  auf  einem 
Stuhl,  immer  in  die  gleiche  Ecke  starrend  und  ohne  ein  Wort  zu  sagen.  Weiter 
Fortgeschrittene  sammeln  allerlei  Gegenstände,  brauchbare  und  unbrauchbare, 
mit  denen  sie  ihre  Wohnung  füllen,  so  daß  sie  sich  kaum  mehr  dann  bewegen 
können;  schließlich  wird  der  Sammeltrieb  so  blöde,   daß  die  Taschen  mit 


(Ti-undsymptome.  Handeln  und  Benehmen. 


77 


Steinchen,  Hölzchen,  Lumpen  und  anderem  Unrat  vollgestopft  werden.  Auch 
die  Neigung  zu  Faxen  kann  so  überhand  nehmen,  daß  man  äußerlich  das  Bild 
eines  eintönigen  chronischen  Klownismus  vor  sich  hat. 

Kranke  mit  ganz  unverständlichem  Benehmen  können  zwischendurch 
wieder  mehr  oder  weniger  normal  erscheinen.  Sie  füllen  auf  einmal  wieder 
einen  Posten  aus;  oder  sie  machen  namentlich  oft  einen  mehrwöchentlichen 
IVIilitärdienst  tadellos  durch^).  Umgekehrt  kann  eine  plötzliche  AufTegung  mit 
oder  ohne  Anlaß  ein  ruhiges  Krankheitsbild  auf  einmal  wieder  bewegt  machen. 
Ein  gebesserter  Patient  wollte  eine  Katze  töten,  wurde  aber  vom  Vater  getadelt. 
Da  rief  er  sehr  aufgeregt:  „Jetzt  ist  alles  aus",  sprang  in  den  Fluß,  schwamm 
wieder  ans  Land  und  fing  an  zu  arbeiten,  wie  vorher. 

Der  Verkehr  mit  anderen  Leuten  ist  nicht  nur  durch  die  Reizbarkeit  und 
die  Sonderbarkeiten  gestört.  In  ihrem  Autismus  können  sie  sich  in  einem  über- 
füllten Axbeitssaal  benehmen,  wie  wenn  sie  allein  wären;  alles  was  die  anderen 
angeht,  existiert  nicht  für  sie.  Auf  den  Abteilungen  verändern  viele  beim  Kommen 
und  Gehen  des  Arztes  in  keiner  Weise  die  Haltung,  außer  wenn  sie  sich  durch 
Mimik  oder  Stellung  noch  deutlicher  abwenden  können.  Sie  kehren  der  Welt 
andauernd  den  Rücken,  suchen  sich  vor  allen  Einwirkungen  von  außen  zu 
schützen.  Das  kann  bis  zu  einer  Art  Stereotropie  gehen,  indem  die  Kranken 
sich  nur  in  einer  Ecke  wohl  fühlen,  wo  sie  sich  so  dicht  als  möglich  an  die  Wände 
anschmiegen.  Wo  sie  sich  selbst  überlassen  sind,  findet  man  sie  auch  in  der 
Kante  zwischen  Wand  und  Boden  herumliegen,  das  Gesicht  gegen  die  Wand 
gekehrt  und  oft  erst  noch  mit  einem  Tuche  oder  den  Händen  bedeckt.  Bei 
leichterer  Erkrankung  kann  es  auch  vorkommen,  daß  ein  Hebephrene  ohne 
Anzeige  aus  Amerika  zurückkommt,  in  der  Scheune  seiner  Eltern  sein  Nacht- 
quartier aufschlägt  und  dort  erst  nach  einiger  Zeit  entdeckt  wird,  da  er  jeweilen 
sehr  früh  an  seinen  entfernten  Arbeitsort  gehen  muß.  —  Unterhaltungsbedürfnis 
überhaupt  fehlt  vielen,  auch  arbeitsfähigen  Schizophrenen  vollständig.  Das 
Leben  der  Kranken  wickelt  sich  dann  sehr  einförmig  ab  zwischen  Arbeiten, 
Essen,  Trinken  und  Schlafen. 

Müssen  die  Schizophrenen  mit  anderen  Menschen  verkehren,  so  geschieht 
es  oft  in  recht  sonderbarer  Weise.  Bald  sind  sie  aufdringlich,  können  nicht  fertig 
werden,  immer  das  Gleiche  zu  sagen,  sind  vollkommen  taub  gegen  alle  Einwen- 
dungen; bald  verhalten  sie  sich  abweisend,  kurz,  grob.  Ein  hebephrener  Apotheker 
machte  den  Kunden  Vorwürfe,  wenn  sie  Rezepte  brachten,  die  viel  zu  tun  gaben. 

*       ...  * 

So  die  Fälle,  die  noch  fähig  sind,  zu  handeln  und  mit  Menschen  zu  ver- 
kehren. Nimmt  der  Autismus  überhand,  so  bildet  er  schheßhch  einen  voUen  Ab- 
schluß um  die  kranke  Psyche.  Wie  im  Traum  leben  die  schwersten  Schizo- 
phrenen m  den  ihnen  angewiesenen  Räumen,  bald  maschinenmäßig  herum- 
gehend oder  sonst  sich  bewegend  ohne  ein  äußeres  Ziel,  bald  stumm  und  re- 
gungslos, den  Kontakt  mit  der  Außenwelt  auf  ein  unfühlbares  Minimum  herab- 
setzend. Treten  in  irgend  einem  Stadium  akzessorische  Svmptome  in  den  Vorder- 
grund,  so  smd  es  diese,  die  das  Handeln  und  das  äußere  Benehmen  bestimmen. 

Viel  häufiger  allerdings  benehmen  sich  latente  Schizophrene  im  Heere  selxr  unpassend . 


78 


Schizophrenie. 


2.  Kapitel. 
Die  akzessorischen  Symptome. 

Nicht  häufig  sind  die  Grundsympfcome  so  stark  ausgebildet,  daß  sie  den 
Patienten  in  die  Irrenanstalt  führen.  Erst  die  akzessorischen  Erscheinungen 
verunmöglichen  ihm  den  Aufenthalt  in  der  Familie,  oder  sie  sind  es,  die  die 
Psychose  manifest  machen  und  Veranlassung  geben,  psychiatrische  Hilfe  in 
Anspruch  zu  nehmen.  Sie  können  während  des  ganzen  Verlaufs  verbanden  sein 
oder  auch  nur  in  ganz  behebigen  Abschnitten  desselben.  Sie  drücken  meist  dem 
äußeren  Krankheitsbhd  ihren  Stempel  auf,  so  daß  man  vor  Kraepelin  aus- 
schheßhch  nach  diesen  Symptomen  und  ihrer  Gruppierung  besondere  Krank- 
heiten abgrenzen  zu  können  glaubte. 

Am  bekanntesten  sind  die  Halluzinationen  und  Wahnideen.  Neben  ihnen 
haben  verhältnismäßig  wenig  Berücksichtigung  gefunden  die  Störungen  in  der 
Gedächtnisfunktion  und  die  Veränderungen  der  Persönlichkeit.  Sprache  und 
Schrift  und  eine  Anzahl  körperlicher  Funktionen  sind  manchmal  in  ganz  un- 
regelmäßiger, aber  typischer  "Weise  verändert.  Eine  besondere  Gruppe  von  Er- 
scheinungen wird  seit  Kahlbaum  unter  dem  Namen  der  katatonen  Symptome 
zusammengefaßt.  Alle  diese  Störungen  können  vorübergehend  sein  oder  lange 
andauern.  Es  gibt  aber  außerdem  bestimmte  akute  Symptomenkomplexe,  die 
sich  aus  den  genannten  und  noch  anderen  Erscheinungen  zusammensetzen 
und  den  Eindruck  von  selbständigen  akuten  Psychosen  gemacht  haben.  Für  uns 
sind  sie  Episoden  oder  Exazerbationen  in  einem  längeren  Krankheitsverlauf, 


a)  Die  Sinnestäuschungen. 

Bei  den  Schizophrenen  der  Anstalten  stehen  meist  die  Sinnestäuschungen, 
Illusionen  und  namenthch  Halluzinationen  ^)  im  Vordergrund.  Die  Klagen  der 
Patienten,  die  Auffälligkeiten  ihres  äußeren  Verhaltens,  Aufregung  und  Be- 
ruhigung, Glückseligkeit,  Verzweiflung  und  Wut  sind  in  der  Regel  mit  Sinnes- 
täuschungen im  Zusammenhang  oder  gelten  geradezu  als  Folgen  von  Sinnes- 
täuschungen. 

Charakteristisch  für  die  Halluzinationen  der  Schizophrenie 
ist  die  Bevorzugung  des  Gehörs  und  der  Körperempfindungen. 
Zeitweise  oder  dauernd  hört  nahezu  jeder  Schizophrene  der  Anstalten  Stimmen. 
Fast  ebenso  häufig  sind  Trugwahrnehmungen,  die  den  verschiedenen 
Körperorganen  entsprechen;  Tasthalluzinationen  sind  verhältnis- 
mäßig selten,  wenn  auch  die  Empfindungen  am  Körper  herum  sich  bewegender 
Tiere,  namenthch  Schlangen,  hie  und  da  geklagt  werden,  und  wenn  auch  manche 
Körperhalluzinationen,  wie  die  des  Geschändet-,  Geschlagen-,  Gebrannt-, 
Elektrisiertwerdens,  eine  Tastkomponente  haben  mögen.  Nach  der  Zahl  der 
Patienten,  die  uns  davon  reden,  werden  in  dritter  Linie  Geschmacks-  und 
Geruchshalluzinationen  zu  nennen  sein.  Die  Halluzinationen  und 
Illusionen  des  Gesichts  sind  bei  besonnenen  Patienten  nicht  gerade  häufig, 


1)  Die  „Parästhesien"  siehe  unter  den  „körperlichen  Symptomen". 


Akzessorische  Symptome.  Sinnestäuschungen. 


79 


treten  aber  in  akuten  halluzinatorischen  Aufregungen  und  in  Dämmerzuständen 
in  den  Vordergrund.  Bei  den  anderen  Sinnen  scheinen  die  Illusionen  vor  den 
Halluzinationen  zurückzutreten:  beim  Geschmack  allerdings  ist  die  Entschei- 
dung, ob  Illusion  oder  Halluzination,  sehr  schwer,  da  diese  Sinnestäuschungen 
meist  wähi-end  des  Essens  auftreten.  Ebenso  ist  es  bei  dem  jetzigen  Stande 
unseres  Wissens  irrelevant,  ob  die  auch  vorkommenden  Täuschungen  der 
kin ästhetischen  Sinne  Illusionen  oder  Halluzinationen  genannt  werden. 

Inhalt  der  schizophrenen  Halluzinationen  kann  so  ziemlich  alles  sein, 
was  der  normale  Mensch  wahrnimmt,  und  dazu  kommen  noch  alle  die  Empfin- 
dungen, die  die  krankhafte  Psyche  neu  zu  schaffen  vermag. 

Die  Patienten  hören  Wehen,  Sausen,  Summen,  Rasseln,  Schießen,  Donnern, 
Musizieren,  Weinen  und  Lachen,  Flüstern,  Sprechen,  Rufen;  sie  sehen  einzelne 
Dinge,  Landschaften,  Tiere,  Menschen  und  allerlei  unmögliche  Gestalten;  sie 
riechen  und  schmecken  Angenehmes  und  Unangenehmes,  was  nur  auf  diese 
Sinne  wirken  kann;  sie  tasten  Dinge  und  Tiere  und  Menschen  und  werden  von 
Regentropfen,  Feuer,  Kugeln  getroffen;  sie  spüren  alle  Qualen  und  wohl  auch 
alles  Angenehme,  was  uns  Körperempfindungen  übermitteln  können. 

In  WirkHchkeit  hält  sich  aber  die  Hauptmasse  der  zur  Beobachtung 
kommenden  Halluzinationen  an  eine  viel  geringere  Auswahl.  Es  kommt  äußerst 
selten  vor,  daß  ein  Schizophrene  eine  ganze  Predigt,  ein  Drama  halluziniert, 
daß  er  im  Kaffee  halluziniertes  Brot  findet,  daß  er  eine  alltägliche  Landschaft 
sieht  (Musik  wird  selten  gehört  ^)  usw.  Ganz  gewöhnhche  oder  sehr  komplizierte 
Vorkommnisse  werden  von  unseren  Kranken  nicht  leicht  halluzinatorisch  re- 
produziert —  kompHzierte  nicht,  weil  die  wenigsten  Leute  hoher  Leistmigen 
fähig  sind,  und  dazu  der  Assoziationszustand  der  Patienten  das  Können  herab- 
setzt; die  einfachen  Tagesereignisse  nicht,  offenbar  weil  sie  zu  bedeutungslos 
für  des  Halluzinanten  Psyche  sind,  die  zunächst  nur  affektbetonte  Gedanken  in 
Halluzinationen  hypostasiert. 

Das  Alltäghche  ist,  daß  die  Stimmen  in  abgebrochenen  Worten  oder  kurzen 
Sätzen  drohen,  beschimpfen,  kritisieren  und  trösten,  daß  Verfolger  oder  himmh- 
sche  Gestalten,  bestimmte  Arten  von  Tieren,  Feuer  und  Wasser  und  dann  irgend- 
ein erhofftes  oder  gefürchtetes  Miheu:  das  Paradies,  die  HöUe,  ein  Schloß,  eine 
Räuberhöhle  gesehen  werden;  daß  im  Essen  Ambrosia  oder  irgendein  viel- 
genanntes Gift  oder  Unrat  geschmeckt  wird;  daß  giftige  Dünste  oder  ein  wunder- 
samer besehgender  Duft  die  Kranken  umgibt;  daß  sie  die  Liebeslust  oder  die 
empfinden"^^  ^^^^"^  physikaHschen  Einwirkungen  geschändeten  Körpers 

Mit  solchen  Mitteln  werden  immer  die  gleichen  Wünsche  und  Hoffnungen 
und  Befürchtungen  ausgedrückt.  Der  Ehrgeizige  vernimmt  Andeutungen,  die 
Ihm  Macht  und  Geld  in  Aussicht  steUen,  aber  auch  die  Manöver  der  W^idersacher 
enthüllen;  der  Eingesperrte  hört  Stimmen,  die  ihm  baldige  Freiheit  versprechen 
und  andere,  die  die  Freiheitsberaubung  als  ewige  bezeichnen  usw 


80 


Schizophrenie. 


Die  elementaren  Halluzinationen  des  Gehörs  sind  verhältnis- 
mäßig selten^  Auch  sie  haben  meist  eine  Beziehung  zum  Patienten :  das  Rauschen 
deutet  auf  Gefahr  das  Schießen  geschieht  zu  seiner  Rettung  oder  zu  seinem 
Verderben.  Doch  gibt  es  auch  einzelne  FäUe,  wo  solche  Akoasmen  keine  andere 
Bedeutung  zu  haben  scheinen  als  etwa  Ohrensausen  für  die  Gesunden  Es  ist 
aber  Iraghch,  ob  diese  Erscheinungen  den  Namen  „HaUuzinationen"  verdienen 

Die  gewöhnlichsten  Gehörshalluzinationen  sind  diejenigen  der 
Sprache.  In  den  Stimmen  unserer  Kranken  hegt  ihr  Streben  und  Fürchten 
ihr  ganzes  verändertes  Verhältnis  zur  Außenwelt.  Dem  Megalomanen  ver- 
mitteln sie  die  Erfüllung  seiner  Wünsche,  dem  Rehgiösen  den  Verkehr  mit 
Gott  und  semen  Engeln,  dem  Deprimierten  sagen  sie  alles  erdenkhche  Unglück 
an,  den  Verfolgten  bedrohen  und  beschimpfen  sie  Tag  und  Nacht.  Wort  und 
Begriff  der  „Stimmen"  wird  dem  Patienten  wie  dem  Wärter  zum  Repräsentanten 
der  Icrankhaften  oder  feindhchen  Mächte  überhaupt:  die  Stimmen  reden  nicht 
nur,  sondern  sie  elektrisieren  die  Kranken,  schlagen  sie,  machen  sie  steif,  nehmen 
ihnen  die  Gedanken.  Sie  werden  oft  hypostasiert,  teils  als  Personen,  teils  in 
sehr  sonderbarer  Weise:  über  jedem  Ohr  des  Kranken  z.  B.  sitzt  eine  Stimme; 
die  eine  ist  etwas  größer  als  die  andere,  aber  beide  ungefähr  wie  eine  Walnuß,' 
sie  haben  nur  ein  großes  Maul  und  sonst  nichts. 

InhaltKch  sind  bei  unseren  Kranken  die  Bedrohungen  und  Beschimpfungen 
am  gewöhnhchsten. 

Tag  und  Nacht  kommen  sie  von  der  Umgebung,  aus  den  Wänden,  von  unten, 
von  oben,  aus  dem  Souterrain  und  vom  Dach,  aus  Himmel  mid  Hölle,  aus  Nähe 
und  Ferne.  Die  Patienten  hören  aber  auch,  wie  die  Angehörigen  oder  ihre  Befreier 
kommen,  wie  diese  von  den  Ärzten  abgewiesen  oder  gefangen  gesetzt,  gemartert 
werden.  Wenn  der  Patient  ißt,  sagt  man  bei  jedem  Bissen:  „es  ist  ein  Diebstahl 
darin";  wenn  ihm  etwas  herunterfällt,  tönt  es:  „wenn  dir  nur  der  Fuß  abgeschlagen 
worden  wäre". 

Sehr  oft  sind  die  Stimmen  kontradiktorisch ;  zunächst  gegen  den  Patienten 
(wenn  er  an  Gott  denkt,  leugnen  sie  dessen  Existenz);  dann  aber  auch  unter 
sich  (eine  Kranke  hat  einen  Abszeß,  da  sagen  sie  ,,  Blut  Vergiftung",  dann  wieder 
„gute  Heilung";  bei  der  Menstruation  einer  älteren  Jungfer  heißt  es:  „Periode, 
aber  Abänderung  sollte  es  sein"  und  dann  wieder  „Frühlings Veränderung"). 
Die  Rolle  des  Pro  und  Kontra  wird  oft  von  verschiedenen  Stimmen,  von  ver- 
schiedenen PersönHchkeiten  übernommmen :  die  Stimme  der  Tochter  des  Hauses 
sagt  einem  Patienten:  ,,er  wird  verbrannt";  die  der  Mutter:  ,,er  wird  nicht 
verbrannt";  neben  den  Verfolgern  hören  die  Kranken  oft  einzelne  Beschützer. 
Dann  wieder  amüsiert  sich  die  nämHche  Stimme  damit,  den  Patienten  zur  Ver- 
zweiflung zu  bringen,  indem  sie  seine  Absichten  billigt,  ihn  auffordert,  einen 
bestimmten  Kauf  zu  machen,  um  dann,  wenn  es  geschehen  ist,  ihn  dafür  zu 
tadeln.  Die  Stimme  befiehlt  ihm,  ins  Wasser  zu  gehen,  und  höhnt  ihn  zugleich, 
daß  er  es  tut.  Die  Wärter,  die  Ärzte,  ein  PoHzist,  „die  Stimmen"  überhaupt, 
kritisieren  mit  VorUebe  die  Gedanken  und  Handlungen  der  Patienten.  Bei  der 
Toilette  tönt  es:  „jetzt  kämmt  sie  sich",  „jetzt  zieht  sie  sich  an",  teils  in  einem 
höhnenden  oder  tadelnden  Ton,  teils  mit  einem  kritisierenden  Zusatz.  Die  Stimme 
kann  auch  verbieten,  was  der  Patient  gerade  zu  tun  im  Begriff  ist.  Manchmal 
stellen  die  Halluzinationen  die  gesunde  Kritik  gegen  wahnhafte  Gedanken  und 


Akzessorische  Symptome.  Sinnestäuschung. 


81 


Triebe  der  Patienten  dar.  Für  solche  Stimmen  erfinden  die  Kranken  besondere 
Zeichnungen;  „Gewissensstimmen"  werden  sie  an  den  verschiedensten  Orten 
genannt-  mit  „Rügeteufel"  wird  die  negative  Seite  bezeichnet 
'  D  ;  Gew  ssen'sstimmen  können  auch  eine  Absicht  kritisieren  bevor  sie 
dem  Patienten  zum  Bewußtsein  gekommen  ist.  Ein  intelhgenter  Paranoider 
tirderThurgau  hegte  feindüche  Gefühle  gegen  seinen  Wärter;  als  d.eser  ins 
Z^me'titrsfgte  ihm  die  Stimme  in  tadelndem  Ton:  „So  em  Thurgauer  schlagt 
einen  anständigen  Privatwärter  einfach  hm.  ,  ^    v,  j„r 

Auch  Wahrnehmungen  werden  in  Stimmen  umgesetzt,  ohne  daü  sie  be- 
wußt wurden;  dann  werden  die  Stimmen  für  den  Kranken  zu  prophezeienden; 
ein  Patient  hört:  „jetzt  kommt  einer  mit  dem  Wasserkübel  ,  dann  geht  die 
Tür  auf  und  das  Vorausgesagte  erfüllt  sich.  Andere  Prophezeiungen  smd  mchts 
als  Wünsche  und  Befürchtungen  des  Kranken:  Gottes  Stimme  sagt  ihm,  daü 
morgen  die  Anstalt  samt  den  Ärzten  durch  irgend  eine  Katastrophe  weggefegt 

und  er  erhöht  wird.  -r«   •         ,  j 

Manchmal  konstatieren  die  Stimmen  einfach,  was  die  Patienten  tun  oder 
denken  und  zeigen  damit  eine  deutliche  Analogie  mit  dem  Symptom  des  Be- 
nennens; beim  gewöhnhchen  Benennen  wird  die  Idee  einer  Handlung  oder  eines 
gesehenen  Gegenstandes  in  motorische  Worte  umgesetzt,  hier  in  akustische. 
Es  kommt  auch  vor,  daß  der  Patient,  der  ein  Bild  ansieht,  hört:  „das  ist  eine 
Hochzeit";  die  Stimmen  „benennen"  das  Gesehene  im  eigentUchsten  Sinne. 

Häufig  ist  bei  der  Dementia  praecox  das  Gedankenlautwerden  (miß- 
verständhch  auch  „Doppeldenken"  genannt).  Leise  flüsternd  oder  in  uner- 
trägHch  tönender  Stärke  hören  die  Kranken  ihre  Gedanken;  „das  Telephonnetz 
nimmt  alles  ab,  was  ich  denke".  Auch  Illusionen  verkörpern  dann  die  momen- 
tanen Gedanken:  „Was  ich  denke,  Glocken  rufens,  Wagen  knarrens,  Hunde 
beUens,  Vögel  singens,  das  war  noch  niemals  geschehen  auf  der  Welt."  Auch 
wenn  die  Kranken  reden,  so  kann  der  Gedanke  noch  einmal  halluzinatorisch 
laut  werden:  „Wenn  ich  manchmal  so  etwas  vor  mich  hin  sage,  so  ist  es  mir, 
wie  wenn  ich  es  in  der  Ferne  hören  würde"  (666,  S.  260).  ,,Wenn  ich  aufhöre 
zu  reden,  so  sagen  die  Stimmen  wieder,  was  ich  gesagt  habe."  Besonders  häufig, 
aber  nicht  ausschUeßlich,  kommt  die  Erscheinung  beim  Lesen  und  beim 
Schreiben  vor. 

Eegelmäßig  mischen  sich  dem  Gedankenlautwerden  andere  Halluzinationen 
bei:  Einem  Hebephrenen  sprach  man  alles  genau  nach,  wie  er  es  sagte;  ein  Weib 
hat  alles,  was  er  sagte,  mit  Bemerkungen  begleitet;  ein  Mann  las  alles  vor,  was 
er  aufschrieb,  ein  anderer  Mann  verhandelte  über  ihn  mit  einem  Weibsbild. 

Die  Stimmen  geben  auch  Auskunft  über  sich  selbst;  sie  sagen,  wer  sie 
sind,  wie  sie  aussehen,  wo  sie  sind  usw..  aber  all  das  gar  nicht  so  häufig;  die 
Kranken  wissen  es  eben  schon  oder  interessieren  sich  nicht  dafür.  Einer  unserer 
Patienten  hörte  zuerst  die  Stimme,  und  dann  wurde  gesagt,  von  wem  sie  kam. 

Die  Verwirrtheit  der  Kranken  findet  oft  ihren  Ausdruck  in  den  Stimmen. 
Manchmal  reden  viele  zugleich,  so  daß  der  Patient  nicht  folgen  kann;  oft  reden 
sie  ein  Durcheinander,  das  der  Kranke  nicht  aufzufassen  vermag.  Konfuses 
oder  sonst  dem  Patienten  ganz  Unverständliches  wird  häufig  wahrgenommen. 

In  der  Kegel  aber  hören  die  Kranken  kurze  Sätze  oder  einzelne  Worte, 
die  für  sich  nicht  einmal  einen  Sinn  haben  müssen;  dieser  wird  erst  von  den 

Handbuch  der  Psychiatrie:  Bleuler.  f! 


82 


Schizophrenie. 


Patienten  hineingelegt.  Es  ist  außer  der  Komplikation  mit  Alkoliolismus 
nicht  so  häufig,  daß  die  Kranken  zusammenhängende  Eeden  hören.  Häufiger 
schon  sind  Gedankendialoge,  sei  es  mit  Gott  oder  einem  Beschützer  oder  mit 
einem  Verfolger.  Oft  nehmen  die  Stimmen  spezielle  Eigentümhchkeiten  an; 
sie  reden  ungeheuer  langsam,  skandieren,  rhythmisieren,  reimen,  reden  fremde 
Sprachen  usw. 

Außer  in  die  nähere  und  fernere  Umgebung  werden  die  Stimmen  häufig 
in  den  Körper  lokalisiert,  meist  aus  leicht  einzusehenden  Gründen:  die  Mutter 
spricht  im  Herzen  und  in  den  Ohren  des  Kranken;  vertraute  Stimmen  werden 
überhaupt  gerne  in  die  Brust  oder  ins  Herz  lokalisiert.  Manchmal  aber  tönt 
es  aus  dem  ganzen  Körper  „du  Luder",  „du  Hure".  Ein  Polyp  kann  Anlaß 
werden,  die  Stimmen  in  die  Nase  zu  verlegen;  Daimkatarrh  bringt  sie  mit  dem 
Abdomen  in  Verbindung;  schnarchendes  Atmen,  Kuktus  knüpfen  sie  an  die 
entsprechenden  Organe.  Bei  sexuellen  Komplexen  rufen  der  Penis,  der  Urin 
in  der  Blase,  die  Nase  obszöne  Worte.  Die  wirkhche  oder  eingebildete  Gravida 
hört  ihr  Kind  oder  ihre  Kinder  im  Mutterleib  sprechen.  Einer  unserer  Kranken 
hat  in  der  linken  Hand  (mit  der  er  onaniert)  ein  Mädchen,  das  zu  ihm  spricht, 
wenn  er  die  Hand  ans  Ohr  legt. 

Nicht  immer  aber  läßt  sich  der  Grund  der  Lokahsation  finden.  So  wenn 
ein  Patient  nur  sein  Bein  sprechen  hört,  oder  wenn  die  Stimmen  an  verschiedenen 
Orten  unter  der  Haut  sind  und  beständig  rufen:  ,, nicht  herauslassen",  „nicht 
aufschneiden".  Sonderbare  Empfindungen  müssen  es  sein,  die  die  Patienten 
zu  Aussprüchen  veranlassen,  wie:  ,,namenthch  das  letzte  "Wort  wurde  mir  einige 
Minuten  lang  förmHch  um  den  Kopf  gewunden"  (Kraepelin),  oder:  ,,die 
Herzstimmen  sind  kranzförmig  an  meinem  Leibe  angewachsen";  ,,ich  empfange 
auch  viele  Stimmen,  und  zwar  so,  daß  es  oft  förmHch  auf  mich  regnet".  Eine 
unserer  Kranken  beschreibt  eine  bestimmte  Kategorie  ihrer  Stimmen  ,,wie  wenn 
sie  nu't  einem  Ton  anprallten,  so  daß  es  einen  Schlag  auf  die  Nerven  gibt".  Eine 
andere  —  tadelnde  —  Stimme  ist  „eigentümhch  schief,  nicht  wie  angebrüllt" 
und  macht  ihr  „die  schwarze  Lineatur  im  Gesicht,  das. sind  schwarze  Linien, 
wie  Dekorationen". 

Gelegentlich  sitzen  die  Stimmen  nicht  im  Körper,  sondern  in  den  Kleidern; 
eine  unserer  H'ebephrenen  schüttelte  beständig  eine  Unzahl  von  „sprechenden 
Seelchen"  aus  den  Röcken;  einer  andern  kreuzen  sich  die  Stimmen  über  den 
Schultern.  Auch  die  Dinge  sprechen:  die  Limonade  redet,  aus  der  Milch  tönt 
des  Patienten  Name;  die  Möbel  sprechen  zu  ihm.  Wie  gering"  der  Unterschied 
zwischen  Halluzinationen  und  Illusionen  ist,  zeigt  sich  u.  a.  darin,  daß  die  Kranken 
in  der  Stille  aus  einer  behebigen  Stelle  Stimmen  hören,  die  aber  sofort,  wenn 
ein  Geräusch  auftaucht,  in  dieses  lokaHsiert  werden.  Mag  na  n  berichtet,  daß, 
wenn  gute  und  böse  Stimmen  verschieden  lokaHsiert  werden,  die  guten  von 
oben  kommen,  die  bösen  von  unten.  Dieses  Verhältnis  ist  nicht  so  selten  und 
entspricht  ja  unseren  reHgiösen  Vorstellungen;  aber  man  kann  es  kaum  als 
Regel  aufstehen,  weil  es  zu  viele  Ausnahmen  gibt.  Die  gleiche  Bedeutung  hat 
es,  wenn  ein  Kranker  auf  der  ruhigen  Abteilung  die  Stimmen  von  oben  hört, 
auf  der  unruhigen  von  unten;  er  fürchtet  die  Stimmen  von  unten  ganz  besonders. 

Es  kann  auch  vorkommen,  daß  die  beiden  Parteien,  die  sich  mit  dem 
Patienten  abgeben,  sich  in  seine  beiden  Seiten  teilen.  NamentHch  die  Gehörs- 


Akzessorische  Symptome.  Sinnestäuschungen. 


83 


halluzinationen  sind  nicht  allzu  selten  „auf  dem  einen  Ohr"  angenehm,  auf  dem 
andern  unangenehm;  ich  konnte  aber  nicht  immer  eine  bestimmte  Vorüebe 
der  guten  Stimmen  für  die  rechte  Seite  beobachten,  wie  andere  Autoren  ge- 
funden haben  wollen;  immerhin  redete  symboHscherweise  einer  unserer  Kranken 
der  HeiHge  Geist  ins  rechte  Ohr,  die  Schlange  ins  Unke. 

Manchmal  sind  auch  die  Stimmen  nur-  einseitig;  oft,  aber  nicht  immer, 
findet  man  den  Grund  in  einer  Erki'ankung  des  betreffenden  Ohres,  so  daß  es 
sich  wohl  um  illusionäre  Deutung  von  Ohrengeräuschen  handelt. 

Die  Halluzinationen  der  Körperempfindungen  bieten  eine 
Mannigfaltigkeit,  der  eine  Beschreibung  unmögüch  gerecht  werden  kann. 

Alle  Organe  können  Sitz  von  argen  Schmerzen  sein ;  der  Kopf  wird  so  emp- 
findlich, daß  die  leiseste  Berührung  der  Haare  entsetzlich  weh  tut^);  das  ganze 
Gerippe  schmerzt.  Die  Patienten  werden  geprügelt,  gebrannt,  man  sticht  ihnen 
glühende  Nadeln,  Dolche,  Spieße  in  den  Leib;  die  Arme  werden  ihnen  aus-  und  ein- 
gerenkt; der  Kopf  wird  ihnen  nach  hinten  übergezogen;  die  Beine  kleiner  gemacht, 
die  Augen  herausgezogen,  so  daß  sie  sie  im  Spiegel  auch  als  ganz  aus  dem  Kopfe 
herausragend  sehen;  man  preßt  ihnen  das  Haupt  zusammen;  ihr  Körper  ist  wie 
eine  Ziehharmonika  geworden,  er  geht  auseinander  und  wieder  zusammen;  sie  haben 
Eis  im  Kopf,  smd  ganz  in  einen  Eiskeller  gesteckt  worden ;  im  Körper  ist  siedendes 
öl;  auf  der  Haut  sind  lauter  Steine;  in  den  Augen,  im  Gehirn  flimmerts;  eine  Kugel 
läuft  spiralförmig  an  den  Schädeldecken  von  der  Basis  zum  Scheitel;  man  zupft 
die  Patienten  wie  das  Roßhaar  einer  Matratze.  Im  Magen  ist  ein  Gefühl,  wie  wenn 
die  Speisen  nicht  drin  gebheben  wären,  er  wird  aufgeblasen;  die  Lunge  wird  so  auf- 
gebläht, wie  wenn  ein  dicker  Herr  von  den  Genitahen  durch  den  Bauch  in  die  Brust 
heraufgezogen  würde;  am  Bauchnabel  ist  falsches  Herzklopfen;  der  Herzschlag 
wird  bald  gehemmt,  bald  beschleunigt,  das  Atmen  wird  verhindert,  der  Harn  abge- 
zogen oder  zurückgehalten.  Alle  Organe  werden  herausgenommen,  zerschnitten, 
gezerrt,  umgedreht;  der  eine  Hoden  ist  geschwollen;  die  Nerven,  die  Muskeln,  alle 
möghchen  Organe  werden  gespannt. 

Auch  den  Normalen  unverständliche  Körperempfindimgen  kommen  in  Menge  vor. 
Wenn  es  jemand  gut  mit  einem  unserer  Paranoiden  meint,  so  „berührt  es  ihn  sanft", 
wenn  jemand  es  schlecht  meint,  „schlägt  es  ihn".  Er  fühle  es  nicht  an  der  Haut,  sondern 
mehr  im  Kopf;  es  teilte  sich  dann  dem  Körper  mit,  die  Haltung  verändere  sich. 

Täuschungen  der  kinästhetischen  Sinne  und  des  Vestibular- 
organs  treten  im  ganzen  zurück;  doch  glauben  die  Patienten  etwa  bestimmte 
Handlungen  auszuführen,  während  sie  in  WirkHchkeit  im.  Bett  liegen  oder  un- 
beweghch  an  einer  Wand  stehen.   Da  müssen  natürUch  diese  Organe  mit- 
halluzinieren.  In  traumhaften  Zuständen  kommt  es  etwa  vor,  daß  die  Kranken 
wie  Epileptische  unkoordinierte  Bewegungen  machen,  während  sie  zu  kämpfen 
oder  eine  Liebesszene  durchzumachen  glauben.  Unter  Umständen  nimmt  man 
alle  möghchen  Dislokationen  mit  ihnen  vor,  wirft  sie  durch  die  Luft,  stellt  sie 
auf  den  Kopf.  Es  kommt  auch  etwa  vor,  daß  die  Kranken  glauben,  einzelne 
Gheder  werden  bewegt,  wähi-end  objektiv  nichts  wahrzimehmen  ist.  Einer 
unserer  Paranoiden  spürt  Kopf-  und  Schulterbewegungen,  die  er  aber  für  die 
emer  halluzinierten  Person  hält.  ÄhnHch  sagt  ein  Kranker  (526):  „Wenn  die 
Stimmen  ihre  Zunge  bewegen,  spüre  ich  es  in  meinem  Mund."   Selten  spür-en 
die  Kranken  Worte  als  motorische  Schriftbilder  in  den  Händen  (38,  S.  153). 

1)  Wohl  analog  der  Exazerbation  von  Stimmen  während  eines  Geräusches. 

6* 


84 


Schizophrenie. 


Die  kinästhetischen  Sinnestäuschungen  der  Sprachorgane  sind 
wohl  die  häufigsten.  Die  Kranken  glauben  zu  sprechen,  ohne  daß  man  objektiv 
etwas  davon  bemerken  kann^).  NatürUch  darf  man  nicht  Gehörshalluzinationen 
ohne  weiteres  auf  Halluzinationen  des  sprachhchen  Muskelsinnes  zurückführen ; 
aber  die  kinästhetischen  Halluzinationen  verdienten  doch  ein  erneutes  Studium^). 

Unter  den  schizophrenen  Körperhalluzinationen  sind  die  sexuellen 
wohl  die  häufigsten  und  wichtigsten. 

Alle  Wonnen  normaler  und  abnormer  Greschlechtsbefriedigung  werden  von  den 
Kranken  durchgelebt,  aber  noch  viel  häufiger  alle  Scheußlichkeiten,  die  sich  die 
üppigste  Phantasie  ausdenken  kann.  Den  Männern  wird  der  Same  abgezogen,  man 
macht  ihnen  schmerzhafte  Erektionen;  dann  wieder  werden  sie  impotent  gemacht ;  man 
brennt,  schneidet,  reißt  die  inneren  und  äußeren  Genitalien;  Frauen  werden  in  der 
raffiniertesten  Weise  geschändet,  verletzt,  zum  Koitus  mit  Tieren  gezwungen  usw. 
usw.  Oft  ist  die  Sexualempfindmig  nicht  nur  für  den  Beobachter,  sondern  auch  für 
den  Kranken  selbst  verhüllt.  Stechen,  Wühlen  und  dergleichen  Sensationen  werden 
von  Patientinnen  sehr  häufig  zunächst  in  die  Brust  verlegt,  während  es  sich  bei 
geeignetem  Fragen  oder  noch  besser  bei  freiem  Aussprechenlassen  der  Kranken 
herausstellt,  daß  die  Erscheinmigen  ihren  Sitz  eigentlich  in  den  Genitalien  haben. 
Gar  nicht  selten  handelt  es  sich  aber  nicht  bloß  um  einen  sprachlichen  Euphemismus, 
sondern  um  eine  wirkliche  Verlegung  genitaler  Empfindungen  an  andere  Orte  des 
Körpers,  namentlich  ins  Herz,  dann  bei  Männern  in  die  Nase,  bei  Frauen  in  den 
Mimd.  Sogar  die  ursprünglich  genitalen  Stimmen  machen  solche  Wanderungen. 
Ein  Hebephrene  mit  starkem  Onaniekomplex,  der  eine  Zeitlang  sein  Glied  rufen 
hörte:  ,, Vogelsang,  Vogelsang",  vernahm  später  die  gleiche  Stimme  im  unverfäng- 
lichen rechten  Ohr.  Sehr  häufig  wird  die  sexuelle  Halluzination  auch  inhaltlich 
verkleidet:  Elektrisiert-  und  Gebranntwerden  hat  meist  sexuelle  Bedeutung.  Eine 
unserer  Patientinnen  beklagte  sich  über  Schaukelpferde  im  Bett,  deren  Stöße  sie 
fühle;  ein  genaueres  Examen  zeigte,  daß  es  sich  um  Koitusgefühle  handelte,  die 
allerdings  auch  für  die  Patientin  sich  in  Schaukelpferde  verwandelt  hatten.  Denn 
trotz  der  symbolischen  Bedeutung  vieler  solcher  Halluzinationen  sind  die  meisten 
derselben  wirkliche  Empfindungen,  die  uns  nicht  bloß  vorgetäuscht  werden  durch 
metaphorische  Ausdrucksweise  der  Kranken.  Immerhin  kommt  gerade  bei  den 
Körperhalluzinationen  die  uneigentüche  Bedeutung  mancher  Worte  häufiger  zur 
Geltung  als  bei  den  Berichten  über  Täuschungen  anderer  Sinne.  Das  Brennen  hat  in 
einzelnen  Fällen  keine  sinnliche  Deutlichkeit;  und  wenn  eine  Kranke  sagt,  sie  werde 
gewürgt,  bis  sie  gewisse  Worte  herausrufe,  so  stellt  sich  bei  näherem  Zusehen  heraus, 
daß  das  Würgen  im  uneigentlichen  Sinne  den  Zwang  ausdrückt,  etwas  zu  sagen. 

Die  Körperhalluzinationen  kommen  besonders  gern  als  Keflexhalluzina- 
tionen  vor;  auch  sonst  treten  sie  oft  anfallsweise  auf.  Sie  machen  dann  oft 
den  Eindruck  abortiver  katatoner  Anfälle:  „es  fängt  an  den  Füßen  an  wie  ein 
Krampf,  geht  dann  den  Leib  hinauf  bis  in  die  Arme  und  juckt,  geht  in  den  Bauch 
und  rumpelt,  dann  kommt's  ans  Herz,  reißt,  zerrt,  geht  an  den  Hals,  daß  er 
fast  erstickt,  dann  hört's  auf;  oft  geht^s  in  den  Kopf  und  dann  bin  ich  ganz 
verloren"^).    Solche  AnfäUe  haben  manchmal  deutlich  sexuellen  Charakter; 


1)  Dumont  de  Monteux  (in  Ballet  38,  S.  148)  nennt  es  „chique  nerveusc  ,  wenn 
die  Patienten  das  muskulär  halluzinierte  Wort  wie  einen  Fremdkörper  mi  Munde  «mpfmden. 

2)  Die  Arbeit  Cramers  (135)  hat  die  Bedeutung  und  das  Vorkommen  der  Hallu- 
zinationen des  Muskelsinnes  überschätzt. 

»)  Übergang  zu  katatonischen  Anfällen. 


Akzessorische  Symptome.  Sinnestäuschungen. 


85 


ei 


vers 


mal 


nzelne  Patienten  geben  spontan  an,  daß  sie  sexuelle  Gefühle  bald  angenehmen, 
bald  unangenehmen  Charakters  dabei  haben;  bei  anderen  kann  man  es  aus 
•steckten  Andeutungen  oder  anderen  Indizien  schheßen. 

Die  Gesichtshalluzinationen  sind  bei  klarem  Bewußtsein  verhältnis- 
mäßig selten  und  nehmen  da  unter  Umständen  den  Charakter  von  eigentlichen 
Pseudohalluzinationen  an,  indem  sie  als  Täuschungen  erkannt  werden.  Häufiger 
allerdings  erscheinen  sie  dem  Kranken  als  wirkliche  „Bilder",  nicht  aber  als 
wirkUche  Gegenstände. 

Die  folgenden  Beispiele  stammen  alle  aus  chronischen  Zuständen  mit  Be- 
sonnenheit. Erscheinungen  von  Licht,  Nebel,  Dunkelheit  u.  dgl.  gehören  zu  den 
häufigeren  Vorkommnissen;  eine  Patientin  sieht  vor  den  Augen  Nebel  und  Wolken, 
„die  das  Gesicht  und  die  Gedanken  verfinstern".  Auch  geometrische  Figuren  werden 
aesehen.  Ein  Kranker  sieht  beständig  ein  paar  weiße  Augen  vor  sich;  ein  anderer 
Köpfe  um  sich  herumstehen;  es  schweben  Leute  in  der  Luft,  von  denen  die  einen 
sich  freuen,  die  anderen  weinen;  „Engel  so  groß  wie  Wespen"  umfliegen  den  Kranken; 
vor  einer  Hebephrenen  tauchen  Hände  auf,  deren  Träger  nicht  gesehen  werden. 
Geister  in  verschiedenen  Farben  schweben  um  die  Kranke,  schlüpfen  durch  die 
Glieder  in  sie  hinein;  eine  andere  sieht  Elefanten  und  andere  Tiere,  auch  Menschen, 
Räuber  in  ihrer  Brust  ein-  und  ausgehen.  Eine  sieht  zweistöckige  Wagen  in  ver- 
schiedenen Farben  mit  je  zwei  Pferden  unter  der  Haut  der  Magengrube  von  links 
nach  rechts  und  dann  unter  dem  rechten  Arm  hinaus  und  auf  der  Straße  weiter 
fahren. 

Tiervisionen  sind  nicht  sehr  häufig,  wenn  nicht  der  Alkohol  die  Symptome 
mit  determiniert.  Immerhin  kommen  die  Sexualtiere:  Schlangen,  Elefanten, 
Pferde,  Hunde  nicht  allzuselten  vor,  wenn  sie  auch  öfters  gefühlt  als  gesehen  werden. 
Eine  Kranke  hat  gesehen,  wie  ihre  eigenen  Knochen  ein  Hund  sind. 

Ganze  Szenen  werden  außerhalb  der  akuten  Dämmerzustände  nicht  so 
häufig  gesehen,  sind  aber  bei  den  letzteren  —  belebt  durch  Halluzinationen  anderer 
Sinne  —  etwas  Gewöhnliches.  Ein  deprimierter  Hebephrene  sah  am  hellen  Tage 
eine  Schafherde  ohne  Hirten  in  einer  mibekannten  Gegend.  Drei  Tote  in  bestimmten 
Stellungen  liegen  da,  und  zugleich  ist  des  Patienten  Mutter  anwesend,  run  ihn  zu 
beschützen.  Bettdecken  liegen  auf  des  Nachbars  Dach;  das  Nachbarhaus  brennt; 
um  das  Wachtlicht  wickelt  sich  eine  Schlange;  ein  Herr  wird  beständig  guillotiniert; 
Herren  und  Frauen  sitzen  um  das  Licht  gruppiert.  Die  Cousins  einer  sehr  jtmgen 
Katatonika  prügeln  sich  zum  großen  Vergnügen  der  Kranken,  stehen  auf  dem 
Kopf;  über  dem  Kopf  der  Ärztin  stehen  eine  Menge  Menschen,  in  der  vorderen 
Reihe  die  guten,  hinten  die  bösen,  darunter  ihre  Eltern  (die  die  Patientin  mit  Recht 
fürchtet).  Der  Himmel  steht  offen;  die  Engel  und  die  Heiligen  und  der  Herrgott 
selbst  verkehren  mit  dem  Kranken.  —  Am  häufigsten  erscheinen  furchtbare  Gestalten 
aus  der  Hölle,  Räuber,  die  den  Patienten  bedrohen.  —  Worte  in  einer  beliebigen 
Schrift  sind  nicht  selten,  auch  etwa  ganze  Sätze  kommen  vor.  Manchmal  blitz- 
artig, als  Verkörperung  irgendeines  Einfalles.  So  sah  ein  Paranoider,  dem  der  Wärter 
Medizin  eingab,  plötzlich  in  der  Höhe  das  Wort  „Gift". 

Auch  bewußte  Gedanken  oder  die  Predigt,  die  man  eben  hört,  können  in  ver- 
schiedenen Zeichen  geschrieben  vor  sich  gesehen  werden  („Gedankensichtbar- 
werden", Halbey). 

Das  Verhältnis  der  GesichtshaUuzinationen  zur  wirklichen  Umgebung  ist 
ein  sehr  verschiedenes.  Oft  werden  sie  einfach  in  die  Umgebung  hineingesetzt: 
über  dem  Kopf  der  Ärztin  stehen  Leute;  andere  gehen  durchs  Zimmer  wie  wirk- 
liche Menschen.  Manchmal  fällt  den  Patienten  das  von  der  gewöhnlichen  Er- 


8J 


Scliizopbrenie. 


fahrung  Abweichende  auf;  Visionen,  z.  B.  von  Menschen,  können  durchsichtig 
erscheinen,  indem  die  Wirldichkeit  hinter  ihnen  sichtbar  bleibt.  Auch  durch 
eine  besonders  scharfe  Definition,  ebensowohl  wie  durch  Unklarheit  der  Um- 
risse können  sie  sich  auszeichnen:  ein  Kranker  sieht  nachts  einen  Mann  und 
eine  Frau  am  fernen  Wald  so  scharf  „wie  ausgeschnitten",  Figuren  werden  auf 
den  Patienten  zugestrahlt";  sie  verschwinden,  wenn  er  die  Augen  öffnet; 
manchmal  wieder  werden  Visionen  nur  mit  offenen  Augen  gesehen.  Im  Gegen- 
satz zu  den  Stimmen  werden  die  Visionen  nur  ausnahmsweise  als  Repräsentanten 
des  ganzen  Spukes  aufgefaßt:  Bilder  gehen  dann  nicht  nur  herum,  sondern  sie 
lärmen,  handeln. 

Die  Geschmacks-  und  Geruchshalluzinationen  der  Schizophrenie 
haben  nichts  Besonderes. 

Die  Kranken  schmecken  Sperma,  Blut,  Kot,  alle  möglichen  Gifte  im  Essen; 
Seife  ist  in  den  Nudeln,  Unschhtt  im  Kaffee;  es  kommt  ihnen  etwas  Staubartiges 
von  bitterem  Geschmack  angeflogen;  Gerüche  und  Gifte  werden  ihnen  durch  den 
Mund  beigebracht,  so  daß  sie  sich  nicht  mehr  anders  helfen  können,  als  indem  sie 
sich  den  Mund  mit  Wolle  oder  Lappen  vollstopfen,  bis  sie  blau  werden.  ,,Das  Fleisch 
stinkt,  wie  wenn  man  ein  goldenes  Ei  darauf  zerdrückt  hätte";  im  Zimmer,  riecht  es 
nach  Leichen,  nach  Chloroform;  nach  Pech,  nach  „Schlangendimst";  das  Bett  riecht, 
es  ist  mit  Zwiebelfladen  mid  Tabak  verunreinigt  worden.  Ein  Patient  riecht  seine 
Onanie.  Bei  ekstatischen  Zuständen  kommen  auch  allerhand  angenehme  Gerüche 
vor;  eine  Kranke  spürt  einen  himmlischen  Geruch  im  Mund  und  in  der  Nase,  wenn 
sie  bei  einem  bestimmten  Pfarrer  in  der  Kirche  ist. 

Die  Tasthalluzinationen  sind  selten  und  erscheinen,  auch  wenn  sie 
vorkommen,  meist  recht  ärmlich,  namentlich  wenn  man  sie  mit  denen  beim 
Dehrium  tremens  vergleicht. 

Gelegentlich  spüren  Kranke  Tiere  an  ihrem  Leib  herumkrabbeln,  namentlich 
Schlangen,  aber  auch  andere  kleinere  Tiere  werden  so  halluziniert.  Eine  Patientin 
ist  „im  Ameisenbett  oder  Schlangenbett".  Auch  werden  halluzinierte  Gegenstände 
erfaßt,  weggeschoben  usw. 

* 

Die  Illusionen  der  niederen  Sinne,  die  sich  ja  nicht  recht  von  den 
Halluzinationen  trennen,  können  hier  übergangen  werden.  Viel  wichtiger  sind 
dagegen  die  Gehörsillusionen;  alles  was  halluzinatorisch  wahrgenommen 
werden  kann,  mag  auch  als  Illusion  auftreten.  Alle  Geräusche,  alles  was  über- 
haupt den  Akustikus  reizt,  kann  Anlaß  zu  Illusionen  geben;  besonders  ist 
noch  darauf  aufmerksam  zu  machen,  daß  auch  die  gesprochenen  Worte  sehr 
häufig  illusionistisch  umgehört  werden;  ganz  beiläufige  Bemerkungen,  Gruß, 
Gespräch  mit  einem  andern  Kranken,  alles  kann  der  Patient  im  Sinne  seines 
Wahnes  verstehen.  GelegentUch  wird  nur  die  LokaUsation  einer  Wahrnehmung 
verändert;  so  hörte  eine  Kranke  die  wirklichen  Reden  einer  Nebenpatientni  m 
ihrer  eigenen  Brust. 

Am  meisten  Bedeutung  bekommen  die  Illusionen  des  Gesichtes.  Mit 
der  Umgebung  kann  man  sich  nur  abfinden,  wenn  dieselbe  optisch  einiger- 
maßen aufgefaßt  wird.  Der  vollkommene  Dehrant,  der  die  ganze  Umgebung 
weghalluziniert  und  sich  dafür  eine  eingebildete  schafft,  ist  bei  der  Schizophreme 


Akzessorische  Symptome.  Sinnestäuschungen. 


87 


verhältnismäßig  selten;  auf  die  Dauer  können  bei  einem  handelnden  Patienten 
Halluzinationen  des  G-esichts  nicht  bestehen,  sondern  nur  Illusionen  und  von 
diesen  nur  diejenigen,  die  sich  einigermaßen  mit  der  Wirklichkeit  abfinden. 
Der  Illusionierende  kann  statt  der  Zimmerwand  die  Wand  eines  Palastes  oder 
eines  Gefängnisses  sehen  und  diese  Illusion  ohne  Schaden  und  Korrektur  durch- 
führen; wenn  er  aber  an  Stelle  des  Fensters  eine  Tür  sieht,  riskiert  er  zu  ver- 
unglücken. 

Ein  Kranker  sieht  alles  rot,  ein  anderer  alles  weiß;  der  Wärter  erscheint  als 
Neger,  die  Straßenlaterne  ist  das  Auge  eines  Gespenstes;  das  Kaffeegeschirr  fängt 
an  zu  hopsen;  eine  Patientin  sieht  auf  jedem  Menschen  zwei  Köpfe,  eine  andere 
sieht  kleine  Gegenstände,  wie  Finger  und  Schlüssel,  doppelt,  und  in  der  Bibel  findet 
sie  auf  jeder  Seite  den  Namen  des  Arztes,  auf  den  sie  ihre  Liebe  übertragen;  ein 
Kranker  prügelt  einen  anderen,  weil  dieser  ans  Fenster  geht  und  ihn  so  hindert, 
die  bedeutungsvollen  Worte  zu  lesen,  die  die  Formen  des  Gitters  bilden.  Die  Ärzte 
erscheinen  als  Teufel;  alle  lungebenden  Personen  sind  weiß  und  tanzen;  jede  Nacht 
werden  wieder  andere  Gestalten  hingestellt;  es  kommen  zwei  Männer  mit  langen 
Hemden,  die  Patientin  winkt  einem,  da  ist  es  die  Patientin  H.  Die  Mitpatienten 
bekommen  während  des  Anblickens  andere  Gesichter. 

Menschen  und  Dinge  kömien  auch  die  Größe  ändern,  meist  in  dem  Sinne, 
daß  sie  größer  erscheinen  als  normal,  oder  daß  sie  in  beängstigender  Weise  vor  den 
Augen  des  Patienten  immer  größer  werden.  Daß  die  Gegenstände  kleiner  werden, 
kommt  auch  vor,  doch  viel  seltener.  —  Eine  Katatonika  sah  die  Leute  umgekehrt', 
auf  dem  Kopfe. 

Häufig  ist  die  bloße  Empfindung  des  „Fremdseins".  Den  Kranken 
kommt  alles  anders  vor  als  sonst;  die  Welt,  die  Bäiune  treten  zurück,  die  Ärmel 
am  Rock  smd  länger,  die  Haare  des  Pelzes  haben  eine  andere  Farbe.  Ein  Arbeiter 
in  einer  Fabrik  sieht  eine  Heuschrecke  und  wird  höchst  beunruhigt  über  das  un- 
bekannte, unheimHche  Tier.  Einer  Hebephrenen  kommt  es  vor,  wie  wenn  die  Bauern 
auf  dem  Feld  nicht  arbeiteten,  sondern  nur  Bewegungen  machten  i). 

Kombinierte  Halluzinationen  und  Illusionen  der  verschiedenen 
Sinne  treten  bei  den  Dämmerzuständen  und  den  akuten  halluzinatorischen 
Aufregungen  ganz  regelmäßig  auf:  die  Kranken  glauben  sich  in  einer  bestimmten 
Umgebung,  sie  sind  in  einer  Räuberhöhle,  die  Wärter  sind  Räuber  und  Mörder, 
die  sie  quälen  wollen,  die  Betten  sind  Foltergegenstände;  alles  was  sie  wahr^ 
nehmen,  entspricht  diesen  Vorstellungen.  Oder  sie  sind  im  Himmel,  sehen, 
hören,  fühlen,  riechen  und  schmecken  die  Freuden  des  Paradieses.  Aber  auch 
bei  besonneneren  Halluzinanten  sind  Kombinationen  der  Sinnestäuschungen 
etwas  mcht  Seltenes;  namenthch  verbinden  sich  Täuschungen  der  beiden  bevor- 
zugten Smne,  des  Gehörs  und  der  Körperempfindungen  miteinander:  die  Kranken 
hören  Drohungen  oder  Verabredungen,  wie  man  sie  plagen  will,  und  spüren 
dann  auch  die  Folgen  der  Einwirkungen  usw.  Manchmal  sind  auch  bei  ganz 
komponiert  sich  verhaltenden  Kranken  alle  Sinne  gleichzeitig  beteüigt. 

Fr  der  immer  ganz  arbeitsfähig  ist,  gab  folgende  Schilderun- 

Er  fühlt  den  Hinterkopf  beweglich,  als  könne  er  ihn  nach  vorn  aufklappen;  fühlt 
den  Kopf  nach  rechts  oder  hnks  verschoben;  sieht  überall  Köpfe,  große  kleine 

mÄ  '  "'T"\  d"-^«-^^*ig«^   undurchLilg      Rie  1; 

meist_Un^  selten  Angenehmes:  Petrol,  Ammoniak,  Geruch  aus  Mund 

^)  Üb3r  cli3  Auffi33un3  dieser  Erscheinung  siehe  S.  45  f. 


RR 

°°  Schizophrenie.  . 

und  Ohren;  schmeckt  einen  Geschmack  „wie  Verdruß  und  Ärgtr"  (=  bitter); 
hört  beim  Lesen  Bemerkungen  zur  Orthographie.  Hört,  man  müsse  ihm  einen 
Streich  geben  und  fühlt  den  Streich.  Hört  Worte  im  Geräusch  der  Säge,  fühlt 
ein  Anhängsel  am  Kopf,  einen  Wasserkropf ;  die  eine  Brustseite  steht  vor;  beweglichen 
Körper  im  Hals;  Kreuzschmerzen;  sieht  und  fühlt  beim  Baden  einen  vortretenden 
Knochen  am  Bein  „in  Wasserfarben",  fremde  Körper  im  Hoden;  Penis  verschleimt, 
vergrößert.  Stimmen  kommen  vom  Kehlkopf  und  gehen  nach  dem  Hinterkopf'. 
Die  Stimmen  drücken  ihm  den  Schädel  krumm,  den  Mund,  das  Auge  schief,  er 
spürt  eine  Stimme  im  linken  Nasenloch,  wird  mit  Stimmen  behandelt;  „das  wirkt 
anregend,  sollte  nun  aber  vorbei  sein". 

Auslösung  der  Halluzinationen.  Wie  bei  anderen  Krankheiten, 
treten  auch  bei  der  Schizophrenie  die  Halluzinationen  am  ehesten  dann  auf, 
wenn  die  Kranken  sich  selbst  überlassen  sind.  Ablenkung  vermindert  sie,  die 
Einsamkeit  und  Stille  der  Zelle  begünstigt  sie.  Das  Dunkel  vermehrt  die  Visionen, 
wenn  auch  der  Unterschied  zwischen  Tag  und  Nacht  nicht  so  groß  ist  wie  bei 
Alkoholikern,  Senilen  und  Fiebernden.  Doch  hat  die  Regel  viele  Ausnahmen. 
Einzelne  Kranke  werden  gerade  bei  der  Arbeit  am  meisten  von  Stimmen  geplagt. 
Irgendwelche  Reizzustände  in  beUebigen  Körperorganen,  Entzündungen,  voller 
Magen,  Spannung  in  den  Gedärmen,  Sekrete  in  den  Bronchien  können  Körper- 
halluzinationen auslösen;  auch  objektiver  Schall  kann  Stimmen  hervorrufen, 
die  man  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  nicht  als  Illusionen  auffassen  kann.  So  ver- 
stopfen sich  die  Kranken  die  Ohren  nicht  nur,  um  die  Stimmen  gut  zu  hören, 
sondern  auch  umgekehrt,  um  sie  nicht  zu  hören.  Elektrische  Reizung  des 
Akustikus  kann  Stimmen  hervorrufen^),  Elektrisation  des  Kopfes  kann  sie  aber 
auch  aufhören  machen"). 

Auch  zufällige  Momente  beeinflussen  die  Sinnestäuschungen.  Oft  haben 
die  Kranken  Ruhe,  solange  gewisse  'ihnen  notwendig  erscheinende  Umstände 
nicht  eingetreten  sind;  ein  Paranoider  verwundert  sich  darüber,  daß  man  die 
anderen  Kranken  auch  über  ihn  reden  mache,  wenn  sie  den  Mund  geschlossen 
halten;  sind  keine  Patienten  in  der  Nähe,  so  hört  er  auch  nichts.  Eine  Patientin 
hört  die  Stimmen,  die  im  Herzen  lokahsiert  sind,  dann  am  besten,  wenn  sie  die 
Hand  aufs  Herz  legt.  Viele  bringen  die  Stimmen  zum  Aufhören  durch  allerlei 
Zauber  und  Faxen  oder  durch  Aussprüche,  wie  „aha,  das  ist  so";  manchmal 
hilft  auch  lautes  Schreien  oder  Reden.  Sehr  häufig  treten  die  Halluzinationen 
auf,  wenn  eine  Person  erscheint,  die  in  die  Wahnideen  verwoben  ist:  manche 
Kranke  hören  sofort  Stimmen  oder  fühlen  sich  elektrisiert,  erstickt,  wenn  z.  B. 
der  Arzt  die  Abteilung  betritt;  sie  spüren  die  im  Schloß  gedrehten  Schlüssel  in 
der  Brust;  fühlen  sich  „eingestrickt",  „eingelöffelt",  wenn  neben  ihnen  jemand 
strickt  oder  ißt;  das  Erscheinen  einer  bestimmten  Wärterin  nimmt  ihnen  den 
Atem.  So  wird  oft  quasi  die  Idee  zur  Halluzination  durch  ein  anderes  Sinnes- 
organ gegeben  („Reflexhalluzinationen");  eine  Patientin  hat  Geruchs- 
halluzinationen bei  gewissen  Gesichtseindrücken;  eine  Patientin  Pf  isters  horte 
während  des  Füttems,  daß  mit  der  Sonde  soeben  die  Vagina  einer  unreiiiHchen 
Patientin  ausgespült  worden  sei.  Wenn  er  jemanden  erblassen  sah,  spurte  ein 
Katatoniker  Leichengeruch.   Als  eine  Patientin  Fleisch  schnitt,  glaubte  die 


1)  Vgl.  z.  B.  Chvosteck. 

2)  Vgl.  Fischer  221. 


Akzessorische  Symptome.  Sinnestäuschungen. 


89 


Nachbarin  sich  aufgeschnitten  und  spürte  Schmerzen,  bekam  eine  Ohnmacht. 
Auch  das  halhizinatorische  Benennen  kann  als  Keflexhalluzination  aufgefaßt 
werden;  wenn  ein  Patient  z.  B.  ein  Schiff  sah,  so  hörte  er:  „das  Schiff,  das  Schiff". 

In  gewissem  Sinne  sind  viele  schizophrene  Halluzinationen  vom  Willen 
abhängig.  Nur  in  selteneren  Fällen  allerdings  können  die  Kranken  ganz  will- 
kürlich sehen  oder  hören,  was  ihnen  beliebt.  Sehr  oft  dagegen  geben  die  Stimmen 
Auskunft  über  bestimmte  Komplexgedanken  der  Patienten;  diese  führen  ein 
Zwiegespräch  mit  ihnen  oder  sie  wenden  sich  an  sie,  wenn  sie  eine  Frage  des 
Arztes  nicht  beantworten  können.  Wird  die  Aufmerksamkeit  auf  die  Stimmen 
gewendet  (oder  wenigstens  von  anderen  Dingen  abgekehrt),  so  werden  sie  jueißt 
besser  wahrgenommen.  Doch  überraschen  sie  den  Patienten  auch  oft  mitten 
in  anderen  Gedanken,  und  es  kann  vorkommen,  daß  die  Aufmerksamkeit  die 
Täuschungen  auslöscht.  Meistens  allerdings  erzwingen  sich  die  Halluzinationen 
die  Aufmerksamkeit  oder,  anders  ausgedrückt,  der  krankhafte  Vorgang  besteht 
nicht  nur  in  der  Ps  endo  Wahrnehmung,  sondern  zugleich  in  der  Richtung  der 
Aufmerksamkeit  auf  dieselbe.  So  ist  es  meist  schon  ein  Zeichen  von  Beruhigung^ 
wenn  es  einem  Kranken  gelingt,  die  Halluzinationen  ,,abzuherrschen",  d.  h. 
ihnen  die  Beachtung  zu  entziehen.  Sie  ganz  zu  unterdrücken,  geHngt  nur  aus- 
nahmsweise.  Ein  Paranoider  kann  den  vom  Fuß  zum  Kopf  aufsteigenden 
„mumienartigen  Gefühlen"  (Eintrocknen  und  Einschrumpfen)  wenigstens  Halt 
gebieten,  so  daß  sie  z.  B.  in  der  Brust  stehen  bleiben. 

Natürhch  sind  auch  alle  inneren  oder  äußeren  Einflüsse,  die  die  Krankheit 
überhaupt  verschhmmern,  Agents  provocateurs  der  Halluzinationen:  un- 
angenehme Affekte,  namentUch  Aufregungen,  Alkohol,  Schübe  des  Krankheits- 
prozesses usw. 

In  zwei  Fällen  sah  ich  Gehörshalluzinationen  nur  dann  auftreten  wenn  die 
Patienten  lagen.  Auch  Brierre  de  Boismont  erwähnt  einen  Fall,  wo  die  Stimmen 
durch  Neigung  des  Kopfes  hervorgerufen  wurden.  (Blutdruckänderung  im  Kopf?) 

Nicht  selten  provoziert  mäßiger  oder  unmäßiger  Alkoholgenuß  Halluzinationen 
aller  Arten. 

Die  vier  Haupteigenschaften  der  Halluzinationen:  Intensität,  Deutlich- 
keit, Projektion  nach  außen,  Realitätswert,  sind  bei  der  Schizophrenie 
gänzüch  unabhängig  voneinander,  so  daß  jeder  derselben  innerhalb  maximaler 
Grenzen  wechseln  kann,  ohne  die  anderen  zu  beeinflussen. 

Intensität.  Vom  leisesten  Flüstern  und  Säuseln  bis  zur  erschreckenden 
Donnerstmime,  vom  leichten  abnormen  Gefühl  im  Körper  bis  zu  unerträghcher 
i-mpfmdung  des  Zerrissen-,  Gebrannt-,  Elektrisiertwerdens,  vom  zarten  Dunst 
bjs  zum  blendenden  Licht  kann  alles  halluzinatorisch  wahrgenommen  werden  Mit 
der  zwangsmäßigen  Aufmerksamkeit  hat  die  Intensität  keinen  notwendigen 
Zusammenhang,  wenn  auch  wohl  ceteris  paribus  starke  Trugwahrnehmungen 
eher  beachtet  werden  müssen ;  leises,  kaum  oder  gar  nicht  verständhches  Flüstern 
beschäftigt  oft  die  Patienten  mehr  als  zu  anderen  Zeiten  das  lauteste  Rufen 
immerhin  haben  Intensität,  Zwangsbeachtung  und  Deutlichkeit  der  Projektion 
nach  außen  die  gemeinsame  Eigenschaft,  oft  mit  den  Schwankungen  der  Krank- 
neit  zu-  und  abzunehmen. 

und  .?h'V^'^>^^''*-  Wahrgenommene  aufdringlich  klar 

und  scharf.  Dann  wieder  hören  die  Kranken  nur  ein  Geräusch,  nur  ein  ver- 


90 


Schizophrenie, 


wirrtes  Gemurmel,  oder  sie  sehen  etwas  Nebelhaftes,  unklare  Gestalten,  die 
sie  mehr  oder  weniger  unbewußt  als  eine  bestimmte  Erscheinung  erst  deuten 
müssen.  Eine  Patientin  verstand  die  Stimmen  nicht,  merkte  aber  aus  dem  Lärm, 
daß  sie  getötet  werden  sollte;  zwei  Patientinnen  Pfersdorffs  (560,  S.  742) 
hörten  französisch  schimpfen,  obschon  sie  nicht  französisch  verstanden;  „die 
Worte  werden  meist  nicht  deutlich  verstanden,  aber  der  Sinn"  (ebenda,  S.  743). 
So  erzählen  die  Patienten  sehr  häufig  nicht  wörthch,  was  sie  gehört,  sondern 
allgemeine  Phrasen:  ,,die  Nachbarn  haben  Haß  und  Neid  gegen  sie  gehabt", 
,,es  war  ein  öffentliches  Gespött  und  Witzeln".  Die  Patientin  hat  ,, scheuß- 
lichen Natterngeruch"  gespürt.  Auf  den  Einwand,  daß  sie  ja  nicht  wisse,  wie 
Nattern  riechen,  meint  sie:  „man  kann  auch  sagen  Morphium".  Durch  solche 
Unbestimmtheiten  wird  der  subjektive  Wirkungswert  in  keiner  Weise  beein- 
trächtigt; die  Patienten  glauben  eben  an  ihre  Auslegungen,  die  sie  für  Wahr- 
nehmungen halten. 

Am  auffallendsten  sind  die  Verhältnisse  der  Projektion  nach  außen. 
Viele  Halluzinationen  werden  genau  wie  die  wirkUchen  Wahrnehmungen  nach 
a,ußen  projiziert  und  können  von  diesen  subjektiv  nicht  unterschieden  werden. 
Eine  scheinbar  besondere  Stellung  nehmen  allerdings  die  Hallzuinationen  der 
Organempfindungen  ein;  für  sie  ist  der  Körper  das,  was  man  sonst  die  Außen- 
welt nennt.  Man  kann  sie  meist  ganz  gut  von  bloßen  Parästhesien  bei  anderen 
Krankheiten  unterscheiden,  weil  sie  in  allen  Beziehungen  den  Halluzinationen 
der  anderen  Sinne  parallel  gehen.  Sie  werden  nicht  als  Empfindungen  auf- 
gefaßt, die  uns  auf  irgendeine  Abnormität  im  Körper  aufmerksam  machen;  der 
Halluzinant  hat  nicht  einen  brennenden  oder  stechenden  Schmerz,  sondern  er 
wird  gebrannt,  gestochen.  So  wird  wenigstens  die  Ursache  ganz  nach  außen 
projiziert.  Bei  kombinierten  Sinnestäuschungen  bilden  diese  Körperemp- 
findungen ein  gleichwertiges  Element  unter  den  anderen  halluzinatorischen 
Komponenten. 

Anderseits  unterscheiden  viele  Kranke  primär,  was  sie  wirküch  sehen  und 
hören  von  dem,  was  ihnen  „vorgemacht  wird",  den  ,,absichtUchen  Halluzinations- 
eintreibungen"', Demnach  sind  sie  oft  geneigt,  auch  den  Inhalt  dieser  Hallu- 
zinationen für  Wirklichkeit  zu  halten,  und  es  ist  etwas  GewöhnUches,  daß  auch 
die  Patienten,  die  solche  Unterscheidungen  machen,  doch  eine  Menge  anderer 
Halluzinätionen  als  gewöhnhche  Sinneswahrnehmungen  betrachten. 

Es  kommen  ferner  alle  Übergänge  vor,  von  den  normalen  Vorstellungen 
zu  den  Sinnestäuschungen  mit  vollkommener  sinnhcher  Deuthchkeit. 

Obschon  die  Gehörshalluzinationen  am  meisten  Beachtung  finden,  wissen 
auch  intelligente  Kranke  oft  nicht  zu  sagen,  ob  sie  die  Stimmen  höreu,  oder  ob  sie 
sie  nur  denken  müssen;  es  sind  „so  lebhafte  Gedanken",  die  aber  doch  von  den 
Patienten  selbst  Stimmen  genannt  werden;  dann  wieder  sind  es  „laute  Gedanken", 
tonlose  Stimmen",  zwei  Ausdrücke,  die  vielleicht  dasselbe,  jedenfalls  etwas  sehr 
Ähnliches  bedeuten.  Einer  unserer  Schizophrenen  gibt  an,  die  Worte  nicht  zu  hören, 
es  sei  ihm  nur,  wie  wenn  seine  eigene  Stimme  dieselben  ausspreche  (Übergang  zu 
den  Halluzinationen  des  Muskelsinnes  der  Sprechorgane),  dennoch  scheinen  ihm  die 
Worte  „lauter",  wenn  er  sich  körperlich  anstrengt.  Ein  anderer  Patient  hat  kerne 
«igentUchen  Stimmen  mehr,  sondern  „nur  noch  sonderbare  Ware  auf  den  Lippen^^. 
Ein  anderer  Kranker  hat  die  Stimme  bald  „im  Gedächtnis",  bald  „hinter  den  Ohi-en 
Die  Unabhängigkeit  von  der  eigentlichen  Sinnesempfinduug  druckt  ein  Fatieut 


II 


Akzessorisclie  Symptome.  Sinnestäuschungen. 


91 


Koeppes  sehr  drastisch  aus:  „Ich  könnte  stocktaub  sein,  und  doch  die  Stimmen 
Mreu."  xManchmal  ist  es  den  Kranken,  „wie  wenn  sie  hörten",  was  nicht  hindert, 
daß  sie  auf  eine  solche  Aufforderung  hin  im  Tag  hundertmal  das  Fenster  offnen, 
oder  daß  einer  extra  an  den  Rhein  reist,  um  sich  ins  Wasser  zu  stürzen.  Letzterer 
Patient  beschreibt  die  Empfindungen:  „Es  war  mir,  wie  wenn  jemand  mit  Fingern 
auf  mich  zeigte  und  sagte:  geh  und  ertränke  dich;  es  ist,  wie  wenn  wir  sprechen; 
ich  höre  es  nicht  in  den  Ohren,  ich  habe  die  Empfindung  in  der  Brust,  doch  ist  es 
mir,  wie  wenn  ich  einen  Klang  hörte."  Ganz  merkwürdig  ist  der  Ausdruck,  dem 
man  etwa  begegnet:  die  Stimmen  werden  mir  „wie  zu  den  Ohren  herausgehaucht", 
oder  „wie  wenn  man  aus  meinen  Ohren  hinaus  mit  mir  redet".  Es  scheint,  daß  diese 
Patienten  ein  gewisses  Gefühl  dafür  haben,  daß  die  Stimmen  von  innen  heraus 
kommen.  Ein  Kranker  erklärte,  früher  sei  mit  ihm  „äußerlich"  geredet  worden, 
man  sprach  ihm  in  die  Ohren;  dazu  müsse  man  „einem  die  Richtung  nehmen  zum 
Ohr".  Dieser  Patient  „hörte  auch  in  den  Beinen  ein  Zucken",  z.  B.  gerade  bei  der 
Prüfling  „heißt  es:  schweig,  oder  etwas  Ähnliches".  Es  wird  also  hier  durch 
das  Zucken  im  Bein  der  Gedanke  ausgelöst  (oder  ausgedrückt?),  daß  er  besser  täte 
zu  schweigen.  Patient  glaubt  diesen  Gedanken  im  Bein  zu  hören;  die  akustische 
Komponente  ist  aber  so  vag,  daß  Patient  nicht  einmal  sagen  kann,  in  was  für  Worte 
der  Gedanke  gekleidet  wird.  Am  nächsten  den  wirklichen  Wahrnehmungen  stehen 
wohl  Phoneme,  „die  keine  eigentlichen  Stimmen,  sondern  nur  Nachbildungen  von 
Stimmen  verstorbener  Verwandten  sind". 

Diese  Beispiele  erschöpfen  die  vorkommenden  Nuancen  der  Projektion 
von  Gehörshalluzinationen  noch  lange  niclit.  Die  Patienten  unterscheiden  im 
großen  und  ganzen  zwei  Hauptklassen:  die  Stimmen,  die  von  außen  kommen 
ganz  wie  natürUche  —  und  dann  die  in  den  eigenen  Körper  projizierten,  die 
fast  gar  keine  sinnhche  Komponente  haben  und  am  häufigsten  als  innere 
Stimmen  bezeichnet  werden  (Baillargers  psychische  Halluzinationen). 

Diese  letzteren  sind  also  viel  weniger  Halluzinationen  der  Wahrnehmung 
als  Halluzinationen  der  Vorstellung.  Der  krankhafte  Prozeß  dieser 
Grenzfälle  hat  mehr  Beziehungen  zur  Vorstellung  als  zur  Wahrnehmung. 

Von  den  Gesichtstäuschungen  kennt  man  nur  wenige  Abstufungen 
•der  Projektion.  Im  ganzen  erkennen  die  Kranken  hier  leichter  das  abnorme  als 
bei  den  Phonemen.  Sie  sehen  Eegimenter  „vor  den  Augen";  lebende  Bekannte 
werden  ihnen  in  der  Luft  „im  Schein"  vorgemacht;  die  Visionen  sind  ,,wie  ein 
Schatten",  wie  eine  „Täuschung";  man  „führt  dem  Patienten  in  der  Nacht 
allerlei  vor",  z.  B.  einen  Neger;  eine  Katatonika  hat  „alles  voll  grüne  Schlangen 
gesehen'' ;  sie  hat  sie  aber  nicht  gesehen,  es  war  ihr  nur,  „wie  wenn  sie  da  wären". 
Auch  Visionen  können  etwa  dem  Sinnesorgan  entspringen,  so  die  Aussteuer 
nebst  Kindersegen  in  dem  folgenden  Bericht  einer  jungen  Dame: 

Denke  dir  Papa,  ich  bin  ein  Wunderkind  geworden.'  Aus  meinen  lieben  blauen 
Augelein  kommen  viel  Sachen  heraus,  z.  B.  Leintücher,  fix  und  fertig  gebügelt, 
Kopfkissen  mit  samt  Plumeau,  weiß  oder  farbig,  Bettstatt,  Kommode  usw.  Körbet 
Faden,  ganze  fertige  Strümpfe  von  allen  Farben,  Kleider,  einfach  bis  zu  den  ele- 
gantesten, und  zum  Schluß  Menschen  fhegen  heraus,  zum  Glück  nicht  nackt,  sondern 
fix  und  fertig  gekleidet  .... 

Bei  den  Geruchs-,  Geschmacks-  und  Tasthalluzinationen  werden 
die  Unterschiede  in  der  Projektion  noch  undeutUcher,  doch  kommen  auch  da 
«lle  Ubergänge  von  der  Vorstellung  zur  Wahrnehmung  vor. 


92 


Schizophrenie. 


Eine  ganz  sonderbare  Lokalisation  zeigen  die  extrakampinen  Hallu- 
zinationen, die  bei  der  Schizophrenie  bis  jetzt  nur  auf  visuellem  Gebiet  sicher 
beobachtet  sind  (Visionen  außerhalb  des  Gesichtsfeldes). 

Ein  intelligenter  Hebephrene  sieht,  während  wir  mit  ihm  sprechen,  plötzlich 
den  Teufel  hinter  sich,  und  zwar  so  genau,  daß  er  ihn  zeichnen  kann.  Auf  unseren 
Einwand  erklärt  er,  daß  er  eben  nun  die  Gabe  habe,  durch  den  Kopf  hindurch  nach 
hinten  zu  sehen.  Da  er  uns  von  ,, Vorstellungen"  sprechen  hört,  protestiert  er  lebhaft, 
es  sei  keine  Vorstellung,  sondern  wirkliches  Sehen^).  Er  sieht  auf  diesem  Wege  auch 
ganze  Landschaften  und  Ähnliches.  So  können  manche  Patienten  erschreckenden 
Visionen  nicht  entfliehen,  obschon  diese  den  Ort  nicht  ändern;  die  Kranken  versuchen, 
den  Erscheinungen  den  Eücken  zuzuwenden,  sie  verkriechen  sich  zugleich  unter 
die  Matratze,  sehen  aber  doch  das  Schreckbild  vor  den  Fenstern.  Manchen  fällt 
dieses  ungewohnte  Sehen  gar  nicht  als  etwas  Besonderes  auf.  —  Als  extrakampine 
Halluzination  ist  es  wohl  auch  aufzufassen,  wenn  ein  Patient  unter  dem  ihm  nicht 
durchsichtig  erscheinenden  Fußboden  Köpfe  sieht,  die  ihm  Grimassen  schneiden. 
Und  ein  Ubergang  von  der  einfachen  Vorstellung  zur  extrakampinen  Halluzination 
des  Geruches  wird  es  sein,  wenn  ein  Kranker  hinten  am  Kopf  ,, fühlt",  (nicht  riecht), 
daß  er  eine  besondere  Ausdünstung  hat. 

Eine  Teilerscheinung  des  Transitivismus  ist  die  Lokalisation  der 
Halluzinationen  in  eine  andere  Persönlichkeit.  Viele  Schizophrene  glauben 
nicht  nur,  ihre  Umgebung  müsse  die  Stimmen  so  gut  wie  sie  selbst  hören;  sie 
meinen  auch,  entfernte  Leute  nehmen  sie  wahr.  Von  hier  aus  ist  es  nur  noch 
ein  kleiner  Schritt  bis  zu  den  transitiven  Halluzinationen,  von  denen 
der  Patient  annimmt,  daß  eine  dritte  Person  sie  höre,  während  er  selbst  nur  auf 
irgendeinem  geheimnisvollen  "Weg  Kunde  davon  bekommt^).  Manchmal  „macht 
er  sie"  dem  Dritten,  indem  er  willkürHch  an  etwas  denkt,  was  dieser  hören  muß. 
Auf  optischem  Gebiet  ist  es  das  Gleiche,  wenn  der  Wärter  „sehen"  muß,  was 
sich  der  Patient  vorstellt.  Die  Erscheinungen  gehen  kontinuierhch  über  in  die 
verbreitete  Vorstellung  der  Schizophrenen,  daß  man  ihre  Gedanken  kenne. 


Der  Kealitätswert  der  Halluzinationen  ist  meist  ein  ebenso  großer 
wie  der  der  wirMichen  Wahrnehmungen  oder  ein  noch  größerer;  denn  wo  Wirk- 
lichkeit und  Halluzination  in  Konfhkt  kommen,  wird  meist  die  letztere  als  die 
Wirkhchkeit  angesehen.  Bezweifelt  man  die  ReaUtät  der  Halluzination  eines 
Patienten,  so  hört  man  ganz  gewöhnhch  Entgegnungen,  wie:  „Wenn  das  keine 
wirkliche  Stimme  ist,  so  kann  ich  auch  ebensogut  sagen,  Sie  reden  jetzt  mcht 
wirkHch  mit  mir."  Wenn  die  Kranken  ihre  Stimmen  von  dem  unterscheiden, 
was  die  Gesunden  die  Wirklichkeit  nennen,  so  geschieht  es  meist  durch  Merk- 
male, die  mit  der  normalen  Projektion  nichts  zu  tmi  haben:  em  gewisser  Inhalt 
ein  ungewohnter  Ausgangsort,  die  Unsichtbarkeit  des  Urhebers  der  Stimmen  und 

1)  Es  handelt  sich  in  meinen  Fällen  nicht,  wie  Kr  ae  pe Ii  n  (Psychiatrie,  8.  Auflage  I. 
225)  sagt,  um  lebhafte  Gesichtsvoretellungen,  „die  durchaus  nicht  das  «ep^^  von  -m. 
liehen  Wahrnehmungen  tragen",  sondern  um  Erscheinungen,  die  von  jn^n^^^^n  und 
diskussionsfähigen  Patienten  den  Wahrnehmungen  vollständig  gleichgestellt  werden 
diskussion^ah^gen^^_^^^^^^^  daß  die  Kranken  glauben,  ihre  Gedanken  werden  von  anderen 

gehört,  nennt  S^glas  (in  Ballet,  218)  „echo  de  la  pensee  . 


Akzessorische  Symptome.  Sinnestäuschungen. 


93 


ähnliche  Dinge  sagen  ihm,  daß  es  sich  um  etwas  Besonderes  handle.  Auch  Geruchs- 
und Geschmackshalluzinationen  werden  in  der  Kegel  nicht  als  solche  erkannt, 
während  die  Gesichtstäuschungen,  die  mit  dem  wirklichen  Gesichtsbild  be- 
ständig kolüdieren,  leicht  als  etwas  Außergewöhnliches  erscheinen.  Das  ist  aber 
nicht  gleichbedeutend  mit  der  Erkenntnis  als  Sinnestäuschungen.  Ein  Photo- 
graph macht  der  Patientin  „Bilder,  die  nicht  richtig  da  waren",  Engel,  Gott 
usw.  vor;  sie  hält  nichtsdestoweniger  daran  fest,  daß  sie  durch  ein  Glas  wirklich 
in  den  Himmel  hineingesehen  habe.  Ein  solches  Verhältnis  ist  das  gewöhnliche. 
Die  Stimmen  sind  Eeden  von  anderen  Menschen,  obgleich  sie  in  den  eigenen 
Ohren  entstehen;  ein  Kranker  erklärte  die  Entstehung  der  Phoneme  analog 
dem  Kauschen,  das  man  hört,  wenn  man  eine  Muschel  ans  Ohr  legt,  hielt  das 
Gehörte  aber  doch  für  eine  Kealität.  In  Aufregungs-  und  Dämmerzuständen 
wird  der  grellste  Widerspruch  auch  der  optischen  Halluzinationen  mit  der  Wirk- 
hchkeit  nur  selten  empfunden.  Die  letztere  wird  illusorisch  umgedeutet,  oder  die 
Ejranken  leben  auch  optisch  in  zwei  Welten  zugleich,  ohne  dieselben  mitein- 
ander in  Verbindung  zu  bringen. 

Auf  optischem  Gebiet  kommen  die  „eigentlichen  Pseudohallu- 
zinationen" Kandinskys  am  häufigsten  vor,  Visionen,  die  scharf  sind  und 
ganz  nach  außen  projiziert,  aber  als  Halluzinationen  erkannt  werden.  Sie  unter- 
scheiden sich  wohl  mehr  durch  die  begleitende  Kritik  als  durch  eine  besondere 
Eigenschaft  der  Sinneserfahrung  von  den  gewöhrJichen  Halluzinationen^).  Sie 
scheinen  bei  der  Schizophrenie  vor  den  anderen  Halluzinationen  zurückzutreten. 

Hier  mögen  auch  die  negativen  Halluzinationen  (Löwenfelds 
systematische  Anästhesie)  erwähnt  werden.  Sie  scheinen  selten  zu  sein, 
wenn  man  nicht  das  bei  den  Sperrungen  angeführte  Faktum  hierherrechnen 
will,  daß  die  Kranken  auf  einmal  bestimmte  Vorgänge  oder  auch  alles,  was 
um  sie  vorgeht,  nicht  mehr  sehen  und  hören. 

Bin  Patient  Jörgers  (S.  52)  glaubte  sich  beim  Austeilen  der  Speisen  beständig 
vom  Wärter  benachteiligt;  er  betete  dann  imd  sah  hierauf  sein  Stück  Fleisch  immer 
größer  und  die  Stücke  der  anderen  immer  kleiner  werden,  bis  zuletzt  gar  nichts 
mehr  auf  deren  Tellern  zu  sehen  war.  Schreber  erzählt,  daß  er  mehr  als  einmal 
seinen  Wärter  am  hellen  Morgen  habe  „alle  werden",  d.  h.  allmählich  verschwinden 
sehen,  so  daß  das  Bett  desselben  leer  war.  Der  Beschreibung  nach  war  das  eine 
negative  Halluzination,  möglicherweise  aber  auch  das  Verschwinden  des  positiv 
halluzinierten  Wärters. 


Die  subjektive  Auffassung  der  Halluzinationen  ist  eine  sehr  ver- 
schiedene. Das  Gewöhnliche  ist  natürUch,  daß  die  Kranken  die  Stimmen  auf 
sprechende  Menschen  oder  Apparate,  die  Visionen  auf  wirkUche  Menschen  oder 
vorgemachte  „Bilder",  die  Geruchs-  und  Geschmackstäuschungen  auf  Beimengun- 
gen zur  Luft  oder  zur  Nahrung  und  die  Körperhalluzinationen  auf  physikaUsche 
oder  chemische  Beeinflussungen  zurückführen.  In  einzelnen  FäUen  merken  sie 
das  Pathologische;  namentlich  der  Zusammenhang  mit  oder  der  Ursprung  aus 
den  eigenen  Gedanken  wird  vielen  Kranken  mehr  oder  weniger  bewußt. 

.Mi.R^  ^-^  Hagenschen  Pseudohalluzinationen  sind  ein  nicht  ganz  klarer  Begriff  und 
schließen  die  „psychischen  Halluzinationen"  in  sich.  ^ 


94 


Schizophrenie. 


"  n  T  ,  ^timmen,  nur  Gedanken,  die  andere  nicht  haben",  oder 
,,statt  der  Gedanken  haben  sie  Stimmen",  „alle  Gedanken  werden  ihnen  plötzhch 
zu  Stmimen  Die  Undeuthchkeit  der  akustischen  Komponente  kann  ausgedrückt 
werden  durch  den  Satz  :„pie  Stimmen  sind  nicht  wie  geredet,  sondern  wie  gedacht." 
Üin  anderer,_  der  Christi  Stimme  gehört  hatte,  äußert  sich  folgendermaßen  Wenn 
einer  erfüllt  ist  von  Gottes  Geist,  so  weiß  er  doch,  was  er  zu  tun  hat.  Es  ist  "nicht 
gerade  eine  laute  Stimme,  es  wird  einer  eben  —  (Sperrung)  —  dui'ch  Geist- 
man  merkt  es  doch  nicht,  man  könnte  es  auch  nicht  sagen-  aber  den 
Geist,  den  fühle  ich  da  im  Herzen  drin,  und  dann  geht  es  hinauf  ins 

T.-!?'^  Gedanken,  .und  im  Herzen  nennt  man  es 

-Plane,  JSilder,  Vorstellungen,  die  man  zur  Ausführung  bringen  kann." 

Über  die  Art,  wie  die  Halluzinationen  entstehen,  machen  sich 
die  Kranken  die  verschiedensten  Vorstellungen.  Wo  sie,  wie  gewöhnUch,  Menschen 
und  Apparaten  der  Außenwelt  zugeschrieben  werden,  ist  die  Sache  sehr  einfach. 
Es  sind  eben  Leute  da,  im  gleichen  Raum,  hinter  den  Türen,  in  geheimen  Gängen 
der  Mauern,  auf  dem  Dachboden,  in  einem  unzugänghchen  Souterrain;  oder 
an  den  gleichen  Orten  sind  die  raffiniertesten  Apparate  moderner  Technik,  er- 
funden und  hingestellt,  um  auf  Distanz  zu  reden,  Bilder  zu  machen,  zu  benennen, 
zu  elektrisieren;  durchs  Lufttelephon,  diese  neueste  Erfindung",  hat  eine 
Patientin  gehört,  wie  Leute  in  den  Keller  gingen  und  sie  bestahlen. 

Oft  wird  aber  auf  solche  Auslegungen  verzichtet.  Die  Patienten  hören 
Stimmen  von  Abwesenden,  ohne  sich  über  das  Besondere  der  Erscheinung 
Gedanken  zu  machen;  „die  Stimme  kann  doch  da  sein". 

Ein  anderer  Patient  verwundert  sich  nur  darüber,  daß  er  mit  seinen  (ab- 
wesenden) Angehörigen  laut  reden  muß,  während  er  sie  hört,  auch  wenn  sie  ganz 
leise  sprechen.  Andere  sind  „hinterhörig",  da  sie  von  allen  Seiten  sprechen  hören. 
Wenn  eine  Patientin  von  großen  Männern  gelesen  hat,  sieht  sie  sie  nachher  durch 
besondere  Gunst  der  Gottheit.  „Jeder  hat  ein  Talent  und  eine  Gabe,  ich  habe 
das  Talent,  daß  ich  etwas  hören  kann",  dieser  Patient  „hört"  auch  Bilder,  d.  h. 
er  bezeichnet  die  Visionen  mit  dem  geläufigeren  akustischen  Ausdruck.  Einer 
Patientin  ist  die  Nachricht  vom  Tod  des  Mannes  ,, angeblasen"  worden;  die  Stimmen 
werden  einer  Bekannten  aus  dem  Kopfe  genommen  mid  dem  Patienten  in  die  Anstalt 
nachgeschickt;  ein  Kranker  hat  Stimmen  anderer,  die  durch  ihn  sprechen,  in  Hals 
und  Brust.  Eine  sonderbare  Auffassung  zeigte  eine  Patientin  Ziehens  (840,  S.  34), 
deren  vor  der  Krankheit  bestehendes  Ohrensausen  ,, durch  die  Stimmen  verun- 
reinigt" wm'de.  Einem  unserer  Hebephrenen  liest  man  die  Gedanken  ab,  bevor  er 
sie  ausspricht;  er  hat  eine  gewisse  Anziehungskraft,  zieht  andere  an,  mid  andere 
ziehen  ihn  an;  wenn  er  eine  Frage  denkt,  zieht  er  gleich  eine  Antwort  an,  oder  er 
zieht  Stimmen  an.  Das  Brot  sagt  ihm,  von  wem  es  gebacken  worden;  das  kommt 
vom  Nervenfluidum,  das  alle  Leute  an  den  Händen  haben;  sie  übertragen  es  auf 
die  Gegenstände,  und  so  kommt  die  Antwort  zu  ihm.  Andere  hören  durch  „Nerven- 
spannung" oder  sie  „hören  durch  die  Perspektive".  Solche  Eedensarten,  die  mehr 
originelle  Bezeichnungen  als  Erklärmigen  sind,  hört  man  in  Menge;  „das  Rede- 
werk geht  immer";  der  Kranke  „wird  gestimmt";  er  hat  den  „Krieg";  die  letzten 
beiden  Ausdrücke  bezeichnen  Halluzinationen  aller  Sinne. 

Trotzdem  sehr  viele  Schizophrene  sich  beständig  über  die  halluzinatori- 
schen Belästigungen  beklagen,  ist  es  gar  nicht  immer  leicht,  genaue  Auskunft 
über  den  Inhalt  der  Sinnestäuschungen  zu  erhalten.  Zunächst  stößt  man 
alltäghch  auf  die  Antwort :  „Sie  wissen  es  ja  besser  als  ich".  Es  erscheint  plausibel, 


Akzessorische  Symptome.  Simiestäuscbungi 


95 


daß  es  den  Kranken  „zu  dumm"  vorkommt,  über  Dmge  Aus^cunft  zu  geben, 
t  der  F  age..de  nach  brer  Meinung  besser  kennt  als  sie,  ja  selbst  gemacht  bat^ 
t  nd  abfr  noch  andere  Hindernisse.  Manchmal  hat  es  den  Anschein,  als  ob 
dfe  &anke  ich  genierten,  zu  reden;  und  sie  geben  oft  direkt  an,  daß  sie  sich 
ürchten  die  Erlebnisse  auszukramen,  weil  man  diese  doch  für  krankhaft  und 
sL  seS  damit  für  „verrückt"  halte.  Ein  Kranker  gibt  zunächst  prompt,  wenn 
auch  nicht  i^^^^^  ganz  klar,  Antwort.  Auf  die  Frage:  Was  haben  <be  Stimmen 
gesagtTnimmt  er  plötzHch  eine  ganz  veränderte  Miene  an,  läßt  den  Kopf  sinken 
fmd  rückt  den  Stiihl  liin  mid  her,  wie  wenn  er  sich  unter  einem  starken  Druck 
drehen  und  winden  müßte:  „Ich  sage  nichts  von  Stimmen,  von  dem  redet  man 
aar  nicht  "  Manchmal  hat  die  Scheu  zu  erzählen  ein  deuthch  sexueUes  Gepräge; 
namenthch  Frauen  machen  sehr  oft  verschämte  Gesichter,  wenn  man  sie  nach 
HaUuzinationen  frägt,  die  für  den  unerfahrenen  Beobachter  wie  für  die  Patien- 
tinnen nichts  Sexuelles  an  sich  haben.  Sicher  aber  können  viele  Kranken 
niu-  ungenügende  oder  gar  keine  Auskunft  darüber  geben;  m  frischen  Fallen 
noch  mehr  als  in  älteren  beobachtet  man  alltäghch  plötzUche  allgemeine  oder 
partieUe  Sperrungen,  wenn  man  die  Kranken  nach  dem  Inhalt  der  Sinnes- 
täuschungen frägt.  ^  -in 

Ältere  Patienten  wissen  oft  ganz  gut,  daß  die  HaUuzinationen  ihrem  Ge^ 
dächtnis  entschlüpfen.  „Wenn  mich  die  Stimmen  verlassen,  so  weiß  ich  nichts 
mehr  davon;  ich  kann  es  nur  sagen,  wenn  ich  es  gerade  höre",  ,,die  Stimmen 
sind  so  vorübergehend."  Ein  Kranker  schimpft  hocherregt  über  seine  Stimmen; 
die  sagen  Dinge,  die  er  nicht  einmal  zu  denken  wage.  Auf  die  Frage,  was  sie 
denn  sagen,  weiß  er  gar  nichts  zu  antworten.  Manchmal  bekommt  man  erst 
durch  Suggestivfragen  Berichte  heraus,  die  dann  durch  Detailangaben  verifi- 
ziert werden  können.  Häufig  verläuft  etwa  die  Einleitung  der  Untersuchung 
auf  Halluzinationen  in  folgender  Weise:  Was  sagen  die  Stimmen?  „Nichts."  — 
Machen  sie  Ihnen  Vorwürfe?  ,,Ja"  usw. 

Auftreten  und  Wandlungen  der  Halluzinationen.  Die  HaUu- 
zinationen schleichen  sich  in  einzelnen  Fällen  ganz  unmerkUch  in  das  Bewußt- 
sein des  Patienten  ein.  Einzelne  Gedanken  werden  immer  lebhafter,  bis  sie 
sinnhche  Deuthchkeit  bekommen ;  oder  leises  unbestimmtes  Flüstern,  das  zuerst 
kaum  beachtet  wird,  eröffnet  die  Szene.  Ein  Patient  fühlte  die  Gedanken  sich 
zerteilen;  „es  fing  an  laut  zu  reden,  wie  wenn  es  im  Gehirn  wäre".  In  seltenen 
Fällen  treten  die  Halluzinationen  zuerst  als  gewöhnhche  Traumempfindungen 
auf,  kommen  dann  im  Halbschlaf,  dann  im  vollen  Wachen.  Oft  aber  faUen  dem 
Kranken  gleich  zu  Anfang  einzelne  Zurufe  auf  und  üben  einen  gewaltigen  Ein- 
'fluß  auf  sein  psychisches  Gleichgewicht  aus.  Wie  sie  gekommen  sind,  können 
sie  wieder  verschwinden,  um  früher  oder  später  wieder  zu  erscheinen.  In  akuten 
Aufregungen  aUer  Art  sind  die  HaUuzinationen  häufig,  sie  überdauern  aber 
wie  die  Wahnideen  gern  den  Anfall.  Oft  kommen  und  gehen  sie  mit  den  Stim- 
mungsschwankungen oder  den  WeUen  der  Krankheit.  Sie  kommen  und  ver- 
schwinden je  nach  Beschäftigung,  Aufenthaltsort,  umgebenden  Personen.  Viele 
Patienten  aber  haben  Jahrzehnte  lang  keinen  (wachen)  AugenbUck  ohne  Hallu- 
zinationen. Der  spezieUe  Inhalt  kann  zufälüg  determiniert  werden :  ein  Paranoider 
hatte  im  Beginn  der  Erkrankung  einen  Streit;  die  dabei  gefaUenen  Schimpf- 
worte hört  er  seit  vielen  Jahren  immer  wieder.  Überhaupt  werden  die  dchizo- 


96 


Schizophrenie. 


phrenen  Halluzinationen  sehr  gern  stereotypiert.  Kompliziertere  werden  auch 
vereinfacht^),  schließlich  ist  es  nur  noch  ein  Wort  oder  ein  unartikulierter  Ton, 
der  dem  Patienten  seine  Wahnideen  bestätigt. 

Das  Verhalten  gegenüber  den  Halluzinationen  zeigt  die  buntesten 
Versckiedenheiten.  Viele  Kranke,  namentHch  in  akuten  Stadien,  reagieren  auf 
dieselben,  wie  wenn  sie  Wirklichkeit  wären;  erscheinen  deshalb  äußerUch  als 
ganz  , .verrückt".  Im  andern  Extrem  kümmern  sich  die  Patienten,  sei  es  aus 
kluger  Selbstbeherrschung,  sei  es  aus  bloßer  Gleichgültigkeit,  gar  nicht  um  die 
Sinnestäuschungen.  Oft  wehren  sich  Kranke  nicht  bloß  gegen  den  Inhalt  der 
Halluzinationen,  sondern  gegen  den  Eingriff  in  ihre  Persönlichkeit  überhaupt ; 
sie  erfinden  Scbutzmaßregeln  gegen  dieselben,  von  anscheinend  ganz  vernünftigen 
(Obrenzuschließen),  durch  die  verschiedenen  dem  Normalen  nur  teilweise  ver- 
ständlichen Einrichtungen  bis  zu  den  unsinnigsten  Faxen  und  kabalistischen 
Beschwörungen.  Andere  wieder  suchen  die  Halluzinationen  auf,  teils  aus 
feindüchem  Interesse,  teils,  weil  sie  ihnen  direkt  angenehm  sind.  —  („Herr  Dr., 
ich  habe  so  schöne  Träume.")  —  Die  teilweise  Spaltung  der  Psyche  erlaubt 
den  Patienten  während  des  HaUuzinierens  oft  einen  normalen,  zentripetalen 
wie  zentrifugalen  Kontakt  mit  der  Außenwelt  (sogar  bei  exakten  psychologi- 
schen Wahrnehmungsversuchen,  Bostroem). 

^)  Die  Wahnideen. 

Auch  in  den  Wahnideen  kann  alles,  was  man  wünscht  und  befürchtet, 
seinen  Ausdruck  finden  und  —  wenigstens  für  unser  jetziges  Wissen  —  noch 
manches  andere,  vielleicht  alles,  was  erlebt  und  gedacht  werden  kann.  Dennoch 
wiederholen  sich  auch  hier  von  Patient  zu  Patient  immer  wieder  gewisse  Typen 
Tind  sogar  spezielle  kleine  Züge  in  bemerkenswerter  Weise. 

Von  den  bekannten  Inhaltsklassen  der  Wahnideen  treffen  wir  die  der 
Yerfolgung  am  häufigsten. 

„Es  ist  kein  Gebiet  menschlichen  Verderbens,  auf  dem  man  nicht  gegen  mich 
gesündigt  hat",  sagte  einer  unserer  Paranoiden. 

Die  Kranken  werden  von  ihren  Stellen  verdrängt,  durch  Verleumdung  und 
namentlich  durch  alle  möglichen  Schikanen.  Man  gibt  ihnen  besonders  schwierige 
Arbeit  verderbt  ihnen  das  Material,  macht  allerlei  ehrenrührige  oder  sonst  verletzende 
Anspielungen  auf  sie.  Bevor  der  Patient  in  ein  Dorf  kommt,  wird  seme  Aiikunft 
gemeldet,  dann  wird  er  von  allen  Leuten  beschimpft:  man  will  ihn  nach  Sibirien 
transportieren,  verkaufen.  Zwei  Huren  wohnen  ihm  gegenüber,  die  jedesmal,  wenn 
er  essen  will,  so  ekelhafte  Sachen  rufen,  daß  er  nichts  in  den  Mund  ^«l^^J^/; Jj^T 
Man  bestiehlt  ihn,  Wärter  und  Kranke  tragen  seme  Kleider.  Er  wird  als  Abtrittrohr 

B^esonnenere  Schizophrene  denken  sich  als  Opfer  einer  bestimmten  .  Mörder- 
bande", mit  der  sie  alles  Unangenehme  in  Beziehung  bringen.  Freimaurer  Jesuiten, 
die  schwarzen  Juden",  die  Angestellten  des  Geschäftes,  in  dem  der  Kranke  ar- 
bttfG:rnkenleser,',S 

aUe  Mi  he,  ihn  zu  vernichten  oder  wenigstens  bestandig  zu  quälen  und  zu  angstigeiu 
übera  wo  er  sich  befindet,  stehen  sie  in  feindlichem  Rapport  mit  ihm,  sei  es  daß 
r  in  gewöhnlicher  Gestalt  in  den  Mauern,  in  Nebenräumen,  im  Souterram,  m  der 

1)  Schreber,  S.  56. 


Akzessorische  Symptome.  Wahnideen. 


97 


Luft  seine  Oitsveränderungen  mitmachen,  sei  es,  daß  sie  aus  der  Feme  mit  „Berg- 
spieaelu",  auf  elektrischem  Wege,  seia  Tun  und  Denken  beobachten  imd  ihn  mit 
alleilei  Apparaten  und  Zauber  beeinflussen,  ihm  Stimmen  machen,  ihm  alle  moghchen 
unaushaltbaren  Empfindungen  verursachen,  ihn  steif  machen,  ihm  die  Gedanken 
entziehen  oder  ihm  Gedanken  machen.  Die  Patientin  kann  nicht  mehr  auf  den 
Abort  gehen,  weil  sie  nicht  nur  durch  die  Mauern,  sondern  auch  durch  das  Abtritt- 
rohr  be'obachtet  wird.  Ihrer  letzten  Geburt  hat  die  ganze  Nachbarschaft  zugesehen. 

Klare  Vorstellungen,  wie  die  Feinde  das  alles  bewerkstelligen,  macht 
sich  selten  ein  Schizophrener,  er  hat  auch  kein  Verlangen  danach,  „es  i  s  t  eben  so,'' 
damit  gibt  er  sich  zufi-ieden.  Oft  genügen  Worte  dem  Kausalitätsbedürfnis : 
man  redet  zu  ihm  mit  „Geheimdeuterei",  mit  dem  „Verbrecherbann".  Oder 
er  denkt  sich  eine  Ai-t  Zauberei :  wenn  man  seinen  Namen  ausspricht,  entzieht 
man  ihm  Kraft. 

öfter  als  über  die  Technik  der  Quälerei  sucht  sich  der  Patient  Rechenschaft 
zu  geben,  warum  man  sich  so  viel  Mühe  um  ihn  gibt.  Es  sind  Leute,  die  auf 
ihn  eifersüchtig  sind,  die  seine  Konkurrenz  auf  geschäftlichem  oder  namentlich 
erotischem  Gebiet  fürchten,  oder  solche,  die  aus  Bosheit,  aus  Freude  an  Quälerei, 
aus  Wißbegierde  oder  zu  irgend  welchen  eigennützigen  Zwecken  Experimente  an 
ihm  machen. 

Besonders  ausgesuchte  Qualen  bereiten  den  Kranken  die  körperlichen 
Beeinf  ]  ussungen: 

Der  Arzt  fährt  ihnen  mit  Messerstimmen  in  die  Augen,  man  zerschneidet, 
prügelt,  brennt,  elektrisiert  sie,  zersägt  ihnen  das  Gehirn,  macht  ihnen  die  Muskeln 
steif,  hat  ihnen  eine  beständig  arbeitende  Maschine  in  den  Kopf  gesetzt.  Man  hat 
ihnen  etwas  in  den  Tränenkanal  getan,  die  Augen  von  alten  Frauen  angehängt; 
man  schläfert  sie  ein,  deutet  der  weiblichen  Kranken  an,  sie  gäbe  schöne  Kalb- 
fleischschnitzel, die  dann  von  Wölfen  gefressen  werden;  man  schneidet  ihnen  die 
Geschlechtsteile  ab  und  stellt  diese  in  einer  benachbarten  Stadt  aus.  Man  hat  ümen 
die  Eingeweide  lungedreht;  Elefanten  und  allerlei  Bestien  bewohnen  ihren  Leib. 
Eine  Kranke  hat  Menschen  in  ihren  Fingern,  die  sie  töten  wollen  und  ihr  das  Blut 
aussaugen.  Man  entzieht  ihnen  die  Kraft,  die  Schönheit,  um  andere  damit  zu  begaben. 

Häufig  ist  auch  der  Vergiftungswahn: 

Man  bringt  den  Kranken  durch  die  Speisen,  durch  Dünste,  dui'ch  das  Wasch- 
wasser, durch  die  Kleider  Gift  bei;  aus  der  Ferne  spritzt  man  es  ihnen  in  den  Mund 
oder  in  andere  Körperhöhlen.  Man  hat  ihnen  „Erstklaß  Salzsäure,  Haarbrot  und  Urin 
zu  essen  gegeben".  Neben  Gift  sind  meist  auch  alle  möghchen  ekelhaften  Sachen  im 
Essen.  Die  Suppe  ist  mit  Fußbadwasser  gemacht,  man  pumpt  ihnen  Jauche  in  den  Magen. 

Der  Begriff  der  Vergiftung  wird  oft  verallgemeinert.  Der  Kranke  ist  im  „Bann"; 
„wenn  man  in  lauten  Gedanken  reden  kann,  so  ist  das  eben  der  Bann,  das  was  man 
emem  anhängt,  etwas  ganz  Unerklärhches.  Man  hat  gemeint,  es  sei  ein  Gift,  aus 
Menschen-  und  Tierleichen  zusammengemacht,  das  ist  natürhch  ein  Geheimnis  des 
Vatikans.  Aber  das  ist  sicher,  daß  man  damit  schauderhaft  gequält  wird.  Sie  reden 
die  Gedankensprache,  bewegen  den  Mund  nicht;  mit  dem  Bann  horcht  man  sie 
aus;  es  ist  der  gewalttätige  Verhörbann,  der  Verbrecherbann." 

Der  Verfolgungswahn  wird  leicht  auf  andere  Leute,  namenthch  die  An- 
gehörigen, ausgedehnt.  Die  Verwandten  werden  in  der  Anstalt  eingesperrt  auf 
alle  Arten  gefoltert,  gemordet.  Wenn  der  Kranke  „mehr  als  ein  Jahr  und  STWo- 
chen"  hier  bleibt,  wird  seinem  Vater  ein  Bein  abgedreht. 

■Handbuch  der  Psychiatrie:  Uleuler. 


98 


Schizophrenie. 


M  -  rtr^'^'f  Größenvvahn  kümmert  sich  weder  um  Tatsachen  noch  um 
Moghchkeit  oder  Denkbarkeit  der  Erfüllung  menschUcher  Wünsche. 

Manchmal  allerdings  tönt  alles  recht  plausibel:  der  Kranke  hat"  Talent  für 
Mathematik  er  wird  die  Lücken  seiner  Bildung  ergänzen  und  ein  großer  Mathe- 
matiker werfen;  sein  Vater  macht  sehr  gute  Geschäfte,  er  wird  bald  reich  sein-  eine 
angesehene  Dame  hat  sich  in  ihn  verliebt;  es  kommt  jeden  Tag  ein  Päckchen  Zigarren 
für  ihn  an.  -  Meist  aber  geht  der  Durst  nach  Größe  irgendwelcher  Art  ins  Unge- 
messene:  der  Kranke  bekommt  „„soviel  Geld  als  es  Flocken  geschneit  hat  er  wird 
König  von  England,  man  baut  ihm  einen  Palast  von  Gold  und  Edelsteinen  Sein 
Herr  ist  der  Herrgott.  Er  hat  alle  die  armen  Viecher  hier  (er  meint  die  Patienten) 
gesund  gemacht.  Er  muß  „drei  Glücke"  haben:  erstens  mit  dem  Herrn  Oskar  aus- 
reiten,  zweitens  sein  Diener  sein,  drittens  alles  steht  ihm  und  dem  Herrn  Oskar 
zur  Verfügung.""  Alle  diese  Ideen  kommen  vom  gleichen  Patienten  und  zeigen  wie 
jeder  Wunsch  für  sich  als  erfüllt  gedacht  wird,  auch  wenn  er  impHcite  schon  in  einem 
andern  enthalten  ist.  Einen  Schein  von  Begründung  hat  es,  wenn  einem  andern 
Kranken  „als  Herrgott  alles  Gold  und  Silber  zur  Verfügung  steht".  Mit  dem  Aus- 
denken der  Ideen  raachen  sich  die  Patienten  keine  Sorge.  Sie  können  abwechselnd 
oder  gleichzeitig  nicht  nur  König  von  Britannien,  sondern  auch  Britannien  selbst  sein. 
Kaiser  von  Österreich  und  Papst  und  bayerischer  Kronprinz  und  zugleich  der  Gemahl 
einer  (wirklich  als  Tier  gedachten)  Sau  ist  ein  anderer  Kranker.  —  Manchmal  ver- 
steckt sich  der  Größenwahn  mehr  oder  weniger:  eine  Kranke  hält  ihre  Pflegetochter 
für  Schneewittchen,  d.  h.  sie  selbst  ist  Königin.  —  Die  Intelligenz  der  Patienten 
ist  eine  großartige.  Der  Kranke  „saß  in  der  Schule  nie  so  weit  oben,  wie  ihm  ge- 
bührte". Er  ist  der  Erfinder  so  ziemlich  aller  Maschinen  und  Apparate,  die  seit 
50  Jahren  konstruiert  worden  sind  (daß  er  erst  etwas  über  20  Jahre  alt  ist,  stört 
ihn  auch  bei  Vorhalt  nicht).  Er  will  „das  Perpetuum  mobile  erfinden,  Soldat  werden 
und  die  ganze  Welt  erobern".  Er  besitzt  ein  Mittel  gegen  Rückenmarkskrankheiten, 
kann  fliegen  und  ißt  nicht,  weil  er  Himmelsspeise  bekommt. 

Auf  religiösem  Gebiete  ist  der  Kranke  ein  Prophet  oder  auch  der  Herrgott 
und  hat  als  solcher  auf  seinen  Fahrten  vom  Himmel  alle  Wagen  auf  die  Erde  ge- 
bracht, mit  denen  nun  die  Menschen  fahren.  Die  Patientin  ist  ,, Christus  und  der 
Herr  der  Welt";  sie  ist  das  ,, höchste  Gut"  und  spricht  zugleich  ,,im  Namen  des 
höchsten  Gutes".  Sie  ist  Haushälterin  des  Heilands,  die  Braut  Christi,  „der  fünf- 
hundertste Messias",  ,,das  Gottesbuch  und  muß  belöhnt  werden".  Der  Kranke  ist 
wenigstens  insofern  Gott  gleich,  als  alles,  was  er  denkt,  gleich  geschieht.  Bei 
Frauen  hat  die  religiöse  Größenidee  regelmäßig  erotischen  Charakter;  selten  ist  sie 
eine  einfache  Sublimierung  sexueller  Liebe  in  religiöse  Gedanken;  viel  häufiger 
findet  eine  Kondensierung  der  vageren  religiösen  Ideen  in  bestimmte  Formen  statt: 
der  Herrgott  oder  Heiland,  mit  dem  die  Patientin  verbunden  oder  identisch  ist, 
trägt  deutliche  Züge  eines  bestimmten  Mannes,  der  in  ihrem  Leben  eine  Rolle 
gespielt  hat^).  Bei  Männern  trägt  die  religiöse  Idee  meist  die  Zeichen  des  Wunsch- 
komplexes der  geistigen  Kraft,  doch  wird  die  Himmelskönigin  oder  eine  Engelschar 
auch  etwa  als  Geliebte  respektive  als  Harem  gedacht. 

Gelegentlich  spielt  die  Vorsehung  nur  die  Rolle  des  Helfers  in  der  Not:  die 
verstorbene  Mutter  der  Patientin  wird  ihr  diese  Nacht  durch  eine  himmlische  Fügung 
aus  der  Anstalt  helfen.  Oder  die  religiösen  Ideen  haben  mehr  kosmischen  Charakter, 
sogar  bei  Frauen:  eine  ungebildete  Nähterin  „ist  mit  einem  Komet  der  Prophe- 
zeiung in  Verbindung.  In  der  Luft  sind  Triebkräfte,  gesunde  und  ungesunde;  der 

1)  Das  kennt  auch  die  Dichtung  schon  längst.  So  wird  in  Gottfried  Kellers  Ursula 
der  heilige  Gabriel  zum  Geliebten  und  zugleich  zum  Sohn  der  Ursula;  der  angebetete  Lehrer 
in  Hanneies  Himmelfahrt  (G.  Hauptmann)  wird  zuni  Heiland. 


Akzessorische  Symptome.  Wahnideen. 


99 


idealiscli  gesinnte  Mensch  wird  mehr  von  den  gesunden  Kräften  beeinflußt,  er  wird 
nach  dem  Tod  eine  geistige  und  schwebende  Kraft,  der  unreine  eine  physische 
Kraft". 

Verschiedene  Komplexe  zusammen  werden  befriedigt,  wenn  dem  Patienten 
„vier  Sachen  geschenkt  sind:  Gott,  Geist,  Teufel  und  Beschwörung,  das  ist  mehr 
als  irgend  ein  Mensch  erhalten  hat".  Oder  „alle  Mörder  der  Welt  warten  auf  mich; 
sie  können  nicht  sterben,  ohne  mich  (Patient  hat  vergebliche  Selbstmordversuche 
gemacht);  ich  habe  mehr  Verstand  als  irgend  ein  Mensch;  alle  Könige  bringen  mir 
Gaben  nnd  können  mir  nichts  tun  (Patient  ist  in  Untersuchungshaft) ;  ich  bin  nicht 
geboren,  sondern  von  jeher  da  gewesen".  Ein  Kranker  heißt:  ,,Solog  Karl  Napoleon  I., 
weil  er  von  der  Sozial-Ologie  begleitet  ist.  Als  solcher  ist  er  auch  unfehlbar  und 
seine  Wünsche  werden  prompt  vollzogen.  Entlassen  wir  ihn  nicht,  so  wird  alles, 
was  man  Unglück  nennen  kann,  sich  gleich  einem  funktionierenden  feuerspeienden 
Venusberg  über  die  Anstalt  ergießen."  Die  geträumte  Größe  ist  häufig  objektiv 
gar  nicht  so  erhaben,  wie  sie  den  Kranken  erscheint,  oder  sie  äußert  sich  so  sonderbar, 
daß  sie  nur  den  Eindruck  des  Lächerlichen  macht.  Ein  Hebephrene  ist  „Dens", 
kann  zwei  Tage  lang  von  Wasser  und  Brot  und  am  dritten  von  gar  nichts  leben. 
Einem  Propheten  ist  ein  glänzender  Stern  erschienen,  der  ihn  dreimal  vom  Bett 
zum  Abtritt  und  zurück  begleitete ;  daneben  hat  er  die  Kraft,  anderen  die  Sünden 
zu  vergeben.  Ein  Professor  der  Mathematik  muß  Brücken  bauen  mit  der  Kraft  Gott, 
2  Gott,  3  Gott  usw.  Ein  Schizophrene  rettet  eine  Dame  von  Krankheit,  indem  er 
onaniert  und  dabei  an  sie  denkt  usw. 

Gewöhnlicli  ist  der  Größenwahn  gemischt  mit  Verfolgungsideen.  Oft 
drückt  sich  das  schon  darin  aus,  daß  zwei  Parteien  sich  um  den  Patienten  kümmern, 
von  denen  die  eine  für,  die  andere  gegen  ihn  ist. 

Häufiger  steht  der  große  Mann  für  sich  allein,  während  eine  interessierte 
Bande  ihn  durch  alle  möghchen  Mittel  hindert,  zu  dem  ihm  gebührenden  Ruhm 
zu  kommen. 

Seine  Erfindungen  werden  dem  Kranken  im  Schlaf  aus  dem  Kopf  gestohlen; 
ein  Sanitätssoldat  hat  ihm,  als  er  ihn  anfaßte,  eine  Erfindung  aus  dem  Leibe  ge- 
nommen; man  schickt  oder  ärgert  ihn  fort,  um  ihn  an  der  Ausführung  seiner  Ideen 
zu  hindern.  Der  Kranke  ist  so  wichtig,  daß  man  den  Urquell  des  Lebens  auslöscht, 
wenn  man  ihn  in  der  Anstalt  behält;  man  vernichtet  die  Glanzorganismen,  die  er 
in  den  Augen  hat. 

Die  erotischen  Aspirationen  äußern  sich  in  unzähligen  Wahnideen, 
gehebt  —  oder  geschändet  zu  werden.  Der  erotische  Wahn  besteht  meist  aus 
emer  Mischung  von  Größen-  und  Verfolgungsideen.  Wenn  schizophrene  Frauen 
Wahnideen  bilden,  so  fehlt  kaum  je  das  sexuelle  Moment,  gewöhnUch  ist  es  im 
Vordergrund,  manchmal  allerdings  verändert,  versteckt  imter  scheinbar  rehgiösem 
oder  hypochondrischem  Wahninhalt.  Meist  handelt  es  sich  bei  Frauen  zugleich 
um  Hmemheiraten  in  einen  höheren  Stand,  nicht  niu-  um  die  Liebe  an  sich 
Bei  Mannern  stehen  häufig  andere  Strebungen  im  Vordergrund;  doch  stößt  man 
auch  da  in  der  Regel  auf  erotische  Elemente,  wenn  man  die  Wahngebilde  des 
Kranken  analysieren  kann. 

föchte  ihren  Herrn  heiraten;  dieser  sei  in  sie  verhebt,  wird 
aber  von  S  (dem  Wohnort  seiner  wirklichen  Braut)  aus  so  „gedrückt"  daß  er  ch 
Ihr  mcht  nahern  kann  Der  Kranke  meint,  jede  Dame,  die  ihm  eben  gefällb  se  n 
Ihn  verhebt;  er  besucht  bestimmte  Vergnügungsorte  in  der  unbegründeteTMeinun. 

7* 


100 


Schizophrenie. 


die  Angebetete  dort  zu  finden.  Frauen  gebären  jede  Nacht  150  Kinder.  Eine  sterile 
Frau  ist  vom  Arzt  und  Schutzmann  im  Unterleib  untersucht  worden;  beide  haben 
ihre  „Talente"  bewundert.  Ein  verliebtes  Fräulein  hat  .ganze  Nächte  lang  die  Welt 
halten  müssen,  und  das  war  furchtbar  anstrengend:  so  lange  es  keusche  Frauen 
gibt,  kann  die  Welt  nicht  untergehen. 

Der  liebende  Schizophrene  glaubt  ein  Mädchen  in  sich  verliebt,  mit  dem  er 
seit  der  Schulzeit  nie  mehr  zusammengekommen,  oder  das  er  überhaupt  nur  einmal 
von  weitem  gesehen  hat;  er  besteigt  den  Wagen  einer  Prinzessin,  um  sie  zu  küssen, 
erwartet  bei  aller  Besonnenheit  die  Königin  von  Holland  in  seinem  Anstaltsbett, 
das  er  für  diesen  Anlaß  mit  Blumen  schmückt. 

Sehr  häufig  wird  der  Geliebte  selbst  zum  Verfolger.  Namentlich  Frauen 
werden  von  dem  oder  denen  geschändet,  in  die  sie  mehr  oder  weniger  verhebt 
sind;  die  Patientinnen,  die  die  Anstaltsärzte  aller  Arten  unsitthcher  Attentate 
auf  sie  beschuldigen,  zeigten  oder  zeigen  regelmäßig  auch  positiven  Erotismus 
gegen  die  gleichen  Ärzte.  In  einem  Falle  habe  ich  auch  gesehen,  daß  umgekehrt 
der  zunächst  als  Feind  betrachtete  Anstaltsarzt  zum  Gehebten  wurde. 

Eine  andere  Form  negativen  Ausdruckes  des  erotischen  Wahnes  ist  der 
Eifersuchtswahn,  der  immerhin  bei  nicht  alkohohsch  komphzierter  Schizo- 
phrenie nicht  zu  häufig  ist  und  auch  noch  andere  Wurzeln  haben  kann. 

In  schweren  chronischen  Fällen  und  in  vorübergehenden  Dämmerzu- 
ständen sind  die  sexuellen  Wünsche  der  Kranken  mehr  oder  weniger  restlos 
erfüllt.  Sie  sind  mit  ihrem  Gehebten  vereinigt,  haben  so  und  so  viele  Kinder 
von  ihm  usw. 

Von  den  Formen  des  Kleinheitswahnes  gehört  der  Verarm ungs- 
und  Versündigungswahn  meist  einer  interkurrenten  melanchohschen 
Depression  an,  insofern  er  während  derselben  gebildet,  manchmal  aber  später  noch 
festgehalten  wird.  Er  hat  dann  den  gleichen  Inhalt  wie  bei  anderen  Melanchohen; 
nur  gibt  ihm  die  Schizophrenie  oft  die  ihr  eigene  Färbung  des  Widerspruchs- 
vollen, Unausgebauten  und  Unsinnigen. 

Die  Kranken  haben  gestohlen,  gemordet,  durch  Nachlässigkeit  den  Tod  eines 
Angehörigen  verschuldet,  sich  gegen  den  Heiligen  Geist  versündigt.  Gott  ist  von 
dem  Kranken  gewüchen  zum  Bauch  hinaus;  ein  republikanischer  Schweizer  hat  „das 
fürchterliche  Verbrechen  der  Majestätsbeleidigung"  begangen. 

Gelegenthch  kommt  es  zu  falschen  Selbstanklagen,  deren  Grundlagen 
ebensowohl  Gedächtnistäuschungen  wie  Wahnideen  genannt  werden  können. 

Ein  Hebephrene  sah  ein  epileptisches  Mädchen  hinstürzen ;  er  zeigte  sich  au, 
er  habe  es  notzüchtigen  wollen,  und  im  Kampfe  sei  es  umgefallen.  Ein  anderer  er- 
krankte zu  der  Zeit,  da  es  in  seinem  Dorfe  mehrmals  brannte,  fürchtete  noch  mehr 
Brände,  bekam  dann  die  Idee,  er  müsse  selbst  anzünden,  und  schließHch  zeigte  er 
sich  an,  ein  Haus  (das  ganz  unversehrt  war)  angezündet  zu  haben. 

Viel  wichtiger  sind  die  hypochondrischen  Ideen.  Sie  beherrschen 
in  vielen,  namenthch  leichteren  Fällen  das  Krankheitsbild  voUständig. 

Eine  Kranke  ist  viele  Jahre  lang  bettlägerig,  hat  schauderhafte  Beschwerdeii, 
die  meist  von  außen  verursacht  werden.  Sie  bekommt  Eezidive,  weil  sie  statt 
15  Minuten  20  Minuten  außer  Bett  blieb,  weil  man  beim  Abladen  von  Kartotlein 
so  schauderhaft  polterte.  Ein  bißchen  Jodkalisalbe  ruft  ein  Heer  von  lange  an- 
dauernden Beschwerden  hervor;  sie  hat  „Blutkrampf".  -  Andere  fühlen  sich  schwach. 


Akzessorische  Symptome.  Wahnideen. 


101 


der  Geist  entweicht,  sie  werden  am  Abend  nicht  mehr  da  sein ;  sie  haben  ein  Gewächs 
im  Kopf;  ein  flüssiges  Knochensystem;  das  Herz  ist  von  Stein  (aus  der  symbolischen 
Bedeutung  zur  wörtlichen  geworden) ;  sie  können  nicht  ertrinken,  denn  es  lebt  nichts 
als  der  Kopf;  seine  Frau  darf  nichts  von  Eiern  kochen,  sonst  wachsen  dem 
Patienten  Federn.  Es  wachsen  ihm  auf  dem  Rücken  Haare;  er  hat  keine  Nase  mehr, 
ist  ein  Gummiball.  Die  Genitalien  fehlen  ihm,  sind  verbrannt,  das  Rückenmark 
läuft  ihm  als  Sperma  aus. 

Natürlich  wird  auch  die  eigene  Person  im  Sinne  der  wahnbildenden 
Komplexe  verändert. 

Ein  Hebephrene  H.  ist  ,,Sohn  des  Finanzmannes  G.,  d.  h.  Napoleons"  ;  warum 
er  vorläufig  H.  heißt,  ist  ihm  rätselhaft.  Der  Katatoniker  K.  heißt  nicht  mehr  K., 
sondern  v.  M.,  weil  er  die  Tochter  des  v.  M.  heiraten  will.  Oft  glauben  sich  die 
Kranken  tot;  einer  ist  dreimal  gestorben,  was  ihn  nicht  abhält,  seinen  bevorstehenden 
Tod  zu  prophezeien  und  zugleich  Selbstmordversuche  zu  machen.  Der  gestorbene 
und  der  lebende,  der  ursprünghche  und  der  wahnhafte  Mensch  können  nebenein- 
ander existieren;  der  „Patient  ist  gestorben  und  doch  lebend";  „er  ist  in  zwei 
Welten";  ,,er  ist  in  einer  Badewanne  eingefroren  und  doch  hier".  Ein  Fräulein 
(die  im  Wahn  einen  Pfarrer  geheiratet  hat)  „ist  verstellbar,  bald  Jungfrau,  bald 
Frau";  sie  findet  das  merkwürdig. 

Eine  besondere  Art  Verdoppelung  ist  der  so  häufige  Besessenheitswah  n. 
Bei  uns  kommt  er  allerdings  selten  mehr  im  alten  religiösen  Sinne  vor.  Statt  des 
Teufels  kann  auch  Gott  der  befehlende  Geist  sein,  oder  ,,Gott  hat  dem  Kranken 
einen  Geist  an  den  Kopf  geworfen;  er  (der  Kranke)  hat  einen  besessenen  Geist"'. 

Daim-  und  wannmal  wird  das  Geschlecht  wahnhaft  verändert.  Der 
männhche  Kranke  fühlt  sich  dauernd  oder  zeitweise  als  Frau  oder  umgekehrt. 

Verwandlung  in  Tiere  kommt  auch  heute  noch  vor,  wird  aber  nicht 
häufig  in  Zuständen  voller  Besonnenheit  festgehalten. 

Ein  Katatoniker  fühlte  sich  als  Frosch  mit  kalter  Haut;  von  zwei  deprimierten 
Katatonischen  war  die  eine  während  längerer  Zeit  ein  Hund,  so  daß  sie  oft  bellte; 
die  andere  erklärte  sich  als  Haifisch.  In  den  letzteren  zwei  Fällen  ist  die  Bedeutung 
des  Wahnes  durchsichtig  (symbolische  Herabsetzung  der  Persönhchkeit). 

Auch  als  leblose  Gegenstände  denken  sich  die  Kranken.  Der  Patient 
ist  eine  Schachtel;  er  war  als  Zeichnung  in  einem  Buch,  ist  nun  davon  weg  und 
in  die  Anstalt  gekommen.  Er  ist  eine  Maschine. 

Andere  Personen  werden  verändert.  Blödere  Kranke  finden  in  den 
Anstalten  oft  eme  Menge  früherer  Bekannter,  Schulkameraden,  die  ihnen  un- 
serem Wissen  nach  gleichgültig  sind,  teils  Leute,  die  in  den  übrigen  Wahnideen 
eme  Rolle  spielen. 

Der  Arzt  ist  der  Geliebte  so  und  so;  ein  Nebenpatient  König  Wilhelm-  eine 
Patientm  wird  zärtlich  als  Tochter  umarmt.  Oft,  namentlich  bei  mehr  gleichgültiger 
Personenverkennung  wird  der  Wahn  durch  geringere  oder  größere  Ähnlichkeiten 
ausgelost.  Manchmal  fehlen  solche  Anhaltspunkte  vollständig.  Oft  kommt  die 
ganze  Umgebung  den  Kranken  als  verwandelt,  „verstellt"  vor.  Auch  in  ihren 
;w  P  Lebensstellung  werden  andere  Personen  verändert :  die  Schwester 

dei  Patientin  ist  Braut;  der  Arzt  ist  von  seiner  Frau  geschieden  und  die  Wärterin 

llCtlTrt.  """"  lebt  alTtieTln 


102 


Schizophrenie. 


Ganz  abgesehen  von  dem  Umstand,  daß  die  Kranken  bei  Personenverwechs- 
lungen je  nach  dem  Zusammenhang  die  richtige  oder  die  Wahnperson  vor  sich  zu 
haben  glauben,  ist  es  oft  gar  nicht  im  Sinne  des  Gesunden  zu  verstehen  wenn 
der  Kranke  sagt,  der  Arzt  ist  der  Graf  N.  Eine  Patientin  vdW  mich  prügeln 
weil  ich  der  Bekannte  R.  sei.  Da  ich  protestiere,  sagt  sie:  „Kommen  Sie  doch 
nicht  als  R.,  sondern  wenigstens  als  der  0.  oder  der  P.".  („Nein,  ich  komme 
am  hebsten  als  derM.").  „Der  können  sie  nicht  sein,  der  ist  ein  Engel,  ein  Gott. . 
Eine  Patientin  ist  sehr  unhöflich  mit  einer  Besucherin,  sagt  aber,  sie  fluche 
zwar  über  sie,  sie  meine  aber  gar  nicht  ihre  Person,  sie  solle  es  ihr  ja  nicht  an- 
rechnen. 

Viele  andere  Wahnideen  lassen  sich  nicht  recht  in  den  üblichen  Kategorien 
unterbringen.^  Immerhin  mag  es  mit  Verfolgungswahn  zusammenhängen,  wenn  ein 
Kranker  „bei  einem  Verein  ist,  wo  die  Menschen  lebendig  zerschnitten  werden". 
Wenn  ein  anderer  Paranoider  Holz  sägt,  so  sägt  er  die  Ehen  und  die  Ehebetten 
entzwei.  Eine  andere  Kranke  prophezeit  ohne  weiteren  Zusaramenhan  K  Feuer 
und  Wasseranschwellungen".  Als  Verfolgungen  betrachten  es  die  Kranken  auch, 
wenn  es  jedesmal  zu  regnen  beginnt,  da  sie  vom  Wetter  sprechen,  wenn  bei  be- 
stimmten ihrer  Handlungen  jedesmal  ein  Hund  heult,  wenn  alle  anderen  auch  schreiben, 
wenn  sie  anfangen  zu  schreiben.  Das  letztere  Vorkommnis  wm*de  „unterirdischen 
Beziehungen"  zugeschrieben. 

Größenideen  schauen  aus  den  folgenden  Notizen:  „Aus  alten  Möbeln  kann 
man  wieder  Bäume  machen  durch  Behandlung  der  Asche  mit  dem  elektrischen 
Strom."  Patient  „schläft  konzentrierter",  in  einer  Nacht  30  Jahre,  ist  an  zwei 
Orten  zugleich,  an  seinem  früheren  Kurort  und  in  seiner  Wohnmig.  In  der  Anstalt 
ist  ein  Wärter  die  verwandelte  Wärterin  des  früheren  Aufenthaltes.  Der  Patient 
wird  „ein  Loch  in  den  Boden  graben,  dann  auf  dem  Spaten  das  Loch  hinuntersausen 
und  auf  der  andern  Seite  der  Erde  herausfahren".  Eine  dämmerige  Katatonika 
will  nicht  schlucken,  weil  sie  jedesmal  die  ganze  Welt  hinunterschluckt.  Ein  Para- 
noider notiert  aus  den  Zeitungen  alle  fremdsprachigen  Zitate,  um  sie,  ,,nach  der 
Geisteskraft"  zu  „zerlegen"  und  zu  deuten.  Eine  religiös  angelegte  Hebephrene 
„zieht  beim  Nähen  den  Heiligen  Geist  mit  der  Nadel  heraus;  sie  trinkt  mit  dem 
Wasser  den  Teufel  der  anderen  Kranken  mit  ein;  beim  Bohnenhacken  zerschlägt 
sie  das  Vaterunser".  Ein  Paranoider  hält  Kartoffelessen  für  böse;  die  Amseln  sind 
böse  Tiere  (im  religiösen  Sinne) ;  er  meint,  er  spreche  viele  fremde  Sprachen  perfekt, 
kann  aber  nur  von  zweien  einige  Brocken. 

Die  Schaffung  einer  zweiten  Welt  drückt  sich  in  dem  Wahne  eines  Russen 
aus,  für  den  man  extra  ein  ganz  gleiches  ,, russisches  Burghölzü"  errichtet  hat. 
Etwas  Ähnliches  ist  es,  wenn  das  Burghölzü  versenkbar  ist  und  sich  bald  über,  bald 
unter  der  Erde  befindet. 

Ein  Patient,  der  soeben  onaniert  hat,  will  dem  Arzt  die  Hand  nicht  geben, 
weil  das  auf  der  Frauenseite  Nachkommenschaft  erzeugen  könnte ;  ein  anderer  muß 
seine  Familie  am  Denken  hindern;  einem  dritten  hat  ein  Arzt  die  Eingeweide  durch 
den  Mimd  herausgenommen  und  daraus  einen  andern  Menschen  gemacht;  ein 
vierter  findet  es  traurig,  daß  im  Pissoir  so  viel  Wasser  fortlaufe. 

Charakter  der  Wahnideen. 

Die  Wahnideen  des  Schizophrenen  brauchen  keine  logische  Einheit  zu 
repräsentieren;  nicht  zusammengehörige  oder  gar  einander  widersprechende 
Ideen  können  gleichzeitig  bestehen  oder  in  kurzen  Zeiträumen  nacheinander 


Akzessorische  Symptome.  Wahnideen. 


103 


auftreten.  Auch  zusammengehörende  Wahnideen  werden  nicht  leicht  in  ein 
locrisch  durchdachtes  System  geordnet;  sogar  da,  wo  sie  einen  gemeinsamen 
C4edanken  wie  den  der  Verfolgung  durch  eine  Geheimgesellschaft  enthalten, 
hängen  die  Details  meist  nicht  in  logischem  Aufbau  zusammen;  sie  bilden  einen 
ungeordneten  Haufen  von  Wahnideen,  ein  „Wahnchaos",  wie  Schuele  sich 
ausdrückt.  Ausnahmen  gibt  es  bei  seltenen  Paranoiden,  deren  Intelhgenz  ver- 
hältnismcäßig  gut  erhalten  ist;  ferner  darf  nicht  vergessen  werden,  daß  jeder 
Wahn  seine  logischen  Fehler  besitzt,  und  daß  die  Ansprüche  der  Beobachter 
in  dieser  Eichtung  sehr  verschieden  sind,  so  daß  manche  da  schon  vollendete 
Systematisierung  annehmen,  wo  andere  gar  nichts  davon  sehen.  Nach  unserer 
Auffassung  sollte  man  von  einem  logischen  System  nur  da  sprechen,  wo  alles 
von  einzelnen  falschen  Prämissen  aus  sich  in  logischem  Auf  bau  weiter  entwickelt^). 
In  diesem  Sinne  systematisiert  sind  die  schizophrenen  Wahnideen  fast  nie.  Sie 
leiden  vielmehr  meist  an  Widersprüchen  vmd  UnmögHchkeiten.  Ein  Hebephrene 
hielt  sich  längere  Zeit  für  tot  und  begraben ;  ein  Neger  hatte  ihm  den  Kopf  ab- 
gehauen; er  hatte  sich  selbst  da  stehen  gesehen,  den  Kopf  zwischen  den  Füßen.  — 
Die  Wärterin  einer  Kranken  ist  gleichzeitig  ihr  (der  Patientin)  Bruder,  ihre 
Schwester  und  noch  eine  dritte  Person. 

Auch  der  Widerspruch  mit  der  Wirkhchkeit  wird  meist  gar  nicht  gefühlt. 

Ein  arbeitsfähiger  Hebephrene  ist  sehr  unzufrieden  mit  uns,  weil  wir  ihm 
die  vielen  Sendungen,  die  für  ihn  ankommen,  nicht  abgeben ;  sie  kommen  zwar  imter 
anderen  Namen,  sind  aber  doch  für  ihn  bestimmt.  Ein  Hebephrene  hält  sich  für 
S.,  den  Inhaber  einer  großen  Fabrik,  nur  fehlt  ihm  noch  der  Nävus  (den  der  wirk- 
liche Besitzer  im  Gesicht  hat),  er  wird  denselben  ,,im  Bild"  machen,  dann  ist  er  S. 

Nicht  nur  in  verschiedenen  Bewußtsei nszuständen  nacheinander,  sondern 
bei  voller  Besonnenheit  nebeneinander  existieren  Wahn  und  Wirklichkeit  auch 
da,  wo  sie  sich  ausschheßen  sollten. 

Ein  Herr  schaut  die  Patientin  an,  ,,da  weiß  ich,  daß  es  der  Lehrer  ist,  obwohl 
er  es  eigenthch  nicht  ist".  Das  Bett  einer  Katatonischen  ist  ein  Eisbär,  „ich  bin 
darauf  gelegen,  dann  war  es  wie  ein  Bett,  aber  es  war  doch  ein  Eisbär".  Eine  Hebe- 
phrene schreibt:  „Die  Gebilde  sind  keine  anderen  als  die  obgenannten  Persönhch- 
keiten  (Ärzte  usw.),  und  die  müssen  aufhören,  wie  sie  entstanden  sind";  hier  können 
die  ,, Gebilde"  aufhören,  nicht  aber  die  mit  ihnen  identifizierten  Persönlichkeiten. 
„Ein  oder  zwei"  imaginäre  Gummipuppen  (die  aus  einem  Inkubus  entstanden  sind) 
werden  mit  dem  Geliebten  identifiziert,  der  die  Patientin  vollständig  beherrscht. 

Viele  der  Ideen  sind  ganz  unbestimmt,  nebelhaft: 

Dem  Schizophrenen  kann  es  gleichgültig  sein,  ob  er  Papst  ist  oder  Kaiser; 
eine  Forderung  von  100.000  Franken  oder  eine  von  10  Franken  können  ihm  identisch 
sem.  Der  Vergiftete  hat  bemerkt,  daß  man  ein  braunes  Pulver  in  die  Suppe  tat- 
bei  der  Diskussion  meint  er  aber,  es  könne  auch  eine  Flüssigkeit  gewesen  sein.  „Der 
Koch  hat  es  ins  Essen  getan",  („wir  haben  keinen  Koch"),  „die  Köchin"  ('  die 
weiß  nichts  von  Ihnen"),  „man  tut  es  auf  der  Abteilung  hinein,  für  jeden  sein  Re- 
stimmtes  Hinter  dem  bestimmten  Ausdruck  „des  braunen  Pulvers"  steckt  eine 
sehr  vage  Idee.  -  Ein  Paranoider:  „Ich  habe  etwas  in  mir  wie  einen  Doppelkopf; 

Unrichtige  Voraussetzungen  allerdings  werden  auch  hier  meist  immer  wieder  ge- 

wtklun"^  l«rw  P"*^:«'°«'«f «  Eigenbeziehungen  während  Jahrzehnten  der  Weiterent- 
wicklung eines  Wahnsystems  Vorschub  leisten. 


104 


Schizophrenie. 


es  ist  imvendig  wie  wenn  ich  Christiis  wäre  „oder"  die  Jünger  am  ölberg;  26  Jünger 

WülfemL""    "/"n  K  --Kachel  in  meinem  Kopf 'von  S 

Wühelm  aus  -  Lm  Hebephrene  geht  zur  Bahn,  um  „jemanden"  abzuholen  Ein 
anderer  bestellt  „12  dicke  juristische  Bücher".  aozunolen.  J^.ni 

Oft  werden  in  ganz  unklarer  Anordnung  verschiedene  Ideen  vereinigt: 
„Frankreich  hat  doch  recht:  In  Frankreich  hat  man  mir  plötzlich  gesagt  es 

gebe  kerne  Dreieniigkeit,  4  Mann  haben  Gott  gemacht.  Das  habe  ich  jetzt  als  richtig 

erkannt,  drum  will  ich  am  24.  April  entlassen  werden." 

Die  Ideen  können  ganz  unausgedacht  bleiben. 

_  Ein  Hebephrene,  der  noch  jahrelang  fähig  war,  einer  Apotheke  vorzustehen 
meinte,  einen  Kinematographcn  erfunden  zu  haben.  Er  wußte  aber  von  dieser  Er- 
tmdung  nur,  „daß  die  betreffenden  Bewegungsmomente  im  rechten  Winkel  ar- 
rangiert sind".  —  Man  hat  einer  Kranken  weiße  Läuse  ins  Bett  geworfen,  man  hat 
ihr  eine  große  schwarze  Laus  ins  Bett  geworfen.  Sie  kann  das  letztere  Tier  nicht 
beschreiben,  subsumiert  es  aber  unter  die  weißen  Läuse. 

Oft  erscheint  die  Wahnidee  unsinnig,  ohne  es  zu  sein,  indem  die  Kranken 
sie  mit  unpassenden,  symbolischen  oder  sonst  verschrobenen  Ausdrücken  bezeichnen. 
Wenn  eine  Patientin  sagt,  sie  sei  „die  Kraniche  des  Ibykus",  so  meint  sie  das  nicht 
immer  wörtlich  im  Sinne  der  Gesmiden,  sondern  der  Hauptbestandteil  der  Idee  ist 
der,  daß  sie  „frei  von  Schuld  und  Fehle"  ist,  und  daß  sie  „frei",  d.  h.  nicht  ein- 
geschlossen sein  sollte. 


Persönlichkeit  und  Wahnidee. 

Die  Spaltung  der  Persönlichkeit  kommt  nirgends  so  auffällig  zum  Aus- 
druck, wie  in  der  Stellung  der  Wahnideen  zu  der  übrigen  Psyche.  Teile  des 
Gesamtkomplexes,  den  wir  das  Ich  nennen,  stehen  regelmäßig  der  Wahnidee 
fremd  gegenüber.  Auf  der  einen  Seite  wird  dadurch  möglich  gemacht,  daß  der 
nicht  infizierte  Teil  des  Ich  nicht  an  die  Wahnidee  glaubt  oder  gar  sie  kritisiert; 
auf  der  andern  kommt  gerade  die  Unkorrigierbarkeit  und  die  Unsinnigkeit  des 
Wahnes  davon  her,  daß  viele  ihm  widersprechende  Assoziationen  einfach  nicht 
in  logische  Verbindung  mit  ihm  gebracht  werden. 

So  können  die  Patienten  unter  Umständen  über  Ideen,  an  die  sie  in  anderem 
Zusammenhang  fest  glauben,  lachen  und  witzeln.  Meist  handelt  es  sich  da  um 
Gröi3enideen ;  doch  habe  ich  auch  schon  heiles  Lachen  über  den  eigenen  Ver- 
folgungswahn gesehen,  ohne  daß  er  korrigiert  wäre.  Auch  wird  manchmal  die 
Idee,  kaum  geäußert,  wieder  abgeschwächt  (,,es  war  nicht  so  schhmm"). 

Ein  Hebephrene  spottet  darüber,  daß  er  als  Gott  zwischen  zwei  Ärzten  gehe 
und  sich  nicht  aus  der  Anstalt  zu  helfen  wisse;  in  einer  andern  Anstalt  habe  er  nach 
dem  Tee  das  Wetter  gemacht,  hier  nach  dem  Kaffee  scheine  es  nicht  zu  geschehen. 
Ein  , ..König  der  ganzen  Welt"  frägt  selbst,  ob  das  nicht  „märchenhaft  kliuKp". 

So  kann  es  auch  zu  Zwischenstufen  zwischen  Wahn  und  bewußtem 
Phantasieren  kommen.  Das  ist  namentlich  häufig  in  akuten  Zuständen.  Die  beste 
Schilderung  davon  gibt  Foreis  Patientin  L.  S.:  „Angrenzend  an  die  eigentliche 
Wahnidee  und  doch  bestimmt  davon  zu  unterscheiden  mochte  im  ganzen  Verlauf 
jener  Zustand  sein,  wo  ich,  halb  von  einer  Inspiration  getrieben,  halb  wissend 
und  wollend,  mir  eine  Kolle  schuf,  die  ich  spielend  und  deklamierend  durch- 


Akzessorische  Symptome.  Wahnideen. 


105 


führte,  in  die  ich  mich  einlebte,  und  der  gemäß  ich  handelte,  ohne  mich  geradezu 
für  identisch  mit  den  dargesteUten  Personen  zu  halten.  Es  gab  da  freiUch  viele 
Abstufungen  von  der  Grenze  der  Wahnidee,  vielleicht  der  Wahnidee  selbst 
bis  zur  einfach  gehobenen  oder  erregten  Stimmung,  bei  —  wie  mir  wenigstens 
schien  —  völliger  Klarheit  über  mich  und  meine  Umgebung." 

Die  Ansätze  zur  Kritik  sind  aber  meist  ganz  wertlos.  Oft  kommen  die 
Kranken  auch  dann  nicht  aus  dem  Bann  heraus,  wenn  sie  das  Bedürfnis  haben, 
sich  darüber  zu  stellen. 

Ein  Katatoniker  zeigt  dem  Gericht  an,  daß  seine  Krankheit  als  Paranoia 
und  die  Erscheinungen  als  Halluzinationen  taxiert  werden:  „Sei  dem  wie  es  wolle, 
es  hegt  gewiß  genügend  Grund  vor,  gegen  dieses  Pack  strafrechthch  vorzugehen." 
Einer  Hebephrenen,  die  einen  Riß  in  einem  Gemälde  auf  sich  gedeutet  hat, 
wird  bemerkt,  der  brauche  doch  nichts  zu  bedeuten:  ,,Natürhch  braucht's 
nichts  zu  bedeuten,  aber  dann  möchte  ich  wissen,  warum  man  es  mir  denn 
gemacht  hat". 

Nicht  selten  werden  die  Wahnideen  von  der  Persönlichkeit  in  dem  Sinne 
abgespalten,  daß  sie  dem  Patienten  nicht  als  Resultat  eigener  Denktätigkeit, 
sondern  als  Produkt  einer  fremden  Psyche  erscheinen;  sie  werden  ihm  ein- 
gegeben", ,, gemacht",  aber  er  glaubt  sie  doch. 

Am  auffälhgsten  aber  macht  sich  die  assoziative  Isoherung  der  Wahnideen 
geltend  in  ihrem  Verhältnis  zur  Affektivität.  Der  Inhalt  kann  im  Widerspruch 
sein  mit  der  aktuellen  Stimmung  des  Patienten.  Er  kann  beim  gleichen  Indivi- 
duum zu  gleicher  Zeit  oder  in  aufeinander  folgenden  Zeiten  positiven  oder 
negativen  Affekten  entsprechen.  Oft  verbindet  der  Kranke  ganz  inadäquate 
oder  gar  keine  Gefühle  damit.  Größenideen  können  mit  verzweifelter  Miene 
geäußert  werden;  Erzählungen  über  die  scheußHchsten  Verfolgungen  werden 
alltägUch  mit  vollendeter  Gleichgültigkeit,  ja  unter  Lächeln  vorgebracht.  Oder 
der  Affekt  wechselt:  Eine  Krankenwärterin  jammerte  über  ihre  goldene  Wirbel- 
säule.  Nachher  sang  sie  fröhhch:  „Ich  hatt'  eine  goldene  Wirbelsäule..."' 

Da  nicht  die  ganze  Persönlichkeit  an  den  Wahnideen  teilzuhaben  braucht, 
und  da  die  Affekte  und  damit  die  Triebe  ihnen  nicht  entsprechen  müssen,  ist 
die  Reaktion  auf  die  Wahnideen  häufig  ebenfalls  eine  inadäquate.  Man 
kann  geradezu  sagen,  daß  diejenigen  Handlungen,  die  einer  gesunden  Logik 
auf  der  Prämisse  der  Wahnideen  entsprechen,  die  selteneren  sind. 

Allerdings  schimpfen  Verfolgte  in  unseren  Anstalten  herum,  sie  greifen 
täthch  oder  mit  gerichtHchen  Klagen  ihre  vermeintUchen  Peiniger  an,  sie  suchen 
sich  durch  beständigen  Wohnortswechsel  oder  komphzierte  Vorkehrungen  und 
allerlei  Zauberei  den  feindlichen  Einflüssen  zu  entziehen.  Erotomanische  machen 
gelegenthch  auch  einmal  Schritte,  sich  dem  geUebten  Gegenstand  zu  nähern; 
eine  Patientin  geht  zwei  Jahre  lang  jeden  Abend  zum  Theater,  um  ihren  ein- 
gebildeten Bräutigam,  der  sie  gar  nicht  kennt,  zu  sprechen.  Graphomanische 
Schriftsteller  schreiben,  soviel  sie  können,  und  lassen  auch  oft  drucken,  soviel 
die  Umstände  ihnen  gestatten.  Aber  im  Verhältnis  zu  der  Zahl  und  der  Dauer 
der  Wahnideen  sind  die  Handlungen  recht  selten,  die  ihnen  im  Sinn  einer  ge- 
sunden Logik  entsprechen  würden. 

Die  Apathie,  die  Interesselosigkeit  erstreckt  sich  nicht  nur  im  End- 
stadiura",  sondern  recht  oft  schon  von  Anfang  an  auf  die  Wahnideen.  "Einer 


i 


106 


Schizophrenie. 


unserer  Hebephrenen  fühlte  sich  lange  verfolgt;  erst  war  er  der  Sache  nicht 
ganz  sicher,  konnte  also  nicht  handeln;  nachher  gab  er  auf  die  Sticheleien  „nicht 
rnehr  so  acht,  weil  er  nun  seiner  Sache  sonst  schon  sicher  war".  Könige  und 
Kaiser,  Päpste  und  Erlöser  beschäftigen  sich  zum  großen  Teil  mit  ganz  banalen 
Arbeiten,  wenn  sie  überhaupt  noch  die  Energie  haben,  sich  zu  betätigen.  Und 
das  nicht  nur  in  den  Anstalten,  sondern  auch  in  voller  Freiheit.  Keiner  unserer 
Generäle  hat  jemals  den  Versuch  gemacht,  seiner  Einbildung  gemäß  zu  handeln. 

Manche  Verfolgte  kriegen  nur  dann  und  wann  einen  ganz  unnützen  Schimpf- 
anfall, oder  sie  machen  sonst  einen  dummen  Streich  und  ziehen  sich  chronisch 
von  anderen  zurück,  unterlassen  aber  jahrzehntelang  jede  zielbewußte  Handlung, 
die  nach  der  gewöhnHchen  Erfahrung  geeignet  wäre,  ihnen  Euhe  zu  verschaffen. 
Ihre  Reaktion  ist  eine  durchaus  autistische,  die  nicht  mit  der  WirkHchkeit 
rechnet. 

Oft  allerdings  handeln  sie  in  der  Wahnrichtung,  aber  ohne  jede  Anpassung 
an  die  WirkHchkeit,  die  sie  doch  sonst  noch  in  Betracht  ziehen.  Der  Verfolgte 
haut  einem  behebigen  Vorübergehenden,  den  er  gar  nicht  in  seinen  Wahn  ein- 
bezogen hat,  eine  Ohrfeige;  der  Sünder  verlangt  allen  Ernstes,  daß  man  ihn 
umbringe,  ohne  auf  die  selbstverständhche  Einrede  zu  achten,  daß  die  Ärzte 
sich  damit  selbst  ins  Zuchthaus  brächten.  Ein  frommer  Paranoider  wollte  sich 
auf  den  glühenden  Ofen  setzen  und  daselbst  Winde  von  sich  geben,  um  den 
bösen  Geist,  der  im  Ofen  sitze,  zu  vertreiben. 

Die  Spaltung  der  Psyche  in  verschiedene  Seelen  führt  auch  da  zu  den 
größten  Inkonsequenzen.  Eine  noch  sehr  intelligente  Verfolgte  nimmt  beim 
Austritt  aus  der  Anstalt  von  ihrer  Haupt  Verfolgerin,  die  ihr  ans  Leben  wollte, 
rührenden  Abschied  mit  echter  Empfindung.  Die  Kranken  geben  uns  ruhig 
die  Briefe  zur  Beförderung,  in  denen  sie  uns  der  scheußhchsten  Verbrechen  und 
dabei  auch  der  konstanten  Unterschlagung  der  Briefe  anklagen.  Sie  schimpfen 
mit  uns,  die  wir  sie  vergiften,  in  den  schärfsten  Ausdrücken,  um  uns  im  nächsten 
Moment  ein  Übel  zur  Behandlung  zu  melden  oder  um  eine  Zigarre  zu  bitten. 

Oft  sind  die  infolge  der  Wahnideen  ergriffenen  Maßregeln  so  unlogisch 
wie  der  Wahn.  Allerlei  Zauber  wird  erfunden,  wobei  weder  vor  dem  Unsinnigsten 
noch  vor  dem  Ekelhaftesten  Halt  gemacht  wird.  Die  bizarrsten  Handlungen  und 
Worte  soUen  als  „Konjurations"  vor  den  feindhchen  Einwirkungen  schützen. 

Manchmal  versteht  man  den  Zusammenhang  der  Reaktion  mit  dem  Wahn 
einigermaßen,  wenn  sie  auch  durch  die  normale  Vernunft  nicht  gerechtfertigt 
werden  kann.  Ein  Fräulein  war  in  einen  Kaffeehändler  verhebt;  mit  dem  Wort 
„Kaffee"  neckte  man  sie  deshalb  (halluzinatorisch);  nun  trank  sie  keinen  Kaffee 
mehr. 

In  manchen  Fällen,  namenthch  bei  alcuten  Aufregungen,  finden  wir  gar 
keinen  Zusammenhang  von  Wahn  und  Handlung  mehr.  Ein  Katatoniker  fängt 
plötzhch  an  zu  schreien:  „ich  bin  Gott,  ich  bin  Gott",  und  schlägt  blind  wütend 
um  sich,  will  mit  dem  Kopf  durch  die  Wand  rennen. 

Entstehung  und  Schicksale  der  Wahnideen. 

Die  Wiege  vieler  Wahnideen  sind  die  akuten  Zustände.  In  den  melancholi- 
schen und  nianischen  Verstimmungen  entstehen  auf  den  bekannten  Wegen 


Akzessorische  Symptome.  AVahnideen. 


107 


Wahnideen,  die  dem  Affekt  entsprechen,  weil  dieser  die  ihm  nicht  gleich- 
sinnigen Assoziationen  hemmt  und  ihres  Wertes  beraubt.  In  den  eigenthch 
schizophrenen  Verwirrtheiten  taucht  ein  anscheinend  tolles  Durcheinander  von 
falschen  VorsteUungen  auf,  an  die  die  Kranken  glauben.  Beide  Arten  von  Ideen 
können  den  Zustand  ihrer  Entstehung  überdauern ;  ohne  affektiven  und  intel- 
lektuellen Zusammenhang  bestehen  sie  dann  als  „Residualwahn"  (Neißer) 
in  den  „sekundären"  Zuständen  fort. 

Die  Genese  des  Wahnes  der  Verwirrtheit  läßt  sich  nur  durch  eingehende 
Analyse  aufdecken.  In  chronischen  Zuständen  können  wir  die  Entstehung 
etwas  besser  verfolgen  als  in  akuten,  und  finden  da  zunächst  einige  logische 
Formen,  die  übrigens  manchmal  auch  in  der  Verwirrtheit  nachzuweisen  sind. 

Manche  Wahnideen  entspringen  aus  schon  bestehenden.  Der  verkannte 
Prinz  kann  seine  Eltern  logischerweise  nur  als  Pflegeeltern  ansehen.  Bei  Schizo- 
phrenen werden  allerdings  solche  Konsequenzen  gar  nicht  immer  gezogen. 

Andere  Weiterbildungen  sind  verfehlte  Erklärmigsversuche  von  wahn- 
haften Verhältnissen,  so  der  Wahn  durchsichtig  zu  sein,  weil  alle  Leute  des 
Patienten  Gedanken  wissen. 

Die  tausend  auffallenden  Erlebnisse  des  Patienten  geben  natürUch  viele 
Gelegenheit  zu  ähnhchem  „Erklärungswahn";  doch  spiegelt  sich  das  man- 
gelnde logische  Bedürfnis  der  Kranken  auch  in  der  verhältnismäßigen  Seltenheit 
so  entstandener  Ideen.  So  ist  die  ,,Transf  ormation"  des  Verfolgungswahnes 
in  Größenwahn  gar  nicht  so  häufig,  wie  man  nach  manchen  Autoren  meinen 
soUte.  Ganz  der  Beschreibung  entsprechende  Fälle  habe  ich  überhaupt  nie 
gesehen  (ebenso  Kelp).  Für  den  Gesunden  erscheint  es  ja  sehr  plausibel  oder 
gar  notwendig,  daß  derjenige,  den  zu  verfolgen  man  sich  so  unendliche  Mühe 
gibt,  solcher  Anstrengungen  auch  wert  sei;  für  die  Schizophrenen  ist  dieser 
Schluß  nicht  notwendig.  Der  Größenwahn  kann  überhaupt  ebensowohl  primär 
sein  wie  der  Verfolgungswahn ;  meist  mischen  sich  von  Anfang  an  beide  Formen 
beim  gleichen  Patienten,  und  bloß  das  quantitative  Verhältnis  derselben  zu- 
einander ändert  sich. 

In  den  schwereren  Krankheitszuständen  haben  die  Wahnideen  die  Tendenz, 
sich  zu  verallgemeinern. 

Ein  Patient  wird  vergiftet;  dann  ist  auch  das  Wasser  des  Sees,  au  dem  er 
wohnt,  vergiftet.  Die  Verlobung  eines  Protestanten  zerschlug  sich,  weil  die  Braut 
kathohsch  war;  nun  wähnt  er  sich  von  dem  Mädchen  verfolgt,  also  auch  von  den 
kathoKschen  Wärtern;  dann  von  allen  Wärtern  überhaupt.  Ein  Arbeiter  wird  von 
emem  entlassenen  Nebenarbeiter  als  Spion  angeknurrt;  bald  darauf  meint  er,  seine 
ganze  Umgebung  halte  ihn  für  einen  Spion,  dann  alle  Leute,  auch  seine  Brüder. 
Eme  Frau  fühlt  sich  von  einem  Herrn  verfolgt,  dann  von  allen  Herren,  dann  auch 
noch  von  den  Frauen.  Auch  die  Liebe  kann  auf  immer  mehr  Personen  übertrafen 
werden:  ein  älteres  Mädchen  liebt  einen  Vorgesetzten,  in  der  Anstalt  dann  aSch 
den  jeweiligen  Abteilungsarzt,  und  sie  ist  sich  so  klar  über  das  UnpersönHche  ihrer 
Liebe  daß  sie  an  einen  solchen  Geliebten  schreibt:  „Nun  will  ich  Dir  treu  bleiben 
bis  ich  den  andern  kenne."  ' 

Die  Erweiterung  geht  manchmal  unter  Verwischung  der  Grenzen  zwischen 

i'r^"^"'..^^*'^^*""  ''"^  Personen,  ja  zwischen  Personen  und 

abstrakten  Begriffen  vor  sich. 


108 


Schizophrenie. 


_  Der  Hebephrene,  der  Stimmen  von  „Vogelsang"  hörte,  wußte,  daß  damit  auf 
seme  üname  hmgewiesen  werde,  er  war  selber  der  Vogelsang.  Dann  hört  er  das 
Wort  auch  sonst  und  „der  Vogelsang"  will  ihn  töten,  ist  überhaupt  der  Inbegriff 
semer  Verfolgungen.  -  Eine  Katatonika  hat  bUtzartige  Gedanken,  die  ihr  fremd 
erschemen;  später  wird  die  Idee  in  Verbindung  gebracht  mit  der  Empfindung  des 
Durchschautseins:  Lichtbhtze  lesen  in  den  Augen  mid  stehlen  die  Gedanken 

In  letzteren  FäUen  läßt  sich  die  Erweiterung  der  Wahnidee  als  eine  ein- 
fache Analogisierung  oder  eine  Erweiterung  des  Begriffes  auffassen;  wer  einen 
KathoHken  fürchtet,  fürchtet  schließüch  alle  KathoHken  und  dann  alle  Menschen. 
Entsprechend  den  schizophrenen  Assoziationsweisen  können  aber  alle  möglichen 
inneren  und  äußeren  Erlebnisse  sich  der  Wahnidee  angeghedert  haben,  ohne 
daß  sie  weder  logischen  noch  affektiven  Zusammenhang  mit  ihr  haben.  Eine 
Patientin  hört  Stimmen  durch  „elektrische  Drähte  und  AuerUcht'',  wobei  das 
Auerlicht  ursprünglich  mit  den  Stimmen  nichts  zu  tun  hat,  sondern  eine  nahe- 
liegende Assoziation  an  die  elektrischen  Drähte  darstellt. 

Ein  frommer  Patient  fühlt  sich  verfolgt  und  erwartet  Hilfe;  es  fällt  ihm  auf, 
daß  eine  Frau  am  Bahnhof  hin  und  hergehe.  Wahnidee :  Die  Frau  ist  vom  Hünmel 
gesandt,  um  ihn  zu  retten.  —  Eine  Katatonika  hat  die  Frau  des  Arztes  vor  ihrer 
Erkrankung  gekannt  und  macht  sich  Sorgen  wegen  der  Entlassung  und  der  Ver- 
pflegungskosten. Wahnidee:  Frau  Dr.  muß  für  sie  bezahlen,  und  wenn  sie  Frau 
Dr.  nicht  gekannt  hätte,  müßte  sie  nicht  in  der  Anstalt  bleiben. 

Manchmal  begründet  eine  Analogie  eine  solche  Verbindung: 

Der  Patient  wird  gebunden:  er  ist  Christus.  Er  schimpft  über  die  PoHzei  und 
fühlt  sich  als  der  letzte  der  Bourbons;  ein  Nebenpatient  schimpft  auch  über  die 
Polizei,  Wahnidee:  Der  ist  auch  ein  Bourbon. 

Der  Zusammenhang  kann  aber  dem  Gesunden  ganz  unverständlich  sein: 

Der  Arzt  berührt  bei  der  Augenimtersuchmig  zufällig  die  Nase  des  Patienten, 
da  steht  dieser  auf  und  erklärt  feierlich,  das  sei  „ein  Zeiger  von  Gott  gewesen,  daß 
dieser  ihn  als  Sohn  ausgewählt  habe".  —  Eine  Hebephrene  findet  auf  einer  ge- 
schenkten Schokoladetafel  Buchstaben,  die  auf  sie  gemünzt  sind.  „Sie  weiß  nicht, 
was  für  Buchstaben  und  was  sie  bedeuteten.  Sie  hätte  das  schon  herausge- 
bracht, aber  sie  war  so  geärgert,  daß  sie  die  Buchstaben  sofort  verstrich."  —  Be- 
ständig vorhanden  ist  eben  die  Wahndisposition,  die  Deutung  der  Erlebnisse;  sie 
kann  dann  jedem  zufälligen  Vorkommnis  angehängt  werden.  Dieser  Auffassung 
tun  auch  Scheinzusammenhänge  wie  der  folgende  keinen  Abbruch:  ,,Vor  meinem 
Fenster  steht  eine  Lampe,  eine  gleiche  wie  zu  Hause;  es  ist  also  wieder  nicht  alles 
in  Ordnung." 

Wenn  solche  logische  Bildungen  keinen  rechten  Zusammenhang  mehr 
mit  dem  Ich  und  seinen  Wünschen  haben,  so  erscheinen  sie  mehr  als  Spielerei 
denn  als  Wahnidee  und  sind  dann  von  ähnlichen  Produkten  der  Manie  kaum 
zu  unterscheiden:  der  Arzt  ist  „der  Herr  Optiker",  weil  er  eine  Brille  trägt;  am 
Finger  hat  er  den  Ring  der  Nibelungen. 

Solche  Anklänge  können  aber  ernst  gemeint  sein,  und  zwar  auch  da,  wo 
sie  die  eigene  Persönlichkeit  betreffen.  Eine  unserer  Hebephrenen  identifizierte 
8ich  selbst  mit  allen  möglichen  Dingen  („ich  bin  jener  Hollunderstrauch;  ich 
bin  ein  alter  Regenschirm"),  ohne  daß  man  eine  SymboHsierung  oder  ÄhnUclies 
hätte  nachweisen  können.    Eine  Paranoide  hat  den  ungewohnt  klingenden 


Akzessorische  Symptome.  Wahnideen. 


109 


Namen  des  Dorfes  Jestetten,  in  dem  sie  sich  nach  dem  Pfarrer  erkundigte, 
um  Hilfe  zu  bekommen,  als  „Hinstetten"  aufgefaßt  und  hält  nun  trotz  hundert- 
facher Gegenbeweise  jahrzehntelang  daran  fest,  das  Dorf  heiße  so. 

Die  letzteren  Wahnideen  haben  an  sich  -nichts  mit  dem  Ich  der  Patientin 
zu  tun;  die  falsche  Auffassung  des  Namens  ist  nur  deshalb  zur  Wahnidee  ge- 
worden, weil  sie  zufällig  mit  einer  Wahnidee  verknüpft  worden  ist.  Auf  diese 
Weise  entstehen  die  exzentrischen  Wahnideen,  die  keine  direkte  Ver- 
knüpfung mit  den  Komplexen  des  Kranken  besitzen. 

Da  man  (z.  B.  Specht)  das  Vorkommen  solcher  Wahnideen  geleugnet  hat, 
mögen  noch  einige  Beispiele  angeführt  werden.  Ein  Hebephrene  beschäftigt  sich 
mit  Heraldik,  in  unserer  Gegend  natürlich  mit  alemannischer;  während  des  japa- 
nischen Krieges  bildet  er  die  Idee,  die  vornehmen  Japaner  seien  Alemannen,  ohne 
sie  irgendwie  erkennbar  mit  seinen  eigenen  Komplexen  in  Beziehung  zu  bringen. 
Eine  Patientin  hat  rumpeln  gehört:  der  Prinz  von  Frankreich  (der  sonst  bei  ihr 
keine  Rolle  spielt)  ist  ermordet  worden.  Ein  Hebephrene,  der  sich  gar  nicht  mit 
den  Buren  in  Beziehung  bringt,  behauptet  eines  Tages,  Cronje  sei  ermordet  worden. 
Ein  Patient  meint,  irgend  ein  Nebenpatient  sei  bestohlen  worden ;  ein  anderer,  sein 
Nachbar,  habe  eine  bestimmte  Summe  auf  der  Bank  (alles  ohne  auffindbare  Eigen- 
beziehung). Man  kann  nun  sagen,  solche  Ideen  seien  keine  Wahnideen,  sondern 
Irrtümer;  dann  gibt  man  eben  beiden  Begriffen  ad  hoc  neue  Grenzen. 

NatürKch  bilden  sich  eine  Menge  Wahnideen  scheinbar  wie  Irrtümer, 
indem  sie  aus  ungenügenden  Prämissen  Schlüsse  ziehen:  es  spuckt  jemand  aus, 
während  ein  Paranoider  vorübergeht;  also  wollte  er  ihm  seine  Verachtung  be- 
zeigen. Eine  Patientin  hat  jeweilen  beim  Erwachen  Kopfweh;  folghch  hatte 
man  sie  in  der  Nacht  geschlagen.  Zu  dieser  Form  von  Schlüssen  gehören  auch 
die  zu  weiten  Analogieschlüsse. 

Um  aus  solchen  falschen  Schlüssen  Wahnideen  entstehen  zu  lassen,  ist 
natürhch  das  Hinzukommen  affektiver  Momente  nötig.  Wir  finden  sie  deshalb 
am  meisten  in  der  Form,  daß  irgend  eine  Wahrnehmung  aus  ungenügenden 
logischen  Gründen  mit  einem  Komplex,  der  im  Vordergrunde  des  Interesses 
steht,  in  Beziehung  gesetzt  wird.  Der  „Beziehungswahn"  („la-ankhafte 
Eigenbeziehung")  wird  bei  der  Schizophrenie  in  seiner  krassesten  Form  be- 
obachtet: vor  dem  Patienten  geht  ein  Kind;  er  fährt  auf:  „Ich  bin  nicht  der 
Vater  dieses  lündes."  Die  Leute  sind  alle  seinetwegen  auf  der  Straße:  jede 
Ihrer  Bewegungen  hat  für  ihn  etwas  zu  bedeuten;  die  Annoncen  in  den  Zeitungen 
beziehen  sich  auf  ihn;  das  Gewitter  hat  man  seinetwegen  gemacht;  die  Goethe- 
ausgabe in  der  Anstalt  ist  voU  von  Anspielungen  auf  ihn,  man  hat  sie  seinet- 
wegen gefälscht;  ein  noch  ganz  besonnener  Naturforscher  freut  sich  daß  die 
kleinen  Krebschen  ihm  winken,  wenn  er  sie  im  Mikroskop  betrachtet  Ein 
Aatatoniker  wixd  beim  Essen  von  seiner  Schwester  gefragt,  ob  er  noch  Brot 
wolle  ;  m  größter  Wut  will  er  sie  erstechen,  weil  sie  damit  auf  seine  SteUenlosigkeit 
(Brotlosigkeit)  gedeutet  habe.  In  diesem  Beispiel  ist  es  ganz  Idar,  daß  nicht  die 
Beziehung  auf  das  Ich,  die  ganz  selbstverständhch  und  unverfängUch  ist,  sondern 
die  Beziehung  auf  den  gefühlsbetonten  Komplex  das  Ausschlaggebende  war 

Neben  dem  Beziehungswahn  scheint  noch  in  den  übhchen  Beschreibungen 
Es  Jd  dTT  ^l^'^l^'^-  -«htige  Brutstätte  der  Wahmdeen. 
Es  wild  dann  als  em  noch  unbestimmter  Verfolgungswahn  aufgefaßt^),  der  erst 


110 


Schizoi)hrenie. 


spater  bestimmtere  Gestalt  annimmt.  Eine  unserer  Patientinnen  schreibt: 
„Überhaupt  empfinde  ich  jede  FreundUchkeit  unangenehm;  es  steigt  stets  Miß- 
trauen in  mir  auf,  und  hege  ich  gegen  alles  und  jedes  Mißtrauen".  Eine  andere 
druckt  sich  noch  drastischer  aus:  „Man  kann  dem  eigenen  Hemd  nicht  trauen  " 
Auch  die  Unbehagüchkeit  in  allen  Situationen,  die  so  häufig  vorhanden  ist 
(„die  Wände  im  eigenen  Haus  wollten  mich  fressen"),  kann  mehr  oder  weniger 
Mißtrauen  erregen.  Megalomanen  haben  oft  im  Anfang  nur  große  Hoffnungen 
und  große  Allüren  ohne  bestimmte  Ideen.  Trotz  all  dem  möchte  ich  die  Ent- 
wicklung des  Wahnes  aus  unbestimmten  „Gefühlen"  nicht  als  Eegel  hinstellen. 
Unbestimmte  Ideen  und  krankhafte  inteUektuelle  Gefühle  können  auch  im 
späteren  Verlauf  zu  jeder  Zeit  auftreten  (die  obigen  Beispiele  von  Mißtrauen 
stammen  von  älteren  Kranken)  und  sind  in  Eemissionen  etwas  ganz  Ge- 
wöhnhches. 

Umgekehrt  können  plötzlich  scharf  formuHert  aufgetretene  Vorstellungen 
die  ersten  wahrgenommenen  Symptome  der  Krankheit  sein.  Auch  entwickeln 
sich  die  Wahnideen  oft  vom  Bestimmten  ins  Unbestimmte  und  Unklare:  Eine 
Katatonika  glaubte  sich  in  der  Pubertät  verlobt  mit  einem  Arzt;  später  ist  sie 
die  Tochter  zweier  anderer  Ärzte,  meint,  sie  habe  Medizin  studieren  wollen; 
dann  fühlt  sie  sich  als  Eigentümerin  des  Spitals  und  des  Polytechnikums,  hinter 
welchem  Gedanken  immer  noch  nachweishch  die  Idee  steckt,  daß  sie  einen  Arzt 
heiraten  möchte. 

Regeln  der  schizophrenen  Wahnentwicklung  lassen  sich  überhaupt  noch 
nicht  angeben.  Bestimmte  Richtungen  ergeben  sich  etwa  in  der  Wunsch- 
entwicklung. 

Ein  von  jeher  geld-  und  ehrsüchtiger  Mann  will  ein  reiches  Mädchen  heiraten 
und  damit  die  FamiHe  glückUch  machen;  dazu  muß  er  sich  von  der  Frau  scheiden, 
sein  Kind  muß  er  opfern  (im  eigenthchen  Sinne),  dann  wird  er  Jesus,  dann  Gott; 
dann  auch  Besitzer  der  Habsburg  und  der  Kyburg.  Ein  Gelehrter  dirigierte  im 
ersten  Anfall  Schlachten  und  machte  große  Erfindungen  zu  Ehren  seiner  Gehebten; 
einige  Jahre  später  im  zweiten  Anfall  sagte  ihm  sein  Herz,  daß  die  Gehebte  nicht 
verheiratet  sei  (unrichtig).  Ein  Kommis  hat  große  Aspirationen;  eine  Dame  ist 
freundlich  mit  ihm ;  er  will  sie  heiraten ;  man  liest  viel  von  der  Königin  von  Holland : 
die  will  ihn  auch  heiraten;  seine  Frau,  die  sich  nicht  von  ihm  scheiden  lassen  will, 
hält  er  für  untreu,  sie  will  ihn  vergiften,  verleumden.  —  In  dem  letzten  Beispiel 
sehen  wir  zugleich  die  Ausbildung  der  Verfolgungsidee  aus  dem  Hindernis. 

Bei  Frauen  ist  es  nichts  Ungewöhnhches,  daß  sie  erst  den  Wahn  haben 
gehebt,  dann  verheiratet,  dann  gravid  zu  sein;  viele  haben  sogar  Kinder  von 
ihrem  Gehebten.  Diese  Entwicklung  braucht  in  einem  Dämmerzustand  wenige 
Wochen,  bei  besonnenen  Kranken  oft  Jahre.  Ist  der  Angeschwärmte  ein  Geist- 
hcher,  so  bildet  sich  der  Wahn  meist  noch  in  rehgiöser  Richtung  aus. 

Die  Ausdrucksform *en,  in  denen  die  Wahnideen  zum  Bewußtsein  des 
Patienten  kommen,  sind  sehr  mannigfaltige.  Oft  erscheinen  sie  als  logische  Schlüsse, 
unterscheiden  sich  dann  formell  nicht  von  den  Denlo-esultaten  des  Gesunden. 

Gar  nicht  selten  aber  steigen  sie  auch  bei  ganz  besonnenen  Leuten  „primor- 
dial" fix  und  fertig  aus  dem  Unbewußten  auf.  Sie  sind  einfach  da,  ohne  jede 


^)  Specht  betrachtet  es  als  Affekt. 


Akzessorische  Symptome.  Wahnideen. 


III 


bewußte  Überlegung,  und  ohne  daß  der  Kranke  sagen  könnte,  wie  sie  in  seine 
Psyche  gekommen  sind.  Dabei  können  sie  das  subjektive  Timbre  des  Neuen, 
sogar  des  Fremden  besitzen,  oder  der  Patient  kann  sie  auch  mit  voller  Selbst- 
verständhchkeit  angenommen  haben,  wie  wenn  er  nie  etwas  anderes  gedacht 
hätte.  Vom  einen  bis  zum  andern  dieser  Extreme  ist  die  ganze  Skala  der  Zwischen- 
stufen sehr  häuüg;  namentlich  unter  den  Paranoiden  sind  der  Kranken,  die 
„erst  jetzt  verstehen",  viele. 

Auch  dieser  Mechanismus  braucht  nicht  immer  scharf  präzisierte  Wahn- 
ideen zu  Hefern ;  der  Wahn  kann  in  der  Form  von  „Ahnungen"  u.  dgl.  auftauchen, 
die  ihre  unbestimmte  Gestalt  dauernd  beibehalten  können. 

Die  meisten  Wahnideen  kommen  in  Form  von  Sinnestäuschungen 
zum  Bewußtsein.  Dritte  Personen  sagen  dem  Patienten  die  Resultate  unbe- 
wußter falscher  Logik,  an  die  er  nachträghch  auch  noch  Erklärungswahnideen 
knüpfen  mag.  Prinzipiell  nicht  verschieden  ist  es ,  wenn  Gedächtnistäuschun- 
gen das  Novum  hereinbringen,  seien  es  Illusionen  oder  Halluzinationen  der 
Erinnerung. 

Manchmal  nimmt  die  ganze  bewußte  Persönlichkeit  in  einem  mehr  oder 
weniger  veränderten  Bewußtseinszustand  an  der  Arbeit  der  Waim- 
bildung  teil.  Neben  den  gewöhnhchen  dehrösen  Verwirrtheiten  gibt  es  Zustände, 
in  denen  die  Patienten  besonnen  erscheinen,  aber  ,, Träumungen"  haben,  wie 
sich  einer  unserer  Patienten  ausdrückte,  Wachträume,  denen  sie  insofern  objektiv 
gegenüberstehen,  als  sie  wissen,  daß  es  sich  um  etwas  Besonderes  handelt,  wenn 
sie  auch  den  Inhalt  des  Geträumten  mehr  oder  weniger  glauben.  Sie  beklagen  sich 
auch  etwa  über  diese  Zustände.  Gar  nicht  selten  aber  geschieht  die  Entwicklung 
der  Wahnideen  in  der  Form  des  gewöhnhchen  Traumes  im  Schlaf.  Eine  viele 
Jahre  lang  von  uns  beobachtete  Patientin  bildet  ihre  Wahnfabel  nur  im  Traum 
aus;  sie  weiß  das,  glaubt  aber  doch  daran. 

Die  gebildete,  arbeits-  und  gesellschaftsfähige  Patientin  beklagt  sich  z.  B. 
eines  Morgens,  ich  hätte  ihr,  während  sie  schlief,  ein  Kind  gemacht  und  es  aus  ihrem 
Arm  herausgeschnitten.  Sie  wußte, -daß  sie  das  im  Traume  gesehen,  hielt  aber  an 
der  Idee  fest.  Ich  suchte  ihr  begreiflich  zu  machen,  daß  ich  nicht  verantwortlich 
sei  für  das,  was  sie  träume,  ich  sei  doch  nicht  in  Wirklichkeit  bei  ihr  gewesen.  Über 
die  Antwort:  „Aber  wariun  kommen  Sie  denn  im  Traume?"  kam  ich  aber  mit  meinen 
Überzeugungskünsten  nicht  hinaus.  —  Ein  Lehrer  in  finanziellen  Schwierigkeiten 
erwachte  in  einer  Nacht  ganz  glücklich  und  erzählt,  er  habe  geträumt,  daß  seine 
Besoldung  erhöht  worden  sei;  die  Wahnidee  hält  an  und  bildet  die  Einleitung  einer 
schweren  Erkrankung.  Eine  Katatonika  „hat  Träume,  und  wenn  sie  wach  wird, 
bleiben  die  Dinge  so,  wie  sie  sie  geträumt  hat".  Viele  erleben  die  gleichen  Ver- 
folgungen im  Traum  wie  im  Wachen;  Paranoide  deuten  das  gern  so,  daß  man  sie 
eingeschläfert  habe,  um  an  ihnen  Experimente  zu  machen.  Auch  ist  es  nichts  Sel- 
tenes, daß  Traum-  und  Wachhalluzinationen  nicht  mehr  auseinander  gehalten  werden 
können. 

Letzteres  zeigt  sich  auch  etwa  in  der  Traumanalyse,  die  hier  nach  den  gleichen 
Kegeln  zu  machen  ist  wie  bei  Gesunden.  Eine  unserer  Paranoiden  hatte  längere 
Zeit  ganz  unverkleidete  Wunschträume.  Wenn  ihr  etwas  Unangenehmes  becregnet 
war  (Zurückweisung  ihrer  erotischen  Aspirationen  usw.),  so  träumte  sie  in  der^fol- 
genden  Nacht  das  Gegenteil  und  hielt  dann  dieses  als  Wahnidee  fest^). 

^)  Vgl.  später:  Beziehungen  der  Schizophrenie  zum  Traume. 


112 


Schizophrenie. 


Gclegentlicli  gehen  die  Träume  auch  in  Dämmerzustände  über.  Eine  Kata- 
tonische träumte  zwei  Nächte,  Streit  mit  ihrem  (in  Wirklichkeit  rohen)  Manne  zu 
haben;  sie  sprach  Laut,  hatte  starre,  weit  geöffnete  Augen.  Gleiche  Anfälle  kamen 
dann  auch,  wenn  sie  zu  Bett  ging,  dann  auch  im  Laufe  des  Tages. 

Natürlich  verändern  sich  die  Wahnideen  auch  unter  dem  Einfluß  ver- 
schiedener innerer  und  äußerer  Umstände.  Daß  sie  mit  der  Heftigkeit  der 
Krankheit  (womit  nicht  bloß  der  anatomisch-physiologische  Krankheitsprozeß 
verstanden  sein  soll)  schwanken,  bedarf  keiner  besonderen  Hervorhebung. 
Auch  da,  wo  keine  akuten  Zufälle  vorkommen,  bildet  sich  der  Wahn  oft  in 
Schüben  aus. 

Manchmal,  aber  nicht  immer,  wechsehi  die  Wahnideen  parallel  zu 
(primären)  Stimmungsschwankungen.  Die  im  manischen  Zustande  ge- 
schaffene Königin  ist  im  melanchoHschen  die  Fürstin  der  Hölle,  die  Königin 
der  Nacht.  Der  im  Angstzustand  gesehene  unendliche  Tunnel  durch  die  Erde 
wird  in  euphorischer  Stimmung  zu  einer  technischen  Erfindung  des  Patienten. 
Doch  sind  solche  Umbildungen  nicht  so  häufig,  wie  man  erwarten  möchte.  Meist 
treten  andere  Wahnideen  in  den  Vordergrund,  wenn  die  Stimmungslage  wechselt: 
der  verzweifelte  Sünder  vnvd  nicht  nur  zum  Propheten,  sondern  auch  zum 
glücklichen  Liebhaber,  Erfinder  usw. 

Bei  einem  Wechsel  der  Umgebung  werden  Wahnideen,  die  sich  an 
bestimmte  Lokale  und  Menschen  anknüpfen,  oft  für  einige  Zeit  fallen  gelassen, 
ja  die  neue  Umgebung  kann  zunächst  als  beschützend  statt  als  verfolgend 
gelten;  manchmal  werclen  die  Wahnideen  einfach  übertragen,  der  neue  Arzt  ist 
der  Verfolger  oder  Geliebte  wie  der  frühere.  In  anderen  Fällen,  namenthch  da,  wo 
die  Verfolger  ganz  imaginäre  Leute  sind,  beeinflußt  der  Ortswechsel  die  W^ahn- 
ideen  kaum. 

Die  Dauerhaftigkeit  der  Wahnideen. 

Als  ,, pathologische  Einfälle"  können  sie  einige  Sekunden  dauern,  als 
„fixe  Ideen"  ein  ganzes  Leben.  In  den  chronisch  verlaufenden  Formen  mit 
geringer  Intelligenzstörung  ist  lange  Dauer  die  Regel,  während  die  in  akuten 
Anfällen  gebildeten  Ideen  oft  zugleich  mit  der  Erregung  verblassen.  Eine  leicht 
Kranke,  die  sich  bis  nach  dem  KHmakterium  draußen  halten  konnte,  hatte  im 
zwanzigsten  Lebensjahre  die  Verheißung  gehört,  wenn  sie  noch  30  Jahre  lang 
Jungfrau  bleibe,  so  bekomme  sie  20.000  Fr.  Nach  Ablauf  der  30  Jahre  ging 
sie  auf  eine  Bank,  um  das  Geld  in  Empfang  zu  nehmen. 

Viele  Wahnideen  treten  in  der  Weise  in  den  Hintergrund,  daß  ihre  Gefühls- 
betonung schwindet,  während  sie  in  immer  gleicher  Weise  wiederholt  werden. 
Sie  verHeren  dann  nach  und  nach  den  Einfluß  auf  das  Handeln  des  Patienten. 
ÄhnHch  ist  es,  wenn  die  Patienten  das  Interesse  an  den  Wahmdeen  veiiiei-en. 
Der  Vorgang  ist  oft  der  Anfang  des  so  häufigen  „Vergessens"  derselben.  Die 
Patienten  korrigieren  die  Ideen  nicht,  aber  sie  denken  mcht  mehr  an  sie.  Be- 
sondere Situationen  aber  können  sie  durch  irgend  eine  passende  Assoziation 
zum  Bewßtsein  bringen,  das  eine  Mal  so  klar  und  vollständig  wie  sie  je  waren, 
das  andere  Mal  undeutlich  wie  ein  verschwommenes  Erinnerungsbild  des  Ge- 
sunden. Manchmal  bildet  das  Unklarwerden  den  Weg,  auf  dem  die  Ideen  aü- 
mählich  in  Vergessenheit  sinken. 


Akzessorische  Symptome.  Gedächtnisstörungen, 


113 


Ob  schizophrene  Wahnideen  überhaupt  je  vollständig  korrigiert  werden 
können  wie  ein  Irrtum  des  Gesunden  oder  wie  die  Wahnideen  bei  manisch- 
depressivem  Irresein,  ist  sehr  fragUch.  Ich  habe  noch  keinen  Schizophrenen 
gesehen,  der  nach  der  „Heilung"  eine  volle  Objektivität  den  Wahnideen  gegen- 
über gehabt  hätte.  Entweder  gehen  die  Kranken  leichtfertig,  ohne  rechte 
Assoziationen  darüber  hin,  oder  sie  betonen  sie  noch  mit  Gefühlen,  oder  sie 
produzieren  geradezu  noch  Gedanken,  die  nur  verständlich  sind  unter  der  Vor- 
aussetzung, daß  die  Wahnideen  für  sie  doch  noch  eine  ReaUtät  besitzen,  ob- 
gleich sie  sie  im  Bewußten  ablehnen.  So  Rikli  ns  Karl  B.  (612),  der  behauptete, 
seine  eingebildete  Braut  habe  keine  Bedeutung  mehr  für  ihn,  es  aber  doch  als 
„eine  gemeine  Bewegung"  bezeichnete,  daß  sie  ihm  als  gewöhnliche  Magd  er- 
schien. Manchmal  zeigt  auch  der  Ton,  in  dem  der  Wahn  als  Unsinn  erklärt 
wird,  daß  derselbe  noch  irgendwie  lebt,  z.  B.  wird  die  Korrektur  gerne  wie  eine 
auswendig  gelernte  Lektion  vorgebracht. 

Einer  unserer  Kranken,  der  viele  Jahre  Herrgott  gewesen  war,  hatte  die 
Idee  korrigiert,  unterschrieb  sich  aber  immer  noch  als  R.  B.  Herrgott.  Ein 
Akademiker  hat  eine  ausgezeichnete  wissenschaftliche  Arbeit  seiner  Wahn- 
gehebten  gewidmet. 

Ein  Beweis  für  die  Fortdauer  scheinbar  aufgegebener  Wahnideen  besteht 
auch  darin,  daß  die  in  einem  früheren  Anfall  gebildeten  Ideen  in  der  Regel  in 
späteren  Exazerbationen  wieder  aufgenommen  werden,  wie  wenn  nichts  da- 
zwischen gewesen  wäre.  Nicht  gerade  selten  erweisen  sie  sich  sogar  gleich  bei  ihrem 
Wiederauftreten  als  weiter  entwickelt,  so  daß  es  wahrscheinhch  ist,  daß  sie 
im  Unterbewußtsein  nicht  nur  gelebt  haben,  sondern  fortgewachsen  sind. 

Einen  Beweis,  daß  niemals  eine  schizophrene  Wahnidee  ganz  korrigiert 
werden  könne,  gibt  es  natürlich  nicht;  aber  die  obigen  Erfahrungen  machen  es 
doch  wahrscheinhch,  daß  jene  immer  in  irgend  einem  Winkel  der  Psyche  eine 
Art  Existenz  fortführen.  Wir  sehen  ja  auch  beim  Normalen,  daß  manche  mit 
dem  Verstand  vollständig  korrigierten  aber  früher  gefühlsbetonten  Ideen  (reUgiöse, 
poUtische)  nie  ganz  ihren  Einfluß  auf  den  Menschen  verlieren  und  im  Senium 
und  ante  mortem  die  Psyche  sogar  wieder  ganz  beherrschen  können. 

Y)  Die  akzessorischen  Gedächtnisstörungen. 

Außer  der  erwähnten  Eigentümhchkeit  vieler  Schizophrenen,  mehr  Details 
zu  registrieren  als  Normale  unter  gleichen  Umständen,  gibt  es  auch  eine 
Hyperfunktion  des  Gedächtnisses  in  dem  Sinne,  daß  in  einem  (akuten 
oder  chronischen)  Dehr  alte,  oft  bis  in  ganz  frühe  Kindheit  zurückgehende 
Erinnerungen  wie  frisch  auftauchen  oder  auch  sich  aufdrängen.  Im  letzteren 
Fall  kann  man  geradezu  von  Zwangserinnern  sprechen.  Die  oft  mit  allen  Einzel- 
heiten erzählten  Reminiszenzen  können  anscheinend  gleichgültig  sein,  haben 
aber  oft  einen  deuthchen  Zusammenhang  mit  einem  Komplex  und  können  dann 
im  Sinne  von  Erinnerungsillusionen  verändert  werden.  Sie  können  ebenso 
plötzüch,  wie  sie  aufgetaucht  sind,  wieder  verschwinden,  aber  auch  dauernd  von 
der  Psyche  Besitz  nehmen.  Statt  in  Gedanken  äußern  sich  solche  Erinnerungen 
auch  etwa  in  Halluzinationen,  indem  der  Kranke  seine  früheren  Erlebnisse 
wieder  sieht  und  hört,  und  zwar  manchmal  mit  großer  Genamgkeit.  ÄhnUches 

Handbrc'i  der  Psychiatrie:  Bleuler. 

8 


.Schizophrenie 

Sieht  man  auch  von  Anfall  zu  Anfall.  Viele  Jahre  lang  kann  in  der  ruhigen  Zeit 
der  Inhalt  des  enimal  überstandenen  Dehrs  vergessen  bleiben,  um  erst  mit 
emem  neuen  Schub  wieder  aufzutauchen.  Eine  unserer  Kranken  hatte  im  ersten 
Anfall  emem  Prediger  eine  Bibel  geschenkt;  im  zweiten,  zwanzig  Jahre  später 
schickte  sie  ihm  eine  Rechnung  von  50  Fr.  dafür.  ' 

Eine  besondere  Art  von  Gedächtniswirkung  ist  es,  wenn  ein  Kranker  durch 
irgend  ein  äußeres  Ereignis  so  stark  an  eine  frühere  Situation  erinnert  wird 
daß  er  diese  wenigstens  psychisch  wieder  hervorruft.  Eine  unserer  Krankerl 
hatte  sich  so  geändert,  daß  wir  sie  statt  wie  früher  als  paranoid  nun  als  katatonisch 
bezeichnen  mußten.  Bei  einem  Besuch  ihres  Arztes  aus  der  paranoiden  Zeit 
änderte  sie  aber  für  die  Dauer  des  Gespräches  ihr  Benehmen  wieder  ganz  in  das 
frühere  um. 

In  einzelnen  Fällen  drängen  sich  Erinnerungen  aus  der  Kinderzeit  mehr  oder 
weniger  zusammenhängend  auf.  Diese  veranlassen  dann  die  Kranken  etwa,  sich 
im  Sinne  dieser  Eeminiszenzen  zu  benehmen  oder  danach  zu  handeln.  Eine  solche 
infantilistische  Patientin  fing  an,  ihre  Fäzes  auf  ein  Papier  abzusetzen  und  dann 
ins  Klosett  zu  tragen,  wie  sie  in  ihrer  Kindheit  getan. 

Viel  wichtiger  als  die  Hypermnesien  sind  die  Erinnerungslücken. 
Akute  Aufregungen  (siehe  diese)  hinterlassen  oft  eine  schlechte  Erinnerung.  Die 
häufigsten  Gedächtnislücken  entstehen  aber  durch  die  Sperrungen.  Wie  bei 
Gesunden,  nur  in  unendhch  stärkerem  Maße,  werden  Erlebnisse,  die  mit  den 
momentanen  Wünschen  im  Widerspruch  stehen,  oder  an  die  man  sich  aus  einem 
andern  Grunde  nicht  gern  erinnert,  abgesperrt,  bald  für  immer,  bald  nur  unter 
gewissen  Konstellationen.  Die  Verallgemeinerungstendenz  der  Sperrungen  läßt 
außerdem  auch  etwa  Ereignisse  ausfaUen,  die  nur  lose  oder  gar  nicht  erkennbar 
mit  einem  unangenehmen  Gefühle  zusammenhängen. 

Im  AbIdingen  von  Aufregungen  vergessen  die  Kranken  namenthch  gerne 
ihre  eigenen  Gewalttätigkeiten,  oder  diese  erscheinen  ihnen  bloß  als  Folgen  der 
Defensivmaßregeln,  so  daß  ihnen  die  letzteren,  so  unschuldig  und  so  notwendig; 
sie  waren,  als  grobe  Mißhandlungen  vorkommen  müssen.  Die  abspaltende  Kraft 
der  Komplexe  ist  in  bezug  auf  die  Halluzinationen  bereits  erwähnt.  Es  können 
aber  auch  die  ganzen  halluzinatorischen  Aufregungen  mit  einem  Teil  der  äußeren 
Ereignisse  auf  diese  Weise  vergessen  werden.  Das  kann  den  Kranken  etwa 
bewußt  werden:  „Doch  ich  bin  gleich  wieder  zufrieden  und  rege  mich  nicht  mehr 
auf,  denn  nach  einigen  Minuten  habe  ich  schon  vergessen,  was  ich  gesagt  habe." 
Solche  affektiv  bedingte  Erinnermigsstörungen  können  auch  etwa  die  Form 
anterograder  Amnesie  annehmen. 

Nach  Erregungen  und  nach  akuten  Phasen  der  Krankheit  treffen  wir 
häufig  eine  intensiv  und  extensiv  in  weitesten  Grenzen  wechsehide  Amnesie^). 
Manchmal  empfinden  die  Kranken  die  Lücke  und  sind  dann  geneigt,  sie  einer 
Hypnose  oder  einer  andern  Beeinflussung  zuzuschreiben.  Oft  auch  erscheint 
ihnen  die  durchlebte  Zeit  viel  kürzer;  oder  Dinge,  die  sie  viele  Male  erlebt  haben, 
wie  die  Visite  des  Arztes,  glauben  sie  nm-  einmal  gesehen  zu  haben.  Wie  der 
Normale  seine  Träume,  so  kann  der  Kranke  oft  seine  Dehiien  spontan  nicht 
reproduzieren;  die  Reminiszenzen  kommen  aber,  wenn  ihm  etwas  Ähnüchea 


^)  Vgl.  unten  die  Erinnerung  an  akute  Anfälle. 


Akzessorische  Symptome.  Gedächtnisstörungen. 


115 


begegnet,  oder  wenn  man  ihm  ein  Stichwort  geben  kann.  Solche  Amnesie  ist 
aber  nichts  Fixes,  sie  kann  sich  verändern.  Einer  unserer  Katatoniker,  der  aus 
einem  Dämmerzustand  erwacht  war,  konnte  sich  zeitweise  an  den  ganzen  Zu- 
stand erinnern,  zu  anderen  Zeiten  an  gar  nichts.  Inkonsequenzen  der  Erinnerung 
sind  nicht  selten,  so  bei  einer  Katatonischen,  die  von  einer  Aufregung  nichts 
mehr  wissen  wollte  als  die  Injektion,  die  man  ihr  gemacht,  aber  von  dieser  sogar 
das  Datum  registriert  hatte.  Nach  Zuständen  doppelter  Orientierung  bleiben 
beide  Eeihen  in  der  Erinnerung,  wenn  auch  nicht  immer  beide  zugleich  zugänghch. 
sind.  Einer  unserer  schwersten  Katatoniker  verkannte  seine  Eltern  als  Dämonen 
und  behandelte  sie  dementsprechend.  Nach  der  Besserung  aber  wußte  er  genau, 
wann  die  Eltern  gekommen  waren,  und  was  sie  gesagt  hatten. 

Während  der  akuten  Anfälle  selbst  ist  das  Gedächtnis  nicht  leicht  zu 
prüfen.  Wo  keine  eigenthche  ,, Verwirrtheit"  besteht,  kann  man  sich  allerdings 
oft  überzeugen,  daß  es  recht  gut  ist,  obgleich  Verfälschungen  im  Sinne  der  Wahn- 
ideen häufig  die  Erinnerung  trüben.  Eine  deuthche,  nicht  komplexbedingte 
anterograde  Amnesie  während  mehrerer  Tage  habe  ich  nur  ein  einziges  Mal 
konstatiert  bei  einer  Hebephrenen,  die  noch  in  leichtem  Grade  Alkoholikerin  war. 
Sie  kam  in  ziemhch  starker  Erregung  her,  war  ganz  leicht  benommen  und  ver- 
gaß zum  größten  Teil  die  Erlebnisse  der  jeweilen  vorhergehenden  Tage.  Eine 
längere  Untersuchung  von  gestern  aber  verlegte  sie  auf  vorgestern. 

Ganz  besonders  häufig  sind  bei  der  Schizophrenie  die  Paramnesien. 
Gedächtnis  Illusionen  bilden  beim  Paranoiden  oft  das  Hauptmaterial  zu 
den  Wahnideen,  Das  ganze  frühere  Leben  kann  in  der  Erinnerung  im  Sinne 
des  Komplexes  umgestaltet  werden. 

Ein  Besuch  war  so  vornehm,  daß  er  nur  eine  Abordmmg  vom  Kaiser  sein  kann. 
Vergiftet  hat  man  den  Kranken,  wie  jetzt,  schon  in  der  frühesten  Kindheit.  Es 
begegnet  uns  alltäglich,  daß  ein  Kranker  uns  vorwirft,  wir  hätten  ihm  vor  kurzem 
die  Entlassung  versprochen,  während  wir  das  Gegenteil  gesagt  haben.  Ein  Kranker 
behauptete,  die  tote  Mutter  hätte  ihm  viele  Dinge  gesagt,  die  in  Wirklichkeit  der 
Pfarrer  bei  der  Leichenrede  gesagt  hatte.  Häufig  werden  auch  Dinge  verwechselt, 
die  im  Sinne  der  Komplexe  gleichwertig  sind.  Eine  Kranke  jammerte,  daß  ihre 
Tochter  unglücklich  werde.  Nachher  war  sie  wochenlang  untrösthch,  daß  sie  bei 
mir  ihre  Tochter  verleumdet  habe  (Komplexe  der  sexuellen  Eifersucht  auf  die 
Tochter,  die  sich  eben  verlobt  hatte).  Eine  andere  ärgerte  sich,  daß  sie  guten  Appetit 
hatte;  einige  Monate  später  war  sie  überzeugt,  daß  sie  während  jener  Zeit  nicht 
habe  essen  können.  Eine  Kranke  von  sonst  ausgezeichnetem  Gedächtnis  dekla- 
mierte das  Lied     Der  Herr  ist  mein  Hirte",  meinte  aber  am  folgenden  Ta-  sie 
hatte  gesagt:    Auf  der  Alm  da  dbt's  kei  Sünd".  Häufig  sind  transitive  Erinnerungs- 
illusionen  und  andere  Fälschungen  der  persönhchen  Beziehungen  Forels  L  S 
meinte,  man  hätte  sie  beständig  von  einem  Bett  ins  andere  spediert,  während  sie 
selbst  in  Wirklichkeit  gegen  den  Willen  der  Umgebung  das  Bett  gewechselt  hatte. 
Die  so  häufigen  falschen  Klagen  der  Kranken,  daß  man  sie,  während  .sie  ganz  ruhie 
waren,  aufgeregt  und  angegriffen  habe,  beruhen  lange  nicht  alle  auf  Halluzinationen 
Manche  finden  alles  gedruckt,  was  sie  gedacht  haben;  sie  haben  die  eben 
gelesene  Geschichte  selbst  erfunden  und  schon  längst  dem  Bruder  erzählt  aUe 
Erfindungen  gemacht,  bestimmte  Bilder  vor  600  Jahren  gemalt    Diese  Art 
^aramr^    ist  bei  ScWzophrenie  nicht  selten  und  hat  keine  scharfe  Grenze 

und  ai  td^rt:^^nS:f  '  ^^"^  -  "^^^^ 

8* 


116 


Schizophi-enie. 


unserer 


gegen  die  identifizierenden  Erinnerungstäuschungen.  Einer   

Hebephrenen  glaubte  während  langer  Zeit,  alles  was  geschah,  genau  ein  Jahr 
vorher  erlebt  zu  haben.  „Genau  dieser  Besuch  in  diesen  Kleidern  war  heute 
vor  einem  Jahr  da  und  hat  das  Gleiche  gesprochen.''  Ein  anderer  behauptete 
bei  der  Aufnahme,  schon  früher  einmal  da  gewesen  zu  sein,  nur  wisse  er  nicht 
genau  wie  lange;  dann  plötzhch  erinnerteer  sich,  zweimal  da  gewesen  zu  sein, 
1893  einmal  10  Minuten,  und  1895  habe  er  hier  übernachtet;  das  sei  aber  nicht 
die  Narrenanstalt,  sondern  die  Marinekaserne.  Er  behauptete  zugleich,  den 
Arzt  schon  zu  kennen,  was  zeigt,  wie  wenig  verschieden  viele  Personenver- 
kennungen  von  identifizierenden  Erinnerungstäuschungen  sind. 

Wohl  nur  eine  kleine  Abänderung  der  identifizierenden  Erinnerungs- 
täuschungen  bildet  das  häufige  Vorkommnis,  daß  die  aktuellen  Erlebnisse 
■als  zu  einem  bestimmten  Zeitpunkt  prophezeit  ins  Bewußtsein  des  Patienten 
kommen.  Alles,  was  begegnet,  kann  dem  Patienten  vorausgesagt  erscheinen, 
sei  es  von  einem  andern,  sei  es  auch  von  ihm  selbst;  letzteres  ist  wohl  das  Ge- 
wöhnhchere. 

Eigentliche  Erinnerungshalluzinationen  sind  sehr  häufig. 

Dem  Kranken  kommt  plötzlich  in  den  Sinn,  er  habe  /u  der  und  der  Zeit  das 
und  das  erlebt,  und  diese  Idee  hält  er  gewöhnlich  fest,  wie  eine  wirkliche  Erinnerung, 
oder  —  solange  nicht  eine  wesentliche  Besserung  eintritt  —  noch  viel  fester.  Nur 
■eine  Kranke,  die  uns  erzählt  hatte,  wie  ihr  kleiner  Knabe  aus  dem  Hause  gelaufen 
und  wieder  gebracht  worden  war,  behauptete  nachher,  der  Knabe  sei  überfahren 
worden,  und  sagte  dann  auf  Vorhalt,  sie  wisse  nicht,  ob  sie  meine,  er  sei  tot  oder 
er  lebe.  Der  von  Delbrück  erwähnte  Kranke  mit  ErinnerungshaUuzinationen  hat 
eine  ganze  Odyssee  geschrieben  über  die  Erlebnisse,  die  alle  nur  in  der  Erinnerung 
auftauchten.  Man  hatte  ihn  nackt  in  einem  Käfig  in  den  Wirtschaften  der  Stadt 
herumgeführt,  ihn  gezwungen,  auf  den  Kirchturmspitzen  Turnkmiststücke  zu  machen, 
ihn  von  den  Türmen  hermitergeworfen ;  schließlich  wurden  diese  Reisen  über  die 
ganze  Erde  und  dann  in  den  Weltraum  ausgedehnt.  Auch  der  Beziehungswahn 
kann  sich  in  Gedächtnistäuschungen  äußern:  der  Patient  hat  in  Annoncen  gelesen, 
daß  er  ins  Burghölzli  kommt.  In  den  meisten  Fällen  hängt  die  Erinnerungstäuschung 
ganz  wie  die  Halluzination  und  die  Wahnidee  mit  einem  affektbetonten  Gedanken 
zusammen.  So  ist  es  einem  Kranken,  der  mit  seiner  Frau  nicht  zufrieden  ist,  plötzhch 
eingefallen,  er  habe  einmal  zmn  Wärter  gesagt,  er  wolle  seine  Frau  vergiften  und 
eine  andere  heiraten.  Ein  anderer  Kranker  hatte  auf  dem  Feld  ein  junges  Mädchen 
gesehen;  er  klagte  sich  dann  bei  einem  Pfarrer  an,  er  habe  sie  vergewaltigt,  was 
nicht  richtig  war. 

Unter  Umständen  fäUt  es  den  Kranken  selbst  auf,  daß  sie  an  das  ver- 
meinthche  Erlebnis  früher  nicht  gedacht  haben.  Sie  suchen  dann  Erklärungen 
dafür:  Man  hat  der  Patientin  einen  Brief  geschrieben,  da  und  da  hege  eine 
Million  für  sie;  dann  hat  man  sie  einschlafen  lassen,  so  daß  sie  nachher  nichts 
davon  wußte,  und  als  es  ihr  später  wieder  in  den  Sinn  kam,  war  der  Brief 
gestohlen. 

Kraepelin  meint,  daß  solche  Gedächtnistäuschungen  nur  bei  Bewußtseins- 
trübungen und  bei  allgemeiner  Schwäche  der  Kritik  vorkommen.  Dies  widerspricht 
meiner  Erfahrung.  Der  Kranke  mit  den  phantastischen  Reisen  war  zu  gleicher 
Zeit  ein  ganz  guter  Bureauarbeiter  und  ist  nach  etwa  zehnjähriger  Dauer  senies 
schweren  Zustandes,  der  ganz  durch  Gedächtnistäuschungen  beherrscht  war,  wieder 


Akzessorische  Symptome.  Person. 


117 


fähig  geworden,  als  Kounnis  komplizierte  Arbeit  zu  verrichten,  m.d  zwar  schon 
seit  etwa  acht  Jahren. 

Auch  negative  Erinnerungshalluzinationen  sind  "jclit  ««l^^^^^ 
Sie  unterscheiden  sich  von  den  einfachen  Absperrungen  dadurch,  daß  den 
xLCdas  Nichtgeschehen  eines  Ereignisses  f  t^^ch  zunr  Be^^^^^^^^ 
Der  Patient  fängt  unvermittelt  an  zu  schimpfen,  weil  er  den  Arzt  heute  nur 
eilal  gesehen  habe,  obschon  dieser  zufällig  siebenmal  ^^^.^^^^  ^^"^^ 
oder  Jü  man  allen  anderen  Zigarren  ausgeteilt  hat  nur  ihm  mcht  wahrend 
er  in  Wirkhchkeit  eben  mit  dem  Rauchen  der  erhaltenen  Zigarren  fertig  ge- 

'"'"''^  Nicht  beobachtet  habe  ich  bis  jetzt  im  Gegensatz  zu  der  Ansicht  einzelner 
Tutoren  die  Konfabulation,  wie  sie  bei  Organischen  vorkommt,  d.  h.  Er- 
innerungshalluzinationen, die  Gedächtnislücken  ausfüllen,  erst  bei  (meist  von 
außen  gegebener)  Gelegenheit  auftreten  und  sich  gewöhnhch  auch  der  Ge- 
legenheit anpassen,  ja  in  ihrem  Inhalt  leiten  lassen.  Der  von  Neisser  (519  a) 
erwähnte  Fall  Heß  sich  zwar  nicht  zu  Ende  beobachten,  doch  handelt  es  sich 
da  gewiß  nicht  um  Konfabulation,  sondern  um  eine  gewöhnliche  Gedachtms- 

halluzination.  . 

Dagegen  kommt  Pseudologia  phantastica  im  Sinne  von  hysteri- 
former  Ausgestaltung  von  Wünschen  etwa  vor.  Ist  sie  ganz  ausgesprochen 
und  von  intaktem  Bewußtseins  zustand  begleitet,  so  handelt  es  sich  wohl  immer 
um  eine  Komphkation. 

S)  Die  Person. 

Das  IcTi  kann  die  mannigfaltigsten  Veränderungen  erleiden.  Verlust  des 
Aktivitätsgefühls  und  namenthch  Unfähigkeit,  die  Gedanken  zu  dirigieren, 
berauben  es  wesentlicher  Komponenten.  Der  Assoziationsprozeß  schlägt  un- 
gewohnte Bahnen  ein.  Alles  kann  anders  erscheinen,  die  eigene  Person  wie  die 
Außenwelt,  und  zwar  meist  in  ganz  unklarer  Weise,  so  daß  der  Patient  gar  nicht 
mehr  weiß,  wie  sich  innen  und  außen  zurechtfinden.  Auch  Parästhesien  der 
Körperempfindungen  können  die  autopsychische  Orientierung  erschweren.  So 
kommt  es,  daß  eine  sehr  intelhgente  Kranke  Stunden  angestrengter  innerer 
Arbeit  braucht  „um  für  kurze  Momente  ihr  eigenes  Ich  zu  finden" ;  die  Patienten 
,, kommen  sich  selbst  nicht  nach",  haben  das  individuelle  Selbst  verloren". 
Ein  Kranker  mußte  seinen  eigenen  Körper  neben  sich  suchen.  Da  behebige  Teile 
des  Ich  abgespalten  und  ihm  anderseits  ganz  fremde  Vorstellungen  angeghedert 
werden  können,  werden  die  Patienten  ,,depersonahsiert",  die  Person  ,,verüert 
ihre  Grenzen  in  Raum  und  Zeit".  Die  Kranken  können  sich  identisch  fühlen 
mit  irgend  einer  andern  Person,  ja  mit  Sachen ;  mit  einem  Stuhl,  mit  der  Schweiz^) ; 
umgekehrt  verheren  sie  den  Zusammenhang  mit  sich  selbst;  einzelne  ge- 
fühlsbetonte Ideen  respektive  Triebe  bekommen  eine  gewisse 
Selbständigkeit,  so  daß  die  Person  in  Stücke  zerfällt.  Diese  Teile 
können  nebeneinander  bestehen  und  abwechselnd  die  Haupt- 
person, den  bewußten  Teil  des  Kranken  einnehmen.  Es  kann  aber 


^)  Solche  Identifikationen  sind  beim  gleichen  Kranken  bald  im  wörtlichen  Sinne, 
bald  symbolisch  oder  sonstwie  uneigentlich  gedacht. 


118 


.Schizophrenie. 


auch  der  Kranke  von  einem  gewissen  Zeitpunkt  an  definitiv  ein 
anderer  sein. 

So  kann  nicht  nur  der  Patient  sich  dauernd  als  Kaiser  fühlen,  sondern  er 
kann  auch  seine  ganze  Vergangenheit  eingebüßt  haben.  Er  weiß  zwar  gewöhnhch 
noch,  was  er  früher  erlebt  hat,  aber  er  schreibt  es  einer  andern  Person  zu.  Er 
selbst  hat  es  nicht  erlebt.  Seine  Vergangenheit  ist  eine  ganz  andere,  gewöhnhch 
allerdings  nicht  klar  rekonstruierte. 

Ein  Schweizer  J.  H.  war  im  Pariserhaus  E.  beschäftigt,  kam  anno  77  in 
die  Anstalt  Charenton,  wußte  nicht  mehr,  Aver  er  sei,  unterschrieb  einmal  als  Midhat 
Pascha.  Er  meinte,  er  sei  1 870  in  Charenton  geboren,  habe  sieben  Jahre  lang  nichts 
gegessen.  Man  habe  ihn  dort  u.  a.  „von  der  Brust  bis  zu  den  Füßen  und  hinten  am 
Rücken  bis  zu  den  Fußknöcheln  abgezwickt,  denn  er  war  dreifach".  Ein  J.  H. 
sei  bei  E.  tätig  gewesen,  von  diesem  im  Armenbause  Mont  Parnasse  versorgt  worden; 
man  habe  ihn  auf  ein  Bett  geworfen,  daß  er  eine  Kopfwimde  bekam.  Der  Herr  E. 
habe  an  J.  H.s  Bruder  berichtet,  der  dann  aus  Versehen  statt  des  wirklichen  J.  H. 
den  Patienten  abholte;  so  sei  er  unter  dessen  Namen  in  Rheinau.  Dies  die  Auf- 
fassung des  Patienten,  die  verschiedene  seiner  Erlebnisse  an  zwei  Personen  verteilt 
und  zur  Ergänzung  der  einen  Person  (seiner  jetzigen)  noch  einiges  hinzudichtet 
(so  die  Geburt  in  Charenton,  den  Namen  Midhat  Pascha).  —  Eine  aus  der  Unter- 
suchungshaft gekommene  Frau  Sch.  ist  nicht  Frau  Sch.,  die  wirkliche  Frau  Seh. 
sei  in  ihrer  Heimat  und  arbeite  in  den  Reben. 

Natürhch  müssen  solche  Kranke  von  sich  in  einer  der  beiden  Versionen 
oder  auch  von  allen  beiden  Personen  in  der  dritten  Person  reden.  Hier  ist  diese 
Kedeform  nicht  bloß  eine  ungewohnte  oder  ungeschickte  Ausdrucksweise  wie 
in  der  Idiotie  oder  bei  Kindern,  sondern  sie  ist  der  Ausdruck  einer  wirkhchen 
Veränderung  der  Persönhchkeit.  Aber  auch  ohne  daß  man  Zweiteilung  der 
Person  nachweisen  könnte,  spricht  mancher  Patient  von  sich  nur  in  dritter 
Person,  gewöhnhch  bezeichnet  er  sich  mit  einem  seiner  Namen.  Ich  weiß  noch 
nicht,  wie  diese  Fälle  aufzufassen  sind^).  Eine  miserer  chronisch  Katatonischen 
sprach  von  sich  anhaltend  in  der  zweiten  Person. 

Meist  sind  die  vollständigen  Veränderungen  der  Persönhchkeit  mit  schweren 
Graden  sogenannter  Demenz  vergesellschaftet. 

In  leichteren  Fällen  sind  die  Kranken  abwechselnd  bald  eine  eingebildete 
Person,  bald  wiedev  die  richtige;  die  eingebildete  kann  immer  die  nämhche  sein 
oder  ihrerseits  wieder  verschiedene  Gestalten  annehmen.  Einzelne  Kranke 
sind  so  konsequent  und  vollständig  bald  die  eine,  bald  die  andere  Person,  daß 
sie  in  der  einen  KoUe  nicht  an  die  andere  denken;  diejenige  Person,  die  sie  gerade 
repräsentieren,  ist  dann  jedesmal  die  ihnen  selbstverständhch  zukommende. 
Andere  Kranke  werden  sich  des  Wechsels  bewußt.  Eine  Patientm  ist  „ver- 
steUbar,  bald  Jungfi-au,  bald  Frau".  Eine  andere  ist  „der  Baumann,  em  Mann, 
und  dann  doch  wieder  ich".  Meist  aber  werden  die  verschiedenen  EmsteUungen 
in  unregelmäßiger  Weise  verquickt,  gelegenthch  sogar  im  gleichen  Satz. 

Auch  durch  die  Wahnideen  der  Geschlechtstransformation  wd 

die  Persönhchkeit  verändert. 

Der  Mangel  an  Eealitätsgefühl  kann  sich  auch  auf  die  Person  er- 

1)  Ich  rechne  natürlich  die  Fälle  nicht  dazu,  wo  es  sich  bloß  um  eine  Redefigur 
h  indelt. 


Akzessorische  Symptome.  Person. 


119 


strecken.  Eine  Patientin  „ist  niclit  sie  selbst,  sie  ist  nur  gespiegelt".  Eine 
andere  findet  es  merkwürdig,  daß  sie  oft  niclit  da  sei  und  doch  da  sei. 

Niclit  selten  fällt  ein  Stück  der  Persönliclikeit  ab  und  wird  mit  einer  andern 
verbunden  (Transitivismus^).  Was  die  Patienten  halluzinieren  oder  tun, 
•das  halten  sie  für  Erlebnisse  anderer  Leute. 

Eine  Kranke  hat  Löcher  in  den  Händen  und  glaubt  sich  oft  halbblind;  nun 
behauptet  sie,  die  Wärterin  habe  Löcher  in  den  Händen  und  sei  halbblind.  Viele 
Kranke  glauben  ihre  Angehörigen  geisteskrank,  oder  noch  häufiger  wenigstens  in 
der  Anstalt  eingesperrt;  dieselben  werden  auch  elektrisiert  wie  die  Kranken.  Ein 
Patient  schlägt  sich  selbst  oft  zwanzigmal,  in  der  Meinung,  seine  Feinde  zu  schlagen; 
ein  anderer  schreit,  meint  aber,  sein  Nachbar  schreie.  Die  Patientin  verwirrt  sich, 
schimpft  aber  mit  dem  Arzt,  er  könne  nicht  einmal  recht  reden.  Sie  bekommt  keine 
ihr  passende  Brille,  fährt  den  Arzt  an:  ,,Was  haben  Sie  für  eine  saudumme  Brille 
auf".  Häufig  beschuldigen  die  Kranken  die  Wärterinnen  oder  ihre  Umgebung  dessen, 
was  sie  selbst  getan.  Eine  Kranke  malträtiert  den  Kopf  einer  Wärterin  und  schreit 
protestierend:  ,,0h  mein  Köpflein!"  Eine  andere  sieht  eine  Wärterin  und  ruft: 
„Das  ist  das  Gretchen  mit  der  Stallaterne;  ich  bin  das  Gretchen  mit  der  Stall- 
laterne."—  Ein  wenig  anders  ist  es,  wenn  die  Kranken  glauben,  andere  Leute  nehmen 
ihren  Namen  an  und  gerieren  sich  überhaupt  als  sie  selbst.    Eine  transitivistische 
Komponente  hat  auch  die  auf  beliebige  Fragen  recht  häufige  Antwort:  „Ich  frage 
Sie  nicht."  Ein  halber  Transitivismus  ist  es,  wenn  ein  Patient  sich  nicht  darüber 
klar  wird,  ob  die  Leute  und  seine  Halluzinationen  auf  ihn  wirken  oder  er  auf  sie; 
es  ist  ihm  übrigens  gleichgültig,  wie  es  sei;  die  Richtung  des  Handelns  von  ihm 
und  zu  ihm  und  damit  die  Personen  fließen  ineinander  über. 

Ein  Hebephrene  meint,  wenn  er  irgend  etwas  tut,  z.  B.  im  Gesicht  kratzt,  das 
mache  gar  nicht  er,  sondern  eine  andere  Person,  und  zwar  immer  eine,  die  er  gerade 
vor  sich  sieht.  Er  fühlt  sich  dami  aber  während  dieser  Zeit  als  diese  Person," wenn 
auch  nicht  ganz  sicher. 

Im  letzten  Beispiel  wird  nicht  nur  „transitiv"  eine  Handlimg  des  Kranken 
auf  eine  andere  Person  übertragen,  sondern  die  andere  Person  wird  reflexiv 
dem  Patienten  angegliedert.  Solche  Fälle  von  Appersonierung  sind  auch 
ohne  transitivistische  Erscheinungen  nicht  so  selten.  Was  ein  anderer  tut 
oder  erfährt,  glaubt  der  Kranke  zu  tun  oder  zu  erfahren. 

_  Ein  Frau  pflegte  ihren  Mann  an  Darmkrebs,  nun  glaubt  sie  die  ghnche  Krank- 
heit zu  haben.  Der  Nachbar  eines  Patienten  stirbt;  dieser  hält  sich  auch  für  ge- 
storben und  deckt  sich  das  Gesicht  mit  dem  Leintuch.  Namentlich  häufig  hat 
der  Kranke  Dmge,  die  andere  getan  haben  oder  die  geschehen  sind,  getan  (sentiment 
du  dejafait  vgl  akzessorische  Gedächtnisstörungen).  In  einem  Gewitter  straft  der 
Kranke  selbst  (mcht  Gott)  seine  Verfolger.  Dinge,  die  gesehen  werden,  können 
ebensogut  appersomert  werden:  die  Oberwärterin  hält  einen  schwarz  gerandeten 
Brief  m  der  Hand,  nun  verfärben  sich  die  Hände  der  Patientin  ganz  schwarz. 

Die  letztere  AngUederung  war  dadurch  begünstigt,  daß  die  Patientin  durch 
Gedanken  an  Sunde  und  Tod  beherrscht  wurde.  Überhaupt  geschieht  die  Spaltung 
der  Person  m  wesenthchen  nach  affektiven  Komplexen.    Die  halluzinierten  Per 


120 


•Schizophrenie. 


der  Kranken  (Kaiser,  Mutter  Gottes)  repräsentieren  nichts  anderes.  Oft  aber  sind 
die  Verhältnisse  komplizierter.  Eine  Patientin  schwärmt  für  eine  Musildehrerin 
und  für  einen  Pfarrer  zugleich.  Sic  identifiziert  sich  gelegentlich  mit  beiden^);  von 
dem  Pfarrer  wird  sie  in  den  Halluzinationen  sexuell  befriedigt.  Gelegentlich 'sieht 
sie  aber  beide  Personen  in  sexueller  Umarmung  unter  enormer  eigener  Erregung: 
sie  hat  ihre  beiden  Wünsche,  die  Klavierlehrerin  zu  sein  und  den  Pfarrer  zu 
heiraten,  in  transitivistischer  Halluzination  nach  außen  geworfen.  Marie  erzählt 
(S.  45)  von  einem  Fall,  wo  nach  dem  Wechsel  der  Persönlichkeit  die  abgelegte  Person 
zur  halluzinatorischen  Verfolgerin  geworden  ist. 

Die  Personenveränderungen  in  den  Dämmerzuständen  be- 
dürfen keiner  Beschreibung.  Weniger  beachtet  werden  sie  in  den  so  häufigen 
Zornanfällen.  Der  Patient,  mit  dem  man  eben  noch  gemüthch  gesprochen, 
wird  auf  einmal  erregt,  behauptet  Dinge,  die  er  sonst  nicht  glaubt,  fälscht  seine 
Logik  total  im  Sinne  seines  Ärgers.  Er  ist  ein  vollständig  anderer,  um  nach 
kurzer  Zeit  wieder  der  frühere  zu  sein.  Die  affektbetonte  Vorstellung  kann 
auch  aus  einem  negativistisch  gereizten  Wesen  für  einige  Zeit  eine  soziable 
Person  machen:  mürrisch,  unzufrieden  mit  der  ganzen  Welt  sitzt  eine  Patientin 
da;  ich  grüße  sie  als  Braut  und  Frau  (nicht  als  meine  Braut  und  Frau),  das 
erinnert  sie  an  ihre  in  den  Wahnideen  erfüllten  Hoffnungen,  sie  erwidert  meinen 
Gruß  mit  freundhchem  Händedruck  und  fängt  an  zu  plaudern.  Hierher  gehört 
auch  das  AufschUeßen  autistisch  eingesponnener  Patienten  durch  iVntönen 
irgend  eines  Komplexes,  durch  einen  Besuch  usw. 

Auch  gegenüber  den  nämhchen  Personen  können  die  Kranken  in  einen 
Augenbhck  so,  im  andern  anders  sein,  indem  die  Umschaltung  der  Persönhchkeit 
ganz  von  innen  heraus  geschieht.  Der  Patient  kann  seiner  Frau  die  zornigsten 
Vorwürfe  machen,  um  sie  im  nächsten  Moment  als  seine  hebe  Frau  zu  umarmen 
und  zu  bitten,  sie  möchte  ihm  ,,das  Leben  retten". 

In  einzelnen  Fällen  wird  die  andere  Persönhchkeit  durch  ganz  ver- 
scTiiedene  Sprache  marldert:  der  Patient  spricht  freundhch  und  normal 
mit  gewöhnhcher  Stimme  mit  dem  Arzt  und  zwischendurch  ganz  verwirrt  in 
Neologismen  und  mit  auffälhgem  Ton  oder  flüsternd  mit  seinen  Stimmen.  In 
solchen  Fällen  kann  der  Wechsel  der  Persönhchkeit  alle  paar  Sekunden  statt- 
finden. Einzelne  Kranke  können  auch  während  eines  Gespräches  oder  beim 
Vorlesen  beständig  mit  Halluzinationen  beschäftigt  sein  und  ihnen  leise  ant- 
worten, und  doch  daneben  die  Wirkhchkeit  so  genau  auffassen,  wie  nur  eui 
aufmerksamer  Gesunder,  z.  B.  eine  vorgelesene  Geschichte  mit  allen  Details 
erfassen.  Da  laufen  zwei  verschiedene  Persönhchkeiten  ganz  parallel  neben- 
einander, jede  mit  einer  vollen  Aufmerksamkeit.  Sie  sind  aber  wohl  nie  voll- 
ständig voneinander  getrennt,  da  man  meist  Auskunft  über  beide  Reihen  be- 
kommt. Auch  die  Person  hat  ihre  mehrfache  Buchführung.  Der  Patient  kann 
bei  einer  Diskussion  aUes,  was  ihm  eingewendet  wird,  vollständig  ignorieren 
oder  falsch  verstehen,  es  aber  behebige  Zeit  nachher  richtig  verwerten. 


1)  Dergleichen  ist  im  Traume  des  Gesunden  häufig.  Vgl.  auch  den  Patienten  v.  Kraf  f  t- 
Ebings,  der  nur  hinkende  Frauen  liebte  und  dem  Antrieb  nicht  widerstehen  konnte,  om 
solches  Weib  nachzuahmen. 


Akzessorische  Symptome.  Sprache  und  Schrift. 


121 


e)  Sprache  und  Schrift. 

Die  sprachlichen  Äußerungen  als  solche  sind  bei  leichter  Kranken  meist 
normal;  mündUch  wie  schrifthch  di-ücken  sie  richtige  oder  ki-ankhafte  Ideen 
in  der  gleichen  Weise  aus,  wie  die  Gesunden.  Bei  den  in  unsere  Behandlung 
kommenden  Fällen  sind  aber  häufig  mehr  oder  weniger  ausgesprochene  Ab- 
normitäten vorhanden. 

Sperrung,  Ideenarmut,  Inkohärenz,  Benommenheit,  Wahnideen,  Gefühls- 
anomalien  finden  in  der  Sprache  ihren  Ausdruck;  hier  liegt  aber  die  Abnormität 
nicht  in  der  Sprache  selbst,  sondern  in  dem,  was  sie  zu  sagen  hat. 

Häufig  ist  der  Sprachtrieb  verändert.  Manche  Patienten  sprechen  sehr 
viel,  oft  geradezu  kontinuierlich.  Meist  wollen  sie  dabei  der  Umgebung  gar  nicht 
eine  Mitteilung  machen,  noch  überhaupt  sich  mit  ihr  verständigen,  ihre  Gedanken 
setzen  sich  in  Reden  um,  ohne  Beziehung  zur  Umgebung.  Oder  diese  Beziehungen 
sind  nur  ganz  einseitige,  so  wenn  uns  die  Kranken  Fragen  stellen,  die  zwar 
einigermaßen  auf  den  Angeredeten  zugeschnitten  sind,  dabei  aber  kein  Bedürfnis 
nach  einer  Antwort  dokumentieren,  indem  sie  dem  Gefragten  keine  Zeit  zum 
Antworten  lassen  oder  gar  nicht  auf  das  hören,  was  er  erwidert.  Oft  wirkt 
tUe  Anwesenheit  einer  Person  nur  wie  ein  Reiz  zum  Sprechen  überhaupt,  nicht 
als  Anreiz,  etwas  zu  sagen.  Viele  Kranke  reihen  beständig  Worte  aneinander,, 
sie  reden,  aber  sagen  nichts^). 

Andere  reden  umgekehrt  gar  nicht  (Mutismus).  Manche  schreiben 
nicht,  mag  sich  noch  so  viel  Anlaß  bieten.  Man  kann  von  einzelnen  nur  schrift- 
hch, von  anderen  nur  mündhch,  von  anderen  wieder  gar  keine  Antwort  bekommen. 
Vom  mündhchen  und  schrifthchen  Mutismus  bis  zum  beständigen  Schwatzen 
oder  Schreiben  gibt  es  alle  Übergänge. 

Mutismus  ist  ein  gewöhnhches  Begleitsymptom  stuporöser  Zustände, 
kommt  aber  auch  in  anderen  Kombinationen  vor.  Sogar  Kranke,  die  ganz 
arbeitsfähig  sind,  können  andauernd  stumm  bleiben.  Bei  den  schweren  Formen 
ist  das  Symptom  häufig,  bald  vorübergehend,  bald  andauernd  bis  zu  jahr- 
zehntelanger Stummheit.  Das  Verhalten  auf  Anreden  ist  ein  sehr  verschiedenes. 
Die  einen  reagieren  gar  nicht,  genau  wie  wenn  sie  nichts  bemerkt  hätten.  Bei  anderen 
gibt  die  Mimik,  namenthch  der  Bhck,  absichthch  oder  unabsichtHch  zu  ver- 
stehen, daß  sie  doch  gehört  haben.  Erröten  und  andere  Zeichen  von  Affekten 
beweisen  das  Verständnis.  Einzelne  bewegen  oft  ein  wenig  die  Lippen,  ohne 
einen  Ton  von  sich  zu  geben.  Es  kommt  auch,  namenthch  in  akuten  Zuständen, 
etwa  vor,  daß  mutistische  Kranke  durch  Gesten  oder  schriftlich  Antwort  geben 
]a  auf  diese  Weise  spontan  Wünsche  äußern.  Am  häufigsten  aber  sind  mutisti- 
sche Kranke  zugleich  negativistisch. 

Es  handelt  sich  beim  Mutismus  niemals  um  eine  absolute  Stummheit 
wenn  es  auch  Patienten  gibt,  die  jahrelang  keinen  Laut  von  sich  geben  Die 
meisten  Kranken  sprechen  zwischendurch  dann  und  wann;  sie  können  nament- 
ücü  vernehmhch  schimpfen;  manchmal  singen  sie. 

müR^.  andere  Tätigkeit  kann  auch  das  Sprechen  automatisch  oder  zwansrs- 

r  nfehtlufn.'''^"        '^^'^      ^"'^  ^"^^^       krankhafter;  KoprolaHe  z 


122 


Schizophrenie. 


Das  Motorische  der  Sprache  ist  gewöhnlich  intakt.  Artikulations- 
störungen im  eigenthchen  Sinne  gehören  nicht  zum  Bild  der  Schizophrenie. 
NatürHch  können  sich  aber  allgemeine  Sperrungen  auch  in  der  Sprachfunktion 
geltend  machen.  Diese  besitzt  indes  eine  gewisse  Selbständigkeit.  Ihre  Störung 
ist  oft  stärker  oder  —  noch  häufiger  —  leichter  als  die  der  übrigen  MotiUtät, 
die  Sprache  kann  auch  ganz  allein  normal  bleiben  oder  allein  gehemmt  respektive 
gesperrt  sein. 

Das  Formelle  der  Ausdrucks  weise  kann  alle  denkbaren  Abnormitäten 
zeigen,  aber  auch  vollständig  korrekt  sein.  Bei  intelhgenten  Leuten  finden  wir 
oft  eine  ganz  bestechende  Eedeweise.  Es  begegnet  mir  dann  und  wann  in  einer 
khnischen  Vorstellung,  daß  ich  nicht  alle  Zuhörer  von  der  Krankhaftigkeit 
einer  schwer  schizophrenen  Logik  zu  überzeugen  vermag.  So  bei  einem  katato- 
nischen Polytechniker,  der  sich  hatte  füttern  lassen  und  die  Nahrungsverweigerung 
in  ausgezeichneter  Rede  damit  begründete,  daß  er  gesehen  habe,  wie  ein  Nachbar 
sich  bei  der  Fütterung  so  dumm  benommen  habe,  daß  man  die  Krankheit 
gleich  erkennen  mußte;  er  aber  habe  uns  durch  sein  normales  Benehmen  bei 
der  Fütterung  den  Beweis  der  geistigen  Gesundheit  geben  wollen. 

Der  Tonfall  hat  oft  etwas  Besonderes,  namenthch  fehlen  manchmal  die 
Modulationen,  oder  sie  sind  übertrieben  oder  am  falschen  Ort.  Die  Sprache 
ist  oft  abnorm  laut,  abnorm  leise,  zu  schnell,  zu  langsam ;  der  eine  redet  durch 
die  Fistel,  der  andere  murmelt,  der  dritte  brummt  oder  grunzt  beim  Sprechen; 
eine  Katatonika  spricht  bei  der  Inspiration  wie  bei  der  Exspiration ;  eine  andere 
intoniert  gar  nicht.  Manchmal  wechselt  die  Stimme  mit  dem  Ideenkreis,  die 
Patienten  reden  mit  den  Halluzinationen  in  ganz  anderem  Ton  als  mit  wirklichen 
Menschen ;  mit  denen,  die  sie  zu  ihren  Verfolgern  zählen,  anders  als  mit  anderen 
Leuten.  Sie  denken  sich  in  verschiedene  Personen  hinein  und  benutzen  dem- 
entsprechend verschiedene  Tonlagen.  Eine  unserer  Kranken  sprach  mit  der 
Stimme  ihres  Kindes,  das  durch  ihren  Mund  hinauswollte.  Wenn  bei  den  ver- 
schiedenen Arten  des  automatischen  Sprechens  bestimmte  Personen  durch  die 
Kranken  reden,  so  hat  manchmal  jede  derselben  eine  besondere  Stimme  und 
eine  besondere  Sprechweise  überhaupt.  Auch  nach  den  Komplexen  wird  die 
Sprache  gewechselt;  eine  Katatonika  sprach  für  gewöhnhch  in  nicht  auffallendem 
Zürichdeutsch;  über  ihre  Kranldieit  immer  im  St.  Galler  Dialekt;  wenn  von 
ihrem  Mann  die  Rede  war,  in  schnodderigen  Ausdrücken  und  Flüchen;  bei  dem 
Thema  „Amerika"  (das  mit  ihren  Aspirationen  in  Verbindung  war)  gebildet, 
nett.  Der  beständige  Gebrauch  von  Diminutiven  und  andere  Anomahen  treten 
im  Sprechen  wie  im  Schreiben  oft  nur  an  Komplexstellen  auf.  Ein  Hebephrene 
schreibt  und  spricht  an  irrelevanten  Stellen  normal,  an  Komplexstellen  wird 
er  ganz  vag  in  seinen  Ausdrücken,  schwer  verständhch,  fängt  an  zu  stottern, 
mit  den  Lippen  zu  zittern.  Eine  Katatonika  bildete  Neologismen  nur,  wenn 
sie  gerade  aus  äußeren  oder  inneren  Gründen  erregt  war. 

Entsprechend  der  Affektlosigkeit  auf  der  einen  Seite  und  der  Neigung 
zu  übertriebener  Mimik  auf  der  andern  hat  auch  die  Sprache  bald  zu  wenig, 
bald  zu  viel  Ausdruck.  Sie  tönt  oft  sonderbar,  dem  Inhalt  inadäquat,  die 
Kranken  können  fröhUche  Dinge  mit  traurigem  Ton  sagen  und  umgekehrt.  Ge- 
legenthch  khngt  die  Sprache  wie  abwesend,  ähnhch  den  Reden  von  Gesunden 
im  Traum. 


Akzessorische  Symptome.  Sprache  und  Schrift. 


123 


Manche  Anomalien  der  Sprache  gehören  zu  den  „Manieren"  (siehe  da- 
selbst) :  Andere  Abnormitäten  kann  man  zu  den  Stereotypien  ^  rechnen,  vor 
allem  die  Verbigeration,  ebenso  wenn  eine  Kranke  zwischen  je  zwei  Worte 
ein  gedehntes  „hüi"  einschiebt. 

Nicht  selten  bekommt  man  den  Eindruck,  daß  die  Verbindung  zwischen 
Begriff  und  sprachlichem  Ausdruck  gelockert  sei,  wobei  sehr-  auffallend  ist, 
daß  der  Grad  dieser  Störung  in  keinem  Verhältnis  zu  stehen  braucht  zu  den 
übrigen  i\^soziationslockerungen  und  namentlich  zu  dem  Stande  dessen,  was 
wir  als  Intelligenz  bezeichnen.  Es  gibt  Kranke,  die  sich  sehr  korrekt  auszu- 
drücken vermögen,  deren  intellektuelle  Fähigkeiten  aber  im  höchsten  Grad 
darniederliegen,  und  umgekehrt  wieder  solche,  die  keinen  verständlichen  Satz 
sprechen,  aber  noch  relativ  komplizierte  Arbeiten,  wie  die  Verteilung  der  Wäsche 
auf  einer  Abteilung  tadellos  besorgen.  Sprachverwirrtheit  ist  also  auch  bei  der 
Schizophrenie  von  der  Begriffsverwirrtheit  zu  trennen,  wenn  auch  manchmal 
beides  zusammen  angetroffen  wird.  Bemerkenswert  sind  namentlich  die  nicht 
so  seltenen  Fälle,  wo  Kranke  sich  nur  schriftlich  oder  nur  mündlich  klar  aus- 
drücken, während  sie  in  der  andern  Form  verwirrtes  Zeug  produzieren.  Einer 
miserer  Hebephrenen,  mit  dem  man  sich  seit  Jahren  mündlich  nur  in  einfachsten 
Dingen  verständigen  konnte,  schrieb  noch  immer  korrekte  Briefe.  In  solchen 
Fällen  handelt  es  sich  Avohl  nicht  bloß  um  ein  ,, Sichgehenlassen"  und  „Zu- 
sammennehmen" bei  bestimmten  Anlässen,  sondern  um  eine  verschiedene 
Einstellung  je  nach  den  Umständen. 

Der  Satz  v.  Kraf  f  t-Ebings,  daß  die  AVorte  ihren  Sinn  verlieren,  bis  nur 
noch  Ketten  von  Worthülsen  übrig  bleiben,  hat  nur  für  die  verbigerationsartigen 
Sprachäußerungen  Gültigkeit.  Die  auffallenden  Worte  sind  bei  unseren  Kranken 
gar  nicht  leere  Hülsen,  sondern  Hülsen,  die  einen  andern  Inhalt  bergen  als 
sonst.  Foreis  Patientin  beschreibt  das  Phänomen  sehr  gut: 

Manche  Worte  gebrauchte  ich  .  .  .  um  einen  ganz  andern  Begriff  auszudrücken, 
als  denjenigen,  den  sie  eigentlich  bezeichnen  ....  so  auch  „räudig",  das  ich  ganz 
gemütlich  für  „wacker"  brauchte  ....  Fand  ich  für  die  rasch  sich  drängenden 
Ideen  nicht  gleich  das  passende  Wort,  so  machte  ich  ihnen  in  selbstgeschaffenen 
Luft  .  .  .  .  z.  B.  „Wuttas"  für  „Tauben". 

Nach  den  bis  jetzt  bekannten  Gesichtspunkten  sind  die  Sprachfehler  der 
Schizopluenie  nicht  von  denen  des  Traumes  zu  unterscheiden.  Leider  läßt  sich 
aber  die  grundlegende  Arbeit  Kraepelins  (398)  noch  nicht  ziu-  Einteilung 
verwerten,  da  die  beiden  Eeihen  der  subjektiven  Traumbeobachtung  und  der 
objektiven  Schizophrenie-Erfahrungen  noch  viel  zu  lückenhaft  sind,  als 
daß  sie  sich  ganz  decken  könnten.  Ich  kann  im  folgenden  nur-  einige  Gesichts- 
punkte mitteilen,  die  sich  aus  den  Beobachtungen  von  schizophrenen  Sprach- 
störungen ergeben. 


e- 
der 


Zum  größten  Teil  werden  Worte  gebraucht,  die  einen  Begriff  bezeichnen  der 
üem  gewollten  ähnlich  ist,  oder  irgendwie  gleiche  Bestandteile  oder  gleiche  B 
dingungen  hat  Un  buffet"  für  „eine  Stockuhr"  ist  leicht  verständlich  wegen  de 
<iußeren  Ahn  ichkeit  der  beiden  Möbel;  „une  hem:e"  wegen  der  Bezieimng  der  Stock 
Uhr  zu  den  Stunden  (Masseion);  ebenso  begreifen  wir,  daß  statt  „Stärke"  „Erd- 
apfel   gesagt  werden  kamx  (nachdem  vorher  von  Äpfeln  gesprochen  worden  ! 

Viel  wird  die  Redefigur  der  pars  pro  toto  mißbraucht,  und  zwar  oft  so,  daß 


124 


Schizophrenie. 


ein  unwesentlicher  Teil  des  zu  bezeichnenden  Begriffes  hervorgehoben  wird,  so  wenn 
ein  Schuh  genannt  wird  „une  fagon,  9a  sert  a  valser"  (Masseion).  Verständlicher 
ist  es,  wenn  ein  Patient  statt  der  Entlassung  „Arbeitsveränderung"  verlangt,  wenn 
ein  anderer  alle  seine  Verfolger  und  Verfolgungen  „Gebilde"  nennt,  obschon  beide 
nicht  nur  als  Visionen  erscheinen.  Sehr  bezeichnend  für  die  weitgehende  Störung 
der  Schizophrenie  ist  „das  Kindersystem  des  Wärters",  womit  Patient  sagen  wollte, 
daß  der  Wärter  nicht  zu  seiner  Verfügung  war,  als  er  ihn  brauchte,  und  daß  derselbe 
dafür  Bettunterlagen  besorgte,  um  anzudeuten,  daß  Patient  so  unrein  sei  wie  ein 
kleines  Kind.  Auch  zwei  Dinge,  die  unter  einem  gemeinsamen  Oberbegriff  sub- 
sumiert werden  können,  Koordinationen,  verwechseln  ihre  Bezeichnungen,  nament- 
lich wenn  es  sich  um  Abstrakta  handelt;  so  wenn  der  Kranke  ,,an  Notzucht 
leidet",  während  doch  die  Einsperrung  in  die  Anstalt  eine  ganz  andere  Art  von  Ver- 
gewaltigvmg  ist. 

In  weitgehendem  Maße  wird  die  uneigentliche  Eedefigur  angewandt,  vor  allem 
der  Ausdruck  ,, morden",  der  für  alle,  möglichen  Formen  von  Quälereien  und  in  den 
verschiedensten  Zusammensetzungen  wiederkehrt.  Es  wird  aber  in  vielen  Fällen 
deutlich,  daß  die  Patienten  hier  oft  vergessen,  daß  sie  eine  Redefigur  brauchen:  der 
Begriff  ihres  „Gequältwerdens"  ist  ihnen  ein  so  starker,  daß  sie  ihn  nur  mit  jenem 
Worte  bezeichnen  können,  und  daß  sie  in  gewissen  Zusammenhängen  wirklich  glauben, 
gemordet  worden  zu  sein.  Natürlich  werden  die  verstärkenden  Ausdrücke  bei  An- 
klagen bevorzugt,  die  abschwächenden  bei  der  Verteidigung.  —  Redeweisen  wie 
,,Ich  bin  die  Geduld  Christi  gewesen"  haben,  so  unsinnig  sie  hier  erscheinen,  ihre 
normalen  Analoga  z.  B.  in:  ,,Ich  bin  die  Wahrheit  und  das  Leben." 

Oft  ist  die  Begriffsähnlichkeit,  die  zu  Wortverwechslungen  führt,  eine  sehr 
geringe  und  setzt  geradezu  Gedankengänge  voraus,  die  gar  nicht  zu  dem  bezeichneten 
Begriff  gehören:  eine  Kranke  ,,hat  eine  Filiale  vom  Herrgott",  d.  h.  sie  hat  das 
Recht,  Geld  zu  machen.  Ebenso  abgelegen  ist  der  Vergleich,  wenn  eine  Kranke 
sich  beklagt,  keinen  „Absatz"  zu  haben,  indem  sie  die  Betätigung  in  der  Liebe  mit 
der  in  einem  Verkaufsgeschäft  identifiziert. 

Wo  die  Ähnlichkeit  etwas  größer  ist,  kommen,  wenn  auch  gewagte,  so  doch 
auch  dem  Normalen  verständliche  Bilder  zum  Vorschein,  wie  „geimpft  werden  mit 
Besteigung"  von  einer  Frau,  und  „heilige  Impfungen  vornehmen"  bei  einem  Manne 
für  Koitieren,  oder  „wer  hat  mir  den  tiefen  Haß  eingehämmert?"  und  „der  Herr 
S.  ist  in  den  Redensarten  spaziert",  d.  h.  man  hat  auf  S.  hingedeutet.  Ganz  gesucht 
erscheint  der  Ausdruck:  „Dann  sind  wir  längst  Gäste  des  Krematoriums"  (d.  h.  tot). 

Unter  Umständen  betrifft  die  Ähnlichkeit  gar  nicht  die  Begriffe,  sondern  die 
Worte,  imd  dann  kann  es  auch  zu  faden  Wortspielen  kommen^  so  wenn  ein  Kranker 
,, unter  Bürgern"  ist  und  damit  meint,  im  Burghölzli  zu  sein. 

Berühmt  sind  die  Wortneubildungen  der  Schizophrenie,  die  zum  Teil 
zwar  verständlich,  aber  selten  ganz  nach  den  gewöhnlichen  Sprachregeln  ge- 
bildet werden: 

„Wahrlügereien"  —  Lügen,  die  man  für  wahr  ausgibt,  ein  Pleonasmus;  eine 
Kranke  „schreibt  die  Geborenheit  Luise  Müller;  sie  war  damals  Müllersweiso",  d.  h, 
sie  hieß  mit  ihrem  Mädchennamen  Müller.  Eine  andere  Kranke  ist  „bcmillionart  , 
d.  h.  sie  hat  Millionen  bekommen;  eine  dritte  wird  „vom  Winter  m  ihre  Stublichkeit 
eingeschlossen".  Ein  Paranoider  ist  „erhabrechtlich"  eingesperrt,  d.  h.  der,  der  ihn 
eingesperrt  hat,  sagt,  er  habe  recht.  -  Der  Neubildung  liegt  etwa  eine  Onomatopoie 
zugrunde:  eine  Hebephrene  hat  „Orkäne"  im  Hals,  d.  h.  sie  muß  sich  räuspern, 
daß  es  ähnlich  tönt  wie  dieses  Wort. 

Eine  Menge  von  Neologismen  mußten  von  den  Kranken  geschaffen  werden  zur 
Bezeichnung  neuer  Begriffe,   für  die  eben  unsere  Sprache  nicht  emgerichtet  ist. 


Akzessorische  Symptome.  Sprache  und  Schrift. 


125 


Namentlich  die  Verfolgungen,  die  Halluzinationen  und  was  alles  damit  zusammen- 
hängt, müssen  von  den  Kranken,  die  sich  ja  immer  damit  beschäftigen,  mit  einem 
Worte  bezeichnet  werden  können.  So  heißt  „Durchschnauzen"  durch  die  Wände 
hindurchreden;  eine  Patientin  Jungs  nannte  ihre  Neologismen  „Machtwörter"; 
sie  sprach  von  „Doppelpolytechnikum",  was  ihr  der  Inbegriff  aller  ihrer  Geschick- 
lichkeiten und  der  dazu  gehörenden  Belohnungen  war^).  Eine  Patientin  spuckt 
„Käfig- Wetter-Brühe"  auf  den  Boden,  d.  h.  sie  muß  so  viel  spucken,  weil  sie  Käfig- 
wetter hat,  eingesperrt  ist.  —  Die  Schwester  einer  Ärztin  dehnt  den  Begriff  der 
Kollegialität  durch  verwandtschaftliche  Verhältnisse  aus:  „sie  ist  mit  den  Ärzten 
kollegial  durch  ihre  Schwester".  Die  Redensart:  „der  Prinz  von  England  ist  im 
heutigen  Ich  des  Oheims",  drückt  den  für  Gesunde  unmöglichen  Gedanken  aus 
daß  der  Oheim  in  den  Prinzen  von  England  verwandelt  worden  sei  (,,er  ist  nicht 
Prinz  von  England  geworden,  sondern  er  hat  wirklich  die  Person  des  Prinzen 
bekommen"). 

Neue  Ausdrücke  werden  auch  geschaffen  durch  Verdichtung.  Man  muß 
aber  unterscheiden  zwischen  begrifflicher  Verdichtung,  die  mehrere  Begriffe 
in  einen  verschmilzt  und  durch  ein  Wort  ausdrückt,  und  sprachlicher  Verdichtung, 
die  verschiedene  Ausdrücke  zusammenwirft,  sei  es,  daß  diese  Worte  den  gleichen 
Begriff  bezeichnen,  oder  daß  der  Kombination  der  Worte  auch  eine  Kombination 
von  Begriffen  entspricht. 

Die  Zusammenziehung  verschiedener  Wörter,  die  den  gleichen  Begriff  be- 
zeichnen, kommt  schon  beim  Versprechen  des  Gesunden  häufig  vor;  so  könnte  das 
katatonische  „händeklar"  (aus:  „es  Hegt  auf  der  Hand"  und  „es  ist  sonnenklar") 
auch  einem  Gesiinden  entwischt  sein.  Dem  Satz  „ich  hoffe,  daß  ich  ^vieder  auf  einen 
bürgerlichen  Ernährungszweig  komme",  hegen  die  Ideen  zugrunde,  daß  Patient  in 
gewöhnhchen  bürgerlichen  Verhältnissen  draußen  leben,  daß  er  sich  selber  ernähren 
und  auf  einen  grünen  Zweig  kommen  möchte.  Das  an  sich  nicht  verfänghche  Wort 
Zähringer  („ich  bin  Zähringer")  bedeutet  zäh  =  gesund,  kräftig,  und  zugleich  eine 
Wohnung  im  Zähringerquartier.  In  dem  Worte  „Beschwerung",  das  zwei  Kranke 
unabhängig  voneinander  zur  Bezeichnung  der  Verfolgung  brauchten,  hegt  sowohl 
das  Zauberische  (Beschwörung)  als  das  Unangenehme,  schwer  zu  Tragende^). 

Eine  besondere  Konfusion  wird  in  die  Sprache  gebracht  dadurch,  daß 
auch  bei  den  Begriff  richtig  bezeichnenden  Worten  die  Satzform  falsche  Be- 
ziehungen ausdrückt,  oder  daß  bei  Neubildungen  und  ungewöhnlichen  An- 
wendungen von  einzelnen  Wörtern  der  Stamm  zwar  richtig  gewählt  wird,  aber 
die  Suffixe  oder  Zusammensetzungen  falsche  Beziehungen  hineinbringen.  Meine 
Beobachtungen  erlauben  nun  nicht,  mit  Kraepelin  akataphasische  und 
agrammatische  Störungen  auseinanderzuhalten;  ich  möchte  vorläufig  mit  dem 
Namen  des  Paragrammatismus  alle  diese  Fehler  gegen  die  Grammatik 
bezeichnen. 

Auf  abnorme  Weise,  aber  nicht  falsch,  wird  ein  Gedanke  ausgedrückt  in  es 
ist  bei  mir  kein  Vorhandensein  von  Abwesenheit  im  Geist".  Falsche  Wortbüdung 

.11  1    '^r?  Neologismen  bezeichnen  also  eine  komplizierte  Idee,  manche  soear 

aUe  krankhaften  Erlebnisse  während  langer  Zeit.  Man  hat  sie  deshalb  auch  E  Ii  pse  n  genam' 
und  als  cm  Zeichen  einer  schon  lange  dauernden  Krankheit  angesehen.  zteLsirmm 

'^"^^^   ^^^'''^  -1^^'  Wörter":::;:  tz:^ 

ein  häuiigt  'pt;;;';';^"^«^^-'^         Verdichtungen,  namentlich  in  bildlichen  Redensarten, 


126 


Schizophrenie. 


hegt  dem  Ausdruck  zugrunde  „ich  war  schon  als  Kind  ein  Appartement"  (etwas 
appartes).  Ebenso  „ich  bin  erbschaftlich  auf  drei  Millionen"  (habe  drei  Millionen 
geerbt).  Eine  Patientin,  die  „katholisch  insinuante  Schmerzen"  hat,  will  sagen, 
daß  die  katholischen  Wärterinnen  ihr  Schmerzen  machen.  Der  Verfolger  eines 
Patienten  „leidet  an  Verfolgungswahn",  wobei  das  Wort  in  aktiver  statt  der  ge- 
wöhnlichen passiven  Bedeutung  gefaßt  ist.  Der  Patient  der  ,,bis  zur  Zeit  eines 
findigen  Erwerbes  auf  Staatswohltat  angewiesen  ist,"  wendet  das  Verbaladiektiv 
falsch  an;  die  Katatonika,  „der  der  Bodensee  gehört",  drückt  durch  , »gehören" 
falsch  aus,  daß  sie  sich  im  Bodensee  ertränken  sollte. 

In  ähnlicher  Weise  wie  in  dem  letzten  Beispiel  das  „gehören",  wird  namentlich 
die  Kopula  mißbraucht:  „ich  bin  England"  heißt  „England  gehört  mir";  „ich 
bin  die  Sonne"  ist  gleichbedeutend  mit:  „ich  bin  Herr  und  Schöpfer  der  Sonne" 
usw.  In  all  diesen  Beispielen  ist  aber  gewiß  der  zugrunde  liegende  Gedanke  nicht 
so  klar  abgegrenzt,  wie  wenn  der  Gesunde  ihn  denkt. 

Wie  die  Verknüpfung  der  Ideen  unter  sich,  so  kann  auch  die  Verbindung 
von  Begriff  und  Wort  eine  ganz  zufällige  sein  und  dann  festgehalten  werden. 
Ein  Paranoider  benutzte  fast  jedes  Fremdwort,  das  er  hörte,  dazu,  um  seine 
Verfolgungsideen  oder  einen  Teil  derselben  zu  bezeichnen:  ,,er  wurde  auf  dem 
Dossierwege",  verfolgt,  „auf  dem  Kosmus  weg"  machte  man  ihm  Schmerzen  an 
den  Genitalien.  In  solchen  FäUen  meinen  die  Kranken  wirldich,  ihre  Ideen  richtig 
und  für  andere  Leute  verständlich  bezeichnet  zu  haben. 

Meistens  kommen  in  den  laankhaften  Ausdrucksweisen  verschiedene 
Fehler  gehäuft  vor. 

„Ich  wünsche  keine  Türkei"  heißt:  ,,ich  will  nicht  Ihre  Haremsdame,  Ihre 
Hure  sein,  Sie  Polygamist";  es  handelt  sich  um  eine  Verschiebung  der  Bedeutung 
des  Wortes  Türkei"  und  zugleich  um  eine  Verdichtimg  zweier  Begriffe.  ,,FreundUche 
Beziehungen  an  solche,  die  sich  angehören"  als  Schluß  eines  Briefes  ist  ebenfalls 
durch  Paragrammatismus  und  Verdichtung  verschiedener  an  solcher  Stelle  geläufiger 
Ideen  entstanden.  Der  Onanist,  der  sich  „Schwanzmörder"  nennt,  braucht 
,, Mörder"  im  Sinne  von  „Sünder"  und  „Verderber"  und  macht  erst  noch  eine 
paragrammatische  Zusammensetzung.  Der  „abgebläuten"  Kranken  ist  ein  Brief 
mit  dem  Blaustiftvermerk  „unbestellbar"  zurückgekommen:  die  Neubildung  ist 
eine  ganz  paragrammatische.  Die  an  Neuralgien  leidende  Paranoide,  die  Asien, 
Afrika  und  Algier  hat,  setzt  ein  Wort  für  ein  klangähnliches  ein  mid  assoziiert 
erst  noch  im  Sinne  des  ersteren  Wortes  weiter.  Neue  Gedanken,  neue  Ausdrucks- 
weise und  Abkürzungen  benutzt  der  von  Riklini)  analysierte  Kranke,  der  folgender- 
maßen spricht  und  schreibt: 

Centralleuropa  undt  Centraleuropaaera  Nr.  3258  Eernst  Gisler  Trauungg  auch 
dder  Schlüsel  ddurch  Herr  Pfarrer  Dr.  Studer  Kaiser  DDes  Titt.  Standdenbank 
pprr  p  96  oder  Postbrief  3  wäa  Kaiserlichen  undt  Königlichen  auch  Kaiserlich 
Könielichen  Gewerbes  Titt,  Rheinau.  Mo  work  Badd  ggut  Herr  dr.  hc.  _ 
Bern'  27/7  DD  kurz  ^o/^  3/^  Aa  1906  Datum.  Sssie  Zahlen  geegen  Voorweisen 
eeines  Billetes  Frkn  Achttausendt  in  Banknotenn  auch  Titt.  Berner  Kantonalbank 
in  Bern  oder  B  K  B.  Frkn  8000  baar  Bestände  ä  Zehn  Prozente  Frkn  8.800  ledden- 
fals  Frkn  800  maal  Zehn  ä  Eeilf :  Titte.  Regierungs  kanzllei  Aaltdorf  weegen  Schaden- 
ersatze ddurch  Herrn  aalt  Missionar  u  Gasthhof  Inhabber  Dr  Christaller  im  Bellevue 
Andter  madtim  Paag  Frkn  e  zwölff  Halbocktav  Reiswerk  Reiswerk  =  Proces  ^  erba 
qa  29/3  Ao  1889  Zeitungsdatumm  dden  Nneuen  Z  Zürcher  Zeitungg.  Soll  J^orel 

1)  Noch  nicht  publiziert. 


Akzessorische  Symptome.  Sprache  und  Schrift. 


127 


Steinheil  Guggenbuel  330  Frkn  b  =  uiidt  Frkn  Haf  Dho  Grob  st  15  auch  addirfc 
nach  139  Wartjahren  an  Herr  Oberwärter  u.  Minister  dr  hc  Vegetarianer  Steeiger 
Bro  " 

Was  die  Verdoppelung  vieler  Buchstaben  bedeutet,  wissen  wir  noch  nicht. 
Patient  bleibt  sich  aber  auch  hierin  seit  Jahren  konsequent.  Er  ist  Kaiser  von 
Zentraleuropa  geworden  und  zählt  von  da  an  die  Ära.  3251  ist  seine  Aufnahmsnummer 
in  Rheinau,  die  letzte  Stelle  verändert  er  in  eine  8,  weil  die  Zahl  sonst  nicht  in  sein 
System  paßt,  in  dem  die  8  (Zentraleuropa  hat  8  Staaten)  eine  Rolle  spielt.  E.  ist 
sein  Name;  Gisler  ist  der  Name  seiner  eingebildeten  Geliebten,  mit  der  er  in  seinen 
Delirien  getraut  worden  ist,  was  durch  das  Wort  „Trauung"  angedeutet  ist.  „Auch 
die  Schlüssel  sind  ihm  getraut",  d.  h.  er  sollte  sie  bekommen.  Pfarrer  St.,  den  er 
zum  Doktor  ernennt,  war  damals  Anstaltsgeistlicher.  „Kaiser  der  tit.  Standenbank" 
ist  ein  weiterer  Titel  des  Patienten.  „Des"  steht  für  „der",  indem  er  den  letzten 
Buchstaben  durch  den  im  Alphabet  folgenden  ersetzt.  „Standenbank"  ist  die  vom 
Patienten  angenommene  Bank,  der  er  Aufträge  zur  Zahlung  kleinerer  Bedürfnisse 
(wie  man  sie  an  einem  Jahrmarktsstand  kaufen  kann)  erteilt,  „pprr"  =  per  = 
durch.  „pqb"=  Postquittungsbuch."  „3  Vvvia"  =  dreifach  (auf  3  Wegen).  „Mo 
work"  =  Montag,  Werktag.  „Badd  ggut"  =  nach  Genuß  eines  angenehmen  Bades. 

—  (Jas  Datum,  an  welchem  Patient  den  dritten  August  schreibt.  ,,Herr  Dr. 
h  c  30"  =  der  Tag,  an  welchem  der  Herr  Dr.  hon.  causa  (=  der  Wärter)  den  30.  Juli 
schreibt.  ,,Bern  j.^^^  =  Datum,  an  welchem  Bern  den  27.  Juli  schreibt.  ,,DD  -^^/^  = 
das  Durchschnittsdatum  (nach  einer  eigentümlichen  Berechnung  des  Pat.)  „kurz 
30.  Juli/  3  August"  faßt  die  Datumbezeichnungen  der  verschiedenen  Zählarten 
kurz  zusammen.  B  K  B  ist  wieder  Berner  Kantonalbank.  In  Andermatt  ist  Pat. 
abgefaßt  worden,  deshalb  haftet  die  Regierungskanzlei  Altorf  für  seine  Schaden- 
ersatzansprüche, ebenso  der  Inhaber  des  Hotels.  0=3  (sc.  Billionen,  die  er  als 
Entschädigung  verlangt).  Halboktav  ist  das  Klosettpapier,  auf  das  er  zu  schreiben 
pflegt,  und  das  er  nicht  in  den  gewünschten  großen  Quantitäten  bekommen  kann. 
,, Reiswerk"  ist  das  Befreiungswerk,  daß  man  reisen  kann.  „Proces  Verbal  qa 
Ao  1889"  =  gleich  wie  es  in  einer  Eingabe  (proces  verbal)  des  Patienten  über  diesen 
Gegenstand  (qa  =  qua  =  diesen  Gegenstand  betreffend)  ausgeführt  ist.  Dieser 
Proces  verbal  wurde  eingeschickt  an  dem  Tage,  an  dem  die  Neue  Zürcher  Zeitung 
das  vorgesetzte  Datum  trug.  Anstaltsdirektor  Forel,  der  mit  einem  früheren  Be- 
kannten des  Patienten,  Guggenbühl,  verdichtet  wird,  schuldet  ihm  330  Millionen 
(b)  Franken,  dazu  („auch  addiert")  816  (haf),  480  (Dho),  730  (Gco)  Mülionen. 
„st"  =  15  Ziffern  (also  816  480  730  000  000  fr).  „139  Wartjahre"  die  Zahl  ist 
nicht  ganz  klar.  Den  Oberwärter  hat  er  zum  Minister  und  Dr.  hon.  causa  gemacht. 
Er  ist  Vegetarier,  wie  alle  guten  Ärzte  (Patient  hat  sexuelle  Abneigung  gegen  Fleisch). 
Femer  verdichtet  er  ihn  mit  einem  Mann  namens  Steiger.  Br.  .  .  ist  der  Name 
des  Oberwärters. 

Das  Schriftstück  will  also  sagen: 

„Wir  Kaiser  von  Zentraleuropa,  E.  .  .,  Nr.  3251,  geträurmit  Frl.  Gisler  (wobei 
zugleich  das  Recht  auf  Freiheit  gewährleistet  wurde),  Inhaber  und  Herrscher  über 
die  Bank,  durch  welche  wir  mittels  Postanweisungen  unsere  Bedürfnisse  erhalten 
und  des  Gewerbes  in  Rheinau,  erlassen  folgenden  Befehl:  Sie  oder  die  Berner  Kan- 
tonalbank zahlen  gegen  Vorweisen  eines  Billetts  Fr.  8000  in  bar  mit  10°/  auf 
Rechnung  der  (oder:  „gut  muß  stehen  die")  Regierimgskanzlei  Altorf,  dTe  mir 
Schadenersatz  schuldig  ist  aus  dem  Benehmen  des  Hotelbesitzers  Christeller  zum 
Bellevue  in  Andermatt,  jeden  Tag  3  Billionen,  und  zwölf  Blätter  Klosettpapier  und 
die  Freiheit,  wie  wir  es  in  der  Eingabe  gesagt,  an  dem  Tag,  da  die  Neue  Zürcher 
Zeitung  das  Datum  29.  September  1889  trug.  Auch  Forel  schuldet  uns  330  Millione!> 


128 


Schizophrenie. 


Franken,  und  dazu  816  480  730  000  000  Franken.  Zu  zahlen  an  den  Oberwärter 
der  Anstalt,  unsern  Minister." 

In  vielen  Fällen  lassen  sich  die  Ausdrücke  nicht  erklären,  so  wenn  eine  Kranke 
„gesiest"  und  eine  andere  „verbotanisiert."  und  eine  dritte  von  „Ellbogesleuten" 
geplagt  wird,  oder  wenn  statt  Worten  Zahlen  eingesetzt  werden  (wenn  indes  473 
heißen  soll:  „verstehen  Sie  das?"  so  sind  offenbar  die  Anfangslaute  der  Zahlen  oder 
der  Worte  das  Bindeglied). 

In  hochgradigen  Fällen  resultiert  ein  vollständiger  „Wortsalat"  der 
ganz  unverständlich  ist,  auch  wenn  er  sich  in  der  Hauptsache  aus  gebräuchlichen 
Worten  zusammensetzt;  die  grammatisch  und  inhalthch  für  uns  ganz  unbe- 
greifliche Kombination  macht  uns  den  Eindruck  einer  unbekannten  Sprache. 

Es  war  mir  bis  jetzt  unmöglich,  einen  vollen  Wortsalat  nachzustenographieren. 
In  dem  folgendem  Schreiben  ist  die  Satzform  noch  zum  größten  Teil  erhalten:  Auf 
Apell.  laut  Kirchen  Staat  hatte  das  Volk  die  Sitten  und  Gebräuche  teilweise  auf 
Glosglauben  genommen  desshalb  wollte  da  Vater  rein  f.  Neue  Situation  eingehn 
da  sie  glaubten,  der  Vater  habe  eine  BabeH  Comediation  nur  mit  Musikspiel.  Drum 
giengen  sie  auf  die  hohe  Osetion  auf  den  Kohl  von  Studer  Erde  und  anderer  Bos- 
heiten allerlei:  und  gegen  das  was  gut  ist.  Und  auf  Ihrer  umgekehrten  Osetion  Eben 
Eecht  kommen  u.  Ugauhskil  wird  dran  ist  auch  der  Vater  der  Gerecht.  (Hebe- 
phrenie.) 

Auch  für  die  ganze  Sprache  werden  oft  neue  Wörter  gebildet,  so  daß  wir 
■eine  besondere  Kunstsprache",  wie  sie  eine  unserer  Kranken  nannte,  vor 
uns  haben:  die  neuen  Wörter  lehnen  sich  etwa  noch  deuthch  an  gebräuchüche 
Ausdrücke,  an  oder  sie  sind  ganz  neu  geschaffen,  manchmal  mit  der  offensicht- 
lichen Prätention,  eine  bestimmte  Sprache  nachzuahmen.  Im  letzteren  Fall 
bezeichnen  die  Kranken  ihre  Sprache  unter  Umständen  selbst  als  Französisch 
oder  Chinesisch  usw.  Dann  und  wann  wenigstens  läßt  sich  nachweisen,  daß 
für  bestimmte  Begriffe  auch  immer  die  gleichen  Worte  gebraucht  werden ;  meist 
aber  scheint  eine  solche  ,, Kunstsprache"  ein  Augenblickskind  zu  sein,  das  im 
nächsten  Moment  durch  ein  anderes  ersetzt  wird.  Wie  ernst  die  Kranken  diese 
Sprache  nehmen,  läßt  sich  meist  nicht  feststellen;  oft  scheint  das  Gewelsche 
ihnen  mehr  die  Bedeutung  eines  Spiels  oder  einer  Mystifikation  zu  haben;  in 
einzelnen  FäUen  aber  glauben  die  Kranken  sich  richtig  auszudrücken,  sei  es. 
daß  sie  sich  vorstellen,  ihre  gewöhnhche  oder  eine  andere  bestehende  Sprache 
^zu  sprechen,  sei  es,  daß  sie  sich  der  Neuschöpfung  bewußt  sind. 

guwesim  ellsi  bäschi  was  wie  emschi  wüsel  dümte  rischi  güwe  schäme  brisell 
engwit  rühsel  schäme  bärsei  gü-we  emschi  rahsil  bügin  raschwi  emso  Gluwi  rüUsiU 
tügsee  bühsee  ralit.  schügen  wüte  büser  ....  (Hebephrenie). 

Eine  trotz  ihrer  Katatonie  noch  sehr  inteUigente  und  sich  gut  beobachtende 
Kranke  wollte  sagen:  „Geben  Sie  mir  ein  Beruhigungsmittel",  sagte  aber:  „Geben 
Sie  mir  20000"  oder  „Ich  gebe  Ihnen  20000".  Die  beiden  Satzformen  sind  ihr  m 
ihrem  Gedächtnis  identisch,  obschon  sie  nachträglich  den  Unterschied  in  normaler 
"Weise  bemerkt. 

Die  schriftlichen  Äußerungen  entsprechen  ganz  den  mündlichen, 
nur  machen  sich  einzelne  EigentümHchkeiten  hier  noch  mehr  geltend.  Die 
Patienten  schreiben  oft,  wenn  sie  nichts  zu  sagen  haben.  Man  bekommt  so  von 
gebildeten  Leuten  unter  Umständen  Erzählungen,  was  in  der  Anstalt  alles  getan 


Akzessorische  Symptome.  Sprache  und 


129 


50  Dei  einer  ivatauuinöi^uon,  

ie  möchte  ihren  Eltern  schreiben,  sie  sei  entlassungstahig. 

K.i),  den  27.  Aprü  mP). 


Liebe  Eltern 


ut  und  mich  holen  meine  Schwester  hat  für  mich  gewaschen  wir 


Die  Ziel-  und  Gedankenlosigkeit  der  Kranken  zeigt  sich  auch  in  den  vielen 
Abweichungen  von  der  ursprüngHchen  Idee,  indem  sowohl  Inhalt  wie  Wort- 
klänge auf  Nebenbahnen  führen.  Ein  Hebephrene  nennt  unter  anderen  Aus- 
kunftsstellen, bei  denen  man  sich  über  ihn  erkundigen  kann:  „meinen  Vater  mN., 
auf  dessen  Urteil  ich  aUes  gebe,  selbst  mein  Leben  gebe,  wenn  er  es  fordert". 

Inkonsequenzen,  wie  die,  daß  der  mit  „liebe  Eltern"  begonnene  Brief 
unterzeichnet  wird  „von  deiner  Schwester",  sind  bei  Schizophrenie  etwas 
Häufiges.  Briefe  an  verschiedene  Personen  werden  auf  das  gleiche  Blatt  ge- 
schrieben. Oft  werden  die  gleichen  Personen  im  nämlichen  Brief  bald  mit  „Du", 
bald  mit  „Ihr",  bald  mit  „Sie"  angeredet.  Eine  Hebephrene  endet  jeden  Brief, 
mag  er  an  welche  Personen  immer  gerichtet  sein,  mit  „freundlichen  Gruß  und 
Kuß  von  deiner  treu  hebenden  E.  F.  in  W.*) 

Trotz  der  vorhandenen  Orientierung  ist  ein  zeitlich  und  örtlich  falsches 
Datum  gar  nicht  selten.  Eine  Katatonika  fügt  in  der  Anstalt  regelmäßig  ihre 
frühere  Adresse  den  Briefen  bei,  und  das  sogar,  wenn  sie  an  ihre  Mutter  schreibt. 

Die  eigentlichen  Stilabnormitäten  sind  bei  den  Anstaltspatienten 
etwas  sehr  Gewöhnliches.  Der  Ausdruck  ist  namentUch  gerne  schwülstig,  und 
zwar  nicht  nur  an  Stellen,  die  mit  Nachdruck  oder  Gefühl  geschrieben  sein 
sollen;  ,,die  Kranken  sprechen  Trivialitäten  in  einem  hochgeschraubten  Aus- 
druck, als  ob  es  sich  um  die  höchsten  Interessen  der  Menschheit  handelte". 
Oft  sind  die  Ausdrücke  dabei  ganz  ungeschickt  gewählt,  so  daß  man  einen  früh 
reif  sein  wollenden  Schüler  zu  hören  glaubt;  dazu  gesellt  sich  eine  Vorliebe  für 
Redensarten  aller  Art,  die  dann  oft  stereotyp  an  allen  mögUchen  und  unmöglichen 
Orten  angebracht  werden.  Neben  Telegrammstil  finden  wir  bei  anderen  Kranken 
wieder  eine  Neigung  zu  endlosen  Perioden,  in  die  oft  die  verschiedensten  Ge- 
danken hineingewurstelt  werden.  Eine  Eigentümlichkeit  des  Stils  sowohl  als 
des  Denkens  ist  es,  wenn  in  Briefen  selbstverständliche  Dinge  breit  ausgeführt 

^)  Ihr  Heimatort  statt  der  Anstalt. 

recte  1906. 
')  sie! 

*)  Sie  wohnt  nicht  in  W.,  sondern  in  der  Anstalt. 


Handbuch  der  Psvchiatrie  :  Hl  euler. 


9 


130 


Schizophrenie. 


werden:  „Der  Unterzeichner  nachfolgender  Zeilen  nimmt  sich  die  Freiheit, 
Ihnen  dieselben  per  Post  unter  Kuvert  zukommen  zu  lassen. . Mehrsprachige 
Kranke  mengen  gern  verschiedene  Sprachen  durcheinander  oder  bevorzugen 
eine  Sprache,  die  ihnen  nicht  geläufig  ist. 

Die  gefühlsbetonten  Komplexe  werden  oft  indirekt  ausgedrückt:  eine 
Kranke  schreibt  lange  Briefe  angefüllt  mit  Kirchenhedern,  die  sich  alle  auf  ihren 
mit  dem  Herrgott  identifizierten  GeUebten  und  ihr  gegenseitiges  Verhältnis  be- 
ziehen. In  anderen  Fällen  drücken  sich  die  Komplexe  in  dem  gesucht  vornehmen, 
untertänigen  oder  kindhchen  Stil  oder  im  massenhaften  Gebrauch  von  Diminu- 
tiven aus. 

Es  gibt  aber  auch  Stilanomalien,  die  vorläufig  nicht  mit  den  Komplexen 
in  Verbindung  gebracht  werden  können  und  folgUch  als  pathologische  Launen 
betrachtet  werden  müssen,  so  wenn  einer  statt  anderer  Verbalformen  fast  nur 
Partizipien  mit  einem  Hilfszeitwort  bringt.  Oft  charakterisieren  auffallende 
Bilder  Stil  und  Denkweise  der  Kranken.  Eine  rmizhge  Paranoide  schreibt: 
,;Mein  Gesicht  ist  ein  ausgestoßener  Plafond  heraldisch  und  architektonisch". 
Und  wie  die  Assoziationen  inhaltlich  die  heterogensten  Gegenstände  zusammen- 
bringen, so  verknüpft  auch  die  Ausdrucksweise  in  ganz  bizarrer  Weise  Dinge, 
die  gar  nicht  oder  doch  anders  zusanam engehören:  ,,Die  körperhche  Untersuchung 
kam  mir  nicht  nur  sehr  interessant,  sondern  wirklich  himmelschreiend  vor", 
oder:  „Ich  lag  nicht  nur  der  Jagd  ob,  sondern  auch  meinem  Vater  zur  Last". 

Solche  Fehler  haben,  wie  in  diesem  Beispiel,  ihren  Ursprung  meist  in  der 
Affektlosigkeit  der  Schreiber.  Dinge,  die  affektiv  verschieden  sind,  werden  auf 
eine  Linie  gestellt.  Auch  Zusammenstellungen,  wie  die  folgende,  haben  ihren 
Hauptgrund  in  der  nämhchen  Anomahe:  „Ich  bin  10  Tage  hier,  man  will  mich 
verhungern  lassen;  ich  möchte  die  ganze  "Welt  ankotzen,  und  dort  drüben  ist 
ein  gemachtes  Bett"  oder:  „Fühle  mich  wohl  und  munter,  ist  mir  leicht  und  ver- 
spüre einen  großen  Hunger  und  Heimweh".  —  Auch  die  Form  im  engeren  Sinne 
zeigt  oft  die  Gefühllosigkeit  an.  Eine  gebildete  Tochter  schreibt  ihrer  Tante 
einen  Brief,  der  ihre  Anhänglichkeit  beweisen  soll,  aber  namenthch  durch  den 
Umstand  höchst  trocken  ausfällt,  daß  die  Kranke  die  Gefühle  in  unpersönhchen 
Sätzen  ausdrückt  („es  wird  verdankt",  „es  wird  gewünscht"). 

Sperrungen  drücken  sich  gelegentHch  aus  durch  Unterbrechung  mitten 
im  Satz,  worauf  dann  ein  neuer  Gedanke  auftritt,  oder  in  schweren  Fällen  das 
Schreiben  ganz  aufhört.  Gelegentlich  zeigt  auch  eine  Lücke  den  unterdrückten 
Gedanken  an,  so  in  dem  Briefschluß: 

Grüßt  Sie  herzHch  J  -  •  •       . . 

in  der  (große  Lücke) 

Adr.:  Anstalt.  Zürichs,  Zinmier  Nr.  2. 

Das  Äußere  der  Schriftstücke  läßt  oft  den  Schizophrenen  erkennen: 
die  Einteilung  auf  dem  Papier  ist  ganz  bizarr;  der  Band  verrät  die  wechselnden 
Launen  des  Schreibers;  bald  ist  er  breit,  bald  fehlt  er,  bald  befindet  er  sich  hnks, 
bald  rechts;  der  Brief  wird  unten  an  der  Seite  angefangen  oder  zu  oberst  un- 
mittelbar unter  dem  Papieranfang.  Namenthch  Paranoide  haben  baufig  die 
Gewohnheit,  nirgends  einen  Rand  zu  lassen,  das  Papier  voUständig  auszufüllen. 
Dagegen  schreibt  ein  Katatoniker  auf  ein  ganzes  Blatt: 


Akzessorische  Symptome.  Sprache  und  Schri 


131 


Zürich,  den  28.  Juli  04 

Mutter ! 
Schicke  Zucker 

A.i). 

Die  Schrifthnieu  gehen  oft  ganz  schief  oder  in  verschiedenen  Richtungen 
über  das  Papier;  dort  wird  ein  Quadrat  ausgefüUt,  da  eine  Kreisfläche  mit 
Worten  umschrieben;  allerlei  mehr  oder  weniger  sonderbare  Figuren  werden 
teils  mit  Schriftzügen  gebildet,  teils  hinzugezeichnet.  Das  Blatt  wird  m  ver- 
zwickt komphzierter  Weise  gefaltet,  oft  so,  daß  man  sich  verwundert,  wie  es. 
dem  Kranken  trotz  aller  scheinbaren  Regellosigkeit  noch  gehngt,  die  gewünschte- 
Form  imd  Größe  herauszubringen. 

Der  katatonen  Sonderbarkeiten  in  der  Schrift  sind  Legion.  Große  und; 
kleine  Buchstaben  werden  ohne  Regel  gebraucht,  die  Majuskeln  auch  mitten 
in  Worten;  hinter  jeden  Vokal  kommt  „etwas  wie  ein  h"  (Pfister),  Dialekt- 
ausdrücke werden  phonetisch  geschrieben,  so  daß  man  sie  nur  mit  großer  Mühe 
entziffern  kann  („Pfrau"  statt  „die  Frau"),  „Nicht  einmal"  wird  wiedergegeben; 
„nicht  1  X".  Die  Orthographie  wird  überhaupt  nach  unzähligen  Richtungen 
verändert.  Ganz  unmotiviert  bricht  eine  Patientin  ab  „S — tein";  die  Inter- 
punktion fehlt  durch  lange  Schriftstücke  vollständig ;  nach  jedem  Wort  kommt 
ein  Komma ;  die  Worte  werden  aneinander  geschrieben.  Auch  ganz  bedeutungs- 
lose Zahlen  werden  zuerst  in  Ziffern,  dann  in  Worten  ausgedrückt. 

Die  katatonen  Eigentümlichkeiten  der  Stereotypie  und  der  Manieren 
finden  in  der  Schrift  ihren  in  die  Augen  fallenden  Ausdruck ;  schriftliche  Verbi- 
geration  ist  etwas  sehr  häufiges,  und  zwar  werden  nicht  nur  Wörter  oder  Sätze, 
sondern  auch  einzelne  Buchstaben  und  namentlich  Satzzeichen  beliebig  oft 
wiederholt,  manchmal  in  ganz  besonderer  Anordnung  oder  gemischt  mit  Kreuzen, 
Kreisen,  Dreiecken  und  anderen  Figuren.  Ein  Hebephrene  schrieb  viele  Jahre 
lang  immer  die  gleichen  Reihen  von  Zahlen,  deren  Nullen  bis  ans  Ende  der  Zeile 
gingen.  Die  Manieren  zeigen  sich  in  affektierten  und  sonderbaren  Buchstaben- 
formen und  allerlei  Schnörkeln,  die  ebenfalls  Neigung  haben,  stereotyp  zu  werden. 
Einzelne  Kranke  erfinden  eine  besondere  Schrift  (Kryptographie),  die  eine 
Karikatur  bekannter  Schriften  oder  eine  ganz  freie  Erfindung  sein  kann. 

Die  Per severatio  n  beeinflußt  namenthch  in  akuten  Stadien  der  Katatonie 
(speziell  der  „Benommenheit")  nicht  so  selten  die  Schrift  mid  betrifft  sowohl 
Worte  wie  einzelne  Buchstaben,  die  an  unpassender  Stelle  sich  wieder  auf- 
drängen, („wieder  wiede"  statt  „wieder  werde");  ferner  noch  häufiger  in  den 
nämlichen  FäUen  die  Kontamination  diu-ch  spätere  Wörter  und  Buch- 
staben, die  der  Schreiber  schon  im  Sinne  hat. 

Auch  Zusammenziehungen,  wie  „icht"  statt  „ich  nicht",  sind  daselbst 
nicht  selten.  Hierzu  gehört  es  wohl  auch,  wenn  Worte  und  Buchstaben  nicht 
fertig  geschrieben  oder  ausgelassen  werden  („Wärtin";  „nih"  statt  „nicht"); 
immerhin  können  diese  Störungen  auch  andere  Ursachen  haben,  so  namentlich 
in  plötzlich  auftretenden  Sperrungen. 

Auch  das  Graphologische  im  engeren  Sinn  ist  oft  —  aber  lange  nicht'jn 
allen  Fällen  —  so  charakteristisch  für  die  Schizophrenie,  daß  man  daraus  die 

1)  Im  Original  nur  dieser  Buchstabe,  etwas  geziert. 

9* 


132 


Schizophrenie. 


Diagnose  machen  kann.  Schon  Kraepelin  (390,  II.,  564)  hat  in  katatoni- 
schen Zustanden  gefunden,  daß  die  ganze  Führung  ungleich  und  gesetzlos  ser 
auch  im  Stupor  kommen  rasche  und  sogar,  wenn  auch  seltener,  kraftvolle  Be- 
wegungen vor.  So  sehen  wir  gemischt  im  gleichen  Schriftstück  Icräftige  und 
ganz  kraftlose,  große  und  kleine  Züge,  aufrechtstehende  und  sehr  schiefe  Schrift 
fluchtige  und  sorgfältig  gezeichnete  Buchstaben;  der  gleiche  Patient  führt  — 
oft  auf  der  gleichen  Seite  —  ganz  verschiedene  Handschriften i). 

Als  Ursache  der  Änderung  läßt  sich  oft  Wechsel  des  Komplexes  im  Ideen- 
gang nachweisen.  Überhaupt  zeichnen  sich  die  Komplexstellen  bei  Schizo- 
phrenen durch  viel  markantere  Zeichen  (Unregelmäßigkeiten  aller  Art,  Ab- 
weichungen von  der  Linie  usw.)  aus  als  bei  Gesunden. 

Wenn  autistische  Katatoniker,  die  den  Zusammenhang  mit  der  Außen- 
welt ganz  verloren  haben,  zum  Schreiben  gedrängt  werden,  haben  sie  oft  zunächst 
Schwierigkeiten,  die  Feder  richtig  in  die  Hand  zu  nehmen,  dann  ist  es,  wie  wenn 
die  Feder  nicht  richtig  zeichnen  würde.  Gewöhnlich  machen  sie  dann  Züge  in 
die  Luft,  schließlich  bringen  sie  Striche  aufs  Papier,  namentlich  oft  verschlungene 
Linien  u.  dgl.  Hat  man  recht  viel  Geduld,  so  kann  man  sehen,  wie  sich  aus 
diesen  nach  und  nach  Buchstaben  entwickeln,  die  dann  zunächst  in  unverständ- 
licher Weise  zusammengesetzt  werden,  schließhch  aber  ein,  wenn  nicht  richtig, 
so  doch  verständlich  geschriebenes  Wort,  eventuell  sogar  einen  Satz  bilden. 
Man  kann  meist  nachträglich  erkennen,  daß  Elemente  des  Wortes  schon  in  dem 
zunächst  unverstandenen  Gekritzel  enthalten  waren.  Die  Schrift  entwickelt 
sich  also  in  ganz  gleicher  Weise  wie  automatisches  Schreiben,  nur  meist  rascher, 
schon  in  einer  „Sitzung".  Dafür  geht  das  Errungene  bis  zum  nächsten  Versuch 
wieder  vollständig  verloren^). 


Q  Die  körperlichen  Symptome. 

Die  Schizophrenie  hat  eine  Anzahl  körperlicher  Symptome,  die  zwar  meist 
nicht  sehr  ausgesprochen,  in  manchen  Fällen  gar  nicht  zu  finden  sind,  in  ihrer 
Gesamtheit  aber  doch  darauf  hindeuten,  daß  der  Krankheit  eine  tiefere  Altera- 
tion des  Gehirns  oder  gar  des  ganzen  Körpers  zugrunde  liegt. 

In  akuten  Zuständen  trifft  man  psychische  Symptome,  die  an  Hirndruck 
erinnern.  Auch  von  der  körperhchen  Seite  lassen  zitternde  unsichere  Bewegungen 
auf  eine  allgemeine  gröbere  Hirnstörung  schheßen.  Nach  Reichardt  kommt 
ein  im  Verhältnis  zum  Schädel  zu  großes  Hirngewicht  und  sogar  Stauungs- 
papille vor^).  Auch  die  Pupillenstörungen  müssen  hier  erwähnt  werden. 

Manchmal  gleicht  der  Zustand  des  Körpers  dem  einer  schweren  Infektion. 
NamentHch  in  akuten  Anfällen  der  Katatonie  finden  wir  oft  eine  stark  belegte 
Zunge,  Appetitlosigkeit  (auch  ohne  psychische  Abneigung  gegen  Nahrungs- 
aufnahme) und  schlechte  Assimilation  der  Nahrung.  Der  Kräfte-  und  Ernährungs- 


1)  Durch  diesen  Umstand  ist  z.  B.  die  Forschung  über  Lenzens  Gedichte  an  Frie- 
derike Brion  erschwert  worden. 

*)  In  ganz  analoger  Weise  spielen  solche  Patienten  auf  dem  Klavier  oft  zunächst  ein 
Chaos  von  Tönen,  aus  dem  sich  dann  ganz  allmählich  Melodien  herausheben. 

*)  Siehe  auch  unten,  einerseits  Tod  an  katatonischer  Hirnlähmung,  anderseits  die 
katatonische  „Benommenheit". 


Akzessorische  Symptome.  Körperliche  Symptome. 


133 


zustand  sinkt  rapid,  und  zwar  ganz  unabhängig  von  der  motorisclien  Anstrengung; 
die  Bewegungen  werden  zittrig.  Manchmal,  aber  nicht  immer,  sind  mit  solchen 
Zuständen  auch  leichte,  selten  stärkere  Temperaturerhöhungen  verbunden. 

Eeichardt  (S.  32)  hat  bei  Stuporzuständen  bis  5'Voo  Eiweiß  im  Urin 
gefimden.  Geringere  Quantitäten  haben  wir  auch  etwa  bei  verschiedenen  kata- 
tonen  Zuständen  vorübergehend  gesehen.  Ob  ein  Zusammenhang  des  Sym- 
ptoms mit  der  Psychose  existiert,  ist  noch  nicht  zu  entscheiden. 

Das  Körpergewicht  zeigt  namentlich  bei  den  akuten  Formen  häufig 
ganz  unregelmäßige  und  starke  Schwankungen,  für  die  man  keinen  Grund  kennt^). 
Es  galt  von  jeher  als  ein  schhmmes  prognostisches  Zeichen  einer  akuten  Psychose, 
wenn  ein  Kranker  anfing  stark  zuzunehmen,  ohne  daß  sein  psychischer  Zustand 
sich  besserte ;  wir  konstatieren  also  häufig  ein  auffallendes  Stärkerwerden  während 
des  Abklingens  akuter  Zustände,  und  zwar  in  einzelnen  FäUen  um  25  Kilogramm 
und  noch  mehr  über  das  Normalmaß  des  Kranken,  so  daß  es  sich  nicht  um  eine 
einfache  Ausgleichimg  des  Verlustes  durch  die  Aufregung  handeln  kann.  Ein- 
zelne bleiben  dann  lange  auf  einem  abnorm  hohen  Gewicht,  andere  gehen  in 
wenigen  Monaten  wieder  auf  die  Norm  zurück.  Ob  diese  Fälle  eine  schlimmere 
Prognose  haben  als  die  mit  unauffälligeren  Schwankungen,  bleibt  weiterer 
Forschung  vorbehalten. 

Manchmal  schwankt  das  Gewicht  zugleich  mit  dem  psychischen  Zustand, 
indem  es  namentUch  bei  Aufregungen  ab-  und  bei  Euhe  zunimmt. 

Die  meisten  Kranken  unserer  Anstalten  unterscheiden  sich  indes  in  Hin- 
sicht auf  das  Körpergewicht  nicht  bemerkbar  von  den  Gesunden;  nur  scheinen 
auch  bei  chronischen  Zuständen  die  Schwankungen  etwas  häufiger  und  größer 
als  in  der  Norm. 

Das  Körpergewicht  geht  durchaus  nicht  immer  parallel  der  Nahrungs- 
aufnahme; namenthch  in  akuten  Zuständen  kann  bei  ganz  reichlicher  oder 
doch  genügender  Aufnahme  der  Kranke  extrem  abmagern,  ja  an  Inanition 
zugrunde  gehen,  wie  Rosenfeld  (629)  beobachtet  hat.  Umgekehrt  bleiben 
manche  Kranke  trotz  ganz  geringer  Nahrungsaufnahme  sogar  bei  starker  motori- 
scher Aufregung  merkwürdig  gut  bei  Kräften.  Beim  gleichen  Patienten  kann 
sich  eine  Zeitlang  das  Körpergewicht  umgekehrt  verhalten  wie  die  Nahnmgs- 
aufnahme. 

Nicht  zu  verwechseln  mit  den  Schwankungen  im  Ernährungszustand  sind 
die  unregehnäßigen  Oszillationen  des  Körpergewichtes,  die  oft  innerhalb  eines 
oder  weniger  Tage  eintreten  und,  wie  Rosenfeld  nachgewiesen  hat,  einfach 
auf  ungleicher  Wasserretention  beruhen.  Sie  scheinen  gar  nicht  selten  zu  sein 
und  können  mehrere  Pfund  betragen. 

Appetitlosigkeit  ist  häufig  vorhanden,  in  akuten  Zuständen  oft  be- 
gleitet_  von  den  Symptomen  eines  „Magenkatarrhs"  oder  einer  gastrischen 
Intektion  (belegte  Zunge,  fauliger  Geruch,  manchmal,  aber  nicht  regelmäßig, 
leichte  Temperaturerhöhungen),  in  chronischen  mehr-  ohne  solche  Begleit- 
erscheinungen.  Abwechselnd  mit  der  Anorexie  oder  auch  aUein  kann  Heiß- 

.o  ^..i?       ^bnahme  des  Körpergewichtes  „im  Anfang  der  Ki-ankJieit"  ist  wenigstens 
dSr  KraSei?^^^^^^  '''^  ^^^^^'^en  kommen,  für  den  Anfang 


134. 


Schizophrenie. 


hunger  vorkommen,  bald  in  Anfällen,  bald  als  chronischer  Zustand.  Solche 
Vielesser  erreichen  nur  selten  ein  entsprechendes  Körpergewicht. 

Über  die  Absonderung  der  Verdauungssäfte  wissen  wir  noch  recht 
wenig.  Unzweifelhaft  ist  die  Tätigkeit  der  Drüsen  des  Magendarmkanals  meist 
nicht  gestört.  Doch  gibt  es  Ausnahmen.  So  finden  wir  dann  und  wann  Ptyalis- 
mus,  und  zwar  gelegenthch  ganz  hochgradigen;  ich  habe  in  einem  Fall  im  Laufe 
von  je  einem  Tage  mehrfach  bis  drei  Liter  herausgegebenen  Speichels  gemessen, 
und  das  dauerte  monatelang  und  wiederholte  sich  nach  einigen  Jahren^).  Ein- 
zelne Kranke  klagen  auch  über  Trockenheit  im  Munde,  die  in  der  Regel  nach 
Wochen  oder  Monaten  wieder  vergeht. 

Nach  Leub uscher  und  Ziehen  soll  bei  Katatonie  und  Stupor  Neigung  zu 
Hyperchlorhydrie,  bei  erworbenem  Schwachsinn  Tendenz  zu  Hypochlorhydrie  und  bei 
akuten  paranoiden  Zuständen  normale  Azidität  bestehen.  Wir  haben  noch  keinen 
Grund,  aus  diesen  Angaben,  die  wohl  der  Nachuntersuchung  bedürfen,  den  Schluß 
zu  ziehen,  daß  die  genannten  Krankheitserscheinungen  prinzipiell  verschieden  seien 
(vgl.  auch  Mayr,  460). 

Wie  bei  anderen  Psychosen  ist  dieNahrungsauf  nähme  sowie  dieTätig- 
keit  des  Darmes  auch  bei  der  Schizophrenie  im  höchsten  Grad  abhängig  von 
psychischen  Faktoren;  Vergiftungswahn,  Negativismus,  Autismus,  Aufregung 
usw.  verhindern  oder  erschweren  die  Nahrungsaufnahme  vielfach,  die  indes 
bei  der  Wandelbarkeit  dieser  Zustände  zwischendurch  wieder  bis  zur  Bulimie 
sich  steigern  kann.  Bei  keiner  Geisteskrankheit  kommt  volle  Nahrungs- 
verweigerung so  häufig  und  so  andauernd  vor,  wie  bei  der  Schizophrenie. 
Namentlich  bei  katatonischen  Zuständen  höheren  Grades  ist  mehr  oder  weniger 
konsequente  Abstinenz  die  Regel.  Eine  unserer  Kranken  konnte  16  Jahre  lang, 
d.  h.  bis  zu  ihrem  Tode,  nur  mit  der  Sonde  ernährt  werden. 

Darmtätigkeit.  Manche  Kranke  scheinen  den  Stuhl  absichtlich  zm-ück- 
zuhalten,  aus  den  verschiedensten  Gründen.  Andere  wieder  entleeren  den 
Darm  viel  mehr  als  nötig,  teils  weil  sie  das  Material  zum  Schmieren  brauchen, 
teils  infolge  von  Wahnideen,  teils  aus  uns  noch  unbekannten  Gründen.  Eine 
primäre  Atonie  des  Darmes  scheint  aber  namentlich  bei  katatonen  Zuständen 
wirklich  vorzukommen. 

Masseion  (S.  81)  erwähnt  unter  den  schizophrenen  Symptomen  den  Mery- 
zismus,  der  aber  auch  eine  mehr  zufälUge  Begleiterscheinung  sein  kann. 

Mehr  Untersuchungen  sind  gemacht  worden  über  den  Stoffwechsel,  soweit 
er  sich  in  der  Zusammensetzmig  des  Harns  ergibt;  zu  einem  faßbaren  Resultat 
haben  sie  aber  noch  nicht  geführt.  Es  scheint,  daß  in  den  chronischen  Zuständen 
der  Harn  im  großen  und  ganzen  nicht  abnorm  sei.  Während  der  akuten  Zustande 
und  der  Schübe  der  Krankheit  muß  seine  Zusammensetzimg  natürUch  m  weiten 
Grenzen  schwanken,  schon  wegen  der  unregelmäßigen  Nahrungsaufnahme  und 
Kraftausgabe  der  Kranken,  wegen  des  Zustandes  der  Verdauungsorgane  usw.  i.s 
ist  deshalb  selbstverständlich,  daß  man  da  manche  Abweichungen  findet;  man  muß 
sich  aber  sehr  hüten,  sie  der  Krankheit  als  solcher  zuzuschreiben. 


1)  Nicht  zu  verwechseln  ist  der  Ptyalismus  mit  der  Eigentümlichkeit  mancher  Kata- 
toniker,  den  Speichel  nicht  zu  schlucken,  sondern  so  lange  als  möglich  im  Munde  zu  behalten 
oder  ausfließen  zu  lassen. 


Akzessorische  Symptome.  Körperliche  Symptome. 


Nach  d'Ormea  und  Maggioto  ist  die  Ausscheidung  der  Erdmetalle,  nament- 
üch  Magnesia,  etwas  verringert,  am  stärksten  bei  der  Katatome,  weniger  bei  der 
Hebephrenie  und  beim  Paranoid.  Auch  soll  die  Azidität  des  Urins  geringer  sein.  - 
Dide  und  Chenais  haben  bei  Dementia  praecox  gefimden:  Urinmenge  etwas 
vermindert;  Harnstoff  deutlich  vermindert;  Phosphate  unverändert;  CMoride 
deutlich  vermehrt;  Eiweiß  findet  sich  selten;  Urobilin  selten  nachweisbar.  Die 
Befunde  sind  aber  sicher  nicht  zu  verallgemeinern. 

Zucker  im  Urin  scheint  keine  EoUe  zu  spielen,  nach  d'Ormea  soll  im  Gegen- 
teil die  Menge  der  reduzierenden  Substanzen  im  Urin  geringer  sein  als  beim  Nor- 
malen; dagegen  scheint  manchmal  in  delirösen  Zuständen,  die  wir  zur  Schizophrenie 
zählen  würden,  etwas  Ei  weiß  vorzukommen  (vgl.  auch  oben  Eiweiß  im  Stupor). 

Die  Quantität  des  Urins  scheint  in  den  chronischen  Zuständen  im 
normalen  Verhältnis  zur  Nahrungs-  und  Wasseraufnahrae  zu  sein.  Bei  Schüben 
aber  können  große  Unregelmäßigkeiten  vorkommen.  Die  Kranken  entleeren 
bald  große  Mengen  von  Urin,  bald  ist  OHgurie  vorhanden;  ja  zweitägige  voll- 
ständige Anm-ie  habe  ich  bei  einem  katatonischen  Mädchen  konstatiert  (mit 
Hilfe  des  Katheters).  Da  sind  die  raschen  Schwankungen  des  Körpergewichtes 
nicht  verwunderhch.  Arndt  (23)  fand  bei  einem  Kranken  mit  jedesmaligem 
Eintreten  der  Katalepsie  SaHvation  und  Polyurie. 

Bewußte  Urinretention  ist  ebenfalls  sehr  häufig;  sie  verlangt  aber 
selten  ein  Eingreifen. 

Blutuntersuchungen  mit  genügender  Berücksichtigung  nicht  nur 
der  systematischen  Stellung  der  Fälle,  sondern  auch  des  früheren  Befindens,  des 
momentanen  Zustandsbildes,  der  Lebensweise  usw.,  liegen  noch  nicht  vor.  Aus 
den  bisherigen  Angaben  läßt  sich  nichts  Sicheres  schheßen,  was  zur  Kenntnis 
unserer  Krankheit  beitragen  könnte. 

Kahlbaum  (346,  S.  52)  fand  bei  seinen  Fällen  von  Katatonie  fast  konstant 
hochgradige  Oligämie  oder  Chlorose.  Andere  allerdings,  wie  Tschisch,  fanden  einen 
besonders  guten  Ernährungszustand,  wozu  die  Blutbeschaffenheit  auch  gehört. 
Nach  meinen  Erfahrungen,  die  sich  nicht  auf  Untersuchungen  mit  Meßinstrumenten 
stützen,  verhalten  sich  die  Schizophrenen  in  dieser  Beziehung  wie  andere  Leute.  — 
Whitmore  Steele  will  bei  seinen  MelanchoHschen,  zu  denen  er  natürlich  auch 
deprimierte  Schizophrene  zählt,  zu  wenig  rote  Blutkörperchen  und  zu  wenig  Hämo- 
globin gefunden  haben  (letzteres  im  Durchschnitt  TP/g),  während  Schultz  (681)  bei 
Katatonie  „eine  gewisse  Tendenz  die  Erythrozytenzahl  des  in  den  Hauptgefäßen 
befindlichen  Blutes  herabzusetzen"  und  nahezu  normalen  Hämoglobingehalt  wahr- 
scheinlich macht.  Vor  st  er  fand  das  spezifische  Gewicht  und  den  Hämoglobin- 
gehalt zu  niedrig  bei  Melancholia  attonita  imd  akutem  Wahnsinn,  aber  auch  bei 
anderen  akuten  Psychosen.  —  Pighini  und  Paoli  wollen  juvenile  Formen  der 
roten  Blutkörperchen  (Vergrößerung  und  Nabel)  gefunden  haben  (vgl.  aber  Mug- 
gia).  —  Obici  und  Bonon  sowie  Agostini  haben  wie  bei  anderen  Geisteskrankeli 
so  auch  bei  Dementia  praecox  (namentlich  im  Beginn)  Herabsetzung  der  Isotonie 
der  Blutkörperchen  beobachtet.  Die  Alkalinität  ist  nach  Pugh  bei  den  chronischen 
Fällen,  zu  denen  die  Schizophrenie  in  erster  Linie  zählt,  mid  nach  Schultz  bei  der 
Katatonie  nicht  verändert.  Nach  Bruce  soll  das  Blut  bei  Katatonie  und  akuter 
Manie  schwerer  koagulieren.  Es  ist  auffallend,  daß  sich  das  bei  den  häufigen  Ver, 
letzungen  und  Operationen  nicht  bemerkbar  macht. 

Beachtung  verdienen  vor  allem  die  Untersuchungen  über  das  Verhalten  der 
weißen  Blutkörperchen,  wo  sichere  Anomalien  konstatiert  worden  sind.  Na- 


136 


Scliizopbienie. 


mentlich  Bruce  stützt  darauf  seine  Theorie  des  infektiösen  Ursprungs  von  Krank- 
heiten, die  wir  zum  größten  Teil  als  akute  Zustände  der  Schizophrenie  bezeichnen 
würden.  Seine  Untersuchungen  bedürfen  allerdings  noch  der  sorgfältigen  Nach- 
prüfung. 

Es  ist  indes  für  uns  unmöglich,  seine  Studien  kurz  zu  resümieren,  weil 
er  sie  auf  eine  ganz  andere  Einteilung  der  Psychosen  aufbaut.  Wesentlich  ist' etwa 
folgendes:  In  akuten  Anfällen  von  gewissen  Krankheiten  steigt  die  Zahl  der  weißen 
Blutkörperchen  bis  auf  das  Doppelte;  am  meisten  in  den  Fällen,  die  gut  ausgehen, 
viel  weniger  in  den  andern.  Die  „polymorphonuklearen"  Zellen  werden  in  den  gut- 
artigen Fällen  etwas  stärker  vermehrt  als  die  andern,  während  ihre  Prozentzahl 
in  den  schlecht  ausgehenden  Fällen  bis  auf  ein  Drittel  des  Normalen  sinkt.  Nach 
Heilung  besteht  die  Leukozytose  fort,  aber  das  Verhältnis  der  polymorphonuklearen 
zu  den  andern  weißen  Blutkörperchen  geht  auf  die  Norm  zurück,  während  es  bei 
den  ungünstigen  Fällen  jahrelang  unter  der  Norm  bleibt.  Bei  Exazerbationen  heben 
sich  beide  Zahlen  vorübergehend.^) 

Neuestens  hat  Heilemann^)  bei  24  Fällen  verschiedener  Formen  von  De- 
mentia praecox  deutliche  und  regelmäßige  Abnahme  der  polynukleären  Blutkörperchen 
bei  Zunahme  aller  andern  Formen  der  Leukozyteen  gefimden. 

Vielleicht  am  auffallendsten  ist,  unabhängig  von  den  psychischen  Zu- 
ständen, die  Tätigkeit  des  Herzens  und  der  Gefäße  alteriert.  Der  Puls  ist 
auch  in  ruhigen  Zeiten  oft  sehr  wechselnd,  ohne  daß  man  weder  in  Schwankungen 
der  Temperatur  (Moravcsik,  Pighini)  noch  der  Affekte  eme  Erklärung  finden 
könnte,  in  akuten  Perioden  kann  er  große,  ganz  plötzliche  Sprünge  machen. 
Bei  einem  Paranoiden,  der  allerdings  später  katatone  Symptome  bekam,  wech- 
selte der  Puls  während  einer  einzigen  Beobachtung  mehrmals  von  einem  Augen- 
blick zum  andern,  z.  B.  von  80  auf  130,  ohne  daß  der  Grund  klar  geworden 
wäre.  Bei  einer  leicht  Stuporösen  war  er  mal  einige  Stunden  auf  140,  während 
er  sonst  in  normalen  Grenzen  sich  bewegte.  Unter  psychischen  Einflüssen  kann 
der  Puls  wechseln,  auch  wenn  man  den  Patienten  sonst  nichts  anmerkt.  Die 
Pulsveränderung  kann  das  einzige  Indizium  psychischer  Tätigkeit  sein.  Bei  einer 
Katatonischen  in  komplettem  Stupor  sprang  der  Puls  von  85  auf  134  in  dem 
Momente,  da  der  Arzt  eintrat.  Über  Herzklopfen  wird  bei  solchen  Unregel- 
mäßigkeiten weniger  geklagt,  als  man  erwarten  könnte. 

Der  Vasomotorius  ist  stark  alteriert.  In  katatonen  Zuständen 
sind  Livor  und  Zyanose  recht  häufig,  namentlich  an  Füßen  und  Händen,  aber 
auch  in  anderen  Hautgebieten.  Oft  wechseln  diese  Stauungen  sehr  rasch.  Eine 
unserer  Katatonikerinnen  z.  B.  hatte  vormittags  ganz  kalte  Hände;  mittags 
sind  Hände,  untere  Hälfte  des  Unterarmes  und  Kopf  stark  gerötet  und  erhitzt; 
dann  hatte  sie  wieder  heiße  Hände,  kalten  Kopf  und  kalte  Füße;  dann  Kopf 
heiß  und  Hände  kalt  usw.,  aUes  ohne  Veränderung  der  Körpertemperatur.  Bei 
einer  andern  waren  oft  objektiv  und  subjektiv  die  Extremitäten  und  der  Bauch 
ganz  kalt.  Die  Zyanose  ist  nicht  bloß  eine  Folge  des  Nichtbewegens  der  Extremi- 
täten, wenn  sie  auch  bei  starren  Kranken  im  ganzen  häufiger  und  stärker  ist 
als  bei  anderen.  Sie  ist  aber  in  einzehien  Fällen  außer  allem  Verhältnis  zur 
Unbeweglichkeit.  Es  kann  sogar  vorkommen,  daß  ein  Patient  nur  bei  der  Ai'beit 

1)  Vgl.  auch  Sandri.  .    ...  „ 

2)  Heilemann,  Blutuntersuchungen  bei  Dementia  praecox.  A.  Zeitschrift  tur  Psy- 
chiatrie, 07.  Band,  1910,  S.  415. 


Akzessorische  Symptome.  Körperliche  Symptome. 


137 


Zyanose  der  Hände  bekommt  und  deshalb  nur  einen  Teil  des  Tages  arbeiten 
kann.  Vorübergehendes  EiTÖten  oder  Erblassen  nicht  nur  des  Gesichtes,  sondern 
auch  anderer  Hautstellen  ist  nicht  selten. 

Als  Zeichen  einer  abnormen  Erregungsfähigkeit  des  Vasomotorius  besteht 
häufig  ein  geringer  Grad  von  Dermographie:  starke  Kötung  auf  leichte 
Keize;  "bis  zur  Quaddelbildung  kommt  es  nicht  oft,  doch  läßt  sich  auch  das 
etwa  beobachten. 

Über  die  Spannungsverhältnisse  im  Gefäßsystem  wissen  wir  noch 
nichts  Allgemeines.  Es  wäre  aber  sehr  wichtig,  dieselben  zu  untersuchen  im 
Hinblick  darauf,  daß  sie  uns  gewiß  sehr  häufig  Aufschluß  geben  könnten  über 
das  Verhältnis  der  Kranken  zu  gewissen  Komplexen. 

Nach  Pighini  soll  die  sphygmographische  Kui've  bei  Dementia  praecox  nied- 
riger sein  als  bei  Gesunden;  die  Elastizitätsschwankungen  wären  besonders  stark, 
und  die  Sekundärelevation  soll  auf  ein  Minimum  reduziert  sein,  alles  Zeichen  ver- 
mehrter Spannung  der  Gefäße. 

Der  Blutdruck  soll  im  katatonischen  Stupor  erhöht  sein  (Stoddart). 

Meist  wird  die  große  Neigmig  zu  Ödemen  in  Zusammenhang  gebracht  mit 
der  Blutstauung.  Sie  muß  aber  noch  andere  Ursachen  haben.  Wir  finden  oft  Ödeme 
ohne  nachweisbare  Stauung,  und  umgekehrt  hochgradige  Stauung  ohne  Ödeme. 
Daß  Kranke,  die  jahrzehntelang  nur  herumstehen,  oft  Ödeme  der  Knöchelgegend 
und  eventuell  der  Beine  bekommen,  scheint  nach  imseren  pathologischen  Anschau- 
ungen leicht  verständüch ;  weniger  vielleicht  der  Umstand,  daß  manche  andere 
Patienten  bei  gleichem  Verhalten  ohne  Ödeme  bleiben.  Überhaupt  sind  auch  die 
Ödeme  in  hohem  Grade  unabhängig  von  Stauung  und  Verhalten.  Man  findet  sie 
auch  an  Stellen,  wo  Stauimgserscheinungen  selten  sind,  so  namentlich  unter  den 
Augen.  Kraepelin  spricht  da  von  myxödematösen  Verdickungen^),  auch  die 
Knöchelödeme  sind  etwa  wie  Myxödem  anzufühlen;  Druck  hinterläßt  manchmal 
kaum  eine  Delle.  Wir  haben  aber  doch  keinen  Grund,  sie  dazuzuzählen.  Sie  ver- 
schwinden mid  kommen  oft  viel  rascher  als  Myxödem.  Bei  einer  körperlich  sehr 
kräftigen  Patientin  mit  beginnender  ganz  leichter  Schizophrenie  bestanden  Ödeme 
an  den  Oberschenkeln,  die  im  Laufe  eines  Tages  stark  an  Intensität  variierten.  — 
Urinuntersuchungen  bei  solchen  Kranken  geben  keine  Erklärung.  —  Stärkere 
Ödeme  können  unter  Umständen  die  Bewegungen  schmerzhaft  machen,  wahr- 
scheinlich durch  die  Spannung. 

Wie  die  Ödeme  lassen  sich  bei  Schizophrenie  noch  andere  Störungen  des 
Trophismus  finden,  die  man  mit  dem  Vasomotorius  in  Verbindung  bringen  kann. 
Die  Neigung  zu  Frostbeulen  ist  bei  ihnen  größer  als  bei  Gesunden;  man  kann 
Pernionen  bei  uns  gelegentlich  in  kühleren  Vorsommern  sehen.  Auch  die  Neigung 
zu  Decubitus  muß  erwähnt  werden,  obschon  sie  sehr  selten  ist.  Ich  habe  aber 
u.  a.  eine  sehr  kräftige  junge  Katatonika,  die  reinUch  war,  ohne  äußere  Ursache 
in  24  Stunden  an  Dekubitus  erkranken  sehen  ■•^). 

Wunden  heilen  meist  auffallend  gut,    außer  in  den  akuten  Verwirrtheits- 

1)  Trepsat  (771)  glaubt,  das  „Pseudoödem",  wie  Dide  es  genamit  hat,  sei  in  fast 
allen  Fallen  zu  konstatieren,  wenn  man  die  Kranken  nur  genügend  lang  beobachten  könne  — 
uhrmann  memt  das  Gesichtsödem  sei  noch  nicht  beschrieben,  nennt  es  Pachydermia 
acialis  -  Engländer  nennen  die  glänzende  Beschaffenheit  der  etwas  sukkulenten  und 
(durch^Mangel  an  Bewegiing?)  überhaupt  faltenlosen  Haut:  varnished  skin. 

)  Trepsat  beschreibt  bei  katatonisch  Dementen  je  einen  Pemphigus  und  ein  Ulcu<* 
am  Unterschenkel  und  schreibt  diese  Affektion  trophischen  Störungen  zu  Ob  aber  ein  Zu- 
sammenhang mit  der  Psychose  anzunehmen  sei,  ist  doch  fraglich. 


Ii 


138 


Schizophrenie. 


zuständen,  wo  das  Gegenteil  der  Fall  ist;  die  Neigung  zu  Infektionen  ist  keine  große, 
auch  ist  die  Vcruarbung  im  ganzen  eine  günstige. 

Auf  eine  wirkliche  Erkrankung  der  Gefäße  scheint  die  bei  vielen  Schizophrenen 
im  akuten  wie  in  chronischen  Stadien  vorkommende  Gefä  ßbrüchigkeit  zu  deuten. 
Manche  dieser  Kranken  —  namentlich,  aber  nicht  ausschließlich,  Katatoniker  — 
können  bei  alltäglichen  Traumen,  bei  verhältnismäßig  sanftem  Anfassen,  wie  es  zu 
vielen  Dienstleistungen  notwendig  ist,  Blutungen  unter  die  Haut  bekommen.  Auch 
Blutungen  in  die  Konjunktiva,  die  z.  B.  dann  entstehen,  wenn  die  Kranken  sich 
selbst  in  gewöhnlicher  Weise  waschen,  scheinen  bedeutend  häufiger  als  bei  Gesunden. 
Othämatom  ist  gar  nicht  immer  Folge  eines  Traumas  von  anderer  Seite,  wie  ich 
in  manchen  Fällen  sicher  konstatiert  habe.  In  einem  Falle  entstand  es  auch  durch 
eigenhändiges  Waschen ;  in  einem  andern  hat  der  Patient  der  Stimmen  wegen  beständig 
auf  das  Ohr  gedrückt  und  so  die  Blutung  provoziert.  Die  Neigmig  zu  Blutungen 
kann  ganz  vorübergehend  sein  oder  längere  Zeit  anhalten.  Ich  konnte  sie  bei  keinem 
Falle  dauernd  konstatieren.  Tod  an  Gehirnblutung  scheint  nicht  besonders  häufig. 

Störungen  der  Schweißsekretion  gehören  nicht  zum  gewöhnlichen 
Bilde,  sind  aber  doch  bei  den  verschiedenen  Formen  gar  nicht  selten.  Hemmung 
dieser  Fimktion  ist  bei  der  großen  Breite  ihrer  physiologischen  Schwankungen  schwer 
zu  konstatieren;  es  fällt  höchstens  etwa  auf,  daß  sich  die  Kranken  in  die  größte 
Sonnenhitze  legen,  ohne  zu  schwitzen.  Abnorm  starke  Schweißsekretion  ist  dagegen 
häufig,  manchmal  im  Anschluß  an  psychische  Erregungen,  manchmal  im  Zusammen- 
hang mit  Anfällen,  namentlich  solchen,  die  sexuelle  Erregungen  vertreten,  manchmal 
auch  ohne  bekannte  Ursache.  Eine  Katatonikerin  onanierte  viele  Wochen  lang 
ganz  krampfhaft  durch  Übereinanderdrücken  der  Oberschenkel,  wobei  sie  so  schwitzte, 
daß  der  Leinenverbrauch  zur  Kalamität  wurde.  Eine  andere  Katatonische  bekam 
jedesmal  eine  halbe  Stunde  nach  der  (widerstandslosen)  Sondenfütterung  einen 
starken  Schweißausbruch. 

Noch  häufiger  als  bei  anderen  nervösen  Leuten  sehen  wir  lokalisierte  Schweiße, 
die  eine  beliebige  Körpergegend  betreffen  können.  Dann  und  wann  sind  sie  halb- 
seitig. Wahrscheinlich  hängen  ein  Teil  dieser  Erscheinungen  mit  Komplexen  zu- 
sammen, sicher  aber  mit  psychischen  Erregungen. 

Hoche  (309,  S.  231)  erwähnt  auch  starke  Absonderung  der  Talgdrüsen. 

Von  anderen  trophischen  Störungen  mögen  noch  erwähnt  werden  die 
Osteomalazie  und  die  Knochenbrüchigkeit,  die  oft  bei  alten  Anstalts- 
insassen beobachtet  worden  sind.  Man  hat  sie  mit  dem  psychischen  Zustand  in 
Zusammenhang  gebracht  (Haberkant),  ohne  sichere  Beweise  dafür  zu  bringen. 
Vielleicht  handelt  es  sich  um  Einflüsse  ungünstiger  hygienischer  Verhältnisse, 
die  wir  allerdings  nicht  kennen.  In  Rheinau  trat  die  Osteomalazie  bei  Männern 
und  Frauen  auf,  die  zu  wenig  ins  Freie  kamen,  wobei  sie  sich  nicht  an  die  Art 
der  Psychose  hielt.  Sogar  eine  Oberwärterin  erkrankte  daran,  weil  sie  sich  zu 
wenig  Ausgänge  gönnte.  Durch  Aufenthalt  im  Freien  konnte  die  Krankheit 
geheilt  werden,  nicht  aber  durch  andere  gebräuchliche  Behandlung. 

Mit  der  Knochenbrüchigkeit,  die  von  der  Osteomalazie  zu  unter- 
scheiden ist,  kann  es  sich  ähnlich  verhalten.  j  o4i 

Es  mag  ferner  der  seinerzeit  von  Forel  (229  a)  publizierte  Fall  einer  Kata- 
tonika  angeführt  werden,  deren  Haare  während  der  depressiven  Affekte  nn  Beginn 
der  Krankheit  grau  wurden,  nach  Änderung  des  psychischen  Zustandes  aber  wieder 
die  schwarze  Farbe  annahmen^).  -  Bertschi nger  erwähnt  (S.  303)  eine  Kranke, 


1)  Ähnlicher  Fall  bei  Urs t ein,  S.  59. 


Akzessorische  Symptome.  Körperliche  Symptome. 


139 


die  etwa  halbjährlich  die  Haarfarbe  zwischen  duiikel-kastamenbrauu  und  hellgelb 
wechselte.  —  Bei  einer  unserer  Kranken  waren  die  Haare  eine  Zeitlaug  in  der  Auf- 
regung kraus,  in  der  Remission  glatt. 

Die  Abnormitäten  der  Atmung  sind  sehr  schwer  zu  studieren,  weil  der 
psychische  Faktor  nicht  auszuschließen  ist.  Katatoniker  atmen  oft  sehr  ober- 
flächlich. Gelegentlich  werden  bestimmte  Rhythmen  innegehalten.  So  blieb 
eine  unserer  Katatonikerinnen  jeweilen  einige  Sekunden  ganz  ohne  Atmung; 
dann  seufzte  sie  plötzlich  sehr  tief,  dann  atmete  sie  ganz  oberflächlich  und  schließ- 
lich eine  Zeitlang  wieder  gar  nicht  mehr  usw. 

Die  Beobachtung  der  Atmung  ist  nichtsdestoweniger  bei  der  Untersuchung 
wichtig,  weil  Veränderungen  derselben  eines  der  feinsten  Indizien  für  Affekt- 
änderungen sind;  namentlich,  wenn  durch  eine  Bemerkung  ein  Komplex  ge- 
troffen wird,  macht  sich  das  sehr  oft  an  der  Atmung  bemerkbar. 

Die  Menstruation  ist  im  akuten  Stadium  vielleicht  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  gestört,  namentHch  setzt  sie  aus  oder  wird  auch  spärlich.  Sie  kann  aber 
auch  noch  im  chronischen  Stadium  viele  Monate  bis  mehrere  Jahre  zessieren. 

Zu  häufige  Menstruation  scheint  auch  etwa  mit  der  Psychose  zusammen- 
zuhängen. Menorrhagien  aber  werden  in  der  Regel  durch  Genitalerkrankungen 
bedingt  sein.  Subjektive  Menstruationsbeschwerden  scheinen  sehr  viel  seltener 
als  bei  gesunden  Frauen,  offenbar  weil  die  Gleichgültigkeit  diesbezügliche 
Autosuggestion  verhindert. 

Bei  Männern  ist  Impotenz  und  Herabsetzung  des  Geschlechtstriebes 
häufig. 

Die  Temperatur  ist  in  den  chronischen  Zuständen  meist  normal.  Ge- 
legentHch  kommen  Heinere  Schwankungen  vor,  merkwürdigerweise  eher  unter 
die  Norm  als  nach  oben;  das  Thermometer  kann  bis  auf  3-i,0°  heruntergehen. 
In  Stuporzuständen  ist  die  Temperatur  meist  an  den  unteren  Grenzen  der 
Norm.  Erhöhungen  kann  man  oft  durch  irgendwelche  Komplikationen  erklären 
(Magen-Darm- Störung,  Kontusionen,  Verstopfung  usw.^). 

Die  Tagesschwankungen  soUen  unregelmäßig  sein,  namentlich  soll  Typus 
in  versus  vorkommen  (letzteres  ist  auch  bei  anderen  Geisteskranken,  z.  B.  Melan- 
cholie, nicht  selten). 

Der  Schlaf  ist  wie  bei  allen  anderen  Psychosen  während  alcuter  Erregungen 
regelmäßig  gestört.  Immerhin  kann  es  vorkommen,  daß  ein  Kranker  am  Ta^e 
sehr  erregt  scheint,  klagt,  lärmt  und  dabei  die  ganze  Nacht  schläft.  Im  chroni- 
schen Stadium  ist  der  Schlaf  meist  genügend,  wenn  nicht  halluzinatorische  Zu- 
stande ihn  stören.  Viele  Schizophrene  in  den  Anstalten  schlafen  ruhig  weiter 
im  größten  Lärm.  Andere  wieder  befinden  sich  ganz  gut,  trotzdem  sie  monate- 
lang  sehr  unregelmäßig,  meist  zu  wenig,  schlafen. 

Während  akuter  Schübe,  selten  in  chronischen  Zuständen,  besteht  oft 
bchlafsucht,  so  daß  die  Patienten  einen  großen  Teil  des  Tages  und  die  ganze 
^acht  schlafen,  ja  bei  der  Arbeit  einschlafen.  Manchmal  ist  die  Schlafsucht 
das  einzige  Zeichen  des  Schubes,  so  bei  einer  Hebephrenischen,  die  von  Zeit  zu 
^eit  bchlafsuchtperioden  hatte.  Einer  unserer  Patienten  erkrankte  zur  Zeit 

msaent  «i^""^      ?■  ^'S'^^^^^i  enfin  l'existeiice  de  poussees  febrUes  ephemeres  qui 

passent  assez  souvent  mapergues"  (Masseion  457,  S.  27).  ^ 


140 


Schizophrenie. 


des  Apothekerfachexamens,  das  er  gut  bestand,  an  Schlafsucht;  er  führte  dann 
mit  Erfolg  eine  Apotheke;  mit  28  Jakren  trat  wieder  Schlafsucht  ein,  an  die 
sich  Depression  und  Menschenscheu  anschloß;  33  jährig  „Neurasthenie",  die  ihn 
veranlaßte,  den  Beruf  aufzugeben;  35 jährig  verwirrtes  Paranoid  in  mehreren 
Anfällen,  geringe  Verblödung. 

Auch  der  Schlaf  steht  unter  direkten  psychischen  Einflüssen.  Viele  Kranke 
wollen  nicht  schlafen,  weil  sie  wissen  möchten,  was  in  der  Nacht  vorgeht, 
oder  weil  sie  sich  fürchten,  sie  könnten  im  Schlaf  irgendwie  vergewaltigt  werden. 

Äußerst  verschieden  sind  die  „Ermüdungserscheinungen".  Viele 
Schizophrene  ermüden  kaum.  Sie  klettern  Tag  und  Nacht  herum  und  lärmen, 
arbeiten  anhaltend,  ohne  daß  man  etwas  von  Ermüdung  bemerkt.  Bei  Katalepsie 
fehlt  das  Ermüdungsgefühl  oft  ganz.  Andere  haben  ungefähr  das  normale  Ruhe- 
bedürfnis. Wieder  andere  ermüden  körperlich  und  geistig  sehr  leicht,  namentlich 
solange  die  Krankheit  im  Fortschreiten  begriffen  ist.  Viele  sind  geradezu  be- 
ständig müde  (meist  ohne  Schlafsucht).  Jede  Bewegung  macht  ihnen  Mühe 
und  ist  eine  Anstrengung  für  sie;  ebenso  manchmal  das  Denken.  Sie  können 
deshalb  nicht  arbeiten,  auch  wenn  sie  wollen;  sie  empfinden  es  als  eine  große 
Zumutung,  wenn  man  von  ihnen  nur  verlangt,  daß  sie  aufstehen;  ihr  Alter  an- 
zugeben, ist  für  viele  schon  eine  Arbeit,  der  sie  sich  bewußt  oder  unbewußt  gerne 
entziehen,  indem  sie  in  den  Tag  hinein  oder  gar  nicht  antworten.  Manche  spüren 
die  Denkarbeit  ihrer  Komplexe,  der  sie  sich  nicht  entziehen  können,  als  eine 
Anstrengung;  sie  beklagen  sich  dann  manchmal  allen  Ernstes,  daß  sie  so  viel 
arbeiten  müßten,  und  können  nicht  verstehen,  daß  man  sie  für  Müßiggänger 
ansieht. 

Etwas  anderes  ist  es,  wenn  die  Kranken  erst  während  der  zu  leistenden 
Arbeit  abnorm  rasch  ermüden;  das  kommt  weniger  häufig  vor.  Doch  haben 
wir  schon  während  der  Aufnahme  von  100  Assoziationen  Ermüdungserscheinun- 
gen konstatieren  können. 

Gewöhnlich  verhält  es  sich  so,  daß  die  Kranken,  die  nicht  von  vornherein 
sich  ermüdet  fühlen,  diu'ch  eine  Untersuchung  nicht  merkbar  angestrengt  werden, 
auch  wenn  diese  viele  Stunden  in  Anspruch  nimmt.  Es  ist  das  ein  oft  recht 
frappanter  Unterschied  gegen  andere  Psychosen,  namenthch  die  organischen. 

Von  reinen  (nicht  psychisch  bedingten)  motorischen  Symptomen 
sind  eigentHch  nur  zwei  sicher  nachgewiesen,  die  Zuckungen  und  die  Ver- 
stärkung der  idiomuskulären  Kontraktion.  Letztere  fehlt  selten  und 
ist  in  vielen  Fällen  so  deutlich,  daß  bei  leichter  Perkussion  die  Faserbündel  des 
PectoraMs  major,  die  unter  dem  Plessimeter  Hegen,  sich  als  lange  Wülste  von  der 
Umgebung  abheben. 

Untersuchung  des  Rückenmarkes  solcher  Fälle  hat  mir  auch  in  den  höchsten 
Graden  keinen  pathologischen  Befund  ergeben,  allerdings  mit  den  Methoden  die 
vor  20  Jahren  üblich  waren.  -  Bernstein  fand  die  idiomuskulare  Kontraktion 
bei  Dementia  praecox  in  95-77o  der  Fälle;  bei  Paralyse  in  90%,  bei  Mamsch-Depres- 
siven  in  ll-97o;  bei  Gesmiden  meist  nur  in  der  Pubertätsperiode. 

Nach  Curschmann  (148)  soll  die  idiomuskuläre  Kontraktion  em  Zeichen 
einer  Vergiftung  sein,  die  durch  Wasserverarmimg  der  Gewebe  begünstigt  werde 
und  namentlich  bei  hochgradigen  Ernährungsstörungen  vorkomme.  Damit  ver- 
bunden sei  meist  eine  abnorme  mechanische  und  wahrscheinlich  auch  elektrische 


Akzessorische  Syniptome.  Körperliche  Symptome. 


141 


Nervenerregbarkeit.  Curschmann  fand  wie  Gatz  das  Symptom  häufiger  bei 
Männern  als  bei  Frauen  (vgl.  auch  Rudolphson.) 

Fibrilläre  Zuckungen  fallen  namentlich  in  der  Gesichtsmuskulatur 
auf,  wo  das  „Wetterleuchten"  schon  längst  als  Zeichen  einer  chronisch  werdenden 
Krankheit  galt.  Seltener  sind  Zuckungen  einzelner  Muskeln  oder  gar  ganzer 
Gliedmaßen. 

Vielleicht  deutet  auch  auf  eine  Vergiftung  des  motorischen  Apparates 
das  sehr  häufige  Zittern,  das  sich  auch  bei  vielen  ganz  „abgelaufenen"  Fällen 
nachweisen  läßt.  Es  handelt  sich  hier  meist  um  ziemlich  regelmäßigen  und 
feinschlägigen  Tremor,  der  im  ganzen  unabhängig  ist  von  dem  Zustand  der 
Psyche.  Selbstverständlich  kann  aber  wie  bei  allen  nervösen  Leuten  Tremor 
infolge  psychischer  Erregung  hinzukommen;  dieses  Plus  ist  dann  meist  grob- 
schlägig und  unregelmäßig  und  bildet  als  Signal  für  unbewußte  und  bewußte 
Gemütserregung  ein  gutes  Komplexzeichen. 

Bei  manchen  Beobachtern  nehmen  allerdings  motorische  Symptome 
einen  wichtigen  Platz  in  der  Symptomatologie  ein ;  haben  doch  als  rein  motorisch 
aufgefaßte  Spannungszustände  der  zuerst  erkannten  Gruppe  der  Schizophrenie 
der  Katatonie  den  Namen  gegeben^).  Die  Wer  nick  esche  Schule  und  einzelne 
Franzosen  nehmen  auch  jetzt  noch  Störungen  der  Motilität  im  engeren  Sinne 
an,  und  Schuele  setzt  einen  Teil  der  Motilitätssymptome  in  tiefere  Partien 
der  Zentralorgane.  Man  hat  sich  sogar  vorgestellt,  daß  einzelne  Muskelgruppen 
allein  oder  doch  vorzugsweise  affiziert  seien.  Obgleich  die  Beobachtungen,  auf 
die  sich  solche  Ansichten  stützen,  etwas  Alltägliches  sind,  konnte  ich  mich  doch 
nicht  von  deren  Eichtigkeit  überzeugen.  Es  ist  ja  möglich,  daß  solche  Er- 
scheinungenvorkommen; es  ist  auch  denkbar,  daß  sich  die  allgemeine  Dissoziation 
einmal  in  Wer  nick  es  Bahn  zu  fühlbar  macht,  aber  nachgewiesen  ist  beides 
noch  nicht.  Leute,  die  sich  nicht  aufsetzen  ,, können",  vermögen  auf  irgend 
einen  psychischen  Eeiz  hin  auf  einmal  beliebige  komplizierte  und  kraftvolle, 
richtig  koordinierte  Lokomotionen  zu  machen. 

Abgesehen  von  anderen  Möghchkeiten,  ist,  bevor  man  die  psychische  Genese 
ausschheßen  kann,  namenthch  Negativismus  (und  Hyoszinwirlmng?)  zu  elimi- 
nieren. Sogar  die  apraxieähnUchen  Symptome  können  Ausdruck  einer  psychischen 
Allgemeinstörung  sein.  Wenn  sehr  oft  die  Bewegungen  der  Kranken  etwas 
Unsicheres  haben,  so  kann  das  eine  Folge  der  Ziellosigkeit  des  Handelns  über- 
haupt wie  der  einzelnen  Bewegungen  sein. 

Namenthch  der  Gang  ist  oft  auffaUend.  Schon  das  Zusammenspiel  der 
Arm-  und  Bembewegungen  ist  oft  gestört,  manche  Kranke  halten  auch  die  Aj-me 
beim  Gehen  steif.  Besonders  wichtig  aber  ist,  daß  oft  die  Füße  zeitUch  wie 
räumlich  ganz  unregelmäßig  gesetzt  werden. 

Auf  der  Frauenseite  in  Rheinau  bewegten  sich  viele  Kranke  frei  in  einem 
großen  Garten  mit  viel  Gesträuch,  das  aber  unten  zurechtgeschnitten  war,  um  die 
Durchsicht  zu  ermöglichen.  Man  sah  also  von  gewissen  Stellen  aus  sehr  viele  Kranke 
nur  bis  zur  Höhe  der  Knie.  Man  konnte  bei  vielen  die  Diagnose  aus  dem  irrlicht- 
artigen Gange  machen,  der  seine  Eigentümlichkeit  auch  dann  nicht  verlor  wenn 
die  Patienten  auf  ein  bestimmtes  Ziel  losgingen.  -  Mönkemöller  und  Kaplan 
haben  die  Fußspuren  zu  fixieren  versucht  und  dabei  die  räumliche  Unregelmäßigkeit  . 
^)  Vgl.  unten,  Abschnitt  „Katalepsie". 


142 


Schizophrenie, 


des  Ganges  bei  zwei  Katatonikern  graphisch  festgehalten.  Clanz  ähnlich  fand  Groß 
(390,  II.,  S.  566)  beim  Schreiben  einen  gestörten  in  Unordnung  geratenen 
Rhythmus. 

Moravcsik  fand  in  allen  Fällen  von  untersuchten  Katatonikern  Herab- 
setzung der  elektrischen  Erregbarkeit  mit  langsamen  trägen  Zuckungen. 
Leider  sagt  das  Referat  nicht,  auf  welche  Stromart  und  ob  bei  der  Reizung  der 
Nerven  oder  des  Muskels.  —  Osterniayer  fand  die  galvanische  Erregbarkeit  der 
motorischen  Nerven  vermindert,  aber  ohne  qualitative  Veränderung. 

Organische  Lähmungen  werden  als  Teilsymptorae  der  Schizophrenie 
kaum  vorkommen.  Dagegen  habe  ich  psychogene  („hysterische")  Lähmungen 
dann  und  wann  gesehen,  oft  von  großer  Hartnäckigkeit.  Astasie  und  Abasie 
kommt  ebenfalls  vor.  Eine  Patientin  konnte  mehrere  Stunden  lang  die  Augen 
nicht  aufmachen.  Nicht  prinzipiell  verschieden  davon  sind  die  allgemeinen 
oder  lokahsierten  Lähmungen  durch  Sperrungen.  Sehr  selten  sind  hysteriforme 
Kontrakturen. 

Von  den  Reflexen  sind,  wie  bei  den  meisten  Psychosen,  die  Haut- 
reflexe so  schwer  unabhängig  von  der  Psyche  zu  prüfen,  daß  wir  nichts  Be- 
stimmtes darüber  wissen.  Seglas  (in  Ballet,  S.  109)  schreibt,  die  Haut-  und 
Schleimhautreflexe  seien  in  den  sekundären  Blödsinnsformen  abgeschwächt. 
Nach  Maillard  (Soc.  de  Psychiatr.  Paris  16./XII.  1909.  Nein-.  C.  Bl.  10.  623)  fehlt 
der  Plantarreflex  bei  757o  der  Fälle  von  Dementia  praecox  (bei  andern  Psychosen 
in  41 7o)-  Steigerung  der  Patellarreflexe  plus  Fehlen  des  Plantarreflexes  kommt 
bei  der  Dementia  praecox  in  70°/o  vor,  bei  anderen  Psychosen  in  lö^o-  Daß 
der  Pharynx-  und  überhaupt  jeder  Würgreflex  häufig  in  frischen  wie  m  alten 
Fällen  fehlt,  ist  jedem  Praktiker  bekannt.  Tränen  und  Rötung  der  Wange 
können  Erhaltensein  der  Empfindhchkeit  beweisen,  während  in  anderen  FäUen 
intensive  Berührung  des  Pharynx  und  sogar  der  Bronchialschlehnhaut  keine  un- 
angenehmen Empfindungen  auslöst.  Phthise,  die  bis  zum  Tode  ohne  Husten 
verläuft,  kann  vorkommen. 

Der  Konjunktival-,  ja  der  Kornealreflex  fehlen  unter  Umständen  eben- 
falls vollständig,  aber,  so  weit  ich  gesehen,  nui"  in  Fällen  schwerer  Katatonie. 
Regelmäßig  sind,  wie  überall,  wo  das  Großhirn  in  seiner  Kontrolle  nachläßt, 
die°  tiefen  Reflexe,  die  der  Sehnen  und  Knochen,  gesteigert.  Manchmal 
erhält  man  an  der  Patella  eine  klonusartige  Serie  von  Zuckungen;  manchmal 
gibt  sich  die  Steigerung  auch  darin  zu  erkennen,  daß  die  beginnende  Streclomg 
die  Flexoren  reizt,  so  daß  der  Unterschenkel  federartig  zurückgeschnellt  wird. 
Häufig  dehnt  sich  die  Zuckung  auf  eine  größere  Anzahl  von  Muskeln  aus,  so 
beim  Patellarreflex  auf  den  andern  Oberschenkel;  in  einem  unserer  Fälle  zuckte 
bei  Beklopfen  des  Kieferwinkels  die  ganze  gleichseitige  Kopf-,  Hals-  und  Brust- 
muskulatur. Auch  einseitige  Steigerung  der  Sehnenreflexe  soU  der  Schizo- 
phrenie angehören  (Kleist  366,  S.  76). 

Mit  dem  Tonus  der  Muskulatur  hängt  die  Verstärkung  der  Sehnenreflexe 
nicht  zusammen.  Ich  erinnere  mich  einer  frischen  (leichtgradigen)  Katatonie, 
die  eine  enorme  Schlaffheit  der  Muskulatur  hatte;  dennoch  waren  die  Sehnen- 
reflexe verstärkt.  ,     .  r  ^ 

In  einem  einzigen  FaUe  fand  ich  die  Sehnenreflexe  abgeschwächt,  ohne 
daß  ein  Versuchsfehler  zu  konstatieren  war.  Kleist  (S.  43)  sah  herabgesetzte 
Sehnenreflexe  bei  Hypotonie. 


Akzessorische  Symptome.  Körperliche  Symptome. 


143 


Vielfach  und  mit  Erfolg  studiert  sind  die. Pupillenreflexe.  Die  Piltz- 
sche  Lidschlußreaktion  wird  in  etwa  der  Hälfte  der  Fälle  vorkommen. 
Bumke  und  Hu  ebner  haben  nachgewiesen,  daß  die  Pupillenunruhe,  die 
Erweiterung  bei  Anspannung  der  Aufmerksamkeit,  bei  Erschrecken  usw.,  sowie 
bei  sensibeln  Eeizen  (namentlich  unangenehmen)  bei  der  Schizophrenie  sehr 
häufig  fehlen.  Bumke  glaubt  annehmen  zu  dürfen,  daß  dies  auf  der  Höhe 
eines  katatonischen  Zustandes  ein  regehnäßiges Verhalten  sei,  während  der  zweite 
Autor  bei  757o  seiner  Schizophrenen  psychische  und  sensible  Reaktion  vermißte, 
bei  8%  aber  sicher  konstatieren  konnte.  Die  Verhältniszahlen  haben  aber  noch 
wenig  Wert,  da  die  Art  der  Untersuchung,  das  Instrument,  die  Stärke  der  Be- 
leuchtung und  dann  die  systematische  Auffassung  der  Krankheiten  starke 
Unterschiede  bedingen  müssen  (vgl.  Wasser meyer).  Sicher  ist  aber,  daß  die 
psychischen  Reflexe  nirgends  so  oft  fehlen  oder  abgeschwächt  sind  wie  bei  der 
Schizophrenie^). 

Neben  der  Reaktionslosigkeit  findet  man  bisweilen  eine  auffallend  starke 
Reaktion  auf  psychische  Reize,  gerade  wie  bei  den  Affektivitätserscheinungen, 

Bei  katatonen  Erregungen  irgendwelcher  Art  sind  die  Pupillen  besonders 
häufig  stark  erweitert,  reagieren  aber  auf  Lichtschwankungen.  In  den  ver- 
schiedensten Zuständen  sind  sie  oft  ungleich,  ohne  die  Reaktion  eingebüßt  zu 
haben ;  dieses  Verhalten  hat  früher  oft  Anlaß  zur  unbegründeten  Diagnose  der 
Paralyse  gegeben.  Zum  Unterschied  von  dieser  Krankheit  ist  aber  die  Differenz 
selten  eine  anhaltende,  sie  wechselt  oft  nach  wenigen  Stunden,  indem  sie  sich 
ausgleicht  oder  umgekehrt  wird.  Stecknadelkopfenge  Pupillen  habe  ich  bei 
Schizophrenie  nur  zweimal  gesehen. 

Gelegentlich  sieht  man  auch  Kuriosa  wie  die  folgenden  beiden.  Ein  Kata- 
toniker  hatte  beim  Eintritt  in  die  Anstalt  enge,  gleiche  Pupillen,  die  nicht  schön 
rimd  waren  und  kaum  reagierten.  Nach  10  Minuten  waren  sie  weit  und  reagierten 
normal.  Bei  einem  katatonischen  Mädchen  sahen  wir  in  voller  Ruhe  spontane  Er- 
weiterungen und  Verengerungen  ohne  Licht-  oder  Akkommodationsänderungen. 
Dann  und  wann  scheinen  solche  Abnormitäten  mit  der  psychischen  Konstellation 
im  Zusammenhang,  wenn  man  es  auch  selten  durch  Wiederholung  nachweisen  kann. 
So  hatte  einer  miserer  Paranoiden  einmal,  während  er  eifrig  über  seine  Wahnideen 
sprach,  etwa  eine  Stunde  lang  weite  Pupillen,  die  sich  auf  Licht  nicht  verengerten2). 

Altbekannt  ist  der  „paranoide  Blick",  der  auftritt,  wenn  die  Patienten  an 
bestimmte  Komplexe  denken.  Bei  einzelnen  Kranken  läßt  sich  diese  Erscheinung 
durch  Anschlagen  eines  anderen  Themas  momentan  hervorrufen  und  wieder  zum 
A  erschwmden  bringen.  Worauf  sie  beruht,  weiß  ich  nicht.  Sie  bleibt  oft  erkennbar 
wenn  man  durch  eine  Maske  bloß  den  Bulbus  sieht. 

Von  sensorischen  Störungen,  die  wir  zu  den  körperlichen  zählen 
konnten,  fmdet  sich  das  Kopfweh  sehr  häufig,  namentHch  schon  in  der  Ana- 

')  Vgl-  die  wichtige  Arbeit  von  Weiler.  Zeitschrift  für  die  gesamte  Neurologie  und 
Psychiatrie,  Or.  1910,  II,'  S.  101.  6 


Leeper  (J.  of.  ment.  sc.  1904,  S.  520)  fand  die  Pupillen  morgens  weit,  abends 


eng. 


Ich  kann  in  der  Klmik,  die  abends  stattfindet,  sehr  oft  die  weiten  PupUlen  demonstrieren 

oJwn  ;«''^^lfn  «ogar  Ai-gyll-Robertson/häufiger  aber  das  umgekehrte  Verhalten. 

herabgesetzt.  Blin  will  Argyll-Robertson 
m  U  8  /o  der  Falle  gefunden  haben,  was  auffallend  ist. 

habe  slTkt  Jr*^^\''''l,".'"''^'^"'^'^'^'  ""'^  "^^^"^  ^'"P"'^»^  beschrieben;  auch  ich 
Habe  sie  als  vorübergehendes  Phänomen  gesehen. 


144 


Schizophrenie. 


ninese.  Viele  unserer  Patienten  hatten  von  Jugend  auf  an  Kopfweh  geUtten; 
während  der  manifesten  Krankheit  fnidet  man  dieses  Symptom  oft  in  den  ver- 
schiedensten Formen:  als  Druck  im  ganzen  Kopf,  hinter  der  Stirn  und  besonders 
häufig  im  Hinterkopf;  als  reißende,  bohrende,  ziehende,  brennende  Schmerzen, 
die  sich  meist  von  irgend  einer  Stelle  aus  über  den  ganzen  Kopf  verbreiten' 
Es  kann  auch  migräneartigen  Charakter  annehmen  und  trotzdem  wieder  ver- 
schwinden, so  daß  man  keine  Berechtigung  hat,  es  als  eine  einfache  Kompli- 
kation anzusehen. 

Auslösende  Ursachen  des  Kopfwehs,  soweit  es  Teilerscheinung  der  Schizo- 
phrenie ist,  kennen  wir  nicht.  Der  Hinterhauptschmerz  muß  irgend  eine  Be- 
ziehung zur  Sexuahtät  haben. 

Brennende  Gefühle,  Sausen,  Surren  und  Pochen  an  verschiedenen  Stellen 
des  Kopfes  sind  eine  häufige  Begleiterscheinung  des  Kopfwehs,  kommen  aber 
auch  sonst  vor. 

Alle  möglichen  Parästhesien  sowie  Hyperästhesien  werden  etwa 
beobachtet.  Meist  sehen  sie  denen  der  Neurasthenie  gleich,  nicht  allzu  selten 
erwecken  sie  aber  den  Verdacht  organischer  Erkrankung  des  Zentralnerven- 
systems. Sensationen  in  Herz,  Magen,  Darm  sind  etwas  GrewöhnUches.  Masto- 
dynie  und  Ovarie  soUen  vorkommen.  Druckpunkte  (ohne  Hysterie)  sollen 
häufig  sein  (Ziehen  840,  S.  378). 

Schizophrene  beklagen  sich  zuweilen  über  Schwindelgefühle,  die  bald 
anhaltend,  bald  mehr  anfallsweise  auftreten. 

Die  häufige  Analgesie  ist  in  anderm  Zusammenhang  erwähnt.  In  einem 
Falle  von  absoluter  Anästhesie  für  Schmerz  habe  ich  die  Blutung  auf  tiefe 
Nadelstiche  vermißt. 

Andere  Ausfallsstörungen  der  Sensibilität  kommen  kaum  in  Betracht.  Die 
etwa  gefundene  Einengung  des  Gesichtsfeldes  hat  natürhch  psychische  Ursachen 
(Klien).  Vielleicht  aber  ist  von  der  Aufmerksamkeit  unabhängig  die  in  ein- 
zelnen Fällen  (namentlich  bei  ,, Benommenheit")  zu  beobachtende  Dissoziation 
der  Sinneseindrücke:  die  Kranken  können  einen  gemalten  Kohlkopf  für  eine 
Rose^)  ansehen,  indem  sie  die  Farbe  ignorieren  (wie  Alkoholdeliranten),  einen 
Maiskolben  in  natürlicher  Größe  für  eine  Ähre,  wobei  in  erster  Linie  die  Dimen- 
sionen vernachlässigt  werden  u.  dgl. 

Zu  den  körperlichen  Symptomen  rechnet  man  auch  die  verschiedenen  bei 
der  Schizophrenie  vorkommenden  „Anfälle".  Viele  derselben  sind  nun  sicher 
von  der  Psyche  unabhängig;  andere  umgekehrt  sind  psychisch  ausgelöst  und 
in  allen  ihren  Symptomen  psychisch,  wobei  natürlich  Begleiterscheinimgen  der 
Affekte  am  Herzen,  den  Gefäßen,  eventuell  an  Darm-  und  Nierentätigkeit, 
zu  den  psychischen  gerechnet  werden,  obschon  sie  Erscheinungen  am  Körper 
sind.  Dazwischen  gibt  es  eine  Menge  von  Übergängen,  in  denen  der  dauernde 
Gehirnzustand  die  Disposition  schafft,  ein  psychisches  Vorkomm- 
nis aber  den  Anfall  auslöst,  oder  umgekehrt  ein  körperlicher  An- 
fall eintritt,  dessen  psychische  Symptomatologie  aber  bestimmt 
wird  durch  die  vorhandenen  Komplexe^).    Unter  „körperlich"  ver- 

1)  Oder  entsprechend  der  Vorliebe  für  weit  abliegendes  für  eine  Seerose. 

2)  Einzelne  Anfälle  stellen  einen  veränderten  sexuellen  Akt  dar,  siehe  Abraham. 
Jahrbuch  für  psycho -analytische  Forschung,  Bd.  II.  S.  29. 


Akzessorische  Symptome.  Körperliche  Symptome. 


145 


stoben  wir  hier  natürlich  eine  Veränderung  der  physiologischen  Hirntätigkeit, 
sei  sie  bedingt  durch  eine  Vergiftung  oder  durch  Gefäßkrämpfe  oder  wie  immer. 

Am  körperbchen  Pole  der  Reihe  stehen  namenthch  die  apoplekti- 
formen  Anfälle,  die  allerdings  bei  der  Schizophrenie  nicht  häufig  sind.  Die 
Kranken  sinken  plötzlich  oder  aUmählich  zusammen,  mit  oder  ohne  Vorboten, 
wie  Apoplektiker ;  die  Sprache  wird  lallend  oder  versagt  ganz.  Schhngen,  Fixieren 
und  andere  Funktionen  können  deutlich  gestört  sein,  der  Speichel  kann  aus 
dem  Munde  fließen ;  alle  Körperbewegungen  werden  unsicher  usw. ;  seltener  er- 
folgen unwillkürHche  Entleerungen  von  Fäzes  und  Urin.  Manchmal  haben  die 
Erscheinungen  deutlich  hemiplegischen  Charakter,  indem  die  eine  Körper- 
hälfte während  des  Anfalles  schlaffer,  nach  demselben  schwächer  erscheint. 
Kommen  dabei  Zuckungen  vor,  so  können  sie  auch  einseitig  oder  doch  auf  der 
einen  Seite  ausgesprochener  sein.  Das  Bewußtsein  ist  meist  getrübt,  kann  aber 
auch  ganz  erhalten  sein  oder  ganz  fehlen ;  ebenso  die  nachträgliche  Erinnerung. 
Solche  Anfälle  dauern  meist  ein  paar  Stunden;  seltener  gehen  sie  rascher  vor- 
über, oder  sie  dehnen  sich  auf  Tage  aus.  Ein  Kranker,  bei  dem  weder  der  mehrere 
Jahre  lang  beobachtete  Verlauf,  noch  die  häufige  Untersuchung  Anhaltspunkte 
zu  einer  andern  Diagnose  als  zu  der  der  Schizophrenie  gab,  war  mehrmals  einige 
Tage  lang  in  einem  Koma,  in  dem  er  sogar  Babinski  zeigte. 

Manchmal  versagt  die  Hirntätigkeit  in  der  Form  von  Ohnmächten, 
die  ja  allerdings  auch  psychisch  ausgelöst  sein  könnten,  wie  es  bei  nervösen 
Leuten  vorkommt.  Auch  Reizzustände,  die  von  der  Psyche  in  der  Hauptsache 
unabhängig  sind,  werden  beobachtet,  so  Krämpfe  einzelner  Muskelgruppen. 
Meist  habe»  die  Krämpfe  einen  gemischten  Charakter,  man  kann  nicht  sagen, 
wieviel  an  ihnen  psychisch  und  wieviel  rein  physisch  ist.  Sehr  wichtig  ist  es, 
daß  die  Krampfanfälle  gar  nicht  selten  typisch  epileptiform  sind  (tonisches, 
dann  klonisches  Stadium ;  kurze  Dauer,  selten  über  eine  Minute).  Manche  unserer 
Kranken  sind  deshalb  mit  der  Diagnose  Epilepsie  in  die  Anstalt  geschickt  worden, 
sogar  aus  KHniken.  Die  epileptiformen  Anfälle  können  einzeln  bleiben  oder 
auch  während  einiger  Jahre  sich  wiederholen  und  dann  wieder  verschwinden. 
Sie  können  sogar  ausnahmsweise  zu  einer  Art  Status  führen^). 

Die  epileptiformen  Anfälle  treten  in  allen  Stadien  der  Krankheit  auf; 
sie  können  das  erste  Zeichen  der  Schizophrenie  sein  und  ebensowohl  eine  alte 
Verblödung  komplizieren.  In  keinem  Idaren  Falle  habe  ich  gesehen,  daß  sie 
sich  dauernd  dem  einfachen  Bilde  der  Schizophrenie  beimischten;  bheben  sie 
anhaltend,  so  zeigten  sich  auch  psychische  Symptome  der  Epilepsie,  so  daß 
es  sich  wahrscheinlich  um  Mischfälle  der  beiden  Krankheiten  handelte  (Mora- 
witz).  Wie  bei  der  gewöhnUchen  Epilepsie  können  die  Anfälle  ausnahmsweise 
auch  psychisch  ausgelöst  werden.  Eine  ältere  Schizophrene  bekam  den  ersten 
Aufall  unmittelbar  nachdem  sie  mit  großem  Interesse  einen  Anfall  bei  einer 
Epileptischen  angesehen  hatte;  während  10  Jahren  wiederholten  sich  die  Anfälle 
in  unregelmäßigen  Zwischenräumen ;  im  Anschluß  an  die  Versetzung  der  Patientin 
in  ein  anderes  Gebäude  zessierten  sie,  um  nicht  wieder  zu  kommen. 

Am  psychischen  Pole  der  Reihe  stehen  die  rein  hysterif ormen  An- 
fälle,  die  bei  Schizophrenie  nicht  selten  sind.  Sie  zeigen  gar  keine  Symptome, 

1)  Ein  Fall  von  Tod  durch  gehäufte  Krampfanfälle  Avird  von  Tetzner  berichtet- 
es scheint  sich  da  um  eine  Katatonie  in  unserem  Sinne  zu  handeln. 
Handbuch  der  Psychiatrie:  Bleuler. 


164 


Schizophrenio. 


die  auf  etwas  Organisches  deuten.  Organisch  ist  dabei  wohl  bloß  die  Disposition, 
wenn  wir  auch  annehmen  müssen,  daß  diese  Disposition  momentan  mit  der 
Stärke  des  schizophrenen  Prozesses  wechseln  muß,  so  daß  der  Anfall  bald  leichter, 
bald  schwerer  auslösbar  ist.  Aus  Gründen,  die  wir  gleich  besprechen  werden, 
müssen  wir  in  diesem  Zusammenhang  auch  der  psychisch  ausgelösten  Schimpf- 
und  VerwirrtheitsanfäUe  gedenken,  die  den  Übergang  bilden  zu  der  einfachen 
Reaktion  der  schizophrenen  Psyche. 

Typisch  hysteriforme  Anfälle  sind  wie  alle  anderen  hysteriformen  Sym- 
ptome nicht  selten  bei  unseren  Kranken.  Alle  Formen,  die  bei  Hysterie  vorkommen, 
treffen  w  auch  da.  Vom  großen  Anfall  bis  zu  einfachen  Schüttelkrämpfen 
einzelner  GHeder  ist  alles  zu  beobachten.  Sie  können  abwechseln  mit  anders- 
artigen Anfällen  oder  allein  bleiben.  Meist  sind  sie  vereinzelt  oder  doch  wenig 
zahlreich,  während  allerdings  leichtere  Andeutungen  und  abortive  Anfälle 
häufig  vorkommen.  Eine  unserer  Kranken  prophezeite,  sie  werde  in  der  Nacht 
sterben;  sie  lag  dann  eine  Zeitlang  wie  besinnungslos,  aber  ruhig  atmend  im  Bett ; 
dann  begann  sie  plötzHch  zu  schreien  und  zu  zittern.  Auf  Wasserapplikation 
sofortige  Besserung. 

Die  nicht  seltenen  Lach-  und  Weinkrämpfe,  die  Kahlbaum  unter  den 
körperlichen  Symptomen  anführt,  kann  man  hieher  zählen,  wenn  man  will; 
wiv  fassen  sie  natürlich  in  den  meisten  Fällen  als  Äußerungen  des  unbewußt 
bleibenden  Komplexes  auf. 

Als  Kuriosum  sei  erwähnt,  daß  eine  Kranke  während  des  Redens  manchmal 
Anfälle  von  Singultus  bekam. 

Die  häufigsten  Anfälle,  die  zugleich  als  eine  Art  Typus  der  schizophrenen 
Attacken  gelten  können,  erscheinen  uns  als  organisch  bedingte  Reiz-  imd  Läh- 
mungszustände,  in  denen  namentHch  auch  die  intrapsychischen  Assoziationen 
verändert  sind.  Sie  bekommen  so  eine  große  Ähnhchkeit  mit  den  Anfällen,  die 
wir  nicht  selten  bei  groben  Gehirnerlcrankungen  und  Intoxikationen  wie  der 
Urämie  beobachten,  und  sie  lassen  sich  von  solchen  nur  aus  den  begleitenden 
Umständen  unterscheiden.  ,, Abortive",  d.  h.  leichtere  Anfälle  dieser  Art  haben 
die  Neigung,  sich  oft  zu  wiederholen;  die  größeren  Anfälle  sind  seltener. 

Manchmal  leitet  ein  tonisches  Stadium  die  Szene  ein,  das  aber  zum  Unterschied 
von  der  Epilepsie  sehr  lang  dauern  kann  und  nicht  die  beängstigende  Höhe  des 
Morbus  sacer  erreicht.  Meist  handelt  es  sich  mehr  um  eine  allgemeine  Steifigkeit 
des  Körpers;  Hinfallen  scheint  selten;  die  Atmung  bleibt  gewöhnUch  relativ  oder 
ganz  frei.  Eine  Katatonika  reagierte  plötzüch  nicht  mehr  auf  Anreden,  lag  starr 
da  mit  geschlossenen  Augen;  ungeheurer  Schweißausbruch  am  'ganzen  Körper; 
Puls  weich,  voll,  100—110.  Temperatur  stieg  bis  38-0°.  Dann  wurden  die  Hände 
krampfhaft  gefaltet;  Anrufen,  Bitten,  Drohimgen  erzeugten  keine  Reaktion,  bloß 
auf  Zwicken  und  direkte  Beleuchtmig  der  Augen  mit  nahegehaltenem  Streichholz 
erfolgten  leichte  Abwehrbewegungen.  Dauer  des  Anfalles  vier  Stunden;  nachdem 
Schweiß-  und  Temperaturerhöhung  zurückgegangen  waren,  erholte  sich  die  Kranke 
rasch;  sie  weinte  ziemHch  affektlos,  „das  Reden  sei  ihr  mit  der  Maschine  (d.  h.  der 
Gasflamme)  abgestellt  gewesen;  man  wollte  sie  hinrichten,  sie  habe  das  Beil  fallen 
hören".  —  Ein  Hebephrene,  der  in  den  Fünfzigerjahren  einige  katatone  Symptome 
gezeigt  hatte,  war  einige  Tage  in  einem  ganz  leicht  dämmerigen  Zustando.  als  er 
plötzlich  vollständig  steif  wurde,  aber  nicht  fiel.  Dazu  kam  leichter  Tremor  des 
ganzen  Körpers.  Auf  Nadelstiche  reagierte  er  nicht  mit  Bewegungen,  sondern  nur 


Akzessorische  Symptome.  Körperliche  Symptome. 


147 


l^^t^^cH,  saffpatient  noch  einige  Stunden  lang  m.t  ^^^^^ 
fla-  er  war  noch  darüber  hinaus  verwrrt,  hat  eingenaßt.  —  I>a8  tonisclie  ötaaium 
a.^h  a  ein  abortiver  Anfall  vorkommen.  Eine  Katatonika  wmde  an  Sitz  n 
tS  eilal  slif.  saß  etwa  zehn  Minuten  da,  die  Hände  zur  Fa^t  geba^^^^,  den  Bh  k 
zu  Boden  gerichtet,  dann  stand  sie  plötzlich  auf  mit  denWoitcn.  „So,  jetzt  ist  8 

'"'^'in  anderen  Anfällen  fehlt  der  Tonus;  sie  zeigen  bloß  eine  trauinhatte  Er- 
regung mit  Erscheinmigen  nervöser  Schwäche.  Ein  manischer  Hebephrene  fing 
nn  Bett  auf  einmal  an,  sich  zu  wälzen,  stöhnte,  erbrach;  bekam  unregelmäßige 
Zuckungen  der  Extremitäten;  bohrte  den  Kopf  ins  Kissen.  Er  war  benommen,  gab 
unklare;  verworrene  Antworten,  Gesicht  blaß,  kühl;  Züge  ganz  schlaff,  namenthch 
imi  den  Mund,  der  offen  steht  und  reichlich  Speichel  ausfheßen  laßt.  Versucht  zu 
schlucken  kann  aber  den  Mund  nicht  schließen.  Verbigeriert  langsam  mit  Pausen 
zwischen  den  einzelnen  Wörtern:  „cheibe^)  -  cheibe  -  Hureclieibe  -  cheibe 
^g^^.  i_2  — 3  — 4  — 5  — 5—  .  .  .  —  Mutterli  —  nicht  —    sterben  — 

Mut^;erli  —  nicht  —  sterben  —  usw."  Sehnenreflexe  gesteigert;  Augen  halb  offen, 
machen  rollende  Bewegungen.  Pupillen  weit,  reagieren  auf  Licht;  Angst.  Klammert 
sich  überall  an.  Nach  einigen  Stunden  fällt  er  in  Schlaf.  Am  andern  Tage  weiß 
Patient  nur,  daß  er  Angst  hatte  und  nicht  reden  konnte.  Der  gleiche  Patient  wurde 
nachher  noch  mehrere  Tage  lang  oft  mitten  im  Gespräch  für  kurze  Zeit  anders,  er- 
blaßte, verdrehte  die  Augen,  gab  unpassende  Antworten. 

Andere  Beispiele:  Katatonika:  Im  Bett:  alle  möglichen  Stellungen,  Winden, 
Eingen,  Zusanmienrollen  des  Körpers,  rasche  stöhnende  In-  mid  Exspiration.  Sali- 
vation,  roter  Kopf,  kalte  Hände.  Außer  Bett:  rasche  Eotationen  auf  den  Eüßen. 
Pupillen  spielen;  Puls  voll,  zirka  80.  Dauer  zirka  2  Stunden,  dann  Benommenheit, 
liegt  wie  schlafend  da,  kann  aber  noch  handeln,  z.  B.  auf  den  Nachtstuhl  gehen; 
taumelt  aber  dabei.  Nachher  volle  Erinnerung.  —  Ein  Hebephrene  hatte  zwei 
gleiche  Anfälle :  Schütteln  und  Verdrehen  der  Glieder,  Verdrehen  der  Augen,  ganz 
blasses  Gesicht,  Schaum  vor  dem  Mund;  Dauer  mehrere  Stmiden.  Totale  Amnesie.  — 
Periodischer  Katatoniker  mit  manischen  Perioden.  Beim  Essen  plötzlich  Zuckungen 
in  Armen  mid  Hals;  Arme  flektiert,  bewegen  sich  klonisch  gegeneinander;  der 
Kopf  macht  nickende  imd  schüttelnde  Bewegungen.  Kein  Bewußtseinsverlust. 
Dauer  eine  halbe  Stunde.  Später  noch  unregelmäßige  Zuckungen,  wollte  nicht  zu 
Tische  gehen,  weil  er  das  Geschirr  leicht  fallen  ließ.  Dann  wieder  wie  vorher.  — 
Katatonika:  Klonische  Zuckungen  aller  Extremitäten,  behält  aber  passiv  gegebene 
Stellungen  eine  Zeitlang  bei  (vor  dem  Anfall  nicht  kataleptisch).  Heftiges  Weinen, 
starke  Eötung  des  Gesichtes.  Dauer  eine  halbe  Stunde.  —  Hebephrene:  Beginn 
mit  Grimzen  imd  Eülpsen,  dann  schnellende  Bewegungen  des  Körpers,  hält  sich 
mit  den  Händen  krampfhaft  an  der  Bettstatt.  —  Paranoide:  Fing  am  Tisch  plötzlich 
laut  zu  lachen  an,  dann  Stampfen;  schlief  ein;  erwachte  nach  einiger  Zeit  und 
stampfte  wieder  mit  einem  Fuß,  hielt  den  Arm  fest  über  den  Augen,  so  daß  man 
ihn  nicht  passiv  bewegen  konnte.  Keine  Amnesie,  sie  habe  nicht  antworten  können, 
habe  so  machen  müssen.  Später  hatte  sie  raomentweise  roten  Kopf  und  glaubte 
sich  dann  während  dieser  Zeit  verfolgt.  —  Eine  Hebephrene  hat  „Zitteranfälle  der 
Reine,  wobei  sie  innerlich  aufgeregt  wird  und  nicht  mehr  arbeiten  kann."  Eine 

^)  Schweizcrdeutsclier  Univcrsalflucli,  der  eigentlicli  „Aas  eines  Pferdes"  bedeutet 
und  als  Anklang  an  altgerraanischo  Anschauungen  noch  jetzt  im  Volksgefülil  religiöse  Be- 
deutung hat. 

10* 


148 


Schizophrenie. 


andore  bekommt  unregelmäßige  klonische  Zuckungen  in  Extremitäten  und  Gesicht.  — 
Eine  Katatonika  verdreht  die  Augen,  strampelt  mit  den  Füßen,  bekommt  Schaum 
vor  dem  Mund.  Dauer  zirka  zwei  Minuten.  Totale  Amnesie.  —  Die  Anfälle  können 
auch  im  Schlafe  auftreten.  Eine  unserer  Kranken  wurde  dadurch  geweckt,  daß  der 
Körper  in  die  Höhe  schnellte.  —  Ein  Hebephrene  bekommt  plötzlich  einen  roten 
Kopf,  dann  fährt  er  auf  und  schimpft. 

Die  letzteren  Beispiele  zeigen,  daß  es  kontinuierliche  Übergänge  gibt  von 
den  eigentlichen  zerebralorganischen  Anfällen  zu  den  xAufregungszuständen 
unserer  Kranken.  Es  ist  nun  allerdings  gewiß,  daß  ein  Teil  der  letzteren  rein 
psychisch  bedingt  ist,  indem  der  Gedankengang  der  Kranken  oder  ein  äußeres 
Ereignis,  eine  Wahrnehmung  den  Komplex  getroffen  hat.  Wenn  man  aber  die 
halluzinatorischen  Anfälle  betrachtet,  die  bei  den  älteren  Schizophrenen  unserer 
Pfiegeanstalten  so  häufig  sind,  so  bekommt  man  den  Eindruck,  den  meisten 
derselben  liege  ein  organischer  Vorgang  zugrunde;  weder  auf  ihre  Entstehung 
noch  auf  ihren  Ablauf  kann  man  irgendwie  einwirken;  man  kann  höchstens 
nach  und  nach  die  Kranken  gewöhnen,  daß  sie  auch  während  des  Anfalles 
sich  etwas  zusammennehmen,  oder  man  kann  erreichen,  daß  sie  selbst  verlangen, 
isoliert  zu  werden,  ,,wenn  es  kommt",  damit  sie  die  anderen  nicht  belästigen. 

Manche  abortive  Anfälle  lassen  sich  vom  epileptischen  petit  mal  nicht  unter- 
scheiden: Hebephrene,  meist  heiter;  plötzlich  nimmt  ihr  Gesicht  einen  mürrischen 
Ausdruck  an,  dabei  murmelt  Patientin  einige  unverständUche  Worte,  Dauer  einige 
Sekunden.  —  Hebephrene:  Fährt  etwa  plötzlich  auf,  greift  mit  den  Händen  an  seinen 
Kopf;  es  ist  ihm  schwarz  vor  den  Augen,  es  flimmert  alles.  Dauer  einige  Sekunden.  — 
Periodische  Katatonie :  Liegt  eine  Zeitlang  ganz  schlaff  wie  tot  da,  Augen  geschlossen, 
Puls  bleibt  gut.  Hier  ist  wieder  psychischer  Ursprmig  nicht  auszuschließen. 

Wernicke  hat  anfallsweise  Starre  gesehen,  die  namentlich  auftritt,  wenn 
man  von  den  Patienten  etwas  will.  Ich  habe  äußerlich  ähnliche  Anfälle  gesehen, 
die  sicher  sexueller  Orgasmus  waren.  —  Huefler  kennt  auch  Schmerzanfälle. 


Über  die  Häufigkeit  körperlicher  Mißbildungen  (ich  vermeide  ab- 
sichtlich den  Ausdruck  „Degenerationszeichen")  bei  der  Dementia  praecox 
existieren  meines  Wissens  noch  keine  brauchbaren  Untersuchungen.  Nach  der 
Arbeit  von  Laubi,  deren  Material  mir  zum  großen  Teil  bekannt  ist,  verhält 
es  sich  aber  so,  daß  die  jetzt  zur  Schizophrenie  gerechneten  Psychosen  viel 
weniger  Mißbildungen  aufweisen  als  die  Idioten  und  Epileptiker,  aber  etwas 
mehr  als  die  Gesunden.  Sehr  starke  schizophrene  Belastung  braucht  sich  in 
keiner  Weise  in  solchen  AnomaKen  auszudrücken.  Da  unter  den  Schizophrenen 
der  Anstalten  die  ursprünglich  intellektuell  minderwertigen  relativ  dominieren, 
kann  man  noch  nicht  sagen,  ob  die  Nichtimbezillen  unter  ihnen  wirkhch  mehr 
Mißbildungen  besitzen  als  die  Gesunden. 

Wintersteiner  hat  in  zwei  Drittel  seiner  „Paranoien"  (im  Sinne  der  Wiener 
Schule)  angeborene  Augenhintergrundveränderungen  gesehen. 

Viele  nennen  in  diesem  Zusammenhang  auch  die  Struma.  Es  ist  unzweifel- 
haft, daß  in  Kropfgegenden  mehr  große  Strumen  bei  den  Schizophrenen  zu 
finden  sind  als  in  der  gesund'en  Bevölkerung.  Es  kommt  auch  vor,  daß  die  Struma 


Akzessorische  Symptome.  Katalepsi 


149 


Y;)  Die  katatonen  Symptome. 

Unter  dem  Namen  der  katatonen  Symptome  faßt  man  eine  Anzahl  von 
Erschemungen  zusammen,  die  Kahlbaum  bei  seiner  Katatonie  gefunden  hatte, 
eigenartige  Motilitätszustände,  Stupor,  Mutismus,  Stereotypie  Manieren 
\eaativismus,  Befehlsautomatie,  spontane  Automatismen,  Impiüsmtat.  Ich 
möchte  nicht  sicher  behaupten,  daß  sie  alle  mehr  inneren  Zusammenhang  unter 
sich  haben  als  mit  anderen  Symptomen.  Jedenfalls  aber  ist  der  Begriff  bequem, 
und  ihm  entspricht  das  häufige  Zusammenvorkommen  der  einzelnen  Symptome 
bei  den  Formen  der  Schizophrenie,  die  wir  katatonische  nennen.  Mehr  als  die 
Hälfte  der  Schizophrenen  der  Anstalten  zeigen  dauernd  oder  vorübergehend 
katatone  Symptome. 

1.  Die  Katalepsie. 

Das  steife  Gesicht  der  Kranken  macht  manchmal  den  Eindruck  gespannter 
Züge;  auch  andauernd  innegehaltene  gezwungene  Stellungen  scheinen  auf 
Muskelrigidität  zu  deuten;  bei  passiven  Bewegungen  empfinden  wir  oft  einen 
Widerstand,  der  in  schweren  Fällen  geradezu  unüberwmdHch  werden  kann. 

In  Wahrheit  aber  kennen  wir  bei  der  Schizophrenie  das,  was  man  in  eigent- 
lichem Sinne  tonische  Zustände  der  Muskeln  nennen  könnte,  noch  nicht.  Was 
beschrieben  ist,  sind  komplizierte  Erscheinungen  mit  ganz  oder  doch  vorwiegend 
psychischer  Genese. 

Nicht  ganz  selten  allerdings  begegnet  es,  daß  ein  Patient  monatelang  eine 
bestimmte  Haltung  einnimmt  und  auch  ganz  steif  erscheint,  wenn  man  die 
Gheder  passiv  bewegen  will.  Das  kann  so  weit  gehen,  daß  man  den  ganzen 
Körper,  wie  wenn  er  aus  einem  einzigen  Stück  Holz  bestünde,  an  der  Hand,  am 
Fuß  herumbewegen  kann,  ohne  daß  die  relative  Lage  der  Glieder  verändert 
würde.  Sieht  man  aber  in  solchen  Fällen  genauer  zu,  so  kann  man  wohl  immer 
konstatieren,  daß  die  Muskeln  sich  im  Verhältnis  zur  äußeren  Kraft  in  jedem 
Moment  gerade  so  stark  spannen  wie  nötig  ist,  um  die  Stellung  innezuhalten. 
Dabei  ist  die  Dosierung  eine  merkwürdig  genaue,  die  Feststellung  der  Gelenke 
eine  fast  absolute.  Ein  Gesunder  brächte  die  gleiche  Art  des  Widerstandes  nur 
ausnahmsweise  und  nicht  auf  die  Dauer  zustande.  Es  fehlt  mir  bis  jetzt  der 
Beweis,  daß  die  Muskeln  zu  irgend  einer  Zeit  stärker  gespannt  wären,  als  nötig 
ist,  um  gegen  die  Schwere  oder  andere  äußere  Einflüsse  die  Stellung  beizube- 
halten. Dagegen  ist  in  einzelnen  Fällen  ein  Übergreifen  der  Spannung  auf  nicht 
direkt  engagierte  Muskeln  zu  beobachten  —  gerade  wie  bei  Anstrengungen 
von  Gesunden  auch. 

Ballet  (38,  S.  105)  hat  die  Neigung  zu  Spannungen  Katatonismus  genannt 
und  (mit  Anderen^)  vorausgesetzt,  daß  bestimmte  Muskelgruppen,  wie  namentlich 

^)  Vgl.  Kleist. 


150 


Schizophrenie. 


die  Beuger  des  Halses,  dazu  prädisponiert  seien.  Ich  habe  mich  noch  nicht  über- 
zeugen kömien,  daß  sich  das  Phänomen  an  bestimmte  Muskelgruppen  halte; 
es  scheint  mir  vielmehr,  daß  es  sich  hier  um  Innehaltung  bestimmter  Stellungen' 
durch  den  Patienten  handle,  von  denen  z.  B.  die  Beugung  des  Kopfes  bei  Rücken- 
lage besonders  häufig  ist.  Wir  erwähnen  diese  Erscheinungen  deshalb  unter  den 
Stereotypien  der  Haltung. 

Häufiger  als  die  vollkommene  Starre  ist  die  biegsame  Katalepsie: 
In  ausgesprochenen  Fällen  machen  die  Kranken  keine  oder  nur  seltene  spontane 
Bewegungen ;  wo  und  wie  man  sie  hinstellt  oder  hinlegt,  bleiben  sie  unbeweglich. 
Passiv  gegebene  Stellungen  werden  beibehalten,  und  zwar  ganz  gleichgültig,  ob 
sie  unbequem  seien  oder  nicht.  Man  kann  einem  stehenden  Kranken  em  Bein 
in  die  Höhe  heben,  die  Arme  horizontal  ausstrecken  und  auch  noch  den  Rumpf 
beugen,  er  bleibt  in  dieser  Stellung,  und  zwar  gelegentlich  zwanzig  Minuten 
und  noch  länger.  Ermüdungsgefühle  fehlen  dabei  (immer?).  Nach  einher  Zeit 
sinken  ausgestreckte  Glieder  herunter,  oder  sie  tauschen  ganz  unmerklich  ihre 
Lage  gegen  eine  andere,  vielleicht  ebenso  bizarre,  oder  sie  werden  mit  einem 
Ruck  in  eine  bequemere  Lage  gebracht,  aber  oft  so,  daß  die  zuerst  gegebene 
Stellung  noch  einigermaßen  markiert  ist :  der  Arm,  der  nach  vorn  ausgestreckt 
gewesen,  bleibt  auch  in  herabhängender  Stellung  noch  ein  wenig  nach  vorn 
gehoben,  der  zunächst  seitlich  ausgestreckte  entfernt  sich  seitlich  noch  ein  wenig 
vom  Körper. 

Oft  empfindet  man  bei  passiven  SteUungsveränderungen  kaum  einen 
Widerstand,  ja  es  ist,  wie  wenn  die  Kranken  der  Absicht  des  Untersuchers  zuvor- 
kommen wollten;  sie  heben  das  Glied  beim  leisesten  Anstoßen  von  selbst  und 
erraten  dabei  meist  die  gewünschte  Richtung  sehr  gut;  geht  man  etwas  rasch 
vor,  so  schießen  sie  leicht  über  das  Ziel  hinaus^).  In  anderen  Fällen  wieder  findet 
man  einen  deutlichen  Widerstand,  man  muß  zum  mindesten  das  Gewicht  des 
Armes  heben  wie  bei  einem  toten  Körper.  In  wieder  anderen  Fällen  ist  ein 
leichter  Muskelwiderstand  zu  überwinden.  Man  kann  diese  Bilder  nicht  recht 
voneinander  trennen,  und  ich  möchte  sie  deshalb,  wie  manche  andere  Autoren, 
miter  dem  Namen  der  Flexi bilitas  cerea  zusammenfassen. 

Viel  häufiger  ist  das  Symptom  nur  angedeutet.  Die  Kranken  bewegen 
sich  für  gewöhnlich  frei,  aber  wenn  man  einem  Glied  eine  bestimmte  Stellung  gibt, 
behalten  sie  sie  einige  Zeit  bei,  manchmal  ohne  sich  in  den  übrigen  Bewegungen 
des  gleichen  Gliedes  stören  zu  lassen.  Sie  machen  z.  B.  Gesten  oder  stereotype 
Bewegungen  mit  einer  Hand;  hält  man  ihnen  den  entsprechenden  Arm  hoch, 
so  lassen  sie  ihn  oben,  machen  aber  die  gleichen  Bewegungen,  die  sie  vorher  in 
gewöhnlicher  Lage  ausführten,  über  ihrem  Kopfe. 

Die  Art  mid  Weise,  wie  man  einem  solchen  Kranken  das  Glied  bewegt,  ist  nicht 
ganz  gleichgültig;  oft  zeigt  sich  Katalepsie  nur,  wenn  man  das  Glied  etwas  brüsk 
in  die  neue  Stellung  bringt,  wie  wenn  man  andeutete,  daß  es  da  sein  sollte.  Wirksani 
ist  aber  nicht  die  Suggestion  im  gewöhnlichen  Sinne :  der  Patient  braucht  nicht  zu 
meinen,  man  verlange  von  ihm  die  Beibehaltung  einer  bestimmten  Stellung.  Ich 

1)  Wer.nicke  nennt  dieses  Symptom  Pseudof lexibilitas  und  hält  es  für  einen 
geringeren  Grad  der  Flexibilitas  cerea;  Ziehen  unterscheidet  diese  Pseudoflexibüitas  prin- 
zipiell von  der  letzteren,  da  es  sich  bei  ilir  um  die  Wirkung  einer  bestimmten  Vorstellung 
handle. 


Akzessorische  Sj'mptome.  Katalepsie. 


151 


prüfe  oft  mit  Erfolg  auf  Katalepsie,  indem  ich  den  Kranken  den  Puls  fühle  und  dabei 
wie  zufällig  ihren  Arm  in  die  Höhe  halte,  um  ihn  nach  vollendeter  Zählung  einfach 
loszulassen.  Man  kann  umgekehrt  in  der  gleichen  Weise,  wie  man  sonst  auf 
Katalepsie  prüft,  beliebige  andere  Kranke  imd  Gesunde  behandeln,  ohne  daß  das 
Phänomen  zmn  Vorschein  käme. 

In  selteneren  Fällen  äui3ert  sich  die  Katalepsie  in  der  Fortsetzung  von  Be- 
wegungen, die  den  Kranken  mitgeteilt  werden.  Wenn  man  den  Kranken  die  Hände 
umeinander  dreht,  so  können  sie  nicht  mehr  aufliören.  Wenn  sie  beim  Freiturnen 
eine  bestimmte  Zahl  von  Bewegungen  machen  sollten,  machen  sie  zu  vieP)  u.  dgl. 

Bei  ausgesprochener  Katalepsie  fehlen  die  spontanen  Bewegungen.  In 
leichteren  Fällen  sind  sie  deutlich  erschwert,  sie  werden  langsam  und  kraftlos 
ausgeführt.  Oft  sieht  man  den  Patienten  die  Anstrengung  an,  sie  öffnen  z.  B. 
die  Lippen,  wenn  sie  eine  Antwort  geben  sollen,  bringen  aber  nach  vielen  Ver- 
suchen oft  nur  ein  leises,  langsames  Geflüster  heraus,  so  daß  man  an  eine  Hem- 
mung denkt.  Andere  Kranke  führen  noch  die  eine  oder  andere  Handlung  aus; 
namentlich  gehen  sie  noch  herum;  aber  auch  dann  geschieht  das  Meiste  langsam, 
zögernd,  kraftlos.  Die  Endstellung  einer  Handlung  kann  fixiert  werden;  oder 
mitten  in  Bewegungen  erstarren  die  Kranken.  Ein  Patient  will  den  Löffel  zum 
Munde  führen,  auf  halbem  Wege  bleibt  ihm  die  Hand  stehen  und  verändert 
viele  Minuten  ihre  Lage  nicht;  sie  kann  dann  allmählich  der  Schwere  folgend 
hinmitersinken,  oder  es  kann  die  begonnene  Handlung  noch  vollendet  werden. 
Die  Fixierung  kann  ebensogut  den  ganzen  Körper  betreffen  wie  ein  Glied. 

Auch  die  höchstgradige  Katalepsie  ist  wohl  durch  innere  oder  äußere 
psychische  Einflüsse  momentan  lösbar.  Wie  bei  jedem  anderen  katatonischen 
Stupor  können  die  Kataleptischen,  die  ganz  unbeweglich  schienen,  plötzlich 
auffahren,  einen  Nachbar  hauen  oder  beißen  oder  sonst  etwas  Unangenehmes 
anstellen,  um  nach  einigen  Sekunden  wieder  starr  zu  sein ;  sie  können  aber  auch 
plötzlich  ganz  vernünftig  plaudern  oder  sich  mit  Halluzinationen  unterhalten. 
Die  Bewegungen  zeigen  in  solchen  Momenten  keine  Störungen  mehr,  werden 
im  Gegenteil  oft  mit  großer  Kraft  und  Gewandtheit  ausgeführt  (vgl.  oben  die 
tanzenden  Kataleptikerinnen. 

Gewisse  Kranke  werden  nur  unter  bestimmten  Umständen  kataleptisch. 
Eme  Patientin  kann,  wenn  sie  sich  allein  glaubt,  bald  fröhlich  singen,  vergnügt 
lachen,  bald  unflätig  schimpfen,  um  sofort  kataleptisch  zu  werden,  wenn  sie 
sich  beobachtet  weiß.  Ob  dabei  Negativismus  zu  finden  sei  oder  nicht,  braucht 
keinen  Unterschied  zu  machen.  Andere  bewegen  sich  bei  der  Arbeit  ganz  frei 
werden  aber  kataleptisch,  wenn  man  sie  untersuchen  wiU.  Einer  unserer  Rekon- 
valeszenten, der  schon  einige  Zeit  frei  schien,  wurde  kataleptisch,  als  beim  Kapitän- 
spiel  etwas  größere  Anorderungen  an  seine  Aufmerksamkeit  gesteUt  wurden. 

Uie  Katalepsie  kann  auch  etwa  abwechseln  mit  voller  Starre;  bei  negativisti- 
schen  Kranken  kann  man  die  letztere  geradezu  provozieren.  In  einem  unserer  Fälle 
kam  zwischenhinein  vollkommene  Erschlaffung  der  Muskulatur,  so  daß  der  Kranke 
eir^^^z^"  uTer       ^'"^  Leichnam.  Sonst  ist  der  Muskeltonus  bei  Flexibihtas  cerea 

l.n«i  f ^'''^if  ^^^^^  andauernd  und  in  mehreren  Anfällen  nur  rechtsseitige  Kata- 
lepsie (veAunden  mit  Tremor,  Analgesie  und  Gehörshalluzinationen  der  gleich! n  Se'te). 

')  Mündliche  Mitteilung  von  Bezzola. 


152 


Schizophrenie. 


Merkwürdig  sind  zuweilen  Mischuiigeji  der  Katalepsie  mit  Negativismus.  Wenn 
mau  z.  B.  einem  solchen  Kranken  den  rechten  Arm  in  die  Höhe  hält,  reißt  er  ihn 
brüsk  negativistisch  herunter,  hebt  aber  dafür  den  linken  in  die  verlangte  Stellung. 
(Ähnliches  habe  ich  schon  gesehen,  auch  ohne  daß  man' Grund  hatte,  Negativismus 
anzunehmen,  nur  wurde  das  angefaßte  Glied  dann  nicht  so  brüsk  in  seine  Normal- 
stelkmg  gebracht.)  —  Abraham  hat  auch  Flcxibilitas  auf  der  einen  .Seite,  und 
negativistischc  Steifheit  auf  der  andern  gesehen  (natürlich  ohne  Suggestion). 

Bei  einer  Mischung  von  Echopraxie  mit  Katalepsie  sahen  wir  eine  Nachahmung 
der  einen  Seite  durch  die  andere:  der  rechte  Arm  des  Patienten  wurde  passiv  in  die 
Höhe  gehalten,  der  lijike  nach  unten  ein  wenig  ausgestreckt.  Nach  und  nach  sanken 
beide  Arme  etwas  herab,  der  linke  in  die  natürliche  Stellung,  der  hochgehaltene 
rechte  näherte  sich  dem  Kopfe  und  wurde  schließlich  an  den  Hinterkopf  angelegt, 
was  der  linke  aus  der  hängenden  Rulielage  nachmachte.  Patient  blieb  dann  längere 
Zeit  in  dieser  Stellung. 

Neben  den  verschiedenen  katatonischen  Zuständen,  seltener  vereinzelt, 
kann  eine  bald  allgemeine  und  andauernde,  bald  ganz  launenhaft  auftretende 
Schwierigkeit  oder  Unmöglichkeit  der  Bewegungen  bestehen.  Es 
kostet  die  Patienten  Anstrengungen,  die  Muskeln  zu  kontrahieren;  die  Be- 
wegungen werden  kraftlos,  langsam,  zitternd,  ja  vielfach  ganz  unmöglich.  Es 
kann  ihnen  dabei  sein,  wie  wenn  das  Glied  gelähmt  oder  auch  steif  wäre  oder 
wie  wenn  es  durch  äußere  Gewalt  festgehalten  würde.  Manchmal  motivieren 
sie  den  Zustand  fälschlich  du.rch  Halluzinationen  und  Wahnideen;  natürlich 
kann  Akinese  auch  so  bedingt  sein,  aber  dann  handelt  a  sich  nicht  um  eine 
Motilitätsstörung  im  obigen  Sinn  einer  psychischen  Lähmung  oder  Parese^). 
Der  Zustand  erschreckt  die  Kranken  meist  auffallend  wenig;  immerhin  besteht 
Angst  oft  daneben,  erscheint  aber  dann  in  ihrem  Verlauf  unabhängig  von  der 
Akinese.  —  Bei  Stupor  und  Benommenheitszuständen  macht  die  Herabsetzung 
der  Bewegungsfähigkeit  gelegentlich  den  Eindruck  eines  allgemeinen  Hirntorpors. 

2.  Der  Stupor. 

Sehr  viele  Katatoniker  werden  stuporös  genannt.  Im  präzisen  Ziehe n- 
schen  Sinne  (Aprosexie  +  Denkhemmung  +  Bewegungslosigkeit)  aber  finden 
wir  den  Stupor  fast  nur  bei  der  Benommenheit  (vgl.  folgendes  Kapitel,  akute 
Syndrome),  offenbar  als  Folge  einer  allgemeinen  Reduktion  der  psychischen 
Tätigkeit,  ferner  bei  totaler  Sperrung.  Das  äuJSere  Bild  der  mangelnden  oder 
stark  verminderten  Reaktion  auf  die  Umgebung  findet  sich  aber  auch  noch 
bei  allen  akinetischen  Katatonien;  es  wird  außerdem  hervorgebracht  durch 
allgemeine  Sperrung,  durch  starke  (melanchohsche)  Hemmung  der  psychischen 
Vorgänge,  durch  den  Mangel  an  Interesse,  an  Affekt  und  Willen,  durch  den 
Autismus,  die  Dämmermechanismen,  den  Negativismus,  durch  massenhafte 
Halluzinationen,  die  auch  ohne  systematische  Absperrung  der  Außenwelt  die 
Kranken  vollständig  m  eine  Phantasiewelt  versetzen. 

Natürlich  mischen  sich  diese  verschiedenen  Formen  von 
Stupor  gern  miteinander,  indem  mehrere  Ursachen  zugleich  vor- 
handen sind. 


1)  Oft  werden  die  die  Bewegung  verbietenden  Stimmen  und  die  Ersclnvening 
Motilität  parallele  Folgen  einer  einheitlichen  Ursaclie  sein. 


Akzessorische  Symptome.  Stupoi-.  Hyperkinese.  Stereotypien. 


153 


Der  Stupor  braucht  nicht  ein  vollkommener  zu  .sem.  Manche  Stuporöse 
duseln  nur  so  herum,  können  aber  noch  auf  manche  einfachen  Gespräche  ein- 
gehen oder  etwas  arbeiten.  Einer  unserer  Kranken  wollte  hinter  dem  Heustock 
etwas  nachsehen,  zündete  dazu  ein  Streichholz  an,  wodurch  das  Heu  in  Flamraeji 
kam.  Er  hatte  noch  in  der  Wirtschaft  mithelfen  können,  was  die  Frau  ihm  be- 
fahl; um  selber  zu  denken,  daß  es  gefährlich  sei,  in  unmittelbarer  Nähe  von 
Heu  und  Stroh  Feuer  zu  machen,  dann  um  die  nötige  Sorgfalt  anzuwenden  und 
schlicßhch,  um  das  Feuer  im  Entstehen  zu  löschen,  war  er  nicht  mehr  denk- 
fähig genug. 

Wohl  alle  schizophrenen  Stuporformen,  mit  Ausnahme  vielleicht  der  als 
Benommenheit  bezeichneten,  können  sich  unter  psychischen  Einflüssen  ganz 
oder  teilweise  lösen.  Trifft  man  die  Komplexe  der  Kranken,  so  sieht  man  oft 
deuthche  Eeaktion,  sei  es  in  der  Spannung  der  Muskeln,  sei  es  in  der  Gefäß- 
innervation.  Die  Kranken  fassen  also  noch  auf  und  verarbeiten.  Der  stuporöse 
Katatoniker  Riklins  (612)  antwortete  nur  auf  die  Ideen  und  las  nur  die  Worte, 
die  ganz  direkt  mit  seinen  krankhaften  Wünschen  zusammenhingen.  Eine  ganz 
starre  imd  negativistische  Patientin  beißt  sofort  auf  die  Zähne,  als  ich  ihr  sage, 
sie  sei  zu  mager,  um,  wie  sie  meinte,  Speisen  gestohlen  zu  haben.  Eine  unbewegliche 
Kranke  bricht  in  herzliches  Lachen  aus,  als  eine  andere  Butter  aus  einem  Papier 
verhert.  Stuporöse  können  auf  einmal  richtig  Schach  spielen,  beim  Schreiben 
schnelle  Bewegungen  machen,  Klavier  spielen  usw.  Durch  Besuche  der  An- 
gehörigen lassen  sich  viele  vollständig  ,, aufwecken". 

Uber  den  Mutismus,  der  oft  als  Teilerscheinmig  des  katatonen  Stupors 
beschrieben  wird,  siehe  oben  S.  121. 


3.  Die  Hyperkinese. 

Den  aldnetischen  Symptomen  des  Stupors  und  der  Flexibilitas  cerea 
stehen  gegenüber  die  katatonen  Hyperldnesen.  Sie  sind  von  der  Wer  nick e- 
schen  Schule  als  eine  besondere  Krankheit  mit  Reizerscheinungen  der  Psycho- 
motiUtät  hingestellt  worden.  Es  fehlt  aber  bis  jetzt  der  Nachweis,  daß  es  sich 
nicht  auch  hier  um  eine  Teilerscheinung  des  aUgemeinen  psychischen  Zustandes 
der  Katatonie  handelte;  die  „pseudospontanen"  Bewegungen  erscheinen,  wie 
andere  Bewegungen  bei  Katatonikern,  willkürlich,  automatisch  und  stereotyp 
ni  bunter  Mischung.  Da  sie  häufig  das  äußere  Bild  der  katatonischen  Aufreaun<y 
ganz  allem  zeichnen,  werden  sie  bei  den  akuten  Symptomenkomplexen  näher 
beschneben. 

4.  Die  Stereotypien. 

Eine  der  äußerhch  auffaUendsten  Erscheinungen  ist  die  Neiguncr  der 
Schizophrenen  zu  Stereotypien.  Wir  finden  sie  auf  allen  Gebieten,  dem  der 
Bewegung,  der  Handlung,  der  Haltung,  des  Sprechens,  Schreibens,  Zeichnens 
Halh'^idereir  """^  ^^^«i'^^^i^^hen  Äußerung,  des  Denkens,  Verlangens,  des 

dierec^hteF^n^•f^?'^■^'"^''\^^^^  ausfahrenden  Bewegungen 

die  rechte  Hand  über  den  hnken  Daumen;  andere  tupfen,  womöglich  mit  angespeichel- 

Mobein  und  Wanden  nach,  wie  wenn  sie  abstauben  wollten;  andere  klopfen 


154 


Schizophrenie. 


rliythmiscli  an  die  Bettstelle,  klatschen  in  die  Hände,  machen  allerlei  Manipulationen 
an  den  Zähnen  usw.  Wieder  andere  gehen  in  bestimmter  Weise  herum,  tappen  mit 
dem  Fuß  an  einer  gewissen  Stelle,  balancieren  wie  in  einer  Quadrille,  nicken  mit 
dem  Kopf,  drehen  sich  im  Liegen  oder  im  Stehen  beständig  um  die  Längsachse, 
machen  immer  die  gleichen  Turnübungen.  Manchmal  hat  die  Stereotypie  den  An- 
schein einer  gewollten  Handlung:  sie  reißen  sich  die  Haare  aus,  oft  in  einer  be- 
stimmten Form,  so  daß  z.  B.  noch  eine  Raupe  über  die  Mittellinie  des  Kopfes  stehen 
bleibt,  stecken  den  Finger  in  den  After,  schmieren  in  einer  bestimmten  Weise, 
zupfen  an  den  Kleidern,  drehen  die  Knöpfe  ab. 

Die  Haltnngsstereotypien  zeigen  etwas  weniger  Abwechslung,  sehr  viele 
der  ruhig  im  Bett  liegenden  Katatoniker  halten  in  Rücken-  und  sogar  in  Seitenlage 
den  Kopf  vom  Kissen  abgehoben,  eine  Stellung,  die  der  Gesunde  nicht  lange  ohne 
Ermüdung  innehalten  könnte;  sie  kauern  sich  zusammen,  sitzen  oder  stehen  steif 
wie  eine  ägyptische  Statue  da,  halten  die  Beine  gespreizt,  die  eine  Hand  in  ganz 
bestimmter  Fingerhaltung  an  die  Wange;  kauern  in  gezwungenster  Stellung  im 
Bad,  so  daß  der  Kopf  genau  bis  über  die  Mundwinkel  und  dazu  noch  der  Rücken 
aus  dem  Wasser  ragt;  blicken  wochenlang  den  gleichen  Fleck  an,  oft  in  extremster 
Augenstellung,  die  der  Gesunde  keine  zwei  Minuten  festhalten  könnte. 

Stereotypie  des  Ortes  kommt  in  zweierlei  Weisen  zum  Ausdruck,  indem 
die  Kranken  immer  die  gleiche  Ecke  des  Zimmers,  das  gleiche  Plätzchen  im  Garten 
zum  Aufenthalt  wählen  und  sich  den  Ort  geradezu  erkämpfen,  wenn  er  ihnen 
zufälligerweise  oder  absichtlich  streitig  gemacht  wird,  oder  indem  sie  an  einem 
bestimmten  Ort  immer  die  gleichen  Sonderbarkeiten  machen,  z.  B.  an  einer  bestimmten 
Stelle  des  Korridors  beim  Vorbeigehen  immer  dreimal  an  die  Wand  klopfen. 

Handlungen,  die  an  sich  nicht  sinnlos  sind,  werden  ohne  Unterlaß  wieder- 
holt, immer  mit  photographischer  Gleichheit.  Der  Kranke  geht  genau  in  der  gleichen 
Weise  an  der  gleichen  Stelle  ins  Bett  und  wieder  heraus;  er  läuft  im  Garten  den- 
selben Kreis  oder  dasselbe  Viereck  ab,  so  daß  man  die  Spuren  immer  ausebnen  muß ; 
ein  Arzt  machte,  Jahre  bevor  die  Krankheit  manifest  wurde,  eine  starke  Vertiefung 
in  den  harthölzernen  Boden  seines  Zimmers,  indem  er  sich  immer  genau  an  der 
gleichen  Stelle  auf  dem  Absätze  umdrehte ;  Wände  imd  Möbel  der  Anstalten  zeigen 
häufig  Spuren  solcher  stereotyper  Handlungen. 

Die  verschiedenen  Arten  von  Stereotjrpien  werden  natürlich  sehr  oft  zu  kom- 
plizierten Bildern  zusammengesetzt.  Die  Patientin  steht,  während  sie  strickt,  an 
einer  bestimmten  Stelle  in  bestimmter  Orientierung  und  Haltung;  so  wie  die  Arbeit 
abgebrochen  wird,  gelit  sie  in  den  Korridor,  stellt  sich,  Front  gegen  die  Eßzimmertür, 
auf,  bis  das  Essen  aufgetragen  wird,  worauf  auch  dieses  in  ganz  bestimmter  Weise 
eingenommen  wird. 

Auch  die  AusdrucksbeAvegungen  werden  etwa  stereotypiert.  Der  eme 
grinst,  der  andere  macht  ein  trauriges  Gesicht,  gleichgültig,  wie  seine  Stimmung 
sei.  Stereotypes  Brüllen,  Schreien  und  Quieken  hat  oft  dieselbe  Bedeutimg;  ebenso 
das  Vorstrecken  der  Lippen  („Schnauzkrampf").  Hier  mögen  auch  die  musi- 
kalischen Stereotypien  erwähnt  werden;  eine  Kranke  spielte  jahrelang  oft  tausende 
von  Malen  nacheinander  bald  einen  bestimmten  Trüler,  dann  wieder  einen  kleinen 
Satz  von  wenigen  Tönen.  Häufiger  wird  das  gleiche  Lied  oder  Stuck  emes  Liedes 
immer  wieder  gesungen,  von  einem  Kranken  mit  störend  gellender  Stimme,  vom 
andern  diskret.  Es  kann  auch  nur  irgend  eine  bekannte  oder  selbst  erfundene  Me- 
lodie allen  mögüchen  Texten,  sogar  den  Antworten  auf  Fragen  aufgepfropft  werden, 
ebenso  ein  Rhythmus,  der  im  Sprechen  festgehalten  wird. 

Die  meisten  der  schwerer  Kranken  haben,  wenn  sie  sich  überhaupt  äußern, 
die  Neigung,  bestimmte  Ausdrücke  immer  und  immer  wieder  zu  brauchen  an  pas- 


Akzessorische  Symptome.  Stereotypien. 


155 


sender  und  unpassender  Stolle.  Manchmal  werden  ohne  jeden  Zusamnie..hang,  ]a 
überhaupt  ohne  die  Absicht  einer  Mitteilung,  die  gleichen  Worte  und  featze  unge- 
zählte Male  nacheinander  ausgestoßen  in  gewöhnlichem  Tone,  schreiend,  flüsternd, 
sinkend-  affektiver  Ausdruck  fehlt  oft  dabei;  kommt  er  vor,  so  ist  er  meist  ganz 
gekünstelt,  übertrieben,  dem  Inhalt  nicht  entsprechend  (Verbigcratio n)  So 
wiederholte  ein  Patient  immer  den  Satz:  „Du  stiehlst  dem  Heiland  das  Recht  ab  , 
ein  anderer:  „I  thank  you,  Sir".  Das  Wort  „Liebe"  wird  von  manchen  Patientinnen 
ziun  Verbigerieren  mißbraucht;  ganz  unsinnige  Verbindungen  von  Lauten  wie  „ge- 
kreuzigter Krex  in  e  Umkrexhaus"  (Kraepelin)  sind  nicht  selten.  Meist  ist  der 
Inhalt\icht  in  allen  Details  stereotyp;  eine  Kranke  nennt  die  Namen  ihrer  Kmder, 
ein  Katatoniker  zählt  ohne  jede  Ordnung  Namen  von  Ortschaften  auf.  Das  Frl. 
Müller  zählt:  „21  Herr  Müller,  22  Herr  Müller"  usw.;  eine  andere  rechnet  laut  rufend: 
„Imal  i  ist  90;  2  mal  3  ist  7;  2  mal  1  ist  24;  2  mal  2  ist  28"  usw.  Ein  anderer 
spricht  halblaut:  „a,  o,  u,  e,  e,  a,  u,  e,  a,  o  usw.  in  verschiedenen  Variationen; 
eine  andere:  „ich  denke,  ich  will"  und  konjugiert  dazwischen  das  Präsens  von 
lieben".  Manchmal  kommen  die  Leute  im  Thema  doch  ein  wenig  weiter:  bababababa, 
•s',  s,  s,  s  sind  rechte  Leut,  s,  s,  s,  s  sind  rechte  Leut,  rechte  Leut,  rechte  Leiit, 
rechte  Leut,  bababababa,  hmhmhmhm  ich  habe  ja  geschlafen,  ich  habe  ja  geschlafen 

 ....  was  ist  auch  das,  was  ist  auch  dadadadadadas?  babababa  ." 

Eine  unserer  Kranken  wandelte  täglich  stundenlang  eines  von  wenigen  Thematen 
ab,  z.  B.  „Concierge",  wobei  sie  alle  ihr  bekannten  Haushüter,  die  Einzelheiten 
von  deren  Wohnung  beschrieb  usw. 

Auch  die  Verbigeration  kombiniert  sich  mit  anderen  Stereotypien,  so  bei 
Neissers  Kranker,  die  verbigerierte  ,, erbarme  dich"  und  jedesmal  den  Eumpf  vor- 
und  rückwärts  bewegte. 

Nicht  wohl  zur  Verbigeration  zu  rechnen  sind  Sprachstereotypien  wie  die 
folgenden:  Einschieben  von  stereotypen  Worten  (,,bist  du  da,  liebs  Beschützerli, 
plumps,  bist  du  da?  plumps")  oder  auch  nur  von  irgend  welchen  Lauten,  die 
nicht  der  Sprache  anzugehören  brauchen  (eine  unserer  Paranoiden  hängte  an  jedes 
Wort,  nach  dem  im  Sprechen  eine  kleine  Pause  möglich  war,  einen  grimzenden  Ton 
an).  Wieder  anders  ist  es,  wenn  ein  Patient  auf  alle  Fragen  nur  mit  dem  Wort ,, schön" 
in  verschiedenen  Tonlagen  antwortet.  Auch  Ausrufe,  die  nicht  gleich  nacheinander 
wiederholt  werden,  werden  stereotypiert  und  ganz  miabhängig  von  ihrem  Sinn 
angebracht:  So  sagt  eine  Kranke  seit  dreißig  Jahren  alle  Augenblicke:  „es  ist  mir 
nicht  wohl"  als  Zeichen  der  Freude,  so  gut  wie  zum  Ausdruck  von  etwas  Unan- 
genehmem oder  auch  in  anscheinend  ganz  gleichgültiger  Stimmmig;  gelegentlich 
übersetzt  sie  einen  Teil  in  eine  fremde  Sprache  (well,  bene). 

Die  schriftliche  Verbigeration  zeigt  die  gleichen  Eigenschaften  wie  die 
mündliche.  Wörter,  Sätze,  Buchstaben,  haben  sie  einen  Sinn  oder  nicht,  werden 
mit  oder  ohne  Variationen  ins  Unendliche  wiederholt.  Hinzu  kommen  aber  noch 
allerlei  Schnörkel,  die  an  die  Buchstaben  oder  unabhängig  von  denselben  angebracht 
werden;  namentlich  lieben  es  die  Katatoniker,  mit  den  Satzzeichen  zu  spielen,  eine 
bestimmte  Anzahl  von  Punkten  wird  mit  Strichen  kombiniert,  es  werden  Figuren 
daraus  gebildet,  die  sich  immer  wiederholen  usw.  Ganze  Schriftstücke  können  in 
großer  Anzahl  so  genau  gleich  gefertigt  werden,  daß  beim  Aufeinanderlegen  die 
einzelnen  Buchstaben  sich  decken  (Antheaume). 

Auch  die  zeichnerischen  Äußerungen  neigen  zur  Stereotypie.  Sie  be- 
handeln gerne  ein  und  dasselbe  Thema,  kürzen  es  bis  zur  Unverständlichkeit  ab, 
sei  es,  daß  es  sich  um  einfache  Ornamente  handle,  die  oft  aus  allerlei  verschlungenen 
Strichen  gebildet  sind,  sei  es,  daß  Figuren  oder  andere  Darstellungen  bevorzu^^t 
werden.  Em  Maler  malte  mit  einigem  Geschick  eine  Unzahl  überschlanker  nackter 
Jungfrauen  in  einer  Felsenspalte,  ohne  je  vom  Thema  abzugehe 


len. 


156 


ScliizopLrenie. 


Zu  unterscheiden  von  den  Stereotypien  der  Sprache  sind  diejenigen  der  Ge- 
danken und  Wünsche,  die  dann  natürlich  auch  sprachlich  immer  gleich  geäußert 
werden.  Man  kann  wohl  die  oft  ganz  automatisch  gewordenen  Bitten  um  Entlassun«y 
die  sich  täglich  in  der  gleichen  Form  wiederholen  und  auf  die  viele  Kranke  gar  keine 
Antwort  erwarten,  hierherzählen.  Das  Gleiche  ist  es,  wenn  eine  Patientin  täglich 
verlangt,  daß  wir  ein  Parkfest  abhalten,  obschon  sie  wissen  kann,  daß  dies,  ab- 
gesehen von  allen  anderen  Hindernissen  z.  B.  im  Winter  ganz  unmöglich  ist.  Weniger 
verständlich  wird  es,  wenn  ein  Patient  lange  Zeit  jede  Frage  mit  der  Gegenfrac^e 
beantwortet:  „Wäre  es  nicht  gut,  ein  Pechpflaster  aufzulegen?" 

Die  Stereotypie  der  Gedanken  ist  oft  eine  so  große,  daß  die  Kranken 
mifähig  sind,  etwas  anderes  zu  denken,  als  einen  oder  ganz  wenige  Gedanken.  Hierher 
gehört  es  wohl  auch,  wenn  ein  katatonischer  Arzt  bei  den  verschiedensten  Indi- 
kationen immer  das  gleiche  Mittel  verschreibt. 

Die  Stereotypie  der  Halluzinationen  fällt  namentlich  auf  dem  Gebiete 
des  Gehörs  auf,  wo  die  Patienten  tausende  von  Malen  immer  die  gleichen  Worte, 
die  gleichen  Beschimpfungen  vernehmen  müssen. 

Die  Stereotypien  kommen  nicht  immer  ohne  äußeren  Anlaß  von  innen- 
heraus;  bei  Erzählungen  werden  oft  bestimmte  Komplexstellen  der  Kranken 
damit  markiert;  so  machte  eine  Katatonische  viele  Jahre  lang,  nicht  nur  wenn 
sie  ihren  Gedanken  nachhing,  sondern  im  Gespräch  gewisse  Kreisbewegungen 
mit  ihren  Armen,  die  bedeuteten,  daß  sie  viele  Millionen  habe. 

Das  Verhalten  der  Kranken  den  Stereotypien  gegenüber  ist 
ein  sehr  buntes.  Die  meisten  benehmen  sich,  wie  wenn  die  Stereotypie  etwas 
Selbstverständliches  wäre.  Einzelne  suchen  sie  vergeblich  zu  unterdrücken. 
Arbeitende  Patienten  unterbrechen  während  der  Arbeit  ihre  stereotypen  Be- 
wegungen; andere  suchen  beides  miteinander  zu  vereinigen;  wieder  andere 
setzen  bei  der  Arbeit  aus,  um  Bewegungen  auszuführen. 

Auslcunft,  warum  die  Kranken  die  Bewegungen  machen,  bekommt  man 
auf  direkte  Fragen  nur  ganz  ausnahmsweise.  Die  Kranken  geben  irgend  einen 
Grund  an:  „um  eine  Beschäftigung  zu  haben",  „die  Rehgion  zu  retten"  usw., 
oder  sie  lehnen  die  Auskunft  ab.  Bei  solchen  Erkundigungen  kommen  aber 
sehr  häufig  allerlei  Komplexsymptome  zum  Vorschein :  Ein  ganz  torpider  Kranker, 
der  monatelang  keine  rasche  Reaktion  gezeigt  hat,  antwortet  auf  die  Frage, 
warum  er  beständig  die  Finger  im  Gesicht  habe:  „Das  ist  eine  Coutume  von 
mir",  und  das  viel  prompter  als  ein  Normaler  und  mit  sichthchen  Zeichen  der 
Erregung.  Auch  Negativismus  wird  häufig  durch  solche  Fragen  provoziert. 

Die  Stereotypien  haben  große  Gewalt  über  die  ganze  Psyche.  Nicht  niu-, 
daß  sie  andere  Handlungen  unmöglich  machen  können  und  oft  den  Kranken 
zum  Innehalten  der  unbequemsten  Stellungen  veranlaßten;  sie  können  sich 
durchsetzen  auch  auf  Kosten  der  Integrität  des  Körpers:  Bei  relativ  gesunder 
Zirkulation  kann  die  Innehaltung  der  gleichen  Lage  zu  Dekubitus  führen;  oft 
ist  es  schwer,  Patienten,  die  immer  die  gleiche  Hautstelle  reiben,  vor  ernsten 
Verletzungen  und  Infektionen  zu  bewahren.  Frauen,  die  beständig  mit  den 
letzten  Fingern  die  Schürze  oder  den  Rock  in  die  Höhe  halten,  bekommen  manch- 
mal Dupuytrensche  Kontrakturen;  und  in  der  Zeit,  da  man  die  Kranken 
mehr  sich  selbst  zu  überlassen  pflegte,  waren  Kontrakturen  der  Beine,  die  die 
Kniee  in  der  Nähe  des  Kinns  festhielten,  keine  Seltenheit. 

Wie  schon  aus  einigen  angeführten  Beispielen  hervorgeht,  sind  die  Stereo- 


Akzessorische  Symptome.  Manieren. 


157 


typien  keineswegs  ganz  unveränclei-lich.  Diii-ch  äußere  Einflüsse  können  sie 
modifiziert  werden,  ja  sie  können  sich  den  Verhältnissen  anpassen.  Eine  Patientin 
hatte  die  Gewohnheit,  wenn  eine  männhche  Person  auf  die  Abteilung  kam,  in 
einer  gar  nicht  üblen,  selbstgemachten  Melodie  unzählige  Male  zu  singen:  „0 
was  für  ein  schöner  prächtiger  Herr  Pfarrer!"  Als  ich  nun  einmal  mit  schmutzigen 
Schuhen  von  der  Straße  kam,  sang  sie:  „Was  für  ein  schöner  dreckiger  Herr 
Pfarrer!"  Sehr  häufig  werden  Worte,  die  in  der  Umgebung  ausgesprochen  oder 
begrifflich  angedeutet  wurden,  mit  den  ursprünghchen  Stereotypien  verquickt. 
Auch  durch  zufällige  Assoziation  verbundene  Worte  können  neu  hineinkommen : 
„Hallelujah  (5 mal),  holla,  holla,  holla;  oh  la,  oh  la,  was  hat  es  gegeben". 

Auch  können  Wünsche,  die  in  der  Verbigeration  zum  Ausdruck  kommen, 
erweitert  werden  und  ebenfalls  ihren  Ausdruck  finden. 

Am  häufigsten  ist  die  allmähliche  Abkürzung  der  Stereotypie.  Be- 
wegungen, die  zuerst  einen  guten  Sinn  haben,  das  Nachmachen  des  nähenden 
Schusters,  das  Balancieren  beim  Tanze  werden  bis  zur  Unkenntlichkeit  gekürzt; 
aus  „heimgehen"  wird  nach  einiger  Zeit  ,,hei",  dann  bloß  ,,ei,  ei";  eine  ganze 
Erzählung,  die  die  Eeise  zum  Geliebten  darstellt,  kann  schließlich  zu  einem 
schluckenden  Tone,  der  etwa  wie  ,,hm"  klingt,  zusammenschrumpfen. 


5.  Die  Manieren^). 

Viele  Patienten  nehmen  bestimmte  Posen  an.  Der  läuft  mit  gekreuzten 
Armen  in  der  Stellung  herum,  wie  er  einen  Premierminister  abgebildet  gesehen 
hat;  der  ahmt  Bismarck  bis  auf  seine  Schrift  nach;  die  meisten  begnügen  sich 
in  Haltung,  Miene  und  Kleidung,  in  Sprache  und  Schrift  in  mehr  allgemeiner 
Weise  irgend  etwas  Besonderes  zu  mimen,  wobei  sich  die  einen  jahrzehntelang 
konsequent  bleiben,  die  anderen  beständig  aus  der  Eolle  fallen.  Fast  immer  hat 
dieses  Gebahren  etwas  Gemachtes,  Gespreiztes  an  sich;  es  bleibt  unangepaßt 
an  Gelegenheit  und  Umstände,  ungenügend  modulierbar.  So  werden  die  Manieren 
fast  immer  zur  Karikatur. 

Die  meisten  Manieren  aber  sind  uns  ganz  unverständlich  geworden.  Alles, 
was  man  überhaupt  tut,  kann  im  Sinne  schizophrener  Manieren  modifiziert 
werden,  ohne  daß  der  Grund  zu  sehen  wäre. 

Das  Gehen  wixd  anders;  ein  noch  ganz  intelHgenter,  fleißiger  Anstaltspatient 
geht  nie  anders  als  im  Laufschritt;  Waschen,  Ankleiden  wird  anders  gemacht  als 
von  den  Gesunden.  Beim  Essen  wird  der  Löffel  nur  an  der  Spitze  gehalten  oder 
umgekehrt  m  der  Höhlung;  es  wird  vor  dem  Einnehmen  eines  Bissens  dreimal  auf 
den  leller  geschlagen;  die  Speisen  werden  siebenmal  auf  die  Gabel  genommen  und 
herabgeworfen,  bevor  sie  in  den  Mund  kommen.  Die  Kranke  geht  dreimal  mn  den 
^  achtstuhl  herum,  bevor  sie  sich  setzt.  Ein  Maurer  macht  über  jeden  Ziegelstein 
den  er  legt,  eine  wehende  Bewegung  mit  beiden  Händen. 

Neben  dem  Essen  gibt  die  Sprache  die  beste  Gelegenheit  zu  Manieren.  Ganz 
abgesehen  von  dem  Pathos  der  verschiedensten  Art  wird  im  Telegrammstil  cre- 
sprochen,  in  Infinitiven,  in  Diminutiven;  Fremdwörter  werden  mit  affektierter  Be- 
tonung  gebraucht,  an  alle  Wörter  wird  ein  „- io"  oder  ein  „-ismus"  angehängt; 

hat  8ie'^  ^Xw''T  ''""^  '-^"«^"«"de  Abänderungen  von  gewölinlichen  Handlungen.  Ziehen 

^^^^^  nfeht  a,le  Ma- 


158 


Schizophrenie. 


es  wird  skandiert,  m  Rhythmen  gesprochen,  in  Reimen  geschrieben.  Eine  unserer 
Kranken  öffnete  beim  Sprechen  in  vielen  Jahren  die  Lippen  niemals,  wobei  es  ihr 
ganz  gleichgültig  war,  daß  niemand  sie  verstand.  Die  Stimme  wird  verändert-  eine 
Katatonika  habe  ich  in  zehn  Jahren  nie  anders  als  in  Fistelstimme  oder  in  heraus- 
gepreßten Tönen  sprechen  hören. 

Die  eigentlichen  Ausdrucksbewegungen  werden  ebenso  verändert.  Alle  möe- 
hclien  gespreizten  Gebärden  kommen  vor;  Johlen,  Kreischen,  Quieken  wird  an  den 
unpassendsten  Stellen  angebracht.  Zum  Gruß  wird  die  Hand  verkehrt  oder  aanz 
steif  gereicht  oder  nur  der  kleine  Finger;  oder  die  Hand  wird  rasch  vorgestoßen 
und  wieder  zurückgezogen.  Achselzucken,  Grimassen  aller  Art,  sonderbare  "Zungen- 
und  Lippenbewegungen,  Fingerspielereien,  plötzliches  Ausfahren  u.  dgl  sind  die 
Ursache,  daß  man  auch,  von  choreatischen  und  tetanieartigen  Bewegungen  bei  der 
Katatonie  gesprochen  hat,  allerdings  mit  Unrecht.  Dagegen  lassen  sich  wohl  manche 
solche  Bewegungen  nicht  scharf  von  Tics  unterscheiden. 


6.  Der  Negativismus. 

Unter  dem  Namen  des  Negativismus  werden  eine  "Anzahl 
Symptome  zusammengefai3t,  die  alle  das  Gemeinsame  haben, 
daß  eine  Eeaktion,  die  im  positiven  Sinne  zu  erwarten  gewesen 
wäre,  negativ  abläuft:  die  Kranken  können  oder  wollen  nichts  tun,  was 
man  von  ihnen  erwartet  (passiver  Negativismus)  oder  sie  tun  das  Gegenteil 
oder  wenigstens  etwas  anderes  (aktiver  oder  konträrer  Negativismus). 

Wenn  die  Kranken  aufstehen  sollten,  so  wollen  sie  zu  Bette  bleiben;  sollten 
sie  im  Bett  sein,  so  wollen  sie  aufstehen.  Sie  wollen  auf  Befehl  oder  gemäß  der 
Anstaltsordnung  weder  sich  anziehen,  noch  sich  ausziehen,  weder  zum  Essen  kommen 
noch  vom  Essen  gehen,  kurz  sie  widerstreben  allem  und  jedem  und  werden  dadurch 
recht  schwierige  Objekte  der  Behandlung^).  Sie  verweigern  die  reguläre  Nahrung, 
essen  aber  mit  Gier,  was  sie  auf  unrechtmäßige  Weise  erlangen,  z.  B.  den  anderen 
wegnehmen  können.  Oder  sie  essen  nur  heimlich  oder  nur  zur  Unzeit.  Sie  schimpfen 
über  das  Essen,  können  aber  auf  die  Frage,  was  sie  denn  wünschen,  nur  antworten : 
„Etwas  anderes,  nur  nicht,  was  man  hat."  Sie  gehen  spontan  nicht  auf  den  Abort; 
führt  man  sie  hin,  so  befriedigen  sie  ihre  Bedürfnisse  nicht,  beschmutzen  aber  sofort 
das  Bett  oder  die  Kleider,  sobald  sie  von  dem  für  solche  Dinge  passenden  Ort  weg- 
kommen. Sie  wenden  sich  ab,  wenn  man  zu  ihnen  spricht,  kneifen  die  Augen  zu; 
letzteres  tat  eine  Patientin  so  kräftig,  daß  jeweilen  das  obere  Lid  teilweise  evertiert 
wm'de,  ohne  daß  sonst  eine  Anomalie  desselben  wahrzunehmen  gewesen  wäre.  Sie 
sagen  auf  ,, guten  Tag"  ,, adieu";  machen  die  Arbeiten  verkehrt,  nähen  die  Knöpfe 
auf  die  falsche  Seite  der  Kleider,  essen  die  Suppe  mit  der  Gabel  oder  mit  dem  Dessert- 
löffel und  das  Dessert  mit  dem  Suppenlöffel;  setzen  sich  beständig  an  einen  ihnen 
nicht  zukommenden  Platz,  gehen  in  alle  Betten,  nur  nicht  ins  eigene,  nennen  unsere 
Kinder  mit  dem  zweiten  Nanien,  den  sie  irgendwo  aufgeschnappt  haben,  statt  mit 
dem  Rufnamen.  Ein  Hebephrene  sollte  Holz  sägen:  er  holt  Scheiter;  nun  soll  er 
Scheiter  holen:  er  bringt  sie  von  einem  falschen  Haufen;  er  soll  die  Rampe  hinunter- 
gehen: er  sträubt  sich,  macht  dann  aber  plötzlich  eine  Volte  über  das  Geländer 
hinunter. 

Eine  Teilerscheinung  des  Negativismus  ist  auch  die  oben  erwähnte  Muskel- 
starre, die  eine  stereotyp  (oder  seltener  vorübergehend)  eingenommene  Stellung 
gegen  alle  Einflüsse  behauptet. 


^)  Engländer  spreclicn  von  einer  „mulish  resistivuness". 


Akzessorische  Symptome.  Negativismus. 


159 


Viele  gehen  über  den  passiven  Widerstand  hinaus,  wehren  sich  aus  Leibes- 
kräften gegen  alle  Eingriffe,  oft  mit  Schimpfen  und  Dreinschlagen.  Selbstverständ- 
liche Kleinigkeiten,  die  man  von  ihnen  verlangt,  bringen  sie  in  die  höchste  Wut. 
Immerhin  gibt  es  auch  nicht  allzu  seltene  Fälle,  wo  die  Kranken  lachend  beißen, 
kratzen,  schlagen  oder  dem  Arzte,  dem  sie  widerstreben,  mit  freundlicher  Miene 
nachlaufen  und  damit  beweisen,  daß  sie  eigenthch  nichts  gegen  ihn  haben,  sondern 
daß  der  Negativismus  sich  nur  auf  das  bezieht,  was  man  von  ihnen  verlangt.  Sie 
verweigern  mit  einer  schnöden  Bemerkung  die  Hand  zum  Gruße,  geben  aber  dem 
Arzt  zugleich  ihre  Tasse,  aus  der  sie  trinken,  zum  Halten. 

In  einzelnen  Fällen  wird  so  konstant  das  Gegenteil  von  dem  gemacht, 
was  man  von  den  Kranken  wünscht,  daß  man  das  benutzen  kann,  um  sie  zu 
lenken  („Befehlsnegativismus").  Die  Frau  eines  Kranken  hatte  das  zu 
einem  System  ausgebildet  und  sogar  bei  den  Spaziergängen,  die  sie  wünschte, 
dem  Mann  immer  die  gegenteilige  Richtung  vorgeschlagen,  wobei  sie  sicher 
sein  konnte,  daß  er  dann  das  tat,  was  sie  eigentlich  woUte.  Auch  in  den  Anstalten 
ist  es  oft  möglich,  die  Kranken  dadui'ch  zu  einer  Handlung  zu  bewegen,  daß 
man  sie  ihnen  verbietet.  Wenn  sie  zum  Essen  kommen  sollen,  sagt  man:  „Gehen 
Sie  nicht  zum  Essen";  wenn  sie  vorwärts  gehen  soUen,  sucht  man  sie  etwas 
zurückzudrängen  u.  dgl.  Eine  weniger  angreifbare  Benutzung  negativistischer 
Tendenzen  ist  es,  wenn  man  den  Patienten  bei  notwendigen  Dislokationen 
auf  kurze  Distanz  rückwärts  gehen  läßt,  wozu  er  sich  oft  leichter  versteht  als 
zum  Vorwärtsgehen. 

Auf  Fragen  bekommt  man  von  negativistischen  Kranken  sehr  wenig  Auskunft. 
Sie  hüllen  sich  in  Schweigen,  fangen  an  zu  schimpfen  oder  geben  Antworten 
auf  eine  nicht  gestellte  Frage;  eine  unserer  Kranken  sagte  es  heraus,  sie  ant- 
worte gerade  das  nicht,  was  wir  wissen  möchten,  wenn  sie  es  merke.  Andere 
haben  Ausreden ;  sie  können  nicht  antworten,  weil  das  eine  dumme,  eine  kitzlige 
Angelegenheit  betreffe.  Recht  charakteristisch  ist  die  Negation  ä  tout  prix 
bei  einer  Kranken,  die  auf  die  Frage,  wie  sie  heiße,  antwortete:  „Ich  heiße  nicht 
so."  Viele  weichen  aus,  so  daß  man  nie  an  ein  Ziel  kommt,  obschon  sie  scheinbar 
auf  alles  antworten.  Auf  die  wiederholte  Frage,  seit  welchem  Jahr  er  verfolgt 
werde,  antwortete  ein  Patient:  1.  „Seit  einem  Prozeß,  bei  dem  ich  viel  Geld 
verloren";  2.  „ich  habe  viele  (sc.  Prozesse)  gehabt";  3.  „ich  habe  über  800  Mark 
dabei  verloren"  usw. 

Der  Negativismus  ist  auch  eine  der  Wurzeln  des  schizophrenen  Daneben- 
antwor  tens. 

Oft  werden  Fragen,  die  den  Komplex  anschneiden,  zuerst  ohne  Besinnen  ver- 
neint, und  zwar  auch  dann,  wenn  der  Gefragte  gar  keinen  bewußten  Grund  hat 
nicht  richtig  zu  antworten,  und  wenn  er  nachher  ganz  gerne  Auskunft  gibt  Wir 
treffen  das  Symptom  aber  auch  bei  nicht  negativistischen  Schizophrenen  und  in 
geringerem  Maße  auch  bei  Gesunden.  Es  liegt  in  vielen  Komplexen  etwas,  das  ein 
auch  begünstigf ''"'^  ^'"^  Negativismus  vortäuscht  oder 

Kranke,  die  aus  Negativismus  nicht  antworten,  reagieren  zuweilen  auf  Fragen 
die  anderen  gestellt  werden;  sie  nennen  dann  z.  B.  den  eigenen  Mann  wenn  S 
Nachbann  den  Namen  ihres  Gatten  sagen  sollte. 

■nheJnlt  ^7'''^  Negativismus  nur  in  den  leichteren  Fällen 

überwinden,  in  ausgesprocheneren  werden  dadurch  die  Patienten  nur  noch 


60 


Schizophrenie. 


widerspenstiger.  Viel  besser  ist  schon  Ignorieren  und  Abwarten.  Oft  wird  das 
Verlangte  getan,  sobald  die  dafür  geeignete  Zeit  vorbei  ist.  Die  Patienten  ziehen 
beim  Gruß  die  Hand  zurück,  um  sie,  wenn  man  sich  an  andere  Kranke  wendet, 
mit  einem  plötzlichen  Ruck  zu  bieten,  allerdings  gewöhnlich  so,  daß  die  Berührungs- 
fläche eine  möglichst  geringe  ist,  oder  so,  daß  die  Hand  am  Ziele  vorbeifährt. 
Ebenso  geben  sie  uns  erst  Antwort,  oder  wollen  sie  erst  reden,  wenn  man  im 
Begriff  ist,  das  Zimmer  zu  verlassen;  sie  tun  ihre  Arbeit  nicht,  wenn  man  sie 
darum  ersucht,  gehen  aber  spontan  hin,  wenn  man  nichts  sagt.  Ein  Arzt,  der 
noch  in  Stellung  ist,  konnte  sich  einmal  auf  alle  Aufforderungen  des  Schaffners 
nicht  entschließen,  die  Elektrische  zu  besteigen,  um  ihr  dann  nachzurennen, 
nachdem  sie  sich  in  Bewegung  gesetzt  hatte.  Wenn  man  nachgeben  kann,  sieht 
man  überhaupt  oft  den  Negativismus  schwinden.  Kranken,  die  auf  Anordnung 
nicht  in  einem  Zimmer  bleiben  wollen,  braucht  man  manchmal  nur  die  Türe 
zu  öffnen,  dann  gehen  sie  nicht  hinaus  oder  kommen  gleich  wieder  herein. 

Manchmal  nutzt  allerdings  auch  bei  scheinbar  leicht  Kranken  weder 
Abwarten  noch  Nachgeben.  Es  gibt  Fälle,  wo  der  Negativismus  geradezu  Anlaß 
zur  Betätigung  sucht  und  zu  einer  höchst  unangenehmen  Schikanöse  ausartet. 

Solche  Kranke  sträuben  sich  mit  allen  Mitteln  zu  essen,  aufzustehen,  zu  spa- 
zieren; beklagen  sich  aber,  nicht  nur  Fremden,  sondern  auch  dem  Anstaltspersonal 
gegenüber,  daß  sie  nichts  zu  essen  bekommen,  daß  man  sie  zwinge  im  Bette  zu  hegen, 
ihnen  verbiete  zu  spazieren.  Eine  Kranke,  die  taub  geworden  war,  aber  ganz  gut 
sprechen  konnte,  schrieb  alles  auf,  was  sie  zu  sagen  hatte,  wollte  aber  nicht,  daß 
wir  ihr  anders  als  mündlich  Antwort  gaben,  wodurch  die  Unterhaltung  meist  ganz 
immöglich  wurde.  Sie  versteckte  ihre  und  anderer  Patientinnen  Taschentücher,  wo 
sie  nur  konnte,  mid  beschwerte  sich  dann  bei  allen  Instanzen,  daß  die  Wärterinnen 
ihr  die  Taschentücher  stehlen.  Sie  verlangte  Bäder  von  ausnahmsweiser  Temperatur, 
und  wenn  sie  sie  erhielt,  schimpfte  sie,  man  hätte  sie  verbrennen  wollen  oder  zu- 
leide in  ganz  kaltes  Wasser  gesteckt.  Solche  Dinge  waren  jahrelang  ihre  Haupt- 
beschäftigung. Die  Fälle  werden  besonders  dadurch  schwierig,  daß  sie  sich  Dritten 
gegenüber  immer  ins  beste  Licht  zu  setzen  wnssen,  so  daß  sie  überall  Glauben  finden. 

Inwieweit  in  solchen  Fällen  der  Negativismus  das  Denken  und  die  Er- 
kenntnis des  Patienten  fälscht,  konnte  ich  noch  nicht  eruieren.  Sicher  aber 
halten  sie  wenigstens  einen  Teil  ihrer  Klagen  selbst  für  richtig;  vielleicht  fehlt 
ihnen  das  Bewußtsein  des  Unrechts  ganz. 

Es  gibt  nämlich  auch  Vorgänge,  die  wir  zum  Negativismus  zählen  müssen, 
und  bei  denen  nicht  die  Außenwelt,  sondern  das  Streben  und  Fühlen  der  Patienten 
selbst  verneint  wird  („innerer  Negativismus").  Die  bekannte  Erscheinung, 
daß  man  immer  das,  was  man  erreicht  und  getan  hat,  für  das  Unrichtige  hält, 
kommt  bei  den  negativistischen  Schizophrenen  sehr  häufig  und  in  starker  Über- 
treibung vor.  Da  ist  eine  Kranke,  die  mit  aUem  Eifer  ihre  Verlobung  betrieben 
hat-  nachdem  sie  sie  zustande  gebracht  hat,  macht  sie  sich  Vorwürfe,  sie  habe 
übereilt  gehandelt,  worauf  die  Krankheit  manifest  wird.  Em  Hebephrene 
weiß,  wenn  er  draußen  ist,  nicht,  warum  er  hinausgegangen,  und  wenn  er  drin 
ist,  nicht,  warum  er  drin  geblieben".  Er  sagt  für  sich:  „Da  sitzt  das  Kalb  wieder 
drinn,  statt  draußen  zu  sein."  Wenn  das  Tor  offen  ist,  so  sieht  er  starr  darauf 
hin-  wenn  es  geschlossen  ist,  ärgert  er  sich  darüber,  daß  er  die  gute  Gelegenheit 
zum  Hinausgehen  nicht  benutzt  hat.  Die  gleiche  Erscheinmig  kann  sich  auch 


Akzessorisclie  Symptome.  Negativismus.  161 

als  Zwanc.  ävißern:  eine  Kranke  muß,  wenn  sie  ein  bestimmtes  Stück  gestrickt 
hat  s  wieder  auflösen;  oder  der  Kranke  „sagt  immer  das  was  er  mcht  sagen 
t?U-  so  kommen  manche  dazu,  gleich  nachher  zu  widerru  en  was  sie  soeben 
reL;ptet-  Jch  muß  das  verruieLren  und  nicht  verkegdn  i^^^^^^f^ 
Ausdi-uck)  Ich  muß  das  verkegeln  und  nicht  verrujenieren.  ,  Ich  bm  der  Herr 
Papa  und  nicht  die  Frau  Mama;  ich  bin  die  Frau  Mama  und  mcht  der  Herr 
Iii '  Ode" :  „Ich  bin  ins  Burghölzli  gekommen,  dami't  ich  ein  Zeugnis  bekomme^ 
S  ich  will  kein  Zeugnis,  unbedingt  nicht.''  In  den  ersten  beiden  FaUen  handelte 
es  S  um  spontane  Verbig-ation,  im  letzten  um  ein  Gespräch,  das  die  Wunsche 
des  Patienten  hätte  ausdrücken  sollen.  In  beiden  FäUen  wurde  sehr  viel  so  ge- 
sprochen (intellektueUer  Negativismus,  vgl.  intellektueUe  Ambivalenz). 

Manchmal  zeigt  sich  der  innere  Negativismus  als  Gegensatz  von  Kede 
und  Handlung,  so  wenn  eine  Patientin  (die  schon  gegessen  hat)  sich  an  den 
Platz  einer  andern  setzt,  zu  den  Anwesenden  sagt:  „Ihr  braucht  kerne  Angst  zu 
haben,  ich  nehme  nichts",  und  gleichzeitig  anfängt  zu  essen. 

Nicht  als  innerer  Negativismus  aufzufassen  ist  der  Gegensatz,  in  dem  die  ver- 
schiedenen Persönlichkeiten  im  Patienten  zueinander  stehen,  obschon  natürlich 
die  beiden  Phänomene  viele  Berührungspunkte  haben.  Ein  Patient  sagt:  „Ich  bin 
der  liebe  Gott  ün Himmel  selbst";  dann  korrigiert  er  sich:  „Schreib's  nur  nicht  auf, 
es  ist  eine  verdammte  Lüge,  daß  ich  der  Hebe  Gott  bin."  In  diesem  Falle  kommt 
nach  der  autistischen  Wahnidee  die  bessere  Einsicht  respektive  das  normale  Stuck 
des  Patienten  und  bedingt  so  den  Widerspruch. 

Der  innere  Negativismus  überträgt  sich  auf  die  Halluzinationen:  die 
Stimmen  sagen  den  Kranken  anhaltend  das  Gegenteil  von  dem,  was  sie  tun 
sollten,  auch  nach  ihrer  eigenen  Ansicht.  Oder  wenn  die  Kranken  etwas  tun, 
so  verbieten  es  die  Stimmen  oder  sagen  wenigstens,  es  sei  nicht  recht;  wenn 
die  Kranken  dann  der  Stimme  folgen,  so  ist  es  auch  wieder  nicht  recht.  Manche, 
die  noch  nicht  ganz  gleichgültig  sind,  werden  durch  diese  Erscheinung  zur  Ver- 
zweiflung gebracht.  Ein  Techniker  nannte  diese  Stimmen  „Plus-  und  Minus- 
stimmen". 

Der  innere  Negativismus  kann  sich  auch  im  Handeln  äußern,  so  daß  die 
Kranken  gar  nicht  das  tun  können,  was  sie  wollen  (Kraepelins  ,, Gegen wille"). 
Auch  aus  freiem  Antrieb  gehen  sie  zu  Stuhle,  verrichten  aber  doch  daselbst 
die  Notdurft  nicht,  sondern  nachher  ins  Bett.  Sie  möchten  eine  bestimmte 
Speise,  die  dasteht,  essen,  können  sie  aber  nicht  nehmen.  Eine  Kranke  soll 
laut  lesen;  sie  gibt  sich  sichtlich  Mühe,  es  zu  tun,  kann  aber  den  Mund  nicht 
öffnen  und  bekommt  Schlundkrampf.  Einzelne  Negativistische  scheinen  in 
dieser  Weise  zu  bestimmten  Handlungen  unvermögend  zu  sein,  wenn  ihnen 
jemand,  gegen  den  der  Negativismus  sich  äußert,  zusieht,  wie  Gesunde  manches 
vor  Zuschauern  nicht  fertig  bringen. 

Manchmal  sitzt  die  negativistische  Sprachstörung  weiter  zentral,  wenn 
man  so  sagen  darf;  die  Sprachorgane  gehorchen  den  Impulsen  richtig,  aber  es 
werden  negative  Ausdrücke  gegen  den  Willen  des  Patienten  gesagt,  so  daß  das 
Gegenteil  von  dem  herauskommt,  was  er  sagen  will.  Eine  Kranke  soll  zur  Vor- 
stellung aufs  Podium  steigen.  Sie  protestiert  beständig,  sie  wolle  nicht  da  „hin- 
unter". In  einzelnen  Fällen  werden  aber  negative  Ausdrücke  gebraucht,  wo 
formell  positive  angebracht  wären,  ohne  daß  der  Sinn  verändert  würde. 

Handbuch  der  Psychiatrie:  Bleuler. 


162 


Schizophrenie. 


Eine  Kafcatonika  sagte  z.  B.  statt  schön  „nicht  häßlich".  Nach  einiger  Zeit 
wurde  ihr  das  „nicht  häßlich"  zu  einem  einheitlichen  positiven  Ausdruck;  sie  sagte 
dann  statt  häßlich:  „nicht  nicht  häßlich".  Auch  dieser  Ausdruck  erstarrte  rasch 
wieder  zur  Formel,  in  der  sie  die  Negation  nicht  mehr  fühlte,  und  schön  wurde  dann: 
,, nicht  nicht  nicht  häßlich".  Als  die  Sache  noch  weiter  ging  (nicht  nur  bei  diesem 
Ausdrucke,  sondern  auch  bei  anderen),  verwirrte  sich  die  Kranke  leicht,  indem  sie 
statt  der  ungeraden  Zahl  der  einander  aufhebenden  Negationen  die  gerade  brauchte 
oder  umgekehrt,  oder  sich  überhaupt  nicht  mehr  zurechtfinden  konnte;  sie  beklagte 
sich  dann  über  die  Umgebung,  die  sie  verwirrt  habe. 

Der  Gegen wille"  bewirkt  oft  nicht  gerade  die  der  gewollten  entgegen- 
gesetzte Handlung;  er  braucht  das  Handeln  als  solches  nicht  ganz  zu  verhindern. 
Er  bewirkt  oft  nur,  daß  gerade  das,  was  der  Patient  will,  nicht  getan  werden 
kann,  dafür  aber  etwas  anderes,  so  daß  das  äußerliche  Bild  der  Apraxie  ent- 
steht (statt  die  Haare  zu  kämmen,  fährt  der  Patient  mit  dem  Kamm  über 
den  Eock).  Ich  kann  viele  solcher  Handlungen  direkt  nicht  von  organischer 
Apraxie  unterscheiden.  Ebensowenig  ist  es  mir  möglich,  im  einzelnen  Falle 
den  Anteil  des  Negativismus  und  den  der  Benommenheit  und  des  Emotions- 
stupors  abzuwägen  (vgl.  Kapitel  ,, Benommenheit").  Ich  bin  aber  überzeugt, 
daß  aUe  diese  Dispositionen  mitwirken  können. 

Den  Übergang  vom  gewöhnlichen  Negativismus  zu  solchen  apraxieähnlichen 
Symptomen  zeigen  Fälle,  in  denen  nur  ein  Teil  der  Muskeln  im  Siime  der  ge- 
wollten Handlung  arbeitet,  während  andere  durch  entgegengesetzte  Kontraktion 
den  Erfolg  erschweren  oder  verhindern.  Meschedes  Kranker  drehte,  wenn 
er  den  Blick  nach  Knks  richten  woUte,  nur  den  Kopf  in  dieser  Richtung,  die  Augen 
aber  nach  der  andern  Seite.  Häufig  habe  ich  das  gleiche  gesehen  bei  der  Auf- 
forderung, Klavier  zu  spielen.  Die  Patienten  ließen  sich  herbei,  mit  den  Armen 
die  nötige  Bewegung  zu  machen,  oft  mit  großem  Ausholen  und  deutlichem 
Kraftaufwand,  sie  flektierten  aber  zugleich  die  Hände  maximal  dorsalwärts, 
so  daß  die  Finger  die  Tasten  doch  nicht  berührten. 

~  Der  intellektuelle  Negativismus  kann  sich  sogar  auf  die  Auffassung 
der  Umgebung,  auf  die  Orientierung  erstrecken.  So  behauptete  ein  Kranker, 
der  Zürichberg  habe  früher  im  Westen  gestanden,  der  Uetli  im  Osten  (in  Wirk- 
lichkeit stehen  die  beiden  Berge  in  umgekehrter  Richtung). 

Einen  bestimmten,  dem  Negativismus  zugrundeliegenden  Affekt  („der 
Ablehnung"  Groß)  kann  man  nicht  sehen.  Negativismus  kann  bei  jeder  Art 
des  manifesten  Affekts  auftreten.  Wir  sehen  ihn  bei  manischen  Aufregungen 
und  bei  der  gleichgültigen  Euphorie  der  Schizophrenen  ebensogut  wie  bei  De- 
pression oder  bei  affektloser  Stimmung.  Natürlich  aber  ist  Gereiztheit  und 
Zorn  sehr  häufig  sowohl  Grundlage  als  auch  Folge  des  Negativismus. 

Auch  Überlegungen  spielen  primär  keine  RoUe  bei  den  negativistischen 
Erscheinungen.  Sind  Wahnideen  oder  falsche  Auffassungen  die  Ursache  der 
Ablehnung,  so  Hegt  nicht  Negativismus,  sondern  normales  Handeln  unter  ab- 
normen Bedingungen  vor.  Das  hindert  nicht,  daß  oft  die  negativistischen  Akte 
mit  Wahnideen  begründet  werden.  Selbstverständhch  beeinflussen  und  steigern 
sich  Wahnideen  und  Negativismus  oft  gegenseitig. 

Das  Instinktive  des  Negativismus,  seine  Unabhängigkeit  vom  Verstand 
zeigt  sich  denn  auch  darin,  daß  er  wie  Bernstein  (S.  563)  hervorhebt,  wenig 


Akzessorische  Symptome.  Befehlsautomatie  und  Echopraxie. 


163 


Unterschied  zwischen  angenehmen  und  unangenehmen,  nützlichen  und  schäd- 
hchen  Eingriffen  macht.  Auch  der  durstige  Negativistische  wird  gereizt,  wenn 
man  ihm  zu  trinken  bringt. 

So  können  die  Kranken  für  ihr  negativistisches  Verhalten  meist  keine  rechten 
Gründe  angeben;  manchmal  bringen  sie  Ausreden  vor,  die  erst  ad  hoc  gemacht 
sind,  die  wechseln,  wenn  man  mehrmals  das  gleiche  fragt,  mid  die  immer  nur 
einzelne  Fälle,  nie  das  ganze  Benehmen  erklären  können.   Die  Begründung 
durch  Stimmen  ist  natürhch  keine  ausreichende,  weil  wir  dann  nur  vor  der 
gleichen  Frage  stehen,  warum  die  Stimmen  negativistisch  seien.  Auch  die  Be- 
gi'ündung  durch  Wahnideen  ist  sichthch  in  sehr  vielen  Fällen  eine  ungenügende. 
Zunächst  kann  man  auch  hier  fragen,  warum  die  Wahnideen  negativistisch 
seien.  Dann  aber  sind  die  vorgeschützten  Wahnideen  und  Ausreden  meist  gar 
nicht  geeignet,  eine  genügende  Erklärung  zu  geben,  teils  weil  der  Normale  auf 
die  gleichen  Ideen  nicht  negativistisch  reagieren  würde,  teils  weil  die  Kranken 
im  übrigen  gar  nicht  nach  diesen  Wahnideen  handebi.  Eine  Kranke  weigert  sich 
zu  baden,  weil  sie  körperlich  rein  sei  und  sich  nie  gewaschen  habe;  eine  andere 
will  nicht  essen,  weil  sie  sonst  nicht  sehg  wird,  ißt  aber  heimlich,  soviel  sie  be- 
kommen kann.  Nicht  besser  steht  es  mit  den  Fällen,  wo  die  Kranken  memen, 
sie  dürfen  nicht  anders  handehi.   Das  eigentliche  Symptom  ist  immer  der 
Negativismus,  der  erst  geeignet  ist,  die  Art  und  den  Inhalt  der  anderen  Er- 
scheinungen zu  begründen. 

So  uuzugänghch  unsere  stark  negativistischen  FäUe  in  den  Anstalten 
erscheinen,  etwas  ganz  Starres  ist  auch  der  ausgesprochenste  Nega- 
tivismus nicht.  Er  ist  gegen  bestimmte  Personen  meist  größer  als  anderen 
gegenüber;  manche  Kjranke  zeigen  ihren  Negativismus  nur  im  Verkehr  mit  den 
Anstaltsärzten,  andere  beziehen  auch  das  Wartepersonal  oder  nur  das  Warte- 
personal ein;  JVIitpatienten,  Angehörige  und  namentlich  Unbekannte  können 
oft  in  ziemhch  normaler  Weise  eine  kurze  Zeit  mit  Kranken  verkehren,  die 
sonst  während  Jahren  alles  abweisen.  Besonders  deutlich  zeigt  sich 
eine  sehr  enge  Beziehung  des  Negativismus  zu  den  Komplexen. 
Viele  Kranke  sind  in  einem  Gespräch  ganz  ungehemmt,  bis  ein  Komplex  an- 
geschnitten wird,  dann  kommt  mit  oder  ohne  Sperrimg  der  Negativismus,  und 
man  kann  am  gleichen  Tage,  oft  für  längere  Zeit,  nichts  mehr  mit  ihnen  anfangen. 
hicht  selten  ist  aber  auch  das  umgekehrte  Verhalten,  daß  die  Kranken  ab- 
weisend sind,  bis  sie  durch  Eingehen  auf  ihre  Leitideen  aufgeschlossen  werden 
und  dann  sehr  zugänghch  bleiben,  allerdings  raeist  nur  vorübergehend. 

7.  Die  Befehlsautomatie  und  die  Echopraxie. 

In  äußerem  Gegensatz  zum  Negativismus  steht  die  Befehlsautomatie 
ivianche  Kranke  folgen  irgendwie  gegebenen  Antrieben  von  außen  mehr  oder 
vveniger  mechanisch,  und  gelegentlich  sind  sie  gar  nicht  imstande,  solchen  Sugge- 
stionen zu  widerstehen,  auch  wenn  sie  es  wünschen.  Kurz  und  sicher  gegebene 
^etehle  werden  oft  auch  von  sonst  widerstrebenden  Kranken  sofort  ausgeführt 
J^s  muß  sich  allerdmgs  um  einfache  Dinge  handeln,  wie  vom  Essen  aufzustehen" 
SKJh  anziJdeiden;  eme  andai;ernde  Arbeit,  ein  Aufsatz  z.  B.  läßt  sich  nicht  in 
üieser  Weise  erzwingen.    Auch  unangenehmen  Aufforderungen  leisten  solche 

11* 


164 


Schizophrenie. 


Kranke  Folge:  so  strecken  auch  nicht  analgetische  Patienten  wiederholt  die 
Zunge  heraus,  obgleich  sie  wissen,  daß  man  in  diese  einsticht. 

Zur  Befehlsautomatie  rechnet  Kraepelin  auch  die  Flexibilitas  cerea. 
Wir  haben  sie  in  anderem  Zusammenhang  beschrieben,  unter  anderem  deswegen, 
weil  kataleptische  Symptome  auch  auftreten  können,  ohne  daß  dem  Patienten 
die  Idee  gegeben  zu  sein  braucht,  er  müsse  eine  bestimmte  Stellung  festhalten. 
Die  Aufforderung  zu  einer  Handlung  braucht  allerdings  auch  bei  Befehlsauto- 
matie nicht  ausdrücklich  gegeben  zu  sein.  Die  motorische  Komponente,  die 
in  jeder  Idee  liegt,  genügt  oft  zur  Ausführung,  So  schloß  eine  unserer  Katatoni- 
schen die  Augen,  wenn  sie  vom  Schlaf  sprechen  hörte,  und  die  deuthchste  und 
häufigste  Teilerscheinung  der  Befehlsautomatie  ist  die  Echo praxie  und  Echo- 
lalie,  das  Nachahmen  ganz  gleichgültig  aufgenommener  Eindrücke.  Leicht 
benommene,  oft  aber  auch  ganz  besonnene  chronische  Patienten  machen,  meist 
ohne  sich  dabei  etwas  zu  denken,  also  auch  ohne  zu  widerstreben,  die  verschieden- 
sten Handlungen,  die  sie  von  anderen  sehen,  nach :  Mimik,  Bewegungen,  Schreien, 
Worte.  Das  Symptom  wird  deshalb  auf  den  Abteilungen  recht  unangenehm.  In 
einer  Pflegeanstalt,  wo  die  Kranken  sehr  schlecht  disziphniert  waren,  sah  ich 
viele  Male,  daß,  wenn  beim  Essen  eine  Kranke  einen  Teller  fortwarf,  im  nächsten 
Moment  ein  halbes  Dutzend  Geschirre  durch  die  Luft  flogen.  Schreien,  Eaufen 
regt  an;  ein  einziger  unruhiger  Patient  kann  eine  ganze  Abteilung  ebenfalls 
laut  werden  lassen.  Sonderbare  Gesten  und  Stereotypien  eines  Kranken  werden 
von  anderen  nachgemacht;  v.  M uralt  erzählt  von  einem  Katatoniker,  der 
jahrelang  immer  einen  anderen  kopierte.  Fragen,  die  an  die  Kranken  gerichtet 
werden,  wiederholen  sie.  In  anderen  Fällen  werden  namenthch  Bewegungen 
nachgemacht,  die  auffallen,  z.  B,  weil  sie  sehr  brüsk  ausgeführt  werden.  Man 
hebt  experimenti  causa  einen  Arm  plötzlich  in  die  Höhe  oder  dreht  die  Hände 
umeinander,  um  vom  Kranken  imitiert  zu  werden.  Doch  können  auch  Tier- 
stimmen, ja  Abbildungen  aus  Büchern,  nachgeahmt  werden. 

Bemerkenswert  ist  der  Eiklinsche  Fall  (612)  von  Katatonie,  der  zeit- 
weise auf  Fragen,  die  den  Komplex  betrafen,  im  Sinne  desselben  antwortete, 
andere  Fragen  aber  einfach  wiederholte.  Meist  ist  es  unklar,  was  für  eine  materielle 
Auswahl  die  Echopraxie  unter  den  gebotenen  Eindrücken  trifft.  Es  gibt  auch 
FäUe,  wo  die  Echolahe  durch  Wahnideen  motiviert  wird,  so  wenn  der  Patient 
jede  ihm  gestellte  Frage  laut  wiederholt  —  an  die  Adresse  Gottes,  der  ihm  dann 
sagt,  was  er  zu  antworten  habe.  Auch  nach  der  Seite  der  Zwangshandlungen 
gibt  es  Übergänge:  Wenn  eine  Hebephrene  sprechen  hörte,  hatte  sie  die  Emp- 
findung, wie  wenn  die  Stimmen  von  unten  her  in  ihr  aufstiegen,  und  fühlte  den 
Drang,  aUes  mitzusprechen.  Ballet  (38,  S.  149)  beschreibt  auch  eine  „ßcho- 
lalie  mentale",  wobei  der  Patient  Gehörtes  innerhch  nachsprechen  muß,  und 
eine  „ficholalie  hallucinatoire",  wobei  Patient  seine  Halluzinationen  nach- 
sprechen muß. 

Die  Befehlsautomatie  kommt  häufig  in  Verbindung  mit  Negativismus 
vor,  bald  abwechselnd,  bald  gleichzeitig  mit  ihm.  So  sprach  em  Patient 
Kraepelins  (389,  S.  36)  zwar  nach,  öffnete  aber  dabei  aus  Negativismus  den 
Mund  nicht. 


Akzessorische  Symptome.  Automatisraen. 


165 


8.  Die  Automatismen. 

Auch  innere  Antriebe  können  zu  automatischen  Handlungen  führen. 
Meist  kommen  auf  diese  Weise  nur  einfachere  Akte  zustande. 

Unbedeutende  Bewegungen,  Hochheben  der  Arme,  Einnehmen  der  Stellung 
des  Gekreuzigten,  mit  den  Füßen  an  die  Wände  schlagen,  im  Kreise  herumgehen, 
sich  verkriechen,  Schreien,  Tierstimmen  nachmachen  u.  dgl.  Ein  groi3er  Teil  der 
Bewegungsstereotypen  verläuft  automatisch.  Von  eigentlichen  Handlungen  sind 
Ohrfeigen  austeilen.  Zerreißen,  Scheiben  einschlagen.  Schmieren  bei  den  Anstalts- 
insassen recht  häufige  automatische  Entäußerungen.  Freie  Patienten  begehen 
etwa  einen  Mord  (472,  S.  11)  oder  eine  Brandstiftung.  Meist  kommt  es  allerdings 
trotz  des  Antriebes  nicht  zur  Vollendung  solcher  Übeltaten.  Die  Kranken  benehmen 
sich  dabei  oft  so  imgeschickt,  daß  sie  das  Ziel  nicht  erreichen,  imd  daß  man  manchmal 
den  Eindruck  bekommt,  es  sei  ihnen  nicht  recht  ernst,  oder  ein  innerer  Widerstand 
hindere  sie  an  der  richtigen  Ausführung. 

Häufiger  als  Verbrechen  gelingen  Selbstbeschädigungen,  wenn  auch  die 
Mehrzahl  der  Suizidversuche  nicht  zum  Ziele  kommt.  Es  scheint,  daß  einzelne 
Fugues  (siehe  unter:  Akute  Syndrome)  auch  zu  den  Automatismen  gehören;  die 
meisten  werden  aber  hysteriform  sein. 

Es  gibt  verschiedene  Grade  des  Automatismus,  je  nach  der  Menge  und 
der  Art  der  abgespaltenen  Assoziationen. 

1.  Der  Kranke  zerreißt  mit  vollem  Bewußtsein  dessen,  was  er  tut,  die 
Kleider;  er  glaubt,  selbst  die  Handlung  zu  wollen,  kennt  aber  die  Motive  nicht. 
Er  weiß  nicht,  warum  und  zu  welchem  Zweck  er  es  getan  hat.  Die  Umsetzung 
der  Idee  in  Handlung  und  der  ganze  zentrifugale  Teil  des  Vorgangs  dagegen 
läuft  in  Verbindung  mit  dem  bewußten  Ich  ab. 

2.  Auf  der  zweiten  Stufe  weiß  der  Kranke  zwar  auch,  daß  er  eine  Scheibe 
einschlägt,  aber  er  wiU  es  eigentlich  nicht  tun;  die  Handlung  kommt  ihm  als 
etwas  außer  dem  Willen  Stehendes  vor.  Hier  bleibt  nicht  nur  das  Motiv,  sondern 
auch  die  Umsetzimg  in  Handlung  ohne  rechte  Verbindung  mit  der  bewußten 
Persönlichkeit.  Diese  ist  aber  noch  so  beeinflußt,  daß  ihr  die  Handlung  gleich- 
gültig erscheint.  Der  Patient  tut  etwas,  was  er  eigentlich  nicht  tun  will,  dem 
er  sich  aber  auch  nicht  widersetzti).  Er  steUt  dem  Antrieb  seine  PersönUchkeit 
nicht  gegenüber,  sie  ist  noch  zu  sehr  mit  demselben  verbunden. 

3  Im  dritten  Grade  wehi-t  sich  der  Patient  gegen  den  auftauchenden 
Antrieb;  er  empfindet  diesen  als  einen  Zwang.  Die  Person  mit  ihrem  Willen 
und  ihrer  Einsicht  stellt  sich  dem  Antrieb  gegenüber.  Die  Zwangsantriebe 
werden,  wenn  sie  stärker  sind  als  die  Persönlichkeit,  zu  Zwangshand]  u  ngen 
Die  letzteren  treten  numerisch  sehr  in  den  Hintergrund  gegenüber  den  Zwangs- 
antrieben und  den  einfachen  ungewoUten  Handlungen,  die  am  häufigsten  vor- 
kommen. ° 

4  Eine  gebildete  Katatonika,  die  während  der  Aufregungen  viel  Unsinn 
gemacht  hatte,  äußerte,  sie  erinnere  sich  an  aUes  wie  an  einen  Traum;  was  sie 
getan  habe,  sei  ihr  aber  ein  Gebot  gewesen,  ein  moralisches  Gesetz,  kein  eigent- 

cher  Zwang;  es  sei  ihr  aUes  ganz  vernünftig  vorgekommen.  Hier  hat  der  Impuls 
die^g^schwachte  Überlegung  des  halben  Traumzustandes  beeinflußt;  die  Impd 

1)  Schreber  „läßt  das  Brüllen  einfach  über  sich  ergehen". 


se 


166 


Schizophrenie. 


kamen  ihr  noch  als  etwas  fremdes  vor  („ein  Gebot"),  aber  sie  waren  so  mit  dem 
Ich  verbunden  und  beeinflußten  das  bewußte  Denken  so,  daß  die  Patientin 
nicht  darüber  räsonieren  konnte. 

5.  In  einzelnen  Fällen  beobachtet  man,  daß  die  Kranken  zwar  wie  Normale 
ihrer  Absicht  entsprechend  essen  oder  die  Hand  geben,  aber  die  Empfindung 
haben,  wie  wenn  die  Glieder  das  Gewollte  ohne  ihr  Zutun  ausführen:  ,,Ich  tue 
es  gar  nicht,  die  Hand  gibt  sich  Ihnen  selbst".  Hier  ist  der  ganze  Antrieb  zur 
Handlung  in  normaler  Weise  mit  dem  Ich  verbunden ;  der  Übergang  des  Willens 
auf  die  zentrifugalen  Bahnen  geschieht  aber  ohne  Verbindung  mit  dem  Ich- 
komplex. Die  Patienten  registrieren  mit  den  Augen,  meist  auch  mit  den  kin- 
ästhetischen  Sinnen  die  Handlung  ihrer  Glieder.  Solche  Fälle  sind  nach  meiner 
Erfahrung  am  ehesten  in  subakuten  Stadien  zu  beobachten,  aber  nicht  ge- 
rade häufig. 

6.  öfter  ist  die  ganze  automatische  Handlung  von  der  bewußten  Person 
des  Patienten  abgespalten:  die  Glieder  tun  etwas,  der  Mund  spricht  etwas, 
von  dem  die  Patienten  nur  als  Zuschauer  während  der  Ausführung  durch  ihre 
Sinne  Kunde  erhalten  wie  eine  dritte  Person.  Namentlich  Schreiben  und  Sprechen 
kommt  oft  auf  diese  Weise  zustande.  Nur  das  sind  die  automatischen  Handlungen 
im  vollen  Sinne  des  Wortes.  Unrichtigerweise  werden  sie  auch  etwa  als  Zwangs- 
handlungen bezeichnet;  es  findet  aber  kein  Widerstand,  also  auch  kein  Zwang 
statt.  Die  Kranken  kommen  nur  insofern  in  eine  Zwangslage,  als  sie  während 
des  Ablaufs  der  Automatismen  ihre  damit  beschäftigten  Organe  zu  nichts  anderem 
brauchen  können. 

Zwischen  den  angeführten  Kategorien  von  automatischen  Handlungen 
gibt  es  alle  Übergänge ;  es  ist  aber  bemerkenswert,  wie  genau  oft  ganz  ungebildete 
Patienten  die  Anomalien  schildern  können,  wenn  man  sich  nur  hütet,  ihnen 
etwas  zu  suggerieren. 

Oft  beklagen  sich  auch  melancholische  Schizophrene,  sie  seien  Automaten. 
Das  hat  aber  mit  Automatismen  nichts  zu  tun,  sondern  will  meist  ausdrücken,  daß 
sie  nicht  mehr  die  gewöhnlichen  Affekte  haben  und  nach  ihrer  Meinung  „ganz 
gefühllos"  sind. 

Automatismen  können  auch  eine  gewollte  Handlung  verändern. 
Eine  etwas  komplizierte  Strickarbeit  wird  immer  schlechter;  die  Patientin  gibt 
an,  sie'^^habe  ganz  gut  gewußt,  wie  das  Muster  eigentlich  hätte  sein  sollen,  es 
„ging  ihr  aber  einfach  auf  die  falschis  Art".  Ein  Radfahrer  muß  absteigen;  er 
kann  das  Rad  auch  nicht  mit  der  Hand  führen,  es  geht  nicht  wie  er  will  „es  ist, 
wie  wenn  das  Rad  verrückt  wäre".  Ein  Paranoider  will  einen  Brief  schreiben; 
gegen  bessere  Einsicht  muß  er  „Verrücktes"  hineinschreiben  und  nachher 
streichen. 

Besonderen  Charakter  bekommen  die  Automatismen  der  Sprache.  Die 
Kranken  sind  etwa  selbst  verwundert  über  das,  was  sie  sprechen  oder  (was  nicht  ganz 
das  Gleiche  ist)  was  die  Zunge  spricht;  sie  vernehmen  das  nur  durch  das  Gehör.  Uder 
die  Worte  werden  ihnen  auf  die  Zunge  gelegt,  so  daß  sie  sie  sprechen  müssen  , 
oder  „das  Maul  spricht,  ohne  daß  der  Patient  es  will";  die  Worte  kommen  schon 
ausgesprochen  auf  die  Zunge,  ganz  fertig"  (Pfersdorff,  562).  Bei  Schizophrenen 
handelt  es  sich  fast  nie  um  längere  zusammenhängende  Reden,  sondern  um  emze  ne 
Worte  und  Sätze  und  dann  um  zerfahrenen  GaUimathias.  Gramer  (141)  hat  bei 


zwei 


Akzessorische  Symptome.  Automatismeu.  1G7 
.isprachigen  Katatonikera  beobachtet,  daß  das  Zwangsreden  mir  in  der  Mutter- 


spräche  auftrat  ^^.^^,1^^^,  ^3,den,  die  oft  nicht  nur  schlimme 

Worte  aÄ  sondern  sie  'an  die  Stelle  von  gewollten  Worten  m.t  guter  Bedeu. 


tung  setzt. 


Die  Automatismen  erstrecken  sich  auch  auf  die  innere^  Pf'^f J^' 
gänge.  Die  Kranken  richten  ohne  oder  gegen  ihren  ^ülen  die  Auf  merksam^ 
keit  auf  einen  äußeren  oder  inneren  Vorgang,  oder  „es  denkt  m  ^^nen  es 
macht  in  ihnen  VorsteUungen" ;  dem  Denken  fehlt  die  Empfindung  der  Spon- 
taneität. Dazu  kommt  oft  noch  der  wirkhche  Zwang  zu  denken  (was  sie 
nicht  wollen  und  wann  sie  nicht  wollen);  „tausend  Dinge  Milhonen 
Sachen  muß  ich  denken'',  dabei  haben  die  Kranken  doch  oft  das  Gefühl  des 
\rbeitens,  einer  Anstrengung,  einer  schrecklichen  Ermüdung.  Oft  sind  es  mcht 
fortgesponnene  Gedanken,  sondern  einfache  Erinnerungsbilder,  die  zwangs- 
mäßig auftauchen  („Zwangserinner n").  .  . 

\uch  der  Inhalt  der  Gedanken  kann  die  Patienten  plagen:  eine  Kranke 
mid3  sich  vorsteUen,  daß  ihre  Verwandten  sterben,  und  hat  dabei  Schuldgefühl 
(Übergang  zu  Wahnideen);  eine  andere  muß  mit  Abscheu  denken,  wie  man 
Hühner  rupfe.  Bei  einem  Paranoiden  „arbeitet  die  Gedankenmaschine  so, 
daß  es  ihm  beinahe  war,  als  ob  ihm  eine  Stimme  zurufe:  tue  das"  (Ubergang 
zu  HaUuzinationen;  später  hatte  er  auf  Befehl  von  HaUuzinationen  Mordtrieb, 
dem  er  aber  widerstehen  konnte). 

Manchmal  haben  die  automatischen  Gedanken  auch  angenehmen  Inhalt. 
Die  Kranken  beschäftigen  sich  mit  ihren  Wunschkomplexen,  die  auch  versteckt 
sein  können;  sich  aufdrängende  Lieder  beziehen  sich  auf  den  Geliebten.  Die 
Gedanken  können  auch  angenehm  und  unangenehm  zugleich  (ambivalent) 
sein,  so  bei  einer  Paranoiden,  die  denken  mußte:  „Ich  liebe  dich,  mich  reizt 
deine  schöne  Gestalt.  Und  bist  du  nicht  wiUig,  so  brauch'  ich  Gewalt",  wobei 
sie  sich  zugleich  den  Geliebten  vorstellen  mußte. 

Das  Zwangsdenken  (der  „Denkzwang")  ist  das  häufigste  aUer  automatischen 
Phänomene.  Es  hat  seinen  Gegensatz  in  dem  zwangsmäßigen  Aufhören 
des  Denkens.  Schon  die  gewöhnhchen  Sperrungen,  die  aus  dem  Unbewußten 
kommen,  sind  ja  im  Prinzip  nicht  unterscheidbar  von  Automatismen;  wenn 
aber  den  Kranken  die  Gedanken  ,, fortschleichen"  oder  gar  ,, fortgenommen 
werden",  so  muß  man  wohl  eine  automatische  Denkhinderung  annehmen. 

Auch  affektive  Vorgänge  können  subjektiv  den  Eindruck  des  Auto- 
matischen, Zwangsmäßigen  oder  Fremden  machen.  Manche  Kranke  sind  lustig 
oder  traurig  und  wissen  nicht  warum,  empfinden  die  Stimmung  deswegen  als 
von  außen  „gemacht".  Mimische  Äußerungen  ohne  Affekte  können  so  ent- 
stehen: das  schizophrene  unbegründete  Lachen,  gelegentlich  auch  krampf- 
artiges Weinen  ist  oft  ein  Automatismus.  Es  kann  auch  nur  die  Bewegung 
des  Lachens,  nicht  der  Akt  als  solcher,  empfunden  sein;  den  Kranken  kommt 
das  Lachen  dann  vor  wie  eine  peripher  ausgelöste  Muskelaktion  (,,das  ziehende 
Lachen").  Manchmal  tritt  das  Lachen  auf,  wenn  durch  irgend  eine  Anspielung 
der  Komplex  des  Patienten  getroffen  wird;  in  einzelnen  Fällen  erkennen  die 
Kranken  selbst  einen  Zusammenhang  zwischen  Komplex  und  schizophrenem 
Lachen. 


168 


Schizophrenie. 


Auch  zentripetale  Funktionen  haben  das  Timbre  des  Fremdartigen, 
ja  des  Aufgezwungenen;  von  den  HaUuzinationen  ist  das  bekannt;  eine  unserer 
Katatonischen  „machte  man  zwangsunwohl". 

Sogar  die  Träume  können  den  Patienten  als  Produkt  fremden  Einflusses 
erscheinen  und  subjektiv  den  gleichen  Charakter  haben  wie  das  Zwangsdenken. 


Die  Kranken  fassen  die  automatischen  Vorgänge  in  ver- 
schiedener Weise  auf.  Meist  machen  sie  sich  gar  keine  Gedanken  über  die 
Abnormität;  um  so  mehr  aber  empfinden  sie  den  Verlust  der  Spontaneität  und 
müssen  infolgedessen  die  Vorgänge  als  etwas  ihnen  Fremdes  ansehen.  Die  weniger 
Gleichgültigen  glauben  sich  heutzutage  meist  „suggestioniert",  auf  magneto- 
elektrischem Wege  oder  sonst  wie  physikahsch  beeinflußt;  Abergläubische  sind 
natürlich  verzaubert  oder  besessen,  teils  von  einem  guten  oder  bösen  Geiste, 
teils  auch  von  Menschen,  die  sich  in  ihnen  eingenistet  haben,  gelegenthch  sogar 
von  allerlei  Getier.  Christus  oder  der  Teufel  handeln  und  sprechen  durch  die 
Patienten,  bringen  ihnen  die  Gheder  in  bestimmte  Stellungen  usw.  Die  Gedanken 
werden  ihnen  auf  irgend  einem  natürhchen  oder  unnatürlichen  Wege ,, zugestoßen", 
„in  den  Kopf  gedrückt''  (Schneie). 

DieÄrzte,  die  Eltern,  der  Geliebte,  die  Vögel  und  dann  alle  jene  halbabstrak- 
ten Begriffe,  die  die  Verfolgungen  und  die  Verfolgenden  bezeichnen,  sind  es,  die 
aus  Bosheit,  zum  Experimentieren  oder  auch  aus  guten  Gründen  mit  allerlei 
Maschinen  und  mit  Zauber  die  Gedanken,  Bewegungen  und  Affekte  hervor- 
bringen, unterdrücken  oder  auf  Abwege  lenken.  Manche  Kranke  unterscheiden 
auch  innerhalb  der  automatischen  Gedanken  diejenigen,  die  von  anderen  gemacht 
sind,  von  den  spontan  auftretenden;  „sowie  mit  meinen  Gedanken  ein  Stich 
am  Knie  oder  ein  Druck  auf  der  Schulter  verbunden  ist,  so  weiß  ich,  daß  es 
gemachte  Gedanken  sind"  (Schneie). 

In  allen  Fällen  fühlt  sich  die  Persönlichkeit  ihrer  inneren  mid  äußeren 
Handlungen  nicht  mehr  mächtig  und  einer  fremden  Gewalt  ausgehefert,  sie  ist 
,,der  reinste  Willenssklave". 

Als  von  der  Persönhchkeit  losgelöste  psychische  Äußerungen  sind  die 
Automatismen  als  solche  selten  von  bewußten  Gefühlen  begleitet.  Die 
Kranken  können  tanzen  oder  lachen,  ohne  fröhhch  zu  sein;  einen  Mord  begehen, 
ohne  zu  hassen;  sich  selbst  umbringen,  ohne  des  Lebens  überdrüssig  zu  se  n. 
Die  Automatismen  beeinflussen  gewöhnhch  die  Grundstimmung  nicht  und 
werden  meist  nicht  von  ihr  beeinflußt. 

Immerhin  gibt  es  sekundäre  Gefühlsregungen  im  Zusammenhang  mit 
denselben.  Das  automatische  Denken  wird  teils  direkt,  teils  weil  es  die  Kranken 
mahnt,  daß  sie  nicht  Herr  ihrer  selbst  sind,  ganz  unerträgHch.  Zwangsimpulse 
werden  schwer  empfunden,  indem  sie  mit  Angstzuständen  verbmiden  sind  und 
innere  Kämpfe  hervorrufen. 

Die  Reaktion  der  Kranken  gegenüber  ihren  Automatismen 
ist  sehr  verschieden.  Viele  lassen  einfach  geschehen.  Gegenüber  den  verbrecheri- 
schen Antrieben  fehlt  ein  gewisser  Widerstand  selten,  auch  wenn  er  dem  Kranken 
nicht  zum  Bewußtsein  kommt.  Wenn  alle  die  aUtäghchen  Zwangsantriebe,  Unheil 


Akzessorische  Symptome.  Impulsivität. 


169 


anzurichten,  zui-  Ausführung  kämen,  würden  die  Schizophrenen  die  Welt  be- 
ständig in  Atem  halten.  Sogar  einer,  der  schon  Raubmord  begangen  hat,  kann 
dem  Trieb,  den  Staatsanwalt  zu  töten,  widerstehen  und  ihn  als  einen  lästigen 
Fremdkörper  empfinden.  Einzehie  Kranke  erfinden  geradezu  Schutzmaßregeln 
gegen  die  Zwangsantriebe;  einer,  der  bloß  gezwungen  wird,  zu  singen,  kann  sogar 
ein  Holz  verlangen,  das  er  sich  in  den  Mund  stecken  will,  um  sich  (d.  h.  seine 
Organe)  daran  zu  hindern.  Nicht  selten  entschuldigen  sich  die  Kranken,  nach- 
dem ihre  Automatismen  etwas  Dummes  angestellt  haben. 

In  leichteren  Fällen  kann  es  vorkommen,  daß  Zwangsideen  und  Zwangs- 
impulse nicht  nur  als  etwas  Fremdes,  sondern  auch  als  etwas  Krankhaftes  emp- 
funden werden,  und  daß  die  Reaktion  darauf  eine  ähnliche  ist  wie  bei  der  ein- 
fachen Zwangsneiu-ose.  Immerhin  ist  es  sehr  selten,  daß  nicht  andere  Symptome, 
namenthch  die  Gleichgültigkeit  gegenüber  den  Automatismen  oder  ganz  schiefe 
Auffassungen  derselben  die  Schizophrenie  erkennen  lassen. 

Gegenüber  den  inneren  Automatismen  sind  die  Kranken  natürlich  ganz 
ohnmächtig.  Die  einen  reagieren  aber  ihre  unangenehmen  Empfindungen  durch 
gelegentliches  oder  kontinuierliches  Schimpfen  ab,  die  anderen  verscMießen  sich 
noch  mehr  in  sich  selbst. 

9.  Die  Impulsivität. 

Die  Impulsivität,  die  bei  vielen  Katatonikern  im  Vordergrund  steht,  ist 
kein  einheitliches  Symptom.  Ein  großer  Teil  der  sogenannten  impulsiven 
Handlungen  sind  automatische  in  einer  der  eben  angeführten  Bedeutungen. 
Andere  sind  Affekthandlungen.  Ein  Patient  weiß  mit  sich  selber  nichts  mehr 
anzufangen,  alle  Sinneseindrücke  wie  seine  eigenen  Gedanken  plagen  und  reizen 
ihn ;  so  kann  er's  nicht  mehr  aushalten ;  es  muß  etwas  geben,  etwas  anders  kommen ; 
wie  und  was,  ist  gleichgültig,  nur  etwas  anderes.  Nachdem  er  einige  Tage  oder 
Wochen  in  dieser  Stimmimg  gewesen,  bricht  er  auf  einmal  los,  schlägt,  zerstört 
in  größter  Wut.  Nach  einigen  Sekunden  bis  einigen  Stunden,  selten  erst  nach 
Tagen,  beruhigt  er  sich,  bald  plötzHch,  bald  aUmählich.  Die  „Entladimg"  hat 
die  „Spannung"  für-  einige  Zeit  gemildert,  der  Patient  fühlt  sich  erleichtert 
mnerhch  und  äußerlich.  Was  er  getan  hat,  ist  im  Prinzip  gleichgültig;  er  läßt 
eben  seine  Wut  an  dem  aus,  was  seinen  Händen  zunächst  ist.  In  schwächeren 
FäUen  genügen  Schimpfausbrüche  dem  Bedürfnis.  Reue  ist  bei  der  Schizo- 
phrenie nach  solchen  Entladungen  natürlich  selten;  die  Patienten  fühlen  sich 
zur  Handlung  berechtigt,  oder  sie  sind  zu  gleichgültig,  um  es  anders  zu  wünschen. 
Uft  geben  sie  an,  daß  Stimmen  sie  in  Wut  versetzt  haben;  für  den  Beobachter 
ist  das  aber  keine  ausreichende  Begründung. 

Eine  zweite  Gruppe  impulsiver  Affekthandlungen  unterscheidet  sich  nur 
gradueU  von  normalen  Akten  im  Affekt:  Die  Patienten  werden  leicht  erregf 
bei  der  Spaltung  der  Assoziationen  werden  hemmende  Faktoren  oft 'nicht  herbei- 
gezogen; so  kommt  es  zu  allerlei  unüberlegten  Handlimgen,  tätlichen  Angriffen 
maßlosem  Schimpfen,  aber  auch  zu  anderen  Streichen,  plötzlichem  Verlassen 
tL  '^t'  ^r"^*""^'^  ^^''"^  ^"^^^  ^"^^  ^i"^  Menge  nicht  katatoni- 

tlh^  ™'  ^P^^^"'  P^-^g^l^  ^''^  ^i^-^al  seinen 

Nach^ax  oder  zerschlagt  die  Flasche,  weil  jener  bessere  Karten  bekommen 


170 


Scliizoplircnie. 


Den  Affekthandlungen  gegenüber  stehen  die  Handlungen  aus  patho- 
logischem Einfall.  Der  schizophrene  Assoziationsverlauf  bringt  ohne  ge- 
nügenden Zusammenhang  mit  den  vorhandenen  Ideen  nicht  nur  einfache  Ge- 
danken, sondern  auch  solche  mit  motorischer  Komponente  ins  Bewußtsein; 
„es  fällt  dem  Patienten  ein",  das  und  das  zu  tun.  Oft  hat  er  keinen  Grund  oder 
keine  Möghchkeit  zu  widerstreben,  der  Einfall  wird  in  Tat  umgesetzt,  handle 
es  sich  darum,  einen  Nachttopf  auf  den  Kopf  zu  setzen  oder  ein  Haus  anzu- 
zünden oder  die  Knöpfe  an  den  Kleidern  abzureißen.  Das  Bewußtsein  des 
Patienten  kennt  weder  affektive  noch  intellektuelle  Motive  der  Handlung. 

Diese  verschiedenen  Arten  von  impulsiven  Akten  sind  in  praxi  natürhch 
nicht  so  reinhch  getrennt;  es  gibt  viele  Mischfälle.  Eine  gewisse  Begründung 
der  schlechten  Stimmung  durch  unangenehme  Erfahrungen  kann  der  Entladung 
des  gespannten  Gemüts  vorausgehen:  der  bei  Schizophrenen  so  häufige  Zucht- 
hausknall ist  eine  Affekthandlung  aus  beiden  genannten  Motiven  zugleich; 
die  als  migerecht  empfundene  Behandlung  und  das  Bedürfnis  nach  Entladung 
wirken  zu  dem  gleichen  Ende.  Auch  der  Einfall  kann  durch  einen  Anlaß  aus- 
gelöst werden,  oder  er  kann  inhaltlich  durch  Komplexe  bedingt  sein,  so  daß  man 
z.  B.  gerade  seinem  Feinde  die  Bäume  zerstört,  obschon  im  Bewußtsein  kein 
Motiv  vorhanden  ist. 


■8-)  Akute  Syndronne. 

Der  Gang  der  Krankheit  wird  häufig  unterbrochen  durch  akute  Sjiidrome, 
vorübergehende  Zustände,  die  sonst  meist  als  selbständige  Psychosen  aufgefaßt 
und  mit  vielen  verschiedenen  Namen  belegt  worden  sind.  Dieselben  sind  in  den 
Erscheinungsweisen  sowohl  wie  genetisch  sehr  verschieden.  Es  kann  sich 
handeln  um: 

1.  Schübe  des  pathologischen  Prozesses.  Hierher  gehören  wohl  viele 
katatonisch-halluzinatorische  Formen  und  ein  Teil  der  stuporösen  Benommen- 
heiten. 

2.  Einfache  Exazerbationen  des  chronischen  Zustands;  z.  B. 
halluzinatorische  A.ufregungen  bei  chronischen  Halluzinanten ;  schwere  akute 
Katatonien  bei  Dauerzuständen  von  leicht  katatoner  Färbung.  Die  hyper- 
kinetischen Katatonien  erscheinen  oft  nur  als  Steigerungen  der  sonst  vorhandenen 
Bewegungen,  die  akinetischen  als  Übertreibungen  der  chronischen  Willen- 
losigkeit.  In  ähnlicher  Weise  können  die  meisten  akuten  Syndrome  bloße  Stei- 
gerungen von  chronischen  sein. 

3.  Abnorme  Eeaktionen  der  kranken  Psyche  auf  gefühls- 
betonte Erlebnisse.  Hierher  gehören  die  hysteriformen  Dämmerzustände 
und  manche  Schimpfanfälle  auf  äußere  Eeize. 

4  Nebenprodukte  des  Krankheitsprozesses,  deren  Zusammen- 
hang mit  demselben  wir  vorläufig  nicht  verstehen:  wahrscheinhch  ein  Teil  der 
melancholischen  und  manischen  Verstimmungen. 

5.  Zustände,  die  gar  nicht  der  Krankheit  als  solcher  angehören, 
sondern  dieselbe  komplizieren  oder  höchstens  von  derselben 


Akzessorische  Symptome.  Akute  Syndrome. 


171 


ausgelöst  werden:  wahrscliemlicli  ein  Teil  der  periodischen  und  zyklischen 
Formen  manischer  und  melancholischer  Verstimmung  bei  Schizophrenie. 

Diese  verschiedenen  Zustände  lassen  sich  aber  nicht  nur  für  unser  jetziges 
Wissen  nicht  scharf  trennen,  sie  mischen  sich  in  Wirklichkeit  in  behebigen  Ver- 
hältnissen. Sie  erwachsen  ja  alle  auf  dem  gleichen  Boden  und  sind  Symptome 
der  gleichen  Disposition.  Eine  Exazerbation  des  Krankheitsprozesses  kann 
leichte  Dauersymptome  zu  einer  akuten  „Psychose"  steigern;  die  sichtbaren 
"  Erscheinungen  sind  aber  auch  in  einem  solchen  Falle  zum  größten  Teil  psychisch 
bedingt.  Deshalb  kann  umgekehrt  ein  besonders  starker  psychischer  Chok 
ohne  Verschlimmerung  im  Kranldieitsprozeß  ein  ähnhches  oder  gleiches  Bild 
hervorbringen.  Es  ist  somit  selbstverständlich,  daß  die  verschiedenen  und  zum 
Zwecke  der  Beschreibung  auseinander  gehaltenen  Zustände  sich  in  der  mannig- 
faltigsten Weise  mischen  müssen  und  ganz  reine  Symptomengruppen  kaum 
anzutreffen  sind.  Mischungen  verschiedener  Zustände,  z.  B.  MelanchoHe,  Kata- 
tonie, Dämmerzustand  und  Benommenheit,  sind  etwas  ganz  Gewöhnüches. 
Es  ist  dann  ^villkürlich,  nach  welcher  Symptomengruppe  man  das  Bild  benennt. 

So  lassen  sich  über  die  allgemeinen  Erscheinungen  bei  den  einzelnen  Zu- 
ständen nm-  insofern  Regeln  geben,  als  jedes  herausgeschnittene  Bild  gewisse 
Symptome  notwendig  einschheßt  und  andere  ausschließt.  Wir  nennen  nichts 
Katatonie,  was  nicht  katatone  Symptome  zeigt;  ein  Dämmerzustand  kann 
keine  normale  Orientierung  aufweisen.  Im  übrigen  kann  der  Grad  der  Klarheit 
oder  der  Spaltung  des  Bewußtseins  bei  jedem  Bilde  vom  Maximum  zum  Mini- 
mum wechseln.  Ebenso  die  Ablenkbarkeit  und  die  Reaktionsfähigkeit  auf 
äußere  Eindrücke. 

Wir  sind  noch  nicht  imstande,  alle  die  verschiedenen  akuten  Krankheits- 
bUder  herauszuheben;  es  lassen  sich  deswegen  nicht  alle  Fälle  in  den  Kategorien 
unterbringen,  die  wir  anführen  werden.  Doch  treffen  wir  damit  die  meisten 
vorkommenden  Bilder. 

Die  Anfälle  kommen  etwas  häufiger  in  den  ersten  Jahren  als  im  späteren 
Verlauf  der  Krankheit  vor.  Sie  können  mit  oder  ohne  Vorläufer  auftreten 
(Verstimmungen  und  andere  psychische  Symptome,  vasomotorische  Störungen, 
wie  Injektion  der  Slderen,  Tremor  usw.).  Die  Dauer  der  Anfälle  kann  sich  von 
einigen  Stunden  bis  zu  Jahren  ausdehnen. 

Die  nachträgliche  Erinnerung  an  die  Anfälle  ist  sehr-  verschieden.  In 
der  Natur  der  Dämmerzustände  liegt  es,  daß  die  Kranken  sich  nachher  an  die 
Erlebmsse  im  AnfaU  nicht  gut  oder  gar  nicht  erinnern.  (Allerdings  ist  zum 
Unterschied  von  Hysterie  und  Epilepsie  eine  voUständige  Amnesie  recht  selten  ) 
Auch  nach  Benommenheitszuständen  besteht  meist  mehr  oder  minder  ausge- 
sprochene Amnesie.  Bei  den  manischen  und  melancholischen  Syndromen  herrscht 
die  gute  Erinnerungsfähigkeit  vor;  bei  den  katatonen  und  paranoiden  verhält 
sich  das  Gedächtnis  sehr  verschieden.  Da,  wo  keine  Amnesie  besteht,  ist  man 
Ott  überrascht,  wie  genau  die  Patienten  noch  nach  vielen  Monaten  über  ihre 
inneren  und  äußeren  Erlebnisse  Bescheid  geben  können.  Es  kommt  auch  bei 
den  verschiedensten  Zuständen  vor,  daß  -  anscheinend  regellos  -  ein  gewisser 
ieii  der  Erlebnisse,  einige  Wochen,  einige  Monate,  vergessen  sind,  während 
das  übrige  reproduziert  werden  kann. 


172 


Schizophrenie. 


1.  Melancholische  Zustände. 

Die  melancholische  Symptomentrias  mit  depressivem  Affekt  und  Hem- 
mung des  Denkens  und  Handelns  ist  eine  der  häufigsten  Formen  akuter  Störungen 
in  der  Schizophrenie. 

Verstimmvmgen,  die  auf  der  Einsicht  oder  der  unklaren  Empfindung  des 
Mangels  an  Leistungsfähigkeit  und  des  richtigen  Rapports  mit  der  Außenwelt 
beruhen,  sind  normale  Reaktionen  auf  schmerzhche  Wahrnehmungen.  Sie 
werden  der  Natur  der  Sache  nach  im  Anfang  der  Krankheit  häufiger  vorkommen 
als  später. 

Neben  derartigen  physiologischen  Depressionen  gibt  es  aber  auch  solche, 
die  irgendwie  im  Krankheitsprozeß  begründet  sein  müssen.  Es  sind  dies  wohl 
die  gewöhnHchen  schizophrenen  „Melanchohen". 

Außerdem  lassen  manche  Fälle  an  eine  Komphkation  mit  manisch-de- 
pressivem Irresein  denken.  Symptomatologisch  haben  wir  zurzeit  noch  keine 
Anhaltspunkte,  die  beiden  letzten  Formen  auseinander  zu  halten. 

Die  Depression  hat  alle  die  verschiedenen  Charaktere,  die  wir  von  anderen 
Krankheiten  her  kennen:  einfaches  schmerzHches  Gefühl  unabhängig  von  den 
Erlebnissen,  Ängstlichkeit,  sich  steigernd  bis  zu  wilder  Angst,  seltener  Weinen, 
oft  aber  lautes  Schreien  und  verzweifeltes  Jammern,  dann  depressive  Hemmung 
bis  zur  Bewegungslosigkeit.  Viele  Kranke  behaupten  auch  ganz  gefühllos  zu 
sein  und  beklagen  sich  darüber. 

Das  Bild  der  MelanchoHe  wird  getrübt  nicht  nur  durch  schizophrene  Sym- 
ptome, sondern  auch  zuweilen  dadurch,  daß  ein  Teil  der  Persönhchkeit  nicht  melan- 
chohsch  ist  und  die  ängstHchen  Ideen  ignoriert,  kritisiert  oder  darüber  Witze 
macht;  schizophrene  Schwermütige  können  über  ihre  melanchohschen  Wahn- 
ideen und  Handlungen  lachen.  Häufiger  entbehrt  das  Bild  in  Nebensachen  der 
EinheitHchkeit.  Während  die  Patienten  nichts  Nützhches  tun  können,  ja 
nicht  einmal  essen,  sind  sie  in  beständiger  Bewegung,  die  oft  eintönig  erscheint, 
aber  nicht  wie  bei  den  agitierten  Formen  der  organischen  Melanchohen  Ausdruck 
des  Kummers  und  der  inneren  Unruhe  ist.  Der  Kranke  jammert  zwar  auch, 
sagt  tausendmal  im  Tage  das  Gleiche:  man  solle  ihm  den  Kopf  abhauen,  er  wolle 
heim,  er  sei  der  schlechteste  Mensch,  er  komme  in  die  Hölle  —  aber  dazu  macht 
er  eine  Menge  durch  die  Depression  nicht  erldärbarer  Dinge,  zerreißt  das  Hemd, 
die  Decken,  zerkratzt  nicht  nur  seine  Haut,  sondern  auch  die  Wand;  geht  tägüch 
hunderte  von  Malen  aus  dem  Bette,  hindert  den  Wärter  täthch  an  der  Pflege 
anderer  Kranken,  schmiert,  zerschlägt  Geschirr.  Ganz  brutale  Selbstmord- 
versuche, mit  dem  Kopfe  gegen  die  Wand  rennen,  sich  mit  einem  Sprung  aus 
dem  Bett  auf  den  Kopf  stürzen,  aUerlei  Selbstbeschädigungen  sind  nicht  selten. 
Manchmal  haben  die  Selbstmordversuche  mehr  den  Charakter  des  Spiels:  der 
Kranke  stopft  sich  in  Gegenwart  des  Wärters  einige  Tage  lang  beständig  das 
Kissen  in  den  Mund;  eine  Patientin  will  sich  mit  dem  eigenen  Zopf  auf  ganz  un- 
mögliche Weise  erdrosseln,  sie  stopft  die  ganze  Faust  in  den  Mund,  um  sich  zu 
ersticken.  Nahi-ungsverweigerung  ist  dabei  etwas  Gewöhnhches,  doch  wird  gar 
nicht  immer  die  Sonde  nötig. 

Auch  wenn  der  Affekt  die  ganze  Persönhchkeit  zu  beherrschen  scheint, 
haben  seine  Äußerungen  in  der  Regel  den  schizophrenen  Charakter  der  Steifig- 


Akzessorische  Symptome,  Melancholische  Zustände.  Manische  Zustände. 


keit,  des  Gemachten,  Übertriebenen;  man  glaubt  nicht  recht  an  eine  tiefe  Emp- 
findung. Doch  gibt  es  sogar  bei  älteren  Fällen  wirkUch  melancholische  De- 
pressionen. Auch  kommt  die  ganze  Lage,  die  Unfähigkeit  zu  handeln,  den 
Kranken  oft  schmerzHch  zum  Bewußtsein.  Manche  suchen  sich  dann  darüber 
Klarheit  zu  verschaffen,  ohne  an  ein  Ziel  zu  kommen. 

Den  melanchoUschen  Hemmimgen  der  Motiütät  mischen  sich  oft  die 
Symptome  der  Sperrung  und  der  Katalepsie  bei,  so  daß  man  das  Gesamtbild 
niu-  schwer  zerghedern  kann. 

Die  Ideenhemmung  zeigt  sich  nicht  nur  in  langsamem  Denken  und  in 
Entschlußunfähigkeit,  sondern  ganz  besonders  in  einem  extremen  Mono- 
ideeismus,  der  im  Gegensatz  zur  einfachen  Melanchohe  hier  geradezu  absolut 
sein  kann.  Es  lassen  sich  oft  lange  Zeit  keine  Spuren  von  anderem  Denken 
auffinden  als  die  beständig  geäußerten  Wünsche,  Klagen  oder  Verwünschungen, 
und  jeder  Versuch,  die  Kranken  auf  ein  anderes  Thema  zu  bringen  oder  auch 
nur  das  gegebene  weiter  auszuspinnen,  scheitert  vollständig. 

Wahnideen  und  namentlich  Halluzinationen  fehlen  selten.  Stim- 
men drohenden  und  anklagenden  Inhalts,  giftige  Dünste,  elektrische  Einwirkungen, 
Feuer  werden  oft  wahrgenommen.  Die  Patienten  glauben  sich  auf  alle  Art  gequält, 
sie  werden  getötet,  ihren  Kindern  werden  die  Augen  ausgestochen,  es  sind  unter- 
irdische Marterkammern  da,  worin  sie  in  der  Nacht  verweilen  müssen,  man 
hefert  sie  den  anderen  Kranken  zum  Zerfleischen  aus,  sie  haben  alle  erdenklichen 
Sünden  begangen,  ihre  Liebsten  unglücklich  gemacht,  umgebracht. 

Oft  sind  die  Wahnideen  rein  hypochondrisch.  Die  „hypochondrische 
Melanchohe"  der  Autoren  ist,  wenn  nicht  eine  organische,  in  der  Regel  eine 
schizophrene  Melanchohe.  NamentHch  der  C o tat d sehe  Symptomenkomplex 
gehört  bei  Nichtorganischen  fast  nur  der  Schizophrenie  an,  denn  hier  können 
Größenideen  ungestört  durch  logische  Widersprüche  sich  neben  den  schhmmsten 
Befürchtungen  entwickeln  und  halten.  Die  größte  Sünderin  ist  zugleich  Königin 
der  Nacht;  sie  füllt  das  ganze  W^eltall,  ist  ewig,  betont  aber  auch  diese  Vor- 
stellungen mit  negativen  Gefühlen. 


2.  Manische  Zustände. 


Den  verschiedenen  Arten  melanchoHscher  Zustände  gegenüber  stehen  die 
manischen  (gehobene  Stimmung,  Ideenflucht,  Beschäftigungsdrang).  Sie 
kommen  allein  vor  oder  —  seltener  —  in  zyklischer  Form  abwechselnd  mit 
melanchohschen  Zuständen,  mischen  sich  aber  auch  leicht  mit  Katatonien. 

Die  Stimmung  der  schizophrenen  Manischen  ist  gewöhnlich  mehr  eine 
mutwiUige  als  eigen thch  gehobene;  die  Kranken  haben  Freude  an  aUerlei  Dumm- 
heiten und  schlechten  Scherzen.  Besonders  Hebephrene  sind  da  in  ihrem 
Element;  sie  reißen  dumme  Witze,  zoten,  machen  sich  über  aUes  lustig,  die  Um- 
gebung, die  Famihe,  die  höchsten  Güter  der  Menschheit.  Der  Kranke  schimpft 
renommiert,  flucht,  streckt  die  Zunge  heraus,  verdreht  die  Augen,  spricht  sehr 
^ut  mit  eigentümhcher  Betonung,  gestikuHert  lebhaft,  übertrieben,  karildert  der 
Kede  unangepaßt,  täppisch ;  turnt  wie  ein  Schlangenmensch,  hegt  da  mit  dem  Kopf 
™chen  den  Beinen,  deklamiert,  singt,  betet.  Tag  und  Nacht  werden  aUe  mög- 
hchen  unangenehmen  Gewohnheiten  fortgesetzt:  Zerstören,  Schmieren,  Lärmen 


174 


Schizophrenie. 


Zornaiisbrüche  kommen  noch  häufiger  vor  als  bei  der  gewöhnlichen  Manie 
seltener  die  vorübergehenden  Umschläge  in  weinerliche  Traurigkeit.  Die  ersteren 
können  hier  ohne  äußeren  Anlaß  entstehen.  In  manchen  Fällen  bemerkt  man 
von  der  Euphorie  nur  wenig.  Der  Patient  macht  in  Frölüichkeit  wie  eine  Maschine, 
oder  wie  auf  Befehl;  das  Benehmen  ist  das  eines  übermütigen  Kindes,  nicht 
aber  die  Mimik  und  die  Rede.  Auch  manische  Schizophrene  können  schweig- 
sam, geradezu  mutistisch  sein.  Sie  setzen  sich  überhaupt  wenig  in  Beziehung 
zur  Umgebung,  schheßen  die  Augen,  in  einzehien  Fällen  kontinuierlich  wochen-, 
monatelang.  Die  Ablenkbarkeit  fehlt  zeitweise  oder  andauernd;  ganz  unbe- 
kümmert um  die  Umgebung  machen  die  Kranken  ihre  Faxen  und  Turn-  und 
Sprachübungen.  Die  Ideenflucht  mischt  sich  oft  mit  den  schizophrenen  zer- 
fahrenen Assoziationen;  kaum  je  kann  sie  von  diesen  ganz  verdeckt  werden. 

Der  manische  Beschäftigungsdrang  wird  oft  zu  einem  bloßen  Bewegungs- 
di'ang.  Schienen  in  den  angeführten  Beispielen  die  Bewegungen  doch  noch 
einen  gewissen  Zweck  zu  haben,  so  können  sie  schheßlich  für  den  Zuschauer 
ganz  unsinnig  nur  als  Bewegungen  erscheinen:  der  Kranke  wirbelt  herum; 
schlenkert  jetzt  die  Beine  in  der  Luft,  nun  den  einen  Arm,  nun  trällert  er,  schwingt 
sein  Taschentuch,  klopft  einige  Male  auf  den  Stuhl,  wirft  diesen  um,  zupft  an 
den  Kleidern,  setzt  sich,  wirft  sich  auf  den  Boden,  schreit,  brüllt.  Solche  Fälle 
bilden  die  Übergänge  zu  den  katatonen  Aufregungen,  die  nichts  Manisches  an 
sich  zu  haben  brauchen.  Dies  dokumentiert  sich  auch  darin,  daß  viele  der  Be- 
wegungen sich  immer  wiederholen  und  schließhch  sehr  leicht  ganz  stereotypiert 
werden.  In  einzelnen  Fällen  zeigt  sich  die  schizophrene  Herabsetzung  des  Be- 
schäftigungsdranges in  ganz  auffallender  Weise.  Obschon  diese  Patienten  ideen- 
flüchtig und  gehobener  Stimmung  sind,  auch  Pläne  machen  und  uns  sogar  mit 
Briefen  überschütten,  bringt  man  sie  nicht  dazu,  eine  Arbeit  nur  zu  versuchen. 
Ebenso  auffallend  ist  die  Neigung,  sich  zurückzuziehen.  Während  der  (manisch- 
depressive) Manische  mit  Heißhunger  die  Außenwelt  in  sich  aufnimmt  mid 
sich  übereifrig  mit  ihr  beschäftigt,  ignoriert  sie  der  schizophrene  Manische 
mehr  oder  weniger. 

Auch  hier  kommen  Halluzinationen  recht  häufig  vor;  es  ist  aber  meist 
schwer,  Auskunft  über  ihren  Inhalt  zu  bekommen.  Die  Wahnideen  sind, 
wenn  überhaupt  vorhanden,  gewöhnhch  flüchtig,  haben  Größen-  oder  Verfolgungs- 
charakter; sie  tauchen  momentan  auf,  um  im  nächsten  Augenbhck  nicht  mehr 
nachweisbar  zu  sein.  Doch  halten  sich  namenthch  Verfolgungsideen  oft  auf 
die  Dauer,  ebenso  manchmal  erotische. 

Manisch-depressive  Mischzustände  im  Sinne  von  Weygandt  habe 
ich  bis  jetzt  bei  der  Schizophrenie  nicht  gesehen;  es  ist  aber  wohl  möglich,  daß  sie 
auch  da  vorkommen. 

3.  Katatonische  Zustände. 

Katatone  Symptome  mischen  sich  in  der  Regel  den  manischen  und  melan- 
cholischen Zuständen  bei,  unter  Umständen  in  so  hohem  Maße,  daß  sie  das  Bild 
beherrschen,  und  man  von  einer  manischen  oder  melanchohschen  Katatonie 
sprechen  kann.  Die  alte  Melanchoha  attonita,  soweit  sie  diesen  Namen  verdiente, 
gehörte  hierher.  Im  folgenden  soll  aber  nur  von  denjenigen  alcuten  Häufungen 
katatoner  Symptome  gesprochen  werden,  die  nicht  einer  der  Affektpsychosen 


Akzessorische  Symptome.  Katatonische  Zustände. 


175 


im  alten  Sinne  beigezählt  werden  können.  Es  handelt  sich  um  mancherlei  Zu- 
standsbilder,  die  nicht  nur  dem  Aussehen  nach,  sondern  auch  m  ihren  psychologi- 
schen Mechanismen  sehr  verschieden  sind.  Zusammengehalten  werden  sie  eben  nur 
durch  die  katatonen  Erscheinungen,  die  sich  ganz  verschieden  gi-uppieren  können. 

Das  äußere  Bild  dieser  Formen  läßt  sich  am  besten  m  zwei  Extremen 
beschreiben,  die  ungefähr  der  akinetischen  und  der  hyperkinetischen  Motüitäts- 
psychose  Wernickes  entsprechen. 

Von  altersher  bekannt  waren  die  akinetischen  Zustände  der  Attonität, 
des  Stupors  und  der  Flexibilitas  cerea.  In  irgend  einer  Stellung, 
meist  mit  Überwiegen  der  Flexoren,  sitzen,  kauern,  liegen  die  Kranken  da;  in 
den  hochgradigen  Fällen  sind  die  Bewegungen  nahezu  auf  Null  reduziert;  nicht 
einmal  der  Speichel  wird  geschluckt;  er  fließt  aus  den  Mundwinkebi  oder  wird 
solange  als  möglich  im  Munde  angesammelt;  auch  die  anderen  psychisch  be- 
einflußbaren Eeflexe  funktionieren  nur  ausnahmsweise  ;  hier  kommen  am  häufigsten 
und  am  hartnäckigsten  die  verschiedenen  Unregelmäßigkeiten  in  der  Entleerung 
von  Blase  und  Mastdarm  vor.  Die  Nahrung  wird  oft  nicht  geschluckt,  sondern 
muß  mit  der  Sonde  eingegeben  werden,  meist  mit  Überwindung  heftigen  Wider- 
standes. Wie  häufig  eigentliche  Verdauungsstörungen  vorkommen,  ist  schwer 
zu  unterscheiden ;  belegte  Zunge,  ja  Fuligo,  ist  in  katatonen  Zuständen  mit  Ver- 
wirrtheit nicht  selten. 

Sonst  ist  das  körperliche  Befinden  gewöhnlich  wenig  alteriert;  doch 
haben  die  meisten  dieser  Kranken  ein  etwas  gedunsenes  Aussehen,  auch  dann, 
wenn  sie  abmagern,  und  die  Hautfarbe  ist  eine  andeutungsweise  oder  ausge- 
sprochen livide.  Der  Schlaf  ist  meist  gestört  oder  fehlt  ganz. 

Von  diesen  Fällen  mit  verminderter  Reaktion  gibt  es  nun 
alle  Übergänge  zu  den  hyper kinetischen.  Die  Akinese  ist  nui:  in 
selteneren  Fällen  eine  so  vollständige,  wie  oben  geschildert:  einzelne  Bewegimgen 
oder  unter  Umständen  auch  einzelne  Verrichtungen  werden  noch  ausgeführt, 
die  Kranken  wechseln  etwa  noch  den  Ort,  langsam,  zögernd,  schwankend,  auf 
den  Zehen,  in  irgend  einer  gebückten  oder  zusammengedrückten  Haltung;  viele 
kauen  die  in  den  Mund  geschobenen  Speisen ;  man  bekommt  auch  zuweilen  Ant- 
worten, leise,  langsam.  Auch  die  aktiven  katatonen  Symptome  bringen  oft  Leben 
in  das  Bild;  der  Kranke  verbigeriert  laut  oder  leise,  er  macht  stereotype  Bewegun- 
gen, wehrt  sich  sehr  ausgiebig  gegen  alle  Lage  Veränderungen  (während  er  auf 
Nadelstiche  und  noch  viel  unangenehmere  Empfindungen  reaktionslos  bleibt). 

Spontane  Bewegungen  oder  Handlungen  bei  Kranken,  die  im  ganzen  eine  herab- 
gesetzte Motilität  zeigen,  haben  ein  typisch  katatonisches  Gepräge.  Die  ganze  Tätig- 
keit eines  Kranken  bestand  während  vieler  Wochen  darin,  aus  dem  Bett  zum  Nacht- 
stuhl und  zurück  zu  gehen,  wozu  er  halbe  und  ganze  Stunden  brauchte.  Er  geht 
langsam  hin,  hebt  den  Deckel  des  Stuhles,  macht  ihn  wieder  zu,  ohne  ein  Bedürfnis 
zu  verrichten,  geht  etwas  zurück  und  wiederholt  das  viele  Male,  bis  er  den  Stuhl 
endlich  benutzt.  Wenn  er  in  dieser  Tätigkeit  gestört  wird,  oder  auch  spontan  zieht 
er  seine  Zehen  krampfhaft  in  Klauenstellung  zusammen  und  geht  so,  immer  den 
Kopf  gesenkt,  die  Augen  krampfhaft,  aber  nur  halb  geschlossen,  hin  oder  zurück 
Er  sieht  aus  wie  ein  gelangweilter  Eeiher  in  einer  Voliere.  An  der  Nase  hängt  ein 
Iropfen.  Wird  er  gestört,  so  weicht  er  geärgert  aus.  Wenn  man  ihn  aber  hindert 
oder  nur  ihm  folgt,  stößt  er  bei  einer  bestimmten  Ecke  des  Bettes  einen  durchdringen- 
den bchrei  aus  und  weint  dann,  wie  wenn  er  tief  unglücklich  wäre 


176 


Scbizoplirenie. 


Manchmal  wird  die  Ruhe  durch  katatone  Raptus  unterbrochen. 
Plötzlich  springt  der  Patient  auf,  zerschlägt  etwas,  greift  mit  großer  Gewandtheit 
und  Kraft  jemanden  an  oder  stellt  irgend  etwas  im  Saal  anders,  als  es  vorher  war. 
Ein  Katatoniker  erwacht  aus  der  Starre,  radelt  im  Hemd  drei  Stunden  lang 
herum,  fällt  und  bleibt  kataleptisch  im  Straßengraben  hegen.  Auch  auf  äußere 
Einflüsse  können  auf  einmal  ganz  prompte  imd  nicht  sinnlose  Reaktionen 
kommen;  eine  Antwort,  eine  Zwischenrede  verblüfft  plötzhch  die  Anwesenden. 
Ein  Wirt  in  hochgradigem  „Stupor"  hebt  einen  herabgefallenen  Pfropfen  auf. 
In  manchen  Fällen  kann  man  von  den  mutistischen  Kranken  schrifthche  Ant- 
worten bekommen;  oder  sie  schreiben  sogar  spontan  ganze  Seiten  voll. 

Die  hyperkinetischen  Fälle  sind  beständig  in  Bewegung,  ohne  eigen thch 
etwas  zu  tun  („Tatenflucht",  Fuhrmann,  S.  834). 

Sie  klettern  herum,  schlagen  Purzelbäume,  hüpfen  über  die  Betten,  klopfen 
zwanzigmal  auf  den  Tisch,  dann  an  die  Wand,  wippen,  machen  Kniebeugen,  werfen 
sich  in  die  Luft,  schlagen,  zerstören,  klemmen  die  Arme  in  möglichst  verrenkter 
Stellung  zwischen  die  Radiatoren  des  Ofens,  unbekümmert  um  Brandwunden, 
schreien,  singen,  verbigerieren,  schimpfen,  lachen,  weinen,  spucken  herum,  machen 
Grimassen:  traurige,  schreckhafte,  fröhliche,  nehmen  einen  beliebigen  Gegenstand 
in"^die  Hände,  bewegen  ihn  irgendwie,  legen  ihn  in  andere  Lage  nieder  und  machen 
tausend  andere  Bewegungen,  von  denen  allerdings  der  einzelne  Kranke  sich  meist 
auf  eine  gewisse  Anzahl  beschränkt.  Die  Bewegimgen  haben  immer  etwas  Abnormes. 
Wenn  die  Kranken  einen  Gegenstand  aufheben,  so  tun  sie  es  in  einer  besonderen 
Weise,  wie  man  es  sonst  nicht  tut;  ins  Bett  steigen  sie  von  der  Kopfseite  und  mit 
ganz  ungewohnten  turnerischen  Allüren,  oder  sie  lassen  sich  hineinfallen  usw.  Die 
Bewegungen  werden  oft  mit  großer  Kraft,  fast  immer  mit  Anstrengung  imnötiger 
Muskelgruppen  gemacht;  die  Rücksichtslosigkeit  gegen  sich  selbst  scheint  manchmal 
so  groß,  wie  die  gegen  die  lebende  und  leblose  Umgebung.  Das  Maß  für  Kraft  und 
Ausgiebigkeit  der  Bewegungen  ist  verloren  gegangen.  In  stuporösen,  kataleptischen 
Fällen  wiegen  energielose  Bewegungen  vor.  Dann  wieder  wird  alles  zu  kräftig  aus- 
geführt; eine  einfache  Geste,  die  eine  Rede  begleitet,  wird  gerne  wiederholt,  und 
das  immer  energischer  und  ausgiebiger;  irgend  eine  Erklärimg,  eine  gleichgültige 
Redewendung,  die  die  Kranken  abgeben,  wird  in  der  katatonen  Repetition  rasch 
zum  lauten  Geschrei.  Auch  einmalige  Bewegungen  werden  häufig  mit  maximalem 
Kraftaufwand  ausgeführt.  Die  anderen  Zeichen  der  Katatonie,  stereotype  Wieder- 
holungen, Verbigeration,  Karikierung  im  Gefühlsausdruck,  hohles  Pathos  usw. 
fehlen"  niemals.  Sie  reden  weniger  als  entsprechend  aufgeregte  Manische,  oft  sind 
sie  geradezu  mutistisch.  Teilstücke  der  Handlungen  können  scheinbar  einen  gewissen 
Sinn  haben,  z.  B.  Nachmachen  eines  Predigers,  des  Militärs,  eines  schüchternen 
Mädchens.  Man  sieht  aber  keine  ganzen  Darstellungen.  Auch  da,  wo  eine  solche 
Idee  immer  wieder  auftaucht,  wird  sie  beständig  durch  andere  Handlungen  unter- 
brochen. Irgend  ein  Zweck  der  Handlung  ist  selten  angedeutet:  die  Kranken  ver- 
barrikadieren sich  in  sonderbarer  Weise  hinter  Bettstücken,  sie  machen  sich  eine 
Höhle  aus  dem  Bettzeug,  sie  stellen  irgendwelches  Material,  dessen  sie  habhaft 
werden  können,  in  bestimmter,  aber  recht  sonderbarer  Weise  zusammen.  Solche 
Handlungen  wiederholen  sich  dann  gerne  in  der  gleichen  Weise. 

Eine  Einheit  kommt,  abgesehen  von  den  beständigen  Wiederholungen,  in 
manchen  FäUen  insofern  in  das  Bild,  als  ein  —  aUerdings  schizophren  kraft- 
loser —  Affekt  durch  alles  hindurchgeht.  Eine  Anzahl  dieser  Kranken  sind 
deuthch  manisch  (mit  nachweisbarer  Ideenflucht),  andere  sind  melancholisch, 


Akzessorische  Symptome,  Katatonische  Zustände. 


177 


wieder  andere  gereizt  oder  ängstlicli  und  fühlen  sich  verfolgt.  Viele  Katatoniker 
aber  schaffen  herum  ohne  rechten  Affekt,  wie  eine  Maschine,  oder  sie  wechseln 
mit  den  karikierten  Affektäußerungen  alle  Augenbhcke.  HaUuzinationen 
begleiten  die  Anfälle  sehr  häufig,  aber  nicht  immer;  auch  Wahmdeen  brauchen 

nicht  dabei  zu  sein. 

Auch  die  hyperldnetische  Form  kann  unterbrochen  werden;  piotzüche 

Beruhigungen  von  kurzer  Dauer  komplizieren  das  Bild. 

Besonders  in  den  akinetischen  Katatonien,  aber  auch  bei  den  anderen, 
zeigen  sich  oft  deutliche  Gefäßstörungen  (Livor,  Ödeme).  Die  beständige 
Bewegung  setzt  natürhch  in  den  meisten  Fällen  den  Kräftezustand  schheßhch 
henmter,  doch  nicht  in  allen;  manche  erhalten  sich  merkwürdig  gut,  so  daß 
man  einen  abnorm  haushälterischen  Stoffwechsel  annehmen  muß,  wie  bei  vielen 
hysterischen  Aufregungen.  Die  Nahrungsaufnahme  ist  natürlich  sehr 
unregelmäßig,  oft  besteht  Abstinenz;  der  Schlaf  ist  immer  schlecht,  oft  fehlt 
er  lange  Zeit  ganz. 

Analgesie  ist  gerade  hier  häufig;  indes  kann  sie  auch  durch  die  bloße 
Reaktionslosigkeit  vorgetäuscht  werden.  Anästhesie  habe  ich  nie  beobachtet, 
und  ich  vermute,  daß  die  katatone  Anästhesie  mancher  Autoren  nur  eine  Anal- 


gesie war. 


Über  ihren  sonderbaren  Zustand  machen  sich  die  Kranken  meist  nicht  viel 
Gedanken.  Manche  denken  jedenfalls  sehr  wenig,  einzelne  vielleicht,  wie  Brosius 
meint,  gar  nichts.  Immerhin  wird  auch  hier  passiv  recht  viel  von  dem,  was  um 
sie  vorgeht,  registriert.  Dennoch  ist  die  Vigihtät  der  Aufmerksamkeit  meist 
eine  stark  herabgesetzte,  besonders  in  den  hyperkinetischen  Formen. 

Ein  ganz  großer  Teil  der  Kranken  befindet  sich  während  der  akuten  katatoni- 
schen Phase  zugleich  in  einem  mehr  oder  weniger  ausgesprochenen  Dämmer- 
zustand oder  sonst  in  einer  aus  beständigen  Sinnestäuschungen  gebildeten  Welt. 
Sie  erklären  die  Bewegungslosigkeit  durch  die  Vorstellung,  von  Abgründen  um- 
geben zu  sein,  Stimmen  drohen  ihnen  alle  Scheußhchkeiten,  wenn  sie  sich  be- 
wegen, oder  versprechen  ihnen  Herrhchkeiten,  wenn  sie  es  nicht  tun;  sie  dürfen 
nicht  schlucken,  ihre  Bedürfnisse  nicht  auf  dem  Nachtstuhl  verrichten  u.  dgl. 
Oft  spüren  sie  die  Unmöghchkeit  der  Bewegungen  subjektiv  als  Steifigkeit  oder 
Lähmung. 

Auch  in  den  hyperkinetischen  Formen  scheint  oft  —  nicht  immer  —  das 
Verhalten  durch  massenhafte  Halluzinationen  bestimmt.  Es  handelt  sich  oft 
um  Abwehr-,  Flucht-  und  Agressivbewegungen,  die  aber  unzweckmäßig  oder 
geradezu  apraktisch  oder  unkoordiniert  erscheinen.  Die  Begründung  der  Handlun- 
gen und  der  Unterlassungen  aus  den  Halluzinationen  ist  aber  für  die  Logik  des 
Gesunden  meist  eine  nicht  genügende,  so  wenn  der  Patient  an  das  Bett  klopft, 
weil  man  ihn  vergiftet. 

Eine  besondere  Form  der  hyperkinetischen  Katatonie  "ist  die  „Faxen- 
psychose". Die  Kranken  machen  beständig  unzusammenhängende  karikierte 
Gesten  und  Grimassen,  die  oft  aussehen,  wie  wenn  sie  in  ungeschickter  Weise  „den 
Toren  spielen"  wollten i).  Daneben  machen  sie  eine  Menge  kleiner  Dummheiten, 
klopfen  auf  die  Knie,  vertauschen  Kissen  xmd  Decke,  gießen  Wasser  aus,  heben 

^)  Die  Faxen  mutwilliger  Hebephrener  sind  etwas  ganz  anderes  und  nur  ein  Einzel- 
symptom unter  vielen  gleichartigen. 


Handbuch  der  Psychiatrie:  Bleuler. 


12 


178 


.Schi20]ihrenie. 


die  Türe  aus  den  Angeln,  alles  anscheinend  bei  Orientiertheit.  Regelmäßig 
sprechen  sie  dabei  wenig  oder  gar  nicht.  Was  sie  sagen,  ist  meistens  ganz  unlogisches 
Schimpfen  oder  sonst  ein  Unsinn.  •  ° 

Das  Faxensyndrora  hat  unzweifelhaft  einen  ähnlichen  Ursprung  wie  der 
Gansersche  Dämmerzustand.  Es  handelt  sich  um  Leute,  die  aus  irgend  emem 
Grunde  (unbewußt)  den  Geisteskranken  spielen  (75  a). 


4.  Der  Wahnsinn. 

Manchmal  herrschen  die  Halluzinationen  und  Wahnideen  vor;  manische, 
depressive  oder  katatonische  Züge  mögen  sich  daneben  finden ;  in  vielen  Fällen 
aber  fehlen  sie  ganz.  Solche  Zustände  nennen  wir  Wahnsinnsformen.  Der 
manische  und  melancholische  Wahnsinn  früherer  Autoren  gehört  zum  großen 
Teil  hierher,  da  manisch-depressiver  Wahnsinn  selten  ist. 

Nur  ausnahmsweise  fehlen  die  Sinnestäuschungen  bei  solchen  „akuten 
Paranoien",  so  daß  sie  nur  durch  Wahnideen  gekennzeichnet  sind.  Meist  stehen 
die  Halluzinationen  im  Vordergrund,  die  beständig  mid  massenhaft  auf  den 
Kranken  eindringen  und  ihn  verwirrt  erscheinen  lassen,  letzteres  namentlich 
dann,  wenn  sie  rasch  wechseln:  Jetzt  werde  ich  gestochen,  da  drückt  es  mich, 
jetzt  ist  es  weg,  jetzt  ruft  man  mir,  jetzt  zieht  man  mir  die  Nebelkappe  an. . 
In  ganz  akuten  Fällen  sind  die  Halluzinationen  weniger  stereotyp  als  in  chroni- 
schen Zuständen,  auch  pflegen  daselbst  die  Gesichtshalluzinationen  mehr  hervor- 
zutreten. Der  Kranke  hört  in  verwirrender  Weise  eine  Menge  Stimmen;  unten 
vor  dem  Fenster  ist  eine  Bande,  die  ihn  fangen,  verbrennen,  köpfen  wiU;  sie 
lauern  ihm  auf,  wollen  durch  die  Mauern  dringen,  Idettern  außen  herauf,  sind 
unter  seinem  Bette.  Andere  wollen  ihm  helfen,  der  liebe  Gott  ist  bald  sein  Be- 
schützer, bald  im  Komplott ;  seine  Lieben  werden  gemordet,  er  selbst  elektrisiert, 
sexuell  auf  jede  Weise  mißhandelt.  Die  Reaktion  pflegt  in  diesen  Zuständen 
eine  sehr  lebhafte  zu  sein.  Die  Kranken  lassen  sich  nur  schwer  im  Bette  halten, 
steigen  überall  herum,  Idettern  am  Fenster  in  die  Höhe,  verkriechen  sich,  schlagen, 
raufen.  Die  Bewegungen  aber  sind  zum  Unterschied  von  den  katatonischen  ver- 
ständlich von  den  delirösen  Ideen  der  Patienten  aus;  wir  haben  Handlungen 
vor  uns,  nicht  Faxen.  Die  Kranken  flüchten  oder  verteidigen  sich  oder  greifen 
an.  Da  wo  die  Halluzinationen  angenehmen  Charakter  haben,  lassen  sie  die 
Kranken  irgend  eine  Festivität,  eine  Himmelfahrt  oder  sonst  etwas  Vergnügliches 
mitmachen. 

Die  Wahnsinnsformen  gehen  beim  gleichen  Patienten  oft  in  andere  akute 
Stönmgen  über  oder  entwickeln  sich  aus  solchen.  Auch  nach  der  Seite  der 
chronischen  Zustände  haben  sie  ihre  Übergänge.  Bei  chronischen  Halluzinanten 
können  sie  den  Eindruck  einer  bloßen  Exazerbation  machen;  in  anderen  Fällen 
aber  kontrastieren  sie  sehr  scharf  gegenüber  dem  gewöhnhchen  blöden  Zustand 
der  Patienten,  den  sie  als  begrenzte  Episoden  unterbrechen. 

Die  Wiener  Schule  würde  diese  Fälle  als  Amentia  bezeichnen.  Ich  wende 
aber  den  Namen  nicht  an,  weil  er  je  nach  der  Schule  eine  bestimmte  systematische 
Vorstellung  voraussetzt,  die  nicht  zu  unseren  Auffassungen  paßt. 


Akzessorische  Symptome.  Wahnsinn.  Dämmerzustände. 


179 


5.  Die  Dämmerzustände. 

Die  Dämmerzustände  sind  wie  bei  der  Hysterie  Wachträume,  die  Wünsche 
oder  Befürchtungen  direkt  oder  in  symbohscher  Weise  als  erfüllt  darstellen. 
Der  Typus  ist  das  unglücklich  liebende  Mädchen,  das  nun  im  pathologischen 
Zustand  seine  Wünsche  erreicht  sieht.  Es  verkehrt  halluzinatorisch  mit  dem 
Geliebten,  verlobt  sich,  heiratet,  wird  gravid  und  gebiert.  Entsprechend 
diesen  Wahnideen  wird  dann  die  ganze  Umgebung  verkannt.  Die 
Personen  der  Anstalt  sind  bald  Leute,  die  zur  Familie,  zur  Hochzeit  gehören; 
bald  werden  sie  als  Hindernisse,  als  Feinde  der  gewünschten  Verbindung  auf- 
gefaßt. Der  Krankensaal  wird  ebenfalls  in  diesem  Sinne  verkannt.  —  Eine 
Patientin  mit  rehgiösen  Aspu-ationen  hielt  den  Krankensaal  für  einen  Tempel. 

Die  Grundidee  des  Wahns  gibt  indes  nur  das  Leitmotiv  für  den  ganzen 
Traum.  Dieser  wird  in  allen  Details  ausgesponnen,  die  Patientin  muß  sehr 
viel  essen,  nm  die  Kinder  zu  ernähren;  sie  muß  Blumen  abreißen,  um  sich  recht- 
zeitig zu  schmücken.  Mit  anderen  auffallenden  Handlungen  verhindert  sie 
ihre  und  des  Bräutigams  Feinde,  ihr  zu  schaden.  So  wird  der  Kern  der  Wahn- 
vorstellungen unter  einem  Haufen  von  Nebensachen  versteckt.  Auch  sonst 
wird  der  Wunsch  nicht  immer  klar  ausgedrückt.  Statt  einer  Liebesszene  können 
die  Kranken  von  einem  Kriege  träumen.  Es  können  dann  noch  alle  die  Un- 
gereimtheiten, die  die  Gesunden  zu  träumen  gewohnt  sind,  und  vielleicht  noch 
viel  mehr  Dinge  in  das  Dämmerdelir  eingehen. 

Von  altersher  hebt  man  die  ekstatischen  Dämmerzustände  besonders 
hervor.  Hier  können  die  allgemeinen  Eigentümlichkeiten  des  religiösen  Komplexes 
mit  seiner  Tendenz  zu  Visionen,  zu  starrer  Haltung  in  verehrender  Stellung, 
zu  verzückten  Mienen  und  zu  der  bis  zu  voller  Analgesie  reichenden  Absperrung 
der  Außenwelt  die  schizophrenen  Charaktere  des  Bildes  mehr  oder  weniger  ver- 
decken. Nicht  alle  Dämmerzustände  religiösen  Inhalts  führen  indes  zu  Ver- 
zückimg;  oft  sind  auch  die  Kranken,  die  mit  Heihgen  verkehren,  noch  zum  Teil 
auf  der  Erde,  empfinden  dann  die  Bosheit  dieser  Welt  doppelt  stark  und  leben 
mit  derselben  in  beständiger  Fehde. 

Der  Kranke  kann  auch  die  Umgebung  mit  semen  rehgiösen  Vorstellungen 
verqmcken.  Er  erkennt  zwar  die  Leute,  hat  aber  doch  die  VorsteUung,  daß  sie 
am  Ende  andere  Personen  (Gott,  Judas,  Apostel)  seien,  die  nur  in  Gestalt  der 
Arzte  und  Pfleger  auftreten. 

In  einer  abortiven  Ekstase  war  der  Patient  nach  dem  Heiligen  Abendmahl 
„zwei  läge  lang  unaufhörlich  in  überirdische  Glückseligkeit  eingetaucht  so  daß 
er  fast  immer  nur  weinen  sollte  vor  Freude." 

Die  schizophrene  ekstatische  Stimmung  kann  aufrecht  kleinhche  Dinge  über- 
tragen werden;  so  verbigerierte  eine  Katatonische  mit  verzücktem  Gesichte-  Ich 
habe  gestrickt,  ich  habe  gestrickt,  ja  wohl,  ich  habe  gestrickt  (sie  hat  in  der  Anstalt 
noch  me  etwas  gearbeitet).  Es  ist  schön  gewesen!  Wundervoll!  Diese  schönen  ge- 
häkelten Vorhange!  (es  sind  gar  keine  da!)  und  mo  sie  dann  aufgetan  wurden-  wie 

WeT/;  gewesen?")  Die  Mutter  ist  da  gewesen,  aUe 

Leute  sind  da  gewesen  ich  folge  dem  Herrgott!" 

Das  Benehmen  der  Dämmerigen  ist  sehr  verschieden.  Viele  machen  aUes 
mögliche  durch,  während  sie  in  Wirldichkeit  ruhig  unter  der  Decke  liegen  ändere 
reagieren  entsprechend  ihren  Ideen,  was  sie  beständig  in  KonfHkt  mit  d;r  Um- 

12* 


180 


Scliizophrenie. 


gebung  bringt.  Sie  klettern  herum,  verkehren  laut  oder  leise  mit  ihren  Hallu- 
zinationen, machen  allerlei  unverständliches  Zeug,  das  erst  durch  genaue  Analyse 
einen  Sinn  bekommt.  Sie  drcängen  fort,  wollen  aus  den  Türen,  verlangen 
immer  das  Gleiche,  unmöglich  zu  gewährende,  oder  sie  rufen  in  verlangendem 
Ton  Sätze,  die  für  uns  gar  kein  Verlangen  enthalten.  Eine  Patientin  wähnte 
sich  auf  einer  Wiese,  mußte  Pferde  hüten.  Sie  wollte  nicht  aufstehen,  weil  sonst 
die  Pferde  über  den  Haag  springen. 

Die  doppelte  Eegistrierung  der  äußeren  Vorkommnisse  (im  Sinne  des 
Traumes  und  zugleich  in  dem  der  Wirkhchkeit)  ist  auch  in  hochgradigen  Fällen 
die  Regel,  Gedanken  aus  beiden  Reihen  mischen  sich  recht  häufig,  so  wenn 
die  Kranken  ihre  Entlassung  verlangen,  wobei  sie  die  Anstalt  als  solche  richtig 
auffassen,  aber  ihr  Begehren  mit  Motiven  aus  dem  Traumleben  begründen. 

Die  Dämmerzustände  der  Schizophrenie  sind  diejenigen,  die  am  längsten 
dauern  können;  solche  von  einem  halben  Jahre  Dauer  sind  etwas  ganz  Ge- 
wöhnliches. Manche  Patienten  scheinen  überhaupt  während  des  ganzen  Lebens 
nicht  mehr  aus  dem  Dämmerzustand  herauszukommen.  Es  handelt  sich  dann 
aber  um  sehr  schwer  zugängliche  katatonieartige  Zustände,  die  wir  bis  jetzt 
nicht  genügend  analysieren  konnten,  um  ein  bestimmtes  Urteil  über  die  inneren 
Vorgänge  zu  bekommen.  Die  Kranken  werden  mit  der  Zeit  ruhiger,  passen 
sich,  wenn  der  Negativismus  nicht  vorherrscht,  der  Umgebung  so  weit  an,  daß 
sie  zu  wenigen  oder  gar  keinen  Konflikten  kommen,  leben  aber  in  der  Hauptsache 
in  einer  anderen  Welt,  sorgen  höchstens  für  ihre  allernächsten  Bedürfnisse, 
d.  h.  sie  essen,  wenn  man  ihnen  die  Speisen  vorlegt,  und  gehen  etwa  auf  den 
Abort,  wenn  es  nötig  ist;  wenn  sie  sich  —  auf  Aufforderung  —  selbst  an-  und 
ausziehen,  so  ist  das  eine  Leistung,  die  gar  nicht  immer  erwartet  werden  kann. 
Es  können  auch  Bruchstücke  aus  dem  Dämmerwahn  in  den  chronischen  Zustand 
übergehen.  So  war  für  eine  solche  Patientin  die  Anstalt  dauernd  „das  Haus 
mit  den  schwarzen  Gittern",  nachdem  sie  zuerst  das  Gefängnis  als  solches  ver- 
kannt und  dann  die  Vorstellung  auf  die  Anstalt  übertragen  hatte. 

Gelegentlich  können  Dämmerzustände  nur  einige  Minuten  dauern;  so 
fiel  ein  Kranker  plötzhch  über  die  Umgebung  her,  beruhigte  sich  sofort  wiedev 
und  konnte  erzählen,  daß  er  sich  in  einem  Urwald  gesehen  habe,  wo  er  sich  gegen 
wilde  Tiere,  namenthch  gegen  einen  Orang-Utan  wehren  mußte.  Diese  Anfälle 
unterscheiden  sich  nur  graduell  von  den  halluzinatorischen  Aufregungen  der 
chronischen  Insassen  unserer  „unruhigen  Abteilungen." 

Umgekehrt  kann  ein  Dämmerzustand  von  klaren  Zeiten  unterbrochen 
werden,  die  einige  Minuten  oder  auch  emige  Tage  dauern  können;  halten  sie 
wochenlang  an,  so  nennt  man  sie  Heber  Besserungen.  Es  kann  auch  vorkommen, 
daß  die  klaren  und  die  dämmerigen  Zeiten  sich  ungefähr  die  Wage  halten,  so 
daß  der  Kranke  z.  B.  abwechselnd  je  einen  Tag  lang  im  Dämmerzustand  und 

einen  Tag  lang  klar  ist. 

Schizophrene  Dämmerungen  können  auch  den  Gans  er  sehen  Charakter 
haben,  wobei,  entsprechend  dem  Dehrzweck,  ein  voUständiger,  wenn  auch 
negsitiver  Rapport  mit  der  Umgebung  erhalten  bleibt.  Das  Gansersche  Syndrom 
wird  bei  den  Schizophrenen  von  den  gleichen  Ursachen  ausgelost  wie  bei  den 
Hysterischen;  so  leiden  namenthch  Untersuchungsgefangene  daran.  Die  Kranken, 
obgleich  sie  sich  anzustrengen  scheinen,  den  Wünschen  nachzukommen,  be- 


Akzessorische  Symptome.  Dämmerzustände. 


181 


antworten  die  einfachsten  Fragen  falsch;  meist  in  systematischer  Weise  so 
daß  man  die  (unbewußte)  Absicht  gleich  merkt.  2  X  2  ist  meist  5  oder  3,  4  Uhr 
wird  8  Uhr  genannt,  12  Uhr  6  Uhr.  Bei  dem  Befehl,  em  Schloß  zu  offiien,  ver- 
sucht der  Kranke,  den  Ring  des  Schlüssels  einzustecken,  oder  halt  den  Bart 
nach  oben;  er  sucht  das  SchlüsseUoch  über  der  Klinke;  ist  der  Schlüsse  im 
Loch  so  di-eht  er  nach  der  falschen  Seite.  Eine  Streichholzschachtel  wiU  er 
auf  der  falschen  Seite  aufstoßen;  das  Zündholz  streicht  er  mit  dem  freien  Ende 
an  der  Reibfläche,  oder  mit  dem  richtigen  an  allen  anderen  Flachen,  nur  nicht 
an  der  Reibfläche. 

Nur  in  ganz  leichten  Fällen  von  Schizophrenie  sind  übrigens  die  Kranken 
so  konsequent.  Die  meisten  faUen  im  Gegensatz  zu  den  Hysterischen  oft  aus 
der  Rolle.  Sie  machen  vieles  richtig  oder  in  nicht  typischer  Weise  falsch,  er- 
scheinen nur  bei  der  Untersuchung  „verwirrt"  und  benehmen  sich  sofort  richtig, 
wenn  sie  mit  den  anderen  Patienten  verkehren.  Oft  fehlt  überhaupt  eine  scharfe 
Grenze  zwischen  Dämmerzustand  und  gewöhnMchem  Verhalten.  Nach  der 
Besserung  sind  sie  nicht  diskussionsfähig  über  den  abnormen  Zustand,  obschon 
sie  sich  einigermaßen  daran  erinnern.  Meist  mischen  sich  andere  schizophrene 
S}Tnptome  bei. 

Natürlich  ist  der  Gans  ersehe  Zustand  etwas  ganz  anderes  als  das  Vorbeireden 
aus  Negativismus  oder  Gleichgültigkeit. 

Eine  besondere  Art  von  unbewußter  Krankheitssimulation  zeigte  eine  Patientin, 
der  ein  Vorarbeiter  den  Vorwurf  gemacht  hatte,  sie  sei  verrückt.  Von  dem  Augen- 
blick an  benahm  sie  sich  auch  wie  eine  ,, Verrückte",  hielt  schon  zu  Hause  die  Haus- 
meisterin für  eine  Irrenwärterin,  aß  nicht  usw.  Nach  einmahger  Fütterung  plötz- 
liche Heilung. 

Graduell  sind  die  Dämmerzustände  sehr  verschieden.  In  den  einen  Fällen 
haben  wir  eine  konsequent  durchgeführte  Traumhandlung:  der  Dämmerzustand 
ist  im  wesenthchen  die  Reaktion  einer  leicht  schizophrenen  Persönlichkeit  auf 
ein  psychisches  Trauma ;  der  äußere  Anlaß  erscheint  als  die  wesentliche  Bedingung ; 
die  schizophrenen  Symptome  trüben  das  hysteriforme  Bild  wenig.  In  anderen 
Fällen  ist  der  Krankheitsschub  mit  seiner  Zerreißung  der  Assoziationen  das 
Wesentliche;  irgend  ein  vielleicht  stets  vorhandener  Wunsch  bekommt  plötzlich 
die  Herrschaft  über  die  von  der  Logik  verlassenen  Gedanken.  Von  den  letzteren 
Formen  aus  gibt  es  Übergänge  einerseits  zu  den  erstgenannten  mehr  hysteri- 
formen  Dämmerzuständen,  anderseits  zu  den  Verwirrtheiten  verschiedener 
Art,  die  wir  wegen  des  Mangels  an  Einheitlichkeit  nicht  mehr  als 
Dämmerzustände  bezeichnen. 

Neben  den  eigentlichen  Dämmerzuständen  gibt  es  eine  unendliche  Menge 
von  verschiedenen  Einstellungen  der  Psyche  nach  dem  gleichen  Schema,  die 
aber  nur  dann  auffallen,  wenn  sie  sehr  ausgesprochen  sind,  und  namentlich, 
wenn  verschiedene  solcher  Zustände  rasch  wechseln.  Sie  haben  Übergänge 
nach  allen  Seiten. 

Ein  viele  Jahre  als  latenter  Hebephreae  herumvagierender  Mann  kam  in  die 
Anstalt  mit  folgenden,  längere  Zeit  andauernden  Zuständen :  am  häufigsten  war  er 
negativistisch,  verkannte  die  Umgebung  als  Teufel,  sprach  mit  Stimmen,  bekreuzigte 
sich,  beging  seltsame  Handlungen.  Zwischendurch  Einsicht,  nur  ist  die  Krankheit 
„eine  Antastung  durch  böse  Geister";  summarische  Erinnerung  an  den  ersten 


^09 

iScliizophrenie. 


eine 


Zustand.  Dann  wieder  zugänglich,  angenehme  Verkennungen:  die  Anstalt  ist  .xxx^ 
Marinekaserne.  Der  Arzt  ist  Kriegsgott.  Patient  spricht  mit  den  Sternen,  teils 
italienisch,  teils  in  einem  selbstgemachten  italienisch  sein  sollenden  Idiom. ' 


6.  Benommenheit. 

Aus  den  Stuporzuständen  möchte  ich  bis  zu  besserer  Kenntnis  dieser 
Symptome  herausheben  die  „Benommenheit".  Nicht  alle  Stuporösen  sind 
benommen;  die  Mehrzahl  der  Benommenen  erscheinen  kaum  stuporös.  In  den 
meisten  Stuporformen  können  die  Kranken  denken  und  handebi,  soweit  sie  es 
begehren,  die  wenigsten  werden  den  Defekt  empfinden.  Es  gibt  aber  eine  Ver- 
langsamung aller  psychischen  Prozesse,  vereint  mit  der  Unmöglichkeit,  sich  in 
einigermaßen  komplizierten  oder  ungewohnten  Verhältnissen  zurecht  zu  finden, 
die  wegen  der  relativen  oder  ganzen  Erhaltung  des  eigentlichen  Wollens  nicht 
zum  gewöhnlichen  Stupor  und  wegen  der  fehlenden  Depression  und  der  leichten 
Verwirrbarkeit  nicht  zur  melancholischen  Hemmung  gerechnet  werden  kann. 
Diese  Zustände  sollen  vorläufig  mit  dem  Namen  der  Benommenheit  bezeichnet 
werden. 

Solche  Kranke  benehmen  sich  äußerlich  sehr  verschieden.  Viele  von  ihnen 
beschäftigen  sich  überhaupt  nicht:  andere  zupfen  an  sich  herum  oder  unterhalten 
sich  sonst  in  ähnlicher  wenig  anstrengender  Weise;  noch  andere  sind  etwas  erregt  imd 
machen  verschiedene  katatone  Dummheiten;  der  eine  oder  andere  kann  ein  bißchen 
im  Hause  helfen,  namentlich  leichte  Näh-  oder  Strickarbeit  geht  noch,  wenn  auch 
oft  mit  vielen  Fehlern.  Der  Unterschied  gegenüber  anderen  Katatonischen  zeigt 
sich  meist  erst  deutlich  beim  Experimentieren.  Auf  Fragen  antworten  die  Kranken, 
wenn  überhaupt,  sehr  langsam;  obschon  sie  sich  in  vielen  Fällen  Mühe  geben,  den 
Anforderungen  gerecht  zu  werden.  Ohne  daß  Hemmungen  oder  Sperrungen  im 
gewöhnlichen  Sinne  anzunehmen  wären,  sprechen  sie  mehrmals  den  Anfangslaut 
eines  Wortes,  bevor  die  Aussprache  des  ganzen  gelingt.  Aufforderungen  folgen  sie 
richtig  nur  bei  ganz  leichten  Dingen,  und  auch  da  oft  nur  nach  mehreren  Entgleisungen. 
Wenn  sie  die  Zunge  zeigen  sollen,  sehen  sie  den  Arzt  zuerst  verständnislos  an;  nach 
mehrfacher  Wiederholung  des  BefehL  suchen  sie  diesen  auszuführen,  bringen  aber 
die  Zunge  nicht  heraus,  machen  Bewegungen  mit  den  Lippen,  sogar  mit  den  Augen, 
die  namentlich  gern  geschlossen  werden.  Wenn  man  sie  auffordert,  den  Löffel  in 
den  Teller  zu  legen,  ergreifen  sie  denselben,  drehen  ihn  aber  um  oder  führen  ihn 
zum  Munde  oder  legen  ihn  an  einen  andern  Ort,  vertauschen  ihn  mit  der  Gabel, 
kurz  es  zeigt  sich  ein  ausgesprochenes  Bild  der  Apra.xie.  Eine  Kranke  brauchte 
fünf  Stunden,  die  Kleider  anzuziehen,  sie  benutzte  die  Jacke  als  Hose  oder  als 
Kombination,  wollte  die  Zähne  putzen,  nahm  aber  die  Schuhbürste,  putzte  die 
Kleider  damit,  strich  Salbe  an  die  Schuhe.  Eine  Kranke  habe  ich  erst  nach  viel- 
jährigen  Versuchen  dazu  bringen  können,  auf  Befehl  die  Türe  zu  schließen.  Spontan 
konnte  sie  so  kleine  Verrichtungen  sehr  gut  ausführen;  auf  Befehl  aber  entgleiste 
sie  meist  und  kam  schUeßlich  in  immer  stärkere  Verwirrung.  Statt  die  Türe  zu 
schließen,  ging  sie  hinaus,  oder  machte  sie  sie  weit  auf;  gelang  es  ihr,  die  Türe 
wirklich  zu  schließen,  so  war  sie  meist  auf  der  falschen  Seite  derselben  usw.  So 
werden  die  Handlungen  durch  „Querimpulse"  gestört  (Trömner,  774).  Man  denkt 
aucli  oft  zuerst  an  Negativismus,  und  der  mag  ja  in  einzelnen  Fällen  solcher  schizo- 
phrener Apraxie  mitwirken.  Er  ist  aber  sicher  nicht  die  wesentliche  Ursache  des 
Symptoms.  Es  handelt  sich  einfach  um  eine  Art  Verwirrung  wie  bei 
Emotionsstupor.  Die  Kranken  können  die  nötigen  Ideen  nicht  zusammen 


Akzessorische  Symptome.  Ueuommenheit. 


183 


brin.reü-  sie  tun  etwas  Verkehrtes  wie  der  Erschreckte,  der  bei  einem  Brande  Uhr 
und°Porzellangeschirr  aus  dem  Fenster  wirft  und  alte  Lappen  sorgfaltig  ms  Freie 
träL't  Sie  sind  also  auch  nicht  parabulisch  im  Sinne  Kraepelins 

In  der  Benommenheit  scheint  Echopraxie  am  häufigsten,  doch  kommt  sie 

nicht  bloß  da  vor.  ..      j      ^  xr 

Die  Auffassun<^  äußerer  Eindrücke  ist  eine  sehr  ungenügende;  etwas  Kom- 
pliziertes kann  überhaupt  nicht  erfaßt  werden.  Sogar  an  Bildern  mögen  nur  einzelne 
Faktoren  zur  Geltung  kommen.  Die  Orientierung  kann  schwierig  werden,  so  daß 
die  Kranken  unter  wenig  veränderten  Umständen  ihr  Zimmer  nicht  finden.  Auch  die 
einfachste  Geschichte  wird  beim  Lesen  nicht  aufgefaßt;  der  Kranke  liest  im  gleichen 
Ton  in  die  nächste  Erzählung  hinein,  ohne  zu  merken,  daß  etwas  Neues  kommt. 
Er  macht  beim  Lesen  Fehler,  „Fuß"  statt  „Fluß",  „angefogen"  statt  „angesogen", 
bleibt  mitten  in  einfachen  Wörtern  stecken,  liest  die  Kommas  mit  usw.  —  Von  „dem 
mit  Salz  beladenen  Esel"  wußte  eine  Kranke  gar  nichts  zu  erzählen.  Auf  die  Frage, 
wovon  die  Rede  sei,  meinte  sie  schließlich:  „Von  einer  Hirtin".  (Und  von  einem  Ele- 
fanten?) „Ja."  (Oder  von  einem  Pferd?)  „Ja."  (Von  einem  Esel?)  „Ja,  Ja."  Sie 
erinnerte  sich  also  schließlich,  als  der  Esel  erwähnt  wurde.  Auch  vorher  Gekanntes 
kann  nur  in  kleinen  Bruchstücken  schrittweise  erinnert  und  wieder  gegeben  werden. 
Ein  Hebephrene  trifft  einen  Bekannten  in  der  Anstalt,  der  vor  kurzem  einen  andern 
Bekannten  des  Patienten  erschossen  hat.  Er  erinnert  sich,  daß  er  den  kennt.  (Was 
ist  denn  mit  ihm?)  „Er  hat  auch  einen  Anfall  gehabt".  (Nach  längerem  Besinnen 
kommt  ihm  in  den  Sinn):  „Er  hat  einen  erschossen."  Dann:  „Er  habe  den  (er- 
schosseneu) 0.  gekannt  er  sei  sein  Nachbar  gewesen."  Nicht  einmal  diese 

wichtige  Geschichte  kam  dem  Kranken  als  Ganzes  in  den  Sinn. 

Am  leichtesten  beobachtet  man  die  Benommenheit  beim  Schreiben^).  Die 
Kranken  machen  Wörter  und  Sätze  nicht  fertig,  lassen  Wörter  ans,  korrigieren 
falsch,  bemerken  es,  machen  neue  Versuche,  die  aber  oft  nicht  besser  gelingen, 
streichen  aus  und  schreiben  ein  Wort  oder  einen  Satz  neu;  das  letzte  gelingt  am 
ehesten.  Es  können  Sätze  vorkommen  wie:  , .liege  fast  immer  im  Bett,  wo  ich  so 
gu  hause"  (d.  h.  wo  ich  so  gut  zu  Hause  arbeiten  könnte).  Andeutungen  von  Perseve- 
ration und  auch  von  Vorausnahme  später  zu  setzender  Buchstaben  sind  nicht  selten. 

In  dem  einzigen  Fall,  den  ich  bis  zu  einem  gewissen  Grade  analysieren  konnte, 
war  die  Affektivität  erhalten,  und  sogar  sehr  ausgesprochen  und  labil.  Die  Pa- 
tientin befand  sich  in  Besserung,  machte  die  Hausarbeiten  gern  und  richtig,  konnte 
aber  „dritte  reitende  Artilleriebrigade"  nicht  nachsagen,  ohne  (psychisch)  zu  entgleisen. 

Die  Benommenheit  kommt  nicht  nur  in  akuten  Zuständen  oder  als  akuter 
Zustand  vor;  sie  hat  an  sich  schon  die  Tendenz,  sich  lange  hinzuziehen  und  kann 
sogar  in  der  geschilderten  Weise,  wenn  auch  meist  etwas  abgeschwächt,  jahr- 
zehntelang anhalten.  Es  ist  möghch,  daß  ihr  eine  einheithche  Erschwerung  aller 
psychischen  Vorgänge  zugrunde  Hegt'-^).  Wahrscheinlich  aber  handelt  es 
sich  auch  hier  um  verschiedene  Grundzustände.  Bei  der  akuten 
Benommenheit  mit  katatonen  Symptomen  bekommt  man  den  Eindruck  einer 
groben  Störung  des  Zentralorgans  mit  einheithcher  Erschwerung  aller  psychischen 
Vorgänge  inklusive  der  Motihtät.  Komphzierte  raschere  Funktionen  kommen 
hier  ganz  selten  dazwischen.  In  anderen,  namentUch  chronischen  Fällen  läßt 
sich  der  Zustand  nicht  von  einer  hochgradigen  und  andauernden  Perplexität 
unterscheiden.   Hier  kann  oft  ein  Teil  der  Verrichtungen  relativ  prompt  aus- 

1)  Vgl.  oben,  S.  131. 

")  Hirndruck,  toxische  Schädigung  oder  ähnliches. 


184 


Scliizophrenie. 


geführt  werden^).  Jedenfalls  gibt  es  alle  Übergänge  und  Mischungen  des  psy- 
chischen und  des  organischen  Faktors,  wohl  in  dem. Sinne,  daß  die  organische 
Störung  die  Disposition  zu  psychischer  Perplexität  erhöht  oder  erst  schafft.  Es  ist 
aber  möglich,  daß  auch  noch  andere  Störungen  zu  dem  gleichen  Bilde  führen. 

7.  Verwirrtheit,  Inkohärenz. 

Die  meisten  Assoziationsstörungen  führen  zu  Verwirrtheit,  wenn  sie  hoch- 
gradig sind.  Einer  besonderen  Erwähnung  bedürfen  die  Verwirrtheitszustände, 
die  eine  bloße  Folge  der  schizophrenen  Assoziationszerreißung  sind.  Bei  dieser  Art 
Inkohärenz  handelt  es  sich  fast  immer  um  akute  Syndrome.  Die  Patienten 
sprechen  ganz  unzusammenhängend,  oft  in  abgebrochenen  Sätzen;  sie  sind  meist 
unruhig,  tun  immer  etwas,  aber  es  kommt  in  den  ausgesprochenen  Fällen  nicht 
zum  eigentlichen  Handeln,  kaum  zur  dauernden  Durchführung  so  :  infacher 
Handlungen  wie  das  Fortdrängen.  Wie  in  den  Gedanken,  sieht  man  in  den  Hand- 
lungen meist  nur  Bruchstücke,  wenn  sich  auch  durch  das  ganze  Benehmen 
gewisse  affektbetonte  Ideen  unklar  nachweisen  lassen,  so  Angst  vor  irgend  einem 
Unglück,  Freude  an  einem  erträumten  Glück.  —  Körperhche  Symptome,  wie 
Fuligo,  belegte  Zunge,  grobes  Zittern  ist  oft  auch  hier  vorhanden. 

Eine  solche  Patientin  war  am  Tage  nach  der  Untersuchung  etwas  besser  und 
verfügte  ziemlich  gut  über  ihr  Wissen.  Von  der  Untersuchung  hatte  sie  nur  Bruch- 
stücke behalten,  die  sie  zum  Teil  nachträglich  zusammensetzen  konnte.  Sie  weiß, 
daß  sie  in  einem  Saal  oben  gewesen  ist  mit  einer  Anzahl  Herren,  daß  ein  Sofa  da 
war,  daß  ein  Herr  neben  ihr  auf  dem  Sofa  saß;  kann  dann  herausfinden,  welcher 
es  gewesen,  kann  die  Ärzte,  die  dabei  waren,  zum  Teil  beschreiben,  weiß  aber  nicht 
einmal,  daß  einer  derselben  der  Abteilungsarzt  ist.  Diese  Art  Zerrissenheit  unter- 
scheidet sich  sehr  stark  von  den  gewöhnhchen  katatonischen  Aufregnmgen,  in  denen 
die  Kranken  während  des  wildesten  Tobens  in  wenigen  Minuten  einen  ganzen  Saal 
voll  Patienten  und  Angestellten  mit  Namen  kennen  lernen. 

Zu  allen  Formen  von  Verwirrtheit  können  sich  melancholische,  manische 
oder  namentlich  katatonische  Symptome  hinzumischen,  es  ist  aber  nicht  nötig. 


8.  Zornanfälle. 

Der  Erwähnung  wert  sind  auch  die  Zorn-  mid  Schimpf  anfalle  vieler  Kranker, 
die  durch  irgend  ein  äußeres  Ereignis  ausgelöst  werden.  Nicht  nur  weim  man  dem 
Patienten  etwas  Unangenehmes  zu  sagen  hat,  sondern  auch  sonst,  beim  bloßen  Gruß 
oder  mitten  in  einem  normalen  Gespräch  fangen  die  Kranken  an  zu  schimpfen.  Es 
nützt  dann  gar  nichts,  irgend  ein  Mißverständnis  richtig  stellen  zu  wollen;  die 
Kranken  fühlen  sich  durch  alles,  was  man  sagt,  beleidigt  und  kommen  nur  immer 
mehr  in  den  Zorn  hinein.  Gar  nicht  so  selten  kommen  sogar  Halluzinationen  oder  doch 
Illusionen  dazu,  auch  wenn  sie  im  ruhigen  Zustande  fehlen.  Meist  dauert  der  Anfall 
noch  eine  Weile  fort,  wenn  der  Patient  allein  gelassen  worden  ist,  häufig  einige 
Stunden,  manchmal  einige  Tage,  selten  länger.  Dauernde  Verschlimmerungen 
folgen  kaum  je  darauf. 

1)  So  war  eine  katatonisclie  Malerin,  der  sonst  viel  schwierigere  Dinge  meist  gelangen, 
einmal  einfach  nicht  imstande,  eine  Bank  perspektivisch  zu  zeichnen.  Häufiger  ist  allerdings 
das  umgekehrtt^  Verhalten,  daß  die  gewöhnlichen  Verrichtungen  noch  ordentlich  gehen, 
alles  Ungewohnte  abei',  auch  wenn  es  noch  so  einfach  ist,  nicht  ausgeführt  werden  kann. 


Akzessorische  Symptome.  Gedenktagsaufregungen.  Stupor.  Delirien. 


185 


Etwas  canz  anderes  sind  die  endogenen,  meist  halluzinatorischen  Zornanfälle,  die 
namentulh  olt  im  Laufe  vieler  chronischer  Zustände  auftreten.  Unter  dem  Einflüsse 
r  nlzinationen,  selten  ohne  solche,  beginnen  die  Patjenten  p^^^^^^^^^^^^ 
zu  schimpfen,  werden  auch  zuweilen  gewalttätig.  Die  Anfalle  dauern  ein  ge  ^ixuten 
bis  einige  Wochen  und  sind  einander  beim  nämlichen  Patienten  oft  sehi  ahhlich. 

9.  Gedenktagaufregungen. 
Es  handelt  sich  um  eine  ätiologische  Gruppe.  Manche  Aufregungen  erscheinen 
an  bestimmten  Kalendertagen.  Die  Kranken  feiern  Tage,  an  denen  irgend  etwas 
geschehen  ist,  was  mit  ihren  Komplexen  zusammenhängt,  mit  Aufregungen  alle. 
Art-  größerer  Reizbarkeit,  Halluzinationen,  Stupor  usw.  Ein  arbeitsfähiger  He be- 
phreue  bekam  Geruchshalluzinationen,  mußte  zwangsmäßig  onanieren  und  ent- 
wickelte oft  geradezu  Wahnideen  jeweils  gegen  den  17.  emes  Monats;  er  war  an 
einem  17.  geboren.  Den  Patienten  ist  der  Grund  ihrer  Verstimmung  nicht  immer 
klar  bevor  man  eine  Analyse  mit  ihnen  gemacht  hat.  Tage,  an  denen  eine  Patientin 
den  Mann  oder  den  Geliebten  getroffen  oder  verloren,  der  Hochzeitstag  der  Schwester, 
sogar  die  Tage,  an  denen  der  Kranke  sündige  Orgien  gefeiert,  werden  auf  diese  Weise 
Anlaß  zu  Erregungen.  Diese  können  mit  dem  Tag  vorübergehen,  aber  auch  von 
längerer  Dauer  sein,  nachdem  sie  am  kritischen  Tage  eingesetzt  haben.  Meist  ver- 
Ueren  sich  die  Erregungen  nach  wenigen  Wiederholungen.  Länger  verfolgen  konnten 
wir  sie  bis  jetzt  nur  in  zwei  Fällen. 


10.  Der  Stupor. 

In  der  Beschreibung  mancher  Autoren  nimmt  der  akute  Stupor  einen  wichtigen 
Platz  ein.  Da  aber  Stupor  überhaupt  kein  einheitliches  Symptom,  sondern  die  äußere 
Erscheinung  von  vielen  ganz  verschiedenen  Erschwerungen  des  Willens,  Denkens 
und  des  Rapportes  mit  der  Umgebung  darstellt,  kann  er  hier  keinen  besonderen 
Platz  finden.  Eine  Zusammenstellung  der  Anomalien,  die  als  Stupor  in  die  Er- 
scheinung treten  können,  siehe  Seite  152. 


11.  Delirien. 

Wieviel  von  den  halluzinatorischen  Zuständen  der  Schizophrenie  mit  dem 
Namen  der  Delirien  bezeichnet  werden  mag,  ist  bei  der  unklaren  Bedeutung  des 
Wortes  willkürlich.  Es  muß  aber  daran  erinnert  werden,  daß  den  Fieberdelirien 
ähnliche  Zustände  im  letzten  Stadium  tödlicher  Katatonie  vorkommen.  Die  Pa- 
tienten reagieren  aber  dann  fast  gar  nicht  mehr  auf  die  Umgebung,  so  daß  eine  Unter- 
suchung und  eine  Charakterisierung  dieser  Zustände  zurzeit  nicht  möglich  ist. 


12.  Wanderzustände'). 

Interkurrente  Erregungszustände  können  auch  die  Form  von  Fugues  annehmen. 
Kranke,  die  sonst  ganz  zuverlässig  sind  oder  energie-  und  wunschlos  vegetieren, 
laufen  auf  einmal  davon,  oft  recht  weit.  In  selteneren  Fällen  kommen  sie  nnch 
einiger  Zeit  spontan  zurück;  meist  werden  sie  aufgegriffen.  Auch  diesem  Sjmiptom 
liegen  die  verschiedensten  Zustände  zugrunde.  Manchmal  ist  es  nichts  weiter,  als 
daß  es  den  Patienten  mit  oder  ohne  äußeren  Anlaß  in  der  Anstalt  plötzlich  verleidet 
ist;  da  laufen  sie  ohne  lange  Überlegung,  was  dann  werden  könne,  davon;  sie  wissen 
nicht  wohin,  wenn  sie  nur  fortkommen.    Oft  treiben  wirkliche  Verstimmungen  mit 


1)  Vgl.  Eisath. 


186 


Schizophrenie. 


großem  Unbeliageu  oder  geradezu  Angst  die  Patienten  fort.  Von  hier  bis  zu  hallu- 
zinatorisclien  Erregungen,  in  denen  die  Patienten  den,  Befehl  oder  doch  den  Rat 
bekommen,  sich  aus  dem  Staube  zu  machen,  ist  ein  kleiner  Schritt.  Gelegentlich 
handelt  es  sich  um  einen  bloßen  pathologischen  Einfall.  Dämmerzustände  liegen 
wieder  anderen  Fugues  zugrunde,  während  bei  einer  letzten  Kategorie  das  Davon- 
laufen eine  Zwangshandlung  oder  sonst  eine  automatische  Aktion  ist. 

Auf  ihren  Reisen  benehmen  sich  die  Kranken  so  verschieden  wie  sonst.  Einzelne 
können  als  gesund  imponieren,  auch  wenn  sie  in  der  Anstalt  im  höchsten  Grad 
asozial  oder  sonderbar  waren.  Andere  laufen  in  defekter  Kleidung  oder  gar  nackt 
fort,  machen  Lärm,  greifen  Leute  an  usw. 

Die  nachträgliche  Begründung  und  die  Erinnerung  ist  natürlich  je  nach  dem 
zugrunde  liegenden  Zustand  verschieden. 

Schizophrene  Wanderzustände  geben  manchmal  Anlaß  zu  Fahnenflucht. 

13.  Dipsomanie. 

Einzelne,  wenn  auch  seltene  Schizophrene  bekommen  dipsomane  Anfälle.  Sie 
haben  eine  gewisse  Einsicht  in  ihren  Zustand,  soweit  es  das  Trinken  betrifft;  fassen 
sogar,  wenn  sie  nicht  schwer  krank  sind,  gute  Vorsätze;  bekommen  aber  von  Zeit 
zu  Zeit  ängstliche  Verstimmungen,  die  sie  zwingen,  mit  allen  Mitteln  sich  Alkohol 
zu  verschaffen,  bis  sie  nach  einigen  Tagen  schwer  berauscht  und  erschöpft  irgendwo 
liegen  bleiben. 


II.  Abschnitt. 

Die  Untergruppen. 


Einleitung. 

Die  Aufgabe  der  Zerlegung  der  Schizophrenie  in  einzelne  natürliche  Unter- 
abteilungen ist  zurzeit  noch  nicht  lösbar.  Doch  hat  man  das  praktische  Be- 
dürfnis, die  verschiedenen  Idinischen  Bilder,  die  die  Krankheit  bietet,  wenigstens 
nach  groben  Zügen  mit  Namen  zu  charakterisieren.  Soviel  ist  auch  möglich, 
aber  nicht  mehr. 

Allerdings  gehen  einzelne  viel  weiter.  Charpentier  kennt  11  Unterformen. 
Wir  halten  uns  an  die  bereits  geläufigen  Labeiiierungen  Kraepelins,  da  etwas 
prinzipiell  Besseres  noch  nicht  an  deren  Stelle  gesetzt  werden  kann.  (Siehe  die 
Charakterisierung  der  vier  Gruppen,  S.  7.) 

Es  handelt  sich  aber  auch  da  nicht  um  Abgrenzung  von .  Krankheitsformen, 
sondern  lun  Gruppierung  von  Symptomen.  Die  Einteilung  entspricht  ungefähr 
einer  Klassifizierung  der  Phthise  in  Fälle  mit  und  ohne  Fieber,  mit  und  ohne 
Blutungen,  mit  und  ohne  Darm  tuberkulöse  oder  Amyloid.  Em  Fall,  der  als  Hebe- 
phrenie  beginnt,  kann  einige  Jahre  später  ein  Paranoid  sein. 

Der  Symptomkombinationen  sind  unendlich  viele;  da  sich  aber  manche  Syn- 
drome sehr  häufig  in  recht  ähnlicher  Weise  wiederholen"^),  kann  man  einige  dieser 
Formen  als  Beispiele  herausgreifen.  Sie  lassen  sich  meist  leicht  in  die  vier  Haupt- 
kategorien einordnen. 

Von  den  Kraepeli nschen  Gruppen  sind  Katatonie  und  Hebephrenie 
in  den  Heilanstalten  ungefähr  gleich  häuiig.  Das  Paranoid  ist  etwas  seltener. 
Die  einfache  Form  ist  in  den  Anstalten  spärlich  vertreten,  draußen  aber  viel- 
leicht die  häufigste  Erscheinungsweise. 


')  Es  sind  also  —  wo  ei  n  katatones  Syuiptom  zu  sehen  ist,  mit  einiger  Wahr- 
scheinlichkeit auch  noch  andere  zu  erwarten.  Aber  eine  bestimmtere  Korrelation  der 
Symptome  in  dem  Sinne  etwa,  daß  man  aus  dem  Vorhandensein  einer  Erscheinung 
auf  die  Anwesenheit  oder  das  Fehlen  von  anderen  rechnen  könnte,  kennen  wir  bis 
jetzt  nicht. 


188 


Schizophrenie. 


A.  Das  Paranoid'). 

Hierher  gehören  zunäohst  die  meisten  der  typischen  Fälle  der  alten 
„Paranoia"'. 

Die  Patienten  fühlen  sich  nicht  mehr  wie  sonst;  es  erscheint  ihnen  zeit- 
weise alles  anders  wie  früher;  dann  kommen  „Ahnungen"  oder  Einfälle,  sio 
seien  zu  diesem  oder  jenem  bestimmt.  Sie  beziehen  ganz  gleichgültige  Gescheh- 
nisse auf  sich,  oft  zunächst  nur  ganz  unsicher,  sie  fragen  sich  selbst:  ,,Kann  es 
so  sein?"'  Nach  und  nach,  oder  auch  plötzlich,  bekommt  der  Beziehungswahn 
volle  Sicherheit.  Schulkinder  laufen  dem  Tramwagen  nach,  wenn  der  Patient 
darin  sitzt:  es  ist  ihm  klar,  sie  verspotten  ihn;  man  „schreit  ihn  aus",  er  habe 
schlimme  Dinge  mit  Kindern  gemacht,  onaniert,  gestohlen.  Immer  mehr  Leute 
geben  ihm  durch  allerlei  Zeichen  und  Anspielungen  zu  verstehen,  daß  sie  um 
diese  Missetaten  wissen;  sogar  in  den  Zeitungen  stehen  mehr  oder  weniger  ver- 
steckte Anspielungen  auf  ihn;  der  Pfarrer  predigt  mit  speziellem  Hinweis  auf 
ihn.  Der  Kjanke  wechselt  die  Stelle,  den  Aufenthaltsort,  überall  tuschelt  man 
über  ihn,  überall  macht  man  ihm  Zeichen;  man  fängt  an,  ihn  zu  schikanieren, 
man  will  ihn  vertreiben;  man  gibt  ihm  nur  die  schlechte  Arbeit;  man  verdirbt 
ihm,  was  er  gemacht,  um  ihn  zu  diskreditieren;  es  ist  ein  ganzes  Komplott, 
das  sich  die  Mühe  nimmt,  ihn  zu  verfolgen.  Eines  Tages  hört  er  auch,  wie  man 
über  ihn  spricht,  ja  zu  ihm  selbst  sagt  man  allerlei  Beschimpfungen,  oder  man 
höhnt  ihn.  Andere  Halluzinationen  kommen  hinzu,  namentlich  die  der  Körper- 
empfindungen. Schließlich  wird  der  Kranke  gegen  seine  Verfolger  gewalttätig, 
er  ohrfeigt  jemanden,  oder  schießt,  oder  macht  Lärm,  namentlich  in  der  Nacht; 
oder  er  getraut  sich  nicht  mehr  seine  Wohnung  zu  verlassen  und  lebt  da  in 
ünreinlichkeit  und  Hunger  ganz  sonderbar  dahin.  Nim  muß  man  eingreifen, 
der  Kranke  kommt  in  die  Anstalt.  Nach  einiger  Zeit  wird  er  soziabler,  er  fängt 
an,  gewisse  Arbeiten  zu  verrichten,  schließlich  kann  man  ihn  beruhigt,  aber  ohne 
Besserung  seiner  Wahnideen  entlassen.  Er  hält  sich  einige  Zeit  draußen;  es 
geht  aber  nicht  lange;  er  wechselt  wieder  seine  Stellen,  oder  man  kündet  ihm, 
weil  er  unverträglich  ist,  Fehler  macht,  unregelmäßig  zur  Arbeit  kommt.  Dann 
wiederholen  sich  die  früheren  Aufregungen;  der  Kranke  kommt  wieder  in  die 
Anstalt,  wo  er  leicht  dieses  oder  eines  der  nächsten  Male  hängen  bleibt.  Lange 
Zeit  ist  er  da  recht  unangenehm,  schimpft,  lärmt,  wird  aggressiv;  dann  beruhigt 
er  sich  in  Schwankungen;  er  läßt  sich  wieder  zur  Arbeit  schicken,  hat  aber  die 
Initiative  verloren,  sowohl  in  Verfolgung  seiner  Wahnideen  als  auch  in  anderen 
Dingen;  wie  eine  Maschine  arbeitet  er  weiter  bei  der  Beschäftigung,  die  ihm 
angewiesen  wird.  Er  wandert  in  die  Pflegeanstalt  oder  kann  auch  in  günstigen 
Fällen  sich  dauernd  draußen  halten,  etwa  bei  der  Arbeit  helfend,  aber  in  der 
Hauptsache  gleichgültig  und  untätig  in  den  Tag  hineinlebend. 

Nicht  immer  geht  es  nach  diesem  Schema.  Viel  häufiger  ist  em  ganz  un- 
regelmäßiger Verlauf.   Schon  die  Wahnideen  können  wie  ein  Blitz  aus  heiterem 


1)  „Paranoide  Form  der  Schizophrenie"  kann  man  auf  die  Dauer  nicht  sagen  der 
Ausdruck  ist  zu  lang.  Teils  deshalb,  teils  aus  Mißverständnis  wird  von  vielen  Autoren  dafür 
der  Ausdruck  „Dementia  paranoides"  gebraucht,  der  aber  von  Kraepelin  m  einem  viel 
beschränkteren  Sinn  angewendet  ^vird,  und  der  geschaffen  worden  ist  zu  einer  Zeit  wo 
der  Autor  die  anderen  paranoiden  Formen  noch  nicht  der  Dementia  praecox  zuzahlte. 


Untergruppen.  Paranoid. 


189 


Himmel  fix  und  fertig  auftauchen,  während  der  ICi-anke  noch  arbeitet;  sie  können 
ihn  für  einige  Tage  aufgeregt  machen,  dann  zurücktreten,  um  später  wieder 
zu  erscheinen.  Oft  beginnt  das  eigentlich  paranoide  Stadium  nach  längeren 
mehr  oder  weniger  ausgesprochenen  „Prodromen",  die  gar  nicht  paranoiden 
Charakter  haben  müssen,  ganz  akut:  In  der  Nacht  erscheint  ein  Engel,  Christus, 
Gott  selbst,  der  dem  Kranken  neue  Wege  zeigt;  bei  Verfolgten  gibt  es  oft  eine 
mehrstündige  oder  auch  mehrtätige  halluzinatorische  Erregung,  häufig  verbunden 
mit  vollkommener  Verwirrtheit  und  Desorientierung.  Oder  es  kommt  bei  irgend 
einer  Gelegenheit,  meist  allerdings,  wenn  die  Patienten  allein  sind,  wie  eine 
Erleuchtung  über  sie,  und  damit  ist  ihnen  ihre,  neue  Stellung  zu  Gott  und 
den  Menschen,  die  eigene  Größe  oder  die  Schändlichkeit  der  Verfolgerbande 
Idar  geworden.  Solche  Augenblicke  findet  man  in  der  Geschichte 
vieler  Schizophrenen  mit  Wahnideen  überhaupt;  bei  den  Nicht- 
paranoiden spielen  sie  aber  eine  viel  geringere  Eolle,  weil  die  Nachhaltigkeit 
der  Wirkung  fehlt. 

Bei  der  Mehrzahl  der  Paranoiden  verläuft  die  Kranldieitskurve  gar  nicht 
stetig  aufwärts,  sondern  in  starken  Schwingungen,  die  sich  bald  der  Normal- 
lim'e  annähern,  bald  wieder  auf  große  Höhe  erheben.  Neben  den  halluzinatori- 
schen Verwirrtheitszuständen  sind  melancholische  Depressionen  häufig,  viel 
seltener  manische  Erregungen;  katatone  Symptome  aller  Arten  zeigen  sich 
teils  vorübergehend  in  akuten  Schüben,  teils  auch  dauernd  in  Haltung  und 
Benehmen:  der  Kranke  steht  ein  paar  Jahre  mit  gespreizten  Beinen  an  einer 
Wand,  verbigeriert,  zeigt  Negativismus,  der  mehr  oder  weniger  unabhängig 
ist  von  den  Wahnideen  usw.  Zu  anderen  Zeiten  arbeitet  er. 

Es  gibt  auch  Paranoide  ohne  Halluzinationen;  diese  haben  bloß  falsche 
Eigenbeziehungen,  die  zu  Wahnideen  verarbeitet  werden,  oder  sie  knüpfen 
an  irgend  ein  Ereignis  eine  Wahnidee,  die  sie  dann  Jahre  hindurch  verfolgen, 
ohne  je  darüber  diskussionsfähig  zu  werden. 

Hierher  gehören  namentlich  viele  schizophrene  Querulanten. 

Ein  Mädchen  besorgt  die  Haushaltung  eines  Arztes.  Vielleicht  hat  er  ihr  einige 
erotische  Avancen  gemacht;  jedenfalls  bildete  sie  sich  ein,  er  habe  ihr  die  Ehe  ver- 
sprochen, verlangte,  daß  er  sie  heirate,  machte  ihm  allerlei  Schnödigkeiten,  so  daß 
er  sie  entlassen  mußte.  Sie  klagte  vor  Gericht,  immer  in  der  Meinung,  sie  beweise 
ja  alles,  verklagte  dann  wieder  die  Richter,  weil  sie  ihr  nicht  recht  gaben,  wurde  immer 
konfuser,  arbeitete  fast  nichts  mehr,  verprozessierte  ihr  Vermögen;  wurde  als  geistes- 
krank begutachtet,  verklagte  die  Begutachter  usw.  Dann  und  wann  ging  es  "wieder 
em  Jahr  außerhalb  einer  Anstalt,  wenn  auch  nie  ganz  ohne  Reibereien. 

Die  Wahnideen  können  in  leichten  Fällen  quasi  im  embryonalen  Zustande 
verharren:  solche  Kranke  beziehen  vieles  auf  sich,  was  unter  Umständen  auch 
em  Gesunder  auf  sich  beziehen,  aber  nicht  weiter  berücksichtigen  würde;  sie 
sehen  in  allem,  was  ihnen  nicht  gerade  paßt,  eine  Beeinträchtigung  ihrer  Person, 
gelten  als  böse  Drachen,  kommen  mit  niemandem  aus,  bleiben  auch  in  den 
^Vnstalten  zur  großen  Befriedigung  ihrer  Mitlcranken  nicht  lange.  Sie  können  sich 
in  Berufen,  die  sie  nicht  an  andere  Leute  ketten,  durchbringen,  so  als  Hausierer 

Manchmal  fehlen  umgekehrt  eigentliche  Wahnideen,  und  es  bestehen  nur 
Halluzinaticnen,  die  sich  in  vielen  FäUen  ganz  oder  nahezu  auf  das  Gehör  be- 
schranken. Wahrend  die  Patienten  zuerst  meist  nur  durch  verändertes  Wesen 


190 


Schizophrenie. 


darauf  reagieren,  oft  ihre  Umgebung  jahrelang  im  Unklaren  über  ihre  inneren 
Vorgänge  lassen,  brechen  sie  früher  oder  später  in  Schimpfen  aus;  je  nach  dem 
Charakter  kann  auch  unaufhörliches  oder  anfallsweises  Weinen  oder  ein  Selbst- 
mordversuch oder  rasende  Zerstörung  von  Gegenständen  die  Krankheit  manifest 
machen.  In  schweren  Fällen  sind  diese  Patienten  sehr  lange  arbeitsunfähig, 
sogar  in  der  Anstalt;  in  den  leichtesten  Fällen  wissen  sie  sich  mit  den  Stimmen 
abzufinden;  sie  gehen  auf  die  Seite,  wenn  sie  schimpfen  woUen,  oder  unter- 
drücken die  Keaktion  mehr  oder  weniger.  Dazwischen  gibt  es  alle  Übergänge. 
Namentlich  sind  in  den  Anstalten  diejenigen  häufig,  die  ganz  ordentlich  arbeiten, 
dann  aber  plötzlich  für  einige  Minuten  bis  einige  Tage  ihre  Aufregungen  „in- 
folge der  Stimmen"  bekommen.  Sobald  die  Stimmen  aussetzen,  sind  die 
Patienten  mhig  und  oft  äußerlich  ganz  normal.  Auffallend  ist  aber  auch  dann 
die  Selbstverständlichkeit,  mit  der  sie  ihre  Lage  hinnehmen. 

Ganz  die  gleichen  Variationen  wie  der  Verfolgungswahn  zeigt  der  eroti- 
sche und  der  Größenwahn.  Die  Kranken  glauben  sich  von  einer  meist  höher 
stehenden  Person  geliebt;  wollen  dieser  Gelegenheit  geben,  mit  ihnen  zu  ver- 
kehren, belästigen  sie  auf  alle  Weise,  übertragen  gelegentlich  die  Liebe  auf 
andere  Personen,  die  dann  ebenso  behandelt  werden.  Die  Megalomanischen 
haben  Erfindungen  gemacht,  sind  Propheten,  Philosophen,  Weltverbesserer, 
die  aber  nur  in  verhältnismäßig  seltenen  Fällen  Anhänger  bekommen,  da  sie 
zu  konfus  sind  und  zu  ungeschickt  verfahren. 

Neben  den  beschriebenen  paranoiden  Symptomenreihen  tritt  natürlich 
beim  Paranoid  die  ,, Verblödung"  immer  mehr  oder  weniger  hervor.  Die 
Ej-anken  handeln  gar  nicht  nach  ihren  eigenen  Ideen;  der  Prinz  und  König 
hilft  bei  allen  landwirtschaftlichen  Arbeiten  mit,  die  Braut  Christi  kümmert 
sich  nicht  um  Überirdisches,  sondern  wäscht  mechanisch  das  Bettzeug  ihrer 
unreinlichen  Nebenpatientinnen  und  ist  glücklich  über  ein  geschenktes  Bonbon. 
Nur  wenige  besitzen  die  Konsequenz  und  die  Energie,  ihre  Wahnideen  mit  der 
Wirldichkeit  in  Verbindung  zu  bringen  und  ReaHsierung  ihrer  Wünsche  zu 
verlangen.  Einzig  der  Verfolgungswahn  bleibt  manchmal  unermüdlich,  die 
Abstellung  der  Quälereien  und  sogar  die  Bestrafung  der  Schuldigen  zu  ver- 
langen. —  In  Dingen,  die  nichts  mit  den  Komplexen  der  Kranken  zu  tun  haben, 
kann  in  leichteren  Fällen  ein  Intelligenzdefekt  nicht  nachzuweisen  sein,  doch 
sind  die  Kranken  auch  da  meist  unüberlegt  und  zerfahren.  Im  übrigen  äußert 
sich  die  affektive  Verblödung  in  der  früher  geschilderten  Weise,  aber  gerade  bei 
den  eigentlichen  Paranoiden  am  wenigsten  stark. 

*  ^  * 
* 

Für  unsere  jetzigen  Erkenntnismittel  kommen  ganz  gleiche  Störungen 
wie  alle  die  oben  angeführten  auch  vor  als  „Folgezustände"  initialer  melancholi- 
scher, manischer,  amenter,  katatoner  Erregungen.  Es  ist  nämlich  nicht  so, 
daß  in  den  „sekundären"  Fällen  die  „Verblödung"  besonders  stark  hervor- 
treten müsse.  Auch  diese  Kranken  können  gelegentlich  neben  bestandigen 
Halluzinationen  and  den  unsinnigsten  Wahnideen  viele  gute  mteUektueUe 
Leistungen  aufweisen. 

*  *  * 


Untergruppen.  Katatonie. 


191 


Eine  besondere  Erwähnung  verdient  die  von  Kraepelin  herausgehobene 
Dementia  paranoides.  „Hier  beginnt  nach  der  einleitenden  Depression 
sofort  eine  ganz  abenteuerliche,  immer  wechsekide,  durch  Einreden  und  Er- 
innerungsfälschungen beeinflußte  üppige  "Wahnbildung,  die,  abgesehen  von 
gelegentlichen  Zornausbrüchen,  sehr  bald  jeden  Einfluß  auf  das  Handeln  ver- 
liert. Ein  eigentliches  Fortschreiten  findet  nach  der  anfänglichen,  rasch  sich 
abspielenden  Entwicklung  nicht  mehr  statt;  vielmehr  kann  der  Zustand  ein 
Jahrzehnt  imd  länger  nahezu  unverändert  bleiben.  Besonnenheit  und  äußere 
Haltung  bleiben  trotz  der  ganz  verworrenen,  von  massenhaften  Wortneubildungen 
begleiteten  Wahnvorstellvmgen  ziemlich  ungestört."  Dieser  Beschreibung  bleibt 
nur  hinzuzufügen,  daß  ein  Depressionsstadium  sich  nicht  immer  finden  läßt, 
und  daß  es  svmptomatologisch  ganz  ähnliche,  aber  chronisch  beginnende  Fälle 
gibt;  ferner  ist  besonders  zu  betonen,  daß  die  katatonen  Symptome  auch  auf 
die  Dauer  vollständig  fehlen. 

Der  „präsenile  Beeinträchtigungswahn"  (Kraepelin)  nimmt 
oft  diese  Form  an;  in  den  anderen  FäUen  unterscheidet  er  sich  nur  durch  den 
schleichenden  Beginn  und  die  etwas  geringere  Ausbildung  der  S}Tnptome  von  der 
Dementia  paranoides. 


B.  Die  Katatonie. 

Die  auffallendsten  Formen  der  Katatonie  beginnen  mit  oder  ohne  Vor- 
läuferstadium mit  einem  akuten  Schub,  der  den  Charakter  einer  der  bei  der 
Schizophrenie  gewöhnlichen  Aufregungen  hat,  dem  sich  aber  meist,  wenn  auch 
nicht  immer  gleich  von  Anfang  an,  katatone  Symptome  beimischen.  Namentlich 
die  mit  kataleptischen  Symptomen  gemischten  Stuporformen  und  die  Hyper- 
kinesen  beherrschen  häufig  das  Bild.  Die  Art  der  Erregung  kann  mehrere  Male 
m  unregehnäßiger  Weise  wechseln  zwischen  manischen  und  melancholischen 
Zuständen,  Verwirrtheiten  und  Stupor.  Nach  einer  beliebigen  dieser  Phasen 
kommt  die  Beruhigung,  die  in  mehr  als  der  Hälfte  der  FäUe  zugleich  eine  Besse- 
rung ist:  die  Kranken  fangen  an  zu  arbeiten,  halluzinieren  weniger,  oder  gar 
mcht  mehr,  korrigieren  einen  Teil  ihrer  Wahnideen  und  werden  „mit  Defekt 
geheilt".  Einzehie  Symptome,  namentlich  katatone,  bleiben  gern  mehr  oder 
weniger  deutlich  sichtbar.  Bei  den  gut  ausgehenden  wie  bei  den  schlimmeren 
l^aUen  treten  früher  oder  später  häufig  weitere  alcute  Schübe  auf,  die  oft,  aber 
gar  mcht  immer,  dem  ersten  gleichen.  Nach  jedem  derselben  wird  die  Demenz 
meist  prononzierter. 

Die  Katatonie  kann  auch  mit  chronischen  paranoiden  Symptomen  be- 
ginnen; Wahmdeen  oder  Halluzinationen  oder  beides  bringen  die  Kranken  mit 
der  Diagnose    Paranoia"  in  die  Anstalt,  wo  über  kurz  oder  lang  sonderbare 
mcht  direkt  durch  die  Wahnideen  motivierte  Handlungen  und  Unterlassungen 
geseuÜr'  '''^  ^^^^^^^^'^        katatonen  Symptome  bei- 

Die  chronischen  Formen,  die  meistens  als  Endzustand  betrachtet  mirden 

Charlkt  T^,^^— ^^^'^^'^       ausgesprochene  katatomscher; 
Charakter  haben,  so  z.  B.  bei  einer  Kranken,  die  fast  ein  Jahr  vor  dem  ^nstalte 
emtritt  zu  sprechen  aufhörte,  dabei  aber  ihre  Haushaltung  n  ch  "e "t 


192 


iSchizoplireiiie. 


führte.  Im  Laufe  der  nächsten  zwe]  Jahre  kamen  Negativismius,  Katalepsie  und 
allerlei  sonderbare  Handlungen,  Gewaltakte,  Unreinlichkeit  und  vollständige 
Arbeitsverweigerung  hmzu,  Symptome,  die  nun  wieder  mehrere  Jahre  anhalten 
In  vielen  Fällen  sind  Sonderbarkeiten  namentlich  des  Handelas,  die  noch  in  an- 
scheinender Gesundheit  begangen  werden,  sich  aber  immer  häufiger  wiederholen, 
die  Anfangssymptome  der  chronischen  Katatonie. 

Die  chronischen  katatonen  Zustände,  seien  sie  mit  oder  ohne  Aufregungen 
entstanden,  zeigen  wenig  Variationen.  Viele  Kranke  sitzen  einfach  in  beständigem 
Stupor,  mit  oder  ohne  Negativismus,  herum  und  lassen  sich  besorgen;  andere 
sind  aufgeregter  oder  infolge  des  aktiven  Negativismus  gewalttätig  und  gehören 
dann  zu  den  unangenehmsten  Anstaltsinsassen.  Sehr  viele  für  die  Außenwelt 
ganz  Gleichgültige  bekommen  spontan  vorübergehende  Aufregungen,  in  denen 
sie  schimpfen,  gewalttätig  werden,  schmieren  usw. 


0.  Die  Hebephrenie. 

Man_  ist  versucht,  diese  Gruppe  dadurch  zu  charakterisieren,  daß  die  „Ver- 
blödung" im  Vordergrund  stehe.  Dann  wären  aber  alle  die  zahlreichen  und  praktisch 
wichtigen  leichten  Formen  ausgeschlossen,  bei  denen  sich  das  Wort  „Verblödung" 
nicht  mehr  anwenden  läßt,  auch  wenn  man  an  eine  volle  Restitutio  ad  integrum 
nicht  glaubt. 

Die  Hebephrenie  umfaßt  also 

a)  die  nicht  katatonischen  akut  beginnenden  Formen  (melancholische,  mani- 
sche, amente,  dämmerige  Zustände),  soweit  sie  nicht  in  chronisch  paranoide  oder 
katatone  Zustände  übergehen; 

h)  alle  chronischen  Fälle,  die  akzessorische  Symptome  zeigen,  ohne  daß  diese 
das  Bild  ganz  beherrschen. 

Leider  paßt  der  Name  auf  die  Gruppe  nur  insofern,  als  die  meisten  dieser 
Patienten  zwischen  15  und  25  Jahren  erkranken;  doch  gibt  es  (seltene)  Hebephrenien 
im  obigen  Sinne,  deren  Anamnesen  vor  dem  fünften  oder  gar  sechsten  Jahrzehnt 
keine  Krankheitssymptome  auffinden  lassen. 

Die  Kahlbaum-Heckersche  Hebephrenie  war  eine  Verblödung,  die  in  der 
Pubertätszeit  verhältnismäßig  rasch  eintrat,  meist  mit  verschiedenen  affektiven 
Störungen  verlief  und  außerdem  noch  charakterisiert  war  durch  die  Symptome  der 
Flegeljahre.  Für  uns  ist  das  Alter  irrelevant,  und  die  Symptome  der  Geziertheit 
und  des  Pathetischen,  der  Freude  an  Lümmeleien  auf  der  einen  Seite,  der  Altklugheit, 
dem  Trieb  zur  Beschäftigung  mit  den  höchsten  Problemen  anderseits,  finden  wir 
auch  bei  anderen  Schizophrenen,  deren  Komplexe  eine  Selbstüberhebung,  ein  Gerne- 
großsein bedeuten  1). 

Die  Erregungen  im  Sinne  Heckers  sind  übrigens,  wie  seine  Krankengeschichten 
zeigen,  gar  nicht  so  ausgesprochen,  daß  sie  den  Charakter  akuter  Psychosen  an- 
nähmen. Bei  ihm  ist  bloß  die  Verblödung  im  Vordergrund.  Schon  Kraepelin 
spricht  aber  von  Beginn  mit  akuter  Geistesstörung,  findet  ihn  jedoch  seltener.  Da 
man  indes  die  akuten  Initialstörungen  nicht  wohl  Katatonien  nennen  kann,  wenn 
sie  nicht  ausgesprochene  katatone  Symptome  zeigen  oder  von  solchen  gefolgt  sind, 
müssen  wir  alle  akuten  „Psychosen"  mit  nachfolgender  Verblödung  ohne  katatoni- 


^)  Vgl.  Theorie  der  Manieren. 


1 

Untergruppen.  HebepLrenie. 


sehen  oder  paranoiden  Charakter  der  Hebephrenie  beizählen,  wenn  wir  nicht  eine 
"anz  unnötige  neue  Gruppe  bilden  wollen.  ■  ■ 

°  Für  diese  Gruppe  spezifische  Symptome  gibt  es  nicht.  Ich  bm  nicht  einmal 
sicher  ob  dk  Flegeljahrsymptome  hier  häufiger  vorkommen  als  bei  der  Katatome; 
"eUetcht  treten  sfe  hier  nur  mehr  in  den  Vordergrund,  weil  kerne  katatonen  Sym- 
ptonie  sie  verdecken.  . 

Immerhin  gibt  es  theoretische  Gründe,  die  gerade  bei  der  Hebephreriie  diese 
Erscheinimgen  am  meisten  erwarten  lassen.  Es  ist  namlich  richtig,  daß  sie  be  m 
Paranoid,  da.  ja  im  ganzen  später  auftritt  als  die  Hebephreme  lange  nicht  so  häufig 
sind  Wir  wissen  ferner,  daß  sich  zur  Zeit  der  Erkrankung  bestehende  Komplexe 
und  Gewohnheiten  gern  fixieren,  so  daß  sie  lange  Jahre  nachher  noch  zu  erkennen 
sind-  es  liegt  also  sehr  nahe  anzunehmen,  daß  die  Gewohnheiten  der  Pubertät  sich 
hier 'karikieren  und  zugleich  dem  geistigen  Organismus  fest  einprägen.  Dena  ist 
nur  entgegenzuhalten,  daß  es  viele  Leute  gibt,  die  erst  erkranken,  nachdem  sie  dieses 
Stadium  längst  überwunden  haben  und  doch  die  „hebephrenen"  Erscheinungen 
zeigen!).  _  Falls  es  richtig  wäre,  daß  die  katatonen  Symptome  ihre  Wurzel  m  der 
Sexualität  haben,  so  würden  eben  die  Leute  mit  vorwiegend  sexuellen  Komplexen 
Katatoniker,  diejenigen,  wo  jene  zurücktreten,  Hebephrene  oder  Paranoide  je  nach 
dem  Erkrankungsalter. 

Unter  dem  Namen  Hebepkrenie  wüi-den  also  zunächst  einmal  die  einfachen 
Formen  des  früheren  sekundären  Blödsinnes  mit  ihren  einleitenden  alcuten 
Psychosen  verstanden.  Dann  aber  kommen  die  nicht  seltenen  FäUe  hinzu, 
bei  denen  eine  Erregung  erst  nach  der  Verblödung  auftritt.  Diese  sind  viel 
häufiger,  als  man  nach  den  Beschreibungen  annehmen  sollte;  melancholische 
und  manische  Erregungen,  Dämmerzustände  usw.  können  zu  jeder  Zeit  des 
Verlaufs  ebenso  gut  wie  im  Anfang  eintreten.  Gerade  bei  der  Hebephrenie 
mit  ihren  wenig  auffallenden  Symptomen  ist  es  sehr  häufig,  daß  eine  schon 
viele  Jahre  bestehende  Ejrankheit  durch  einen  akuten  Anfall  in  die  Anstalt 
gebracht  wird. 

Manchmal  ist  die  Erregung  sehr  leicht,  oder  sie  fehlt  ganz.  Im  letzteren 
Falle  versagen  die  Kranken  einfach,  verHeren  ihre  Leistungsfähigkeit,  werden 
nachlässig,  rücksichtslos,  machen  Dummheiten.  Darunter  sind  viele,  die  jahre- 
lang als  Neuras theniker  oder,  wenn  sie  weiblich  sind,  als  Hysterische  gelten. 
DeutHch  hypochondrische  Färbung  büdet  oft  den  Übergang  zu  den  paranoiden 
Formen.  Bei  der  großen  praktischen  Wichtigkeit  einer  rechtzeitigen  Diagnose 
ist  es  sehr  richtig,  wenn  Kraepelin  diese  „hypochondrische  Verblödung" 
besonders  hervorhebt.  „Im  Vordergrund  steht  dabei  das  immer  stärker  hervor- 
tretende Gefühl  der  geistigen  und  körperhchen  Unfähigkeit  mit  allerlei  krank- 
haften Empfindungen,  das  die  Kranken  nach  und  nach  dauernd  auf  jede  Tätig- 
keit verzichten  läßt.  Zugleich  werden  sie  gemütlich  stumpf,  teilnahmslos,  schlaff, 
ohne  Sinnestäuschungen  oder  ausgeprägte  Wahnbildungen." 

Die  Hebephrenie  kleidet  sich  also  in  eine  behebige  Form  der  schizophrenen 
Verblödung.  Sie  kann  dauernd  chronisch  verlaufen  oder  im  Anfang  oder  später 
akute  Syndrome  aufweisen.  Halluzinationen,  unsinnige  Wahnideen,  gelegentlich 
auch  katatone  Symptome  komplizieren  das  Bild,  ohne  es  zu  dominieren. 

!)  Auch  Jahr  märker  (316)  erwähnt  Fälle  mit  läppischem,  albernem  Benehmen, 
die  im  fünften  und  sechsten  Dezennium  erkrankten. 
Handbuch  der  Psychiatrie:  Bleuler. 


I 


194 


Schizophrenie. 


D.  Schizophrenia  simplexO. 

„Die  Patienten  werden  einfach  affektiv  und  intellektuell  schwächer,  der 
Wille  verliert  an  ICraft;  die  Fähigkeit  ihre  Arbeit  zu  tun,  für  sich  zu  sorgen, 
nimmt  ab,  sie  erscheinen  dumm  und  zeigen  schließlich  das  Bild  einer  ausge- 
sprochenen Demenz"  (Clouston). 

Daß  wir  diese  Fälle  nicht,  wie  es  Kraepelin  tut,  der  Hebephrenie  zuteilen, 
hat  mehr  praktische  als  theoretische  Gründe ;  trotz  aller  Versuche  von  kompetenten 
Seiten  ist  es  ja  nicht  gelungen,  der  „primären  Demenz"  allgemeine  Anerkennung 
zu  verschaffen;  sie  wurde  von  manchen  in  concreto  gar  nicht  erkannt;  die  Kranken 
machen  die  Welt  unsicher  unter  der  Flagge  der  Psychopathie,  der  Degeneration, 
der  Moral  Insanity,  des  Alkoholismus  und  vielleicht  am  häufigsten  unter  der  der 
Gesundheit.  Die  einzige^  Möglichkeit,  diese  Formen  den  Ärzten  bekanntzumachen, 
besteht  darin,  daß  man  sie  besonders  benennt.  Und  einen  kleinen  theoretischen  Wert 
hat  diese  Abtrennung  doch  auch,  indem  sie  den  Unterschied  der  wesentUchen  von 
den  akzessorischen  Symptomen  recht  deutlich  demonstriert;  dem  einfachen  Schizo- 
phrenen fehlen  die  letzteren. 

Die  einfache  Form  ist  in  den  Anstalten  ziemlich  selten,  kommt  aber  draußen 
ebenso  oft  vor  wie  die  anderen.  In  der  Sprechstunde  sieht  man  sie  mehr,  und 
zwar  sowohl  bei  den  Verwandten  des  Patienten,  wegen  dessen  man  konsultiert 
wird,  wie  bei  diesem  selbst.  In  den  unteren  Ständen  vegetieren  die  einfachen 
Schizophrenen  als  Hausierer,  Taglöhner,  sogar  etwa  als  Dienstboten,  dann  aber 
als  Vagabunden  wie  andere  Schizophrene  leichteren  Grades.  In  höheren  Ständen 
spielt  der  häufige  Typus  des  unverträglichen,  beständig  keifenden,  nur  Ansprüche 
machenden,  aber  keine  Pflichten  kennenden  Weibes  seine  unglückselige  Rolle. 
Die  Familie  denld:  lange  Jahre  nicht  an  Klrankheit,  erträgt  eine  HöUe  voll  Qualen 
von  der  ,, boshaften"  Frau  und  verdeckt  mit  allen  Mitteln  das  Verhältnis  vor 
der  Außenwelt;  Geheimhalten  der  Anomalie  ist  um  so  leichter  möglich,  als 
viele  dieser  Kranken  sich  in  Gesellschaft  noch  ganz  unauffällig  benehmen  können. 
Oft  ist  man  geradezu  gezwungen,  vor  der  Welt  die  Anomalie  zu  verschweigen, 
da  viele  Leute  geneigt  sind,  für  die  Patientinnen  einzutreten,  die  so  gut  die 
verfolgte  Unschuld  spielen  können. 

Kahlbaum  (348)  hat  diejenigen  Fälle,  bei  denen  fast  nur  die  Störung 
im  sozialen  Fühlen  und  Handeln  zatage  tritt,  als  Heboidophrenie  oder  Heboid 
bezeichnet.  Er  weiß  aber,  daß  auch  formale  Störungen  des  Denkens  (z.  B.  Vorbei- 
denl^en)  bei  der  Krankheit  nicht  fehlen,  und  gliedert  sie  in  richtiger  Weise  seiner 
Hebephrenie  an.  Er  stellt  eine  verhältnismäßig  gute  Prognose;  FäUe,  wie  die 
von  ihm  beschriebenen,  verlaufen  aber  nicht  anders  als  andere  zunächst  leichte 
Fälle  von  Schizophrenie.  Die  Aufstellung  des  Heboids  hat  deswegen  keinen 
Anldang  finden  können. 

Ein  anderer  wichtiger  und  sehr  häufiger  Typus  ist  der  schizophrene 
Alkoholiker,  der  meist  verkannt  und  immer  unrichtig  behandelt  wird.  Viele 
Schizophrene  ergeben  sich  ja  dem  Trunk;  man  übersieht  dann  gewöhnlich  die 
Grundkrankheit  (vgl.  Graeter). 

Ob  man  die  schizophrenen  Querulanten  zu  dieser  Gruppe  zählen 
will,  ist  Sache  der  Willkür.   Von  den  einfach  unverträglichen  Leuten  zu  den 

1)  Vgl.  auch  Weygandt.  (813)  und  Diem  (180). 


Untergruppen.  Schizophrenia  simplex. 


195 


■anoiden  Queriüanten  mit  ausgesprochenen  Wahnideen  gibt  es  all 
ice  •  man  tut  vieUeicht  am  besten,  irgendwo  in  der  Mitte  der  Skala  einer 
machen,  und  die  eine  Hälfte,  die  keine  eigentlichen  Wahnideen  hat, 


die  andere  zum  Paranoid  zu  zählen. 


Ferner  sind  unter  den  verschrobenen  Köpfen  aUer  Arten,  die  als  Welt- 
fbesserer,  Philosophen,  Schriftsteller,  Künstler  auffallen,  neben  „Degene- 


rierten" viele  einfache  Schizophrene. 

Bin  junger  Schweizer,  der  die  Handelsschule  mit  Erfolg  absolviert  hat,  natm-aü- 
siert  sich  als  Deutscher,  um  Unteroffizier  zu  werden;  als  solcher  macht  er  die  Kriege 
von  66  und  70  mit;  nachher  wird  er  Photograph,  treibt  sich  aber  in  verschiedenen 
Stellungen  als  Gehilfe  oder  Reisender  herum;  zwei  Versuche,  sich  selbständig  zu 
machen"  scheitern  kläghch;  er  büßt  sein  ganzes  Vermögen  ein.  Die  Heirat  etwa 
im  40.  Jahre  ändert  nichts  an  der  Sache.  Er  wird  immer  unfähiger,  immer  gleich- 
gültiger, arbeitet  schheßhch  gar  nichts  mehr,  kümmert  sich  nach  dem  Tode  seiner 
Frau  nicht  um  seine  Kinder,  sitzt  zu  Hause  oder  in  den  Wirtshäusern  herum  ohne 
eigentHche  Alkoholexzesse,  und  erst  im  52.  Jahre  kommt  Patient  in  die  Pflegeanstalt. 
In  diesem  Falle  zeigte  sich  die  Schizophrenie  zunächst  jahrelang  nur  darin,  daß 
Patient  ohne  rechten  Grund  seinen  Beruf  aufgab  und  die  NationaUtät  wechselte. 
Ganz  allmähhch  wurde  er  aber  leistungsunfähiger  und  gleichgültiger,  und  erst  Ende 
der  Vierzigerjahre  scheint  die  Krankheit  ein  etwas  rascheres  Tempo  bis  zur  totalen 
Verblödung  eingeschlagen  zu  haben. 

Bin  Lehrer,  der  sehr  gut  durchs  Seminar  gekommen,  geht,  da  er  nicht  gleich 
nach  dem  Examen  eine  Stelle  findet,  als  Hauslehrer  nach  Rxmiänien.  Er  bleibt  dort 
acht  Jahre,  läßt  sich  aber  auf  verschiedene  Arten  um  sein  Salär  bringen ;  dann  kommt 
er  aller  Mittel  entblößt  zurück,  bewirbt  sich  um  Lehrerstellen,  vikariert  an  den  ver- 
schiedensten Orten,  bekommt  aber  jahrelang  keine  feste  Stelle,  bis  ihn  einmal  eine 
kleine  Gemeinde  wählt,  um  ihn  ein  halbes  Jahr  später  wegen  seiner  Unfähigkeit 
wieder  wegzuwählen.  In  einem  anderen  Kanton  hat  er  nicht  mehr  Glück;  eine  Stelle, 
wo  er  —  wenigstens  vorläufig  —  hätte  bleiben  können,  verließ  er  Knall  und  Fall, 
ohne  Aussicht  auf  eine  andere  zu  haben.  Natürlich  war  er  immer  in  Geldverlegenheit, 
mußte  Schulden  machen,  verpfändete  seine  Pension  zu  migünstigen  Bedingungen, 
versetzte  seine  Sachen,  alles  in  der  Meinung,  daß  die  Verhältnisse  sich  nun  anders 
gestalten  müßten,  denn  bis  jetzt  hatte  ihm  nur  dies  oder  jenes  zufällig  gefehlt; 
weim  man  ihm  jeweilen  noch  so  und  so  viel  vorstreckt,  so  ist  er  ganz  sicher,  daß  er 
dann  eine  Stelle  bekommt  und  alles  wieder  ordnen  kann.  Daß  er  an  seinem  Miß- 
geschick selber  schuld  ist,  davon  hat  er  trotz  aller  Belehrmigsversuche  keine  Ahnung. 
Schheßlich  bombardiert  er  alle  Behörden,  die  mit  ihm  zu  tun  haben,  mit  Bitt- 
gesuchen oder  Darstellungen  seines  guten  Eechtes,  denen  Anschuldigungen  und 
Beschimpfungen  beigemischt  werden,  schädigt  diejenigen,  die  ihm  Kredit  geben, 
und  kommt  im  45.  Jahre  in  die  Anstalt,  wo  er  in  allen  wichtigen  Dingen  ganz  gleich- 
gültig ist,  nichts  arbeitet  und  nur  darauf  beharrt,  man  müsse  ihm  eine  Lehrstelle 
geben,  die  er  bei  seinen  Fähigkeiten  ganz  gut  ausfüllen  könnte. 

Anderer  Typus,  mit  Reizbarkeit :  Normales,  intelligentes  Mädchen  verheiratet 
sich  mit  20  Jahren  und  lebt  über  fünf  Jahre  in  glücklicher  Ehe.  Ganz  allmählich 
wird  sie  reizbarer,  gestikuliert  auffallend  beim  Sprechen;  das  nahm  zu,  sie  konnte 
kein  Dienstmädchen  mehr  behalten,  bekam  mit  den  Hausbewohnern  Streit,  und 
innerhalb  der  FamiUe  hatte  sie  sich  zum  unerträghchen  Hausdrachen  ausgewachsen, 
der  nur  Rechte,  aber  keine  Pflichten  kannte.  Die  Haushaltung  konnte  sie  nicht 
mehr  führen,  weil  sie  ganz  ungeschickte  Einkäufe  machte  und  überhaupt  alles  un- 
praktisch in  die  Hände  nahm.  In  der  Anstalt  viele  Jahre  lang  das  gleiche  Benehmen, 


13* 


f 


196 


Schizophrenie. 


nur  in  zunehmendem  Maße,  so  daß  man  sie  auf  der  Abteilung  nur  in  ihrem  Zimmer 
und  im  Freien  nur  da  liaben  kann,  wo  wenig  Leute  sind.  Sie  kann  aber  nach  mehr 
als  zehnjährigem  Aufenthalt  noch  frei  ausgehen,  wenn  sie  auch  durch  Schwätzereien 
manche  Unannehmlichkeit  verursacht.  Hat  beständig  über  ungenügende  Behandlung 
irgendwelcher  nervöser  Leiden  zu  klagen.  Wichtigen  Dingen,  wie  ihrem  Verhältnis 
zur  Familie,  gegenüber,  ganz  gleichgültig;  keine  Liebe  zu  ihren  Kindern;  ist  nicht 
imstande,  sich  zusammenzunehmen,  obschon  sie  ganz  gut  weiß,  daß  sie  ein  schönes 
Leben  haben  könnte,  wenn  sie  weniger  keifen  würde.  Keine  paranoiden  oder  kata- 
tonen  Symptome. 

Sehr  viele  Leute  werden  bei  genauerem  Zusehen  der  einfachen  Schizo- 
phrenie verdächtig,  ohne  daß  man  im  gegebenen  Moment  die  Diagnose  sichern 
kann.  Sehr  oft  aber  wird  nach  Jahr  und  Tag  die  Vermutung  bestätigt,  so  daß 
es  ganz  unzweifelhaft  ist,  daß  viele  Schizophrene  herumlaufen,  deren  Symptome 
nicht  ausgesprochen  genug  sind,  um  die  Geisteskranlcheit  erkennen  zu  lassen. 
Wenn  man  die  Verwandten  unserer  Patienten  beobachtet,  so  findet  man  oft 
Eigentümlichkeiten  bei  ihnen,  die  qualitativ  ganz  identisch  sind  mit  denen  der 
Patienten  selbst,  so  daß  die  Krankheit  nur  als  eine  quantitative  Steigerung 
der  Anomalien  bei  Geschwistern  und  Eltern  erscheint. 

Solche  leicht  Kranke  gelten  als  Nervöse  verschiedener  Art,  als  Degenerierte 
usw.  Verfolgen  wir  die  Anamnese  der  in  späteren  Jahren  durch  eine  Exazer- 
bation,  eine  gerichtliche  Untersuchung,  einen  pathologischen  Rausch  oder  einen 
ähnlichen  Zufall  in  die  Anstalt  gebrachten  Kranken,  so  finden  wir  gewöhnlich 
in  der  ganzen  Vergangenheit  leichte  pathologische  Symptome,  die  sich  im  Lichte 
der  neuen  Erkrankung  unzweifelhaft  als  schizophrene  darstellen. 

Es  gibt  also  eine  latente  Schizophrenie,  und  ich  glaube  gerade- 
zu, daß  diese  Form  die  häufigste  ist,  wenn  sie  auch  am  seltensten 
als  solche  in  Behandlung  kommt. 

Die  Efscheinungsweisen  der  latenten  Schizophrenie  zu  beschreiben,  lohnt 
sich  wohl  nicht.  Alle  Symptome  und  Symptomenkombinationen,  die  bei  der 
ausgebildeten  Krankheit  zu  sehen  sind,  können  hier  in  nuce  vorkommen.  Reiz- 
bare, sonderbare,  launenhafte,  einsame,  übertrieben  pünktliche  Leute  erregen 
unter  anderen  den  Verdacht,  schizophren  zu  sein.  Oft  findet  man  versteckt 
noch  das  eme  oder  andere  katatone  oder  paranoide  Symptom,  und  Exazer- 
bationen  von  verschiedenstem  Habitus  im  späteren  Leben  beweisen,  daß  alle 
Formen  der  Krankheit  latent  verlaufen  können. 


E.  Spezielle  Gruppen, 
a)  Periodische. 

Es  hat  einen  gewissen  Wert,  noch  von  einigen  anderen  Gesichtspunkten 
aus  einzelne  Gruppen  herauszuheben. 

a)  Da  sind  zunächst  die  „periodischen"  Fälle.  Der  Begriff  des 
Periodischen  ist  in  der  Psychiatrie  ein  sehr  unbestimmter.  Am  meisten  verdienen 
diesen  Namen  diejenigen  Psychosen,  deren  aloite  AnfäUe  sich  ganz  nach 
dem  Schema  des  manisch-depressiven  Irreseins  wiederholen.  Bald  nach  der 
Pubertät,  selten  später,  treten  die  ersten  manischen  oder  melancholischen  An- 
fälle, auf  die  sich  dann  in  längeren  oder  kürzeren  Intervallen  wiederholen;  auch 


Untergruppen.  Periodische.  Altersgruppen. 


197 


zyklische  Formen  sind  nicht  so  selten.  In  den  meisten  Fällen  dieses  Typus 
ist  die  nach  dem  AnfaUe  zurückbleibende  Demenz  anfänglich  eme  geringe. 
Die  meist  deutlich  hervortretenden  schizophrenen  Symptome  lassen  aber  kernen 
Zweifel  über  die  Diagnose  und  den  endlichen  Ausgang. 

Die  Perioden  sind  in  einzelnen  Fällen  sehr  kurz  und  auch  zuweilen  von  ver- 
blüffender Kegelmäßigkeit,  wie  ich  sie  von  dem  manisch-depressiven  Irresem  nicht 
kenne.  Ich  habe  einen  Fall  gesehen,  der  mehr  als  30  Jahre  lang  immer  den  einen 
Tag  manisch,  den  andern  deprimiert  war;  und  dieses  Verhalten  änderte  sich  auch 
nicht,  als  die  Hirnatrophie  des  Alters  ihre  Symptome  zu  der  Schizophrenie  hinzutrug. 
Bei  einer  andern  Kranken  dauerten  die  Phasen  viele  Jahre  lang  25  Stunden;  der 
"Wechsel  fiel  dann  in  jede  Tageszeit  und  war  ein  momentaner.  Eine  Katatoikan 
war  lange  Zeit  an  einem  Tage  verhältnismäßig  gut,  arbeitete,  aß  sehr  viel,  sprach 
aber  wenig.  Am  andern  Tage  war  sie  Stupores,  negativistisch,  mibeweglich,  absti- 
nierte.  —  Eine  chronisch  Katatonische  war  regelmäßig  jeden  zweiten  Tag  aufgeregt, 
schrie  und  verbigerierte ;  an  den  anderen  Tagen  war  sie  stuporös,  lenksam;  gab 
man  ihr  an  den  Lärmtagen  Schlafmittel,  so  wurde  der  Zyklus  ver- 
schoben; sie  blieb  an  diesem  Tage  ruhig,  lärmte  aber  am  folgenden. 

Es  handelt  sich  also  bei  diesen  kurzen  Perioden  ebensowenig  wie  bei  den 
längeren  immer  um  manisch-depressive  Sjonptome.  Alle  Arten  von  Aufregungen 
können  abwechseln  mit  allen  Arten  von  Darniederliegen  der  psychischen 
Tätigkeit.  Naecke  (505,  S.  645)  nennt  solche  Fälle  Katatonia  alternans; 
einer  seiner  Kjanken  war  jeweilen  zirka  25  Stunden  in  Erregung  und  zirka 
29  Stunden  im  Stupor  (vgl.  auch  Schubert). 

Merkwürdig  sind  diejenigen  Veränderungen  des  Bildes,  in  denen  die  Kranken 
meist  imter  psychischen  Einflüssen  bald  ganz  in  den  Wahnideen  leben,  dann 
wieder  sich  an  die  Wirklichkeit  halten.  Meist  allerdings  sind  hier  die  Wechsel 
zwischen  den  einzelnen  Phasen  so  kurz,  daß  man  lieber  von  einem  einheitlichen 
Zustandsbild  mit  verschiedenem  Aspekt  spricht,  so  wenn  eine  Spätkatatonie 
zwei  Zustände  zeigt,  die  während  eines  einzigen  Gespräches  wechseln  können. 
Beispielsweise  war  der  erste  Zustand  in  einem  Falle  durch  Orientierung  in  der 
Umgebung  und  eine  gewisse  Einsicht  charakterisiert;  im  zweiten  hielt  die 
Patientin  den  Arzt  für  den  Teufel,  änderte  die  ganze  Umgebung  im  gleichen 
Sinne  und  kroch  angstvoll  unter  die  Decke. 

Man  sollte  natürlich  diejenigen  Fälle,  deren  Periodizität  von  innen  heraus- 
kommt, scharf  trennen  von  den  anderen,  die  nur  unter  psychischen  Einflüssen  bald 
Aufregungen,  bald  Ruhe  haben.  Wie  schon  aus  den  obigen  Andeutungen  hervor- 
geht, läßt  sich  aber  eine  solche  Trennung  nicht  recht  durchführen,  nicht  nur,  weil 
wir  die  Veranlassungen  der  einzelnen  Phasen  gar  nicht  immer  genau  kennen,  sondern 
namentlich  auch  deshalb,  weil  eben  oft  beide  Ursachen  zusammenkommen  müssen, 
um  den  Anfall  auszulösen  oder  zu  beendigen. 


b)  Altersgruppen. 

Die  Schizophrenie  ist  nicht  eine  Pubertätspsychose  im  strengen  Sinne, 
wenn  auch  die  meisten  Erkrankungen  bald  nach  der  Pubertät  manifest  werden! 
Bei  eimgermaßen  guter  Anamnese  kann  man  mindestens  ö^o  der  FäUe  in  die 
Kindheit,  und  zwar  bis  in  die  ersten  Lebensjahre  zurückverfolgen.  Dabei  lassen 
wir  die  Anomalien,  die  nicht  deutlich  schizophrenen  Charakter  haben,  ganz 


198 


Schizophrenie. 


unberücksiolitigt,  obsohon  wir  wissen,  daß  die  Krankheit  viele  Symptome  von 
allgemeinerer  Bedeutung  in  sich  schließt. 

Unterschiede  der  infantilen  Formen  gegenüber  den  anderen  kennen  wir 
vorläufig  nicht.  Bekommt  man  die  Kranken  im  Kindesalter  zur  Beobachtung, 
so  zeigen  sie  die  gleichen  Symptome  wie  die  Erwachsenen;  nur  ist  uns  bis  jetzt 
aufgefallen,  daß  eine  Analyse  dieser  Fälle  schwieriger  war.  Kinder  sind  sich 
zwar  nicht  in  ihren  Wünschen,  wohl  aber  im  Inhalte  derselben  wenigei  klar 
als  die  Erwachsenen;  möglicherweise  hängt  die  Schwierigkeit  damit  zusammen, 
vielleicht  aber  auch  mit  unserer  ungenügenden  Erfahrung  im  Umgang  mit  den 
Ideinen  Geisteskranken. 

Die  Prognose  der  vor  der  Pubertät  bei  uns  eingetretenen  Fälle  scheint 
für  die  nächsten  Jahre  eine  nicht  ganz  schlechte  zu  sein;  ich  erinnere  mich  nur 
an  zwei,  die  in  der  Anstalt  hängen  geblieben  sind.  Was  später  aus  ihnen  wird, 
weiß  ich  nicht.  Die  Anamnesen  der  Aufnahmen  Erwachsener  zeigen  aber,  daß 
wenigstens  ein  Teil  dieser  FrühlCTanken  rezidiviert  und  dann  meist  stark  verblödet. 

Die  Erkrankungen  des  zweiten  und  dritten  Jahrzehntes  sind  zum  großen 
Teil  die  hebephrenen  imd  katatonen  Formen,  während  im  vierten  Dezennium 
und  wenig  vorher  eine  gewisse  Vorliebe  für  paranoide  Formen  zu  bemerken  ist. 
Diese  nimmt  noch  einige  Zeit  zu,  so  daß  Kraepelin  eine  Form  des  „Bf:- 
einträchtigungswahnes",  die  wir  der  Schizophrenie  zuzählen  müssen,  als 
,, präsenile"  herausheben  konnte. 

Lugaro  (428)  hat  für  diese  Tatsachen  eine  ansprechende  Erklärung  ge- 
geben, die  aber  noch  der  Bestätigung  bedarf :  er  meint,  daß  die  anfertige  Psyche 
durch  den  Elrankheitsprozeß  mehr  geschädigt  werde  als  die  fertige,  vne  wir  ja 
wissen,  daß  alte  Erinnerungsbilder  durch  Zerstörungen  im  Gehirn  viel  weniger 
alteriert  werden  als  neue  Erwerbungen.  Die  Persönlichkeit  und  das  ganze  Ver- 
hältnis des  Menschen  zu  seiner  Umgebung  bildet  sich  um  bis  ins  dritte  Jahr- 
zehnt, muß  also  vor  dieser  Zeit  besonders  vulnerabel  sein,  während  die  gefestigte 
Persönlichkeit  des  späteren  Alters  zwar  verändert,  aber  nicht  so  restlos  vernichtet 
werden  kann.  Es  kann  aber  auch  sein,  daß  leichtere  „Disposition"  zugleich  zu 
späterem  Ausbruch  und  zu  geringerer  Alteration  der  Persönlichkeit  neigt. 

Jedenfalls  müssen  diese  Verhältnisse  durch  die  Stärke  des  Krankheits- 
prozesses eventuell  auch  durch  die  Intensität  psychischer  Faktoren  in  ehizehien 
Fällen  verändert  werden  können.  Denn  wir  sehen  Paranoide  auch  in  der  Puber- 
tät erkranken,  und  vor  allem  wissen  wir,  daß  es  auch  Spätkatatonien  gibt. 
Kraepelin  hat  zuerst  auf  die  nicht  seltenen  Fälle  aufmerksam  gemacht,  die 
in  der  Involutionsperiode  an  einer  anscheinend  gewöhnlichen  Melancholie 
erkranken,  dann  aber  katatone  Symptome  bekommen  und  schließlich  in  katatone 
Verblödung  übergehen.  Es  ist  hinzuzufügen,  daß  in  jeder  Periode  des  späteren 
Alters  die  gleichen  Formen  auftreten  können  wie  früher.  Ob  sie  Rezidive  oder 
Exazerbationen  einer  früheren  Erkranlcung  sina,  können  wir  noch  nicht  ent- 
scheiden; doch  haben  wir  noch  keinen  Fall  gesehen,  bei  dem  wir  einen  früheren 
Beginn  sicher  ausschließen  durften. 

c)  Ätiologische  Gruppierungen 

gibt  es  in  der  Schizophrenie  nach  unserem  jetzigen  Wissen  nicht.  Wir  müssen 
annehmen,  daß  durch  Kopftraumen  schizophrene  Krankheitsbilder  erzeugt 


Untergruppen.  Ätiologische  Gruppierungen. 


199 


oder  ausgelöst  werden  können;  sicher  ist  es,  daß  Fieberzustände  und  normale 
Puerperien  Schübe  von  Schizophrenie  im  Gefolge  haben  können,  ja  daß  der 
erste  Anfall  sich  manchmal  an  solche  Vorgänge  anschließt.    Wir  kennen  aber 
keine  bestimmten  Typen  oder  Symptome,  die  einer  solchen  Ätiologie  entsprechen. 
DieHaftpsyohosen  besitzen  zwar  ein  der  veranlassenden  Ursache  entsprechen- 
des Gepräge;  es  handelt  sich  aber  hier  nicht  um  Charakterisierung  der  ganzen 
Krankheit,  sondern  um  die  der  Symptome.  Der  „Haftkoraplex"  äußert  sich  in  dem 
Wiuische,  befreit  zu  werden,  oft  in  dem  Bedürfnis  unschuldig  zu  sein  oder  wenig- 
stens so  zu  gelten.   So  hört  der  Ki'anke  eines  Tages  den  Direktor  oder  einen 
Engel  oder  sonst  eine  kompetente  Person  sagen,  daß  er  freigesprochen  sei,  oder 
daß  er  entlassen  werde.  Er  wird  gehobener  Stimmung  —  aber  nicht  entlassen. 
Es  sind  eben  Feinde  da,  die  ihn  gefangen  halten  wollen;  sie  lassen  ihn  trotz 
Verfügmi^en  von  kompetenter  Stelle  nicht  gehen;  sie  verhindern  die  Boten,  zu 
ihm  zu  kommen;  sie  fangen  an  ihn  zu  quälen,  lassen  giftige  Gase  in  seine  Zelle 
strömen,  mißhandeln  ihn  in  der  Nacht,  machen  ihm  schreckhafte  Bilder  vor. 
So  wird  er  zuerst  gereizt,  dann  lärmend  und  gewalttätig,  kommt  in  psychiatri- 
sche Behandlung,  -wo  der  psychisch,  ausgelöste  Anfall  in  vielen  FäUen  verhältnis- 
mäßig rasch,  d.  h.  meist  in  einigen  Wochen  abldingt  und  die  chronische  Schizo- 
phrenie in  irgend  einer  Form  zurückläßt.  Nicht  immer  natürlich  verläuft  der 
Anfall  in  dieser  Weise.  Statt  sich  bloß  gerechtfertigt  zu  fühlen,  kann  der  Sträf- 
ling zum  Weltverbesserer,  zum  zweiten  Erlöser  werden.    Die  Verfolgungen 
werden  dann  längere  Zeit  etwas  besser  ertragen.   Es  kann  auch  vorkommen, 
daß  schon  der  Untersuchungsgefangene,  besonders  wenn  er  Alkoholiker  ist, 
an  einer  akuten  Psychose  erkrankt.   Er  sieht  dann  etwa  in  einem  zusammen- 
hängenden Delirium  alle  möglichen  Versuchungen,  Anstalten  zu  seiner  Erlösimg, 
die  er  mit  der  Erlösung  der  Menschheit  überhaupt  identifiziert;  nach  mehr- 
tägigen Erlebnissen,  die  die  Apokalypse  übertrumpfen,  wird  er  endlich  feierlich 
in  den  siebenten  Himmel  aufgenommen  —  die  Haft  kann  ferner  einen  Gans  er- 
sehen Zustand  oder  das  Faxensyndrom  auslösen.  —  Natürlich  kann  auch  bei 
schizophrenen  Sträflingen  der  „Haftkomplex"  wirkungslos  bleiben;  dann  sieht  die 
entsprechende  Schizophrenie  eben  auch  in  dieser  Beziehung  aus  wie  irgend  eine 
andere. 

Oder  es  kann  vorkommen,  daß  wie  bei  anderen  Psychopathen  der  Haß 
gegen  die  Gesellschaft  und  das  vöUige  Versagen  jeden  Ausweges  zu  einem  zer- 
störenden Wutanfall  führt  (Zuchthausknall).  Leute  der  letzteren  Kategorie 
können  nach  em  paar  Stunden  wieder  in  dem  ruhigen  früheren  Zustande  sein, 
der  besonders  leicht  nach  dem  Schlafe  der  Erschöpfung  eintritt.  • 

Besondere  Erwähnung  verdienen  auch  die  „Menstruationspsychosen". 
Schon  die  gewöhnlichen  schwereren  Fälle  in  den  Anstalten  sind  zu  einem  be- 
trächtHchen  Teil  während  der  Menstruation  stärker  aufgeregt.  Ganz  leichte 
Falle  können  viele  Jahre  lang  nur  während  der  Periode  Icrank  erscheinen.  Solche 
Zustande  kommen  als  Residuen  nach  akuten  AnfäUen,  als  Vorläufer  von  schwere- 
ren Erkrankungen,  aber  auch  ohne  weitere  Komplikationen  vor;  im  letzteren 
i'alle  können  sie  heilen,  namentlich  im  Klimalcterium. 

Ich  kannte  eine  in  Haushalt  und  Geschäft  tüchtige  Frau,  die  während  mehr 
m  t  .Tw.«  V  T,  t^uation  deutlich  schizophrene  Verstimmungen  hatte 

mit  etwas  Verfolgungswahn,  Suiz.dtncb,  schizophrenem  Gedankcnaano-  nnd  schizo- 


200 


Schizophrenie. 


phrener  Reaktion  auf  ihre  Kiaukheit.  Sie  ist  seit  einigen  Jaliren  frei  von  manifesten 
Symptomen.  In  diesem  Falle  lag  Verwechslung  mit  maniscli-depressiver  Ver- 
stimmung sehr  nahe. 

d)  Gruppierung  nach  der  Intensität  der  Krankheitserscheinungen. 

Von  den  latenten  Schizophrenien  bis  zu  den  schwersten  gibt  es  alle  Über- 
gänge. Hier  sind  nur  besonders  zu  erwähnen  die  letalen  Fälle.  Sie  haben, 
soviel  ich  weiß,  alle  katatonischen  Charakter.  Natürlich  zählen  wir  hierzu  nicht 
diejenigen  Fälle,  die  aus  Nahrangsmangel,  an  Erschöpfung  bei  beständiger 
Bewegung,  an  Infektionen  durch  die  Verletzungen  oder  au  gehäuften  epilepti- 
formen  Anfällen  zugrunde  gehen.  Die  von  solchen  Einflüssen  unabhängigen 
Schwankungen  des  Kräftezustandes  können  so  weit  gehen,  daß  die  Nahrung 
überhaupt  nicht  mehr  assimiliert  wird.  Trotz  künstlicher  Ernährung  und  aller 
Sorgfalt  der  Behandlung  gehen  die  Patienten  an  Atrophie  zugrunde;  meist  inner- 
halb einiger  Wochen  oder  Monate. 

Es  gibt  aber  auch  eine  andere  Gruppe,  die  an  einer  Art  katatoner  Hirn- 
lähmung umzukommen  scheint.  Die  Patienten  gleichen  zunächst  ganz  den 
gewöhnlichen  Schizophrenen,  fallen  aber  bald  durch  eine  gewisse  Kjaftlosigkeit 
auf;  trotz  der  motorischen  Erregung  sind  die  Bewegungen  nicht  ausgiebig, 
nicht  kräftig;  die  Verbindung  mit  der  Außenwelt  erscheint  eine  ungenügende, 
man  bekommt  gar  kein  Verhältnis  zu  ihnen,  auch  nicht  das  negative  wie  bei 
vielen  anderen  Katatonien;  wenn  sie  reagieren,  reagieren  sie  langsam  auf  Anreize 
von  außen.  Der  Mund  wird  nicht  mehr  gereinigt,  der  Lidschlag  wird  selten, 
oder  hört  ganz  auf;  trotz  aller  Gegenmaßregeln,  die  allerdings  von  den  wider- 
spenstigen Kranken  möglichst  erschwert  werden,  gibt  es  nekrotische  Stehen 
in  der  Kornea,  unter  Umständen  auch  Dekubitus  der  äußeren  Haut,  die  Farbe 
wird  fahl,  und  die  Patienten  gehen  innerhalb  weniger  Wochen  zugrunde.  Daß  es 
sich  um  Schizophrenien,  wie  alle  andern,  handeln  kann,  beweist  nicht  nur  die 
Symptomatologie  der  letalen  Fälle,  sondern  vor  allem  der  Umstand,  daß  solche 
lischeinungen  bei  Kranken  auftreten  können,  bei  denen  die  Diagnose  schon 
lange  vorher  gesichert  ist.  Auch  längst  abgelaufene,  stillstehende  Fälle  können 
plötzlich  eine  Hirnlähmung  bekommen,  die  in  wenigen  Tagen  zum  Tode  führt. 


III.  Abschnitt. 

Der  Verlauf. 


A.  Der  zeitliche  Verlauf. 

•  Alle  die  verschiedenen  Verlaufsweisen  der  Schizophrenie  zn  schildern 
ist  unmöglich.  In  den  Lehrbüchern  findet  man  nicht  die  häufigsten  Variationen, 
sondern  diejenigen,  die  am  leichtesten  zu  beschreiben  sind.  Am  nächsten  kommt 
man  wohl  der  Wirklichkeit,  wenn  man  sich  Idar  macht,  daß  nur  die  Verlaufs- 
richtung nach  der  schizophrenen  Demenz  hin  bestimmt  ist,  daß  aber  im 
einzekien  die  Krankheit  zeitlich  und  qualitativ  ziemlich  regellos  verlaufen  kann; 
kontinuierliches  Fortschreiten,  Stillestehen,  Schübe,  Kemissionen  sind  jederzeit 
möglich^). 

Man  glaubte  früher,  dem  Ziele  näher  zu  sein.  Für  ihre  Hebephrenie  hatten 
Kahlbaum  und  Hecker  den  sicheren  Ausgang  in  Verblödung  angenommen. 
Kahlbaums  Katatonie  sollte  einen  ganz  bestimmten  Zyklus  von  verschiedenen 
Stadien  durchmachen  2).  Diese  und  noch  manche  von  anderen  aufgestellte 
Kegel  hat  sich  als  unrichtig  erwiesen. 

Immerhin  gibt  es  eine  Anzahl  von  Fällen,  die  sich  einigermaßen  in  ein 
Schema  einreihen  lassen.  Viele  Schizophrenien  werden  mit  einer  akuten 
Erregung  manifest.  Während  der  Erregung  sinkt  das  Niveau  der  Intelligenz 
oft  so,  daß  man  nach  dem  ersten  Anfalle  schon  von  Blödsinn  sprechen  kann 
(,, sekundärer  Blödsinn"  der  Autoren);  oder  das  akute  Syndrom  hinterläßt 
chronische  Halluzinationen  und  Wahnideen  (,, sekundäre  Paranoia").  Der  Anfall 
kann  sich  wiederholen,  wobei  die  Intelligenz  jedesmal  weiter  herimtergesetzt 
wird;  oder  nur  bei  einem  einzelnen  von  mehreren  Anfällen  bemerkt  man  den 
Sturz  des  geistigen  Niveaus.  Der  Begriff  der  „selnindären"  Zustände  hält  aber 

^)  Es  gibt  viele  Mitteilungen  über  ,, ungewöhnlichen  Verlauf"  hierher  gehörender 
Krankheitsbilder.  Keiner  der  mir  bekannt  gewordenen  Fälle  hatte  etwas,  was  nicht  jeder 
beschäftigte  Irrenarzt  in  prinzipiell  gleicher  Weise  schon  oft  gesehen  hat.  Der  Autor  hat 
sich  jeweilcn  einen  „gewöhnlichen  Verlauf"  konstruiert,  der  aber  der  Wirklichkeit  nicht 
gerecht  wird.  Das  Ungewöhnliche  liegt  dann  nur  darin,  daß  der  Autor  in  einem  besonders 
eklatanten  Falle  die  Abweichung  von  seinem  Schemen  bemerkte. 

^)  Allerdings  ist  anzunehmen,  daß  er  selbst  ebensowenig  wie  ich  einen  ganz  nach 
seinem  Schema  verlaufenden  Fall  gesehen  habe;  denn  er  publiziert  nicht  eine  einzige 
Krankengeschichte,  die  in  seinem  Sinne  typisch  wäre. 


202 


Schizophreuie. 


den  Tatsachen  nicht  einmal  in  diesen  Fällen  mit  alaitem  „Beginn"  Stand,  indem 
die  „Verblödimg"  auch  nach  Beendigung  des  akuten  Syndroms  noch  Fort- 
schritte macht  oder  —  gar  nicht  selten  —  erst  einige  Zeit  nach  dem  Abklingen 
der  Erregung  einsetzt.  Es  gibt  indes,  soviel  wir  wissen,  keine  akuten  Formen, 
die  notwendig  einen  dauernden  Ausfall  bedingen  müssen^).  Die  Dämmer- 
zustände verlaufen  in  der  Regel  gut. 

Die  akuten  Episoden  können  einige  Stunden  bis  Jahre  dauern  Diejenigen 
die  wir  in  die  Irrenanstalten  bekommen,  sind  zum  größten  Teil  in  einer  Anzahl 
von  Monaten  abgelaufen.    Sie  können  einzeln  vorkommen  oder  sich  beliebig 
oft  wiederholen. 

Den  Formen  mit  akuten  Syndromen  aller  Arten  ist  die  einfache  Schizo- 
phrenie gegenüberzustellen,  da  sie  am  häufigsten  gleichmäßig  schleichend 
verläuft  imd  Dezennien  zu  ihrer  Entwicklung  gebrauchen  kann,  ohne  daß  Schübe 
oder  Eemissionen  zu  bemerken  wären.  Es  gibt  aber  auch  einfache  Verblödungen, 
die  von  einem  Tage  auf  den  andern  eine  solche  Höhe  erreicht  haben,  daß  die 
Patienten  vollständig  arbeits-  und  gesellschaftsunfähig  sind.  (Allerdings  weiß 
ich  nicht,  ob  die  wenigen  Fälle,  die  ich  so  habe  verlaufen  sehen,  nicht  später 
akzessorische  Symptome  bekommen  haben.)  Viele  Verblödungen  verlaufen 
aber  ganz  unregelmäßig,  zeitigen  dann  meist  akute  Syndrome  und  werden  des- 
halb nicht  zur  einfachen  Schizophrenie  gerechnet. 

Auch  das  Paranoid  hat  eine  gewisse  Vorliebe  zu  chronischem  Verlauf. 
Da  wir  aber  hier  nicht  die  unkomplizierten  Fälle  von  vornherein  abtrennen, 
sind  bei  dieser  Gruppe  —  ganz  abgesehen  von  den  ,, sekundären"  Fällen  — 
Schübe,  interkurrente  Aufregungen  und  Remissionen  sehr  häufig ;  doch  kommen 
die  Schultypen  mit  ziemlich  gleichmäßig  verlaufender  ganz  flacher  Kurve  vor. 

Ein  subakut  beginnendes  und  dann  viele  Jahre  stabiles  Paranoid  ist  die 
Dementia  paranoides. 

Die  unregelmäßig  verlaufenden  Fälle  sind  die  häufigsten.  Sie  zu  beschreiben 
'ist  unmöglich.  Einige  Beispiele  sollen  sie  charakterisieren. 

Bäuerin.  17  Jahre  alt.  Katatonie  von  zwei  Jahren  Dauer.  Nachher  Kranken- 
schwester; nach  zwei  Jahren  entlassen.  Dann  Hebamme;  Heirat.  Der  Mann  kam 
schwer  mit  ihr  aus;  sie  duldete  z.  B.  nicht,  daß  er  bei  der  Arbeit  singe.  Unbegründete 
Sympathien  und  Antipathien.  38  Jahre  alt  wieder  leichte  Katatonie  von  sechs 
Monaten  Dauer.  Seitdem  Avieder  acht  Jahre  draußen  arbeitend,  aber  nicht  mehr 
als  Hebamme. 

Kaufmann.  20.  Jahr  Kopfweh.  21.  Jahr  innere  Angst.  Idee  geisteskrank  zu 
werden.  Abulie;  arbeitete  aber  tadellos.  Besserung.  22.  Jahr  gleiche  Symptome 
wie  früher,  nur  stärker;  nun  arbeitsunfähig. 

Grußputzer.  In  Jünghngsjahren  Bein  Verletzungen ;  als  man  ihn  elektrisierte, 
meinte  er,  das  fahre  ihm  aufs  Herz.  28.  Jahr  Anfälle  von  Beklemmung  zur  Zeit  der 
Heirat.  „Geistig  immer  gesund."  Seit  35.  Jahr  nach  Influenza  immer  Kopfweh. 
46.  Präkordialangst  in  Anfällen,  Schlaflosigkeit,  Geistesabwesenheit,  Unverträglich- 
keit, stummes  Brüten;  Verfolgungs-  und  Kleinheitswahn,  Suizidversuch.  Anstalt. 
Besserung. 

Seidenweber.  Intelligent.  15.  Jahr  religiös,  Größenwahn.  20.  Jahr  katatoni- 
sche Tobsucht,  gebessert.  27.  Jahr  Blödsinn  konstatiert.  29.— 31.  Katatonie.  Bis 

1)  Die  mit  Benommenheit  verbundenen  Syndrome  habe  ich,  seit  ich  sie  von  den 
anderen  abtrenne,  nur  in  nicht  zahh-eichen  schlimm  ausgclienden  Fällen  gesehen. 


Verlauf.  Zeitlicher  Verlauf. 


203 


55.  Jahr  fleißiger  stiller  Weber,  der  die  Eltern  und  sich  selbst  erhielt.  55.  Selbst- 
kastratiou;  seitdem  still  in  der  Anstalt,  mit  einigen  katatonen  Symptomen,  meist 
ein  wenig  arbeitend. 

Kaufmannsfrau.  29.  Jahr  Leberleiden,  Verstimmung,  hysteriforme  Krämpfe; 
seitdem  bei  jeder  Periode  bös,  verstimmt;  zeitweise  Trunksucht.  35.  Jahr  Verfolgungs- 
wahn; nach  einigen  Monaten  Anstaltsaufenthalt  „geheilt",  blieb  aber  aufbrausend. 
37.— 40.  Jahr  alhnähliche  Entwicklung  von  immer  blöderem  halluzinatorischem 
Paranoid. 

Haushälterin.  Auffallend  religiös.  Nach  der  Pubertät  mehrmonatliche  Melan- 
cholie; eine  Stimme  flüsterte  ihr,  was  sie  in  einem  Briefe  schreiben  sollte.  Dann 
10  Jahre  lang  das  „Ideal  einer  Magd",  sehr  anhänglich,  verträglich,  gewissenhaft. 
Dann  mehrere  Jahre  dauernder  manischer  Zustand  mit  blöden,  religiös-erotischen 
Wahnideen.   Später  wieder  in  Stellung. 

Fabrikarbeiterin.  Kurz  nach  erster  Menstruation  einige  Wochen  manisch. 
Dann  gesund,  nur  reizbar,  zurückgezogen,  fühlte  sich  verspottet,  lachte  vor  sich  hin. 
21.  Jahr  blöder  manischer  Wahnsinn;  geheilt  entlassen.  Bis  33  gesund.  Dann  ver- 
wirrter religiöser  Wahnsinn;  wieder  geheilt;  hielt  aber  nicht  mehr  an  den  Stellen 
aus.  Nach  zirka  fünf  Jahren  allmähliche  Ausbildung  einer  halluzinatorischen  Ver- 
wirrtheit, aufgeregt,  auch  in  der  Anstalt  nicht  mehr  arbeitsfähig. 

Bauer.  25.  Jahr  Schlaflosigkeit.  28.  Dämmerzustand,  einige  Monate;  Heilung 
über  Nacht.  ,, Gesund"  bis  30.  Jahr,  nur  am  Leichenbegängnis  eines  suizidierten 
Nachbars  einen  Tag  aufgeregt.  Wenn  er  die  frühere  Geliebte  sah,  je  einen  Tag  stumpf, 
mutistisch,  abstinierte.  31.  schrieb  ihm  die  Geliebte  einen  Brief;  darauf  plötzliche 
schwere  deprimierte  Katatonie.  Nach  fast  einem  Jahre  Besserung.  Arbeitsfähig 
entlassen.  Ein  Jahr  später  Suizid. 

Bauernknecht.  Mit  20  Jahren  Idee,  ein  großes  Vermögen  zu  erben;  trinkt; 
macht  Neologismen.  Mit  49  Jahren  mimotivierter  Wutanfall,  in  dem  er  alles  zu- 
sammenschlägt. Irrenanstalt.  Nach  einigen  Wochen  arbeitsfähig  entlassen. 

Vorzüglicher  Schüler.  Vom  16.  Jahr  an  mit  jedem  Jahr  schlechter,  ungleich. 
Dennoch  gute  Maturität  mit  19  Jahren ;  infolge  einer  Gonorrhöe  aufgeregte  Depression. 
Wieder  besser,  verlangte  aber  einen  Beruf  mit  körperlicher  Arbeit.  Bald  darauf 
schM^ere  Katatonie,  definitive  Verblödung. 

Frau.  Im  10.  Lebensjahr  in  die  Irrenanstalt.  Mit  20.  Jahr  „verrückt"  in- 
folge eines  Notzuchtattentates,  dann  anscheinend  gesund.  Mit  71  Jahren  wieder 
in  die  Anstalt  (Bertschi nger  295). 

Frau.  Nach  der  Pubertät  depressive  Katatonie.  Galt  dann  als  gesund.  Heiratete, 
hatte  Kinder.    Dann  in  den  Siebziger  jähren  melancholisch-schizophrener  Anfall. 

Arzt.  Mit  29  Jahren  Zerebralneurasthenie.  31jährig  nach  Tvphus  Katatonie. 
47 jährig  geheilt;  bald  Wiederaufnahme  der  Praxis,  Heirat.  Seit  zwei  Jahren  gesund. 
(Schäfer,  Monatschr.,  22  Ergh.  72). 

Bei  allen  Verlaufsarten  können  zu  jeder  Zeit  E xa zer  b atio ne n  auftreten, 
sei  es,  daß  der  chronische  Zustand  sich  verschlimmert,  sei  es,  daß  akzessorische 
Symptome  auftreten  oder  auch,  daß  aluite  Episoden  irgend  einer  Art  sich  ein- 
stellen. Solche  Verschlimmerimgen  können  von  innen  heraus  kommen,  aber 
auch  durch  physische  Einwirkungen,  wie  eine  Alkoholintoxikation,  und  vor  allem 
durch  langsam  oder  schockartig  wirkende  psychische  Ursachen  ausgelöst  werden. 

Sind  die  Verschlimmerungen  Wiederholungen  akuter  Zwischenfälle, 
oder  treten  sie  nach  weitgehenden  Remissionen  auf,  so  nennen  wir  sie  Rezidive' 
Diese  kopieren  häufig  die  früheren  AnfäUe  mehr  oder  weniger,  können  aber  auch 
einen  neuen  Charakter  annehmen. 


204 


Schizophrenie, 


Ist  einmal  ein  relativ  stabiler  Zustand  erreicht,  so  sind  die  Schübe  nicht 
mehr  häufig.  Bei  etwa  200  Kranken  der  Pflegeanstalt.  Rheinau,  die  meist  schon 
beim  Eintritt  viele  Jahre  Kranldieit  hinter  sich  hatten,  fand  ich  nach  10  Jahren 
wenig  mehr  als  ein  Dutzend,  die  sich  wesentlich  verschlimmert  hatten. 

Bei  dem  Material  unserer  Anstalten  sind  aber  volle  Stillstände,  wie 
mir  scheint,  doch  nicht  so  häufig.  Wenn  man  auch  meist  nichts  von  einem 
Fortschritt  der  Verblödung  bemerkt,  solange  man  im  täglichen  Kontakt  mit 
seinen  Kranken  ist,  so  fällt  doch  eine  Verschlimmerung  gewöhnlich  auf,  wenn 
man  sie  wieder  mustert,  nachdem  man  sie  viele  Jahre  nicht  mehr  beobachtet 
hat.  Auch  draußen  macht  sich  dieses  Fortschreiten  der  Ej-ankheit  bemerkbar. 
Die  meisten  Patienten  unserer  Pflegeanstalt  sind  erst  im  vierten  oder  fünften 
Dezennium,  also  lange  nach  ihrer  Erlcranlamg  eingebracht  worden.  Das  muJ3 
seine  Gründe  auch  in  der  allmählichen  Zunahme  der  asozialen  Eigenschaften 
haben,  nicht  nur  in  den  äußeren  Umständen  (daß  die  Umgebung  ihrer  über- 
drüssig wird,  daß  die  Eltern  wegsterben  usw.).  Der  Ausgang  eines  einzelnen 
Anfalles  oder  Anstaltsaufenthaltes  ist  also  in  keiner  Weise  gleich- 
wertig mit  dem  Ausgang  der  Krankheit.  Andererseits  ist  es  sicher, 
daß  von  den  leichteren  FäUen,  die  draußen  ihren  Unterhalt  verdienen,  ein 
großer  Teil  sich  auch  in  Jahrzehnten  nicht  verschlimmert. 

Wirkliche  Stillstände  können  zu  jeder  Zeit  eintreten,  sind  aber  natürhch 
in  chronischen  Zuständen  nicht  so  auffallend  wie  in  akuten.  Bilden  sich  während 
eines  Stillstandes  gar  eine  Anzahl  von  Symptomen  zurück,  so  zählen  wir  sie 
zu  den  Kemissionen^). 

Besondere  Beachtung  verdienen  die  gar  nicht  seltenen  ganz  plötzlichen 
Remissionen  mitten  in  akuten  Anfällen,  namentlich  in  solchen  mit  dem 
Charakter  des  Wahnsinnes  oder  der  Katatonie :  dem  Laien  können  solche  Kranke 
dann  ganz  normal  erscheinen.  Bei  genauerem  Zusehen  findet  man  aber  eine 
merkwürdige  Indifferenz  wenigstens  gegen  das  im  Anfall  Geschehene. 

Ein  Dienstmädchen  fängt  beim  Aufwaschen  plötzlich  zu  toben  an,  zerschlägt 
das  Geschirr,  macht  großen  Lärm.  Als  endlich  Hilfe  kommt,  findet  man  die  Kranke 
ganz  ruhig  und  besonnen  mit  Aufräumen  beschäftigt;  sie  begreift  aber  nicht,  daß 
man  soviel  Aufsehens  davon  macht.  Nach  einem  halben  Tage  beginnt  das  Toben 
von  neuem  und  hält  dann  viele  Wochen  lang  an.  —  Einer  unserer  verwirrt  auf- 
geregten Katatoniker  hatte  sehr  oft  solche  Akalmien,  die  man  dazu  benutzte,  ihn 
zu  nähren. 

Momentane  Remissionen  treten  auch  etwa  im  späteren  Verlauf  ein;  sie 
können  auch  da  einige  Stunden  dauern  oder  so  lange,  daß  sie  in  eigentliche 
Besserungen  übergehen,  wenn  auch  die  plötzlichen  Heilungen  eher  einen  baldigen 
Rückfall  erwarten  lassen  als  die  langsameren. 

Definitive  oder  vorübergehende  Besserungen  kommen  teils  spontan 
vor  teils  im  Anschluß  an  eine  psychische  Einwirkung,  eine  Versetzung,  eme 
Entlassung,  einen  Besuch,  einen  Wickel,  ja  nach  einer  Chloroformnarkose 
(Näcke  und  Steinitz)^).  Sie  sind  wohl  in  chronischen  Zuständen  bedeutend 
seltener  als  in  akuten,  fehlen  aber  auch  da  nicht. 

1)  Andere  nennen  sie  auch  Intermissionen  und  Heilungen. 

2)  Ich  selbst  habe  sehr  ^dele  Chloroformnarkosen  ausgeführt,  ohne  einen  solchen 
Effekt. 


Verlauf.  Beginn. 


205 


Für  die  chroniscli  aufgeregten  Fälle  gilt  es  als  Regel,  daß 
sie  nacli  Jahren  ruhiger  werden.  Dieser  Prozeß  vollzieht  sich  auf  die  ver- 
schiedensten Ai-ten.  Viele  werden  insofern  wirHich  besser,  als  sie  weniger 
halluzinieren  und  weniger  Wahnideen  bilden.  Bei  anderen  allerdings  ist  die 
Beruhigimg  zugleich  eine  Verblödimg,  indem  die  Kranken  nicht  mehr  die  Kon- 
sequenz besitzen,  nach  ihren  Ideen  zu  handehi.  Die  Affekte,  die  an  die  krank- 
haften Erscheinungen  geknüpft  sind,  verblassen  auf  verschiedene  Weise,  zum  Teil 
wohl  wie  bei  Gesunden,  indem  man  sich  eben  an  die  Unannehmlichkeiten  ge- 
wöhnt, aber  auch,  indem  sie  einfach  abgespalten  werden.  So  können  sich  manche 
Patienten  nach  Jahr  und  Tag  wieder  mit  der  Wirklichkeit  einigermaßen  ab- 
finden; sie  werden  sogar  gelegentlich  außerhalb  der  Anstalt  wieder  erwerbs- 
fähig, ohne  daß  intellektuell  eine  Besserimg  wahrzimehmen  wäre. 


Über  den  qualitativen  Verlauf  der  schizophrenen  Symptomatologie 
ist  zurzeit  nur  folgendes  zu  sagen:  Obgleich  in  keinem  Falle  das  Hinzukommen 
und  Verschwinden  beliebiger  Symptome  auszuschließen  ist,  behalten  doch  die 
meisten  Kranken  während  des  ganzen  Verlaufs  ihren  Typus  ungefähr  bei.  Der  Kata- 
toniker  hat  katatone  Symptome  sowohl  im  akuten  wie  im  chronischen  Zustande; 
beim  Paranoiden  sind  die  Halluzinationen  und  Wahnideen  beständig  im  Vorder- 
grund ;  die  akuten  Zustände  bevorzugen  die  affektiven  und  dämmerigen  Störungen. 

Aber  Wechsel  nach  allen  Richtungen  sind  nicht  selten.  Katatone  oder 
paranoide  Symptome  können  verschwinden,  so  daß  eine  anfängliche  Katatonie 
oder  ein  Paranoid  später  einer  einfachen  Hebephrenie  gleicht.  Oder  hebephrene 
Aufregungen  irgendwelcher  Art  werden  oft  in  späteren  Wiederholungen  mit 
katatonen  Symptomen  gemischt^).  Überhaupt  zeigen  sich  oft  ausgesprochene 
Verschlimmerungen  durch  (chronische)  katatone  Symptome  an.  Leider  sind 
wir  noch  lange  nicht  imstande,  alle  diese  Fälle  zum  voraus  zu  erkennen. 

Oft  allerdings  handelt  es  sich  bei  solchen  Übergängen  von  einer  Gruppe 
in  die  andere  nur  um  einen  Wechsel  des  Grades.  In  Remissionen  sehen  ja  die 
Fälle  aUer  drei  Gruppen  einander  ähnlich,  indem  nur  noch  die  allgemeinsten 
Symptome  zu  konstatieren  sind;  der  „geheilte"  Katatoniker  hat  natürlich 
nicht  mehr  manifeste  katatone  Symptome  als  der  Hebephrene.  Umgekehrt  gibt 
es  viele  leichte  Katatonien,  deren  Symptome  so  wenig  ausgesprochen  sind,  daß 
wir  sie  dem  Paranoid  zuzählen,  bis  Verschhmmerungen  uns  eines  Besseren  be- 
lehren. Immerhin  haben  die  meisten  dieser  letzteren  Fälle  von  Anfang  an  etwas 
besonders  Steifes,  psychisch  und  physisch  weniger  Bewegliches  als  die  eigent- 
lichen Paranoiden,  so  daß  man  die  weitere  Entwicklung  zum  voraus  wenigstens 
vermuten  kann. 

B.  Der  Beginn. 

Der  Beginn  der  Schizophrenie  ist  gewöhnlich  ein  schleichender,  obgleich 
die  Verwandten  meist  zunächst  ein  akutes  Einsetzen  behaupten.  Zwar°kann 

1)  Beispielsweise  ist  eine  unserer  liranken,  die  nur  fünf  Jahre  im  BurghölzH  war 
als  Hebephrenie  aufgenommen,  als  Paranoide  geführt,  als  Katatonie  in  die  Pflegeanstalt 
entlassen,  und  alle  drei  „Diagnosen"  waren  ganz  berechtigt 


206 


Scliizophrenie. 


goradezi]  von  einer  Minute  auf  die  andere  ein  halluzinatorischer  oder  katatoni- 
scher Zustand  ausbrechen;  eine  Patientin  Kahlbaums  wurde  beim  Einkauf 
m  einem  Bäckerladen  plötzlich  kataleptisch.  Hat  man  aber  eine  gute  Anamnese, 
so  vermißt  man  nur  ganz  ausnahmweise  vorhergehende  Zeichen  der  Krankheit' 
seien  es  nervöse  S}anptome  oder  Charakterveränderungen  oder  direkt  schizo- 
phrene Erscheinungen.  Charakterveränderungen  sind  allerdings  schwer  zu 
deuten,  wenn  sie  nicht  in  der  ausgesprochenen  Eichtung  der  Krankheit  ge- 
schehen sind,  oder  wenn  nicht  die  spätere  Krankheit  direkt  aus  diesem  Charakter 
herauswächst.  Wenn  z.  B.  ein  Mädchen,  das  während  der  ganzen  Schulzeit 
neben  hervorragenden  Leistungen  in  der  Musik  nur  mittelmäßigen  Lerneifer 
gezeigt  hat,  sich  gleich  nach  der  Pubertät  mit  einem  enormen  Eifer  in  alles 
hineinstürzt,  was  allgemeine  Bildung  heißt,  und  überhaupt  eine  an  ihm  früher 
nicht  gekannte  Energie  entwickelt,  bis  ein  ganz  plötzliches  katatones  Delir 
die  Verblödung  einleitet,  so  ist  es  unmöglich  zu  sagen,  ob  die  Veränderung  schon 
der  Krankheit  angehörte. 

Noch  häufiger  macht  die  Unterscheidung  des  schizophrenen  Charakters 
von  originären  Sonderbarkeiten  unüberwindliche  Schwierigkeiten.  Immerhin 
gibt  es  eine  Charakteranomalie,  die  sich  wohl  bei  mehr  als  der  Hälfte  der  späteren 
Schizophrenen  anamnestisch  nachweisen  läßt:  die  Neigung  zu  Zurück- 
gezogenheit, verbunden  mit  einem  höheren  oder  geringeren  Grade 
von  Keizbarkeit,  so  daß  die  Kinder  schon  sehr  frühe  auffielen,  weil  sie  nicht 
mit  den  anderen  spielten  und  dafür  ihre  besonderen  Wege  gingen.  Da  es  sicher 
ist,  daß  viele  Schizophrenien  als  solche  in  die  Jugend  zurückgehen,  und  da  viele 
manifeste  Krankheiten  als  einfache  Steigerungen  des  schon  bestehenden  Charak- 
ters erscheinen,  ist  es  mir  wahrscheinlich,  daß  diese  autistischen  Charakter- 
abnormitäten in  der  Regel  die  ersten  Symptome  selbst,  nicht  bloß  Ausdruck 
der  Disposition  waren.  Oft  findet  man  denn  auch  außerdem  intellektuelle  Eigen- 
tümlichkeiten, die  die  Kameraden  veranlassen,  den  Schizophreniekandidaten 
schon  sehr  früh  als  ,, verrückt"  zu  bezeichnen.  Von  den  zehn  späteren  Schizo- 
phrenen, die  ich  in  der  Schulzeit  kannte,  war  keiner  wie  die  anderen  Knaben. 

Sieht  man  ab  von  diesen  Auffälligkeiten  des  Charakters,  so  ist  der  Beginn 
der  Krankheit  dann  leicht  zu  erkennen,  wenn  ihn  eigentlich  schizophrene  oder 
wenigstens  psychotische  Erscheinungen  markieren.  Oft  aber  kann  auch  ein 
Geübter  in  den  ersten  Jahren  bei  der  genauesten  Sprechstundenuntersuchung 
keine  spezifischen  Symptome  konstatieren.  Daß  die  Verwandten  in  der  Regel 
die  ersten  Zeichen  einer  Geisteskrankheit  nicht  sehen  oder  nicht  sehen  wollen, 
ist  etwas  Gewöhnliches  und  macht  die  Diagnose  in  der  Sprechstunde  oft  geradezu 
unmöglich. 

Wenn  wir  also  von  Initialsymptomen  der  Schizophrenie 
reden,  so  müssen  wir  uns  im  folgenden  auf  die  ersten  Symptome, 
die  aufgefallen  sind,  beschränken;  zu  oft  kennen  wir  die  wirklich 
zuerst  auftretenden  Erscheinungen  gar  nicht^). 

Soweit  wir  wissen,  können  alle  Symptome  die  Szene  eröffnen. 

1)  Von  „Prodromen"  sprechen  wir  nicht.  Man  kann  Prodrome  eines  akuten  Anfalles 
und  interkurrenter  Erscheinungen  überhaupt  abtrennen  von  dem  ausgebildeten  Anfall, 
wenn  man  will.  —  Prodrome  einer  Krankheit  aber  kann  ich  mir  nicht  denken.  Was  so 
bezeichnet  wird,  sind  erste  Symptome,  die  man  noch  nicht  richtig  zu  deuten  weiß. 


Verlauf.  Beginn. 


207 


•  .    •     A     1  K,R  nn  äUorp  Ideen,  daß  die  Katatonie  in  der 
Knlilhanm  meinte  im  Anschluls  an  altere  luecu,  ^         ,  .  ,  ^  , 

Regel  mt  etrMeTlholie  beginne.  In  seinen  32  K-kenpseh.c^.ten  M 
aber  etwa,  wa,  ^an  als  Mela-bo,ie  de„^„  kann  nur  «^^^ 

auch  diesem  Bahnbrecher  der  Psychiatrie  den  Bück  trüben  konnte. 

Die  eigentliche  Intelligenzstör  u  ng  wird  recht  selten  von  der  Umgebung 
bemerkt,  obgleich  sie  oft  schon  weit  vorgeschritten  ist,  wenn  der  Kranke  in 
die  Anstalt  kommt.  Ganz  „verrückte"  Handlungen  mitten  im  normalen  Be- 
nehmen fallen  viel  mehr  auf,  werden  aber  gerne  wieder  vergessen,  wenn  der 
Patient  nicht  bald  schwerer  erkrankt. 

Ein  junger  Soldat  sollte  bei  der  Grenzbesetzung  dem  Major  sein  Gewehr  zur 
Inspektion  zeigen;  er  nahm  eine  drohende  Haltung  an  mit  den  Worten:  „Vivant 
je  ne  lächerai  pas  mon  fusil".  Erst  sechs  Jahre  später  wurde  die  querulierende  Schizo- 
phrenie manifest  (Yennacopoulos). 

Charakteranomalien,  die  nach  der  Pubertät  die  Krankheit  einleiten, 
können  die  verschiedensten  Seiten  des  schizophrenen  Charakters  hervorheben. 
Namentlich  Unbeständigkeit  und  Keizbarkeit  gehen  oft  ernsteren  Symptomen 
viele  Jahre  lang  voraus.  Auch  solche  Erscheinungen  können  vorübergehen 
oder  z.  B.  mit  der  Menstruation  periodisch  kommen  und  verschwinden. 

Neben  den  Charakteranomalien  sind  die  hysteriscben  und  neurastheni- 
schen  Symptome  wohl  die  häufigsten  Vorläufer  der  ausgesprochenen  Geistes- 
krankheit. Viele  Schizophrene,  namentlich  junge  Mädchen,  wandern  jahrelang 
mit  diesen  Diagnosen  von  Arzt  zu  Arzt.  Die  auch  hier  nicht  seltenen  Besserungen 
scheinen  dann  die  Annahme  einer  Neurose  zu  bestätigen. 

Schott  (666)  beschreibt  einen  solchen  Fall,  zu  dem  Neisser  (Mendels 
Jahresber.  1905,  1041)  bemerkt:  „Es  ist  sehr  interessant,  an  Hand  der  Kranken- 
geschichte zu  verfolgen,  wie  allmählich  die  geordneten  mid  ihrer  Beschaffenheit 
nach  nicht  besonders  auffälligen  Beschwerden  einen  immer  mehr  seltsamen,  bizarren, 
psychotischen  Charakter  annehmen  und  das  Verhalten  des  Patienten  immer  starrer, 
eigenwilliger  und  negativistischer  wurde."  In  solchen  Fällen  muß  man  annehmen, 
daß  nicht  der  Neurasthenische  später  schizophren  geworden  sei,  ebensowenig,  daß  die 
Neurasthenie  in  die  letztere  Kranlcheit  ,, übergegangen"  sei,  sondern,  daß  die  Schizo- 
phrenie im  Beginn  nur  neurasthenische  Symptome  im  Vordergrund  gehabt  habe. 

Diese  Leute  führen  manchmal  jahrelang  einen  verzweifelten  Kampf  mit 
ihrer  Krankheit,  bevor  sie  von  der  affektiven  Lähmung  oder  einem  halluzinatori- 
schen Zustand  überwältigt  werden.  Schüler  z.  B,  fühlen  sich  unfähig  zum  geistigen 
Arbeiten.  Sie  zwingen  sich  nächtelang  dazu,  versuchen  alle  möglichen  Mittel, 
nächtliche  Spaziergänge,  Tee,  Turnen  und  was  ihnen  in  den  Sinn  kommt.  Man 
hält  dann  ihre  Sonderbarkeiten  für  jugendliche  Launen,  während  die  Kranken 
schwer  unter  ihrem  Zustande  leiden. 

Unter  den  gewöhnlichen  neurasthenischen  Symptomen  ist  am  häufigsten 
das  Kopfweh,  das  sich  allerdings  meist  recht  launisch  verhält,  aber  weniger  deut- 
lich als  bei  der  Hysterie  unter  psychischem  Einfluß  steht.  Daneben  gibt  es  wohl 
kein  neurasthenisches  Symptom,  das  nicht  bei  der  Schizophrenie  vorkommen 


820 


Schizophrenie. 


könnte,  so  namentlich  die  Ermüdungserscheinungen  bei  geistiger  und  körper- 
licher Arbeit,  die  Unmöglichkeit  zu  denken,  die  noch  unangenehm  empfun- 
den wird. 

Häufig  wttd  in  der  Vorgeschichte  über  aufregende  Träume  geklagt,  die 
die  Kranken  noch  im  Wachen  verfolgen. 

Nicht  ganz  mit  Recht  zählt  man  auch  die  Zwangsideen  und  Zwange- 
impulse,  die  oft  jahrelang  den  anderen  Erscheinungen  vorausgehen,  hierher; 
sie  sind  ja  ebenso  oft  schizophrenen  wie  neurasthenischen  Ursprungs. 

Die  affektiven  Grundsymptome  treten  sehr  häufig  gleich  von  Anfang 
an  in  den  Vordergrund,  indem  die  Patienten  immer  gleichgültiger  erscheinen. 
Die  davon  prinzipiell  verschiedenen  manischen  und  melancholischen  Verstim.- 
mungen  eröffnen  gar  nicht  so  oft  die  Szene,  wie  der  Begriff  der  sekundären 
Psychosen  erwarten  ließe.  Doch  finden  sich  chronische  und  akute  Depressionen 
wohl  etwas  häufiger  am  Anfang  der  ausgesprochenen  Krankheit  als  andere 
Syndrome. 

Die  katatonen  Erscheinungen  können  chronisch  oder  noch  viel 
häufiger  in  Verbindung  mit  einer  akuten  Katatonie  das  erste  sein,  was  in  die 
Augen  fäUt,  während  paranoide  Symptome  oft  von  den  Patienten  jahrelang 
geschickt  verborgen  werden,  bis  irgend  ein  Zufall  sie  manifest  macht. 

Wenn  die  körperlichen  Symptome  zunächst  allein  auftreten,  so  ist 
es  erst  ex  post  möglich,  sie  in  Zusammenhang  mit  der  Psychose  zu 
bringen.  Alle  Arten  von  Anfällen  (Ohnmächten,  Krämpfe)  kommen  mitten 
in  anscheinender  Gesundheit  vor.  Wahrscheinlich  sind  diese  letzteren  Syndrome 
aber  viel  häufiger  im  Verlauf  der  ausgebrc  ebenen  Psychose  als  in  den  Zeiten  der 
sonstigen  Latenz. 

C.  Der  Ausgang, 
a)  Der  Tod. 

Die  Schizophrenie  als  solche  führt  kaum  in  1%  aller  Aufnahmen  zum  Tode: 
Direkt  durch  Hirndruck  infolge  von  Himschwellung  oder  Vermehrung  des 
Liquor  cerebrospinalis,  durch  Stoffwechselstörungen  (inkl.  autotoxische  Zu- 
stände) und  durch  Hirnlähmung  in  katatonen  respektive  epileptiformen  An- 
fällen. All  das  ist  häufiger  in  akuten  Stadien  als  in  chronischen. 

Letaler  Ausgang  als  indirekte  Folge  der  Psychose  ist  häufiger:  Nahrungs- 
verweigerung, Verletzungen  aus  Absicht  oder  Unachtsamkeit  i),  Selbstmord, 
Phthise^)  und  andere  Krankheiten  infolge  von  unhygienischer  Lebensweise. 
So  ist  die  Mortilität  der  Schizophrenie  etwas  höher  als  die  der  umgebenden  Be- 
völkerung. Bei  den  Patienten  der  Pflegeanstalt  Rheinau  verhalten  sich  beide 
Zahlen  wie  6-8  :  S-Q^). 

1)  In  chronischen  Fällen  scheint  die  Neigung  zu  Wundinfektionen  meist  auffallend 
gering.  Bei  akuten,  namentüch  bei  Verwirrtheitszuständen,  kann  sie  gesteigert  sein 

2)  Bei  uns  starben  nicht  mehr  Schizophrene  an  Phthise  als  in  der  umgebenden 
Bevölkerung.  Nach  manchen  Autoren  scheint  die  Krankheit  eine  besonders  häufige  Kom- 
plikation der  Dementia  praecox  zu  sein.  1  Ol  n/n 

8)  Kerner,  Mortahtät  der  Dementia  praecox.  Psych. -neur.  Wochenschr.,  1910/11. 


Verlauf.  Ausgang. 


209 


b)  Grad  der  Verblödung.  Heilungsmöglichkeit. 

Um  sioli  über  den  Ausgang  der  am  Leben  bleibenden  Fälle  unmißverständlich 
ausdrücken  zu  können,  .AlLeit  über  den  Begriff  der  I^ei^^^^^ 
Kraepelin  entläßt  einen  Teil  seiner  Patienten  „geheilt  ;  er  weiß  aber  daß  sich 
gewöhnlich  doch  noch  Uberreste  der  Krankheit  nachweisen  l^«««^-/^^ ^^^^I 
burg,  der  damals  die  nämlichen  Patienten  wie  Kraepelin  gesehen  hatte,  nannte 

^''""'zmiffsind  praktische!)  und  theoretische  Ausheilung  zwei  ganz  verschiedene 
Dincre  Wer  sich  wieder  draußen  selbständig  bewegen  kann,  der  ist  in  gewissem 
Sinne 'geheilt.  Solche  Leute  können  aber  eine  Menge  von  Sonderbarkeiten  und 
Empfindlichkeiten  aus  der  Krankheit  ins  Leben  hinausgenommen  haben.  Vom 
wissenschaftlichen  Standpunkt  aus  darf  man  sie  dann  nicht  geheilt  nennen;  denn  ein 
klarer  Begriff  der  Heilung  verlangt  eine  Restitutio  ad  integrum  respektive  den  status 

^Sobild  man  nicht  ausschließlich  die  Rückkehr  auf  den  früheren  Zustand  als 
Heilung  bezeichnet,  hängt  es  ganz  von  der  Willkür  ab,  bei  welchem  Grad  und  welcher 
Zahl  re°stierender  Symptome  man  die  Heilmig  annehmen  wolle;  und  wenn  man  die 
soziale  Restitution  als  Maßstab  nimmt,  so  sprechen  Faktoren  mit,  die  außerhalb 
des  Patienten  liegen,  indem  ein  Bauernknecht  auch  mit  einem  ziemlichen  Defekt 
noch  handlungs-  und  erwerbsfähig  sein  mag,  während  eine  ganz  kleine  psychische 
Narbe  einen  Großkaufmann  oder  Bankier  unfähig  machen  kann,  seinem  Geschäft  vor- 
zustehen. Auch  der  Grad  der  Empfindlichkeit  der  Angehörigen  müßte  unter  Um- 
ständen die  Frage,  ob  geheilt  oder  nicht,  entscheiden.  Ein  solcher  Begriff  der  Heilung 
ist  kein  pathologisch  brauchbarer.  Die  soziale  Heilung  umfaßt  neben  den  wirklichen 
Heilungen,  wenn  es  solche  gibt,  einen  großen  Teil  der  Besserungen. 

Aber  auch  der  theoretisch  klare  Begriff  der  Heilung  im  Sinne  der  Wieder- 
gewinnung des  früheren  Zustandes  macht  uns  Schwierigkeiten.  Der  Anfall,  der  den 
Kranken  in  die  Anstalt  führt,  ist  meist  gar  nicht  der  wirkliche  Beginn  der  Krankheit; 
diese  hat  schleichend  schon  längst  begonnen ;  man  hat  ihre  Schatten  aber  als  Charakter- 
eigentümlichkeiten verkannt.  Es  braucht  nun  nicht  jeder  schizophrene  Dämmer- 
zustand eine  Verschlimmerung  nach  sich  zu  ziehen;  eine  Restitution  auf  den  Zu- 
stand vor  dem  Anfall  ist  also  gar  nicht  so  selten.  Damit  ist  aber  die  Krankheit, 
die  den  Patienten  vorher  schon  zu  einem  menschenscheuen  Sonderling  oder  einem 
reizbaren  Instabeln  gemacht  hat,  nicht  geheilt.  Den  Zustand  vor  dem  wirklichen 
Beginn  der  Krankheit  als  Maßstab  zu  nehmen,  ist  recht  oft  unmöglich,  weil  die 
Schizophrenie  schleichend  zur  Zeit  der  schnellsten  psychischen  Umbildung  oder 
gar  in  der  Kindheit  begonnen  hat.  Da  stehen  wir  wieder  vor  der  schwierigen  Frage : 
Was  ist  Charaktereigentümlichkeit  und  was  ist  schizophrenes  Symptom? 

Im  einzelnen  Fall  ist  die  Konstatierung  der  Heilung  abhängig  vom  psycho- 
logischen Geschick  und  vor  allem  von  der  Zeit,  die  der  Psychiater  zur  Ver- 
fügung hat,  um  den  entlassungsfähigen  Kranken  zu  beobachten  und 
zu  untersuchen.  Gesundheit  kann  man  nicht  direkt  diagnostizieren;  man  suppo- 
niert  sie,  wenn  man  trotz  genauem  Suchen  keine  Krankheitszeichen  findet.  Wer 
keine  Zeit  hat,  seine  Patienten  genau  zu  untersuchen,  findet  viele  geheilte,  die  ein 
anderer  als  gebessert  ansehen  würde. 

„Soziale  Heilungen"  nach  E.  Meyer. 
^)  Ich  weiß  wohl,  daß  die  Heilungen  einer  Wunde  eine  Narbe  hinterlassen,  und  daß 
man  auch  von  einer  geheilten  Amputation  spricht.  Die  Narbe,  die  die  Funktion  stört,  rechnen 
wir  aber  als  einen  Defekt,  und  die  „geheilte  Amputation"  setzt  einen  Begriff  voraus,  den 
wir  in  der  Psychopathologie  als  , .Heilung  mit  Defekt"  besonders  abgrenzen. 
Handbuch  der  Psychiatrie:  Ulculer. 


210 


Schizophrenie. 


Nach  meinen  Erfahrungen  muß  ich  mich  durchaus  auf  die 
beite  Aschaffenburgs  und  Tlbergs  stellen.  Ich  habe  keinen  Schizo- 
phrenen entlassen,  bei  dem  ich  nicht  noch  deutliche  Zeichen  der 
Krankheit  sehen  konnte,  und  es  sind  nur  ganz  wenige,  bei  denen 
man  diese  Zeichen  eigentlich  suchen  mußte.  Auch  die'' spätere  Unter- 
suchung Entlassener,  die  ja  den  Umständen  gemäß  nur  eine  kurze  sein  kann,  hat 
uns  nie  volle  Restitution  ergeben.  Ja,  ich  muß  hinzufügen,  daß  die  Berichte',  die 
wir  uns  wo  immer  möglich  von  Pfarrämtern  und  Verwandten  nach  einiger  Zeit 
geben  lassen,  nur  ganz  ausnahmsweise  von  wirldicher  Heilung  sprechen,  obschon 
die  Mehrzahl  der  Entlassenen  arbeitsfähig  ist.  Noch  nie  habe  ich  gesehen,  daß 
von  anderer  Seite  „geheilt"  Entlassene  wirkL'ch  geheilt  gewesen  wären.  ' 

Niemals  darf  man  sich  hier  auf  die  Urteile  von  Laien  verlassen,  die  keine  Sym- 
ptome gefunden  haben.  Wie  Stroh may er  zu  der  Täuschung  gekommen  ist,  Gemüts- 
verblödungen werden  auch  von  einfachen  Leuten  prompt  angegeben,  kann  ich  nicht 
verstehen.  Ich  habe  vor  längerer  Zeit  in  zwei  gebildeten  und  intelligenten  Familien 
die  Diagnose  der  Schizophrenie  verfehlt,  weil  ich  den  Angehörigen  geglaubt  hatte, 
daß  die  Patientinnen  noch  sehr  feinfühlig  seien.  Die  eine  hat  dann  einige  Tage  später 
in  aller  Ruhe  ihren  Mann  erschießen  wollen,  und  ihre  Gefühle  gegen  das  eine  der 
Kinder  waren  meist  vollständig  Null,  gelegentlich  auch  negativ.  Da  kann  man  es 
verstehen,  wenn  ein  Mann  aus  dem  Volke  seine  Frau  für  gesund  erklärt,  die  nicht 
spricht,  nicht  spontan  ißt  und  in  UnreinHchkeit  im  Bette  liegt.  Dieser  Erfahrung 
Aschaffenburgs  könnte  ich  recht  ähnliche  an  die  Seite  stellen. 

Ich  kenne  Schizophrene,  die  nach  der  Erkrankung  ein  kompliziertes  Ge- 
schäft in  die  Höhe  gebracht  haben;  ich  kenne  einen,  der  nach  zwei  katatonen 
Dämmerzuständen  von  zirka  sieben  Jahren  Intervall  noch  fähig  ist,  zu  dozieren, 
selbständig  wissenschaftlich  zu  arbeiten  und  den  Weltruf  in  seinem  Fache  auf- 
recht zu  erhalten.  Einer  unserer  Katatoniker  hat  später  als  Dichter  verdiente 
Bedeutung  erlangt.  Sehr  eher  ist  nach  dem  ersten  Anfall  Senatspräsident 
geworden.  Ein  heboidophrener  Kranker  von  Hess  (301)  ist  Universitätsprofessor. 
Schumann  (der  Komponist)  und  Scheffel  waren  Schizophrene.  In  den 
13  Jahren,  in  denen  ich  prüfe,  mußte  ich  mehrere  Schizophrene  durchs  Staats- 
examen gehen  lassen,  zum  Teil  sogar  mit  guten  Noten.  Diese  Beispiele  mögen 
zeigen,  daß  wir  unsere  Augen  den  günstigen  FäUen  nicht  verschließen. 

Es  gibt  sogar  Patienten,  die  nach  einem  akuten  Schub  besser 
als  vorher  erscheinen.  Die  Einschränkung  der  Interessen  kann  Schizophrene 
zu  regelmäßig  gehenden  Arbeitsmaschinen  machen.  Ehegatten,  die  keine  ge- 
mütlichen Bedürfnisse  haben,  finden  dann  und  wann  einmal  einen  solchen 
stillen  Lebensgefährten  ganz  ideal.  In  zwei  Fällen  schienen  die  „Geheilten" 
sogar  lebhafter,  geistig  angeregter  als  vorher.  Einem  etwas  beschränkten 
Mädchen  aus  guter  Familie,  das  ganz  in  Abhängigkeit  von  der  Mutter  gelebt 
hatte,  half  die  Katatonie  zu  größerer  Selbständigkeit  und  damit  zu  Freude  am 
Leben  und  Handeln.  Ein  gebildeter  Herr  redete  gern  von  seiner  überstandenen 
Krankheit,  und  es  schien,  wie  wenn  er  seine  Komplexe,  die  ihn  vorher  als  einen 
autistischen  Sonderling  erscheinen  ließen,  abreagiert  hätte  und  nmi  wieder 
auflebte;  er  war  gemütlicher,  zugänglicher i).  Ein  anderer  Kranker  war  immer 

1)  Obschon  er  wieder  in  Amt  und  Würden  stand,  raeinte  er,  eine  Schlange  sei  ex- 
perimenti  causa  von  seinem  Arzt  in  sein  Zimmer  geschickt  worden. 


Verlauf.  Ausgang. 


211 


sehr  verschlossen  und  finster.  Nach  der  schweren  melancholischen  Katatonie 
in  den  Dreißigerjahren  konnte  er  wenigstens  bei  Gelegenheit  lachen  ). 

Ein  vielbesprochenes  Kriterium  der  Heilung  ist  die  K^^..^,^^«;^'' Tf'lW 
Leute  die  selber  von  ihren  Wahnideen,  von  ihrem  Verhalten  wahrend  des  Anfalles 
dsTon  krankhaften  Erscheinungen  sprechen,  die  begreifen  daß  man  sie  so  und  so 
behandeln  mußte,  und  gar  noch  dem  Arzt  oder  der  Anstalt  dankbar  smd,  verd  n 
nicht  ohne  Grund  leicht  als  geheilt  angesehen,  während  das  Gegented  em  ziemlich 
sicheres  Zeichen  fortbestehender  Krankheit  ist.  Nun  haben  aber  manche  Schizophrene 
schon  während  der  Exazerbationen  ein  lebhaftes  Krankheitsgefühl;  nur  suchen  sie 
die  Krankheit  nicht  immer  da,  wo  der  Beobachter  sie  sieht.  Sie  konstatieren  z.  B. 
selbst  den  schlimmen  Zustand  ihrer  „Nerven",  den  Unsinn  gewisser  Handlungen; 
beides  waren  aber  nach  ihnen  begreifliche  Reaktionen  auf  Reizungen  durch  die  Um- 
gebung Gelegentlich  macht  auch  ein  schizophrener  Arzt  an  sich  die  richtige  Diagnose. 
Diese  Leute  haben  natürlich  zum  größten  Teil  auch  in  der  Remission  ihre  „Einsicht'  , 
die  aber  oft  ganz  wertlos  ist.  Auch  wirkliche  Einsicht  ist  oft  noch  deutlich  krank- 
haft- es  ist,  wie  wenn  nur  ein  Teil  der  Psyche  das  richtige  Verständnis  hätte.  Von 
korri'o-ierten  Wahnideen  z.  B.  reden  die  Kranken  oft,  wie  wenn  es  jemand  anders 
anginge;  es  fehlt  die  Verbindung  der  krankhaften  Erlebnisse  mit  ihrem  jetzigen  Ich. 
Dieses  Verhältnis  wird  namentUch  deutüch,  wenn  man  solche  Fälle  geheilten  Melan- 
cholikern gegenüberstellen  kann;  hier  ein  freies  Aussprechen  mit  der  Reproduktion 
der  Gefühlsmomente ;  dort  ein  mühsames  Hervorholen  der  Erlebnisse,  die  mit  einigen 
Phrasen  als  wahnhaft  bezeichnet  werden  und  von  einem  Affekt  begleitet  sind,  der 
gar  nicht  der  Situation  des  von  dem  Wahn  Erlösten  entspricht.  Der  oben  erwähnte, 
r.durch  die  Krankheit  gebesserte"  Herr  sprach  von  seinem  akuten  Anfall  wie  von 
einem  besonders  gelungenen  Erlebnis.  Es  handelt  sich  um  eine  „kalte,  intellektuelle" 
Einsicht  (Jung),  die  das  Gemütsleben  des  Kranken  sehr  wenig  oder  gar  nicht  be- 
einflußt, imd  wir  haben  auch  oben  gesehen,  daß  wir  kaum  je  eine  volle  Korrektur 
schizophrener  Wahnideen  konstatieren  können. 

So  sprechen  wir  nicht  von  Heilungen,  sondern  von  weit- 
gehenden Besserungen  und  unterscheiden  diese  von  den  schweren  Ver- 
blödungen (in  denen  der  Patient  sozial  ganz  unmöglich  ist)  und  von  den  leichten 
Verblödungen,  die  die  übrigen  Fälle  zwischen  diesen  Extremen  zusammen- 
fassen sollen. 

Wenn  wir  Zahlen  für  diese  Kategorien  geben,  so  müssen  wir  davor  warnen, 
ihnen  einen  zu  großen  Wert  beizulegen.  Nicht  nur  der  doch  etwas  subjektive 
Maßstab  setzt  ihre  Bedeutung  herab,  sondern  noch  mehr  der  Umstand,  daß 
in  erster  Linie  die  Aufnahms-  und  Entlassungsverhältnisse  einer  Anstalt  für 
die  Durchschnittsprognose  der  Krankheit  maßgebend  sind.  Hat  man  z.  B.  lange 
Expelftantenlisten,  so  kommen  viel  weniger  der  leichten,  d.  h.  günstigsten  Fälle 
zur  Aufnahme,  als  da,  wo  Platz  für  jede  Anmeldung  ist.  Die  Zahlen  gelten  also 
nicht  für  die  Schizophrenie  als  solche,  sondern  für  die  in  einer  bestimmten  Anstalt 
aufgenommenen  Schizophrenen.  Die  sehr  zahlreichen  Patienten,  die  nie  in 
eine  Anstalt  kommen  und  die  Gesamtprognose  natürlich  ganz  wesentlich  ver- 
bessern würden,  entgehen  den  Zählungen  ganz. 

Als  Maßstab  der  Schwere  der  Verblödung  nehme  ich  die  Leistungsfähigkeit 
im  Erwerb  oder  die  Möglichkeit,  sich  außerhall)  einer  Anstalt  selbständig  zu 
halten.  Die  verdicnstfähigen  nenne  ich  „leicht  demente",  die  sozial  ganz  un- 

')  Wille  verzeichnet  sechs  Fälle,  wo  die  Krankheit  scheinbar  günstig  gewirkt  hatte. 

14* 


212 


Schizophrenie. 


tüchtigen  „schwer  demente"  und  die  nicht  in  diese  Rubriken  passenden  Zwischen- 
formen „mittel  demente".  Dieser  Maßstab  ist  zwar  abhängig  vom  Berufe  des 
Patienten  und  verschiedenen  äußeren  Umständen,  doch  macht  er  eine  gewisse 
Verständigung  möglich.  So  ergibt  sich  aus  515  Fällen  des  Burghölzli  (1898 
bis  1905): 

Nach  dem  ersten  Anfall  sind 
leicht  dement  mittel  dement  schwer  dement 

307  (6O0/0)  92  (18%)  116  (227o) 

Natürlich  verschlechtert  sich  das  Resultat  mit  der  Zeit  noch  erheblich,  doch 
werden  von  denen  mit  einer  guten  Remission  wenige  durch  eine 
spätere  Exazerbation  dauernd  anstaltsbedürftig. 

Die  Gesamtprognose  der  einzelnen  Gruppen  variiert  in 
folgender  Weise: 

Kraepelin  gibt  für  die  Hebephrenie  870  so  weitgehender  Besserungen  an, 
„daß  man  vielleicht  von  Genesung  zu  sprechen  berechtigt  ist,"  während  17% 
auf  der  Stufe  des  mäßigen  Schwachsinnes  stehen  bleiben.  Bei  der  Katatonie 
rechnet  er  13%  anscheinende  Heilungen,  während  weitere  20%  so  lang  dauernde 
,, Nachlässe"  aufweisen,  daß  sie  den  Genesenen  gleichen.  Bei  dem  Paranoid 
verzeichnet  der  Autor  nur  „in  einer  kleineren  Anzahl  von  Fällen"  eine  weit- 
gehende Besserung. 

Zablocka  hat  an  unserem  Material  gefunden: 


Gruppen 

Demenz 

leicht 

mittel 

schwer 

in  Prozenten 

Paranoid  

65 

16 

19 

Katatonie  

57 

13 

30 

Hebephrenie  .... 

58 

22 

20 

Es  erscheint  selbstverständlich,  daß  das  Paranoid,  das  die  Arbeitsfähigkeit 
am  wenigsten  stört,  unter  dem  angeführten  Gesichtspunkt  die  beste  Prognose 
hat.  Daß  die  Hebephrenie  nicht  mehr  Aussichten  bietet,  liegt  zum  Teil  in  der 
Art  ihrer  Abgrenzung,  die  auf  die  Verblödung  besonderes  Gewicht  legt,  zum 
Teil  in  dem  Umstände,  daß  die  leichten  Fälle  gar  nicht  in  die  Anstalten  kommen, 
dann  aber  auch  darin,  daß  die  Hebephrenie  viel  mehr  in  einem  Alter  ausbricht, 
da  der  Mensch  seine  sozialen  Fähigkeiten  noch  nicht  ausgebildet  hat.  Das  letztere 
trifft  auch  für  die  Katatonie  zu,  die  dazu  noch  als  Ausdruck  des  intensivsten 
Krankheitsprozesses  das  Gehirn  am  meisten  schädigen  muß.  Immerhin  ist 
bemerkenswert,  wie  klein  diese  Unterschiede  sind. 

Daß  aber  noch  viel  wichtigere  Faktoren,  als  wir  sie  oben  genannt  haben, 
das  Verhältnis  von  Krankheitsform  und  Ausgang  bestimmen  helfen,  ergibt  sich 
aus  dem  auffallenden  Unterschied  in  den  Geschlechtern: 


Verlauf.  Ausgang. 


213 


Schwer 

dement 

Leicht  dement 

Mittel  dement 

Gruppen  | 

männl. 

weibl. 

männl. 

weibl. 

männl. 

weibl. 

in  Prozenten 

1 

Hebephrenie  .... 

78 

54 
56 

51 
59 
61 

6 
9 
22 

27 
18 
20 

16 
38 
21 

22 
23 
19 

Vielleicht,  daß  die  Verschiedenheit  der  Arbeitsverhältnisse  und  der  Versorgungs- 
bedürftigkeit bei  den  beiden  Geschlechtern  mitsprechen. 

Die  Geschlechtsunterschiede  im  Ausgang  der  Katatonie  ermnern  uns  daran, 
daß  Frauen  mehr  zu  katatonen  Symptomen  neigen  als  Männer;  sie  kommen  also 
wohl  bei  ihnen  in  leichteren  Fällen  vor.  Nimmt  man  alle  Fälle  einerseits  mit  imd 
anderseits  ohne  katatone  Symptome,  gleichgültig  zu  welcher  Gruppe  sie  gezahlt  sind, 
so  bleibt  der  Unterschied  ähnlich. 


Leicht  dement 

Mittel  dement 

Schwer  dement 

mit  kat. 

ohne  kat. 

mit  kat. 

ohne  kat. 

mit  kat. 

ohne  kat. 

Symptomen 

Symptome 

Symptomen 

Symptome 

Symptomen 

Symptome 

in  Prozenten 

^länner  .    .  . 

56 

67 

12 

17 

32 

16 

Frauen   .   .  . 

58 

57 

20 

22 

22 

21 

Total  .... 

57 

63 

17 

19 

26 

18 

Zu  erwähnen  ist  hier  noch  eine  Gruppe  von  Paranoiden,  die  zwar  in  bezug 
auf  die  Wahnideen  und  Halluzinationen  keine  gute  Prognose  haben,  aber  in- 
sofern leichter  sind,  als  sie  die  Haltung  nicht  verlieren,  soweit  die  Wahnideen 
es  erlauben,  und  nicht  eigentlich  verblöden;  sie  werden  nicht  sprachverwirrt, 
in  ihrem  Benehmen  nicht  autistisch,  behalten  den  Kontakt  mit  der  Umgebung, 
kurz  sie  sind  sehr  ähnlich  den  Paranoikern.  Auch  ihre  Wahnideen  werden  nicht 
80  unsinnig.  Sie  bekommen  keine  katatonen  Symptome ;  manische  und  depressive 
Anfälle  fehlen  fast  immer;  dagegen  können  halluzinatorische  Verwirrtheiten 
vorkommen.  Viele  dieser  Kranken  sind  dauernd  oder  außerhalb  der  akuteren 
Schübe  arbeitsfähig,  wenn  sie  auch  selten  lange  an  einem  Platze  bleiben  können. 
Leider  sehen  sie  in  den  ersten  Jahren  für  unsere  Augen  vielen  später  verblödenden 
Formen  vollkommen  gleich,  so  daß  wir  sie  zur  Zeit  weder  theoretisch  noch  praktisch 
von  den  anderen  abgrenzen  können.  Es  handelt  sich  meist  um  nach  dem  30.  Jahre 
Erkrankte;  ich  möchte  hierher  den  Krae pelinschen  präsenilen  Beeinträchti- 
gungswahn zählen.  Doch  können  auch  Pubertätspsychosen  diesen  Verlauf  haben. 

Eine  andere  Form  mit  besonderer  Prognose  ist  die  Dementia  para- 
noides, die  aber  auch  keine  Grenzen  gegen  andere  Erscheinungsweisen  der 
Schizophrenie  hat. 


214 


Scliizophreuie. 


Die  Krankheitssymptome  des  Beginnes  haben  bis  jetzt  noch 
keine  Korrelation  mit  der  Schwere  des  Ausganges  auffinden 
lassen  (Zablocka,  Bleuler). 

Dagegen  ist  die  Art  des  Anfalles,  der  den  Patienten  in  die  Anstalt 
bringt,  nicht  gleichgültig  für  eine  Durchschnittsborechnung  der  Schwere  des 
Ausganges.  In  der  Natur  der  Krankheit  wird  es  liegen,  daß  die  Patienten  mit 
ganz  akuten  Anfällen  zwar  sehr  große  Chancen  haben,  nur  leicht  zu  verblöden, 
daß  sie  aber,  wenn  die  Kjankheit  in  einem  solchen  Falle  Fortschritte  macht, 
die  Neigung  haben,  dann  auch  recht  weit  zu  gehen.  Wir  zählen  hierzu  die  Kranken 
mit  manisch-depressiven  Syndromen,  die  entweder  relativ  gute  Zwischenzeiten 
haben  oder  dann  zu  den  blödesten  Kranken  der  Pflegeanstalten  gehören. 

Im  übrigen  haben  die  sichtbaren  Zusammenhänge  zwischen  Aufnahme- 
status und  Schwere  des  Ausganges  außerhalb  der  Kranlcheit  liegende  Gründe: 
die  akuten  S\mdrome  machen  am  ehesten  Anstaltsbehandlung  nötig,  sei  der 
erreichte  Dauerzustand  schwer  oder  leicht.  Die  Chronischen,  vor  allem  die 
einfach  Blödsinnigen,  kommen  erst,  wenn  der  Verblödungsgrad  es  nötig  macht, 
sind  also  von  vornherein  eine  Auslese  schwer  Kjanker.  Deshalb  entlassen  wir 
z.  B.  unter  den  manisch  Eintretenden  83%,  unter  den  Dementen  nur  33% 
arbeitsfähigem  Zustande. 

Ob  die  Akuität  des  Krankheitsfalles  einen  Zusammenhang  mit  der 
Schwere  des  Endzustandes  hat,  können  wir  an  dem  einseitigen  Anstaltsmaterial 
gar  nicht  prüfen,  ganz  abgesehen  davon,  daß  ein  akutes  Syndrom  und  ein  Schub 
zwei  verschiedene,  aber  nicht  immer  auseinander  zu  haltende  Dinge  sind. 

Einen  Einfluß  des  Alters  können  wir  nur  insofern  konstatieren,  als 
diejenigen  Formen,  die  trotz  starker  Wahnideen  die  Haltung  nicht  verlieren, 
etwas  häufiger  nach  dem  30.  Jahre  manifest  werden^). 

Der  Kräftezustand  zur  Zeit  der  Erkrankung  scheint  trotz  der 
mitgezählten  Amentiafälle  anderer  Schulen  für  unsere  Frage  irrelevant  zu  sein. 
Auch  von  den  anderen  körperlichen  Symptomen  der  Krankheit  selbst  läßt  sich 
zurzeit  nichts  anderes  sagen;  nur  die  Pupillendifferenz  hat  bei  unserem 
kleinen  Material  eine  etwas  verschlechterte  Durchschnittsprognose. 

In  bezug  auf  den  Intelligenzzustand  können  wir  nur  sagen,  daß  natür- 
lich diejenigen  Kranken,  bei  denen  sich  die  Schizophrenie  zu  einer  angeborenen 
Geistesschwäche  summiert,  ceteris  paribus  leichter  in  den  Anstalten  hängen 
bleiben  als  intelligent  angelegte.  Eine  größere  Widerstandsfähigkeit  ist  weder 
bei  den  Schwachsinnigen  noch  bei  den  Intelligenten  nachgewiesen. 

Dagegen  haben  an  unserem  Material  die  abnormen  Charaktere  mehr 
schlimme  Ausgänge  als  andere.  Die  Beobachtung  läßt  sich  aber  so  lange  nicht 
deuten,  als  man  unter  diesem  Titel  verschiedenartige  Abweichungen  vom  Typus, 
und  darunter  ja  auch  latente  Schizophrene,  begreift. 

Wir  hatten  erwartet,  daß  die  Veranlassungen  insofern  einen  gewissen 
Zusammenhang  mit  der  Prognose  haben,  als  Erlcrankungen,  die  durch  emen 
psychischen  Schock  veranlaßt  scheinen,  sich  eher  ausgleichen  könnten,  da  ja 
z   B  die  Dämmerzustände  fast  immer  auf  den  früheren  Stand  zurückgehen. 


1)  Nach  Herz  er  haben  die  Erkrankungen  älterer  Personen  bessere  Prognose  (vgl. 
auch  Lugaro). 


Verlauf.  Endzustände. 


215 


Unsere  Zahlen  zeigen  aber  für  den  derzeitigen  Begriff  der  körperlichen  wie  der 
psychischen  Ursachen  keine  Zusammenhänge  mit  dem  Ausgang. 

Besonderer  Erwähnung  verdient  aber,  daß  die  nicht  seltenen  Schizophrenen, 
die  sekundär  durch  Alkoholismus  in  die  Anstalt  kommen,  keine 
ganz  schlechten  Aussichten  bieten.  Ihre  Neigung,  sich  abzusondern,  schützt 
sie  vor  Versuchimgen,  ihr  Autismus  macht  sie  den  Verführungen  und  Neckereien 
der  Gesellschaft  gegenüber  weniger  empfindlich. 

NeigungzuRezidiven  läßt  sich  dann  erkennen,  wenn  man  den  manisch- 
depressiven Typus  der  Krankheit  feststellen  kann.  Im  übrigen  gibt  die  Unter- 
suchung aller  bis  jetzt  in  Betracht  gezogenen  Verhältnisse  bei  den  Rezidivisten 
ganz  gleiche  Zahlen  wie  bei  den  Nichtrezidivierenden. 


D.  Die  Endzustände. 

Da  die  schweren  Schizophrenien  wohl  nie  ganz  stillestehen,  und  man  bei 
den  leichteren  vor  einer  Verschlimmerung  nie  sicher  sein  kann,  ist  der  übliche 
Ausdruck  ,, Endzustände"  cum  grano  salis  zu  verstehen.  Die  Mehrzahl  der 
Endstadien  entzieht  sich  unserer  Beobachtung.  Die  Leute  leben  draußen,  gelten 
als  gesund,  zum  Teil  aber  als  launisch,  eigensinnig,  schrullenhaft,  verschroben, 
dumm  usw.  Manche  haben  nur  das  Niveau  ihrer  Leistungen  und  ihrer  Ansprüche 
an  die  Welt  herabgesetzt.  Der  Oberlehrer  vegetiert  in  einer  Privatschule,  der 
Jurist  schreibt  auf  irgend  einem  Bureau,  der  zum  Techniker  bestimmte  Lehrling 
ist  Handlanger,  der  hoffnungsvolle  Gymnasiast  bringt  s,ich  als  Gärtnergehilfe 
durch,  der  Mechaniker  hilft  seiner  Frau  beim  Nähen.  Viele  sind  an  Posten, 
die  keine  Selbständigkeit  verlangen,  ausgezeichnete,  peinlich  genaue  Arbeiter. 
Auf  einer  tieferen  Stufe  werden  die  Kranken  Gelegenheitsarbeiter,  Vaganten, 
Gewohnheitsverbrecher  in  meist  kleineren  Delikten  und  Übertretungen. 

Was  in  den  Anstalten  hängen  bleibt,  zeigt  die  nämlichen  Charaktere; 
diese  sind  aber  ausgesprochener,  und  es  sind  gewöhnlich  akzessorische  Svmptome 
hinzugetreten,  die  den  Kranken  ein  freies  Leben  unmöglich  machten:  die  katatonen 
Erscheinungen,  unter  denen  namentlich  der  Negativismus  in  den  Anstalten  so 
häufig  wie  unangenehm  ist,  dann  die  Wahnideen  und  die  Halluzinationen  mit 
ihren  Aufregungen  und  ihren  sekimdären  Konflikten  mit  der  Umgebung. 

Auch  diese  schweren  Endzustände  zeigen  eine  unendliche  Menge  von 
Variationen,  die  für  unsere  Kenntnisse  untereinander  nicht  abgrenzbar  sind.  Die 
beste  Schilderung  auch  der  Ausgänge  hat  Kraepelin  gegeben,  indem  er  neun 
Typen  heraushob: 

1.  „Heilung." 

2.  „Heilung  mit  Defekt,"  d.h.  Besserungen  (wohl  der  häufigste  Ausgang). 

3.  Einfache  Verblödung. 

4.  Schwachsinn  mit  Sprachverwirrtheit.  Das  Bild  hat  sich  nach 
einer  einleitenden  Depression  ziemlich  schnell  entwickelt  und  bleibt  dann  lange 
Zeit  unverändert.  Wahnideen  fehlen  nie,  Sinnestäuschungen  sind  wenigstens 
im  Anfang  vorhandeni).  Nach  langer  Zeit  kann  auch  diese  Form  noch  in  ein- 
fachen  Blödsinn  übergehen.   Sie  ist  nicht  gerade  häufig. 

1)  Der  Verlauf  hält  sich  gar  nicht  immer  an  das  Schema  Kraepelins  (Depression 
dann  rasche  Entwicklung  der  Sprachverwirrtheit,  dann  längerer  Stillstund). 


Schizophrenie. 

5.  Weit  häufiger  ist  der  Ausgang  in  halluzinatorischen  Schwach- 
sinn. Die  Sinnestäuschungen  und  Wahnideen  bleiben  in  ganz  einförmiger  Weise 
bestehen,  häufig  mit  periodischen  Verschlimmerungen,  gewinnen  jedoch  keinen 
weiteren  Einfluß  auf  das  Denken  und  Handeln,  die  Kranken  bleiben  dauernd 
besonnen  und  in  der  Hauptsache  geordnet  in  ihrem  Benehmen. 

6.  In  einer  kleinen  Zahl  von  Fällen  schreitet  die  Wahnbildung  dauernd 
fort,  ohne  daß  die  schweren  Formen  der  Verblödung  erreicht  werden.  Die  Wahn- 
ideen werden  langsam  weiter  entwickelt,  allerdings  allmählich  immer  zerfahrener. 
Ausnahmslos  handelt  es  sich  um  körperlichen  Beeinflussungswahn,  vielfach 
daneben  um  Größenwahn.  Für  diese  Formen  würde  nach  Kraepelin  der 
Name  der  halluzinatorischen  Verrücktheit  am  besten  zutreffen. 

7.  Dementia  paranoides  (vgl.  oben  S.  191). 

8.  Faselige  Verblödung.  „Sie  ist  neben  den  Erscheinungen  der  tief- 
greifenden psychischen  Schwäche  beherrscht  durch  Krankheitsreste,  die  etwa 
denen  der  katatonischen  Erregung  entsprechen."  Bei  den  manirierten  Formen 
tritt  die  Verschrobenheit  in  Form  von  Manieren  und  Bewegungsstereotypien 
in  den  Vordergrund,  bei  den  erregten  neben  einförmigem  Bewegungsdrange 
besonders  die  Impulsivität.  Gemeinsam  ist  beiden  Gestaltungen  die  Verworren- 
heit der  sprachlichen  Äußerungen  und  die  Zerfahrenheit  des  Handelns. 

9.  Die  umfangreichste  Form  ist  die  stumpfe  Verblödung.  Neben 
hochgradiger  Abstumpfung  begegnen  wir  da  den  Resten  des  Negativismus  oder 
der  Befehlsautomatie.  „Dadurch  wird  einerseits  scheue,  starre  Unzugänglichkeit, 
andererseits  jene  dumpfe,  gedankenlose  WiUenlosigkeit  erzeugt,  die  den  großen 
Pflegeabteilungen  ihr  eigenartiges  Gepräge  gibt.  Manche  dieser  Kranken  können 
noch  ganz  brauchbare  mechanische  Arbeiter  sein." 

„Die  beiden  letztgenannten  Formen  der  Verblödung  dürften  selbständige 
Ausgänge  darstellen,  nicht  aber  Abschnitte  desselben  Krankheits  verlauf  es. 
Mir  scheint  wenigstens,  daß  sie  nicht  ineinander  übergehen,  sondern,  wenn 
einmal  ausgebildet,  bis  an  das  Lebensende  wesentlich  unverändert  fortbestehen" 
(Kraepelin).  Daß  die  beiden  Zustände  beim  nämlichen  Kranken  nicht  mit- 
einander abwechseln,  glaube  auch  ich  konstatieren  zu  kömien.  Dagegen  gibt 
es  so  viele  Übergänge  in  den  Erscheinungsformen  des  höchsten  Blödsinnes, 
daß  ich  noch  nicht  von  der  Richtigkeit  von  Kraepelins  Ansicht  überzeugt  bin. 


Die  Vererbbar keit. 

Über  das  Individuum  hinaus  ist  bis  jetzt  der  Verlauf  der  Krankheit 
respektive  der  Anlage  nicht  verfolgt  worden.  Die  Hereditätsforschimgen  gehen 
immer  vom  Patienten  aus  rückwärts.  Es  wäre  aber  eine  sehr  dankbare  Arbeit, 
einmal  das  Schicksal  der  Nachkommen  unserer  Kranken  zu  verfolgen.  Die  von 
W  o  1  f  s  o  h  n  untersuchten  647  Kranken  hatten  zurZeitdesAnstaltseintrittes 
404  Kinder,  von  denen  lO^/o  mit  geistigen  und  nervösen  Krankheiten  behaftet 
waren:  11  Htten  an  ImbezilHtät,  11  an  „Geisteskranldieiten",  14  an  Nervosität,  2  an 
Epilepsie,  1  war  taubstumm  und  1  hatte  Suizid  begangen.  Die  meisten  Kinder 
waren  natürUch  noch  nicht  über  das  Alter  hinaus,  in  dem  Schizophrenie  auftritt. 
Sollten  sich  diese  Zahlen  an  größerem  Material  bestätigen,  so  würden  sie  sehr 
zum  Aufsehen  mahnen. 


IV.  Abschnitt. 


Kombinationen  der  Schizophrenie 
mit  anderen  Psychosen. 


a)  Die  Schizophrenie  kann  auf  dem  Boden  der  angeborenen  Geistes- 
schwäche entstehen  (Pfropfhebephrenie).  Es  summieren  sich  dann  die  Sym- 
ptome beider  Krankheiten,  wenn  es  auch  recht  vieler  Geduld  von  selten  des 
Ai-ztes  wie  des  Patienten  bedarf,  alle  Erscheinungen  der  emen  oder  andern 
Krankheit  zuzuteilen.  Bei  einzehien  Symptomen  ist  das  manchmal  überhaupt 
nicht  möghch.  So  kann  beim  (angeborenen)  höheren  Blödsinn  eine  Unscharfe 
der  Begi-iffe  bestehen,  die  sich  bis  jetzt  in  nichts  imterscheiden  läßt  von  der 
Begriffsunklarheit  bei  der  Schizophrenie. 

Im  übrigen  zeigen  die  Fälle  nichts,  was  man  nicht  von  vornherein  ver- 
muten könnte;  schwere  und  leichte  Formen  kommen  nebeneinander  vor. 

Wie  bei  den  anderen  Formen  von  Idiotie  kommt  die  Schizophrenie  auch 
bei  Kretinismus  vor,  sei  dieser  total  oder  bloß  körperlich.  Die  Krankheit 
zeigt  dann  ebenfalls  keine  Eigentümlichkeit,  die  sich  nicht  von  selbst  verstünde. 

h)  Von  den  organischen  Gehirnkrankheiten  komplizieren  die  ver- 
schiedenen Formen  der  Altersatrophie  des  Gehirns  sehr  oft  die  Schizophrenie; 
immerhin  ist  es  nicht  die  Regel,  daß  bei  unserem  Bestand  an  alt  gewordenen 
Schizophrenen  die  Dementia  senilis  in  ausgesprochener  Weise  auftrete.  Auch 
bei  dieser  Komplikation  summieren  sich  die  Symptome  beider  Krankheiten  in 
deutlicher  Weise.  Störungen  des  Gedächtnisses  für  frische  Eindrücke,  der 
Orientierung,  der  Auffassung  kommen  zum  schizophrenen  Blödsinn  hinzu.  Die 
Energie  der  Wahnideen  und  des  Handelns,  wenn  sie  überhaupt  noch  vorhanden 
war,  nimmt  ab.  Die  Halluzinationen  brauchen  nicht  zu  verschwinden;  manchmal 
treten  aber  senile  halluzinatorische  Delirien  auf.  Auffallend  ist  nur  das  Verhalten 
der  Affekte.  In  manchen  Fällen  ist  allerdings  bei  dem  doppelten  Blödsinn  nicht 
mehr  viel  aus  den  Kranken  herauszubringen;  sie  vegetieren  imbekümmert  um 
die  Umgebung  dahin.  Manchmal  aber  löst  die  organische  Psychose  die  Affekte, 
die  Kranken  werden  wieder  zugänglicher,  ,, gemütlicher". 

Es  gibt  außerdem  Fälle  von  langsam  verlaufendem  Altersblödsinn,  die 
ganz  gleichmäßig  bis  zum  Ende  katatone  Symptome  haben,  meist  gepaart  mit 
irgend  einer  Art  Aufi-egung.  Da  ist  eine  Patientin,  die  dauernd  wie  eine  Schizo- 


218 


Schizoijhrenie. 


phreue  verbigeriert,  Lärm  macht,  unrein  ist  und  nie  sich  recht  um  die  Um- 
gebung kümmert.  Eine  andere  ist  zunächst  „melanchoUsch",  aber  in  emer  auf- 
fallend starren  Weise,  was  das  Gefühl  betrifft,  und  eintönig,  arm  in  allen 
Äußerungen.  Sie  hat  automatischen  Selbstmordtrieb,  auch  nachdem  der  Affekt 
sich  erschöpft  zu  haben  scheint;  drängt  mit  Gewalt  hinaus,  sobald  eine  Türe 
aufgeht,  wispert  beständig  stereotypierte  Reste  fi-üherer  Klagen  vor  sich  hin. 
Eine  dritte  leicht  Deprimierte  zeigt  neben  dem  oberflächlichen  Affekt  ganz 
mimotivierten  Stimmungswechsel  und  karikierte  hysteriforme  Symptome. 
Eine  vierte  drängt  beständig  aus  den  Türen,  ist  immer  in  Bewegung,  hat  eine 
eigentümliche  Art  Negativismus,  der  dem  Nihilismus  gleicht,  indem  die  Kranke 
im  Reden  alles  negativ  ausdrückt.  Eine  affektive  Wechselbeziehung  zu  ihr 
ist  nicht  möglich.  Bei  allen  Fällen  ist  die  Orientierung  erhalten.  Das  Gedächtnis 
ist  jahrelang  nicht  deutlich  gestört.  Man  macht  gleich  von  Anfang  an  die 
Diagnose  der  Dementia  senilis,  weiß  aber  nicht  recht  warum,  und  doch  gibt 
ihr  die  Nelcroskopie  recht.  Die  jetzige  Erkrankung  fällt  in  die  Fünfziger-  oder 
Sechzigerjahre.  Vorher  waren  alle  diese  Leute  nicht  ganz  wie  andere,  aber  man 
kann  eine  Schizophrenie  nicht  in  allen  Fällen  sicher  herausfragen.  Es  ist  nicht 
unmöghch,  daß  es  sich  auch  hier  immer  um  latente  Schizophrenien  handelt, 
die  erst  durch  die  beginnende  Hirnatrophie  manifest  werden.  Eine  genauere 
Analyse,  die  Klarheit  verschaffen  könnte,  ist  uns  bei  den  widerstrebenden 
Kranken  noch  nie  gelungen. 

In  Verbindung  mit  der  Dementia  senilis  oder  auch  ohne  dieselbe  können  natürlich 
infolge  von  Apoplexien  und  Erweichungen  Herderscheinungen  auftreten.  Von  diesen 
haben  bloß  die  aphasischen  Störungen  ein  gewisses  Interesse,  insofern  als  sie  Mutismus 
vortäuschen  können,  und  namentlich  als  die  Paraphasie  die  schizophrene  Sprach- 
störung komplizieren  kann.  Die  beiden  Symptome  lassen  sich  aber  bei  genauerem 
Zusehen  leicht  imterscheiden. 

Die  Komplikation  mit  H  i  r  n I  u  m  o  r  e  n  (und  anderen  lokalen  Hirnerkrankungen) 
verlangt  ein  besonderes  Studium,  zu  dem  allerdings  das  Material  noch  gar  nicht 
vorhanden  ist.  Hirntumoren  sind  zuweilen  von  katatonen  Symptomen  begleitet.  Finden 
wir  nun  bei  einer  klinischen  Katatonie  später  Tumorsymptome,  so  ist  bis  jetzt  nicht 
zu  entscheiden,  ob  es  sich  um  eine  Katatonie  handelt,  die  durch  einen  Hirntumor 
kompliziert  ist,  oder  um  einen  primären  Hirntumor,  der  katatone  Symptome  macht. 
In  den  Fällen  allerdings,  wo  der  Verlauf  der  Psychose  dem  des  Tunaors  (z.  B.  viele 
Jahre  bestehende  Schizophrenie  bei  rasch  wachsendem  Gliom)  nicht  entspricht, 
weiß  man,  woran  man  sich  zu  halten  hat. 

Viel  schon  hat  man  nach  Kombinationen  der  nun  als  Schizophrenie  zu- 
sammengefaßten Psychosen  mit  Paralyse  gesucht,  imd  als  Raritäten  eine  An- 
zahl von  FäUen  gefunden  (Joffroy  et  Gombault).  Die  Frage,  wie  die  Selten- 
heit dieser  Komplikation  zu  erklären  ist,  wird  bis  jetzt  nur  mit  Vermutungen 
beantwortet  (die  Paralyse  sei  „die  Krankheit  des  gesunden  Hirns").  Ich  kann 
dem  nichts  hinzufügen,  als  daß  vielleicht  auch  die  SyphiHs  bei  imseren  Kranken 
nicht  häufig  ist.  Ich  kann  mich  wenigstens  aus  27 jähriger  Irrenpraxis  mcht  er- 
innern, einen  syphiütischen  Schizophrenen  gesehen  zu  haben  (Auterotismus !), 
weiß  allerdings  auch,  daß  man  in  neuester  Zeit  andernorts  solche  gefmiden  hat. 

Wie  sich  die  Kombination  von  Paralyse  und  Schizophrenie  symptomatologisch 
gestaltet,  ist  aus  der  Literatur  nicht  zu  ersehen.  Ich  selber  habe  nur  einen  emzigen 
Fall  genauer  beobachtet^),  und  da  war  auffällig,  wie  die  Patientin  rasch  herunter- 


Kombination  der  Schizophrenie  mit  anderen  Psychosen. 


219 


kam,  obschon  man  sich  noch  in  einigen  gemütlichen  Rapport  mit  ihr  setzen  konnte. 
Sie  war  zu  keiner  Arbeit  zu  bewegen,  hatte  die  Hände  beständig  im  Mund,  wurde 
unreinlich,  ohne  daß  Lähmungen  oder  katatoner  Zustand  das  genügend  erklärt 
hätte.  Das  Wartpersonal  schloß  aus  mangelnder  Orientierung  und  schlechtem  Ge- 
dächtnis auf  Paralyse.  Ärztliche  Untersuchungen,  bei  denen  sich  die  Patientin 
zusammennahm,  konnten  keinen  Defekt  des  Gedächtnisses  und  der  Orientierung 
nachweisen;  auch  die  körperlichen  Symptome  der  Paralyse  waren  zu  wenig  aus- 
gesprochen, um  die  Diagnose  zu  machen.  Dafür  waren  die  Komplexe  so  im  Vorder- 
grund, wie  bei  einer  Schizophrenie.  Tod  an  Marasmus  nach  3  Jahren  Anstalts- 
aufenthalt. Die  Sektion  grgab  eine  beginnende,  aber  unzweifelhafte  Paralyse,  xmd 
die  nachträgliche  genauer  eingeholte  Anamnese  eine  sicher  mehr  als  zehn  Jahre 
zurückdatierende  Schizophrenie. 

Der  haltlose  Schizophrene  wird  leicht  Trinker.  Wohl  107o  unserer  Al- 
koholiker sind  zugleich  Schizophrene.  Die  Eigentümlichkeiten  dieser  Kom- 
bination sind  im  folgenden  Kapitel  geschildert. 

In  diesen  Fällen  ist  der  Alkoholismus  wohl  als  Symptom  der  Schizophrenie 
aufzufassen.  Daß  die  letztere  erst  nachträgKch  bei  einem  Alkoholiker  auf- 
getreten wäre,  habe  ich  noch  nicht  gesehen. 

Kombinationen  der  Schizophrenie  mit  Melancholie  und  Manie  respek- 
tive manisch-depressivem  Irresein  sind  bis  jetzt  nicht  sicher  nachzuweisen. 
Manische  und  melancholische  Symptome  sind  bei  unseren  Kranken  so  gewöhnlich, 
daß  wir  annehmen  müssen,  sie  werden  meist  durch  den  Krankheitsprozeß  aus- 
gelöst, gehören  also  der  Schizophrenie  an.  Bei  den  von  Anfang  an  paranoiden 
Fällen  ist  aber  die  eigentlich  melanchohsche  Depression  nicht  häufig  und  die 
Manie  so  selten,  daß  man  sie  als  Rarität  registriert.  Da  könnte  man  schon  eher 
an  eine  Komplikation  denken.  Und  diejenigen  Fälle,  die  nach  dem  Schema 
des  zykhschen  Irreseins  oder  doch  mit  einer  gewissen  regelmäßigen  Periodizität 
verlaufen,  werden  wohl  zu  einem  großen  Teil  Mischformen  des  manisch-depres- 
siven Irreseins  mit  der  Schizophrenie  sein,  eventuell  manisch-depressive  Anfälle, 
die  bei  entsprechender  Disposition  durch  die  Schizophrenie  ausgelöst  werden. 
Man  wird  ganz  besonders  zu  dieser  Annahme  geneigt  sein,  wenn  die  Verblödung 
nach  einer  Anzahl  recht  heftiger  Erkrankungen  immer  noch  wenig  angedeutet 
bleibt,  was  allerdings  selten  ist.  In  manchen  Fällen  erhöht  die  Konstatierung 
manisch-depressiver  Heredität  die  WahrscheinUchkeit.  Da  aber  alle  manisch- 
depressiven Symptome  auch  bei  der  Schizophrenie  vorkommen  können,  werden 
nach  unseren  jetzigen  Kenntnissen  die  Krankheitsbilder  dirrch  diese  Kom- 
plikationen nicht  auffällig  alteriert. 

Noch  schwieriger  ist  die  Frage  zu  beantworten,  ob  es  eine  Kombination 
der  Schizophrenie  mit  Epilepsie  gebe. 

Da  epileptische  Anfälle  bei  Schizophrenie  etwas  Häufiges  sind,  darf  man 
nicht  gleich  an  eine  Komplikation  beider  Kranldieiten  denken,  wenn  auch  die 
frühere  Literatur  die  KompHkation  der  „Paranoia  mit  Epilepsie"  besonders 
berücksichtigte.  Seit  uns  eingehendere  Methoden  der  Diagnostik  zur  Verfügung 
stehen,  habe  ich  keinen  Fall  mehr  gesehen,  bei  dem  eine  solche  KompUkation 
in  Frage  kam.  Ich  muß  es  also  weiteren  Studien  überlassen,  die  Existenz  und 
eventuell  die  Symptomatologie  solcher  Fälle  zu  untersuchen.  Eine  diagnostische 

1)  Die  Diagnose  dieser  Kombination  konnte  ich  nicht  so  selten  machen. 


220 


Schizophrenie. 


Schwierigkeit  macht  der  Umstand,  daß  die  schizophrene  Gefühlssperrung  und 
die  epileptische  Gefühlsüberschwänghchkeit  sich  bis  zu  einem  gewissen  Grad 
kompensieren  können  (Morawitz). 

Prinzipiell  nicht  beantwortbar  ist  die  Frage,  ob  sich  die  Schizophrenie 
mit  Hysterie  kombinieren  könne,  so  lange  als  wir  nur  die  sekundären  Sym- 
ptome mid  nicht  den  Grundprozeß  beider  Krankheiten  kennen.  Die  schizo- 
phrene Gehirnveränderung  ist  ja  eine  der  häufigsten  disponierenden  Ursachen 
hysterischer  Symptome;  daher  die  vielen  hysterischen  Paranoien  und  hysterisch- 
degenerativen  Krankheiten  mit  behebiger  Hauptbezeichnung  der  Autoren.  Wir 
brauchen  also  vorläufig  nur  daran  festzuhalten,  daß  jedes  hysterische  Symptom 
auch  auf  dem  Boden  der  Schizophrenie  entstehen  kann. 

Das  Nämhche  können  wir  von  allem  dem  sagen,  was  man  mit  dem  Worte 
Neurasthenie  zu  bezeichnen  pflegt  (inklusive  Zwangsideen  usw.). 

Ebensowenig  kann  man  von  einer  Kombination  von  Paranoia  und  Schizo- 
phrenie sprechen,  weil  eben  die  positiven  Symptome  der  Paranoia  auch  bei  der 
letzteren  Krankheit  vorkommen  können,  so  daß  wir  vorläufig  die  Wahnbildungen 
ohne  schizophrene  Symptome  paranoisch,  die  anderen  schizophren  nennen 
müssen. 

Zu  erwähnen  haben  wir  noch  die  Fieberdelirien.  Jeder  Psychiater  hat 
Fälle  von  Schizophrenie  gesehen,  in  denen  Fieberdehrien  alteriert  waren  durch 
Hinzukommen  schizophrener,  namentlich  katatoner  Symptome.  Nun  sieht  man 
aber  auch  zuweilen  katatone  Zeichen,  namenthch  Katalepsie  und  Verbigeration, 
bei  Fieberdeliranten,  bei  denen  vor-  und  nachher  keine  Schizophrenie  nach- 
zuweisen ist.  Man  hat  jedesmal  den  Eindruck,  diese  Symptome  gehören  zum 
Fieberdelirium.  Doch  muß  man  sich  daran  erinnern,  daß  fieberhafte  Krank- 
heiten oft  erst  eine  Schizophrenie  manifest  machen  oder  gar  hervorrufen;  sollte 
es  nicht  auch  denkbar  sein,  daß  eine  latente  Katatonie  sich  emmal  nur  in  einem 
Fieberdehr  zu  erkennen  gäbe? 


V.  Abschnitt. 


Der  Krankheitsbegriff. 


Die  Dementia  praecox  umfaßt  die  Mehrzahl  der  bisher  als  funktionell 
bezeichneten  Psychosen.  In  dem  Begriffe  liegt  eine  besondere  Axt  der  syste- 
matischen Auffassung  der  Geisteslcrankheiten.  Es  ist  deshalb  nicht  möglich, 
ihn  zu  besprechen  ohne  ausgiebige  RücTcsichtnahme  auf  andere  Krankheits- 
begriffe. 

Vor  Kraepelin  unterschied  man  in  dieser  großen  Gruppe  von  Psychosen 
nur  Zustandsbilder  oder  Symptomenkomplexe.  Die  Dementia  praecox  will 
eine  Krankheit  im  Kahlba umsehen  Sinne  sein.  Sie  ist  etwas  prinzipiell  anderes 
als  ein  „akuter  halluzinatorischer  Wahnsinn",  eine  „Manie"  und  „Melanchohe" 
(im  vorkraepelinischen  Sirme),  eine  „akute  Paranoia",  eine  „Amentia"  der 
Wiener  Schule.  Man  kann  nicht  fragen,  ob  ein  Fall  zur  akuten  Paranoia 
oder  zur  Schizophrenie  gehöre  (das  eine  schließt  das  andere  nicht  aus),  ebenso- 
wenig wie  es  eine  Frage  gibt,  ob  eine  Krankheit  mit  Ödemen  eine  Hautwasser- 
sucht oder  eine  Nephritis  sei.  Nicht  nur  die  Namen,  sondern  auch  die  Begriffe 
der  Hautwassersucht  (der  alten  Autoren),  der  akuten  Paranoia,  der  Verwirrtheit, 
sind  nach  dem  dem  jeweihgen  Beobachter  auffallendsten  Symptom  gebildet 
worden.  Eine  wirkliche  Umgrenzung  solcher  Krankheitsbilder  ist  deshalb  un- 
möglich. Neben  Symptomen,  wie  Verwirrtheit  oder  paranoischer  Intelügenz- 
störung,  finden  sich  in  jedem  Falle  noch  andere  Erscheinungen  in  wechselnder 
Menge  und  Stärke.  Werden  solche  ,, Nebensymptome"  besonders  deutlich, 
oder  tritt  das  „Kardinalsymptom"  etwas  zurück,  so  wird  die  Benennung  un- 
sicher, und  der  Begriff  verfliegt  oder  muß  für  den  gegebenen  Fall  willkürlich 
begrenzt  werden.  Eine  solche  Änderung  des  Bildes  kann  schon  eintreten  beim 
nämlichen  Patienten,  der  eben  noch  als  typischer  Fall  gegolten  hatte,  noch  viel 
häufiger  aber  bei  vielen  ähnlichen  Krankheitsfällen,  die  sich  in  eine  kontinuierliche 
Reihe  ordnen  lassen,  deren  erste  Glieder  beispielsweise  der  MelanchoHa  sim- 
plex,  weitere  der  Melancholia  hallucinatoria,  und  deren  EndgHeder  der  akuten 
halluzinatorischen  Paranoia  angehören,  ohne  daß  irgendwo  eine  Grenze  auf- 
zufinden wäre.  Als  man  die  Hautwassersucht  für  eine  Krankheit  hielt,  wußte 
man  sich  bei  Verschiebung  des  Bildes  leicht  zu  helfen:  es  kam  eben  eine  Bauch- 
wassersucht und  eine  Brustwassersucht  und  eine  Herzwassersucht  zu  der  ur- 
sprünghchen  Krankheit  hinzu.  Bei  den  Psychosen  erscheint  das  Krankheits- 


222 


Scliizophienie. 


bild  docli  zu  einheitlich,  als  daß  man  solche  Additionen  häufig  vorgenommen 
hätte;  dafür  läßt  man  die  eine  Krankheit  sich  in  die  andere  umbilden^).  Der 
extremste  Repräsentant  dieser  Auffassmig  ist  Wer  nicke;  wenn  ein  neuer 
Symptomenkomplex  in  den  Vordergrund  tritt,  hat  er  eine  andere  Krankheit 
vor  sich;  die  Motilitätspsychose  von  heute  ist  morgen  eine  Paranoia. 

Ganz  anders  bei  den  Begriffen  der  Nephritis,  der  Paralyse,  der  Dementia 
ex  atrophia  cerebri:  das  Bild  kann  wechseln  wie  es  will,  es  kann  dort  ein 
urämischer  Anfall,  eine  Herzschwäche,  eine  Retinitis,  hier  die  manische  Trias, 
der  „Blödsinn",  die  Lähmung,  die  Remission  im  Vordergrunde  sein,  wir  ändern 
weder  die  Benennung  noch  den  Begriff  der  Krankheit.  Die  Möglichkeit  des 
Eintretens  solcher  Symptome  war  mit  der  Diagnose  gegeben. 

Auf  anderen  Gebieten  der  Medizin  hat  man  nicht  mehr  viele  symptomato- 
logische  Krankheitsbegriffe  stehen  gelassen,  und  da,  wo  man  sie  noch  nicht  er- 
setzen konnte,  braucht  man  sie  nur  mit  dem  Bewußtsein,  daß  man  es  mit  einer 
vorläufigen  Formulierung,  nicht  mit  einer  Diagnose  zu  tun  hat.  In  der  Psych- 
iatrie muß  man  noch  für  solche  selbstverständhche  Auffassungen  kämpfen.  Man 
hebt  es  zwar,  die  Paralyse  als  Muster  eines  klaien  Begriffes  anzuführen,  sie  steht 
aber  in  direktem  Gegensatze  zu  den  symptomatologischen  Krankheitsbegriffen. 

Wir  haben  uun  den  Nachweis  zu  leisten,  1.  daß  die  anderen  Diagnosen, 
unter  denen  die  Kraepelinsche  Dementia  praecox  sonst  untergebracht  wird, 
keine  wirklichen  Krankheitsbegriffe  repräsentieren,  und 

2.  daß  der  Begriff  der  Dementia  praecox  etwas  Besseres,  einen  eigenthchen 
Krankheitsbegriff  an  die  Stelle  der  Zustandsbilder  setzt  und  zugleich,  daß  dieser 
Begriff  dem  entspricht,  was  wir  beobachten  können. 

Daß  Begriffe,  wie  Verwirrtheit,  akute  Paranoia,  akutes  halluzinatorisches 
Irresein,  Confusion  mentale  sowie  Manie  und  Melanchohe  im  älteren,  jetzt 
noch  in  Frankreich  und  England  gebräuchlichen  Sinne  keine  „Kranldaeiten" 
bezeichnen,  sollte  eigenthch  jedem  klar  sein,  der  Geisteslcranke  gesehen  hat. 
Ich  kann  mich  also  auf  wenige  Punkte  beschränken;  es  würde  viel  zu  lang,  woUte 
ich  von  diesen  Begriffen  alles  Böse  sagen,  das  ich  eigenthch  sagen  sollte;  und 
ich  wäre  der  Aufgabe  auch  aus  dem  Grunde  nicht  gewachsen,  weil  ich  mich 
einfach  nicht  in  diejenigen  hineindenken  kann,  die  jemals  hinter  diesen  Namen 
einen  Krankheitsbegriff  zu  sehen  glaubten. 

Zunächst  das  Formelle:  Eine  Begriffsbildung  nach  einer  emzehien 
auffallenden  Eigenschaft  hat  immer  etwas  Unbestimmtes  und  Willküi'hches  an 
sich.  Was  der  eine  für  das  Wichtige  ansieht,  beachtet  der  andere  möghcherweise 
kaum.  Bei  älteren  Schizophrenen  hat  bis  vor  wenigen  Jahren  ungefähr  die 
eine  Hälfte  der  Psychiater  die  Demenz,  die  andere  die  Wahnideen  und  Hallu- 
zinationen im  Vordergrunde  gesehen.  Ja  es  kommt  gar  nicht  so  selten  vor, 
daß  der  eine  ein  Symptom  überhaupt  nicht  konstatiert,  das  dem  andern  zu- 
nächst in  die  Augen  springt;  oder  der  eine  sieht  einen  Stupor,  wo  der  andere 
von  Stupor  nichts  wissen  wiU,  weil  er  einen  engern  Begriff  mit  diesem  Namen 
verbindet;  oder  der  eine  meint  gar,  Halluzinationen  direkt  zu  beobachten,  wo 
der  andere  an  ihrer  Existenz  zweifelt,  weil  der  Patient  kerne  Auskunft  gibt, 

sehr  gewagten  Begriff  der  Umbildung  konnte  man  nicht  wohl  ausweichen 
Nasse  beschrieb  sogar  Umbildungen  einer  Psychose  in  eine  andere,  daeim  Verlauf  emiger 
Stunden  eintraten. 


Krankheitsbegriff. 


223 


und  man  das  auf  Halluzinationen  Gedeutete  auch  aus  anderen  Grunderschei- 

nungen  erklären  kann. 

Und  nun  inhaltlich:  Ein  Symptom,  ein  psychisches,  wie  em  körper- 
liches (Schmerz,  Anasarka),  ist  nie  eine  Krankheit;  ein  Symptomkomplex  ist 
es  ebensowenig.  Es  wäre  auch  ein  großer  Zufall,  wenn  einmal  irgendem 
psychisches  oder  sonstiges  Syndrom  emer  wirklichen  Krankheit  entsprechen 
würde,  d.  h.  notwendig  im  Vordergrunde  jedes  einzelnen  Falles  dieser  Krankheit 
sein  müßte,  ohne  bei  anderen  Krankheiten  vorzukommen.  Hat  man  ein  Symptom 
oder  einen  Symptomenkomplex  bei  seinen  Kranken  gefunden,  so  ist  damit 
die  Systematik,  die  Bildung  des  Krankheitsbegriffes  nicht  am  Ende,  sondern 
am  Anfang;  jetzt  erst  hat  man  sich  zu  fragen:  In  was  für  Verbindungen  mit 
anderen  Symptomen  vmd  anatomischen  Befunden,  bei  welchem  Verlauf,  nach 
welchen  Ursachen  kommt  das  Symptom  vor?  Eventuell:  Auf  was  für  eine 
Grundstörung  ist  es  zurückzuführen?  Und  erst  die  Beantwortung  dieser  Fragen 
bringt  uns  den  Krankheitsbegriff. 

Die  meisten  der  zm-  Abgrenzung  der  alten  Pseudopsychosen  verwerteten 
Symptome  waren  schon  an  sich  ganz  ungeeignet  für  eine  solche  Rolle.  Hallu- 
zinationen z.  B.  gibt  es  bei  allen  Geisteskrankheiten,  ja  schon  bei  Gesimden. 
Ihr  Vorkommen  ist  also  nicht  einmal  brauchbar  als  Kriterium  zur  Abgrenzung 
von  gesund  und  krank,  geschweige  denn  zui'  Abgrenzung  der  einen  Geistes- 
krankheit von  der  andern.  Auch  das  quantitative  Verhältnis  derselben  zu  den 
anderen  Krankheitserscheinimgen  könnte  uns  nichts  sagen.  Wir  sehen  ja  z.  B. 
Paralysen,  Epilepsien,  senile  Verblödimgen  bald  mit  vielen  Halluzinationen, 
bald  ganz  ohne  solche  verlaufen;  es  fällt  uns  aber  nicht  ein,  deshalb  den  Krank- 
heitsbildern in  irgend  einer  Richtung  eine  andere  Deutung  zu  geben.  Wir  sehen 
sogar  in  den  verschiedenen  Anfällen  des  nämlichen  Manisch-Depressiven,  die  wir 
aus  guten  Gründen  als  gleichwertig  betrachten,  die  Halluzinationen  bald  im 
Vordergrund,  bald  ganz  fehlend.  Wenn  wir  nun  wie  in  der  Schizophrenie  Krank- 
heitskomplexe, die  in  allen  anderen  Merkmalen  der  Symptomatologie,  des  Ver- 
laufes usw.  identisch  sind,  sich  aber  durch  das  Vorkommen  von  Halluzinationen 
unterscheiden,  vor  uns  haben,  so  gibt  uns  das  noch  nicht  das  geringste  Recht, 
diese  Krankheitsbilder  als  etwas  Besonderes  aufzufassen. 

Wichtiger  wäre  die  Art  der  Halluzinationen.  Man  kann  ein  Delirium 
tremens  mit  Wahrscheinhchkeit,  und  wenn  noch  bestimmte  EigentümHchkeiten 
der  Reaktionsweise  hinzukommen,  mit  Sicherheit  an  der  Kombination  bestimmt 
gearteter  Gesichtshalluzinationen  mit  Tasthalluzinationen  erkennen;  ebenso 
erlaubt  die  beschriebene  Kombination  von  Halluzinationen  des  Gehörs  und  der 
Körperempfindungen  die  Diagnose  der  Schizophrenie  —  die  Diagnose,  aber 
nicht  die  Abgrenzung  des  Begriffes,  denn  die  Halluzinationen  können  in 
sonst  gleichwertigen  Fällen  ganz  fehlen  oder  das  Bild  vollständig  beherrschen;  sie 
können  im  einen  Falle  während  eines  fünfzigjährigen  Krankheitsverlaufes  nur 
acht  Tage  lang  zu  konstatieren  sein,  im  andern,  ebensolange  dauernden,  nur 
vorübergehend  fehlen;  kurz,  um  aus  ihnen  etwas  schließen  zu  können,  müssen 
sie  vorhanden  sein;  und  die  Diagnose  stützen  wir  einfach  auf  die  durch  die 
Erfahrung  gegebene  Korrelation  bestimmter  Halluzinationen  mit  den  anderen 
Symptomen  der  Schizophrenie.  So  hat  aus  guten  Gründen  niemand  gewagt 
den  Begriff  emer  Krankheit  auf  die  Art  der  Halluzinationen  zu  stützen 


224 


Schizophrenie. 


Noch  viel  schlimmer  steht  es  mit  dem  Begriffe  der  Verwirrtheit,  der 
der  Amentiaidee  zugrunde  hegt.  Verwirrtheit  ist  ein  Endsymptom,  das  durch 
die  verschiedensten  Störungen  hervorgebracht  wird,  wenn  sie  nur  hochgradig 
genug  sind.  So  sind  Manische,  Epileptische,  Hysterische,  Dehrierende,  Katato- 
nische gelegenthch  verwirrt;  die  genauere  Analyse  zeigt  aber,  daß  es  sich  trotzdem 
um  ebenso  viele  ganz  verschiedene  und  klinisch  unterscheidbare  Zustände  handelt. 
Der  Begründer  des  Amentiabegriffes  hatte  denn  auch  folgerichtig  alle  diese  Zu- 
stände zusammengefaßt  und  damit  seine  Lehre  ad  absurdum  geführt,  d.  h.  er 
hat  selber  gezeigt,  daß  seine  Voraussetzung  unrichtig  war,  weil  sie  logischer- 
weise zu  falschen  Konsequenzen  führt.  Auch  die  gereinigte  Amentia  der  neueren 
Wiener  Schule^)  leidet  noch  unter  dem  prinzipiellen  Fehler  der  ursprünghchen  Ab- 
grenzung. Wenn  Stransky  sich  nun  so  hilft,  daß  er  zur  Amentia  diejenigen  Fälle 
von  Verwirrtheit  rechnet,  die  nicht  zu  einem  andern  Krankheitsbegriff  gehören, 
so  wäre  das  nur  dann  praktisch  brauchbar,  wenn  wir  die  in  Betracht  kommenden 
anderen  Krankheiten  schon  kannten  und  abgegrenzt  hätten.  Die  Kraepelin- 
sche  Schule  zählt  aber  die  meisten  seiner  Fälle  unbedenkhch  zur  Dementia  praecox. 
Würden  wir  also  Stranskys  Definition  annehmen,  so  kämen  wir  gar  nicht 
mehr  als  sonst  in  den  Fall,  Amentia  zu  diagnostizieren. 

Auch  der  oft  zur  Differentialdiagnose  verwertete  Stupor  ist  dazu  ganz 
ungeeignet.  Alle  Ai'ten  von  Hemmungen  und  Sperrungen  treten  als  Stupor 
in  die  Erscheinung,  wenn  sie  nur  recht  hochgradig  sind.  Wichtig  für  die  Kenntnis 
der  Krankheit  ist  nur  das  ihm  zugrunde  liegende  Primärsymptom,  nicht  aber 
das  äußere  Bild,  der  Stupor.  Manischer,  epileptischer,  schizophrener  Stupor, 
Stupor  aus  Schreck,  alles  das  sind  ganz  verschiedene  Dinge. 

Für  viele  ist  es  von  großer  Bedeutung,  ob  die  Störung  bei  einer 
Geisteskrankheit  primär  die  Intelligenz  oder  die  Affektivität 
betreffe.  Neben  anderen  Schwierigkeiten  machen  aber  zwei  Umstände  ein  solches 
Kriterium  ganz  unbrauchbar:  wir  wissen  gar  nicht,  ob  es  primäre  Störungen 
des  einen  Gebietes  gibt,  die  das  andere  frei  lassen,  und  wir  wissen  noch  viel 
weniger  im  konkreten  Fall  zu  sagen,  was  primär  und  was  sekundär  ist.  So 
zeigen  sich  bei  der  Affektpsychose  „Manie"  sogar  Ideenflucht  und  gehobene 
Stimmung  nicht  als  voneinander  abhängig,  sondern  als  Korrelationen  (Beweis: 
die  Mischzustände);  so  streitet  man  sich  lebhaft,  ob  bei  der  „Verstandespsychose 
par  excellence",  der  Paranoia,  nicht  doch  die  Gefühlsstörung  das  primäre  sei. 
Es  handelt  sich  also  hier  um  ein  Kriterium,  das  vielleicht  gar  nicht  existiert, 
jedenfalls  aber  noch  von  niemandem  nachgewiesen  worden  ist. 

Einzelne  legen  sogar  Gewicht  auf  das  zeitliche  Vorausgehen  des  einen 
Symptoms  vor  dem  andern,  so  Ziehen,  der  in  gewissen  Fällen  Manie  annimmt, 
wenn  zuerst  die  affektive  Störung  eingetreten  ist,  dagegen  akute  haUuzinatorische 
Paranoia,  wenn  die  Halluzinationen  zuerst  da  waren  (840,  S.  338).  Wer  will 
diesen  Unterschied  konstatieren?  Das  von  Ziehen  (840,  S.  207)  empfohlene 
Ausfragen  des  Patienten  scheint  mir  denn  doch  für  viele  Fälle  zu  misicher. 

Daß  man  mit  solchen  Kriterien  nicht  scharf  abgrenzen  kann,  ist  selbst- 
verständlich; so  gibt  es  bei  den  svmptomatischen  Diagnosen  immer  eme  Menge 
Übergangsfälle  und  atypische  Fälle.  Die  Annahme  atypischer  Krank- 

1)  Stransky,  Pilcz. 


Kvankbeitsbegriff. 


225 


Leiten  ist  immer  ein  Testimonium  irgend  einer  Schwäche.  In  der  Natm-  ist 
nichts  typisch  und  nichts  atypisch;  die  „Forme  fruste"  hat  ihre  Existenz- 
berechtigung so  gut  wie  die  als  Typus  angenommene.  Wenn  wir  eme  Krankheit 
als  atypische  bezeichnen,  so  heißt  das,  sie  weicht  ab  von  einer  Norm,  die  wir 
aufgestellt  haben.  Wenn  ein  solches  Abweichen  vorkommt,  so  ist  das  ein 
Beweis,  daß  unsere  Norm  nicht  alle  Fälle  umfaßt,  die  sie  umfassen  sollte;  oder 
dann,  daß  wir  zu  Zwecken  der  Beschreibung  eine  bestimmte  Gruppe  von 
Fällen  unter  dem  Namen  der  „typischen"  herausgehoben  haben,  um  dann 
die  anderen  Fälle  als  Abweichungen  und  Varietäten  zu  schildern.  Letzteres 
Verfahren  bietet  oft  große  Vorteile ;  man  darf  aber  die  zu  didaktischen  Zwecken 
angenommene  Begrenzimg  der  Beschreibung  nicht  mit  der  Abgrenzung  des 
Begriffes  verwechseln.  Wenn  es  eine  Scarlatina  sine  exanthemate  gibt,  so 
umfaßt  eben  der  Krankheitsbegriff  der  Scarlatina  auch  diese  Form.  Was  typisch 
ist,  läßt  sich  nur  willkürüch  bestimmen.  Man  vergleiche  den  Begriff  der  Vesania 
typica  nach  Kahlbaum  oder  gar  nach  Arndt  (21;  a)  mit  der  Wirklichkeit 
und  mit  Cloustons  Ausspruch:  die  typische  Form  der  Geisteskrankheit  ist 
das  jugendliche  Irresein,  das  in  sekundäre  Demenz  übergeht. 

Was  nun  die  Übergänge^)  betrifft,  so  kommen  dieselben  an  manchen 
Orten  in  der  Natur  vor.  Es  gibt  keine  Grenze  zwischen  Höhenküma  und  Tiefen- 
Idima,  keine  zwischen  ehrlich  und  schlecht,  zwischen  gesund  und  abnorm  und 
keine  zwischen  den  verschiedenen  Arten  ,, psychopathischer  Persönlichkeiten"  des 
Kraepelinschen  Schemas.  In  diesen  Fällen  ist  eben  eine  natürliche  Einheit 
von  ims  künstlich  zerlegt  worden.  Es  ist  zwar  theoretisch  die  MögHchkeit 
zuzugeben,  daß  ein  solches  Verhältnis  auch  bei  den  Psychosen  oder  wenigstens 
bei  den  hier  in  Betracht  kommenden  Formen  derselben  bestehe:  es  könnte 
ja  nur  eine  Geisteskrankheit  geben;  dann  wären  die  Zustandsbilder,  die  wir 
abtrennen,  künsthche  Gebilde,  und  in  der  Natur  gäbe  es  keine  entsprechende 
Grenze.  Diese  Annahme  ist  wirkHch  vor  einigen  Jahrzehnten  gemacht  worden, 
und  konsequente  Anhänger  der  alten  Diagnosen,  wie  Ziehen,  halten  die  Idee 
der  Übergänge  wenigstens  für  die  bei  der  Diagnose  Dementia  praecox  in  Frage 
kommenden  Formen  noch  aufrecht.  Es  könnten  ferner  die  Psychosen  einfache 
Abweichungen  von  der  Norm  sein,  die  in  den  verschiedensten  Richtimgen  und 
Graden  vorkommen.  So  ist  alles  das,  was  Mag  na  n  unter  seinen  Degenerations- 
begriff subsumiert,  als  Einheit  gedacht;  zwischen  den  einzehien  hieher  ge- 
hörenden Krankheitsbildern  gibt  es  nach  dieser  Auffassung  keine  Grenzen, 
so  wenig  wie  zwischen  den  Verbrechern  Kraepelins  imd  seinen  Pseudologen.' 
Wir  haben  aber  keine  Anhaltspunkte  dafür,  daß  eine  dieser  An- 
nahmen für  die  Schizophrenie  zutrifft.  Im  Gegenteil  tendieren 
alle  Autoren  dahin,  die  Schizophrenien  als  eine  Vergiftung  oder 
ein  ähnliches  Novum  für  den  Körper  anzusehen;  sie  wären  dann 
der  Paralysegruppe  ganz  an  die  Seite  zu  steUen  und  düi-ften  keine  Über- 
gänge zu  anderen  Krankheiten  zeigen. 

Es  gibt  auch  sehr  gute  Gründe,  solche  Übergänge  direkt  auszuschheßen  • 
und  wenn  Pilcz  (580,  a,  S.  205)  in  seinem  Material  mehr  atypische  als  Schul- 
fällc  findet,  so  kann  ich  nicht  verstehen,  warum  das  nicht  das  Todesui'teil  seiner 

')  Ziehens  konvergierende  Formen  (848)  müssen  wir  unberücksichtigt  lassen. 

Handbuch  der  Psychiatrie:  Bleuler. 

15 


22G 


Schizophrenie. 


Systematik  sein  soll.  Wir  wollen  noch  erwähnen,  daß  auch  die  Wiener  Schule 
die  Grenzen  ihrer  Amentia  immer  mehr  verengert  hat,  und  daß  Pilcz 
selber  seine  sekmidäre  Demenz  nicht  von  der  Dementia  praecox  unterscheiden 
kann.  Der  Autor  meint  mm  allerdmgs,  daß  verschiedene  Prozesse  zu  der  gleichen 
psychischen  Narbe  führen  könnten;  das  ist  nicht  zu  bestreiten;  wenn  aber  die 
Endzustände  von  niemandem  und  die  Anfangszustände  nur  von  einer  Schule 
abgegrenzt  werden  können,  und  auch  von  dieser  nicht  einmal  scharf,  und  nicht 
einmal  in  der  Hälfte  der  Fälle,  dann  hegt  doch  wirldich  wenig  Grund  vor,  solche 
„Krankheiten"  als  verschiedene  anzusehen. 

Mit  diesen  Bemerkungen  kommen  wir  zur  Praxis,  die  die  bitterste  Ironie  auf 
die  alten  Einteilungsprinzipien  darstellt.  Unsere  Literatur  ist  voll  von  Klagen  über 
den  chaotischen  Zustand  der  Systematik  der  Psychosen,  mid  jeder  Psychiater  weiß, 
daß  man  sich  auf  Grund  der  alten  Diagnosen  gar  nicht  genügend  verständigen  kann. 
Nicht  einmal  unter  einander  nahestehenden  Klinikern  ist  eine  Diskussion  mögUch, 
ohne  daß  jeder  seinen  besonderen  systematischen  Standpunkt  rkizziert^) ;  Fürst  ners 
halluzinatorisches  Irresein  ist  etwas  ganz  anderes  als  das  Meynertsche;  Schuele 
plädiert  für  Aufrechterhaltung  der  Kah  Iba  umsehen  Katatonie,  rechnet  aber  die 
primäre  Demenz  dazu ^) ;  Fürst ner  behauptet,  die  Amentia  habe  man  nie  der 
Paranoia  zugerechnet^),  während  Wer  nicke  umgekehrt  meint,  die  Paranoia  acuta  sei 
in  der  „von  Meynert  so  meisterhaft  geschilderten  Amentia"  enthalten*).  So 
können  sich  mit  den  alten  Begriffen  nicht  einmal  die  Koryphäen  der  Wissenschaft 
verständigen,  und  viele  Patienten  tragen  genau  so  viele  Diagnosen  mit  sich  herum, 
als  sie  Anstalten  besucht  haben.  Selbstverständlich  war  auch  jeder  Verfasser  eines 
Lehrbuches  genötigt,  sich  vor  allem  eine  Systematik  zurechtzuschustern,  denn  die- 
jenige seiner  Vorgänger  ist  für  seine  Denk-  und  Beobachtungsweise  unbrauchbar. 
Auch  innerhalb  der  gleichen  Schule  ist  dem  einen  schon  eine  Paranoia,  was  der  andere 
noch  eine  Melancholie  nennt.  Die  Zwischenformen,  die  atypischen  Fälle  muß  man 
eben  durch  einen  Gewaltspruch  irgendwo  miterbringen.  Ereignisse  wie  das  folgende 
sind  etwas  Gewöhnliches:  In  einer  Anstalt  trägt  der  große  Topf  die  Aufschrift 
,, Dementia".  Nmi  kommt  ein  neuer  Arzt  imd  vergrößert  den  daneben  stehenden 
mit  der  Etikette  „Paranoia"  versehenen  Topf  und  packt  dann  behutsam  einen  lun 
den  andern  der  alten  Insassen  bei  irgend  einem  Wahnideerudiment  und  steckt  ihn 
in  den  neuen  Topf  — ,  und  dabei  meint  er  Fehler  seines  Vorgängers  zu  korrigieren. 

Noch  schöner  charakterisiert  es  das  Unfaßbare  der  alten  Krankheitsbegriffe, 
wenn  Cramer  bei  Anlaß  der  Differentialdiagnose  des  „degenerativen  Irreseins" 
(140)  den  Rat  geben  muß:  „Fälle,  bei  welchen  unter  Auftreten  von  stuporösen 
Erscheinungen  rasch  eine  Verblödung  eintritt,  rechnet  man  am  besten  zur  katatoni- 
schen Paranoia  oder  Katatonie  im  Sinne  von  Kraepelin".  „Am  besten."  das  sagt 
mehr  als  eine  ganze  Abhandlung^). 

Sehr  oft  hat  man  dem  wirklichen  Krankheitsbild  dadurch  gerecht  zu  werden 
versucht,  daß  man  mehrere  Krankheiten  zu  gleicher  Zeit  beim  gleichen  Patienten 


1)  Vgl.  z.  B.  die  Paranoiadiskussion  im  psychiatrischen  Verein  in  BerUn  vom  17.  Mötä 
1894.  Allgem.  Zeitschr.  f.  Psych.,  1895,  S.  178. 

2)  Allgem.  Zeitschr.  f.  Psych.,  1901,  S.  705. 
^)  Allgem.  Zeitschr.  f.  Psych.,  1894,  S.  1081. 

Allgem.  Zeitschr.  f.  Psych.,  1899,  S.  642.  Was  hat  den  beiden  Autoren  die 
„meisterhafte  Schilderung"  genutzt?  .  i  ^nnrlorn  nur 

Im  Sinne  von  Kraepelins  Diagnosen  gibt  es  kern  „am  besten  .  ''Ondena  n^ 
ein  „richtig"  oder  „falsch",  ebenso  wie  man  nicht  gewisse  lieberkrankheiten  „am 
bestek"  dem  Typhus  oder  dann  der  akuten  Miliartuberkulose  zurechnet. 


JKrankheitsbegrifl'.l 


227 


a 


„nnahm;  die  Fälle  wurden  dadmx-h  allerdings  vollständiger  beschrieben  —  al)er 
richtiger  untergebracht  gewiß  nicht.  Die  Kombinationen  von  verschiedenen  Psy- 
chosen wuchsen  überhaupt  bei  manchen  Systematikern  unheimhch  an;  denn  eine 
unvollständige  Diagnose  konnte  durch  eine  zweite  und  dritte  ergänzt  werden. 

In  neuerer  Zeit  konnten  sich  viele  deutsche  wie  ausländische  Autoren  dem 
Einfluß  des  Dementia-praecox-Begriffes  nicht  entziehen.  Sie  nehmen  eine  Hebe- 
phrenie,  eine  Katatonie  oder  eine  Dementia  praecox  an,  geben  aber  dem  Begriff 
einen  geringeren  Umfang,  so  daß  daneben  akute  und  chronische  halluzinatorische 
Paranoia,  Amentia,  Confusion  mentale  doch  noch  vorkommen.  Damit  ist  natürlicli 
nichts  gewonnen  als  ein  neues  symptomatologisches  Bild,  das  man  Krankheit 
nennt,  und  dann  erst  noch  in  mißverständlicher  Weise  mit  dem  gleichen  Namen 
bezeichnet,  wie  den  qualitativ  und  quantitav  ganz  verschiedenen  Kraepelin schien 
Begriff.  Es  mag  geniigen,  noch  einen  ausländischen  Autor  anzuführen:  Anglade 
(16,  S.  368)  weiß  zur  Differentialdiagnose  zwischen  Confusion  mentale  und  Dementia 
praecox  nur  anzugeben:  Der  Schizophrene  versucht  gar  nicht  zu  antworten,  der 
Konfuse  hat  mehr  guten  Willen,  aber  beide  antworten  ungenau,  unzusammenhängend, 
absurd;  der  Konfuse  ist  physisch  meist  herimtergekommen,  der  Demente  nicht; 
die  Unterschiede  ,, fühlt"  man  oft  mehr,  als  daß  man  sie  beschreiben  könnte.  — 
Um  diese  in  Wirklichkeit  gar  nicht  existierenden  und  —  wenn  sie  existierten  — 
kaum  nachweisbaren  Kriterien  zu  finden,  mußte  er  zwei  andere  Autoritäten, 
Hannion  und  Chaslin,  herbeiziehen.  Was  hat  eine  solche  Systematik  für 
einen  Sinn? 

Diesem  Wirrwarr  gegenüber  hat  die  Aufstellung  des  Dementia-praecox- 
Begriffes  Klarheit  und  Ordnung  gebracht. 

Die  Kraepelinsche  Dementia  praecox i)  ist  ein  wirklicher  Krankheits- 
begriff : 

Er  hat  Symptome,  die  nur  ihm  zukommen  imd  immer  bei  ihm  vorhanden 
sind.  Dadurch  erhält  die  Krankheitsgruppe  nach  außen  wirkUche  Grenzen. 

Die  als  akzessorisch  bezeichneten  Symptome  sind  unwesenthch,  denn  sie 
können  auftreten  mid  verschwinden,  ohne  daß  die  Krankheit  ihr  Wesen  ändert. 

Die  verschiedenen  unter  dem  Begriffe  zusammengefaßten  Krankheits- 
bilder doknimentieren  sich  auch  darin  als  eine  Einheit,  daß  sie  nach  unserem 
jetzigen  Wissen  beim  nämhchen  Patienten  ineinander  übergehen  oder  miteinander 
wechsehi  können,  und  daß  sich  keine  Gruppe  herausheben  läßt,  die  nicht  zu 
allen  anderen  Formen  fheßende  Übergänge  zeigte. 

Die  AufsteUung  entspricht  auch  der  Wirkhchkeit,  denn  die  Kriterien 
sind  m  concreto  sehr  leicht  zu  finden,  und  tatsächhche  Widersprüche  gegen  die 
Konzeption  hat  meines  Wissens  noch  niemand  konstatiert. 


Was  für  eine  Art  Einheit  nun  der  Begriff  der  Dementia  praecox  repräsentiert 
ist  noch  nicht  klar.  Wahrschebhch  enthält  er  eine  oder  einzelne  wenige  Krank- 
heiten im  engeren  Shme,  die  den  größten  Teil  der  FäUe  enthalten,  etwa  so  wie 
die  syphihtische  Paralyse  den  größten  Teil  aller  FäUe  von  Dementia  paralytica 
des  vorigen  Jahrhunderts  umfaßt.  Außerdem  werden  wahrscheinlich  einige 
seltenere  Krankheitsprozesse  Symptome  hervorbringen,  die  für  unser  jetziges 

^^ü^  ,  ?  Seitdem  dies  geschrieben,  hat  ihn  Kraepelin  etwas  enger  gemacht  Ich  kann 
>hm  dabe:  nicht  folgen  und  halte  mich  an  die  ß.  und  7.  Auflage  seinfr  Psychiatrie! 


15 


* 


228 


Scbizopbrenie. 


Wissen  gleichartig  sind.  Wir  waren  zwar  imstande,  bei  schizophrenieähnlichen 
Fällen  von  organischen  Störungen  im  Gehirn  die  Diagnose  zu  machen  oder 
wenigstens  etwas  „Atypisches"  bei  den  Kranken  zu  sehen.  Es  ist  aber  nicht 
auszuschheßen,  daß  doch  noch  gewisse  leichte  organische  Störungen  Symptomen- 
komplexe hervorbringen,  die  wir  jetzt  als  Dementia  praecox  bezeichnen.  Ferner 
wäre  es  möglich,  daß  irgendwelche  Intoxikation,  wie  die  alkohohsche,  ähnhche 
Bilder  hervorbrächte  (vgl.  unten).  Und  vor  allem  ist  es,  solange  uns  der 
eigentliche  Krankheitsprozeß  unbekannt  ist,  nicht  auszuschließen,  daß  ver- 
schiedene Arten  von  Autointoxikation  oder  von  Infektion  zu  dem  gleichen 
symptomatischen  Bilde  führen  könnten. 

Die  Dementia  praecox  ist  also  vorläufig  nicht  als  Spezies  einer  Krankheit 
aufzufassen,  sondern  als  Genus,  im  gleichen  Sinne  wie  die  „organischen  Geistes- 
ki-ankheiten",  oder  vielleicht  in  dem  engeren,  wie  die  Dementia  paralytica  der 
letzten  Dezennien. 

Wir  sind  also  mit  der  Dementia  praecox  noch  nicht  so  weit  gekommen,  wie 
z.  B.  mit  dem  Begriff  der  infektiösen  Nephritis;  unser  vorläufiger  Begriff  hat  un- 
gefähr die  Bedeutung,  die  früher  dem  chronischen  Morbus  Brightii  zukam.  Dieser 
umfaßte  noch  mehrere  verschiedene  Nierenprozesse,  die  aber  in  den  wichtigsten 
und  damals  allein  erkennbaren  Zeichen  übereinstimmten.  Ähnlich  ist  wohl  jetzt 
noch  der  Begriff  des  Gelenksrheumatismus,  der  möglicherweise  verschiedene  In- 
fektionen enthält;  diese  sind  aber  noch  nicht  trennbar  und  repräsentieren  für  uns 
noch  eine  Einheit,  denn  es  fällt  uns  nicht  ein,  z.  B.  einen  Gelenksrhemnatismus 
mit  Endokardititis  als  eine  andere  Kranlcheit  zu  bezeichnen  als  einen  solchen  ohne 
diese  ,, Komplikation",  oder  die  Krankheit  zu  zerlegen  je  nach  der  Lokalisation  in 
den  verschiedenen  Gelenken. 

Innerhalb  des  geschilderten  Krankheitsbildes  haben  wir  bis  jetzt  keine 
natürlichen  Scheidewände  finden  können.  Die  verschiedenen  Symptomen- 
kombinationen gehen  beim  einzelnen  Kranken  und  von  Patient  zu  Patient 
so  ineinander  über,  daß  alle  Unterschiede  flüssig  erscheinen.  Unsere  Unter- 
gruppen, Hebeplirenie,  Katatonie,  Paranoid,  sind  also  wohl  „zufäUige"  Er- 
scheinungsweisen der  gleichen  Krankheit;  jedenfalls  entsprechen  sie  bloß  Bildern, 
die  a  potiori  benannt  werden,  und  bei  denen  das  Potius  nur  unwesentUche  Sym- 
ptome betrifft. 

Ich  habe  mich  lange  gesträubt,  alle  paranoiden  Formen  zur  Dementia  praecox 
zu  zählen;  namentlich  die  Dementia  paranoides  im  engeren  Sinne  mit  ihrem  sym- 
ptomatologisch  und  verlaufsweise  so  leicht  zu  umschreibenden  und  eigenartigen 
Bilde  war  das  beständige  Ziel  meiner  partikularistischen  Wünsche.  Auf  der  einen  Seite 
hat  aber  ein  Eingehen  in  die  Psychopathologie  überall  die  nämlichen  Grund- 
erscheinungen gezeigt,  auf  der  anderen  gab  das  genauere  Studium  unserer  Krankheits- 
fälle soviel  Gleichartiges,  soviel  Übergänge  und  ein  so  vollständiges  Fehlen  aller  mit 
unseren  jetzigen  Mitteln  wahrnehmbaren  Grenzen,  daß  ich  nicht  anders  konnte, 
als  mich  Kraepelin  anzuschließen,  der  nun  allerdings  in  neuerer  Zeit  wieder,  wie 
ich  es  früher  getan  hatte,  eine  Zwischengruppe  zwischen  Paranoia  und  Schizophrenie 
vermutet.  Hier  kann  ich  ihm  nicht  mehr  folgen,  weil  ich  in  der  Richtung  gegen  die 
Paranoia  nirgends  an  eine  Grenze  komme,  bis  zum  engen  Begriff  der  Kraepelin- 
schen  Paranoia. 

Die  Zerlegung  der  Schizophreniengruppe  ist  also  eine  Aufgabe  der  Zukunft. 
Ich  halte  es  aber  für  noch  wichtiger  als  die  Abgrenzung  der  Krank- 


Kranklieitsbegriff. 


229 


heit  nach  außen,  daß  einmal  klar  ausgesprochen  worden  ist: 
innerhalb  dieser  Gruppe  kennen  wir  noch  keine  natürlichen  Grenzen;  was  man 
bis  jetzt  für  Grenzen  ausgab,  sind  Grenzen  von  Zustandsbildern,  nicht  von 
Krankheiten.  Irrtümer  hindern  die  Wissenschaft  am  meisten  am  Fort- 
schreiten; sie  zu  beseitigen  hat  mehr  praktischen  Wert,  als  eine  neue  Erkeimtnis 
zu  gewinnen.  Und  hier  ist  ein  ganzes  Chaos  von  Namen^)  beseitigt  worden, 
hinter  denen  man  fälschlicherweise  brauchbare  Ki-anldieitsbegriffe  suchte,  und  em 
Wald  von  Grenzpfählen,  von  denen  keiner  an  einer  natürlichen  Grenze  stand. 

Nach  zwei  Seiten  allerdings  ist  der  Begriff  noch  nicht  gut  abgeschlossen, 
gegen  die  Paranoia  und  die  Alkoholpsychosen. 

Der  Kraepelinschen  Paranoia  fehlen  die  Gemüts-  und  Assoziations- 
störungen außerhalb  des  Wahnsystems  und  alle  die  groben  Anomalien  Avie  die 
katatonen  Symptome.  So  können  wir  beim  Paranoiker  überhaupt  eine  Krankheit 
außerhalb  seiner  Wahnideen  nicht  nachweisen.  Damit  ist  auch  die  Prognose  eine  ganz 
andere:  die  Paranoiker  verblöden  nicht  (bis  etwa  Dementia  senilis  das  Bild  kom- 
pliziert), wenn  sie  auch  gelegentUch,  wie  alle  Leute,  die  nur  noch  einseitig  denken, 
mehr  oder  weniger  versimpeln  können. 

Der  Mechanismus  der  Wahnbildung  bei  der  Paranoia  ist  aber  für  unsere  jetzigen 
Untersuchimgsmethoden  identisch  mit  dem  bei  der  Schizophrenie,  und  so  wäre  es 
möghch,  daß  die  Paranoia  eine  ganz  chronisch  verlaufende  Schizophrenie  wäre, 
die  so  milde  ist,  daß  sie  gerade  noch  zu  Wahnideen  führen  kann,  deren  weniger  auf- 
fallende Symptome  aber  so  wenig  ausgesprochen  sind,  daß  wir  sie  nicht  nachweisen 
können.  Ich  würde  das  für  äußerst  wahrscheinlich  halten,  wenn  es  häufiger  vorkäme, 
daß  zu  einer  anfängHch  reinen  Paranoia  später  noch  schizophrene  Symptome  kämen. 
Wir  mußten  sehr  wenig  Fälle  aus  Paranoia  in  Schizophrenie  umdiagnostizieren, 
und  es  war  keiner  darunter,  der  nicht  schon  von  Anfang  an  auf  Schizophrenie  ver- 
dächtig gewesen  wäre.  Leider  ist  diese  Erfahrung  noch  kein  genügender  Beweis 
für  die  prinzipielle  Verschiedenheit  der  beiden  Krankheiten,  da  die  Paranoia  in 
den  Anstalten  sehr  selten  ist. 

Ebenso  miklar  ist  noch  das  Verhältnis  der  Schizophrenie  zu  den  verschiedenen 
paranoiden  Formen  des  Alkoholismus,  verlaufen  sie  akut  oder  chronisch.  Die 
beiden  häufigsten  Psychosen,  der  Alkoholismus  und  die  Schizophrenie,  haben  natürhch 
eine  Menge  äußerer  Berührungspunkte.  So  sehen  wir  häufig,  daß  die  Halluzinationen 
bei  akuten  Anfällen  trinkender  Schizophrenen  alkoholische  Färbung  haben,  sei 
es  in  dem  Sinne  der  lebhaften,  multiplen,  beweghchen  Gesichts-  und  Getast- 
halluzinationen des  Delirium  tremens,  sei  es  nach  Art  der  szenisch  zusammen- 
hängenden, den  Kranken  in  dritter  Person  nennenden  Gehörshalluzinationen  des 
Alkohol wahnsinn82).  Diese  Färbung  habe  ich  nie  gesehen,  wenn  nicht  der  Alkoholis- 
mus die  Schizophrenie  komplizierte. 

Die  Schizophrenie  disponiert  aber  auch  zum  Delirium  tremens  selbst.  Delirium 
tremens  im  Jünglingsalter  (bis  etwa  zum  25.  Jahr>  nach  wenigen  Jahren  über- 
mäßigen Alkoholgenusses  habe  ich  nur  bei  Schizophrenen  gesehen. 

Auch  den  Alkoholwahnsinn  habe  ich  auf  dem  Boden  der  Schizophrenie  ent- 

^)  Chaalin  (118)  zählt  31  Namen  auf  nur  für  die  akuten  halluzinatorischen  Zu- 
stande, die  alle  gerade  bei  der  Dementia  praecox  am  häufigsten  vorkommen. 

_  =*)  Begleitender  Alkoholismus  kann  überhaupt  den  akuten  Syndromen  der  Schizo- 
phi-enie  einen  logischen  Zusammenhang  verleihen;  während  umgekehrt  die  flüchtigen 
Smnestauschungen  des  Delirium  tremens  durch  den  sclüzoplu-enen  Einfluß  der  Komplexe 
zu  emem  m  Inhalt  und  Ablauf  einheitlicheren  Bilde  geordnet  werden,  woran  sich  die 
ratienten  ungleich  besser  erinnern  als  an  die  wenig  zusammenhängenden  Einzelheiten  des 


230 


ScliizoplirenieJ 


stehen  sehen.  Er  hat  nach  verschiedenen  Autoren  die  Tendenz,  in  paranoide 
Formen  auszugehen,  die  wir  nicht  mehr  von  schizophrenen  unterscheiden  können. 
So  ist  es  nach  meinem  Material  nicht  auszuschließen,  daß  der  akute  Alkoholwahn- 
sinn ein  durch  Alkohol  hervorgerufenes  und  spezifisch  gefärbtes  Intermezzo  im 
Verlauf  einer  Schizophrenie  darstelle.  Durch  diese  Auffassung  würde  es  auch  ver- 
ständlich, daß  beim  Alkoholwahnsinn  die  übrigen  Zeichen  des  Alkoholismus  so  oft 
fehlen,  und  daß  v.  Speyr  und  Schuele  bei  der  akuten  Alkoholparanoia  den  kür- 
zesten Alkoholmißbrauch  finden. 

Die  chronische  Alkoholparanoia  nun  habe  ich  zwar  schon  sehr  oft  von  anderer 
Seite  diagnostiziert  gesehen;  es  ist  mir  aber  noch  kein  Fall  unter  Augen  gekommen, 
bei  dem  ich  nur  den  leisesten  Grund  gehabt  hätte,  etwas  anderes  zu  sehen  als  eine 
ganz  gewöhnliche  Schizophrenie  bei  einem  Patienten,  der  auch  trank.  Wirkliche 
Zeichen  von  Alkoholismus  waren  nicht  einmal  in  allen  Fällen  vorhanden;  dafür 
war  die  Anamnese  gewöhnlich  schizophren.  So  ist  es  für  mich  ganz  unzweifelhaft, 
daß  der  größte  Teil  der  chronischen  Alkoholparanoien  der  Autoren  nichts  als  Schizo- 
phrenien sind^).  Damit  stehen  in  Einklang  die  Beobachtungen  E.  Meyers  und 
Bonhoeffers,  daß  die  Prognose  der  chronischen  Alkoholparanoia  mit  dem  Auf- 
treten von  Größenideen  und  von  Halluzinationen  der  niederen  Sinne  und  der  Organ- 
empfindungen, also  von  schizophrenen  Symptomen,  sich  verschlimmere.  Die 
„paranoide  Disposition",  die  E.  Meyer  an  der  Wurzel  der  Alkoholparanoia  voraus- 
setzt, wäre  dann  in  Wirklichkeit  eine  latente  Schizophrenie,  und  wir  hätten  es  nicht 
zu  tun  mit  auf  alkoholischer  Basis  entstandener  Paranoia,  sondern  mit  auf  schizo- 
phrenem Boden  entstandenem  Alkoholismus.  Jedenfalls  ist  bis  jetzt  der  Be- 
weis für  die  Existenz  einer  nicht  schizophrenen  Alkoholparanoia 
nicht  geleistet^).  Damit  möchte  ich  nicht  ausschließen,  daß  er  nicht  an  Material 
aus  anderen  Gegenden  doch  noch  erbracht  werden  könne. 

Alkoholstupor^),  der  im  Osten  häufig  sein  soll,  habe  ich  noch  nicht  gesehen, 
dafür  manchmal  Stupor  bei  Schizophrenen,  die  zu  viel  tranken. 

Auch  den  Kraepelinschen  halluzinatorischen  Schwachsinn  der 
Trinker  kenne  ich  nicht  aus  eigener  Erfahrung.  Leider  habe  ich  auch  keine  von 
anderer  Seite  diagnostizierten  Fälle  zu  sehen  bekommen.  Ich  darf  also  ihre  Existenz 
nicht  bezweifeln  und  habe  zur  Zurückhaltung  noch  einen  andern  Grund.  Der  Alkohol- 
abusus führt  schließlich  zur  Hirnatrophie,  also  zu  einer  Form  von  Schwachsinn. 
Unter  Abstinenz  bleibt  der  Hirnprozeß  stehen,  und  die  Funktionsstörungen  gleichen 
sich  mehr  oder  weniger  aus.  So  mag  es  manchmal  nicht  mehr  möglich  sem,  den 
organischen  Ursprmig  des  Schwachsinnes  nachzuweisen.   Halluzinationen  können 


gewöhnlichen  DeHrium  tremens.  Dadurch  und  durch  das  Vorwiegen  der  SprachhaUuzi- 
nationen  entstehen  auf  schizophrenem  Boden  Übergangsformen  des  DeHrium  tremens  zum 

Alkoholwahnsinn.  ,  .  u     i  i 

Bemerkenswert  ist  auch,  daß  die  Patienten,  die  zur  Pohzei  gehen  und  sich  anklagen, 
ein  bestimmtes,  von  anderen  begangenes  Verbrechen  ausgeführt  zu  haben,  meist  alkoho- 
lische Schizophrene  sind.  '  ,   r     i.  -i  i 

1)  Der  bloß  alkoholische  Eifersuchtswahn  bildet  sich,  soweit  ich  beurteilen  kann, 

unter  Abstinenz  wieder  zurück.  ,„  ,   i  , 

2)  Pilcz'  Lehrbuch  (S.  96)  kann  zur  Differentialdiagnose  des  Alkoholwalmsinns 
gegenüber  seiner  echten  Paranoia  (id  est  Schizophrenie)  nur  anführen  den  anamnestischen 
Nachweis  des  akuten  Beginnes  bei  einem  Gewohnheitssäufer.  Es  gibt  also  nach  ihm  gar 
keinen  Unterschied,  denn  viele  Schizophrenien  werden  bei  einem  Gewohnheitssaufer  akut 
manifest.  Auch  Schröder  (673)  kann  die  Frage  nach  der  Existenz  der  chronischen  Alkohol- 
psychosen „nicht  mit  Sicherheit  im  bejahenden  Sinne  beantworten.    Vgl.  auch  Chotzen 

(124,  S.  475).  .  ^„  , 

3)  Als  Krankheit,  nicht  als  Emotionsstupor  bei  Alkoholikern. 


Krankheitsbegriff'. 


231 


überall  vorkommen,  warum  nicht  bei  einzelnen  hirnatrophisclien  Alkoholikern? 
Allerdings  beweisen  die  Beschreibungen  Kraepelins  und  Schröders  noch  nicht 
die  Notwendigkeit  der  Abtrennung  eines  alkoholischen  halluzinatorischen  Schwach- 
sinnes von  der  Schizophrenie.  _  . 

Ob  ein  schwerer  Korsakow  zu  einem  chronischen  schizophrenieartigen  Bilde 
führen  kann,  oder  ob  ein  Korsakow,  der  in  eine  Schizophrenie  überzugehen  scheint, 
von  vornherein  eine  Schizophrenie  war,  die  durch  Korsakow  kompliziert  worden 
ist,  muß  weitere  Beobachtung  ergeben.  In  zwei  Fällen  meiner  Beobachtung  war 
das  letztere  wahrscheinlich,  und  zwar  namentlich  deshalb,  weil  die  Kranken  von 
einem  bestimmten  Zeitpunkt  an  einen  so  unsinnigen  Lebenswandel  geführt  hatten, 
daß  er  sich  besser  durch  eine  Dementia  praecox  als  durch  einen  bloßen  Alkoholismns 
erklärt. 

Schwierigkeiten  wie  die  obgenannten  zeigen  sich  wohl  bei  jedem  Krank- 
heitsbegriffe. Der  der  Dementia  praecox  ist  im  übrigen  ein  sehr  gut  ab- 
geschlossener. Vor  den  symptomatologischen  Krankheitsbildern  hat  er  voraus, 
daß  es  bei  ihm  kein  „Mehr  oder  Weniger"  gibt: 

Wenn  einmal  die  schizophrene  Gemütsstörung  oder  die  schizophrene 
Assoziationsanomalie  nachgewiesen  ist,  so  ist  die  Diagnose  gesichert.  Fragen 
kann  man  sich  nur,  ob  eine  noch  wenig  ausgesprochene  Gemütsstörung 
schon  eine  schizophrene  sei ;  das  sind  Schwierigkeiten,  die  nicht  dem  Krankheits- 
begriff, sondern  unseren  diagnostischen  Mitteln  anhaften  und  bei  keiner  Krankheit 
fehlen;  ob  ein  bestimmtes  unreines  Atmen  schon  pneumonisches  Bronchial- 
atmen sei,  ist  eine  technische  Frage,  nicht  eine  des  Krankheitsbegriffes.  Der 
Begriff  der  Schizophrenie  ist  also  schon  deswegen  jedem  sjonptomatischen  über- 
legen, weil  es  sich  bei  diesem  Kranldieitsbegriffe  nicht  um  relative,  sondern 
um  absolute  Kriterien  handelt  —  absolut  m  dem  Sinne,  daß,  wenn  die  Kriterien 
nachgewiesen  sind,  die  Diagnose  unter  allen  Umständen  gesichert  ist. 

Das  zeigt  sich  denn  namentlich  beim  Verlaufe.  Ist  die  Diagnose  einmal 
gemacht,  so  muß  sie  nicht  mehr  geändert  werden;  es  treten  keine  Symptome  mehr 
auf,  die  nicht  zu  der  Krankheit  gehören;  es  kann  nicht  vorkommen,  daß  die 
richtig  diagnostizierte  Dementia  praecox  von  heute  auf  morgen  eine  Paralyse 
oder  eme  Epilepsie  sei;  die  Krankheit  hält  sich  immer  innerhalb  der  gleichen 
Symptomengruppen. 

Natürlich  müssen  nicht  alle  Symptome  in  jedem  einzekien  Fall  auftreten, 
so  wenig  vne  bei  jedem  Typhus  eine  Darmblutung  eintritt.  Auch  kann  es  selbst^ 
verständlich,  wie  bei  allen  anderen  Krankheiten,  in  leichten  Fällen  der  Schizo- 
phrenie vorkommen,  daß  man  zu  einer  gegebenen  Zeit  ein  vorhandenes  Symptom 
mit  imseren  jetzigen  Mitteb  nicht  nachweisen  kann. 

Die  Schizophrenie  kann  zu  jeder  Zeit  stille  stehen,  gerade  wie  z.  B.  eine 
Limgentuberkulose.  Bilden  sich  dann  die  akuten  Symptome  zurück,  und  ist  die 
Krankheit  nicht  weit  vorgeschritten,  so  kann  man  mit  miseren  Mitteln  unter 
Umständen  kaum  mehr  etwas  Pathologisches  finden,  gerade  wie  die  Reste  einer 
Spitzeninfiltration  m"cht  zu  erkennen  sind,  wenn  sie  nicht  einen  gewissen  Umfang 
erreicht  haben.  Sind  aber  Symptome  vorhanden,  so  ist  es  für  den  Krankheits 
begriff  ganz  unwesentlich,  ob  sie  kaum  merklich  oder  hochgradig  seien-  in  jedem 
i^alle  bleiben  sie  im  Rahmen  der  schizophrenen  Symptome.  Es  ist  also  niclit 
wie  sonderbarerweise  viele  Gegner  meinen,  daß  die  Schizophrenie  i„  ' 


232 


Schizophrenie. 


l^aile  zur  ausgesprochenen  Verblödimg,  führen  müsse,  sondern:  wenn  die  Krank- 
heit weiter  schreitet,  so  führt  sie  zur  Verblödung,  und  diese  Verblödung  hat  einen 
spezifischen  Charakter.  Sie  braucht  aber  nicht  weiter  zu  schreiten. 

Einige  der  häufigsten  Einwendungen,  denen  der  Dementia  praecox-Begriff 
begegnet  ist,  mögen  hier  erwähnt  werden. 

Zunäclist  war  wohl  die  Vielgestaltigkeit  des  äußeren  Krankheitsbildes  das 
größte  Hmdernis  semer  Anerkennung.  Nachdem  aber  nachgewiesen  ist,  daß  ein- 
zelne durchgehende  Symptome  existieren,  während  den  wechselnden  keine  systemati- 
sche Bedeutung  zukommt,  ist  die  Einheit  in  der  Menge  der  Formen  nicht  mehr  viel 
schlechter  zu  erkennen  als  bei  der  Paralyse.  Jedenfalls  handelt  es  sich  um  eine  Gruppe 
von  Krankheiten,  die  von  allen  anderen  Kraepelinschen  Gruppen  prinzipiell 
unterschieden  sind. 

Einer  der  häufigsten  Einwände,  der  auch  jetzt  noch  besonders  im  Auslände 
viel  gehört  wird,  ist  merkwürdigerweise  der,  es  handle  sich  nicht  immer  um  eine 
Demenz  noch  um  eine  Präcocitas.  Nachdem  Kraepelin  den  Begriff  so  klar  um- 
schrieben unter  ausdrücklicher  Erwähnung  von  Heilungen  und  Späterkrankungen, 
darf  dies  als  grobes  Mißverständnis  bezeichnet  werden,  das  den  Begriff  nicht  kennen 
will  und  sich  an  den  Namen  klammert. 

Eher  Beachtimg  verdient  schon  der  Einwand,  daß  Krankheitsfälle,  von  denen 
die  einen  heilen,  die  anderen  in  Blödsinn  übergehen,  nicht  zusammengehören.  Der 
Einwurf  würde  indes  die  alten  Krankheitsbegriffe  noch  viel  eher  treffen  als  die 
Dementia  praecox  mit  ihrem  semper  aliquid  haeret,  und  wäre  hier  nur  dann  ange- 
bracht, wenn  nachgewiesen  wäre,  daß  das  Fortschreiten  der  Verblödung  einen  wesent- 
lichen Bestandteil  des  Krankheitsbegriffes  ausmachte.  Es  ist  aber  das  Gegenteil 
der  Fall.  So  ist  es,  wie  wenn  man  den  Begriff  der  Lungentuberkulose  angreifen  wollte, 
weil  zwar  die  meisten  Fälle  heilen,  viele  aber  chronisch  werden  oder  rezidivieren, 
und  eine  Anzahl  Patienten  daran  zugrunde  gehen. 

Eine  gewisse  Schwierigkeit  finden  viele  in  ihrem  Demenzbegriff.  Schaefer 
z.  B.  (651)  meint,  daß  eine  Krankheit,  die  14  Jahre  lang  als  Demenz  imponierte 
luid  dann  heilte,  keine  wirkliche  Demenz  sein  könne.  Er  mußte  also  den  Fall,  der 
nach  uns  nur  ein  etwas  eklatantes  Beispiel  einer  Spätheilung  bei  Schizophrenie 
darstellt,  zu  einer  andern  Krankheit  zählen  als  die  hoffnimgslos  Verblödeten  in  den 
Pflegeanstalten.  Wer  sich  klar  gemacht  hat,  wie  wenig  eigentlich  bei  der  Schizo- 
phrenie vom  Denkorgan  zugrunde  gegangen  ist,  und  wer  gerade  die  Hauptsymptome 
der  spezifischen  ,, Verblödung",  das  sich  Einspinnen  in  die  eigene  Gedankenwelt 
und  die  Affektlosigkeit  als  sekundäre,  potentia  wandelbare  Erscheinungen  erfaßt 
hat,  sieht  in  solchen  Vorkommnissen  keine  Schwierigkeit. 

Es  gibt  nun  aber  auch  Psychiater,  die  umgekehrt  nicht  nach  dem  Ausgang 
gruppieren  wollen  und  sich  gerade  deshalb  ablehnend  gegen  den  Begriff  verhalten. 
Bruce  meint,  bei  Differenziermig  nach  dem  Ausgang  wären  alle  Krankheiten  gleich, 
weil  alle  schließlich  mit  Tod  endigen.  Nun  ist  für  die  Dementia  praecox  nicht  der 
Ausgang,  sondern  die  Ausgangsrichtung  wesentUch.  Und  wenn  Pilcz  anführt, 
daß  doch  wohl  verschiedene  Prozesse  zum  gleichen  Ende  führen  können,  so  ist  dem 
entgegenzuhalten,  daß  wir  eben  bei  genauerem  Zusehen  die  Elemente  der  späteren 
spezifischen  Verblödung  in  jedem  Stadium  der  Schizophrenie,  nicht  aber  bei  anderen 
Krankheiten  finden  können.  Es  ist  also  eine  Sache  der  Untersuchung  und  der  Er- 
fahrung, ob  man  dem  Autor  recht  geben  kann  oder  nicht.  Unsere  Erfahrung  gibt 
ihm  vollständig  Unrecht. 

Wer  nicke  hat  auch  eingeworfen,  daß  es  nicht  angehe,  den  ätiologischen 
Begriff  der  „Hebephrenie"  mit  dem  symptomatologischen  der  „Katatonie"  zu 
parallelisieren.  Hätte  er  Kraepelin  richtig  gelesen,  so  wäre  ihm  klar  geworden. 


Krankheitsbegriff.  233 

ä.Q  bei  ihm  beide  Worte  nicht  bloß  ätiologische  und  nicht  bloß  symptomatologische 
Z^l  ZLnen,  sondern  Erscheinungsweisen  einer  ganzen  Krankheit  mit  allen 

''^"E'S  a:ä:t.  der  „Katatonischen  Einheitspsychose''^)  und  macht 
aam.^t  ZdelUng  des  Be^.fes  —  ^ uSe^ur^^ 

^um'  ob  der  Beclff  richtig  gebildet  sei,  und  ich  kann  nicht  finden  daß  es  weniger 
b  dauerlich  äre:wenn  Schnupfen  und  Typhus  oder  Pferde  und  Elefanten  un" 
.efthr  deich  häufig  wären.  Es  würde  auch  keinem  Menschen  emfa  len  we^n  die 
p'iX!  einmal  der  männlichen  Aufnahmen  ausmachte,  deshalb  den  Krank- 
^teb^rifi  zu  umfangreich  zu  finden.  Es  gibt  gewiß  auf  der  ganzen  Welt  keinen 
Grund  gecen  die  Annahme,  daß  eine  einzelne  Psychose  unverhältnismäßig  viel  hautgei 
sei  als  die  anderen.  Im  Falle  der  hier  in  Betracht  kommenden  Krankheit  hat  man 
im  Geaenteil  von  jeher  überall  da,  wo  diese  Patienten  sich  ansammelten,  das  in  der 
Natur  "der  Sache  begründete  Bedürfnis  nach  dem  großen  Topf  gehabt,  der  nuj  mit 
der  Zeit  seine  Etikette  wechselte. 

Umfang  des  Begriffes. 

Kraepelins  präseniler  Beeinträchtigungswahn  läßt  sich  nach 
unserer  Erfahrung  nicht  von  der  Schizophrenie  trennen ;  er  hat  genau  die  gleiche 
Symptomatologie  wie  die  Dementia  paranoides  oder  andere  Formen  des  Para- 
noids;  manchmal  kann  man  die  Störung  in  ein  ziemlich  frühes  Alter  zmäick- 
verfolgen;  auch  treten  dann  imd  wann  einzelne  katatone  Symptome  avif.  Es 
handelt  sich  also  nach  unserer  Auffassung  um  ein  Spätparanoid. 

In  neuester  Zeit  gewmnt  das  manisch-depressive  Irresein  wieder 
an  Ausdehmmg  auf  Kosten  der  Dementia  praecox  (vgl.  namentlich  Wilma nns, 
827,  S.  569).  Im  Gegensatze  zu  Dreifuß  (187,  S.  45)  kann  ich  mich  an  keinen 
einzigen  Fall  erinnern,  den  wir  aus  der  Schizophrenie  in  manisch-depressives 
Irresein  umdiagnostizieren  mußten ;  dagegen  ist  das  Umgekehrte  mit  den  J ahren 
dann  imd  wann  vorgekommen.  Unsere  Erfahrung  widerspricht  direkt  dem  Satze 
Wilma  nns:  „Katatonische  Symptomen  komplexe,  die  sich  an  eindeutig 
manisch-depressive  oder  zyklo thymische  Anfälle  anschUeßen,  sind  als  eigentüm- 
Hche  Äußerungen  dieser  Krankheit  anzusehen  und  gehen  in  Heilimg  über." 
Wenn  wir  bei  manisch-depressivem  Irresein  katatonieartige  Sympl  omen- 
komplexe analysieren  konnten,  so  erwiesen  sie  sich  bis  jetzt  immer  als  nicht 
eigentlich  katatonisch.  Wir  sind  also  noch  nicht  überzeugt,  daß  katatone  S)'m- 
ptome  beim  manisch-depressiven  IiTesein  vorkommen.  Dagegen  treffen  wir 
manisch-depressive  Symptome  bei  der  Schizophrenie  so  gut  wie  bei  der  Paralyse 
oder  der  Dementia  senilis.  So  können  wir  vorläufig  gar  nicht  verstehen,  wie 
Wilma  nns  dazu  kommt,  ,,den  manisch-depressiven  Symptonienkomplexen 
eine  weit  größere  differentialdiagnostische  Bedeutung  als  den  katatonischen 
beizumessen".  —  Daß  wir  bei  Mischung  von  manisch-depressiven  Symptomen 
mit  schizophrenen  die  Krankheit  nicht  manisch-depressives  Irresein,  sondern 
Dementia  praecox  nennen,  wie  es  auch  Kraepelin  früher  getan  hat,  ist  nach 


1)  Sommer,  Zeitschr.  f.  Psych.,  1899,  S.  260. 

2)  AUgem.  Zeitschr.  f.  Psych.,  1899. 


234 


Schizophrenie. 


unserer  Auffassimg  selbstverständlich.  80  gibt  es  für  uns  so  wenig  eine  „katatoni- 
sche Form  des  periodischen  Irreseins"  (Geist)  wie  eine  paralytische  Form  des- 
selben. Dafür  kennen  wir  periodisch  verlaufende  Katatonien  und  Paralysen 
Wahrscheinlich  gibt  es  auch  Mischfälle  von  manisch-depressivem  Irresein  und 
Schizophrenie. 

Abgesehen  von  dieser  Erweiterung  des  Begriffes  stimmt  unsere  Erfahrung 
ganz  mit  der  Kraepelins  überein.  Dagegen  haben  wir  uns  einigermaßen  mit 
den  systematischen  Begriffen  der  wichtigsten  anderen  Schulen  abzufinden. 
Epilepsie,  Paralyse,  Dementia  senilis  dürfen  A\dr  als  Krankheiten  mit  allgemein 
anerkannten  Grenzen  aus  dem  Spiele  lassen. 

Schon  die  Idiotie  macht  aber  einige  Schwierigkeiten.  Man  hat  die  in  der 
Pubertiit  auftretenden  Psychosen  auch  als  Spätidiotien  bezeichnen  wollen.  Bei 
den  Idiotien  handelt  es  sich  aber  um  eine  Menge  anderer  Krankheiten  und  um 
Entwicklimgshemmungen,  die  nicht  mit  der  Schizophrenie  zu  verwechsehi  sind^). 

Die  Begriffe  der  Melancholien  und  Manien  sind  jetzt  noch  in  Frank- 
reich und  namenthch  in  England  sehr  weit;  der  größere  Teil  der  hierzu  gezählten 
Krankheiten  muß  von  uns  der  Schizophrenie  angereiht  werden.  Der  deutsche 
Begriff  von  Melanchoüe  und  Manie  ist  schon  vor  Kraepeli  n  enger  gefaßt  worden; 
aber  dennoch  gehören  viele  Fälle  namenthch  von  halluzinatorischer  Manie  oder 
Melanchohe  respektive  manischem  und  melanchohschem  Wahnsinn  der  Autoren  2) 
zu  unserer  Schizophrenie.  Wir  haben  also  die  Krankheit  in  dieser  Richtung 
abzugrenzen  gegen  das  manisch-depressive  Irresein  und  die  Melanchohe  (der 
Involution),  wenn  die  letztere  wirklich  eine  Kranlcheit  sui  generis  ist.  Nach  dem 
oben  Gesagten  hat  das  keine  theoretischen  Schwierigkeiten. 

Die  Schizophrenie  umfaßt  ferner  den  größten  Teil  derjenigen  Fälle,  deren 
Bezeichnungen  die  halluzinatorische  Aufregung  oder  die  Verwirrtheit 
in  den  Vordergrund  stellen,  inldusi  ve  der  A  m  e  n  t  i  a  oder  derhalluzinatorischen 
Paranoia.  In  dieser  Richtung  sind  die  Grenzen  schwer  zu  bestimmen,  weil  die 
wohl  ziemlich  mannigfaltigen,  aber  nicht  sehr  häufigen  Krankheiten,  die  neigen 
der  Schizophrenie  in  Betracht  kommen,  noch  gar  nicht  bekannt  sind.  Es  gibt 
aber  akute  halluzinatorische  und  Verwirrtheitszustände,  die  bei  fieberhaften 
Kranlcheiten,  bei  Niereninsuffizienz,  kurz  unter  Umständen  vorkommen,  die 
eine  Art  Giftwirkmig  vermuten  lassen.  Dem  einzigen  Versuche,  solche  Zustände 
erkennbar  zu  beschreiben,  entstammt  die  Kraepelinsche  Amentia.  Ich 
habe  aber  unter  den  letzten  über  4000  Aufnahmen  keine  solche  nachweisen 
können,  und  fange  deshalb  an  zu  zweifeln,  ob  sie  die  Bedeutung  habe,  die  ihr 
der  Autor  zuschreibt.  Die  anderen  dieser  im  weitesten  Sirme  toxischen  Dehrien 
sind  leider  in  den  allgemeinen  Begriffen  der  hierhergezählten  Krankheiten 


^)  Kraepelin  und  Weygandt  neigen  dazu,  die  Schizophrenie  selbst  unter  die 
Krankheiten  einzureihen,  die  Idiotie  hervorrufen  können.  Da  der  Name  Idiotie  nur  eine 
intrauterin  oder  in  früher  Jugend  eingetretene  geistige  Insuffizienz  bezeichnet,  und  die 
Schizophrenie  auch  in  den  ersten  Lebensjahren  ausbrechen  kann,  so  ist  prinzipiell  nichts 
gegen  die  Aufstellung  einzuwenden.  Nur  muß  ich  bemerken,  daß  ich  noch  keinen  solchen 
Idioten  gesehen  habe.  Alle  Fälle  von  infantiler  Schizophrenie  meiner  Erfahrung  waren 
keine  Idioten.  Die  Stereotypien  der  Idioten  sind  etwas  prinzipiell  anderes  als  die  kata- 
tonischen. 

2)  Ein  sehr  kleiner  Teil  des  akuten  (melancholischen  und  manischen)  Wahnsinns 
gehört  nach  unserer  Auffassung  zum  manisch-dej)ressiven  Irresein. 


Krauklieitsbegriff. 


235 


verschwunden,  so  daß  sie  noch  keine  spezifische  Symptomatologie  haben.  Man 
sollte  die  ..Verwirrtheit"  in  diesen  Fällen  auf  andere  Elementarsymptome  zurück- 
führen können  als  bei  der  Dementia  praecox. 

Mit  dem  Sammelbegriff  des  Delirium  acutum  hat  die  Schizophrenie 
wenig  Berührungspimkte,  doch  kann  es  einmal  vorkommen,  daß  ein  ganz  akut 
und  tödhch  verlaufender  Fall  von  Schizophrenie  als  Delirium  acutum  auf- 
gefaßt wird.  Die  Ecnoia  Ziehens  würden  wir  wohl  in  den  meisten  Fällen 
unserer  Krankheit  einreihen. 

Selbstverständlich  sind  auch  die  Wer  nickeschen  „Motihtätspsychosen" 
fast  alle  Schizophrenien. 

Von  chronischen  Krankheiten  gehören  alle^)  diejenigen  zu  imserem  Begriff, 
die  als  Verblödungsformen,  primäre  und  sekundäre  Demenz  usw. 
bezeichnet  wurden,  dami  der  größte  Teil  aller  Paranoien  der  anderen  Autoren. 

Von  kleineren  Kr  ankhei  tsbilder  n  möge  erwähnt  werden  dieHypochondrie, 
die  bei  vielen  Psychiatern  jetzt  noch  eine  große  Eolle  spielt.  Die  meisten  (un- 
heilbaren) Hypochonder  sind  Schizophrene,  deren  Wahnideen  eben  den  eigenen 
Körperzustand  betreffen.  Nach  genauerer  Untersuchung  und  namentHch  nach 
Kenntnis  einiger  ganz  klarer  analoger  Fälle,  muß  ich  jetzt  auch  die  in  meiner 
,,Affektivität"  (S.  133)  beschriebene  Frau  als  schizophren  ansehen.  Viele  Arzte 
werden  aber  auch  Kranke  als  Hypochonder  bezeichnen,  die  wir  als  Neurastheniker, 
Hysteriker  usw.  taxieren  würden.  Auch  eigenthche  Paranoiker  können  \delleicht 
Hypochonder  mit  den  Gesundheitszustand  betreffenden  Wahnideen  sein.  Ein 
eigenes  Kranlcheitsbild  der  Hypochondrie  kennen  wir  nicht. 

Einige  Fälle,  auf  die  die  Kraepelinsche  Schilderung  der  „Erwartungs- 
neurose" ganz  genau  paßte,  waren  Schizophrene. 

Eine  große  Zahl  der  mir  bekannten  weibhchen  Schizophrenen  galten  an 
anderen  Orten  als  hysterisch  Verrückte,  wobei  man  sich  vorstellte,  daß 
die  Verrücktheit  irgend  wie  eme  Weiterbildung  der  Hysterie  wäre.  Ich  habe 
noch  nie  emen  Anhaltspunkt  gefunden,  eine  hysterische  Verrücktheit  zu  diagno- 
stizieren. Alle  von  anderen  so  genannten  Kranken  unterschieden  sich  in 
keiner  Weise  von  den  anderen  Schizophrenen.  Wenn  ein  angebhcher  Hysteriker 
verrückt  wird  oder  verblödet,  so  ist  er  eben  nach  meiner  Erfahrimg  kein  Hysteriker, 
sondern  em  Schizophrene,  trotz  der  Autorität  Charcots  und  den  neuerhchen 
Arbeiten  von  Eancke  (588)  und  Kaiser,  welch  letzterer  bei  ganz  offenkundigen 
Schizophrenen  diagnostische  Schwierigkeiten  sieht  und  sie  zum  Teil  als  Hysterien 
auffaßt.  Ebenso  smd  die  „hysterischen"  Melanchohen  und  Manien  anderer 
Autoren  meistens  Schizophrenien,  wenn  es  auch  gelegenthch  wkhche  Kom- 
binationen von  Manie  und  Melanchohe  mit  Hysterie  gibt. 

Auch  „Nervöse",  die  des  öfteren  ganz  verkehrte  Reden  führen,  die  Nahrung 
verweigern  und  Eifersuchtsideen  haben,  sind  nach  imserer  Erfahrmig  weder 
Neurastheniker  noch  Narkoleptischei),  sondern  Katatonische. 

Ein  großer  Teil,  aber  nicht  alle,  der  ganz  schHmmen  Formen  von  Zwancrs- 
zustanden,  von  Grübelsucht,  von  impulsiven  Handlungen  gehören 

r.«,  .  . 'V^V'VV'^'''"''''^"'"'^'''^'  noch  andere  Hirnkrankheiten  gebe,  die  eine 

psycbBche  Narbe  hmterlassen.  Sie  sind  aber  noeh  nicht  beschrieben  (auch  nicht  in  Fom 
der  bishengen  Amentiaauffassungen)  und  kaum  von  numerischer  Bedeutung 
*)  bchott  (C66).  ^' 


236 


Schizophrenie. 


unzweifelhaft  der  Schizophrenie  an.  Meist  kommen  dann  fi-üher  oder  später 
die  deutlichen  Zeichen  der  Grundkrankheit  zum  Vorschein.  Mit  Pyi-omanie, 
Kleptomanie  u.  dgl.  Namen  bezeichnete  Krankheitsbilder  sind  manchmal 
Schizophrenien. 

Wie  wir  vms  zu  den  juvenilen  Psychosen  stellen,  ist  nach  dem  früheren 
selbst verständhch.  Die  Schizophrenie  beginnt  am  häufigsten  zwischen  15  und 
25  Jahren;  sie  ist  zugleich  die  häufigste  Psychose;  daraus  folgt,  daß  sie  auch 
die  häufigste  juvenile  Psychose  ist.  Neben  ihr  kommen  aber  in  diesem  Alter 
auch  noch  alle  anderen  Psychosen  vor,  mit  Ausnahme  der  Involutionsformen, 
wenn  es  solche  gibt,  und  der  senilen  Krankheiten.  Es  gibt  also  für  uns  keine 
charakteristische  juvenile  Psychose  oder  Psychose  des  Pubertätsalters. 

Das  masturbatorische  Irresein  der  verschiedenen  Autoren  hat  offen- 
bar ganz  in  der  Schizophrenie  aufzugehen. 

Abzufinden  haben  wir  uns  noch  mit  dem  Begriff  der  Degeneration.  Im  Morel- 
schen  Sinne  bedeutet  das  Wort  eine  von  Generation  zu  Generation  zunehmende  geistige 
Insuffizienz  in  einer  Familie.  Diese  Art  der  Degeneration  wird  jetzt  selten  mehr 
unter  dem  Worte  verstanden,  da  sie  nur  ausnahmsweise  klar  zu  sehen  ist.  Dafür 
hat  man  den  weiteren  Begriff  eingeführt,  der  ungefähr  sich  deckt  mit  der  Belastmag". 
—  Die  Degeneres  Magnans  sind  Leute  aus  degenerierten,  d.  h.  geistig  abnormen 
Familien.  Man  will  gesehen  haben,  daß  bestimmte  Krankheitsbilder  und  bestimmte 
Symptome  nur  bei  Degenerierten  in  diesem  Sinne  vorkommen.  Bei  gewissen  Ab- 
weichungen von  der  Norm,  z.  B.  bei  der  echten  moralischen  Idiotie,  der  Pseudologie 
und  einer  ganzen  Menge  von  Verschrobenheiten  der  Intelligenz  und  des  Charakters 
wird  die  Auffassung  für  die  meisten  Fälle  zutreffen,  aber  kaum  für  alle,  denn  es  gibt 
auch  erworbene  Gehirnkrankheiten,  die  uns  ähnUch  erscheinende  Bilder  hervor- 
bringen können.  Die  eigentüchen  Psychosen  aber  haben  bis  jetzt  einer  solchen  Auf- 
fassung widerstanden.  Es  ist  von  keinem  einzigen  Bilde  nachgewiesen,  daß  es  nur 
bei  Hereditariern  vorkomme.  Wenn  man  eben  „die  Heredität"  sucht,  so  findet 
man  sie  bei  Geisteskranken  fast  immer;  bei  den  Krankheiten,  die  nicht  als  degenerative 
gelten,  hat  man  viel  weniger  Eifer,  sie  zu  suchen,  man  findet  sie  also  weniger.  Nach- 
dem der  groß  angelegte  Versuch  Magnans  gescheitert  ist,  haben  wir  keinen  Grund 
mehr,  ims  lange  mit  der  Idee  zu  beschäftigen.  Wenn  ein  Mann  von  der  Erfahrung 
mid  dem  klinischen  Können  dieses  Autors  so  gründlich  Fiasko  macht,  so  ist  das 
der  beste  Beweis,  daß  sich  wenigstens  bei  unseren  jetzigen  symptomatologischen 
Kenntnissen  mit  der  Idee  nichts  anfangen  läßt.  Und  gewiß  auch  später  nicht,  wenn 
man  nicht  die  Heredität  in  viele  Hereditäten  bestimmter  Richtung  zerlegt.  Es  naag 
also  genügen,  darauf  hinzuweisen,  daß  in  St.  Anne  das  große  Fach  heißt:  „Degeneres", 
und  daß  sich  darin  ein  schöner  Teil  unserer  Schizophrenen  befindet.  Das  ist  um 
so  eher  möglich,  als  eben  viele  leicht  Schizophrene  als  solche  verkannt  werden  und 
dann  als  ab  ovo  psychopathische  Naturen  gelten  müsseni).  Zxxm  Überfluß  hat  Wolf- 
sohn (AUg.  Zeitschr.  f.  Psych.,  1907)  nachgewiesen,  daß  die  Heredität,  die  übrigens 
bei  90%  der  Schizophrenen  nachzuweisen  ist,  keinen  erheblichen  Einfluß  weder 
auf  den  Verlauf  noch  auf  die  Symptomatik  der  Schizophrenie  ausübt 

Ein  dritter  schärferer  Begriff,  der  sich  aus  dem  allgemeinen  Sclilamm  des 
bisherigen  Degenerationsbegriffes  herausheben  läßt,  ist  der  einer  angeborenen  oder 
in  der  frühen  Jugend  erworbenen  Gehirnschwäche  des  Individuums,  auf  deren 

1)  Morel  (Brain  1889,  S.  219)  sieht  die  schizophrenen  Symptome  als  Zeichen  der 
Degeneration  an.  Auch  Bonhoeffer  beschreibt  in  seinen  Degenerationspsychosen  viele 
degenerative  Symptome,  die  ebensogut  schizopliren  sein  können. 


Krankheitsbegrifl'. 


237 


ßodi'.ii  dann  bosondoro  Kianklieitcn  entstehen.  Da  viele  Schizoplueiüen  bis  in  die 
frühe  Jugend  zurückgelien,  und  schlecht  begabte  Leute  ebenso  oft  von  der  Krankheit 
befallen  werden  wie  Normale,  ist  es  selbstverständlich,  daß  mau  diese  Art  Degenera- 
tion bei  der  Schizophrenie  oft  findet.  Wir  haben  aber  bis  jetzt  keine  Anhaltspunkte, 
die  Schizophrenie  bei  solclien  Degenerierten  zu  unterscheiden  von  der  des  rüstigen 
Gehirns.  Alle  Kriterien,  so  namentlich  auch  die  Schueles,  haben  mir  bei  der  Nach- 
prüfung versagt. 

Ein  cähnlicher  Begriff  ist  der  der  konstitutionellen  Formen,  die  in  der 
schweizerischen  offiziellen  Statistik  sogar  eine  Hauptklasse  bilden.  So  weit  es  sich 
da  um  moralische  Idioten,  um  intellektuell  oder  affektiv  verbildete  Leute  handelt, 
hat  die  Schizophrenie  mit  dem  Begriff  nichts  zu  tun.  Man  hat  ihn  aber  an  manchen 
Orten  als  Topf  für  sonst  nicht  zu  klassifizierende  Psychosen  gebraucht;  man 
verlegte  eben  das,  was  zum  Schema  der  Psychosen  nicht  paßte,  in  die  Anlage.  Daß 
unter  diesen  Umständen,  die  früher  nicht  recht  verständliche  Schizophrenie  einen 
großen  Teil  der  konstitutionellen  Krankheitsfälle  lieferte,  ist  selbstverständlich. 
Man  hat  sich  auch  gar  nicht  gescheut,  z.  B.  beim  ersten  Anfall  eine  Manie  zu  diagno- 
stizieren, sie  geheilt  zu  entlassen,  und  dann,  wenn  sie  als  chronische  Schizophrenie 
wiederkam,  ohne  daß  man  den  ,, sekundären  Blödsinn"  konstatieren  konnte,  und  der 
Patient  doch  krank  schien,  das  konstitutionelle  Irresein  anzxmehmen. 

Die  vierte  Art  der  Degeneration  ist  die  der  Degeneration  der  einzelnen 
Krankheit.  Wenn  bei  einer  Krankheit  ,, degenerative  Symptome"  auftreten,  so 
will  das  im  Sinne  dieser  Konzeption  heißen:  die  Krankheit  tendiert  zum  Blödsinn, 
zum  schlimmen  Ausgang.  Manche  verbinden  damit  in  mehr  oder  weniger  klarer 
Weise  die  Vorstellung,  daß  eben  die  degenerative  Anlage  in  einem  der  früheren  Sinne 
an  dieser  Verschlechterung  schuld  sei. 

Diesen  verschiedenen  Auffassimgen  gegenüber  miissen  wir  konstatieren:  Alle 
die  drei  ersten  Arten  der  Degeneration  enthalten  Schizophrenien 
in  unserem  Sinne.  Mit  Geisteskrankheiten  direkt  belastete  Personen 
erkranken  häufiger  an  Schizophrenie  als  andere;  die  Belastung  ist 
aber  keine  notwendige  Vorbedingung  der  Krankheit.  Erhebliche 
Unterschiede  in  Symptomen  und  Verlauf  der  Schizophrenie,  je  nach- 
dem ein  Fall  belastet  ist  oder  nicht,  kennen  wir  zurzeit  nicht.  Die 
spezielle  Art  der  Beiast ung,  die  zur  Schizophre nie  disponiert,  ist  uns 
noch  nicht  näher  bekannt. 

Die  geisteskranken  Degeneres  Magnans  sind  zum  großen  Teil 
Schizophrene.  Die  Kranken  mit  „degenerativen  Symptomen"  im 
Sinne  des  vierte  n  Begriff  es  sind  wohl  mit  äußerst  seltenen  Ausnahmen 
alle  Schizophrene. 

Natürlich  weiß  ich  wohl,  daß  es  akute  Syndrome  bei  Psycho- 
pathen aller  Art  gibt.  Auch  versteht  es  sich  nach  unserer  Annahme 
vom  sekundären  Ursprung  der  meisten  Symptome  von  selbst  daß 
sie  unter  Umständen  schizophrenen  Delirien  ähnlich  sein  kö'nnen 
Zu  uns  kommen  aber  solche  Fälle,  die  offenbar  in  Großstädten  häufig 
sind,  so  selteni),  daß  ich  nicht  imstande  bin,  die  Grenze  zwischen 
Ihnen  und  den  Schizophrenen  zu  zeichnen.  Die  Autoren  aber  die  die 
degenerativen  Psychosen  beschreiben,  fassen  den  Begriff  der  Dementia 
praecox  viel  zu  eng  und  verfehlen  aus  diesem  Grunde  die  Grenzbe- 

^1'«  ""^ere  Fälle  mit  anscheinend  psychischer  Ätiologie  zusammeneenommen 

!r„Ä"S=r  SL"i^ ^^^^^ 


238 


iSchizophicnie.J 


Stimmung  oder  ig iioru' ro ii  sie  vollständig;  So  hat  unser  Wissen  hier 
eine  bedauerliche  Lücke. 

Daß  auch  viele  als  Moral  Insanity  aufgefaßte  Störungen  hierher  gezählt 
werden  müssen,  ist  nach  der  Symptomatologie  selbstverständlich.  Levinstein- 
Schlegel  kennt  sogar  nur  die  aus  Schizophrenie  hervorgehende  Moral  Insanity; 
das  Heboid  und  die  Parethosia  Kahlbaums  sowie  Wernickes  moralische  Auto- 
psychose  kommen  diesem  Begriff  nahe^).  Es  ist  aber  sicher,  daß  es  außerhalb  der 
Schizophrenie  verschiedene  Arten  moralischer  Defekte  gibt,  worunter  wohl  die 
moralische  Idiotie  aus  Mangel  der  moralischen  Gefühle  die  am  besten  faßbare  ist. 

Es  sind  ferner  nach  unserer  Erfahrung  recht  viele  akute  Haftpsychosen 
bloße  Schübe  von  einer  Schizophrenie,  die  meist  schon  vorher  bestanden  hat  und 
Ursache  des  antisozialen  Verhaltens  gewesen  ist.  Vergleiche  auchEüdin,  Siefert. 

*  * 
* 

Die  eigenartige  Systematik  Wernickes  können  wir  nicht  ganz  übergehen, 
obgleich  es  unmöglich  ist,  sich  kurz  mit  ihr  abzufinden.  Seine  symptomatologischen 
Begriffe,  so  geistreich  sie  konstruiert  sind,  und  so  sehr  sie  sich  auf  Beobachtung  stützen, 
sind  für  mis  nicht  brauchbar:  so  enthält  seine  Sejmiktion  nicht  nur  die  Sperrung, 
sondern  auch  andere  Formen  von  Dissoziation,  die  psychologisch  und  nosographisch 
eine  ganz  andere  Bedeutmig  haben.  Wir  mußten  deshalb  viele  der  von  ihm  geprägten 
Ausdrücke  vermeiden,  wenn  wir  nicht  Anlaß  zu  Mißverständnissen  geben  AvoUten. 
Auf  seine  Begriffe  Krankheitsbilder  aufzubauen,  war  ein  unmögliches  Unterfangen. 
Beim  gleichen  Patienten  kommen  die  verschiedensten  seiner  Krankheiten  vor.  Er 
hilft  sich  dann  mit  der  Annahme  seiner  zusammengesetzten  Psychosen.  Die  Psychose 
kann  aber  als  eine  zusammengesetzte  meist  erst  ex  post  diagnostiziert  werden;  und 
es  gibt  bei  ihm  so  viele  zusammengesetzte,  gemischte,  kombinierte  Fälle,  daß  allein 
schon  deshalb  die  Wahrscheinlichkeit  für  die  Auffassung  seiner  Symptomen  komplexe 
als  besonderer  Krankheiten  ungefähr  null  werden  muß.  Was  würde  man  von  einer 
Lungendiagnostik  sagen,  die  verschiedene  Krankheiten,  wie  Emphysem,  Tuberkulose, 
Pneumonie,  in  den  Verlauf  einer  zusammengesetzten  Limgenkrankheit  einfügen 
würde,  xmd  das  erst  noch  in  ganz  imregelmäßigem  Turnus?  Der  beste  Beweis  der 
Unrichtigkeit  der  Wer  nick  eschen  Abgrenzimgen  liegt  darin,  daß  sie  einen  genialen 
Beobachter  nicht  einmal  befähigten,  in  so  einfachen  Fällen  wie  Nr.  28  seiner  Kranken- 
vorstellungen (Heft  1)  die  Paralyse  auszuschließen;  ich  würde  es  einem  Kandidaten 
im  Examen  nicht  leicht  verzeihen,  wenn  er  bei  einem  solchen  Falle  von  Paralyse 
spräche.  Auch  mit  Wernickes  Prognostik  steht  es  recht  schlimm,  soweit  nicht 
sein  Blick  der  Systematik  überlegen  ist.  Er  meint  S.  105,  daß  die  ersten  Anfälle 
einer  akuten  Halluzinose  immer  zu  heilen  pflegen;  nun  sind  die  akuten  Halluzinosen 
in  seinem  Sinne  meistens  identisch  mit  unseren  schizophrenen  Delirien,  deren  Prognose 
nicht  so  gut  ist.  Täuscht  er  sich,  so  muß  er  wohl  die  Diagnose  ändern,  wie  im  Falle  10 
des  gleichen  Heftes.  Es  ist  etwas  ganz  Analoges,  wie  wenn  der  Autor  zum  erwähnten 
Fall  28  sagt  (S.  113):  „Unser  Irrtum  lehrt,  wie  schon  mancher  andere  Fall,  daß  es 
akute  Krankheiten  gibt,  die  ohne  Kenntnis  einer  Anamnese  einer  Diagnose  nicht 
zugänglich  sind."  Eine  andere  Würdigung  der  Symptome  hätte  ihn  mit  Leichtigkeit 
vor  dem  Irrtum  bewahren  können. 


1)  Auch  Schaefer  (635)  schildert  die  (moralisch)  Schwachsinnigen  so.  daß  u.  a. 
die  leichten  Hebephrenen  ^in  seinen  Rahmen  passen.  —  Kirn  kennt  einen  „sittliclien 
Schwachsinn",  der  später  in  Wahnsinn' übergeht. 


VI.  Abschnitt. 

Die  Diagnose. 


A.  Allgemeines. 

Die  Diagnose  ist  in  den  ausgesprochenen  Fällen  von  Schizophrenie  sehr 
leicht,  bietet  aber  in  den  wenig  vorgeschrittenen  Formen  mehr  praktische 
Schwierigkeiten  als  bei  den  meisten  anderen  Psychosen. 

Wie  bei  jeder  Krankheit  müssen  auch  hier  die  Symptome  eine  gewisse 
Höhe  erreicht  haben,  um  diagnostisch  verwertbar  zu  sein.  Gerade  bei  der  Schizo- 
phi-enie  stehen  aber  in  den  leichteren  Fällen  euie  Anzahl  von  Erschemungen  im 
Vordergrund,  die  sehr  stark  schwanken  innerhalb  der  Breite  dessen,  was  man, 
wenn  nicht  gesund,  so  doch  „nicht  geisteskrank"  nennt.  Char akter anomahen, 
Gleichgültigkeit,  Energielosigkeit,  Unverträghchkeit,  Eigensinn,  Launenhaftig- 
keit, und  die  Eigenschaft,  die  Goethe  bei  Lenz  nur  mit  dem  engHschen  Wort 
„whimsical"  zu  bezeichnen  wußte,  hypochondrische  Klagen  usw.  brauchen  gar 
nicht  Symptome  einer  eigenthchen  Geisteskrankheit  zu  sein;  sie  sind  aber  sehr 
häufig  die  einzigen  sichtbaren  Zeichen  der  Schizophrenie.  Deshalb  Hegt  die 
diagnostische  Schwelle  bei  keiner  Krankheit  so  hoch,  und  sind  latente  Fälle 
etwas  Alitäghches. 

Ist  die  Geisteskrankheit  sicher,  so  hat  die  spezielle  Diagnose  der  Schizo- 
phrenie wieder  ihre  Schwierigkeiten.  Nm*  einzelne  psychotische  Symptome 
lassen  sich  zur  Erkennung  der  Krankheit  verwenden,  und  auch  diese  haben  hier 
einen  sehr  hohen  ppeziaidiagnostischen  Schwellenwert.  Manische  oder  depressive 
Verstimmungen  können  bei  aUen  Psychosen  vorkommen ;  Ideenflucht,  Hemmung 
und  —  soweit  sie  nicht  spezifische  Eigentümhchkeiten  angenommen  haben  — 
Halluzinationen  und  Wahnideen  sind  Teilerscheinungen  der  verschiedensten 
Kranldieiten.  Sie  dienen  oft  nur  zur  Diagnose  der  Psychose,  nicht  zu  der  der 
Schizophrenie. 

Die  eigenthchen  schizophrenen  Symptome,  soweit  sie  bis  jetzt  beschrieben 
wurden,  sind  keine  Nova  wie  etwa  eine  Halluzination  oder  eine  paralytische  Sprach- 
störmig.  Sie  sind  Verzerrungen  und  Übertreibungen  von  normalen  Vorgängen'). 

^)  Ich  hoffe  allerdings,  daß  man  später  einmal  lernt,  die  schizophrene  Begriffsspaltung 
und  vielleicht  auch  die  allgemeine  Assoziationsspaltung  von  den  ähnhchen  Erscheinungen, 
die  sich  außerhalb  des  Bhckf  eldes  der  normalen  Aufmerksamkeit  vollziehen,  zu  unterscheiden. 


240 


Schizophrenie. 


Wichtig  ist  also  weniger  das  einzelne  Symptom  für  sich  ge- 
nommen, als  seine  Intensität  und  Extensität  und  vor  allem  sein 
Verhältnis  zur  psychologischen  Umgebung.  In  dem  Gewirre  der  psy- 
chischen Pfade  gibt  es  viele  Wege,  die  ans  gleiche  Ziel  führen.  Wenn  jemand 
während  eines  langweiligen  Vortrages  stereotype  Schnörkel  auf  das  vor  ihm 
liegende  Papier  kritzelt,  so  hat  das  keine  pathologische  Bedeutung;  die  gleichen 
Schnörkel  unter  anderen  Umständen  in  emen  ernsthaften  Brief  hineingezeichnet, 
können  für  sich  die  Diagnose  der  Schizophrenie  sichern. 

Manche  Leute  erscheinen  gleichgültig,  weil  pie  von  irgend  etwas. präokkupiert 
sind,  imd  weil  der  Affekt  des  sie  beschäftigenden  Komplexes  auch  vorhanden  ist, 
wenn  sie  an  andere  Dinge  denken;  die  Gefühlsreaktion  läßt  sich  aber  bei  ihnen 
oft  hervorrufen,  wenn  es  gehngt,  ihr  Interesse  anderen  Themen  zuzuwenden. 
Auch  ein  verschlossener  Charakter,  oder  die  durch  Erziehung  ins  Übertriebene 
gesteigerte  Beherrschung  der  Affektäußerungen  (Amerikaner,  Japaner)  kann 
Gefühllosigkeit  vortäuschen. 

So  muß  bei  den  folgenden  Erwägungen  immer  vorausgesetzt 
werden,  daß  der  Leser  die  begleitenden  Umstände,  die  ganze  psy- 
chische Konstellation  zu  berücksichtigen  imstande  sei,  ohne  daß 
auf  die  unendlich  vielen  Möglichkeiten  jedesmal  aufmerksam 
gemacht  wird. 

Besonders  wichtig  ist  es  daran  zu  denken,  daß  manche  schizophren  aus- 
sehenden Erscheinungen  normahter  dm-ch  einen  Affekt  ausgelöst  werden  können, 
oder  daß  an  der  Peripherie  unserer  Aufmerlcsamkeit  oder  in  unseren  Wach-  und 
Schlafträumen  vieles  geschieht,  was  mit  den  schizophrenen  Assoziationsstörmigen 
und  den  Stereotypien  identisch  ist;  deshalb  haben  z.  B.  in  Aufregungszuständen 
Symptome,  wie  Sperrungen,  Verwechslungen  von  Symbolen  mit  der  Wirklich- 
keit, Transitivismus,  Neologismen,  nur  dann  einen  spezialdiagnostischen  Wert, 
wenn  sie  sehr  ausgesprochen  sind.  Koramen  sie  aber  bei  voller  Besonnenheit 
vor,  so  kann  derjenige,  der  alle  Umstände  gut  erwägt,  aus  einem  einzigen  solchen 
Symptom  die  Diagnose  oft  sicher  machen.  Je  besonnener  ein  Patient,  je 
weniger  Grund  zu  Affekten  vorhanden  ist,  um  so  leichtere  Grade  der 
Symptome  gestatten  die  Diagnose  auf  Schizophrenie.  Das  gleiche 
gilt  für  die  Differentialdiagnose:  Epileptiker  können  symboHsieren,  Begriffe 
wie  Mann  und  Frau  miteinander  verwechseln,  Neologismen  machen,  aber  nur, 
wenn  sie  dämmerig  sind.  Hysterische  können  affektiv  sehr  steif  sein,  aber  nur, 
wenn  sie  gerade  ein  Komplex  beherrscht.  Kranke  aller  Art  (wie  Gesunde)  können 
vorbeireden,  wenn  sie  gerade  Grund  zu  einer  ablehnenden  Haltung  haben. 
Nur  Schizophrene  zeigen  diese  Erscheinungen  außerhalb  jener  psychischen 
Allgemeinzustände . 

Ausschlaggebend  für  die  Diagnose  sind  oft  die  Verallgemeinerungen 
der  Symptome.  Die  Sperrung,  die  der  Gesunde  hat,  betrifft,  wenn  sich  nicht 
ein  Emotionsstupor  nachweisen  läßt,  nur  die  Dinge,  die  eben  affektbetont  suid. 
Der  Schizophrene  dehnt  die  Sperrimgen  oft  über  alle  möghchen  anderen  Ideen 
aus  —  kann  doch  in  den  hochgradigen  FäUen  seine  ganze  Psyche  andauernd 
gesperrt  sein.  Unklare  Begriffe  und  Ideen  imd  logische  Fehler  kann  jedermann 
einmal  produzieren,  besonders  wenn  er  sich  in  einem  außergewöhnlichen  Zustand 
wie  in  einem  Affekt  oder  in  Erschöpfung  befindet.  Die  Unklarheit  wird  dann 


Diagnose.  Allgemeines. 


241 


aber  mit  der  auslösenden  Ursache  kommen  und  verschwinden,  während  sie  sich 
bei  der  Schizophrenie  von  jenen  Zuständen  imabhängig  machen  kann. 

Die  schizophrenen  Symptome  brauchen  nicht  in  jedem  Moment  vorhanden 
zu  sein.  Bei  keiner  Geisteskrankheit  kann  man  so  wenig  wie  bei  der 
Schizophrenie  darauf  rechnen,  zu  einer  bestimmten  Zeit  irgend  ein 
bestimmtes  Krankheitssymptom  zu  sehen.  Sogar  in  vorgeschrittenen 
Fällen,  die  für  gewöhnhch  ganz  blödsinnig  erscheinen,  kann  in  einem  gegebenen 
Moment  die  Gemütsstörung  und  die  charakteristische  Assoziations Veränderung 
nicht  demonstrierbar  sein.  Nicht  einmal  durch  eine  eingehende  mehrstündige 
Untersuchung  wird  man  die  Diagnose  in  allen  Fällen  mit  Sicherheit  stellen 
können. 

So  ist  es  selbstverständlich,  daß  diejenigen  Falle,  in  denen  die  Krankheit  in 
fi-üheren  Stadien  Halt  gemacht  hat,  von  Laien  und  Psychiatern  gewöhnlich  verkannt 
werden.  Man  zankt  sich  mit  schizophrenen  Hausfrauen  ein  Menschenalter  lang 
herum;  man  trifft  alle  möglichen  strafenden  Maßregeln  gegen  „ungeratene  Söhne"; 
oder^wenn  man  bei  ihnen  Zwang  anwenden  will,  scheitert  man  daran,  daß  der  begut- 
achtende Arzt  kein  auf  Geisteskrankheit  lautendes  Zeugnis  geben  kann,  oder  Aveil, 
wenn  er  eins  gegeben  hat,  gelegentlich  sogar  ein  Anstaltsdirektor  den  Kranken  als 
gesund  oder  geheilt  den  verzweifelnden  Eltern  wieder  zuschickt;  man  läßt  die  Leute 
als  ^hysterisch  oder  noch  lieber  als  neurasthenisch  alle  möglichen  Kuren  machen, 
denen  oft  das  Vermögen  der  besorgten  Familie  geopfert  wird;  man  nimmt  die 
Kranken  in  die  Spitäler  mit  der  Diagnose  Wanderniere,  wenn  sie  halluzinierte  Geburts- 
schmerzen haben;  man  betrachtet  einige  gynäkologische  Abweichungen  von  der 
in  den  Büchern  festgesetzten  Norm  als  Krankheit  und  behandelt  den  Unterleib; 
man  überläßt  die  Patienten  der  Polizei  und  den  Gerichten,  d.  h.  den  ungeeignetsten 
Instanzen  zur  psychischen  Behandlung;  man  nimmt  sie  ernst  und  läßt  sie  Vereine 
gründen  gegen  irgend  einen,  von  ihnen  oder  von  anderen  entdeckten  Krebsschaden  der 
Gesellschaft,  und  man  macht  noch  vieles  andere  mit  ihnen,  was  man  besser  nicht  täte. 

Ganz  wird  man  solche  Vorkommnisse  niemals  verhindern  können.  Aber  sehr 
beträchtlich  reduzieren  kann  man  sie,  wenn  man  etwas  mehr  an  die  Möglichkeit 
des  Bestehens  einer  leichten  Schizophrenie  denkt  und  die  Zeichen  der  Krankheit 
erkennen  lernt. 

In  gewissen  Fällen  bilden  gemütHche  Erregungen  ein  Reagens  auf  die 
Krankheit,  das  latente  Symptome  manifest  macht;  gibt  es  doch  Patienten, 
welche  nur  in  solchen  Zuständen  den  krankhaften  Ideengang,  die  Gemütsstörung, 
Neologismen  und  dergleichen  zeigen.  —  Auch  der  Alkohol  erweist  sich  manchmal 
als  ein  solches  Mittel;  er  kann  typisch  schizophrene  Aufregungen  provozieren, 
die  unter  Umständen  die  Alkoholintoxikation  lange  überdauern.  Die  beiden 
Reagentien  wirken  aber  nicht  in  allen  Fällen  und  smd  zudem  aus  verschiedenen 
Gründen  zum  Experimentieren  nicht  zu  empfehlen. 

Dennoch  sind  wir  nicht  so  schlimm  daran,  wie  es  nach  dem  Ausspruch 
Kraepelins  scheinen  möchte,  der  sagt  (388,  II.  Bd.,  S.  271),  daß  es  kein  einziges 
Krankheitszeichen  gebe,  das  für  die  Differentialdiagnose  ausschlaggebend  wäre. 
Die  früher  beschriebene  Assoziationsstörung  imd  auch  wohl  die  Art  der  Hallu- 
zinationen ist  charakteristisch  und  genügend  zu  emer  positiven  Diagnose; 
auch  eine  allgemeine  Gefühlseinklemmung  hat  diesen  Wert. 

Immerhin  muß  betont  werden,  daß  die  Erfahrung  von  ein 
bis  zwei  Jahrzehnten  und  von  verhältnismäßig  wenigen  Beobachtern 

Handbuch  der  Psychiatrie:  Bleuler. 

16 


242 


Schizophrenie. 


noch  nicht  genügt,  um  sich  überall  mit  absoluter  Sicherheit  aus- 
zusprechen. Das  eine  oder  andere  Symptom,,  das  wir  jetzt  nur  der 
Schizophrenie  zuschreiben,  kann  möglicherweise  eines  Tages  auch 
als  seltene  Begleiterscheinung  anderer  Krankheiten  auftreteni). 
Wir  kennen  ferner  noch  gar  nicht  alle  Psychosen,  so  daß  eine  Ab- 
grenzung der  Schizophrenie  in  der  Eichtung  gegen  unbekannte 
Symptomenkomplexe  nur  einen  ganz  einseitigen  und  zugleich 
provisorischen  Charakter  haben  kann.  Durch  diesen  Generalvor- 
behalt sind  unsere  diagnostischen  Auseinandersetzungen,  die  sich 
auf  den  jetzigen  Stand  des  Wissens  beziehen  müssen,  einzuschränken. 

Verschmäht  man  es  nicht,  mit  bloßen  Wahrscheinlichkeiten  zu  rechnen, 
so  kann  als  Regel  gelten,  daß  die  zweifelhaften  Fälle  sich  in  der  großen  Mehrzahl 
als  Schizophrenien  entpuppen,  wenn  man  sie  längere  Jahre  verfolgen  kann. 

Die  Anamnese  gibt  in  vielen  Fällen  so  gute  Anhaltspunkte  für  die 
Diagnose,  daß  man  aus  dem  Berichte  der  Verwandten  die  Schizophrenie  mit 
Sicherheit  zu  erkennen  imstande  ist.  Das  Verhalten  vieler  unserer  Kranken  ist  ja 
so  charakteristisch,  daß  es  auch  von  Laien|^genügend  beschrieben  werden  kann. 

Wichtig  sind  die  Veränderungen  des  Charakters.  Ein  junger  Mann, 
der  ,, anders"  geworden  ist,  ist  in  den  meisten  Fällen  geisteskrank,  und  zwar 
am  häufigsten  hebephren^). 

Wie  stark  ausgesprochen  die  einzelnen  Symptome  sein  müssen, 
nm  die  Diagnose  der  Schizophrenie  zu  erlauben,  ist  kaum  zu  beschreiben. 
Wir  haben  ja  kein  objektives  Maß  für  Grade  der  kompUzierten  psychischen  Vor- 
gänge. Da  kann  nur  Erfahrung  und  vor  allem  genaue  Erwägung  der  begleitenden 
Umstände  entscheiden.  Erlaubt  die  Stärke  eines  Symptoms  die  Diagnose  der 
Geisteskrankheit  im  allgemeinen,  so  kann  man  es,  wenn  es  spezifische  Bedeutung 
hat,  gewöhnlich  auch  zur  Abgrenzung  der  speziellen  Psychose  benutzen. 

B.  Die  differential-diagnostische  Bedeutung  der  einzelnen 

Symptome. 

Von  den  intellektuellen  Symptomen  gehören  Störungen  der  Wahr- 
nehmung, der  Orientierung  mid  des  Gedächtnisses  in  dem  früher  genauer 


1)  Das  wird  namentlich  der  Fall  bei  manchen  Symptomen  sein,  die  zurzeit  gar 
nicht  notwendig  zum  Begriff  der  Schizophrenie  gehören,  bei  ihr  indessen  häufig  vorkommen, 
nicht  aber  bei  anderen  Psychosen.  Es  ist  ja  nicht  auszuschließen,  daß  wir  einmal  einen 
Nichtschizophrenen  finden  mit  vorwiegenden  Gehörs-  und  Organhalluzinationen,  und 
einen  besonnenen  Schizophrenen  mit  vorwiegenden  Gesichts-  und  Tasthalluzinationen. 
Bis  jetzt  kennen  wir  allerdings  nur  umgekehrte  Erfahrungen. 

2)  Nicht  anders  geworden  ist  aber  ein  Schwächling,  wenn  er  in  einer  neuen  Umgebung 
zu  lumpen  anfängt,  nachdem  er  unter  den  Fittigen  der  Eltern  sich  musterhaft  aufgeführt 
hat,  oder  wenn  er  die  umgekehrte  Wandlung  durchmacht.  Eine  Veränderung  im  Charakter 
ist  es  ebenfalls  nicht,  wenn  in  einem  Menschen  von  zwei  Trieben,  die  sich  bekämpfen,  je 
nach  inneren  oder  äußeren  Umständen  zuerst  einmal  der  eine  und  dann  der  andere  die 
Oberhand  gewinnt,  was  als  Bekehrung  oder  als  eklatanter  Abfall  vom  Guten  in  die  Er- 
scheinung tritt.  Hütet  man  sich  vor  solchen  Mißverständnissen,  so  gibt  die  Charakter- 
änderung sehr  wichtige  Fingerzeige. 


Diagnose.  Differential-diagnostische  Bedeutung  der  einzelnen  Symptome.  243 


definierten  Sinne  niemals  zur  Schizophrenie;  sie  beweisen  also  das  Bestehen 
einer  anderen  Psychose,  schheßen  aber  die  Schizophrenie  nicht  aus. 

Dagegen   ist  ausgesprochene   schizophrene  Assoziationsstörung 
allein  zur  Diagnose  ausreichend. 

Die  Sperrungen  sind  bei  Gesunden  und  anderen  Nichtschizophrenen 
vorübergehend  und  haben  immer  bestimmte  Gründe,  die  man  herausfinden  kann. 
Bei  Schizophrenen  charakterisieren  sie  sich  meist  als  unüberwindHche ;  ihre 
psychologische  Wurzel  ist  oft  nicht  leicht  aufzudecken,  und  sie  verallgemeinern 
sich  gerne,  d.  h.  man  findet  sie  auch  außerhalb  des  Zusammenhanges  mit  den 
Komplexen.  Immerhin  ist  es  manchmal  mmöghch,  eine  hysterische  Sperrung 
in  einem  gegebenen  Moment  von  der  schizophrenen  zu  unterscheiden.  Femer 
darf  man  den  Emotionsstupor,  der  besonders  bei  Imbezillen  wochenlang  andauern 
kann,  nicht  mit  dem  pathologischen  Symptom  verwechseln. 

Die  systematischen  Spaltungen,  die  z.  B.  die  Persönhchkeit  betreffen, 
finden  sich  in  vielen  psychotischen  Zuständen;  bei  Hysterischen  noch  viel  aus- 
gesprochener als  in  der  Schizophrenie  (mehrfache  PersönHchkeiten),  Deutliche 
Spaltung  aber  in  dem  Sinne,  daß  die  verschiedenen  Bruchstücke  der  Person 
bei  guter  Orientierimg  in  der  Umgebung  nebeneinander  existieren,  wird  sich 
wohl  nur  bei  unserer  Krankheit  finden. 

Der  Autismus  an  sich  kann  nicht  zur  Diagnose  benutzt  werden,  da  er 
namenthch  in  hysterischen  Traumzuständen  vorkommt,  aber  auch  in  gewisser 
Beziehung  z.  B.  die  Wahnideen  der  Paralyse  beherrscht.  In  den  nicht  schizo- 
phrenen Fällen  sieht  das  Symptom  zwar  anders  aus,  es  ist  aber  schwer,  die 
Unterschiede  zu  beschreiben.  Die  Epileptischen  und  Organischen  ziehen  sich 
einfach  auf  sich  selbst  zurück,  wenn  sie  ein  Verhalten  annehmen,  das  dem  autisti- 
schen  ähnlich  ist,  während  die  Schizophrenen  sich  in  Gegensatz  und  Widerspruch 
mit  der  Wirkhchkeit  setzen.  Auch  ist  bei  den  Nichtschizophrenen  die  Ab- 
sperrung nach  außen  eine  viel  weniger  vollständige;  sie  kümmern  sich  zwar 
unter  Umständen  nicht  aktiv  um  die  Wirkhchkeit,  kommen  aber  sofort  in  Eapport 
mit  derselben,  wenn  man  sie  z.  B.  anredet. 

Die  Unklarheit  der  Begriffe  ist  Teilerscheinung  auch  anderer  Krank- 
heiten; wenn  sie  aber  so  weit  geht,  daß  bei  voUer  Besonnenheit  verschiedene 
Personen   oder   verschiedene    Dinge  identifiziert    werden,    dann   darf  man 
mit  Sicherheit  Schizophrenie  annehmen.    Auch  der  Transitivismus  kann 
etwa  bei  Nichtschizophrenen  angetroffen  werden,  aber  wohl  nur  bei  getrübtem 
Bewußtsem.  Emzehie  Neologismen  sind  nicht  für  die  Diagnose  zu  verwerten 
(Epilepsie!);  wer  aber  emen  wesentHchen  Teil  seiner  Gedanken  in  neuen  Wörtern 
ausdruckt,  ist  schizophren.  Ehi  Maniakus  kann  in  einer  selbstgemachten  Sprache 
reden,  zum  Scherz,  er  denkt  nicht  daran,   sich  damit  zu  verständigen-  der 
bchizophrene  spncht  seine  „Kmistsprache"  im  gleichen  Sinne  vvie  wir  unser 
gewohntes  Idiom,  kümmert  sich  aber  mcht  darum,  daß  man  sie  nicht  versteht 
Der  Mangel  an  Diskussionsfähigkeit  kommt  in  der  gleichen  Weise 
wie  bei  der  Schizophrenie  nirgends  vor.  Auch  da,  wo  unsere  Kranken  sich  auf 
Diskussionen  über  ihre  falschen  Auffassungen  einlassen,  findet  man  neben  richtig 
nSL  Kabulistik   verteidigten  Gedankengebieten  regel- 

mäßig solche,  wo  die  Sache  einfach  „so  ist",  wie  die  Kranken  sagen,  oder  wo 
ganz  unsmmge  Deduktionen  gemacht  werden.    Der  Schizophrene  kknn  t2 

16* 


244 


Schizophrenie. 


Sachen,  die  zu  seinen  Affekten  nicht  passen,  abspalten;  der  Eigensinnige  wird 
sie  meist  nur  ignorieren. 

Das  Auftauchen  abrupter  Ideen,  namenthch  wenn  sie  zugleich  unsinnig 
sind  oder  im  Widerspruch  zu  der  sonstigen  Persönhchkeit  stehen,  ist  ein  ziemhch 
sicheres  Zeichen  der  Schizophrenie. 

Nicht  zu  verkennen  ist  oft  die  schizophrene  Form  der  Aufmerksam- 
keit, wobei  trotz  voller  Interesselosigkeit  die  passive  Eegistrierung  aller  Vor- 
kommnisse tadellos  funktioniert.  Ich  habe  ein  solches  Verhalten  nur  bei  Schizo- 
phrenie gesehen. 

Bei  den  Hall  uzinationen  ist  wichtig  ihre  Vorliebe  für  Gehör  und  Körper- 
empfhadungen  (cave:  neuritische  Erscheinungen,  die  Körperhalluzinationen 
vortäuschen  können^).  Wo  physikaHscher  Verfolgungswahn  und  Gehörshalluzi- 
nationen das  Bild  dauernd  beherrschen,  ist  wohl  immer  auf  Schizophrenie  zu 
schHeßen.  Gedankenlautwerden  kommt  höchst  selten  bei  anderen  Psychosen  vor. 
Charakteristisch  ist  auch  wohl  die  Absperrung  der  Halluzinationen  vom  realisti- 
schen Bewußtseinsinhalt. 

Die  schizophrenen  Halluzinationen  haben  gewiß  noch  manche  andere  charak- 
teristische Eigentümlichkeit.  Ich  wage  aber  nicht,  sie  herauszugreifen,  weil  wir 
die  anderen  halluzinatorischen  Psychosen  zu  wenig  kennen. 

Die  Wahnideen  kennzeichnen  sich  oft  schon  durch  ihren  Inhalt  als  schizo- 
phrene. Das  Unsinnige,  Unausgedachte,  Abgerissene  derselben  läßt  sich  eicht  ver- 
kennen. Doch  kommen  bei  organischen  Krankheiten  oft  ähnliche  Wahnideen  vor, 
deren  Unterschiede  nicht  recht  zu  beschreiben  sind  (z.  B.  die  hypochondrischen 
bei  depressiver  Paralyse).  Am  meisten  charakteristisch  für  Schizophrenie  ist  es, 
wenn  die  Wahnideen  gar  nicht  ausgedacht  werden,  wenn  sie  im  größten  Wider- 
spruch mit  der  einfachsten  Wirkhchkeit  stehen  und  doch  bei  anscheinend  klarem 
Bewußtsein  geäußert  werden.  Wer  bei  voUer  Besonnenheit  andauernd  ganz  un- 
logische Verfolgungsideen  produziert,  ist  wohl  immer  ein  Schizophrene ;  kommen 
die  charakteristischen  Halluzinationen  dazu,  so  ist  die  Diagnose  sicher. 

Inhalthch  ist  nahezu  pathognomonisch  die  Wahnidee,  daß  jedermann 
schon  alles  wisse,  was  der  Patient  denkt. 

Die  schizophrene  Para-  und  Afunktion  der  Affektivität  ist  ein  aus- 
schlaggebendes Zeichen  unserer  Psychose,  wenn  es  gelingt,  sie  von  anderen  Arten 
der  Gleichgültigkeit  zu  unterscheiden.  Anhaltende  Gleichgültigkeit  gegen  die 
vitalsten  Interessen  ist  schizophren,  auch  wenn  weniger  bedeutende  Themata 
ganz  normal  gefühlsbetont  smd.  Da  die  Menschen  verschiedene  Mittelstellungen 
ihrer  Affektivität  haben,  wird  man  auf  eine  kleine  Abweichung  der  Stimmung 
in  der  Kichtung  der  Gleichgültigkeit  weniger  als  auf  den  Mangel  an  Modula- 
tionsfähigkeit derselben  achten.  Bleibt  der  Patient  quahtativ  und  quantitativ 
starr  bei  den  gleichen  Gefühlen,  auch  wenn  er  auf  verschiedenwertige  Ideen  eingeht, 
so  spricht  das  für  Schizophrenie.  Doch  kann  m  leichteren  FäUen  dieses  Symptom 
auch  fehlen  oder  mit  der  Indifferenz  der  Hysterischen  ÄhnHchkeit  bekommen. 

Ferner  kommen  bei  organisch  Geisteskranken  zuweilen  ähnliche  Mißempfindungen 
vor,  die  sich  aber  meist  als  falsch  gedeutete  Parästhesien  erkennen  lassen.  Jedenfalls  haben 
sie  daselbst  ganz  anderen  Charakter  als  bei  der  Schizophrenie.  Vergleiche  mdessen: 
Serieux,  Ann.  med. -psych.  1902.  Sept.  Oct.  Ferner  die  Körperhalluzmationen  m  der 
Aura  von  Epileptikern. 


Diagnose.  Difi'ereiitial-diagnostische  Bedeutung  der  einzelnen  Symptome.  245 

Eiii  besonders  wiclitiges  und  oft  sehr  frühes  Zeichen  ist  das  unmotivierte 
affektlose  Lachen.  Man  wird  es  nicht  leicht  mit  dem  Lachkrampf  Nervöser 
verwechseln. 

Die  katatonen  Symptome  gehören  bekanntlich  nicht  bloß  der  Schizo- 
phrenie an.  Wenigstens  ist  es  noch  mimöghch,  sie  immer  von  ähnlichen  Zuständen, 
namentlich  bei  den  organischen  Psychosen,  zu  unterscheiden.  Zeigen  sie  sich 
aber  ausgesprochen  und  in  der  Mehrzahl,  so  ist  Schizophrenie  anzunehmen. 

Die  biegsame  Katalepsie  treffen  wir  außerhalb  der  Katatonie  bei  organi- 
schen Krankheiten,  dann  vor  allem  bei  der  Epilepsie,  hier  aber  meist  im  Anschluß 
an  Anfälle,  femer  zuweilen  bei  der  Hysterie  imd  vielleicht  bei  Fieberpsychosen, 
sicher  in  fieberhaften  Krankheiten  der  Kinder.  Die  starre  Form  der  Katalepsie 
kommt  öfter  bei  organischen  Gehimkrankheiten  aller  Art  und  bei  Epilepsie  vor. 
Hier  ist  aber  die  Starre  meist  unabhängig  von  Versuchen  passiver  Bewegung, 
die  ja  bei  Schizophrenie  den  Muskeltonus  meistens  erst  provozieren  oder  ver- 
stärken. 

Die  übrigen  Formen  von  Befehlsautomatie  können  wahrscheinlich 
in  den  verschiedenen  willenlosen  Zuständen  Nichtschizophrener  erscheinen.  Viel- 
leicht auch  die  Echopraxie,  wenn  sie  auch,  außerhalb  der  Schizophrenie  bei 
rms  sehr  selten  ist.  In  der  Form  der  Echolalie  treffen  wir  sie  mit  etwas  anderer 
psychologischer  Begründung  bei  Herderkrankimgen  des  Gehirns  nicht  selten. 

Den  Negativismus  kann  man  praktisch  noch  nicht  immer  abgrenzen 
gegen  andere  Formen  von  Ablehnung.  Gesunde  und  Kranke  aller  Art  werden 
abweisend  bei  bloßer  unangenehmer  Stimmungslage.  Ist  die  letztere  gemischt 
mit  unklarer  Auffassimg  der  Umgebung,  wie  es  so  oft  bei  Epileptikern  mid 
Organischen  vorkommt,  so  kann  sie  sehr  leicht  Negativismus  vortäuschen. 
Das  bloße  Widerstreben  ängsthcher  Kranker  dagegen  hat  den  Charakter  von 
Flucht-  und  Schutzbewegungen,  es  ist  beeinflußbar  durch  das  Benehmen  des 
Arztes,  manchmal  durch  freundlichen  Zuspruch.  Beim  Schizophrenen  fehlen 
diese  Zeichen,  und  namentüch  ist  hier  auffallend  die  kontrastierende  Gleich- 
gültigkeit, mit  der  er  oft  wirkliche  Angriffe  erträgt.  Weniger  scharf  läßt  sich  die 
emfache  feindhche  Auffassung  der  Umgebung  vom  Negativismus  unterscheiden, 
da  eben  die  feindliche  Gegenüberstellung  der  Außenwelt  überhaupt  eine  Wiu'zel 
des  Negativismus  bildet.  Der  Negativismus  kann  auch  neben  einer  solchen 
Verkennimg  und  unabhängig  von  ihr  bestehen;  dann  ist  es  oft  nicht  leicht,  die 
beiden  Faktoren  auseinander  zu  halten.  Die  blinde,  diskussionsimfähige  Ab- 
lehnung kommt  indes  sehr  selten  bei  anderen  attenten  Kranken  als  den  Schizo- 
phrenen vor.  Dafür  darf  nicht  aus  den  Augen  gelassen  werden,  daß  auch  der  echte 
Negativismus  kern  aUgemeiner  zu  sein  braucht,  sondern  sich  nur  unter  bestimmten 
Umstanden  oder  gegenüber  bestimmten  Personen  zeigen  oder  umgekehi't  ver- 
bergen kann.  —  Vom  Eigensinn,  der  ja  auch  auf  einer  Art  übertriebenem  Autis- 
mus beruht,  unterscheidet  sich  der  Negativismus  dadurch,  daß  er  ein  allgemeines 
Symptom  ist,  imd  daß  er  in  den  meisten  Äußerungen  dem  normalen  Fühlen 
ganz  unverständlich  bleibt. 

Die  Stereotypien  sind  bei  Schizophrenen  am  häufigsten,  fehlen  aber 
auch  bei  anderen  Kranken  -  und  bei  Normalen  -  nicht.  Das  Sinnlose,  den  Ge- 

k!^r  "^1  ^^'^^  Entsprechende  läßt  aber  meist  die 

katatonen  Stereotypien  von  den  anderen  miterscheiden.  Die  Verbigeration  ist 


24G 


Scliizophrenie. 


wenn  man  nur  an  die  Möglichkeit  dieser  verschiedenen  Symptome  denkt,  meist 
leicht  von  der  Gedankenarmut  und  der  Perseveration  (bei  Organischen)  zu 
miterscheiden,  die  beide  Wortwiederholungen  verursachen.  Am  häufigsten 
geben  Stereotypien  der  Haltung  bei  Paralytikern  Anla,Q  zu  Verwechslung  mit 
katatonen  Symptomen. 

A.uch  bei  den  „Manieren"  ist  auf  das  Übertriebene,  den  Umständen 
Unangepaßte  zu  achten.  Sie  kommen  ja  bei  Gesunden  und  Geisteskranken  in 
gewissen  Graden  nicht  selten  vor.  Von  Ticks  wird  man  sie  meist  leicht  unter- 
scheiden, wenn  man  einmal  darauf  aufmerksam  ist.  Sind  die  Manieren  sehr 
ausgesprochen,  so  bilden  sie  ein  wichtiges  Unterscheidungszeichen  gegenüber 
anderen  Krankheiten. 

Der  Stupor,  der  auch  bei  organischen  Himkranlcheiten,  manisch-depres- 
sivem Irresein,  Epilepsie,  Hysterie  vorkommt,  ist  als  solcher  nur  dann  für  die 
Diagnose  zu  verwerten,  wenn  man  eine  schizophrene  Genese  desselben  (Sperrung, 
Autismus  usw.)  nachweisen  oder  ausschließen  kann.  Ferner  wird  ein  Stupor, 
bei  dem  der  Kranke  besonnen  erscheint  und  die  Umgebung  gut  beobachtet, 
wohl  immer  ein  schizophrener  sein.  Wichtig  ist  auch  die  Beobachtung  von 
Groß,  der  bei  keinem  seiner  katatonischen  Stuporösen  Störung  der  Auffassung 
oder  motorische  Hemmung  gefunden  hat. 

Von  motorischen  Symptomen  können  die  tiefen  Reflexe,  die  regel- 
mäßig erhöht  sind,  die  Diagnose  stützen,  namentüch  das  Faziahsphänomen 
ist^bei  Gesunden  und  manchen  anderen  Psychosen  selten^). 

Auch  die  idio muskuläre  Erregbarkeit  wäre  zu  prüfen. 

Nach  Ziehen  (840,  S.  347/348)  besteht  bei  Melancholia  attonita  allgemeine 
Spannung  zum  Unterschiede  von  der  Erschlaffung  bei  der  Melancholia  passiva. 
Auch  Gaupp  (255)  findet  bei  katatonischem  Stupor  eher  Spannung  als  bei  anderen 
Krankheiten. 

Parästhesien:  Kahlbaum  (S.  52)  meint,  Hinterkopfschmerz  sei  bei  Kata- 
tonie häufig,  bei  anderen  Geisteskrankheiten  selten,  andere  Kopfschmerzen  ver- 
halten sich  umgekehrt.  Ich  konnte  bis  jetzt  in  den  Parästhesien  nichts  sicher 
Charakteristisches  sehen.  Natürlich  sind  sie  meist  schizophren,  wenn  sie  von  anderen 
„gemacht"  sind. 

Hier  mag  auch  die  geringe  muskuläre  wie  psychische  Ermüdbarkeit 
vieler  Schizophrenen  Erwähnung  finden  (vgl.  auch  Katalepsie!)  Sie  kann  z.  B. 
gegenüber  den  organischen  Psychosen  von  Bedeutung  werden  (Ziehen,  846). 

Von  anderen  körperlichen  Symptomen  sind  zu  erwähnen  die  Störungen 
der  Pupillenreaktion.  Abnorm  weite  Pupillen  ohne  erkennbare  Ursache  in 
Aufregungszuständen  deuten  fast  mimer  auf  Katatonie,  sind  z.  B.  bei  einfacher 
Manie  sehr  selten^). 

Die  Ödeme  sind  natürüch  nur  dann  als  Zeichen  der  Schizophrenie  anzu- 
sehen, wenn  eine  andere  Ursache  ausgeschlossen  ist;  vieUeicht  läßt  sich  auch 

1)  Dunton  Will.  Rush  sagt,  wenn  man  die  Kranken  mit  einem  Perkussions- 
hammer leicht  über  die  Wange  vor  dem  Ohr  streiche,  so  erfolgen  Bewegungen  im  Orbicu- 
laris  palpebrarum,  namentlich  in  frischen  Fällen.  Ich  weiß  nicht,  ob  diesem  Hautreflex 
eine  diagnostische  Bedeutung  zukommt.  . 

2)  Die  Bedeutung  der  anderen  Pupillenanomalien  siehe  unten,  Differentialdiagnose 

gegen  die  Paralyse. 


Dififerentialdiagnose, 


247 


das  Unelastische  derselben  bei  geringer  Wegdrückbarkeit  der  Flüssigkeit  für  die 
Diagnose  verwerten. 

Die  Stoffwechseluntersuchungen  (Harnformel  usw.)  lassen  sich  (noch) 
nicht  diagnostisch  benutzen.  Einen  gewissen  Wert  hat  es  einzig,  zu  wissen,  daß  große 
Schwankungen  des  Körpergewichtes  ohne  erkennbare  Ursache  am  häufigsten  bei 
unserer  Krankheit  vorkommen,  sowie,  daß  Steigen  des  Ernährungszustandes  ohne 
psychische  Besserung  bei  einem  akuten  Anfall  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  für 
Schizophrenie  spricht. 

Auch  die  Anomalien  der  Magensaftsekretion  (Pilcz)  bedürfen  noch  sehr 
der  weiteren  Untersuchung  an  größerem  Material,  bevor  sie  zu  diagnostischen 
Schlüssen  verwendbar  sind. 

In  den  akuten  Anfällen  der  verschiedensten  Axt  macht  man  die  Diagnose 
aus  dem  Vorhandensein  der  spezifischen  schizophrenen  Symptome.  Dem  Er- 
fahrnen kann  allerdings  der  Gesamteindruck  oft  die  Diagnose  der  Schizophrenie 
ohneweiters  erlauben;  die  Krankheit  ist  ja  so  häufig,  daß  das  Risiko  bei  einiger 
Vorsicht  ein  sehr  kleines  ist.  Doch  beraubt  man  sich  bei  solchen  Diagnosen  der 
Möglichkeit  der  rechtzeitigen  Entdeckung  der  selteneren  Aufregungszustände,  die 
noch  nicht  in  den  Rahmen  einer  unserer  bekannten  Krankheiten  passen;  und 
voUe  Sicherheit  gemnnt  man  nur  durch  den  Nachweis  ausschlaggebender  Sym- 
ptome. Die  plötzHchen  Remissionen  mitten  in  einem  akuten  Anfall,  in  denen  der 
Kjranke  trotz  vorhandener  Erinnerung  tut,  wie  wenn  nichts  geschehen  wäre, 
habe  ich  bis  jetzt  nur  bei  Schizophrenie  gesehen.  —  Die  Benommenheits- 
zustände  sind  natürlich  schwer  zu  untersuchen;  sie  sind  schizophren,  wenn 
man  nachweisen  kann,  daß  der  Grad  dessen,  was  wir  Benommenheit  nennen, 
in  keinem  Verhältnis  steht  zu  der  eigentlichen  Denkbehinderung,  indem  die 
Kj-anken  doch  alles  beachten  und  registrieren. 

Negativ  pathognomonische  Zeichen,  welche  das  Vorhandensein 
von  Schizophrenie  ausschließen  würden,  gibt  es  nicht.  Man  hat  die  Beeinfluß- 
barkeit einer  Krankheit  auf  psychischem  Wege  als  ein  solches  Zeichen  ansehen 
woUen  (Specht  [732,  S.  554]  und  Gaupp).  Wir  sehen  aber  sehr  häufig,  daß 
auch  das,  was  wir  schizophrene  Verblödimg  nennen,  in  hohem  Grade  durch 
psychische  Einflüsse  gebessert  oder  verschlimmert  wird. 

Smd  Zeichen  einer  andern  Psychose,  z.  B.  einer  Paralyse  vorhanden,  so 
wird  man  aus  praktischen  Gründen  die  Diagnose  der  Schizophrenie  meist  faUen 
lassen.  Dagegen  ist  damit  niemals  der  Beweis  geleistet,  daß  nicht  neben  der 
organischen  Gehirnkrankheit  noch  eine  Dementia  praecox  bestehe.  Können 
wir  doch  bei  niemandem  eine  latente  Schizophrenie  ausschließen, 
so  wenig  wie  eine  latente  Lungentuberkulose. 

0.  Die  Differentialdiagnose. 

Hier  sollen  nur  die  speziellen  Schwierigkeiten  und  Unterscheidmigszeichen 
gegenüber  den  anderen  Krankheiten  berührt  werden.  Sind  die  früher  erwähnten 
allgememen  Zeichen  einer  Schizophrenie  in  genügender  Ausprägung  vorhanden 
so  versteht  sich  die  Diagnose  von  selbst. 

Zur  Zeit  ist  es  leider  noch  nicht  mögüch,  die  Differentialdiagnose  der 
Schizophreme  zu  besprechen ,  ohne  auf  die  Symptomatologie  der  anderen  Psychosen 


248 


Schizophrenie. 


einzugehen,  bei  deren  Beschreibung  oft  gerade  das,  Avorauf  es  hier  ankommt 
ungenügend  becücksiclitigt  wird. 

a)  Die  symptomatologische  Unterscheidung  der  Schizophrenie  vom 
manisch-depressiven  In-esein  kann  nur  an  Hand  der  spezifischen  schizo- 
phrenen Symptome  geschehen;  was  beim  manisch-depressiven  Irresein 
beobachtet  ist,  kann  auch  bei  unserer  Krankheit  vorkommen; 
entscheidend  ist  nur  das  Vorhandensein  oder  Fehlen  schizophrener 
Symptome.  Eine  manische  Exaltation,  eine  melancholische  Depression  und 
auch  ein  Wechsel  beider  Zustände  bedeutet  also  für  die  Diagnose  noch  nichts. 
Erst  wenn  eine  genügende  Beobachtung  nichts  Schizophrenes  ergeben  hat, 
darf  man  auf  manisch-depressives  Irresein  schUeßen. 

Die  Affektstörung  gilt  von  jeher  als  das  wichtigste  Unterscheidungszeichen 
der  „Verblödmigen".  Beim  manisch-depressiven  Irresein  sind  die  Affekte  kräftig 
und  ganz  klar,  bei  ausgesprochener  Schizophrenie  aber  undeuthch  und  oft  geradezu 
undefinierbar  oder  fehlend.  Ihr  Mangel  ist  namenthch  dann  auffallend,  wenn 
gleichzeitig  der  Inhalt  der  Reden  Größenwahn  oder  Verzweiflung  ausdi-ückt. 
Besonders  zu  achten  ist  auf  die  Modulationsfähigkeit.  Der  Manische  und 
in  gewissem  Sinne  auch  der  Melanchohsche  ist  auf  ein  abnormes  Niveau  seiner 
Affektivität  eingestellt,  ohne  die  Fähigkeit  verloren  zu  haben,  seine  Stimmimg 
allen  Nuancen  des  Gedankeninhaltes  anzupassen.  Beim  Schizophrenen  aber 
hat  auch  eine  ausgesprochene  Affektlage  etwas  Starres,  UnbewegHches ;  und 
treten  Änderungen  der  Stimmung  ein,  so  scheinen  sie  oft  unmotiviert,  nicht 
dem  Vorstellungsinhalt  parallel  gehend. 

So  lassen  sich  die  Zornausbrüche  des  Manischen  gewöhnlich  auf  normale 
Motive  zurückführen;  er  ärgert  sich  über  die  Beschränkung,  über  eine  abgeschlagene 
Bitte  u.  dgl.  Der  manische  Schizophrene  hat  oft  Wutausbrüche,  deren  Aus- 
lösung gar  nicht  motiviert  oder  doch  quahtativ  unbegründet  erscheint. 

Ein  besonders  wichtiges  Zeichen  ist  das  Fehlen  der  Einheitlichkeit 
der  Stimmung,  Einheithchkeit  nicht  im  zeitHchen  Sinne,  sondern  insofern, 
als  die  verschiedenen  psychischen  Äußerungen  nicht  zusammenpassen.  Wenn 
Inhalt  und  Ausdruck  einer  Rede  im  Widerspruch  zueinander  stehen,  wenn  im 
nämlichen  Satz  Worte  imd  Gedanken  vorkommen,  die  verschiedenen  Stinmaungen 
oder  verschiedenen  Nuancen  entsprechen,  gleichgültige  Ausdrücke  neben  über- 
trieben gehobenen  oder  verzweifelten,  wenn  die  Mimik  selbst  so  dissoziiert  wird, 
daß  z.  B.  der  obere  Teil  des  Gesichtes  einen  andern  Affekt  ausdrückt  als  der 
untere,  dann  handelt  es  sich  nicht  um  manisch-depressives  Irresein.  Fröhlich, 
ängstlich,  gehoben  und  deprimiert  kann  der  Schizophrene  nicht  nur  rasch  nach- 
einander, sondern  geradezu  gleichzeitig  sein.  Er  kann  auch  trotz  starker  ge- 
hobener oder  ängsthcher  Erregung  normal  lang  und  tief  schlafen.  Alles  das  sind 
Unterschiede  gegenüber  dem  Manischen. 

Die  gleichgültige  Euphorie  vieler  Schizophrenen  darf  nicht  mit  der  ge- 
hobenen Stimmimg  der  Manischen  verwechselt  werden. 

Aiißer  den  oben  genannten  Zeichen  dient  oft  zur  Unterscheidimg  der 
schizophrene  Mangel  an  Aktivität,  der  auch  dann  auffällt,  wenn  eine  eigenthche 
manische  Stimmung  die  Grundkranldieit  komphziert.  Ein  manischer  Zustand, 
der  nicht  einen  der  Stimmung  entsprechenden  Beschäftigungsdrang  hat,  ist  in 
der  Regel  ein  symptomatischer  und  am  häufigsten  ein  schizophrener. 


Differentialdiagnose.  Manisch-depressives  Irresein. 


249 


überhaupt  ist  der  Beschäftigungsdrang  eines  der  kaum  feh  enden  Zeichen 
der  Man  e  (abgesel^en  von  den  Weygandtschen  ''M-hfallen  )  waW^^ 
dlvon  bei  den  Erregungen  der  Dementia  praecox  sehr  wenig  sehen.  Schon 
Brius  hat  auf  dls  Lfallende  Verhalten  des  V-^^" 
aemacht  der  nach  einer  Zerstörungsszene  untätig  unter  den  Scherben  stehen 
Stwähtnd  der  Manische  das  Albruchmaterial  eifi-ig  .u  verwenden  bestrebt 
ist.  Nur  beim  Schizophrenen  erscheint  das  beständige  Hemmldettern  Herum 
turnen  imd  Zerstören  ganz  sinnlos.  Beim  Manialais  wissen  wir  m  dei  Kegel, 
was  er  sich  dabei  denkt. 

Wernicke  (804,  S.  378)  macht  auch  auf  das  Mißverhältnis  zwischen  Rede- 
drang und  Beschäftigungsdrang  bei  seiner  hyperkinetischen  Motilitätspsychose 
aufmerksam.  Bei  der  Manie  soll  der  Eededrang  überwiegen  bei  der  Motilitäts- 
psychose soll  oft  neben  starkem  Bewegungsdrang  geringe  Sprechlust  bis  zum  Mutis- 
mus vorkommen.  Letzteres  ist  richtig,  doch  gibt  es  auch  Manien,  die  spontan  nicht 
viel  reden  Der  Unterschied  läßt  sich  viel  richtiger  nach  Kraepehn  ausdrucken, 
wenn  man  sagt,  die  erregten  Schizophrenen  setzen  sich  zu  wenig  m  Be- 
ziehung zu  ihrer  Umgebung;  sie  zeigen  überhaupt  eine  auffallende 
Unabhängigkeit  von  den  Eindrücken  der  Umgebung;  „der  Bewegungs- 
drang trägt  die  Kennzeichen  des  Zwangsmäßigen  und  Einförmigen,  ist  durchaus 
ziellos,  wird  nicht  durch  äußere  Einwirkungen  beeinflußt;  vielfach  fällt  die  gezierte 
Ausführung  gewisser  Handlungen  auf  (Kraepelin,  A.  Zeitschr.  f.  Psych.,  99, 

S.  255).  •     ■  ,  1, 

Die  Kranken  reden  mit  der  Umgebung  wenig,  auch  dann,  wenn  sie  viel  sprecüen. 
Die  Anregung  zum  Sprechen  sowie  der  Inhalt  kommt  größtenteils  autistisch  von 
innen  heraus.  Manische  Schizophrene  können  sogar  andauernd  die  Augen  geschlossen 
halten,  nicht  nur  auf  der  Abteilung,  sondern  z.  B.  während  des  größten  Teiles  einer 
klinischen  Vorstellung.  So  ist  es  mir  nicht  verständUch,  wie  Wernicke  die  aus- 
gesprochene Hypermetamorphose  als  Unterscheidungszeichen  der  hyperkinetischen 
Motilitätspsychose  von  der  Manie  hinstellt  (eod.  1.).  Übertriebene  Ablenkbarkeit 
kann  bei  der  katatonen  Erregung  vorhanden  sein,  aber  sie  ist  selten  so  groß  wie  bei 
der  Manie  und  meist  geringer  als  bei  dieser;  noch  häufiger  treffen  wir  geradezu  das 
Gegenteil,  eine  pathologische  Hypovigilität. 

Daß  die  manische  Ideenflucht  nicht  verwechselt  werden  darf  mit  der 
schizophrenen  Inkohärenz,  und  daß  bei  manischen  Anfällen  der  Schizophrenie 
beide  Störungen  zugleich  vorkommen,  ist  selbstverständlich.  Wichtig  ist  dabei 
zu  wissen,  daß  die  Ideenflucht  nicht  bis  zu  einer  Lockerung  der  gewöhnlichen 
Begriffe  und  zu  einer  eigentlichen  Fälschung  der  logischen  Funktionen  gehen 
kann.  Der  Manische  sieht  nicht  eine  Person  zugleich  für  mäimlich  und  weiblich 
an  und  gibt  nicht  im  Emst  ganz  zufälligen  Assoziationen  einen  kausalen  odier 
anderen  logischen  Zusammenhang,  der  ihnen  nicht  gebührt. 

Die  Unterscheidung  der  Ideenflucht  von  der  Inkohärenz  der  Schizophrenie 
ist  nicht  immer  auf  den  ersten  Blick  zu  machen,  da  beide  Anomalien  etwas  Ziel- 
loses haben.  Zu  beachten  ist,  daß  der  Ideenflucht  die  Direktive  eigentlich  nicht  fehlt, 
sondern  daß  sie  alle  Augenblicke  wechselt.  Da  bei  den  Gedankensprüngen  der  Schizo- 
phrenie nicht  alle  Fäden  reißen  müssen,  haben  wir  bei  dieser  Störmig  oft  Asso- 
ziationen, die  den  oberflächlichen,  klanglichen  und  motorischen  der  Ideenflucht 
an  die  Seite  zu  stellen  sind,  im  einzelnen  Falle  mit  ihnen  identisch  sein  können. 
Es  ist  aber  doch  die  Diagnose  in  den  meisten  Fällen  an  verhältnismäßig  wenig  Material 
zu  machen,  weil  den  schizophrenen  Assoziationen  viel  mehr  Leitfäden  fehlen  können 


250 


Schizophrenie. 


als  den  manischen.  Daher  bei  ilmen  das  Bizarre,  das  skrupellos  Unsinnnige,  während 
die  Ideenflucht  Assoziationen  zum  Vorschein  bringt,  die  auch  dem  Normalen  nicht 
nur  verständlich  sind,  sondern  bei  ihm  wirklich  häufig  vorkommen,  aber  dann 
gewöhnlich  unterdrückt  werden  (Reime,  Wortergänzungen).  So  werden  Assoziationen 
wie  Absicht  —  in  der  Nacht  sieht  man  nichts;  Bitte  — Bidet;  Ziegelboden  —  Zigeuner; 
Schuh  —  Schönheit,  bei  Manischen  nur  unter  ganz  speziellen  Konstella  tione' 
möglich  sein. 

Auch  an  sich  normale  oder  nur  ideenflüchtige  Assoziationen  werden  bizarr  durch 
die  Verwendung  in  Sätzen,  die  unsinnig  erscheinen  und  weder  im  Ausdruck  noch  in 
den  Gefühlen  eine  einheitliche  Stimmung  zeigen. 

„Helft  mir  einen  Weihnachtsbaum  der  Welt  am  25.  crt.  anzünden;  ich  darf 
ihn  mit  eurer  Hilfe  mit  einer  kleinen  Glocke  durch  meine  Mutter  anzünden  und 
rüsten  helfen,  ich  darf  ein  Kindertrompetchen  blasen,  mein  modernes  Testament 
ohne  Geld." 

In  diesem  Beispiel  sind  alle  Assoziationen  noch  gut  verständlich ;  ihre  Zusammen- 
fügung zu  Sätzen  ist  aber  eine  deutlich  schizophrene,  nicht  nur  wegen  des  Unsinnes, 
daß  Patient  den  Baimi  mit  der  Glocke  anzünden  will,  sondern  auch  u.  a.,  weil  er 
in  den  feierlichen  Ton  das  geschäftliche  ,,25  currentis"  hineinbringt. 

Wäkrend  der  Manische  seine  Erregung  weder  in  der  Sprache  noch  in  der 
Schrift  verbergen  kann,  ist  der  Schizophrene  zerfahren  aucli  ohne  Erregung: 
er  allein  kann  einen  äußerlich  tadellosen,  dreißig  Seiten  langen  Brief  voU  un- 
zusammenhängenden  Unsinns  schreiben;  nur  bei  dieser  Krankheit  kann  man 
bei  sonst  unsinniger  Aufführung  einen  fehlerlosen  Strumpf  stricken. 

Der  Unterschied  zwischen  Schizophrenie  und  Manie  zeigt  sich  u.  a.  auch 
in  den  Erklärungen  der  Kranken  für  ihr  Verhalten.  Die  Manischen  machen  sich 
und  anderen  oft  hinterdrein  ihre  Aufführung  ganz  plausibel:  Die  Wärter  waren 
zu  grob  gegen  sie,  darum  haben  sie  demohert  usw.  Die  Schizophrenen  haben 
ihre  früher  beschriebenen  sinnlosen  Ausreden:  Sie  schlugen  eine  Scheibe  ein, 
weil  man  sie  nicht  nach  Hause  läßt,  oder  weil  der  Wärter  eine  Schürze  trägt, 
oder  sie  haben  gar  kein  Bedürfnis,  Begründungen  zu  finden. 

Bei  manisch-depressiven  Mischzuständen  wiederholen  sich  die  Kranken 
trotz  deutHcher  Zeichen  von  Ideenflucht  manchmal  in  geradezu  ermüdender  Weise, 
oder  sie  bilden  endlose  Keihen  von  ähnhchen  Ideen  (Namen,  Ortschaften  usw.). 
Diese  Erscheinimg  ist  bei  einiger  Aufmerksamkeit  nicht  zu  verwechseln  mit  der 
Verbigeration,  bei  der  gar  nicht  beabsichtigt  wird,  etwas  zu  sagen.  —  Kehren 
die  Kranken  beständig  auf  frühere  Ideen  zurück,  ohne  daß  ein  Interesse  dieses 
Verhalten  erklärte,  so  handelt  es  sich  in  der  Regel  nicht  um  Manie. 

Eigenthche  mittelbare  Assoziationen  spielen  bei  der  Manie  der  Manisch- 
Depressiven  kaum  je  eine  auffallende  Rolle,  während  sie  bei  der  Schizophrenie 
recht  häufig  sind. 

Ehi  weiteres  wichtiges  Zeichen  der  Schizophrenie  ist  die  Bedeutung, 
die  die  abnormen  Assoziationen  für  den  Kranken  bekommen.  Während  der 
Ideenflüchtige  mit  seinen  Reimen  und  Assonanzen  spielt,  werden  die  bizarren 
Assoziationen  des  Schizophrenen  inhaltlich  verwertet  und  haben  für  ihn  oft 
Wahrheitswert:  Das  F.  L.  auf  dem  Tischtuch  in  Verbindung  mit  dem  Oval  des 
Tisches  erinnert  nicht  nur  die  Hebephrene  an  das  Wort  „folle",  sondern  es 
sagt  ihr,  sie  sei  „folle".  Kein  Manischer,  der  an  einen  „wonnigen  Gruß"  dachte 
und  dem  noch  auf  „wonnig"  die  sonderbare  Assoziation  „wemg"  käme,  wäre 


Differentialdiagnose.  Manisch-depressives  Irresein. 


251 


imstande,  den  letzteren  Einfall  am  Schlüsse  eines  Bnefes  zu  verwerten  an  der 
Form  mit  wonnigem  Gruß  an  wenige  Euer  Ad.".  Ebenso  verwerten  nur  die 
Schizophrenen  die  zufäUigen,  von  außen  gegebenen  Verbmdungen  'n  logisch 
falscher  Weise.  Der  Manische  nimmt  zwar  aUe  mögHchen  zufäUigen  Vorkomm- 
nisse in  seinen  Ideengang  auf,  namentUch  läßt  er  diesen  durch  äußere  Wahr- 
nehmungen ganz  ablenken,  die  OberflächUchkeit  kann  dabei  bis  zur  Smnlosigkeit 
gehen,  sie  wird  aber  nicht  zum  vollen  Widersinn. 

Dagegen  ist  die  Fesselung  durch  äußere  Eindrücke,  das  Benennen, 
die  Bannung  eine  AnomaUe,  die  der  Schizophrenie  —  niemals  aber  der  Ideen- 
flucht angehört. 

Gehen  die  schizophrene  und  die  manische  Assoziationsstörung  bis  zu  voll- 
ständiger Verwirrtheit,  so  kann  es  für  kurze  Zeit  immöglich  sein,  sie  zu  unter- 
scheiden. 

Die  experimentellen  Assoziationen  der  Schizophrenie  haben  wir 
im  Abschnitt  über  die  Symptomatologie  charakterisiert;  ich  möchte  hier  gegen- 
über der  flotten  Eeaktion  der  Manischen  nur  noch  auf  die  so  häufigen  unregel- 
mäßigen und  langen  Zeiten  der  Schizophrenen  aufmerlcsam  machen. 

Mit  Beziehung  auf  das  Assoziationsexperiment  sagt  Isserlin  (342):  ,, Finden 
wir  regelmäßig  trotz  langer  Reaktionszeiten  ein  Bemühen,  dem  Sinne  des  Reiz- 
wortes gerecht  zu  werden,  so  werden  wir  auch  bei  mäßigem  Vorstellungswechsel 
und  nicht  sehr  tiefem  Affekt  nicht  zweifeln,  die  Diagnose  Depression  des  manisch- 
depressiven  Irreseins  zu  stellen."  Er  wird  für  die  meisten  Fälle  recht  haben.  • — ■ 
Schon  unzuverlässiger  wird  das  Kriterium  Pfersdorffs  sein,  daß  neue  Einstellung 
auf  jedes  neue  Reizwort  für  manisch-depressives  Irresein  spreche.  Es  gibt  doch  viele 
leichtere  Schizophrene,  die  sogar  bei  etwas  stuporösem  Benehmen  imstande  sind, 
jedem  neuen  Reiz  zu  folgen. 

Außer  den  spezifischen  Eigentümlichkeiten  der  schizophrenen  Erregungen 
ist  neben  der  Gespreiztheit,  dem  Theatralischen  des  Benehmens  gegenüber  der 
reinen  Manie  namentlich  auch  die  Einförmigkeit  der  Bewegungen  charak- 
teristisch; ferner  deren  Un Verständlichkeit;  der  Manische  handelt,  mancher 
erregte  Schizophrene  bewegt  nur  die  Gheder. 

Die  Unterscheidung  von  Hemmung  und  Sperrung  macht  uns  die  Trennung 
schizophrener  Zustände  von  den  früher  mit  ihnen  verwechselten  stuporösen 
und  depressiven  Zuständen  des  manisch-depressiven  Irreseins 
möghch.  Die  Sperrungen  spielen  keine  Rolle  bei  den  letzteren.  Bei  der  Hemmmig 
allgemeine  Erschwerung  und  Verlangsamung  der  Bewegungen  und  des  Denkens 
neben  traurigem  Affekt;  bei  der  Sperrung  Schwankungen  in  der  Kraft  und 
der  Schnelligkeit  der  Bewegimgen  und  des  Denkens.  Der  Gehemmte 
macht  auf  Befehl  Bewegungen  (Hände  umeinander  drehen.  Zählen)  langsam, 
kraftlos,  unausgiebig,  rasch  nachlassend;  der  Gesperrte  gehorcht  in  aus- 
gesprochenen Fällen  zunächst  gar  nicht;  ist  aber  einmal  der  Widerstand  über- 
wunden, so  sind  Kraft  und  Geschwindigkeit  meist  normal.  Bei  der  Reaktions- 
losigkeit  hochgi-adig  stuporöser  Formen  beider  Krankheiten  kann  aber  die 
Unterscheidung  in  seltenen  FäUen  nahezu  unmöglich  werden.  Dann  hilft  etwa 
noch  das  von  Wer  nicke  (804,  S.448)  angegebene  Zeichen,  daß  die  „MelanchoHker" 
auch  wenn  sie  mcht  antworten,  den  Fragenden  meist  noch  anbücken,  während 
die  Schizophrenen  gar  kein  Zeichen  des  Verständnisses  geben  oder  geradezu 


252 


Scliizophreiiie. 


sicli  abwenden.  Die  Sperrung  unterscheidet  sich  von  der  Hemmung  manchmal 
auch  deuthch  dadm-ch,  daß  sie  sofort  verschwindet,  wenn  es  mögUch  wird,  die 
Aufmerksamkeit  des  Kranken  auf  ein  Thema  zu  lenken,  das  seinen  Komplexen 
fern  liegt,  während  die  Hemmung  sich  außer  in  leichten  Fällen  auch  bei  Ablenkung 
geltend  macht. 

Gelegentlich  wird  die  Hemmung  mit  Negativismus  verwechselt,  doch  ist 
es  leicht,  sich  vor  diesem  Irrtum  zu  schützen. 

Eecht  häufig  hat  die  scheinbare  ,, Stumpfheit"  der  Manisch-Depressiven, 
die  teils  als  Nachstadmm  einer  Manie,  teils  als  leichte  Form  der  depressiven 
Phase  auftritt,  eine  „Verblödung"  vorgetäuscht.  Die  restlose  Erklärbarkeit 
des  ganzen  Syndroms  aus  leichter  Hemmung  sollte  aber  die  Diagnose  sichern. 

Die  Wahnsinnszu stände  des  manisch-depressiven  Irreseins  sind  noch 
oft  schwer  von  der  Schizophrenie  zu  -unterscheiden;  erst  nach  längerer  und 
eingehender  Beobachtung  wird  das  Nich tauffinden  schizophrener  Symptome 
den  Ausschlag  für  die  erstere  Diagnose  geben.  Diese  Zustände  sind  aber  recht 
selten,  so  daß  die  Wahrscheinlichkeit  immer  sehr  stark  für  Schizophrenie  spricht. 
Läßt  sich  eine  deutliche  Depression  oder  gehobene  Stimmung  nicht  nachweisen, 
so  ist  immer  Schizophrenie  anzunehmen. 

Schneie  (675  a,  S.  312)  gibt  an,  wenn  die  Sinnestäuschung  dem  Kranken 
als  etwas  Fremdes  gegenübertrete,  das  für  ihn  über  den  logischen  "Wert  hinaus 
eine  Mehrbedeutung  habe,  so  handle  es  sich  nicht  mehr  um  Melancholie,  sondern 
um  Paranoia  (d.  h.  Schizophrenie  in  unserem  Sinne).  Wenn  auch  das  Kriterium 
nicht  immer  leicht  anzuwenden  sein  wird,  so  ist  doch  damit  etwas  Eichtiges  aus- 
gesprochen ;  es  ist  eben  der  abgespaltene  Teil  der  PersönHchkeit,  der  dem  andern 
die  Halluzinationen  und  deren  Deutung  aufdrängt. 

Nach  Heilung"  eines  akuten  Anfalles  stehen  die  Schizophrenen  in  der 
großen  Mehrzahl  ihren  Wahnideen  anders  gegenüber  als  die  Manisch-Depressiven. 
Auch  wenn  sie  sie  als  falsch  erkennen,  so  nehmen  sie  nicht  recht  Stellung  den- 
selben gegenüber;  sie  sperren  sie  ab,  gehen  nicht  darauf  ein  (vgl.  S.  112 
und  211). 

Kölpin  meint,  die  Erinnerung  an  einen  melancholischen  Stupor  sei  lücken- 
hafter als  die  an  den  katatonischen  Stupor.  Ich  kann  das  Zeichen  nicht  gelten 
lassen.  Auch  in  stuporösen  Zuständen  der  Schizophrenie  gibt  es  Dämmerzustände, 
die  totale  oder  teilweise  Amnesie  zurücklassen,  und  an  den  melancholischen  Stupor 
kann  eine  ganz  gute  Erinnerung  bleiben. 

Ob  das  Zeichen  von  Pfersdorff  (560,  S.  742),  daß  in  den  Wahnideen  des 
manisch-depressiven  Irreseins  Körperabschnitte  (Brust,  Bauch  usw.)  figurieren 
statt  eines  einzelnen  Organes,  einen  Wert  habe,  kann  ich  nicht  sagen. 

Die  Unterschiede  des  Verlaufes  sind  selbstverständhch  insofern,  als 
die  Schizophrenie  die  Richtung  auf  eine  spezifische  Verblödimg  einschlägt, 
während  die  Anfälle  des  manisch-depressiven  Irreseins  normale  Zustände  oder 
dann  eine  gesteigerte  Emotivität  ohne  eigenthche  Störungen  der  Assoziations- 
fähigkeit und  Intelligenz  zwischen  sich  lassen.  Geht  es  bei  dem  manisch-depressiven 
Irresein  schlimm.,  so  geschieht  das  in  dem  Sinne,  daß  die  gesunden  Zwischenzeiten 
immer  kürzer  werden  oder  ganz  ausfallen.  AusdrückHch  sei  bemerkt,  daß  der 
periodische  oder  zykhsche  Verlauf  einerseits  beim  manisch-depressiven  Irresein 
fehlen,  anderseits  bei  der  Schizophrenie  vorkommen  kann.  Die  große  Wahrschein- 


Differentialdiagnose.  Organische  Psychosen.  253 

1  „«-u  /^ß,->vf>oaivpti  Irresein,  wenn  mehrere  Anfälle 

liphkeit  süricht  aber  für  mamsch-depiessives  iiicawii, 

vttgegSien  sind  und  man  dennoch  keine  deuthchen  Zeichen  der  Schizo- 

'^^^üso.e  .Vnhaltspunkte  aus  der  Heredität  .u  nehmen  ist  be^^^^^ 
noch  wenfg  erforschten  SteUung,  die  die  Heredität  bei  f^y^^^^^—^ 
und  bei  der  kompüzierten  Zusammensetzimg  unserer  Abstammung  noch  kaum 

""'^^  Kraepelins  Melancholie  des  Rückbildungsalters  ist  nun  wohl  dem 
manisch-depressiven  Irresein  anzureihen.  Es  mag  hier  nm:  darauf  aufmerksam 
gemacht  werden,  daß  manche  Spätkatatonien  mit  melancholischen  Sj^ptomen 
beginnen,  denen  sich  erst  später  die  deutlichen  katatonen  Zeichen  beimischen 
Da  ist  es  immer  gut,  eine  genaue  Anamnese  zu  bekommen,  m  der  namentlich 
Rücksicht  genommen  wird  auf  früher,  besonders  in  der  Pubertät,  überstandene 
schizophrene  Schübe  oder  auf  das  Bestehen  eines  schizophrenen  Cnarakters; 
denn  es  ist  nicht  gerade  häufig,  daß  hi  der  Rückbildung  der  erste  AnfaU  der 
Krankheit  auftritt.  Ferner  darf  man  nicht  vergessen,  daß  germge  Nachhaltigkeit 
■des  Affektes  und  einzehie  Andeutungen  von  katatonen  Symptomen  auch  eine 
beginnende  Dementia  senihs  bedeuten  können. 

Ziehen  findet  bei  seiner  Melancholie  auch  Gedankenlautwerden.  Ich 
glaube  doch,  daß  dieses  Symptom  mit  ziemlicher  Sicherheit  auf  Schizophrenie  hin- 
weist. —  Es  muß  auch  gegenteiligen  Behauptungen  gegenüber  festgehalten  werden, 
daß  akute  Verschlimmerung  oder  Besserung  unter  dem  Einfluß  psychischer  Momente 
durchaus  nicht  gegen  Schizophrenie  spricht.  Im  Gegenteil;  ich  glaube  nicht,  daß 
eine  Melancholie  sich  unter  psychischen  Einflüssen,  wie  Versetzung  in  eine  andere 
Anstalt  wesentlich  bessere  (Stelzner,  S.  12/13),  während  die  Versetzungsbesserungen 
bei  der  Schizophrenie  etwas  Gewöhnliches  sind  (Riklin  611). 


h)  Die  beiden  hauptsächlichen  organischen  Psychosen,  die  Paralyse 
und  die  Dementia  senilis,  sind  insofern  leichter  von  der  Schizophrenie  zu 
unterscheiden,  als  sie  positive  Symptome  haben,  die  die  Diagnose  sichern.  Die 
charakteristische  Gedächtnisstörung  im  Sinne  des  rascheren  Vergessens  der 
rezenten  Erlebnisse,  die  frühere  und  stärkere  Schwächung  der  habituellen  gegen- 
über der  maximalen  Aufmerksamkeit,  die  Ermüdbarkeit,  die  Langsamkeit  und 
Unsicherheit  der  Wahrnehmung,  die  Orientierungsstörung,  das  leichte  An- 
schlagen der  qualitativ  erhaltenen  pathologisch  labilen  Gefühle,  das  sind  ebenso 
bekannte  als  klare  Zeichen  einer  ausgedehnten  groben  Störung  der  Hirnrmde. 
Sie  kommen  bei  nicht  kompUzierter  Schizophrenie  nicht  vor. 

Weniger  bekannt  und  nicht  leicht  zu  beschreiben  ist  die  organische  Störung 
der  Assoziationen  und,  was  eigentlich  das  gleiche  ist,  der  Intelligenz.  Wir 
müssen  uns  hier  auf  die  Andeutungen  beschränken,  die  notwendig  sind  zur 
Diff  erenti  aldiagnose . 

Die  Assoziationen  des  Organischen^)  sind  insofern  gestört,  als  sie  an  Zahl 
reduziert  sind ;  das  psychische  Gesichtsfeld  ist  verengert.  Die  auffallendsten  Be- 


^)  Die  Inkohärenz  paralytischer  Verwirrtheitszustände  und  beim  (ziellosen?)  para- 
lytischen Pororieren  kann  ich  noch  nicht  positiv  charakterisieren. 


254 


Schizophrenie. 


schrankimgen  geschehen  nach  Trieben,  oder  nach  Affekten,  was  das  gleiche  ist. 
Der  Paralytiker,  der  gerae  große  Geschäfte  machen  würde,  sieht  nur  noch  die 
guten  Chancen,  die  schlechten  existieren  für  ihn  nicht.  In  späteren  Stadien  will  er 
sich  irgend  einen  Gegenstand  auf  seiner  Abteilung  aneignen;  er  stiehlt  ihn  mit 
vorsichtiger  Miene  und  versteckt  ihn  sorgfältig  unter  sein.  Kleid  —  vor  den  Augen 
der  Wärter  und  seiner  Mitpatienten,  die  in  diesem  Moment  nicht  für  ihn  exi- 
stieren. Der  Greis  möchte  seinen  Geschlechtstrieb  befriedigen;  er  sieht  in  dem 
Kinde  nur  noch  das  Weib,  denkt  nicht  daran,  was  alles  für  morahsche  Gründe 
gegen  sexuellen  Verkehr  mit  Kindern  sprechen,  imd  mißbraucht  das  erste  beste 
Kind,  das  ihm  begegnet.  So  leidet  namenthch  auch  die  Registrierung  von 
Vorkommnissen,  die  außer  der  Aufmerksamkeit  des  Patienten  liegen,  und  damit 
die  Orientierimg. 

Ganz  anders  der  Schizophrene.  Seine  Assoziationen  sind  auch  beschränkt, 
aber  nach  Komplexen,  die  im  gegenwärtigen  Moment  gar  nicht  aktuell  zu  sein 
brauchen.  Eine  Menge  von  Gedanken  sind  abgespalten  und  gar  nicht  fähig, 
mit  gewissen  anderen  in  assoziativen  Kontakt  zu  kommen.  Außerhalb  der  ge- 
sperrten Bahnen  sind  die  Assoziationen  aber  frei ;  es  können  mehrere  Assoziations- 
komplexe nebeneinander  verlaufen.  So  ist  die  unbewußte  Registrierung  eine 
ganz  vorzügliche^). 

Der  Paralytiker  guckt  die  Welt  durch  ein  kleines  Loch  an;  es  ist  aber 
möglich,  ihm  sukzessive  fast  alle  Details  zu  zeigen;  nur  bekommt  er  nie  eine 
Übersicht.  Der  Schizophrene  sieht  beliebig  große  zusammenhängende  Stücke, 
die  er  potentia  alle  miteinander  verbinden  kann,  aber  in  Wirkhchkeit  oft  nicht 
verbindet.  Bei  der  organischen  Wahnidee  existiert  im  gegebenen  Moment  nur 
der  Komplex  (der  Wunsch,  die  Befürchtung),  bei  der  schizophrenen  existiert  das 
der  Wahnidee  Widersprechende  auch,  aber  es  wird  nicht  mit  ihr  in  logische  Ver- 
bindung gebracht.  So  kann  der  senil  Demente  wie  der  Schizophrene  sich  mit 
irgend  einem  Frauenzimmer  verloben,  unbekümmert  darum,  daß  er  schon  ver- 
heiratet ist.  Gelingt  es  aber,  ihn  an  das  Hindernis  zu  erinnern,  so  faßt  der  Senile 
die  Situation  auf,  wenn  auch  vielleicht  nicht  in  toto;  für  den  Schizophrenen 
existiert  in  einem  solchen  Moment  die  Schwierigkeit  gar  nicht,  obschon  er  sie 
in  einem  andern  Zusammenhang  viel  richtiger  einschätzen  kann  als  der  Senile. 

Die  Spaltung  zeigt  sich  auch  in  der  Axt  des  Sprechens.  Wenn  der  Paralytiker 
sagt  „Morgen  kommt  meine  Frau  und  holt  mich  ab",  so  ist  er  ganz  dabei  und 
freut  sich;  Widerspruch  kann  nur  von  außen  kommen.  Der  Hebephrene  wird 
in  den  meisten  Fällen  die  gleichen  Worte  in  einem  unangenehm  behauptenden 
Ton  sprechen;  er  kämpft  merkbar  gegen  einen  Widerspruch,  der  nicht  laut  wird. 

Die  „Apathie"  der  Organischen,  die  namenthch  bei  Senilen,  weniger  bei 
Paralytikern,  zu  beobachten  ist,  ist  eme  sekundäre;  die  Kranken  verstehen  die 
Umgebung  nicht  mehr  genügend,  mn  Anteil  an  ihr  zu  nehmen;  sie  verstehen 
auch  die  eigene  Situation  nicht  so,  daß  sie  Affektwert  für  sie  haben  kann.  Bringt 
man  aber  den  Kranken  die  nötigen  VorsteUungen  bei,  so  sieht  man  zum  Unter- 
schied von  den  Schizophrenen  auch  entsprechende  Affekte  erschemen. 

Überhaupt  sind  die  Organischen  gemüthche  Leute,  mit  denen  man  einen 
kontinuierlichen  Rapport  hat,  sei  er  feindhch  oder  freundhch.  So  zeigen  sie  auch 


1)  Die  Ausnahmen  sind  sekundär  bedingt  (siehe  S.  47). 


DifFerentiakliagnose.  Hirnherde. 


255 


eine  übertriebene  Beeinflußbarkeit  gegenüber  jedem,  der  sie  zu  nehmen  weiß, 
im  großen  Gegensatz  zu  den  Schizophrenen. 

Auch  die  Halluzinationen  können  zur  Differentialdiagnose  benutzt 
werden;  massenhafte  Halluzinationen  sprechen  mit  Wahrscheiiüichkeit  gegen 
Paralyse  und,  wenn  sie  sich  nicht  hauptsächlich  auf  die  Nacht  beschränken, 
auch  gegen  Dementia  senihs. 

Neben  diesen  Zeichen  einer  organischen  Krankheit  überhaupt  hat  speziell 
die  Paralyse  noch  eine  Anzahl  nur  ihr  zukommende  körperhche  Symptome^). 
Die  Differenzierung  der  psychischen  Pupillarreaktionen  faßt  Hu  ebner  in  folgende 
Worte:  „Fehlen  Pupillenunruhe  imd  sensible  Reaktion  bei  erhaltenem  oder  gar 
schießendem  Lichtreflex  imd  prompter  Konvergenzverengerung,  so  spricht  das 
für  Dementia  praecox.  Fehlt  nur  die  Pupillenunruhe  bei  noch  vorhandenem 
Lichtreflex  und  erhaltener  sensibler  Reaktion,  so  erweckt  das  den  Verdacht 
einer  organischen  Gehirnerkrankung"  (314,  S.  1044).  Die  häufigen  Pupillen- 
differenzen bei  Schizophrenie  sind  zum  Unterschied  von  der  Paralyse  nicht  mit 
Starre,  höchstens  mit  etwas  abgeschwächtem  Lichtreflex  verbimden  und  wechseln 
meist  rasch,  oft  im  Laufe  eines  Tages  mehrmals,  so  daß  bald  die  eine,  bald  die 
andere  weiter  ist.  Dauernde  Differenzen  sind  wohl  meist  Komplikationen. 

Von  größter  Wichtigkeit  ist  der  Nachweis  von  Leukozytose  oder 
Wassermannscher  Reaktion  der  Zerebrospinalflüssigkeit,  die  auf  eine 
organische  Erkrankung  des  Zentralnervensystems  hinweisen. 

Mischfälle  von  Schizophrenie  und  Paralyse  gelten  (wohl  nicht  ganz  mit 
Recht)  als  so  selten,  daß  man  kaum  mit  ihnen  rechnet.  Um  so  häufiger  sind  Kom- 
binationen von  Dementia  senilis  mit  der  Schizophrenie.  Namenthch  können 
Spätkatatonien  solche  Mischfälle  sein. 

Zu  den  organischen  Psychosen  gehört  auch  der  K  o  r  s  a  k  o  w.  Diese  Krankheit 
wird  auf  der  Höhe  niemals  mit  Schizophrenie  verwechselt  werden  kömien. 
Später  können  schizophrene  Symptome  auftreten,  wir  wissen  aber  —  wie  früher 
ausgeführt  —  noch  nicht,  ob  sie  der  stillstehenden  neuritischen  Veränderung 
im  Gehirn  oder  einer  gleichzeitig  bestehenden  Schizophrenie  angehören.  Die 
Differentialdiagnose  kann  sich  deshalb  noch  nicht  mit  der  Sache  beschäftigen. 

*       ...  * 

Noch  ganz  im  argen  hegt  die  Abtrennung  der  Schizophrenie  von  gewissen 
psychotischen  Zuständen,  die  grobe  Hirnherde  (Traumen,  Tu- 
moren usw.)  begleiten  und  ähnliche  Symptome  machen.  In  aUen  den  Fällen 
die  ich  genauer  beobachtete,  konnte  man  entweder  die  Diagnose  aus  anderen 
organischen  Symptomen  machen,  oder  es  fiel  wenigstens  auf,  daß  keines  der 
als  schizophren  zu  deutenden  Symptome  so  recht  klar  war.  In  einem  FaUe  von 
Himtuberkulose,  wo  wir  uns  nach  langem  Zögern  aus  Mangel  an  einer  andern 
Diagnose  fälschlich  für  Schizophrenie  entschlossen,  fiel  u.  a.  die  starke  Benommen- 
heit mit  sehr  verlangsamten  Reaktionen  auf.  Leider  sind  die  FäUe  zu  selten  als 
daß  wir  Bestimmteres  sagen  könnten.  Daran  zu  denken  ist,  daß  die  Schizophrenie 
durch  einen  Hmiherd  kompliziert  sein  kann. 


')  Die  ungeschickte  Schrift  benommoner  8cliizophrcnen  mit  ihren  -Rnnh^t«!.,.,, 
aus,™„ge„™dVerdiohtu„gc„i,to,tansich  nicht  vo„dor'dorPa"„lyUU:^r„^^^^^^^^^^ 


256 


Schizophrenie. 


c)  Die  Unterscheidung  von  den  Idiotien  ist  in  den  meisten  Fällen  eine  sehr 
leichte.  Es  gibt  zwar  Leute,  die  anderer  Meinung  sind,  der  am  drastischsten 
Mas  ein  (454)  Ausdruck  gibt,  in  dem  er  die  Katatonie  als  eine  Spätidiotie  auffaßt 
und  behauptet,  ohne  Anamnese  wäre  es  oft  nicht  möglich,  einen  Hebephreniker 
im  Endstadium  von  einem  Idioten  zu  unterscheiden.  Die  ganze  Ähnlichkeit  der 
Krankheiten  besteht  indes  nur  darin,  daß  sich  das  Denken  in  beiden  Fällen  als 
insnffizient  erweist. 

Wirkliche  Schwierigkeiten  entstehen  dann,  wenn  die  Schizophrenie  wenig 
ausgesprochen  oder,  wie  so  oft,  mit  der  Imbezillität  kombiniert  ist. 

Bei  den  Idioten  sind  diejenigen  Assoziationen  nicht  gebildet,  die  eine  kom- 
pliziertere Überlegung  verlangen  oder  ungewöhnlich  sind.  Ein  Imbeziller,  der 
nicht  addieren  kann,  wird  noch  weniger  subtrahieren  oder  gar  dividieren,  einer, 
der  den  Begriff  der  Eltern  nicht  aus  den  beiden  Komponenten  Vater  und  Mutter 
bilden  kann,  ist  sicher  auch  unfähig,  sich  unter  „Vaterland"  etwas  Klares  vor- 
zustellen. Der  Schizophrene  hingegen  kann  bei  einfachen  Denkaufgaben  eben- 
sogut scheitern  wie  bei  komplizierten.  Die  Sperrung  unterbricht  die  Bahnen  nach 
ganz  anderen  Gesetzen .  So  kann  er,  wenn  er  sich  nur  überhaupt  in  Wort  oder  Tat 
äußert,  immer  noch  zeigen,  daß  er  vieles  verstehen  gelernt  hat,  was  dem  Idioten 
unzugänglich  war.  Auch  seine  Bewegungen,  seine  Sprache  usw.,  haben  gar  nichts 
mit  der  Idiotie  gemein. 

Das  Gefühlsleben  der  Idioten  und  Imbezillen  (auch  letztere  führe  ich 
in  diesem  Zusammenhange  an,  im  bewußten  Gegensatz  zu  den  unrichtigen 
Aufstellungen  Solliers)  hat  keine  Ähnlichkeit  mit  dem  der  Schizophrenen. 
Es  schwankt  allerdings  in  großen  Grenzen,  aber  es  ist  ein  ungehemmtes.  Der  Axzt 
hat  zu  den  Idioten  seiner  Anstalt  das  Verhältnis  eines  Vaters  zu  seinen  Kindern; 
die  meisten  Schizophrenen  aber  bleiben  ihm  so  fremd  wie  Vögel,  die  er  füttert. 

Die  Aufregungen  der  Idioten  sind  entweder  durch  die  ihnen  nicht 
verständlichen  Umstände  angeregte  Wutanfälle  oder  hysteriforme  Erregungen, 
oder  dann  der  Epilepsie  ähnliche  Dämmerzustände  mit  Kopfweh,  vasomotorischen 
Symptomen  usw.,  alles  Dinge,  die  mit  Schizophrenie  nichts  zu  tun  haben. 

Gelegenheit  zu  Verwechslungen  gibt  etwa  der  Emotionsstupor,  der  bei 
Imbezillen  sehr  leicht  auftritt,  wenn  sie  in  eine  ungewohnte  Lage  kommen; 
so  bei  einem  Interrogatorium,  bei  der  Versetzung  in  das  komplizierte  Miheu 
einer  Irrenanstalt  usw.  Manchmal  erscheint  der  Stupor  nur  bei  einzelnen  Fragen, 
die  die  Fassungskraft  des  Kranken  übersteigen;  dann  kann  er  den  Eindruck 
einer  plötzlichen  Sperrung  machen.  Ferner  kommt  bei  vielen  Imbezillen  ein 
In-den-Tag-hineinantworten  vor  gerade  wie  bei  kleinen  Kindern;  man  wird  bei 
einiger  Geduld  leicht  merken,  daß  es  sich  um  Raten  handelt  und  nicht  um 
Negativismus,  um  eine  mangehide  Unterscheidung  von  Wissen  mid  Vermuten 
und  nicht  um  ein  mangehides  Interesse  an  der  TJntersuchimg. 

Die  Stereotypien  der  Imbezillen  entsprechen  zum  Teil  dem  Beine- 
schlenkern, sich  wiegen,  an  emem  Haar  drehen  und  ähnhchen  Ausdiäicken 
eines  Betätigungsreizes  bei  Gesunden  und  haben  dann  fast  ausnahmslos  emen 
ganz  elementaren  Charakter.  Andere  sind  mehr  den  Ticks  an  die  Seite  zu  stellen; 
wenn  dabei  auch  das,  worauf  es  ankommt,  mit  Worten  schwer  zu  beschreiben 
ist,  so  sieht  man  doch  leicht,  daß  die  Bewegungen  nicht  von  der  Psyche  ab- 
gespalten sind:  der  ganze  Kranke  „macht"  diese  Bewegungen;  zu  bestimmten 


Differentialdiaguose.  Idiotien.  Paranoia.  Epilepsie. 


257 


Arten  derselben  gehören  bestimmte  Posen,  bestimmte  Stimmungen  mit  ihren 
Ausdnicksformen.  Wiederholungen  des  gleichen  Ausrufes,  der  gleichen  Wovte 
sind  etwas  anderes  als  die  schizophrene  Verbigeration ;  sie  sind  meist  der  Ausdruck 
der  Ideen-  und  Wortarmut,  die  nur  immer  das  gleiche  äußern  kann  (vgl.  auch 
Wey<^andt  816).  Bei  manchen  Imbezillen  erscheinen  Zeichen  von  Mamnertheit 
sowohl  im  Benehmen  als  in  den  Ausdiücken;  sie  nehmen  bestimmte  Posen  an, 
brauchen  ungewöhnliche  Wörter,  reden  hochdeutsch  u.  dgl.  Das  kommt  davon 
her,  daß  sie  oft  auch  den  „Intelhgenzkomplex"  haben,  mehr  Schemen  woUen  als 
sie  sind;  das  Symptom  ist  deswegen  identisch  mit  gewissen  Formen  von  Mani- 
riertheit  bei  der  Schizophrenie. 


Bei  der  moralischen  Idiotie  fehlen  von  den  Gefühlen  nur  die  ethischen, 
diese  aber  konstant;  das  Gleichbleiben  des  Charakters  seit  der  frühesten  Jugend 
beweist  die  angeborene  Störmig;  eigentlich  schizophrene  Zeichen  sind  natürlich 
hier  nicht  anzutreffen. 


d)  Die  Differentialdiagnose  gegen  die  Kraepelinsche  Paranoia  ergibt 
sich  aus  der  Beschreibmig  derselben.  Alle  spezifisch  schizophrenen  und  die  kata- 
tonen  Symptome  fehlen  ihr;  die  Wahnideen  gehen  von  falschen  Prämissen- 
aus,  sind  im  wesentHchen  unkorrigierbar,  d.  h.  von  logischen  Assoziationen, 
die  ihnen  entgegenstehen,  abgesperrt,  sonst  aber  logisch  konsequent  ausgebaut. 
So  kann  der  Paranoiker  über  sein  Wahnsystem  diskutieren,  während  der  Paranoide 
nur  zu  oft  nicht  einmal  imstande  ist,  Einwände  aufzufassen,  geschweige  sie  abzu- 
wägen. Den  Wahn  innerlicher  Beeinflussung  durch  fremde  Gewalten  habe  ich 
bei  Paranoia  nie  getroffen.  Einige  Halluzinationen  sagen  natürhch  nichts  gegen 
Paranoia,  kommen  sie  doch  bei  Gesunden  vor.  Wenn  aber  Sinnestäuschungen 
nicht  nur  bei  seltenen  und  rasch  vorübergehenden  Erregungen  das  Bild  be- 
herrschen, dann  wird  man  immer  auch  andere  Zeichen  von  Schizophrenie  finden. 
Daß  die  Paranoiker  den  Zusammenhang  mit  den  Sitten  der  Umgebung  nicht 
verlieren,  kurz  eine  äußere  Haltung  bewahren  im  gleichen  Siime  wie  Gesunde, 
die  stark  affektiven  Erlebnissen  ausgesetzt  sind,  ist  bekannt. 

Eine  Differentialdiagnose  gegen  andere  Psychosen,  die  noch  als  Paranoia 
bezeichnet  werden,  gibt  es  nicht,  da  alle  bekannten  paranoiden  Formen  zu 
unserem  Begriff  der  Schizophrenie  gehören. 


e)  Wichtiger  ist  die  Unterscheidung  von  der  Epilepsie.  Fuhrmann 
(248,  S.  836/837)  findet  Ähnlichkeit  akuter  juveniler  Verblödungszustände 
mit  Epilepsie  und  Dehrium  tremens.  Sie  ist  aber  eine  sehr  äußerliche. 

Zunächst  das  epileptische  Delir.  Die  Halluzinationen,  die  Desorien- 
tiertheit und  das  rüclcsichtslose  Verhalten  gegenüber  der  Umgebung  hat  es  mit 
vielen  schizophrenen  Zuständen  gemein.  Einen  andern  Charakter  verleiht  ihm 
aber  vor  allem  die  Verschiedenheit  der  Affektivität.  Bei  der  Epilepsie  eine  Idare, 

Hnndbuoli  der  Psychiatrie  ;  Bleuler.  -^r^ 


258 


Schizophrenie. 


meist  ganz  elementare  Stimmimg,  die  sich  in  jedem  einzelnen  Wort,  im  Ton 
jedes  Satzes,  in  jeder  einzelnen  Handlung  ganz  gleichmäßig  äußert;'  bei  der 
Schizophrenie  unklare  oder  doch  inkonsequente  Affektäußerungen,  die  auch  bei 
wirklicher  Angst  oder  Ekstase  immer  etwas  Steifes  oder  Gemachtes  haben 

Auf  intellektuellem  Gebiet  die  langsame  Auffassung,  die  Schwierigkeit 
des  Verständnisses  bei  der  Epilepsie  —  die  Sperrungen  im  Verständnis,  die 
jeden  Augenblick  von  ganz  raschen  Reaktionen  auf  komplizierte  Wahrnehmungen 
abgelöst  werden  können,  bei  der  Schizophrenie.  Meist  läßt  sich  auch  der  für  die 
eine  oder  andere  Krankheit  charakteristische  Gedankengang  nachweisen,  wobei 
hier  erwähnt  werden  mag,  daß  der  Gedankengang  der  Epileptiker  doch  fort- 
schreitet, trotz  der  Schwierigkeiten,  sich  von  einmal  erfaßten  Gedanken  loszu- 
machen, und  trotz  der  Neigung  zu  Wiederholungen.  Femer  handelt  der  Epilep- 
tiker im  Sinne  einer  deliriösen  Vorstellungi),  während  das  Benehmen  des  däm- 
mernden Schizophrenen  häufig  zwecldos,  fast  immer  inkonsequent  erscheint. 

Schwierig  wird  die  Unterscheidimg  nur  dann,  wenn  die  Kranken  sich  nicht 
untersuchen  lassen;  so  bei  postepileptischer  Reizbarkeit,  in  der  die 
Patienten  untätig  daHegen,  sich  von  der  Umgebung  abschheßen,  auf  Anreden 
mit  Schimpfen  oder  mit  Gewalttätigkeiten  antworten.  Ein  solches  Bild  ist 
manchmal  von  dem  schizophrenen  Negativismus  nicht  gleich  zu  unterscheiden. 
Auch  die  Anfälle  von  Elexibilitas  cerea  als  solche  sind  beiden  Krankheiten 
gemein.  Doch  ist  es  wichtig  zu  wissen,  daß  sie  bei  Epilepsie  meist  nm-  kurze 
Zeit,  Viertelstunden  bis  höchstens  Tage 2),  dauern,  bei  der  Schizophrenie  meist 
Wochen  und  Monate. 

Der  epileptische  BIcdsi  nn  kann  zuweilen  äußerhch  durch  die  epileptische 
Reizbarkeit,  die  übertrieben  scheinenden  Gefühlsäußerungen  und  die  spontanen 
Verstimmungen  an  Schizophrenie  erinnern;  besonders  wenn  noch  Halluzina- 
tionen hinzukommen. 

Auch  die  Epileptiker  ziehen  sich  oft  mehr  und  mehr  auf  sich  selbst  zurück. 
Das  Egozentrische  ihrer  Denkweise  unterscheidet  sich  aber  doch  beträchthch 
vom  Autismus  der  Schizophrenen.  Zur  Verfälschung  der  Wirklichkeit  kommt 
es  beim  Epileptiker  selten  und  nur  unter  ganz  bestimmten  Umständen,  für 
einen  bestimmten  Fall,  wie  bei  anderen  Leuten  auch,  die  sich  von  ihren  Affekten 
hinreißen  lassen.  (Hier  ist  nicht  von  den  Dämmerzuständen  die  Rede.)  Der 
zurückgezogene  Epileptische  beachtet  die  Wirklichkeit  wenig,  er  kommt  aber 
nicht  mit  ihr  in  logischen  Konfhkt.  —  Der  epileptische  Eigensinn  ist  natürlich 
noch  kein  Aiitismus. 

Die  Assoziationen  der  Epilepsie  mit  ihren  Wer tm'teüen,  ihrer  Ego- 
zentrizität, ihrer  Perseveration,  die  sich  in  Wiederholungen  und  im  Kleben- 
bleiben an  einem  Thema  und  darausfolgendem  Detailausmalen  (Umständlichkeit) 
ausspricht,  diese  Assoziationen  haben  mit  dem  schizophrenen  Gedankengang 
auch  nicht  das  Geringste  gemein.  Das  Zögemde  im  Ideenablauf  läßt  sich  leicht 
von  Sperrungen  unterscheiden.  Die  Unschärfe  der  Auffassimg  und  die  Ver- 
schwommenheit der  schwierigeren  Begi-iffe  und  die  Störimg  des  Gedächtnisses 
in  den  fortgeschrittenen  Fällen  sind  weitere  Unterschiede  von  der  Schizophrenie. 

Bei  starker  Benommenheit,  z.  B.  während  und  unmittelbar  nach  Anfällen  kann 
die  motorische  Koordination  so  stark  gestört  sein,  daß  die  Absicht  schwer  festzustellen  ist. 
2)  Ich  wenigstens  habe  nie  epileptische  Flexibilitas  von  längerer  Dauer  gesehen. 


Differentialdiagnose.  Epilepsie.  Alkoholpsychosen. 


259 


Ebenso  verscliieden  ist  die  Affektivität  der  beiden  Krankheiten.  Statt 
der  schizophrenen  Einklemmimg  der  Affekte  sehen  wir  bei  der  Epilepsie  leicht 
en-egbare  imd  auffallend  nachhaltige  und  tiefgehende  Gefühle.  Gleichgültigkeit 
finden  wir  nur,  so  weit  die  Kranken  die  Situationen  nicht  verstehen,  niemals 
aber  gegenüber  ihren  persönlichen  Interessen,  die  im  Gegenteil  meist  viel  stärker 
gefühlsbetont  sind  als  normal.  Es  ist  auch  an  die  übertriebene  Objekthebe  der 
Epileptiker  zu  erinnern,  während  bei  den  Schizophrenen  eine  oft  bis  ins  Extreme 
gehende  Gleichgültigkeit  gegenüber  ihrem  kleinen  und  großen  Eigentum  die 
Regel  ist. 

Aschaffenburg  meint,  man  könne  annehmen,  daß  die  gleichen 
Stimmungsschwankungen  wie  bei  Epilepsie  auch  bei  Dementia  praecox 
vorkommen  können,  da  ja  die  epileptischen  Anfälle  auch  bei  der  letzteren  Krank- 
heit zu  beobachten  seien.  Der  Schluß  ist  aber  nicht  zwingend,  da  die  epilepti- 
formen  Anfälle,  einem  vorgebildeten  Mechanismus  entsprechend,  unter  den  ver- 
schiedensten pathologischen  Umständen  auftreten  können.  Dennoch  sind  Ver- 
stimmungen von  innen  heraus  auch  bei  Schizophrenie  —  mit  oder  ohne  epilepti- 
sche Anfälle  —  sehr  häufig,  und  es  gibt  auch  Zustände,  die  sich  durch  Mischung 
von  Symptomen  beider  Kj:ankheiten  charakterisieren. 

Epileptiker  können  auch  außerhalb  der  Dämmerzustände  zuweilen  halluzinie- 
ren, namentlich  mit  dem  Gesicht.  Gelegentlich  gibt  dieser  Umstand  Anlaß  zu  Ver- 
wechslung mit  Schizophrenie.  —  Auch  kommen  bei  Epilepsie  automatische  Be- 
wegungen vor  mid  sogar  die  Empfindung,  daß  dem  Kranken  die  Gedanken  von 
außen  gemacht  werden. 

Jene  Nebensilben  hinausziehende  („singende")  und  häsitierende  Sprache, 
welche  —  wenn  vorhanden  —  so  charakteristisch  für  Epilepsie  ist,  habe  ich  noch 
nie  durch  die  Maniriertheit  der  Schizophrenen  imitiert  gesehen;  ebenso  fehlt 
den  letzteren  die  pathologische  Umständlichkeit. 


/)  Der  chronische  Alkoholismus  wird  in  praxi  noch  sehr  oft  mit 
Schizophrenie  verwechselt,  insofern  als  bei  einem  schizophrenen  Säufer  nm-  das 
Trinken  und  nicht  die  Grundkrankheit  Beachtung  findet.  Wir  sehen  aber  bei 
bloßem  Alkohohsmus  oberflächhche,  leicht  entzündhche  Gefühle,  Euphorie, 
Trieb,  aus  sich  heraus  zu  gehen,  Schwatzhaftigkeit,  Unschärfe  der  Wiedergabe 
von  Erlebtem  oder  Gelesenem,  mit  dem  Bedürfnis  nach  Einschiebung  von  kau- 
salen Zutaten  beim  Erzählen,  aUes  Symptome,  die  der  Schizophrenie  fi-emd  sind 

Ist  em  Alkoholismus  auf  der  Basis  der  Schizophrenie  entstanden  so 
mischen  sich  die  Symptome  beider  Krankheiten.  In  der  Anstalt  treten  aber  die 
des  Alkohohsmus  allmähhch  zurück.  Der  verschlossene  AlkohoHker  mit  dem 
sich  gar  mcht  diskutieren  läßt,  der  auf  der  Abteilmig  herumsitzt,  ohne  uns  bei 
jeder  Gelegenheit  auseinanderzusetzen,  wie  geheilt  er  nun  sei,  und  wie  nötig  es 
sei,  daß  er  wieder  frei  werde,  ist  ein  Hebephrene,  wenn  nicht  ganz  besondere 
logisch  begreifbare  Gründe  ihn  zu  diesem  Verhalten  veranlassen. 

Die  Unterscheidung  von  Delirium  tremens  und  schizophrenem  Auf- 
regmigszustand  ist  so  emfach,  daß  es  schwer  wird  zu  begreifen,  wie  man  den 
Anstalten  so  viele  Schizophrene  unter  der  Diagnose  Delirium  tremens  zuweisen 

17* 


260 


Schizophrenie. 


kann.  Der  von  Bonhoeffer  so  gut  beschriebene  Bewußtseinszustand  der 
Deliranten,  die  bekannte  Art  ihrer  Halluzinationen  mit  vorwiegender  Beteiügung 
des  Gesichtes  imd  Getastes,  der  ängsthch  euphorische  Gemütszustand,  die  Be- 
schäftigungsdelirien, die  Agilität  und  Unsicherheit  in  den  Bewegungen  (gegen- 
über der  massigen  BewegHchkeit  der  motorisch  erregten  Schizophrenen)  sind 
lauter  Zeichen  des  Deliriums.  Tremor  kommt  auch  bei  Schizophrenie  vor;  ist 
er  aber  hochgradig,  so  spricht  er  für  DeHrium  tremens.  Genaue  nachträgUche 
Erinnerung  kommt  beim  ausgesprochenen  Dehrium  tremens  wohl  nicht  vor. 

Waren  bei  einem  wirkhchen  Dehrium  tremens  die  Gehörs täuschungen  im 
Vordergrund,  so  handelte  es  sich  in  unseren  Fällen  um  Mischung  mit  Schizophrenie 
(in  einem  einzigen  konnten  wir  das  nicht  mit  voller  Sicherheit  nachweisen), 
ebenso  bei  Auftreten  von  ausgesprochenen  Körperhalluzinationen  oder  von 
Stereotypien. 

Der  Alkoholwahnsinn  der  Autoren  entsteht,  wie  früher  auseinander- 
gesetzt, meist  oder  vielleicht  immer  auf  der  Basis  einer  Schizophrenie.  Er  ist 
deshalb  gern  mit  den  Zeichen  der  letzteren  Krankheit  gemischt.  Findet  man  diese 
bei  genauem  Zusehen  nicht  ausgesprochen,  so  kann  man  eine  verhältnismäßig 
gute  Prognose  stellen  und  von  einem  bloßen  Alkoholwahnsinn  reden.  Finden 
sich  umgekehrt  bei  einer  deutlichen  Schizophrenie  die  für  den  Alkoholwahnsinn 
charakteristischen  zusammenhängenden  Gehörshalluzinationen  bei  klarer  Orien- 
tierung, so  muß  man  auf  begleitenden  Alkoholmißbrauch  schheßen. 

Die  Grenzen  der  chronischen  Alkoholparanoia  kann  ich  nicht  be- 
stimmen, weil  ich  diese  Krankheit  noch  nicht  gesehen  habe,  imd  weil  die  Autoren, 
die  sie  gesehen  haben  wollen,  keine  genügende  Kücksicht  auf  die  Dementia 
praecox  nehmen  oder  doch  keine  Symptome  beschreiben,  die  nicht  auch  bei  der 
Schizophrenie  vorkommen  können. 


g)  Am  schwierigsten  ist  die  Unterscheidung  der  Schizophrenie  von  den 
Formen,  die  man  am  verständHchsten  mit  dem  Namen  der  akuten  Verwirrt- 
heit bezeichnet.  Eine  diagnostisch  brauchbare  Beschreibung  derselben  existiert 
eben  noch  nicht^). 

Bei  diesen  Formen,  mit  denen  ich  hier  die  „Fieber  psychosen"  zusammen- 
rechnen kann,  weiß  ich  gar  kein  Symptom  zu  nennen,  das  nicht  auch  bei  der 
Schizophrenie  vorkommen  könnte;  im  Vordergrunde  steht  die  Verwirrtheit, 
manchmal  auch  neben  ihr  die  HaUuzinose.  Beides  sind  sehr  vieldeutige  8yra- 
ptome;  und  etwas  Charakteristisches  an  der  Verwirrtheit  und  an  den  Halluzma- 
tionen 'dieser  Psychosen  hat  noch  niemand  beschrieben.  So  bleibt  nichts  anderes 
übrig  als  die  Diagnose  der  Schizophrenie  in  denjenigen  Fällen  von  Verwirrtheit 
zu  machen,  die  schizophrene  Symptome  zeigen;  wo  aber  trotz  guter  Unter- 
suchung schizophrene  Symptome  sich  nicht  finden  lassen  muß 
man  eine  dieser  anderen  Verwirrtheiten  annehmen.  Ich  kann  noch  hin- 

1)  Weder  die  KraepelinscheAmentia  noch  dieRäckescheiiErschöpfuugspsychosen 
(587)  kenne  ich  aus  eigener  Erfahrung.  Räcke  spricht  von  „primärer  Inkohärenz  ,  ohne 
sie  zu  charakterisieren. 


Diffeientialdiagnose.  Amentiafomen.  Fieberpsychoseu. 


261 


zufügen,  daß  ausgesprochene  katatone  Symptome,  mit  Ausnahme  der  Flexibilitas 
cerea  und  der  Befehlsautomatie  überhaupt,  gegen  eine  solche  Verwirrtheit  wie 
gegen  die  Amentia  Kraepelins  sprechen.  Starker  Negativismus,  Haltungs- 
stereotypiei),  triebartige  Verbigeration  weisen  bei  einem  solchen  Zustand  immer 
auf  Schizophrenie  hin,  auch  wenn  es  momentan  nicht  mögüch  sein  sollte,  die 
schizophrene  Assoziations-  oder  Affektstörung  zu  finden. 

Ich  kann  hinzufügen,  daß  wir  mit  dieser  Art  Diagnostik  seit  Jahren  gut 
gefahren  sind,  indem  wir  keinen  Fall  umdiagnostizieren  mußten,  bei  dem  die  Unter- 
suchung ims  berechtigte,  eine  Diagnose  zu  machen.  Und  doch  kann  man  sich  mit 
einer  solchen  negativen  Unterscheidung  nicht  beruhigen.  Findet  man  in  einem 
Fall  heute  kein  sicher  schizophrenes  Zeichen,  so  könnte  es  ja  morgen  zu  sehen  sein. 

Stransky  (753,  S.  815/816)  meint,  daß  sich  die  Verblödung  nach  Amentia  von 
der  schizophrenen  durch  den  natürlichen  Affektausdruck  unterscheide.  Da  die  schizo- 
phrene Alteration  der  Mimik  in  leichten  Fällen  nicht  jederzeit  erkennbar  ist,  kann 
man  mit  dem  Zeichen  allein  keine  Differenzialdiagnose  stützen. 

Sehr  wenig  hilft  die  Beobachtung  der  Ätiologie.  Es  gibt  viele  solche 
Verwirrtheiten  ohne  Schwächezustand  und  ohne  Fieber;  in  zwei  Fällen  konnten 
wir  die  chronische  Nierenerkrankmig,  auf  die  wir  fahndeten,  erst  post  mortem 
nachweisen.  Auf  der  andern  Seite  wird  die  Schizophrenie  so  oft  bei  Anlaß  von 
fieberhaften  Krankheiten  manifest,  daß  das  Kriterium  vollständig  unbrauchbar 
ist.  Viel  sicherer  kann  die  Anamnese  leiten,  aber  leider  nur  in  der  Eichtimg 
nach  der  Schizophrenie  hin,  die  schon  in  der  Symptomatologie  ihre  guten  Weg- 
weiser hat. 


* 


h)  Auch  die  Difi'erentialdiagnose  gegen  Hysterie  und  Neurasthenie 
ist  nm-  eine  einseitige.  Kein  hysterisches  oder  neurasthenisches  Symptom  ist  der 
Schizophrenie  fremd.  Schizophrenie  nehmen  wir  dann  an,  wenn  spezifi- 
sche Symptome  dieser  Krankheit  nachgewiesen  sind;  Hysterie  und 
Neurasthenie  dann,  wenn  genaue  Untersuchung  hysterische  respek- 
tive neurasthenische,  aber  keine  schizophrenen  Symptome  zutage 
fördert.  Nachweis  hysterischer  Symptome  schließt  die  Schizo- 
phrenie so  wenig  wie  irgend  eine  andere  Krankheit  aus. 

Wenn  Verblödung,  Gehörshalluzinationen  bei  klarem  Bewußtsein  ausge- 
sprochene Wahnideen  oder  andere  Zeichen  einer  eigentlichen  Psychose  nach- 
zuweisen sind,  ist  natürhch  die  Diagnose  leicht.  In  weniger  ausgesprochenen 
fallen  aber  machen  Hysterie  und  Neurasthenie  die  meisten  diagnostischen 
Schwierigkeiten,  weil  sich  hinter  nervösen  Symptomen  eine  leichte  Schizophrenie 
lange  Zeit  oder  dauernd  verstecken  kann.  Wir  müssen  auch  bei  aUer  Vorsicht 
viele  Schizophrene  noch  als  nervös  bezeichnen  und  behandeln,  so  lange  wir  bei 
Ihnen  spezifisch  schizophrene  Symptome  noch  nicht  aufzudecken  vermögen. 

1)  Immerhin  hat  Aschaffenburg  bei  Initialdelirien  des  Typhus  auch  StereotvDien 
gesehen  Er  erwähnt  auch  die  Empfindung  des  ElektrisiertM^erd^ns.  Sere  hTbf  c^ 
emmal  bex  einer  Influenzapsychose  gesehen.  (Neuritis  !)  -  Schuele  (675a)  sprfcl^^TdL"^^ 
^re  '""'J^T.'''''^''  Halluzinationen  auftreten,  ohne  daß  das  iTvertdert 


262 


Schizophrenie. 


Am  meisten  Gewicht  wird  man  zunächst  auf  die  Art  der  Affektivität 
legen.  Die  Indifferenz  der  Schizophrenen  sticht  doch  meist  deutUch  ab  von  dem 
labilen,  reizbaren,  ängstHchen  oder  sich  aufdrängenden  Wesen  der  Nervösen^). 
Namentlich  auffallend  ist  ihre  relative  oder  absolute  Gleichgültigkeit  gegenüber 
der  Krankheit  und  ihren  Symptomen,  gegenüber  ihrer  eigenen  Situation,  der 
Famihe  usw.  Oft  ist  die  Torpidität  das  dem  Beobachter  zuerst  auffallende 
Symptom:  erst  wenn  man  in  die  Kranken  dringt,  etwas  zu  leisten,  kommen 
die  Klagen  und  Ausreden.  Doch  können  auch  Hysterische  indifferent  erscheinen; 
so  gegenüber  Lähmungen  und  anderen  Beschwerden,  die  sie  mit  großem  Heroismus 
ertragen  —  aber  nichts  desto  weniger  stark  zur  Schau  stellen.  Erlebnisse,  die 
ihre  Komplexe  aufrühren  sollten,  können  Hysterische  eine  Zeitlang  ganz  kalt 
lassen,  dann  aber  folgt  der  Ruhe  meist  der  Sturm  in  Form  einer  Erregung  oder 
eines  Anfalles.  Auch  inadäquate  Reaktionen  können  gelegenthch  vorkommen, 
indem  Hysterische  eine  für  sie  peinliche  Assoziation  mit  einem  Lachkrampf 
oder  mit  Singen  verdecken.  Besonderes  Gewicht  ist  zu  legen  auf  den  Mangel  an 
Einheitlichkeit  der  Affektäußerungen,  der  bei  Nervösen  kaum  vorkommt. 

Der  affektive  Autismus  der  Schizophrenie  gibt  sich  auch  darin  zu  erkennen, 
daß  die  Kranken  kein  Bedürfnis  haben,  sich  auszusprechen.  Wer  dem  Arzt 
nichts  zu  sagen  hat,  ist  kein  bloßer  Nervöser. 

Der  mangelnde  Gefühlsrapport  zeigt  ?ich  überhaupt  oft  am  besten  im 
Verhältnis  zum  Arzt.  Wenn  man  mit  einer  Nervösen  eine  Stmide  lang  über  ihre 
Krankheit  spricht,  so  muß  sich  ein  persönliches  Verhältnis  zu  ihr  ergeben,  sei  es 
feindlich  oder  freundlich.  Auch  gegenüber  gleichgeschlechtigen  Patienten  wird 
man  diesen  Rapport  niemals  vermissen.  Schizophrenen  aber  kommt  man  meist 
nicht  näher  (Jung). 

Mit  dem  Gefühlsrapport  fehlt  den  Schizophrenen  auch  die  Suggestibilität, 
die  die  Nervösen  gegenüber  dem  Arzt  haben.  Doch  ist  der  Unterschied  kein 
absoluter.  Die  Schizophrenie  ist  in  sehr  vielen  Beziehungen  durch 
psychische  Einflüsse  modifizierbar.  Sehr  selten,  und  auch  dann  wohl 
nur  vorübergehend,  findet  man  bei  der  Nervosität  den  Mangel  an  Beeinflußbar- 
keit. Ein  unbeeinflußbarer  Dämmerzustand  ist  in  der  Regel  kein  hysterischer. 
Riskiert  man  es,  einem  wild  um  sich  schlagenden  Patienten  das  Gesicht  hinzu- 
halten, und  er  schlägt  konsequent  daneben,  so  wird  es  sich  wohl  in  allen  Fällen 
um  einen  Hysteriker  handehi.  Die  weitgehende  Besserung  eines  anscheinend 
schweren  Zustandes  durch  eine  Psychanalyse  spricht  mit  ziemhcher  Sicherheit 
gegen  Schizophrenie,  die  solchen  Einwirkungen  nur  in  leichteren  Fällen  zu- 
gänglich ist. 

Um  solche  Zeichen  sowie  noch  viele  andere  zur  Differential- 
diagnose  gegen  die  Neurosen  benutzen  zu  können,  ist  es  aber  unum- 
gänglich notwendig,  daß  man  die  ganze  psychische  Konstellation 
genau  erwägt.  Auf  irgend  einem  Umwege  kann  bei  einem  Hysterischen  zu 
einer  bestimmten  Zeit  eine  Affektlosigkeit  oder  eine  Unzugänghchkeit  vorge- 
täuscht werden,  die  in  der  normalen  Wirkung  irgend  eines  Komplexes  begrimdet 
ist.  Jeder  Gesunde  -  und  um  so  mehr  jeder  Neurotiker  -  hat  gelegenthch  eme 

diesem  Namen  bezeichne  ich  hier  aUes,  was  man  hysterisch,  neurasthenisch 
und  nervös  nennt. 


Differentialdiagnose.  Neurosen. 


263 


auffallende  Sperrung,  jeder  kann  einmal  einen  Begriff  unscharf  fassen,  eine 
bizarre  Assoziation  bilden;  zur  Differentialdiagnose  darf  das  Symptom  nur  be- 
nutzt werden,  wenn  es  sich  unter  verschiedenen  Umständen  wiederholt  oder 
wenn  im  bestimmten  Fall  eine  Komplexwirkung  nicht  anzunehmen  ist.  Man 
wird  also  gelegentlich  die  Diagnose  erst  machen  können,  wenn  man 
die  Komplexe  des  Patienten  kennt. 

Die  Sperrungen  der  Hysterie  zeigen  deutlich  ihren  affektiven  Ursprung. 
Sie  treten  in  bestimmten  Ideenverbindungen  auf,  fehlen  in  anderen,  verall- 
gemeinern sich  aber  nicht;  es  besteht  eben  eine  reinliche  Trennung  zwischen 
gesunder  tmd  kranker,  respektive  autistischer  und  realistischer  Psyche. 

Am  besten  sieht  man  auf  dem  intellektuellen  Gebiete,  wie  die  hysteri- 
formen  Svmptome  der  Schizophrenie  auf  dem  Boden  einer  dissoziierten  Psyche 
erwachsen  und  deshalb  karildert  werden.  Nur  bei  imseren  Kranken  fehlt  die 
Einheit  des  Denkens,  können  die  widersprechendsten  Vorstellimgen  neben- 
einander existieren,  ohne  sich  zu  beeinflussen,  ohne  in  ein  Gesamtbild 
verschmolzen  zu  werden.  Wenn,  wie  man  allgemein  annimmt,  der  Kinder- 
komplex auch  bei  Hysterischen  zu  eingebildeter  Schwangerschaft  mit  Aus- 
setzen des  Menses  führen  kann,  so  wird  die  Kranke  doch  niemals  außerhalb  eines 
Dämmerzustandes  ein  eingebildetes  Kind  haben,  ohne  daß  sie  z.  B.  Gravidität 
hinzuillusioniert  hat. 

Auch  die  Inkonsequenz  nach  außen  fehlt  der  bloßen  Nervosität.  Die  Hysteri- 
sche, die  die  Außenwelt  nach  irgend  einem  Wunsche  umbildet,  kann  z.  B.  nicht 
den  Arzt  zugleich  als  den  früheren  Gehebten  imd  den  Anstaltsarzt  ansehen. 
So  ist  im  Verhalten  der  Hysterischen  viel  mehr  Methode  und  weniger  von  den 
allgemeinen  Gesetzen  des  Handebs  Abweichendes.  Die  Hysterische  macht 
schwerere  Dummheiten  höchstens  imter  ganz  bestimmten  Voraussetzungen. 
Sie  wird  sich,  wenn  es  sich  nicht  darum  handelt,  ernsthch  krank  zu  sein,  nicht 
verletzen;  sie  wird  auch  in  anscheinend  wildem  DeHr  den  unbekannten  Arzt 
nicht  schlagen,  sie  wird  den  Geliebten  außer  in  rasender  Eifersucht  nicht  um- 
zubringen suchen,  sie  wird  nicht  leicht  das  Haus  anzünden,  nicht  unreinlich 
werden  u.  dgl.  So  ist  auch  kein  Hysteriker,  wer  während  längerer  Zeit 
jeden  Interesses  ermangelt,  wer  außerhalb  von  Dämmerzuständen  die  Um- 
gebung nicht  berücksichtigt.  Ich  konnte  mich  noch  nicht  überzeugen,  daß  die 
Janetschen  „Psychastheniker",  die  jahrelang  nur  dasitzen,  keine  Hebephrenen 
seien.  Es  ist  aber  falsch,  wenn  man  umgekehrt  schHeßen  wiU,  daß  Kranke,  die 
bei  Beobachtung  sich  anders  verhalten,  als  wenn  sie  sich  unbeobachtet  glauben, 
kerne  Schizophrene  sein  können  (Kaiser,  351,  S.  964). 

Das  uns  bizarr  E  rscheinende  und  doshalb  oft  für  die  Diagnose  Ausschlaggebende 
kann  auch  bedingt  sein  durch  die  ethnischen  Anlagen  und  besonders  geartete  Lebens- 
anschauungen. Hysterien  z.  B.,  die  aus  dem  Osten  kommen,  erscheinen  uns  manch- 
mal so  bizarr,  wie  ausgesprochene  Schizophrenien  Einheimischer. 

Auch  in  den  Dämmerzuständen  zeigt  sich  die  schizophrene  Vermischung 
von  autistischen  Vorstellungen  und  der  Wirklichkeit.  Die  Hysterische  kann  im 
Dämmerzustand  neben  den  Wahnvorstellungen  die  Wirklichkeit  mehr  oder 
weniger  registrieren;  es  geschieht  aber  unbewußt,  während  beim  Schizophrenen 
auch  in  schweren  Bewußtseinstrübungen  beide  Reihen  sich  im  Bemißtcn  und 


264 


Schizophrenie. 


im  Unbewußten  mischen^).  Dafür  wird  die  Delirien  fabel  von  den  Schizophrenen 
viel  karikierter  und  meist  geradezu  unsinnig  dargestellt.  —  Dämmerzustände 
die  monatelang  dauern,  sind  wohl  nie  hysterisch,  noch  weniger  solche,  die  sich 
allmählich  im  Laufe  von  Wochen  oder  Monaten  entwickeln  und  in  ähnlicher  Weise 
abklingen. 

Die  Dissoziation  der  Begriffe  kommt  bei  der  Nervosität  nicht  vor, 
ist  also,  wenn  vorhanden,  ein  sicheres  Zeichen  der  Schizophrenie.  Auch  die 
Symbolik  geht  nur  unter  ganz  bestimmten  Umständen  ohne  Bewußtseins- 
störung bis  zur  eigentlichen  Materialisierung.  Einer  Hysterischen  kann  man 
nicht  im  körperlichen  Sinne  „die  göttliche  Liebe  ausreißen  und  den  Keim  der 
Wiedergeburt  wegnehmen". 

Auch  bei  Hysterischen  und  Neurasthenischen  gibt  es  Vorstellungen  und 
Empfindungen,  die  als  Wahnideen  und  Illusionen  der  Körpersensa- 
tionen  bezeichnet  werden  können.  Sie  sind  aber  nie  in  solchem  Grade  unsinnig, 
wie  so  oft  bei  der  Schizophrenie.  Sie  sind  meist  denkbar  auch  für  den  Normalen, 
oder  dann  kennen  die  Kranken  das  Unrichtige  der  sich  ihnen  aufdrängenden 
Vorstellungen.  Eine  Neurasthenische  kann  die  Empfindung  haben,  wie  wenn  ihr 
Hals  sich  ins  Ungemessene  verlängerte,  und  deshalb  in  einem  Angstzustand  im 
Wald  herumlaufen.  Sie  wird  aber  außerhalb  von  Dämmerzuständen  volle  Einsicht 
in  das  Krankhafte  haben  und  nie  die  Parästhesie  nach  außen  projizieren.  Sie 
kann  die  Empfindung  haben,  daß  an  ihrer  Stirn  zwei  Knöpfe  wachsen;  sie  kann 
aber  nicht  wie  die  Schizophrene  spüren,  wie  die  Knöpfe  in  ein  irgendwo  außer 
ihrem  Körper  befindliches  Netz  fallen.  Ebenso  deuten  die  genauen  Beschreibungen 
von  Tropfen,  Männchen,  Maschinen  im  Ohr  oder  sonst  wo  im  Körper  auf 
Schizophrenie.  Ob  eine  Hysterische  heutzutage  noch  ,,ein  Tier  im  Leibe"  haben 
kann,  weiß  ich  nicht ;  ich  habe  das  noch  nie  gesehen.  —  Ferner  wird  es  bei  Nervösen 
nicht  zu  beobachten  sein,  daß  ihnen  die  im  Kopfe  aufsteigenden  „fremden" 
Gedanken  als  von  einer  andern  Persönlichkeit  gemacht  vorkommen. 

Die  Ambivalenz  kann  auch  hysterisch  sein;  der  schwarze  Mann  ist  ja 
auch  bei  dieser  Krankheit  eine  stehende  Figur.  Aber  wenn  sie  bei  ganz  luzidem 
Bewußtsein  sich  auf  viele  Dinge  erstreckt,  so  kann  doch  Hysterie  ausgeschlossen 
werden. 

Illusionistische  oder  gar  halluzinatorische  Verkennung  der 
Umgebung  kommt  bei  Hysterischen  nur  in  Dämmerzuständen  oder  sonstigen 
Bewußtseinstrübmigen  vor.  Nur  der  Schizophrenie  gehören  nichtssagende 
Akoasmen  an  („Frl.  V.,  stricken  Sie";  „Frl.  V.,  kommen  Sie  in  den  Garten"), 
nur  ihr  die  Kombination  von  Gehörs-  und  Körperhalluzinationen.  Die  Hysterie 
hat  eine  Vorliebe  für  Visionen. 

Die  körperlichen  „Stigmata"  der  Hysterie  sind  bei  der  Schizophrenie 
verhältnismäßig  selten.  Hemianästhesie  habe  ich  nur  einige  wenige  Male  gesehen, 
allerdings  auch  nicht  oft  gesucht.  Viel  häufiger  ist  wohl  Eeflexlosigkeit  des 
Gaumens  bis  zu  voUer  Unempfindhchkeit  von  Schlund,  Kehlkopf  und  Trachea. 
Die  Analgesie  ist,  wenn  vorhanden,  meist  konsequenter  als  bei  der  Hysterie: 

1)  Es  scheint,  daß  Träume,  deren  Deutung  vom  Patienten  ohne  weiteres  gegeben 
werden  kann,  oder  solche,  die  Wünsche  trotz  deren  Verdrängung  direkt  ausdrucken  und 
mit  Selbstverständlichkeit  erzählt  werden,  differentialdiagnostisch  zugunsten  der  Dementia 
praecox  verwertet  werden  können. 


DifFereutialdiagnose.  Degeneratives  Irresein. 


265 


die  Kranken  verletzen  sicli  absichtlich  und  unabsichtlich  viel  häufiger  als  die 
Hysterischen  und  vor  allem  ohne  erkennbaren  Grund.  Einengungen  des  Gesichts- 
feldes lassen  sich  bei  unseren  die  Aufmerksamkeit  wenig  anstrengenden  Patienten 
nicht  wohl  diagnostisch  verwerten.  Typisch  hysteriforme  Lähmungen  kommen 
manchmal  vor;  weit  seltener,  so  viel  ich  weiß,  Kontrakturen. 

Man  hat  auch  die  Art  des  beiden  Krankheiten  gemeinsamen  Vorbeiredens 
zm  Differenzialdiagnose  benutzen  wollen,  und  ich  glaube,  daß  ein  Geübter  in 
den  meisten  Fällen  hysterischen  Vorbeiredens  das  Systematische  spürt,  das  mit 
Konsequenz  gerade  die  richtige  Antwort  vermeidet;  während  der  Hebephrene 
teils  aus  Denkfaulheit  die  erste  beste  Antwort  gibt,  unbekümmert  darum,  ob 
sie  richtig  sei  oder  nicht;  oder  dann  aus  Negativismus  sich  dem  Hysterischen 
nähert,  aber  diesen  Negativismus  außerdem  in  der  ganzen  Art  seines  Benehmens 
erkennen  läßt.  Nur  darf  nicht  vergessen  werden,  daß  der  typische  Gans  er  sehe 
Symptomenkomplex  auch  auf  schizophrener  Basis  vorkommt.  —  Man  hat  auch 
darin  einen  Unterschied  finden  wollen,  daß  nur  bei  der  Schizophrenie  die  Vorbei- 
Antworten  bHtzartig  erfolgen;  es  hat  sich  aber  gezeigt,  daß  das  nicht  der  Fall 
ist.  (Westphal  in  Stransky:  Blödsinnsformen.) 

Von  nem-asthenischen  Symptomen  ist  bei  der  Schizophrenie  die  häufig, 
aber  nicht  immer  angegebene  Ermüdung  meist  mehr  subjektiv  als  objektiv. 
Die  Beobachtung  ergibt  selten  deuthche  Ermüdungserscheinungen.  Die  Kranken 
haben  Mühe,  zu  denken,  und  schreiben  das  der  Ermüdung  zu.  Dann  wird  Er- 
müdung oft  vorgeschützt,  während  in  Wirklichkeit  nur  Interesselosigkeit  besteht. 
Masseion  empfiehlt  deshalb,  die  Kranken  kleine  Arbeiten  machen  zu  lassen. 
Erlahmt  das  Interesse  abnorm  früh,  so  handelt  es  sich  meist  um  Schizophrenie; 
bei  eigentHcher  Ermüdung  aber  ist  Neurasthenie  anzunehmen.  Das  Kopfweh 
imd  die  Eeizbarkeit  gehören  beiden  Krankheiten  an. 

Die  Neurasthenie  geht  meist  mit  Störungen  des  Schlafes  einher,  während 
viele  Schizophrene  sich  außerhalb  der  akuten  und  halluzinatorischen  Zustände 
eines  normalen  Schlafes  erfreuen. 


t)  Unmöglich  ist  eine  scharfe  Unterscheidung  der  Schizophrenie  von  dem 
degenerativen  Irresein  mancher  Autoren.  Unmöglich  zimächst  deswegen, 
weil  der  letztere  Begriff  viele  unserer  Schizophrenien  umfaßt. 

Die  Verschiedenheit  der  Auffassimg  selbst  beruht  aber  auf  einer  zur- 
zeit überhaupt  nicht  lösbaren  Schwierigkeit:  es  gibt  gar  keine  Symptome,  die 
nur  bei  Degenerativen  vorkommen.  Boenheffers  pathologischer  Einfall  z  B  ist 
em  bei  der  Schizophrenie  sehr  häufiges  Vorkommnis ;  ich  will  zwar  gern  amiehmen 
daß  er  auch  außerhalb  der  Schizophrenie  auftrete,  aber  bewiesen  ist  das  noch 
nicht.  Das  gleiche  ist  von  Birnbaums  degenerativen  Wahnideen  zu  sagen 
die  bis  m  ihre  letzte  Nuance  schizophren  sein  könnten^).  Auf  Seite  der  Dementia 
praecox  besteht  die  Schwierigkeit  darin,  daß  ihre  eigentHch  spezifischen  Sym- 
ptome, die  pnmären,  m  den  in  Betracht  kommenden  leichteren  Fällen  selten 
nachzuweisen  sind,  und  daß  die  sekundären  nur  durch  ihre  hohe  Entwicklimg 

SchizopLenir"  """^  ''^^"'^^'^^  ^'^^^'^  Symptome  bei  der 


266 


Schizophrenie. 


auf  die  Dementia  praecox  hindeuten.  Gegenüber  anderen  Psychosen  kommen 
wir  mit  diesen  Unterscheidungsmittehi  sehr  gut  durch,  nicht  aber  gegenüber 
der  Degeneration,  weil  noch  kein  Mensch  weiß,  wie  weit  die  Karikierung  der 
psychischen  Vorgänge  auch  ohne  schizophrene  Veränderung  gehen  kann.  Ja 
wenn,  wie  einzelne  wollen,  die  Schizophrenie  nur  eine  funktionelle  Krankheit 
wäre,  wäre  sie  überhaupt  nur  ein  Syndrom  bei  Degenerativen. 

Jeder  Diagnostiker  kann  also  latent  Schizophrene  so  lange  als  Degenerierte 
auffassen,  als  die  Symptome  nicht  so  ausgesprochen  sind,  wie  sie  nach  seiner 
Erfahrung  nur  bei  Schizophrenen  vorkommen.  Die  Schizophrenie  läßt  sich  aber 
nie  sicher  ausschließen.  Die  Sachlage  ist  also  von  der  bei  den  Neurosen  nur 
graduell  verschieden. 


/•)  Ob  die  bei  Morbus  Basedowii  beschriebenen  Psychosen  der  Schizo- 
phrenie angehören  oder  nicht,  muß  ich  offen  lassen.  Bei  den  meisten  Fällen  der 
Literatur  sowie  bei  zweien  meiner  Beobachtung  fiel  namentüch  das  stärkere 
Hervortreten  affektiver  Symptome  auf;  die  Kranken  waren  andauernd  deutlich 
traurig  oder  gehoben. 


l)  Die  Abgrenzung  der  Schizophrenie  gegen  Simulation  ist  insofern  nicht 
ganz  leicht,  als  es  zwischen  bewußten  und  unbewußten  Symptomen  hier  wie  bei 
der  Hysterie  keine  Grenze  gibt.  Der  Negativismus,  die  Gleichgültigkeit  veran- 
lassen die  Kranken  zu  falschen  Antworten,  die  gewollt  oder  ungewollt  oder  beides 
sein  können.  Ein  Kjranker  kann  simulieren  wollen  xmd  doch  schizophren  sein. 
Wir  hatten  hier  einen  Paranoiden,  der  glaubte,  alles  was  wir  und  seine  Verwandten 
täten,  sei  nur,  um  ihm  ein  Mätzchen  vorzumachen.  Um,  nun  in  eine  wirkliche 
Irrenanstalt  zu  kommen  und  dort  als  gesimd  erkannt  zu  werden,  simulierte  er 
andauernd  Geisteskranldieit.  Da  wo  keine  Geisteskrankheit  vorHegt,  wird  die 
genaue  Beobachtung  des  Benehmens,  der  Mangel  an  Sperrungen,  die  nicht  imter- 
drückbare  Emotivität  neben  den  allgemeinen  Verstößen  gegen  das  wirkliche  Bild 
einer  Geisteskrankheit  die  Simulation  offenbaren.  Sollte  Katalepsie  vorgetäuscht 
werden,  können  die  eintretenden  Ermüdungserscheinungen  leicht  zur  Diagnose 
helfen. 


VIL  Abschnitt. 

Die  Vorhersage^). 


Da  die  Schizophrenie  in  jedem  Stadium  still  stehen  und  zu  jeder  Zeit  Fort- 
schritte machen  oder  akute  Syndrome  zeitigen  kann,  ist  es  unmöglich,  eine  be- 
stimmte Spezialprognose  zu  stellen.  Besserungen  auch  chronischer  Zustände 
sind  theoretisch  immer  möglich;  zu  erwarten  sind  sie  insofern,  als  auch  chronische 
Aufregungen  mit  der  Zeit  gelinder  werden;  damit  ist  aber  häufig  eine  Zunahme 
der  Verblödung  verbunden.  Sonst  sind  wesenthche  Besserungen  chronischer 
Zustände  selten,  also  nicht  in  Berechnung  zu  ziehen.  Akute  Zustände  gehen 
natürUch  vorüber,  setzen  aber  oft  das  geistige  Niveau  beträchtHch  herunter. 

Von  Regeln,  die  uns  erlauben  würden,  im  einzelnen  Falle  mit  einiger  Sicher- 
heit den  spätem  Grad  der  Verblödung  zu  bestimmen,  kennen  wir  nur  die  folgenden, 
auf  relativ  wenige  Fälle  anwendbaren: 

Chronische  katatone  Symptome  lassen,  wenn  sie  ausgesprochen 
sind  und  bei  voller  Besonnenheit  zutage  treten,  eine  definitive 
schwere  Verblödung  erwarten.  In  Fällen,  welche  eine  oder  mehrere 
gute  Remissionen  hatten,  ist  stärkere  Verblödung  selten.  Eine 
Ausnahme  von  letzterer  Regel  machen  die  ganz  akuten  Syndrome 
mit  periodischen  Wiederholungen;  diese  gehen  schließlich  meist 
in  sehr  starke  Verblödung  aus. 

Die  Fälle  von  Benommenheit  meiner  Beobachtung  sind  alle  recht  schlimm 
verlaufen. 

Die  geringen  Unterschiede  in  der  Prognose  der  einzelnen  Untergruppen 
sind  im  Abschnitt  über  „Verlauf"  angeführt. 

Heredität  im  bisherigen  weiten  Sinne,  Alter,  Geschlecht,  Intelligenz  2), 
Zahl  der  Degenerationszeichen,  Kräftezustand,  die  einzehien  Formen  der  Krank- 
heit, die  einzehien  Symptome  und  ihre  verschiedenen  Gruppierungen  haben 
so  geringen  Zusammenhang  mit  der  Strecke,  die  die  Krankheit  in  der  Richtung 
der  Verblödung  durchlaufen  wird,  daß  alle  diese  Dinge  bei  der  PrognosesteUung 

M  Zablocka,  Bleuler  (73),  Räoke  (591). 

2)  Irnmerliin  werden  Imbezille  durch  Kombination  mit  einer  „Pfropfhebephrenie" 
leichter  sozial  unmögUch  als  Vollsinnige.  In  der  Pflegeanstalt  Rheinau  sind  mindestens 
ein  l<unftel  aller  Schizophrenen  erhebhch  imbezill. 


268 


Schizophrenie. 


kaum  111  Betracht  gezogen  werden  können.  Statt  der  Streckenprognose  müssen 
wir  uns  deshalb  mit  der  Streckendiagnose  begnügen;  d.  h.  wir  haben  zu  be- 
stimmen, wie  weit  die  „unheilbare"  Verblödung  bereits  vorgeschritten  ist,  und 
wie  vieles  von  den  aktuellen  Symptomen  sich  noch  zurückbilden  kann.  Damit 
bestimmen  wir  ein  Minimum  der  Verblödung.  Ein  besserndes  Zurückgehen 
unter  dasselbe  ist  nicht  mehr  zu  erwarten.  Zunahme  der  Verblödung  ist  aber  nie 
auszuschließen. 

Zur  Beurteilung  der  Rückbildungsfähigkeit  ist  zunächst  im  Auge  zu  be- 
halten, daß  das  gleiche  Symptom  eine  schlimmere  Bedeutung  hat, 
wenn  es  Teilerscheinung  eines  chronischen  Zustandes  ist,  wenn 
es  selber  einen  chronischen  Verlauf  hat,  und  wenn  es  bei  Besonnen- 
heit vorkommt. 

Die  drei  Bestimmungen  decken  sich  nicht  ganz.  In  einem  chronischen  Zustande 
können  zwischendurch  mal  einzelne  oder  mehrere  Symptome  akut  auftreten  und 
wieder  verschwinden;  während  eines  akuten  Zustandes  können  Symptome  aus 
früherer  Zeit  bestehen  bleiben  oder  in  ganz  schleichender  Weise  erst  auftreten.  Am 
schwierigsten  ist  das  zu  definieren,  was  ich  aus  Mangel  an  einem  passenden  Wort 
mit  Kraepelin  „Besonnenheit"  nenne.  Dämmerige,  VerAvirrte,  Manische,  Melan- 
cholische sind  natürlich  nicht  „besonnen".  Chronische  Halluzinanten  aber,  auch 
wenn  sie  dauernd  aufgeregt  sind,  unterscheiden  sich  von  solchen  Kranken  ganz 
wesentlich,  indem  sie  in  bestimmten  Beziehungen  einen  normalen  Kontakt  mit  der 
Umgebung  haben  und  zusammenhängende  Erfahrungsreihen  richtig  auffassen  und 
verwerten.  Es  ist  bei  ihnen  nur  ein  Teil  der  PersönHchkeit  nicht  besonnen,  bei  den 
anderen  die  ganze.  Ein  autistisch-negativistischer  Patient  mag  mit  der  Umgebung 
viele  Jahre  lang  nur  insofern  verkehren,  als  er  das  angebotene  Essen,  die  Kleider 
u.  dgl.  annimmt,  er  kann  dabei  ganz  mutistisch  sein;  sein  Bild  über  die  Außenwelt 
ist  aber  nur  insoweit  gefälscht,  als  seine  Wahnideen  mitsprechen;  ebenso  sein  Ge- 
dankengang, der  außer  den  Komplexbeziehungen  nur  durch  die  allgemeine  schizo- 
phrene Assoziationsstörung  da  und  dort  unrichtig,  aber  nicht  systematisch  verfälscht 
wird.  Ein  Sprachverwirrter  kann  sich  auf  der  Abteilung  normal  bewegen  und  über- 
haupt zeigen,  daß  er  in  der  ganzen  Situation  orientiert  ist.  Nur  wenn  die  ganze 
Persönlichkeit  oder  doch  der  ganz  überwiegende  Teil  derselben  affektiv  oder  intel- 
lektuell in  den  krankhaften  Zustand  einbezogen  wird,  ist  der  Kranke  nicht  besonnen 
in  diesem  Sinne.  Vorübergehend  kann  ferner  bei  sonst  klaren  Patienten  die  Besonnen- 
heit verloren  gehen  durch  starke  Erregimgen,  seien  sie  von  außen  oder  von  innen  be- 
dingt, durch  Alkoholgenuß  und  ähnliches. 

Die  geringste  Tendenz  zur  Rückbildung  haben  die  schizo- 
phrenen Kardinalsymptome,  und  von  diesen  wieder  die  Assoziations- 
störungen, während  der  Autismus  noch  am  häufigsten  überwunden  wird.  Um- 
gekehrt sind  die  manischen  und  melancholischen  Affektwellen 
ihrer  Natur  nach  fast  immer  vorübergehende  Erscheinungen.  Hallu- 
zinationen und  Wahnideen  haben  während  eines  akuten  Zustandes  mit 
vollständigem  Fehlen  der  Besonnenheit  gar  keine  schlimme  Bedeutmig.  Daß 
der  ausgesprochen  schizophrene  Charakter  derselben  im  Sinne  einer  schhmmeren 
Prognose  verwertet  werden  könnte,  ist  möglich,  aber  iioch  nicht  nachgewiesen. 
Chronisch  bestehende  Wahnideen  und  Halluzinationen  dagegen  bedingen  sehr 
schlimme  Aussichten;  doch  keine  absolut  schlechten.  Patienten,  die  bei  voller 
Besonnenheit  einige  Jahre  lang  halluzinieren  und  dann  doch  frei  von  dem  Sym- 
ptom und  erwerbsfähig  werden,  sieht  man  nicht  allzu  selten. 


Vorhersage. 


269 


Von  den  katatonen  Symptomen  ist  bei  akuten  Zuständen  die  Flexibilitas 
cerea  gar  nicht  ominös;  verdächtiger  sind  sinnlose  Stereotypien.  Die  übrigen 
katatonen  Symptome  stehen  in  der  Mitte.  Ceteris  paribus  bedeuten  die  katatonen 
Symptome  immer  eine  Verschlechterung  der  Prognose.  Fehlen  sie  und  sind  die 
schizophrenen  Grundsymptome  so  leicht,  daß  sie  übersehen  werden,  so  ist  die 
Prognose  des  Anfalles  eine  recht  gute^). 

Die  Prognose  der  akuten  Zustände  verlangt  nur  die  Anwendung 
des  eben  Ausgeführten.  Das  was  akut  ist,  geht  vorüber.  Daher  die  gute 
Prognose  der  Dämmerzustände,  der  Wahnsihnsfor men,  vor  allem 
der  einzelnen  Affektpsychosen,  solange  sich  ihnen  wenige  eigentlich 
schizophrene  Symptome  beimischen.  Ob  während  ihres  Verlaufes  oder 
unmittelbar  nachher  die  Verblödung  Fortschritte  machen  wird,  können  wir  nicht 
sagen.  Wir  wissen  nur,  daß  die  Dämmerzustände  imd  gewisse  Aufregungen  nicht 
einen  Schub  der  Krankheit  zu  bedeuten  brauchen  und  deshalb  meist  den  Status 
quo  ante  zurücklassen,  während  die  anderen  akuten  Syndrome  meistens  Zeichen 
einer  mehr  oder  weniger  deuthchen  Verschlimmerung  sind. 

In  akuten  Zuständen  ist  der  aktuelle  Verblödungsgrad  nicht  immer  leicht 
zu  bestimmen,  weil  die  bleibenden  Symptome  gewöhnlich  überdeckt  werden  durch 
die  akuten  Erscheinungen.  Doch  wird  man  meist  die  G-emütssteifigkeit  imd  oft 
auch  die  Assoziationsstörung  einigermaßen  schätzen  können.  Den  Grad  des 
chronischen  Autismus  aber  wird  man  z.  B.  in  Dämmerzuständen  gar  nicht  er- 
mitteln können,  da  ja  diese  Zustände  nichts  anderes  sind  als  Wellengipfel  der  auch 
sonst  bestehenden  autistischen  Tendenzen.  Im  übrigen  kommt  es  auf  das 
Verhältnis  zwischen  deletären  Symptomen  und  Besonnenheit  an: 
je  weniger  und  je  leichtere  deletäre  Symptome  einerseits,  und  je 
schwerer  die  Störung  der  Besonnenheit  anderseits,  um  so  günstiger 
der  durchschnittliche  Ausgang.  Eine  Häufung  katatoner  S}Tnptome 
oder  der  verwirrtesten  Eeden  ist  noch  nicht  so  ungünstig,  so  lange  der  Patient 
auf  keinem  Gebiete  Besonnenheit  zeigt.  Leichte  katatone  Symptome,  leichte  Ver- 
wirrtheit, einzehie  impulsive  Handlungen  bei  sonst  normaler  Relation  zur  Um- 
gebung haben  aber  schlechte  Bedeutung. 

In  negativer  Richtung  kann  die  Anamnese  sehr  wichtige  Fingerzeige 
geben.  Man  kann  ja  ziemlich  darauf  rechnen,  daß  der  Kranke  nach  dem  akuten 
Anfall  nicht  besser  sein  wird  als  vor  demselben;  meist  wird  er  nachher  blöder 
oder  „verrückter"  erscheinen.  Schlimmer  Dauerzustand  vor  dem  Anfall  schüeßt 
also  einen  guten  Ausgang  mit  ziemhcher  Sicherheit  aus. 

Klingen  die  anderen  Symptome  ab,  ohne  daß  die  schizophrenen  sich  gleich- 
zeitig bessern,  so  ist  das  natürlich  von  böser  Vorbedeutung.  Ebenso  wenn  der 
Verlust  der  geistigen  Regsamkeit  in  den  Vordergrund  tritt,  und  wenn  katatone 
Zeichen  wie  der  Negativismus  schwinden  obie  Besserung  der  gemütlichen  An- 
sprechbarkeit. 

Ein  schlimmes  Zeichen  ist  es  auch,  wenn  in  einem  Zustand,  der  schon  den 
ungehemmten  Verkehr  mit  anständigen  Leuten  erwarten  Heße,  das  Taktt^efühl 


,, heilt 


Dahor  rli,.  Häufigkeit  der  akuten  Paranoia  und  Amentia  der  Autoren,  Avelche 


270 


Schizopliienie. 


noch  fehlt.  Unsauberkeit,  plötzhches  Sicligehenlassen  bei  Patienten  aas  guter 
b-esellschaft  oder  gar  Zoten  bei  einer  früher  anständigen  Frau  sind  sichere  In- 
dizien einer  weitgehenden  Alteration.  Dokumentiert  sich  das  Ende  des  akuten 
Schubes  durch  Erhöhung  des  Körpergewichtes,  so  muß  dieser  in  den  günstigen 
Fällen  die  psychische  Bessenmg  einigermaßen  parallel  laufen. 

Bei  den  chronischen  Zuständen  ist  die  Diagnose  des  Verblödungs- 
zustandes einfacher,  weil  dieser  nicht  durch  zufällige  Symptome  verdeckt  wird. 
Immerhin  kann  man  leicht  das  bewußte  Sichabschheßen  eines  Kranken  von 
der  Umgebung  mit  Interesselosigkeit  verwechselni) ;  feindsehge  Haltung  in- 
folge von  Wahnideen  täuscht  oft  eine  aUgemeine  falsche  Auffassung  der  Um- 
gebimg vor. 

Am  sichersten  scheint  mir  eine  Besserung  ausgeschlossen,  wenn  verblödete 
Kranke  einige  Jahre  lang  ganz  gleichmäßig  sind,  kerne  akuten  Symptome  zeigen 
und  auf  "Wechsel  in  Behandlung  und  Umgebung  nicht  reagieren. 
Solange  die  Zustände  sich  ändern,  sind  weitgehende  Besserungen  nicht  aus- 
zuschHeßen.  Als  Zustandsänderung  ist  es  aber  nicht  aufzufassen,  wenn  ein 
periodischer  Patient  in  eine  andere  Phase  kommt. 

Eeiner  Größenwahn  auf  einem  leicht  kontrollierbaren  Gebiete  (Macht, 
Liebe,  Eeichtum)  ist  natürlich  meist  ein  Zeichen  stärkeren  Abschlusses  von 
der  Umgebung;  der  Wahn  darf  aber  nicht  unter  allen  Umständen  als  böses 
Omen  angesehen  werden,  besonders  nicht,  wenn  er  sich  auf  der  Logik  nicht 
oder  nur  teilweise  zugängliche  Komplexe  richtet  (EeHgion,  Pohtik,  Philo- 
sophie usw.). 

Das  Auftreten  unmotivierter  kurzer  Verstimmungen  imd  Erregungen, 
seien  sie  regelmäßig  oder  nicht,  scheint  eine  scUimme  Bedeutung  zu  haben. 

Junge  Leute,  die  chronisch  untätig  und  trieblos  herumstehen,  ganz  schlechte 
Innervation  der  Gefäße  zeigen,  die  nicht  auf  Vorwürfe  über  ihr  Verhalten  ein- 
gehen können  und  sich  auch  nicht  darum  kümmern,  sind  wohl  alle  als  verloren 
zu  betrachten,  wenn  sie  auch  in  späteren  Jahren  innerhalb  einer  Anstalt  noch 
zu  untergeordneten  Arbeiten  tauglich  werden  können.  Man  erhält  überhaupt 
oft  bei  Schizophrenen,  die  einige  Jahre  nach  dem  Beginn  zu  uns  gebracht  werden, 
den  Eindruck,  daß  die  ganz  schleichend  beginnenden  Fälle  besonders  ungünstig 
seien.  Wenn  man  aber  die  leichten  Späterkrankungen,  die  ein  zufälliges  Trauma 
(Alkohol,  ein  Chock)  in  die  Anstalt  gebracht  hat,  oder  die  man  in  der  Sprech- 
stunde sieht,  auf  ihre  Vergangenheit  untersucht,  so  findet  man  darunter  so  viele 
Fälle  mit  unmerkhchem  Beginn,  daß  man  zur  Überzeugung  kommt,  auch  diese 
Verlaufsweise  könne  nicht  regelmäßig  deletär  sein. 

Der  Verblödungszuwachs,  den  ein  AnfaU  bringen  wird,  läßt  sich  mit  einer 
gewissen  Wahrscheinhchkeit  voraussagen,  wenn  ähnhche  Anfälle  schon  früher 
vorgekommen  sind.  Die  späteren  Anfälle  verhalten  sich  dann  oft  auch  in  dieser 


^)  Verlust  der  geistigen  Regsamkeit  und  gemütliche  Stumpfheit  ist  natürüch  kein 
einheitHches  Symptom.  Das  mag  der  Grund  sein,  daß  dann  und  wann  Fälle,  die  man  wegen 
dieser  Erscheinungen  aufgegeben  hatte,  doch  noch  weitgehend  bessern.  Ich  kenne  eine 
Kranke,  die  jahrelang  in  der  Heilanstalt  interesselos  herumsaß,  sich  nur  selten  zu  einfachen 
Dienstleistungen  verwenden  Heß,  später  in  einer  Pflegeanstalt  unter  erotischer  Übertragung 
auf  die  Ärzte  zuerst  in  alberner  Weise  munter  wurde,  dann  zu  arbeiten  anfing  und  nach 
ihrer  Entlassung  ein  Modewarengeschäft  gründete  und  mit  Erfolg  leitete. 


Vorhersage. 


271 


Beziehung  wie  die  früheren.  In  der  Pflegeanstalt  finden  sich  verhältnismäßig 
wenige  Kranke,  die  eine  oder  gar  mehrere  weitgehende  Remissionen  hatten; 
am  ehesten  solche  vom  periodisch-manischen  Typus. 

Über  das  Tempo  der  Verblödung  läßt  sich  nur  sagen,  daß  auch  in  den 
chronischen  Fällen  zwar  Schübe  vorkommen,  daß  aber  oft  eine  gewisse  Gleich- 
förmigkeit des  Tempos  bis  zum  Stillstand  bestehen  bleibt. 

Man  hat  das  Bedürfnis  gehabt,  Fristen  anzugeben,  jenseits  deren  eine 
Bessermig  nicht  mehr  erhofft  werden  kann;  bei  Anlaß  der  Ehescheidung  nennen 
verschiedene  Gesetzbücher  drei  Jahre  als  diejenige  Zeit,  nach  der  ein  schlimm 
ausgehender  Fall  praktisch  als  unheilbar  betrachtet  werden  kann.  Besserungen, 
die  als  Heilungen  angesehen  werden  können,  sind  aber  auch  nach  mehreren 
Jahrzehnten  nicht  auszuschließen.  Doch  ist  das  selten,  und  mit  Ehescheidimgs- 
gutachten  habe  ich  in  der  Schweiz,  wo  doch  die  Scheidung  wegen  Geisteskrankheit 
etwas  sehr  Häufiges  ist,  bis  jetzt  nie  etwas  Schlimmes  erlebt,  wenn  ich  auch  in 
jedem  FaUe  bei  der  Unheilbarerklärung  ein  recht  imangenehmes  Gefühl  habe. 

Schuele  (675  a  und  679)  macht  darauf  aufmerksam,  daß  die  körperlichen 
Symptome,  zu  denen  er  allerdings  die  motorischen  in  ziemlich  großem  Umfange 
rechnet,  ein  Index  für  die  Tiefe  der  zerebralen  Störung  seien.  Vielleicht  ist  namentlich 
mit  Bezug  auf  die  vasomotorischen  Anomalien^)  etwas  Richtiges  an  dieser  Auf- 
fassung. Doch  gibt  es  sicher  Fälle,  die  mit  eigentlichen  körperlichen  Symptomen 
hohen  Grades  einhergehen  und  doch  gut  verlaufen. 

Moravcsick  meint,  daß  unerwartete  psychische  Klärungen  Remissionen 
wahrscheinlich  machen.  —  Salerni  berichtet,  daß  die  Fälle,  in  denen  bei  Amenor- 
rhoe doch  die  menstruellen  Schwankungen  in  Puls,  Temperatur  und  Atmung  zu 
erkennen  seien,  Remissionen  erwarten  lassen.  —  Schuele  hält  stark  Onanierende 
für  besonders  gefährdet.  Ich  habe  aber  Fälle  mit  ziemlich  kontinuierlicher  Mastur- 
bation weitgehend  bessern  sehen.  —  Bruce  und  andere  haben  die  hämatologi- 
schen  Befunde  zur  Prognostik  verwerten  wollen;  unsere  Kenntnisse  erlauben 
uns  noch  nicht  so  weit  zu  gehen. 

Kraepelin  (Diskuss.  zu  73)  hat  bemerkt,  daß  die  Fälle  mit  Sprachverwirrtheit 
sich  oft  nicht  weiter  entwickeln.  Ich  kann  nur  sagen,  daß  es  auch  von  dieser  Regel 
nicht  seltene  Ausnahmen  gibt. 

Die  Neigung  zu  Rezidiven  abzuschätzen  haben  wir  noch  gar  keine 
Anhaltspunkte.  Stransky  hält  die  Kranken  etwa  fünf  Jahre  nach  Ablauf 
des  ersten  Anfalles  für  ziemlich  gesichert.  Eine  solche  Zeitbestimmung  kann 
natüi-lich  nur  für  diejenigen  Fälle,  bei  denen  man  einen  akuten  Beginn  supponiert, 
benutzt  werden.  Es  gibt  aber  auch  dann  noch  zu  viel  Ausnahmen,  als  daß 
man  die  Regel  überhaupt  gelten  lassen  könnte.  Man  gibt  wohl  unser n 
jetzigen  Kenntnissen  den  richtigsten  Ausdruck,  wenn  man  sagt, 
daß  neue  Schübe  um  so  seltener  vorkommen,  je  länger  ein  Still- 
stand gedauert  hat.  Eme  gewisse  Gefahr  für  Rezidive  bietet  bei  Frauen 
das  Khmakterium,  ferner  Gravidität  und  Wochenbett.  Fälle  mit  regelmäßiger 
Periodizität  gestatten  natürlich  eine  ziemlich  bestimmte  Voraussage  neuer 
Anfälle. 

Eine  emigermaßen  sichere  PrognosesteUung  über  den  Verlauf  des  einzehien 
^^^"^  ^^^^  natürlich  so  wenig  möglich  sein,  als  bei  den  meisten  anderen 

^)  Vgl.  auch  Weber  (797). 


272 


Schizophrenie. 


Krankheiten.  Wie  eine  Liingentuberlculose,  ein  Grelenksrlieumatismus  verläuft, 
wie  viele  Rezidive  eintreten  werden,  wann  solche  kommen  usw.,  alles  das  wird 
wohl  nie  vorauszubestimmen  sein.  Bei  der  Schizophrenie  kommt  noch 
hinzu,  daß  der  Verlauf  des  praktisch  allein  maßgebenden  äußeren 
Krankheitsbildes  in  vielen  Beziehungen  gar  nicht  vom  Verlauf 
des  Krankheitsprozesses  abhängt.  Wir  haben  es  ja  fast  ausschließ- 
lich mit  sekundären  Symptomen  zu  tun,  die  unter  zufälligen  psychi- 
schen Einflüssen  sich  innerhalb  maximaler  Grenzen  bessern  oder 
verschlimmern  können.  Solche  Einflüsse  wären  nur  dann  vorauszusehen, 
wenn  man  es  in  der  Gewalt  hätte,  sie  selber  herbeizuführen  oder  zu  vermeiden. 


VIII.  Abschnitt. 

Häufigkeit  und  Verbreitung. 


Die  Dementia  praecox  ist,  abgesehen  von  der  Gesamtgruppe  der  Idiotien, 
die  häufigste  Geisteslo-ankheit. 

Albrecht  fand  vmter  693  Geisteskranken  29%,  Wolfsohn  unter  2215  Auf- 
nahmen des  Burghölzü  30o/o  (23°/o  bei  den  Männern  und  39»/o  bei  den  Frauen). 
In  den  letzten  Jahren  ist  bei  ein  wenig  veränderten  Verhältnissen  (Bezug  neuer 
Bauten  in  der  Pflegeanstalt)  der  Anteil  der  Schizophrenen  noch  um  einige  Prozent 
gestiegen.  Die  absolute  Zahl  der  aufgenommenen  männhchen  Schizophrenen 
verhält  sich  zu  der  weiblichen  wie  47:53;  der  große  Geschlechtsunterschied 
im  Verhältnis  zu  den  anderen  Psychosen  rührt  also  nicht  sowohl  von  einem  Minus 
der  Schizophrenen  als  vom  Plus  der  Paralytiker  und  Alkohohker  bei  den 
Männern  her. 

Da  die  Schizophrenen  zu  einem  ziemlich  großen  Teil  imheilbar  sind,  früh 
erkranken  und  spät  sterben,  überwiegen  sie  im  Bestand  der  Irrenanstalten  noch 
viel  mehr  als  imter  den  Aufnahmen;  sie  machen  in  unserer  Heilanstalt  71%  der 
Männer  und  79%  der  Frauen  =  75o/o  aller  Kranken  aus.  In  der  Pflegeanstalt 
wird  der  Prozentsatz  durch  die  Idioten  auf  50°/ü  herabgedrückt. 

So  ist  die  soziale  Bedeutung  der  Krankheit  eine  ganz  enorme;  sie  fällt 
allerdings  weniger  in  die  Augen  als  die  der  Paralyse,  weil  sie  die  meisten  Kranken 
trifft,  bevor  sie  sich  eine  Lebensstellung  geschaffen  haben.  Ein  Schizophrene, 
der  vom  Jünglingsalter  bis  zum  Tode  versorgt  bleiben  muß,  verzehrt  oft  das 
ganze  Vermögen  seiner  Familie.  In  noch  unheilvollerem  Licht  erscheint  die 
Krankheit,  wenn  man  sich  überlegt,  daß  eine  große  Menge  von  nicht  als  geistes- 
krank geltenden  Psychopathen,  die  die  Familien  und  die  Gesellschaft  in  Atem 
halten,  und  von  Neuropathen,  die  die  Ärzte  beschäftigen,  ohne  Heilung  zu  finden, 
latente  Schizophrene  sind.  Ich  habe  Grimd  zu  der  Annahme,  daß  diese  uner- 
kannten Schizophrenen  noch  viel  zahlreicher  sind  als  die  ausgesprochen  Geistes- 
ki-anken. 

Unterschiede  in  der  Erkrankvuigsfähigkeit  der  verschiedenen  Kassen 
kennen  wir  noch  nicht,  wenn  auch  natürlich  diejenigen  mit  migehinderter  Aus- 
lese viel  weniger  zahlreiche  Geistesla-anke  haben.  Bei  Malaien  (Kraepelin), 
Japanern  (Miyake),  Zentralasiaten  (Urstein)  findet  sich  die  Schizophrenie 
als  vorwiegende  Psychose  wie  bei  uns. 

Hnndbtioh  der  Psychiatrie:  Bleuler. 


74 


Schizophrenie. 


Inwiefern  Raase  und  iiuliore  Verliiiltnisae  die  Form  der  Krankheit  beein- 
flussen, weiß  man  noch  nicht.  Wenn  unsere  Auffassung  der  Genese  der  Symptome 
richtig  ist,  müssen  sich  in  diesen  Beziehungen  Unterschiede  auffinden  lassen.  Ziehen 
ist  es  aufgefallen,  daß  seine  Dementia  hebephrenica  in  HoUaJid  viel  häufiger  vor- 
komme als  in  Thüringen.  Kraepelin  hat  (nach  mündlicher  Mitteilung)  bei  den 
Malaien  ausgesprochen  katatonische  Formen  seltener,  die  faselige  Verblödung  häufiger 
als  bei  uns  gefunden.  Sicher  ist  ferner,  daß  sich  Rasseneigentümlichkeiten  durch 
die  Krankheit  hindurch  geltend  machen.  Engländer  sind  ruhiger  als  Iren,  Ober- 
bayern gewalttätiger  als  Sachsen;  ja  es  ist  leicht  einen  Unterschied  zu  konstatieren 
zwischen  Bernern  und  Zürchern,  die  so  nahe  verwandt  sind. 


IX.  Abschnitt. 

Die  Ursachen. 


A.  Die  Pathologie  der  Schizophrenie  gibt  uns  keine  Anhaltspimkte,  wo 
wir  die  Ursachen  der  Kranldieit  suchen  sollen.  Die  direkte  Forschung  nach 
spezifischen  Kausahnomenten  hat  uns  ebenfaUs  im  Stiche  gelassen.  Allerdings 
wissen  wir,  daß  „Geisteskrankheiten"  in  den  Familien  der  Schizophrenen  häufiger 
sind  als  in  denen  von  Gesunden;  wir  sehen  auch  oft  von  einer  zahkeichen  Famihe 
die  Mehrzahl  der  Mitglieder  erkranken.  Wenn  aber  ein  „Infektionist"  sagen 
will,  es  gebe  bei  der  Schizophrenie  keine  Heredität,  sondern  nur  Infektion  an 
gemeinsamer  Quelle,  oder  wenn  jemand  annehmen  mag,  die  Gemeinsamkeit 
psychischer  oder  physischer  Erlebnisse  verursache  bei  Zusammenlebenden 
solche  Krankheitsanhäufungen,  so  können  wir  ihm  keinen  Gegenbeweis  liefern. 
Solche  Zweifler  mögen  anführen,  daß  sich  in  vielen  Fällen  bei  ganz  genauer 
Nachforschimg  keine  hereditäre  Anlage  imd  keine  individuelle  Disposition  (wie 
verschlossener  Charakter)  nachweisen  läßt. 

Und  doch  wird  die  Heredität  eine  Eolle  in  der  Ätiologie  der  Schizophrenie 
spielen.  Aber  wie  groß  und  welcher  Art  ihr  Einfluß  ist,  das  kann  noch  nicht 
gesagt  werden.  Um  weiter  zu  kommen,  müßten  wir  zuerst  einen  brauchbaren 
Hereditätsbegriff  haben;  wir  sollten  wissen,  welche  Kjankheiten,  speziell  welche 
Psychosen  in  der  Familie  Zusammenhang  mit  der  Schizophrenie  eines  ihrer 
GUeder  haben,  und  welche  Verwandtschaftsgrade  dabei  in  Betracht  kommen. 
Zur  Zeit  ist  der  einzig  gangbare  Weg  zur  Lösung  dieser  Fragen  der  statistische; 
es  fehlt  aber  an  den  ersten  Versuchen  zu  einer  solchen  Statistik  : 

Wir  ^vissen  bis  jetzt,  daß  sich  die  Gesamtbelastung  der  Schizophrenen 
von  der  der  Gesunden  etwas  imterscheidet").  Von  den  Schizophrenen  sind  90% 
belastet^)  gegenüber  GT^/o  bei  Nichtgeisteskranken  und  65°/o  bei  Gesunden^). 

^)  Die  sehr  interessanten  Publikationen  Vorsters  und  Siolis  können  als  stati- 
stische Vorarbeiten  natürlich  nicht  in  Betracht  kommen. 

Die  Angaben  beziehen  sich  immer  auf  Eltern  und  deren  Geschwister,  Großeltern 
und  Geschwister  der  Kranken.  —  Die  Zahlen  für  die  Schizophreiüe  sind  der  Arbeit  Wolf- 
sohns entnommen,  zum  Teil  allerdings  in  für  unsere  Bedürfnisse  umgerechneter  Form. 

')  Mit  Geistes-  oder  Nervenkrankheiten,  abnormen  geistigen  Anlagen,  Trunksucht 
der  Eltern. 

,, Gesunde"  sind  bei  Diom  die  Nichtgeisteskranken  abzüglich  die  Nervösen  oder 
Psychopathen  unter  ihnen. 


18* 


^"^^  Schizophrenie. 

Zu  enormen  Unterschieden  kommt  man  aber,  wenn  man  nur  die  mit  Geistes- 
krankheiten Belasteten  berücksichtigt:  in  65«/„  der  Familien  von  Schizophrenen 
laßt  sich  Geisteskrankheit  finden,  während  Die m  die  Belastung  durch  Geistes- 
krankheit bei  Nichtgeistesla-anken  auf  7"  P/o  wertet.  Leider  lassen  sich  indes 
die  Zahlen  nicht  streng  miteinander  vergleichen:  Diem  hat  bei  Belastung  durch 
mehrere  Familienglieder  nur  denjenigen  Faktor  in  seine  Berechnung  gebracht 
dessen  Träger  am  nächsten  mit  der  Testperson  verwandt  war.  Da  aber  die  Psy- 
chosen von  allen  seinen  Erblichkeitsfaktoren  nicht  einmal  den  sechsten  Teil 
ausmachen,  mid  da  bei  den  Geisteskranken  die  Belastung  durch  die  Eltern  die 
numerisch  wichtigste  ist,  so  kann  der  Vergleichsfehler  nicht  sehr  in  Betracht 
kommen.  Die  Belastung  durch  Geisteskrankheiten  ist  also  sicher 
bei  den  Schizophrenen  um  ein  Vielfaches  so  groß  wie  bei  den  Ge- 
sunden. 

Noch  schwieriger  lassen  die  Zahlen  von  Diem  imd  Wolf  söhn  einen  Ver- 
gleich zu  in  bezug  auf  die  Bedeutung  der  belastenden  Verwandtschaftsgrade. 

Ich  kann  nur  sagen,  daß  unsere  Schizophrenen  (im  Burghölzli)  in  357o 
durch  Geisteskrankheit  der  Eltern  und  Großeltern  (oder  beider)  belastet  smd^), 
während  nach  Diem  bei  den  Eltern  Nichtgeisteskranker  in  2-2Vo  imd  bei  denen 
der  Gesunden  in  I-Q^/q  Geisteskrankheiten  vorkamen,  und  die  entsprechenden 
Zahlen  der  indirekten  und  atavistischen  psychotischen  Belastung  bei  den  Nicht- 
geisteskranken 4  und  bei  den  Gesunden  4-3  betrugen. 

Per  exclusionem  ist  nun  diese  hohe  Belastung  durch  Geisteskrankheiten 
als  eine  schizophrene,  also  gleichartige  anzusprechen.  Wir  wissen  ja,  daß  die 
organischen  Geisteskrankheiten  hier  nicht  sehr  in  Betracht  kommen,  imd  daß 
das  manisch-depressive  Irresein  nicht  so  häufig  ist,  daß  es  diese  Zahlen  stark 
beeinflussen  könnte. 

Für  die  Belastung  durch  andere  Faktoren  fallen  die  Unterschiede  in  der 
Zählart  bei  Diem  und  Wolfs  oh  n  wohl  mehr  ins  Gewicht;  Die  ms  Zahlen 
müssen  für  uns  zu  klein  sein. 

Wolf  söhn  findet  bei  der  Schizophrenie  eine  neurotische  Belastung  von 
297o5  wovon  gerade  die  Hälfte  mit  Geisteskrankheit  kombiniert  ist.  Wenn  nun 
Diem  eine  neurotische  Belastung  von  8'2°/o  bei  seinen  Nichtgeisteskranken 
und  von  7°/o  bei  den  Gesunden  findet,  so  ist  es  trotz  der  veränderten  Bedeutung 
der  Zahlen  sicher,  daß  die  Belastung  durch  Neurosen  bei  unseren  Kranken  um  ein 
Bedeutendes  größer  ist  als  bei  Gesunden. 

Ob  sich  diese  neurotische  Belastung  mit  Sicherheit  für  das  Bestehen  einer 
ungleichartigen  Heredität,  d.  h.  für  eine  Famihendisposition,  die  sich  sowohl 
als  Neurose  wie  als  Schizophrenie  äußern  kann,  ins  Feld  führen  läßt,  ist  nicht 
sicher.  Es  ist  ja  wahrscheinlich,  daß  ein  großer  Teil  dieser  als  Nerven- 
krankheiten taxierten  Anomalien  latente  Schizophrenien  waren. 

Alkoholismus  der  Eltern  (die  anderen  Verwandtschaftsgrade  sind  von 
Wolf  söhn  beim  Alkoholismus  nicht  berücksichtigt)  finden  wir  in  2Q°/o,  wovon 
etwas  über  zwei  Drittel  sich  mit  anderen  Belastungsmomenten  (bei  allen  FamiUen- 
ghedern)  kombinieren.  Die  Nichtgeisteskranken  und  Gesunden  Die  ms  waren 
durch  Alkohohsmus  der  Eltern  in  12  respektive  lOo/p  aller  Fälle  belastet.  Da  es 


Nach  Kraepelin  (388,  S.  270)  nur  18-197«. 


Ursachen. 


277 


sich  hier  nur  um  die  Eltern  handelt,  sind  die  Zahlen  vergleichbar  Gewöhnhch 
ist  der  Vater  der  Potator,  und  Diem  hat  bei  kumulierter  Heredität  der  des 
Vaters  den  Vorzug  vor  der  der  Mutter  gegeben;  so  sind  Diems  Zahlen  sicher 
nicht  viel  zu  klein^).  AlkohoUsmus  der  Eltern  ist  also  bei  der  Schizophrenie 
häufiger  vorhanden  als  bei  Gesunden^).  Ist  er  aber  Symptom  der  schizophrenen 
Famiüenanlage  oder  Ursache  der  Schizophrenie  des  Nachkommen? 

Abnorme  Charaktere  fanden  sich  in  der  Verwandtschaft  Schizophrener 
in  22%  der  Fälle,  davon  in  7%  als  alleiniger  Belastungsfaktor,  bei  Die  ms 
Nichtgeisteskranken  und  Gesunden  aber  in  10-4  respektive  lOlVo-  Auch  ab- 
norme Charaktere  können  latente  Schizophrenien  sein, 

Apoplexie  und  Dementia  senilis  kann  keine  Bedeutung  als  Zeichen 
einer  schizophrenen  Belastimg  haben,  da  diese  AnomaUen  bei  allen  Geistes- 
ki-ankheiten  zusammen  in  geringerer  Zahl  vorhanden  sind  als  bei  Gesunden, 
und  die  Schizophrenie  einen  bedeutenden  Teil  aller  Geisteskrankheiten  ausmacht. 

Die  hereditäre  Disposition  spielt  also  sicher  eine  wichtige  Rolle  unter  den 
Ursachen  der  Schizophrenie.  Worin  aber  diese  Disposition  bestehe,  und  wie  sie 
sich  sonst  äußern  könne,  wissen  wir  nicht;  sie  scheint  für  die  Schizophrenie 
spezifisch  zu  sein. 

Gibt  es  nun  Schizophrenie  ohne  hereditäre  Anlage?  Wahr- 
scheinlich. Jedenfalls  kann  man  in  etwa  107o  der  Fälle,  trotz  anscheinend  ge- 
nauer Kenntnis  der  Famihengeschichte  bis  in  das  dritte  GHed  oder  auch  weiter 
keine  Anlage  nachweisen.  Hinzu  kommt,  daß  natürUch  ein  beträchtlicher  Teil 
der  als  „belastet "  geführten  Kranken  gar  nicht  durch  die  schizophrene  Dis- 
position belastet  sind. 

Man  hat  namentlich  in  Frankreich  die  Geisteskrankheiten  und  damit  die  Schizo- 
phrenie auch  mit  anderen  Familiendispositionen  wie  der  rheumatischen 
und  der  skrofulösen  in  Zusammenhang  gebracht.  Es  wird  hier  genügen,  darauf 
aufmerksam  zu  machen,  daß  solche  Anschauungen  zurzeit  ganz  in  der  Luft  stehen. 
Lomer  (S.  390)  nimmt  als  möglich  an,  daß  bei  größerer  spezifisch-psychopathischer 
Vererbungskraft  des  Vaters  vorwiegend  der  katatonische,  bei  der  der  Mutter  vor- 
wiegend der  hebephrene  Symptomenkomplex  sich  herausbilde.  Nach  ihm  (S.  389) 
disponiert  auch  Kombination  von  Geisteskrankheit  und  Alkoholismus  der  Eltern 
zu  Katatonie  (vgl.  oben  Fuhrmann),  Geisteskrankheit  plus  Neurasthenie  zu  Hebe- 
phrenie.  Über  die  Größe  der  spezifisch  psychopathischen  Vererbungskraft  habe  ich 
kein  Urteü.  Dagegen  haben  unsere  Beobachtungen  ergeben,  daß  die  Heredität 
nach  den  jetzigen  Prinzipien  keine  erkennbare  Beziehung  zu  der  Erscheinungsform 
der  Krankheit  hat. 

Auffallend  ist,  daß  Mag  na  n  bei  seinem  Delire  chronique,  das  wir  der  Schizo- 
phrenie zuzählen  müssen,  keine  Degenereszenz  gefunden  hat,  ein  Begriff,  der  bei  ihm 
nicht  von  der  psychotischen  Heredität  zu  trennen  ist. 

Vielleicht  gibt  es  auch  eine  Disposition,  die  dem  Entstehen  der  Schizophrenie 
ungünstig  ist.  Nach  gewissen  Zusammenstellungen  kommen  „Nervenkrankheiten" 
in  den  schizophrenen  Familien  seltener  vor  als  bei  den  Angehörigen  Gesunder  (Koller: 

1)  Bertschinger  (S.  270)  findet  in  249  Fällen  Alkoholisraus  der  Verwandten  über- 
haupt bei  151  Patienten,  von  denen  25  außerdem  durch  Geisteskrankheit  belastet  sind. 

2)  Fuhrmann  (S.  817)  meint,  Alkoholismus  der  Erzeuger  verursache  bei  den 
Nachkommen  Störungen,  die  den  Alkoholpsychosen  ähnUch  seien,  aber  nachher  rasch  zu 
Verblödung  führen. 


278 


Schizophrenie. 


dfe\t«Sf-!'^ir?      i''''';^'!.-  ^^S^"^"       ^'ervenkrankheiten  und 

die  btatistik  selbst  so  schwankend  ist,  tut  man  aber  wohl  £?ut  in  «nlr-T^av.  4  ^ 

die  höchste  Vorsicht  walten  zu  lassen.  '      ^    '     '^^'^'"^  Annahmen 

5.  Das  jugendliche  Altert)  hat  eine  besondere  Disposition  zu  der  Er- 
kiankung.  Kraepehn  macht  über  das  Erkrankungsalter  von  296  Fällen  folgende 
Angaben-).  ^ 


Erkrankungsalter 
bis  15  Jahre 

-  20  „ 
-25  „ 

-  30  „ 
-35  „ 

-  40  „ 
-45  „ 

-  50  „ 

-  55  „ 


Prozent 
6 

32-5 
24-5 
19 
11 
5 

1-5 

0-7  (?) 
0-4  (?). 


Wolfsohn  bekam  von  618  Patienten  des  Burghölzli  folgende  Zahlen: 


Es  erkrankten  im 
Alter  von 

Männer 

Frauen 

Total 

Frozen 

t 

1 — 15  Jahren   

6 

3 

4 

15-20  „   

21 

16 

18 

20—25  „   

25 

20 

22 

25—30  .,   

22 

18 

20 

30-35  „   

10 

14 

12 

35-40  „   

10 

11 

11 

40^5  „   

5 

5 

5 

45—50  „   

4 

6 

4 

50—55  „   

0 

5 

3 

55—60  „   

0 

2 

1 

60—65   

0 

0 

0  , 

Bei  Kraepelin  sind  über  60%  vor  dem  25.  Jahre  erkrankt;  bei  uns  nur 
44''/o-  Ich  möchte  aber  diesen  Unterschieden  zimächst  keine  Bedeutung  geben, 
denn  solche  Zahlen  sind  unter  anderem  eine  Funktion  der  Aufnahmsverhältnisse 
und  der  Genauigkeit  der  Anamnesen.  Ich  führe  deshalb  auch  keine  weiteren 
Untersuchungen  an. 

Bemerkenswert  scheint  mir  bloß  noch,  daß  an  Wolfsohns  Material  die 
Kurve  der  Männer  vom  Maximum  im  fünften  Quinquennium  regelmäßig  absteigt, 
während  die  der  Frauen  zwischen  45  und  50  Jahren  einen  kleinen  .Anstieg  zeigt, 
der  umso  besser  markiert,  als  auch  die  beiden  folgenden  Pentaden  noch  stärker 
besetzt  sind  als  bei  den  Männern.  Es  handelt  sich  wohl  um  einen  Einfluß  des 


^)  Im  Kindesalter  wird  die  Krankheit  selten  manifest.  Doch  gibt  es  Fälle,  die  man 
als  originäre  Schizophrenie  bis  in  die  ersten  Lebensjahre  zurückführen  muß. 
^)  Die  Zahlen  sind  der  Figur  entnommen  und  deshalb  nicht  absolut  genau. 


Ursachen. 


279 


Klimakteriums,  das  sich  m  der  weiblichen  Psyche  mehr  geltend  macht  als  beim 
Manne  der  auch  in  diesem  Alter  noch  nicht  zu  verzichten  hat. 

Die  einzehien  Ki-ankheitsgi-uppen  verhalten  sich  ungleich  mdem  (nach 
Kraepelin)  von  den  einfach  hebephrenen  Formen  72,  von  den  katatonen  08, 
von  den  paranoiden  nm:  40o/o  vor  das  25.  Lebensjahr  faUen 

C  Ob  es  eine  individuelle  Disposition  gibt,  ist  fraghch.  Unzweifelhaft 
sind  viele  der  späteren  Schizophrenen  schon  in  der  Jugend  „eigen  zurückgezogen 
aÄh.  Es  läßt  sich  aber  zur-  Zeit  nicht  entscheiden,  ob  dieses  Verhalten 
Äußerung  einer  Disposition  oder  der  schleichend  beginnenden  Krankheit  selbst  ist. 

Die  Intelligenz  ist  jedenfalls  nicht  mit  der  Disposition  im  Zusammen- 
hang Elmiger  und  Lugaro  haben  geradezu  auffallend  viel  gute  Anlagen  kon- 
statiert, während  wir  selbst  wenigstens  ein  Überwiegen  mmderwertiger  Intelli- 
genzen ausschheßen  können. 

Bertschinger  ist  es  aufgefallen,  daß  unter  den  Kranken  sehr  viele 
schmächtige  und  kleine  Leute  seien.  Ich  hatte  auch  schon  längst  den  nämhchen 
Eindruck;  man  kann  sich  aber  bei  diesen  energielosen,  zusammengeschobenen 
Figm-en  leicht  täuschen,  und  eine  wirldiche  Untersuchung  fehlt. 

Von  den  äußeren  Umständen  scheint  die  Schizophrenie  unabhängig 
zu  sein.  Sie  kommt  bei  Armut  und  Überfluß,  in  aUen  Verhältnissen,  geordneten 
und  imgeordneten,  glücklichen  und  unglückhchen  vor.  Stadt  und  Land  be- 
herbergen sie  in  gleicher  Weise  (Gaupp  258).  Auch  in  jedem  Klima  gibt  es 
Schizophrene.  Über  den  Einfluß  der  Kasse  vgl.  &.  273. 

Soukhanoff  findet  bei  „Degenerierten"  eine  „Constitution  ideo-obses- 
sive".  Mit  diesem  Begriffe  ist  wohl  nichts  anzufangen. 

Man  hat  auch  seit  Dezennien  geäußert,  daß  namentlich  Gouvernanten 
leicht  schizophren  werden.  Man  sprach  geradezu  von  einer  „Gouvernantenpsychose" 
oder  behauptete,  daß  Gouvernanten  besonders  schwer  (und  in  unangenehmer  Form) 
erkranken.  Es  wird  insofern  etwas  daran  sein,  als  Mädchen,  die  über  ihren  Stand 
hinaus  wollen  und  doch  nicht  können,  unter  denen  viele  zu  Schizophrenie  prädis- 
ponierte sein  müssen,  leicht  Gouvernanten  werden,  und  als  die  Behandlung  dieser 
Personen  oft  genug  Anlaß  gibt,  um  eine  Schizophrenie  zu  determinieren.  Immerhin 
müßte  erst  noch  festgestellt  werden,  ob  die  Gouvernanten  wirkUch  in  größerer  Zahl 
erkranken  als  Angehörige  anderer  Berufe. 

Von  jeher  ist  wohl  die  Onanie  eine  der  am  meisten  erwähnten  Ursachen  der 
,,juvenüen  Psychosen".  Man  will  sogar  bestimmte  Formen  imserer  Krankheit  damit 
in  Zusammenhang  bringen.  Es  ist  nun  richtig,  daß  so  ziemlich  alle  unserer  Kranken 
onanieren  oder  onaniert  haben.  Wenn  n^an  aber  genauer  zusieht,  so  findet  man  keinen 
Zusammenhang  mit  deni  Verlauf  der  Krankheit.  Ganz  exzessive  Masturbanten, 
die  sozusagen  kontinuierlich  onanieren,  erholen  sich  dennoch  von  ihren  akuten  An- 
fällen oder  bleiben  jahrzehntelang  auf  der  gleichen  Stufe  der  Verblödung  stehen. 
Kastration  hat  keinen  direkten  Einfluß  auf  die  Krankheit.  Wir  müssen  also  die 
Masturbation,  soweit  sie  einen  Zusammenhang  mit  der  Krankheit  hat,  als  Symptom 
derselben  auffassen  und  nicht  als  Ursache.  Zunächst  allerdings  fällt  in  Betracht, 
daß  bestehende  Onanie  beim  Mangel  der  Scham  viel  eher  zur  Kenntnis  des  Beobachters 
kommt  als  sonst.  Dann  aber  begünstigt  der  Wegfall  der  Heraraungen  die  Onanie 
direkt,  und  vor  allem  ist  es  der  Autismus,  der  die  Kranken  zur  Selbstbefriedigimg 
zwingt.  Nur  auf  sexuellem  Gebiet  ist  es  möglich,  seine  Wünsche  autistisch  einiger- 
maßen zu  erfüllen ;  für  den  Kranken  ist  die  eingebildete  Geliebte  mehr  als  eine  wirk- 


280 


Schizophrenie. 


liehe,  deshalb  wird  der  normale  Verkehr  verhältnismäßig  so  wenig  gesucht^),  und  des- 
halb bewegt  sich  das  sexuelle  Leben  auch  wenig  vorgeschrittener Icranker' fast  ganz 
auf  dem  Gebiete  onanistischer  Befriedigung. 

Grraviditcät  uiid  Wochenbett  scheinen  einen  Zusammenhang  mit  der 
Schizophrenie  zu  haben.  Es  gibt  zu  viele  Frauen,  die  in  mehreren  Wochenbetten, 
oder  in  allen,  einen  Schub  ihrer  Schizophrenie  bekommen,  als  daß  man  mit 
Reichardt  nur  Zufall  annehmen  dürfteä).  Es  ist  aber  sehr  gut  möglich,  daß  es 
sich  da  um  psychische  Zusammenhänge  handle,  die  die  Krankheit  nicht  be- 
dingen, sondern  manifest  machen. 

Ebenfalls  noch  zu  studieren  ist  der  Zusammenhang  mit  Infektions- 
krankheiten. Oft  schließt  sich  die  Schizophrenie  an  eine  fieberhafte  Krankheit 
an,  und  zwar  auch  etwa  in  Fällen,  die  vorher  gar  nichts  Abnormes  zeigten.  Es 
könnte  das  ein  Zufall  sein;  man  sieht  aber  oft,  wie  em  Fieber  eine  wesentHche 
Besserung  im  Gefolge  hat;  wenn  es  somit  die  Psychose  überhaupt  beeinflußt, 
so  darf  man  auch  einen  Zusammenhang  von  Fieber  und  Verschhmmerung  nicht 
ohneweiters  ablehnen.  Es  kann  sich  um  physische  oder  psychische  Einflüsse 
handeln.  —  Es  ist  ferner  daran  zu  erinnern,  daß  viele  Fälle,  die  von  anderen  zur 
Amentia  gruppiert  werden,  unserer  Schizophrenie  angehören,  und  daß  daselbst 
gern  ein  schwächendes,  körperliches  Moment,  und  zwar  gerade  eine  fieberhafte 
Kranlcheit  als  Ursache  angenommen  wird. 

Von  mehreren  Seiten  wird  jetzt  auch  ein  Zusammenhang  mit  Syphilis 
vermutet.  Es  genügt  wohl  zu  sagen,  daß  diese  Hypothese  durch  nichts  ge- 
stützt ist3). 

Eine  besondere  Stellung  nehmen  organische  Störungen  des  Gehirns 
ein.  Wir  wissen,  daß  chronische  Meningitiden,  Hirngliose,  Hirntraumen  ähnliche 
Krankheitsbilder  erzeugen  können  wie  die  Schizophrenie.  Hierbei  ist  wohl  der 
Zufall  ausgeschlossen.  Leider  haben  wir  keine  solchen  Fälle  nach  neueren  Gesichts- 
punkten imtersuchen  können.  So  müssen  wir. nur  die  Frage  stellen:  Gibt  es  Psy- 
chosen, die  auf  einer  Hirnkrankheit  beruhen,  mit  den  gleichen  Symptomen 
wie  die  Schizophrenie?  Wenn  ja,  welche  Unterschiede  zeigen  sie  gegenüber 
den  anderen  Fällen  von  Schizophrenie?  Wäre  es  mögHch,  diese  Fragen  zu  beant- 
worten, so  würde  auch  klar,  wie  man  die  zufälligen  Komplikationen,  die  natürlich 
vorkommen  müssen,  von  den  echten  organischen  Katatonien  unterscheiden 
könnte  (Muralt,  Köttgen,  Crocq). 

„Überanstrengung"  wird  auch  von  vorsichtigen  Psychiatern  sehr 
häufig  als  Ursache  einer  Schizophrenie  genannt.  Ich  habe  bis  jetzt  noch  nichts 
gesehen,  was  für  einen  solchen  Zusammenhang  spräche.  Faulenzer  erkranken 
so  gut  wie  Arbeitsame.    Es  kommt  aber  oft  vor,  daß  Schizophrene  im  ersten 


1)  Schizophrene  scheinen  seltener  venerisch  infiziert  als  geistig  Gesunde,  und  das 
trotz  ihrer  Hemmungslosigkeit  oder  Sorglosigkeit. 

2)  Soweit  das  Wochenbett  in  Betracht  kommt,  läßt  sich  leicht  beweisen,  daß 
Reichardt  Unrecht  hat:  das  Puerperium  dauert  etwa  den  zehnten  Teil  der  GraviditÄt. 
Es  kommen  aber  vielleicht  zehnmal  soviel  Wochenbettpsychosen  in  die  Anstalt  wie 
Schwangerschaftspsychosen;  und  doch  gibt  es  nicht  mehr  Puerperien  als  Schwanger- 
schaften. 

*)  Roubinowitch  und  Levaditi  haben  neuUch  im  Serum  von  15  Schizophrenen 
in  drei  Fällen  positiven  Wassermann  gefunden. 


Ursachen. 


281 


Stadium  der  Krankheit  einen  Schaffenseifer  entwickeln,  der  keine  Rüclcsicht  auf 
Umstände  und  Leistimgsfähigkeit  nimmt,  oder  daß  gerade  das  Nachlassen  der 
Leistimgsfähigkeit  eine  stärkere  Anstrengung  notwendig  macht.  Die  „Uber- 
anstrengimg"  ist  dann  Symptom  und  nicht  Ursache  der  Krankheit.  Viel  häufiger 
allerdings  ist  sie  nichts  als  Entschuldigung  der  Krankheit  und  der  Famihen- 
anlage  von  Seite  der  Angehörigen,  oder  Entschuldigung  für  die  Unkenntnis  der 
Ursachen  von  Seite  des  Arztes. 

In  ähnhcher  Weise  werden  auch  bestimmte  Neigungen, Arten  der  Lebens- 
führung, „Leidenschaften",  der  Erzeugung  der  Krankheit  beschuldigt. 
Der  eine  soll  krank  geworden  sein,  weil  er  den  aufregenden  Beruf  als  Schau- 
spieler ergriffen,  der  andere,  weil  er  so  unregelmäßig  gelebt,  immer  den  Beruf 
gewechselt  hat,  der  dritte,  weil  er  das  Reisen  als  Leidenschaft  betreibt.  Sieht  man 
genauer  zu,  so  findet  man  nicht  den  leisesten  Grund  zu  einer  solchen  Vermutung. 
Schizophrene  nehmen  weniger  Rücksicht  auf  die  Wirkhchkeit,  im  Guten  wie 
im  Schhmmen,  werden  diu-ch  ihren  Autismus  selbständiger  im  Denken  und 
Handeln ;  sie  sind  viel  eher  geneigt,  eine  Idee  durchzuführen  als  andere,  die  durch 
gute  imd  schlechte  Rücksichten,  Herdengeist,  Suggestibilität  gegenüber  der 
Denkweise  der  Mehrheit,  überhaupt  größere  Anpassungsfähigkeit  an  das  Miheu 
wie  es  ist,  daran  verhindert  werden.  Alle  neuen  Bewegungen  ziehen  die  latent 
Schizophrenen  zuerst  an  und  werden  von  ihnen  gefördert  und  gefährdet  zugleich. 
So  erklärt  es  sich,  daß  von  den  „Stürmern  und  Drängern"  mehrere  krank  „wur- 
den", nicht  aber  dadurch,  daß  die  Teilnahme  an  der  Bewegung  sie  krank 
gemacht  hätte. 

Nicht  unter  allen  Umständen  von  der  Hand  zu  weisen  ist  eine  ätiologische 
Bedeutung  der  Unbefriedigtheit  mit  dem  Leben.  Es  ist  ja  wahrscheinhch, 
daß  solche  psychische  Reize  die  Krankheit  manifest  machen  können.  Gewöhnlich 
aber  verhält  es  sich  auch  da  so,  daß  die  Leute  mit  ihrem  Beruf  und  ihrer  Stellung 
nie  zufrieden  werden,  weil  sie  eben  krank  sind. 

Ob  es  überhaupt  psychische  Ursachen  der  Schizophrenie  gibt,  ist  noch 
nicht  mit  Sicherheit  zu  entscheiden;  es  ist  aber  wahrscheinhch  zu  verneinen. 
Man  fmdet  bei  guten  Anamnesen  so  regelmäßig  Zeichen  der  Krankheit  vor  dem 
psychischen  Trauma,  daß  es  schwer  wird,  diesem  eine  ursächliche  Bedeutung  zu 
geben.  In  den  meisten  Fällen  ist  es  denn  auch  ohneweiters  Idar,  daß  das  unglück- 
hche  Liebesverhältnis,  die  Zurücks etzimg  im  Amt  usw.  Folge  mid  nicht  Ursache 
der  Krankheit  war,  wenn  überhaupt  ein  Zusammenhang  besteht. 

Und  doch  taucht  die  Idee  der  psychischen  Ätiologie  der  Krankheit  immer 
wieder  auf,  einesteils,  weil  sich  diese  zu  häufig  an  ein  imangenehmes  Erleb- 
nis anschheßt,  andernteils  weil  auch  nach  dem  manifesten  Ausbruch  Ver- 
schlimmerungen imd  Besserungen  unzweifelhaft  von  psychischen  Einflüssen 
abhängig  sind,  und  weil  auch  die  Symptome  auf  den  Zusammenhang  mit  dem 
Erlebnis  hinweisen,  indem  die  verschmähte  Liebende  in  den  Delirien  ihre  Wünsche 
befriedigt  oder  Stereotypien  produziert,  die  wenigstens  eine  sjonboUsche  Be- 
schäftigung mit  dem  Gegenstand  ihres  Verlangens  gestatten. 

Aus  all  dem  geht  imzweifelhaft  hervor,  daß  psychische  Erlebnisse  —  natür- 
lich fast  immer  unangenehmer  Natur  —  schizophrene  Syndrome  bewirken  können. 
Es  ist  aber  im  höchsten  Grade  unwahrscheinlich,  daß  die  Krankheit  dadurch 
wu-klich  hervorgebracht  werde.  Die  psychischen  Ereignisse  lösen  die  Svmptome 


282 


Schizophrenie. 


nicht  aber  die  Krankheit  aus,  etwa  wie  eine  Anstrengung  bei  einem  Phthisiker 
eine  Lungenbkitung  auslösen  kann,  wenn  die  Gefäße  bereits  arrodiert  sind 
Allerdmgs  stimmt  dieser  Vergleich  msofern  nicht  ganz,  als  es  sich  bei  den  Sym- 
ptomen der  Schizophrenie  nicht  um  eine  bloße  Schädigung  handelt,  sondern  um 
eine  Reaktion  unter  veränderten  Umständen,  eine  Reaktion,  die  sich  prinzipieU 
nicht  von  einer  normalen  unterscheidet. 

So  nehmen  wir  nicht  an,  daß  ein  FaU  ins  Wasser  die  Ursache  der  sich  an- 
schheßenden  Schizophrenie  gewesen  sei,  sondern  wenn  er  nicht  bereits  Symptom 
war,  so  hat  wohl  der  Schreck  die  schon  veränderte  Psyche  zu  einer  abnormen 
Reaktion  veranlaßt. 

Ebenso,  wenn  die  manifeste  Krankheit  nach  zufälhgem  Zusammentreffen 
mit  der  früheren  Verlobten  auftritt  und  später  nach  einigen  Jahren  guter  Inter- 
mission  wieder  bei  gleichem  Anlaß  zum  Vorschem  kommt. 

In  der  gleichen  Weise  haben  wir  auch  die  meisten  oder  alle  schizophi-enen 
Gefängnispsychosen  aufzufassen,  bei  denen  allerdings  recht  häufig  ein 
eigenthcher  Krankheitsschub  mitbestimmend  sein  wird. 

Wie  psychische  Anlässe  wirken  können,  zeigt  sich  z.  B.  in  einem  Falle,  wo 
ein  Mediziner  während  beider  propädeutischer  Examina  und  vor  dem  Schlußexamen 
je  einen  Anfall  von  Katatonie  bekam.  Ein  als  normal  geltender  Mann  erkrankte 
viermal  bei  Anlaß  des  Militärdienstes  an  leichten  Wahnideen.  Ein  Ingenieur  bekam 
halluzinatorische  Anfälle,  als  er  aus  pohtischen  Gründen  eingesteckt  wurde,  und 
gleiche,  als  sich  seine  Frau  von  ihm  scheiden  ließ.  Eine  Dame,  die  sich  zu  Hause 
noch  halten  konnte,  bekam  jedesmal  eine  Aufregung,  wenn  ihr  etwas  abgeschlagen 
wurde,  z.  B.  die  Teilnahme  an  einem  Ball,  an  einer  Gesellschaft.  Der  letztere  Fall 
zeigt  den  Übergang  zu  den  in  den  Anstalten  so  häufigen  vorübergehenden  Auf- 
regungen bei  irgend  einer  Unannehmlichkeit. 

Eine  besondere  Beachtung  verdient  die  Induktion.  Ins  Bm'gLölzIi 
wurden  einmal  vier  Geschwister  gebracht,  die  die  gleichen  Verfolgimgs-  und 
religiösen  Wahnideen  hatten.  Es  stellte  sich  heraus,  daß  eine  Schwester,  die 
intelligenteste  der  viere,  zuerst  erkrankt  war  mid  ihre  Wahnideen  den  anderen  auf- 
oktroiert  hatte.  Sie  verblödete  ziemhch  weitgehend  und  bekam  später  katatone 
Symptome.  Eine  zweite  Schwester  kam  zm'  Entlassung,  mußte  aber  später 
wieder  aufgenommen  werden.  Zwei  Brüder  hielten  sich  nach  der  Entlassmig 
draußen.  Es  ist  unzweifelhaft,  daß  die  beiden  Schwestern  an  eigenthcher  Schizo- 
phrenie leiden;  wir  haben  aber  auch  guten  Grund  anzunehmen,  daß  die  anderen 
beiden  Geschwister  ebenfalls  schizophren  sind,  nicht  nur,  weil  sie  nachher  nicht 
ganz  heilten,  sondern  weil  ihre  Lebensführung  auch  vorher  schon  darauf  hin- 
deutete. Bei  einer  andern  Famihe  übertrug  die  Mutter  ihre  Größenideen  auf  die 
beiden  Töchter,  von  denen  die  eine  deuthch  schizophren  war,  die  andere  sich 
von  der  Unrichtigkeit  ihrer  Ideen  überzeugen  ließ  und  dann  keine  Krankheits- 
symptome mehr  zeigte. 

Wir  müssen  also  die  Möglichkeit  annehmen,  daß  ein  energischer  Kranker 
anderen  Famihengliedern  seine  Wahnideen  suggerieren  kann,  wenn  sie  mit  den 
Komplexen  (Wünschen  imd  Befürchtungen)  dieser  im  Emklang  stehen.  Zur 
Ausbildimg  einer  Schizophrenie  wird  es  aber  nur  dann  kommen,  wemi  diese 
Krankheit  auch  sonst  in  dem  Individuum  steckt.  Die  Induktion  hat  dann  nicht 


i 


Ursachen. 


283 


die  Krankheit  als  solche,  sondern  ihre  Wahnideen  und  damit  vielleicht  auch  den 
manifesten  Ausbruch  der  Krankheit  bestimmt. 

Natürlich  hat  man  alle  möglichen  Vorkommnisse  im  menschlichen  Leben  als 
Ursache  der  jetzt  zur  Schizophrenie  gezählten  Psychosen  beschrieben.  "Man  schickt 
uns  „eine  religiöse  Manie,  hervorgegangen  aus  einem  Uterusleiden",  wobei  es  genügt, 
zu  bemerken,  daß  wir  nicht  den  Schatten  eines  Anhaltspunktes  haben,  die  Schizo- 
phrenie direkt  mit  Genitalleiden  in  Verbindung  zu  bringen  (den  Weg  durch  die 
Psyche  im  oben  dargelegten  Sinne  natürlich  vorbehalten).  —  Auf  Vorstellungen 
einzugehen,  wie  die,  die  Krankheit  komme  davon,  daß  die  jungen  Leute  nicht 
mehr  folgen  (Journ.  ment.  sc.  1904-,  S.  272),  verbietet  die  Rücksicht  auf  den  Leser, 


X.  Abschnitt. 

Die  Theorie. 


1.  Kapitel. 
Die  Theorie  der  Symptome. 

Die  Psychopathologie  der  Schizophrenie  ist  wohl  eine  der  anziehendsten, 
gestattet  sie  doch  die  vielseitigsten  Einblicke  in  das  Eäderwerk  der  kranken  wie 
der  gesunden  Psyche.  Ohne  Hypothesen  freilich  ist  auch  hier  so  wenig  aus- 
zukommen wie  bei  der  Theorie  anderer  Psychosen.  In  der  folgenden  Darstellung 
muß  es  indes  zur  Vermeidung  von  Weitschweifigkeit  dem  Leser  überlassen 
bleiben,  sich  jedesmal  die  nötigen  Vorbehalte  hinzuzudenken;  ich  hoffe,  ihm 
diese  Aufgabe  nicht  zu  schwer  gemacht  zu  haben.  Ferner  ist  im  Auge  zu  behalten, 
daß  auch  für  den  Fall,  daß  alle  unsere  Voraussetzungen  richtig  sein  sollten,  nur 
ein  kleiner  Teil  aller  der  Mechanismen  bekannt  wäre,  die  zur  Symptomatologie 
der  Krankheit  beitragen.  Umgekehrt  ist  es  selbstverständUch,  daß  niemand 
Anspruch  machen  kann,  jetzt  schon  alles  oder  nur  den  größten  Teil  der  Symptome 
zu  erklären. 

Primäre  und  sekundäre  Symptome. 

Eine  physisch  bedingte  Psychose  können  wir  nur  verstehen,  wenn  wir  die 
direkt  dem  Krankheitsprozeß  entspringenden  Symptome  unterscheiden  von 
den  sekundären,  die  erst  entstehen  durch  die  Reaktion  der  Iccanken  Psyche  auf 
irgendwelche  inneren  und  äußeren  Vorgänge.  Bei  einer  Kranlcheit  wie  der  Osteo- 
malacie  bilden  die  chemischen  und  physiologischen  Prozesse,  inklusive  der  Ent- 
kalkung der  Knochen,  den  Krankheitsprozeß ;  die  Widers  tan  dslosigkeit  der 
Knochen  ist  eine  direkte  Folge  der  Knochenveränderung;  eine  Verbiegung  oder 
ein  Knochenbruch  aber  tritt  erst  ein  durch  äußere  Einwirkung;  diese  letzteren 
Erscheinungen  sind  nicht  Folge  des  Krankheitsprozesses  an  sich,  sondern  Folge 
des  veränderten  Verhaltens  der  Knochen  gegenüber  akzessorischen  Einflüssen. 
Eine  Kontinuitätstrennung  des  Abduzens  ist  eine  Krankheit,  die  Lähmung  der 
Augenbewegung  nach  außen  die  direkte  und  notwendige  Folge  derselben  (pri- 
märes oder  direktes  Symptom).  Die  Kontraktur  des  Internus  und  die  falsche 
Lokalisation  der  Gresichtsbilder  sind  sekundäre  (indirekte)  Symptome,  entstanden 
durch  physiologische  Reaktionen  des  Organismus  auf  die  veränderten  Umstände. 

Die  primären  Symptome  sind  notwendige  Teilerscheinungen  einer  Krank- 
heit; die  sekundären  können,  wenigstens  potentia,  fehlen  oder  wechseln,  ohne  daß 
der  Krankheitsprozeß  sich  zugleich  ändert. 


Theorie.  Primäre  Symptome. 


285 


Fast  die  gesamte  bis  jetzt  beschriebene  Symptomatologie  der 
Dementia  praecox  ist  eine  sekundäre,  in  gewiss^em  Sinne  zufalhge. 
Die  Krankhe^  kann  deshalb  lange  Zeit  symptomlos  Weihen.  Welche  Sjanptome 
entstehen  ob  ein  chronischer  Schizophrene  gerade  heute  ruhig  arbeitet  oder 
Wumbumme^^  oder  sich  zankt,  ob  er  reinlich  ist  oder  schmiert,  das  hangt  meis 
von  et  er  Menge  aktueller  und  vorausgegangener  Erlebnisse  ab  und  nicht  direkt 
von  der  Kranlleit.  Irgend  ein  affektbetontes  Ereignis  löst  emen  haUuzinatorischen 
Aufregungszustand  aus.  Eine  Versetzung  kann  die  HaUuzinationen  zum  Ver- 
schwinden bringen.  Die  Affekte,  die  jahrelang  vollständig  zu  fehlen  schienen, 
können  bei  gewissen  Gelegenheiten  plötzlich  in  normaler  Weise  funktiomeren.  - 
Kein  Schizophrene  kann  ferner  die  Wahnidee  bekommen,  Fräulem  N.  woUe  ihn 
heiraten,  wenn  er  nicht  von  Fräulein  N.  gewußt  hat,  und  ich  möchte  hinzufugen, 
wenn  nicht  noch  andere  Erlebnisse  seine  Wünsche  oder  Befürchtungen  m  dieser 
Richtung  determiniert  haben.  Keiner  wird  halluzinieren,  die  Jesuiten  verfolgen 
ihn,  wenn  er  nicht  etwas  von  der  Bedeutung  der  Jesuiten  gehört  hat.  Der  Inhalt 
der' Wahnideen  imd  Halluzinationen  ist  also  undenkbar  ohne  bestimmte  äußere 
Erlebnisse;  die  Symptome  selbst  ohne  Inhalt  sind  aber  unmöglich.  Es  kann 
also  (ganz  abgesehen  vom  auslösenden  Anlaß)  Halluzination  und  Wahmdee 
nicht  direkt  dem  Krankheitsprozeß  entspringen,  dieser  schafft  nur  die  Disposition, 
auf  der  psychische  Vorkommnisse  das  SjTuptom  entwickebi^). 


A.  Die  primären  Symptome. 

Mt  Sicherheit  kennen  wir  die  primären  Symptome  der  schizophrenen 
Himaffektion  noch  gar  nicht.  Immerhin  dürfen  wir  mit  Wahrscheinlichkeit 
eine  Anzahl  einfacherer  Erscheinungen  dazu  rechnen;  vor  allem  einen  Teil  der 
Assoziationsstörungen.  Es  ist,  wie  wenn  die  durch  Erfahrung  gebahnten 
Verbindungen  und  Hemmungen  an  Bedeutung  eingebüßt  hätten.  Die  Assoziationen 
gehen  viel  leichter  in  neue  Bahnen,  folgen  also  nicht  dem  durch  die  Erfahrung 
vorgezeichneten,  d.  h.  logischen  Wege.  J  u  ng  macht  allerdings  darauf  aufmerksam, 
daß  auch  bei  Gesunden  in  der  Zerstreutheit  und  im  unbewußten  Denken  ähnliche 
imgewohnte  Bahnen  eingeschlagen  werden.  Aber  so  weit  wie  bei  der  Schizophrenie 
geht  es  doch  in  keinem  solchen  Falle  (nur  der  Traum  bildet  wahrscheinlich  ein 
genügendes  Analogen  in  der  gesimden  Psyche).  Man  findet  namentlich  in  akuten 
Zuständen  der  Schizophrenie  oft  eine  so  vollständige  Zerstückelung  des  Gedanken- 
ganges, daß  es  zu  keiner  fertigen  Idee  vuid  wohl  zu  Bewegungen,  aber  nicht  zum 
Handeln  kommen  kann.  Dabei  werden  sogar  Begriffe  wie  Vater  und  Mutter 
verschwommen.  Solche  Verwirrtheiten  sehen  wir  denn  auch  am  ehesten  ohne 
psychischen  Anlaß  auftreten;  sie  bilden  oft  den  Gipfel  der  Kurve  einer  subakut 
verlaufenden  schizophrenen  Phase.  Manchmal  sind  sie  von  einem  Symptomen- 
komplex begleitet,  den  wir  als  Zeichen  einer  Infektion  oder  Autintoxikation 
anzusehen  gewohnt  sind:  belegte  trockene  Zunge,  Faligo,  Verdauungsstörung, 

^)  Ea  gibt  allerdings  Leute,  die  sich  vorstellen,  irgend  ein  Gehimreiz  köime  diejenigen 
Systeme  (oder  horribile  dictu  diejenigen  Einzelzellen)  am'egen,  in  denen  gerade  die  Vorstellung 
der  Jesuiten  oder  einer  bestimmten  Drohung  durch  Jesuiten  „aufgespeichert"  sei.  Dies  ist  nahezu 
80  wahrscheinlich,  wie  wenn  man  durch  mechanische  Reizung  des  Akustikus  ein  Gedicht  hören 
lassen  wollte. 


286 


Schizophrenie. 


Abnahme  der  Kräfte,  des  Körpergewichtes,  grober  Tremor,  hie  und  da  etwas 
Fieber,  vielleicht  auch  Brucesche  Leukozytose,  Aus  all  dem  wird  es  wahr- 
scheinlich, daß  diese  Arten  von  Verwirrtheit  der  direkte  Ausfluß  der  Steigerung 
des  Krankheitsprozesses  sind,  und  folglich  die  geringeren  Grade  der  gleichen 
schizophrenen  Assoziationszerspaltung,  wie  wir  sie  überall  treffen,  ein  primäres 
Symptom  darstellen.  Wir  halten  also  die  Assoziatio  nsstör  u  ng  für  pri  mär, 
soweit  es  sich  um  Herabsetzung  oder  Nivellierung  der  Affinitäten 
handelt;  sekundär  sind  die  Sperrungen  und  die  systematischen 
Spaltungen. 

Eindruck  des  primären  machen  auch  die  Benommenheitszustände, 
in  denen  die  Kranken  sich  Mühe  geben,  ihre  Gedanken  oder  ihre  Bewegungen 
zu  irgend  einem  bestimmten  Zweck  zu  sammeln  und  doch  nichts  zustande  bringen. 
Gewöhnlich  haben  wir  auch  da  einen  relativ  groben  Tremor,  ferner  Kraftlosig- 
keit und  eine  gewisse  Ungeschicklichkeit  der  Bewegungen.  Man  kann  diese 
Kranken,  soviel  ich  weiß,  nicht  wecken ;  sie  bleiben  so,  bis  der  Anfall  abgelaufen 
ist,  ohne  auf  psychische  Einflüsse  mit  wesentlicher  Änderung  des  Zustandes 
zu  reagieren.  Hier  scheint  eine  allgemeine  Hinderung  der  zentralen  Vorgänge^), 
irgend  ein  Torpor  zu  bestehen.  Man  bekommt  denn  auch  oft  den  Eindruck, 
wie  wenn  die  Kranken  an  Hirndruck  litten,  und  wenn  solche  Patienten  zur  Sektion 
kommen,  findet  man,  wie  es  scheint  gewöhnlich  (oder  immer?)  Hirnödem^)  oder 
ein  sehr  straffes  Piaödem.  Ich  glaube  also,  daß  wir  in  gewissen  Benommenheits- 
zuständen  einen  Symptomenkomplex  vor  uns  haben,  der  in  seinen  wesent- 
lichen Bestandteilen  nicht  auf  dem  Umweg  durch  die  Psyche  gebildet  wird. 
Wir  wissen  aber  noch  nicht  sicher,  ob  die  ihm  zugrundeliegende  Hirnveränderung 
dem  schizophrenen  Prozeß  selber  angehört  oder  einer  sekundären  Komplikation 
desselben;  das  Piaödem  könnte  z.  B.  die  Folge  einer  schizophrenen  Vasomotorius- 
störung  sein,  wie  man  sie  für  die  anderen  Ödeme  bei  dieser  Krankheit  annimmt. 
Jedenfalls  kommen  diese  Erscheinungen  nicht  in  jedem  Falle  vor. 

Eine  besondere  Stellung  nehmen  unter  den  akuten  Bildern  die  melan- 
cholischen und  manischen  Anfälle  ein.  Wir  wissen,  daß  der  Zustand  des 
Körpers,  Verdauung,  chemische  Einflüsse  (Alkohol)  Affektschwankimgen  im 
Sinne  der  Manie  und  der  Depression  hervorbringen  können,  und  wir  müssen 
annehmen,  daß  Hirnveränderungen  das  Gleiche  bewirken  (Paralyse).  Auch  bei 
der  Schizophrenie  werden  wohl  AffektweUen  vorkommen,  die  irgendwie  organisch 
bedingt  sind.  Während  man  in  einzelnen  Fällen  den  Eindruck  bekommt,  es 
handle  sich  um  eine  KompUkation  mit  manisch-depressivem  Irresein,  scheinen 
die  meisten  manischen  Anfälle  dem  schizophrenen  Krankheitsprozeß  selbst 
anzugehören.  Bei  den  melancholischen  Zuständen  werden  wir  außerdem  oft 
sekundäre  (d.  h.  psychische)  Genese  treffen:  Depression  infolge  von  Krankheits- 
bewußtsein oder  von  Angstzuständen  und  ähnliches. 

Jahr  märker  führt  unter  den  primären  Erscheinungen  wahrschemlich 
mit  Eecht  auch  die  Disposition  zu  Halluzinationen  an.  Doch  treffen 
wir  Sinnestäuschungen  bei  den  verschiedensten  Himprozessen,  bei  Vergiftungen 
und  im  Traume  des  Gesunden;  wir  sehen  bei  Künstlernaturen  den  Unterschied 


1)  Natürlich  nicht  im  Sinne  der  manisch-depressiven  Hemmiingen. 

2)  Respektive  eine  andere  Ai't  Hirnschwellung  (Reichnrdt). 


Theorie.  Primäre  Symptome. 


287 


zwischen  Vorstellung  und  Wahrnehmung  sich  oft  recht  stark  verwischen.  So 
ist  es  nicht  auszuschließen,  daß  die  halluzinatorische  Disposition  etwas  in  jeder 
Psyche  Vorhandenes  ist,  und  daß  die  Schizophrenie,  wie  viele  andere  Um- 
stände, dieselbe  nur  mauifest  macht^).  Mit  größerer  Wahrscheinlichkeit 
können  wir  mit  Jahr  märker  bei  der  Tendenz  zur  Stereotypie  eine 
direkt  dem  Krankheitsprozeß  entspringende  Wurzel  annehmen  (siehe  unter 
Theorie  der  Stereotypien). 

Hinter  einem  Teil  der  übrigen  katatonen  Symptome  wird  man 
vielleicht  auch  einmal  eine  allgemeine  Tendenz  finden,  die  als  primäres  Symptom 
gelten  muß.  Wie  wir  später  sehen  werden,  sind  allerdings  auch  die  katatonen 
Symptome  nicht  unabhängig  von  zufäUigen  Einwirkungen.  Aber  die  chronischen 
katatonen  Symptome  haben  eine  so  unzweifelhaft  schlimme  prognostische 
Bedeutung,  daß  es  zu  nahe  liegt,  sie  als  Ausdruck  irgend  eines  schweren  Büm- 
prozesses  aufzufassen. 

Von  den  körperlichen  Symptomen  sind  zunächst  zu  erwähnen  die  Todes- 
fälle mit  den  Erscheinungen  von  Hirnlähmung  und  die  Störungen  des  Stoff- 
wechsels, die  bis  zum  Tod  an  Marasmus  führen  können. 

Mit  Wahrscheinlichkeit  sind  als  organisch,  d.  h.  als  primär  zu  deuten 
die  Pupillendifferenzen  (während  die  symmetrischen  Anomalien  der  Pu- 
pillenweite auch  psychisch  begründet  sein  können).  Abgesehen  von  der  gewöhn- 
lichen Auffassung  dieses  Symptoms 2)  kommt  der  Deutung  noch  der  Umstand 
zu  Hilfe,  daß  wir  —  allerdings  an  noch  zu  kleinem  Material  (Zablocka)  —  die 
Pupillendifferenzen  bei  schlechterem  Ausgang  fanden  als  die  anderen  Pupillen- 
störungen. Sie  wären  also  ebenfalls  Ausdruck  einer  stärkeren  Hirnaffektion. 

Der  Tr  emor,  der  in  akuten  Zuständen  manchmal  dem  grobschlägigen 
Zittern  der  Fiebernden  ähnlich  sieht  und  in  den  chronischen  unabhängig  von 
Aufregungen  oder  Anstrengungen  besteht,  kann  auch  nur  organisch  gedeutet 
werden,  ebenso  die  fibrillären  Zuclcungen.  Wahrscheinlich  gehört  hierher  auch 
die  Steigerung  der  idiomuskulären  Erregbarkeit,  ferner  manches  hartnäckige 
Kopfweh  und  der  Schwindel,  die  oft  die  Krankheit  begleiten  und  noch 
häufiger  ihr  vorangehen. 

'Die  Anomalien  des  Vasomotorius  könnten  sekundär  ausgelöst  sein. 
Oft  aber  sind  sie  in  gar  keinem  Verhältnis  zu  den  Störungen  der  Affektivität, 
oder  sie  beschränken  sich  nur  auf  einzelne  Körperteile,  so  daß  man  den  Eindruck 
bekommt,  ein  Teil  derselben  sei  direktes  S.ymptom  einer  Störung  im  Zentral- 
nervensystem. 

Ebenso  müssen  die  Ödeme  aufgefaßt  werden.  Ein  Teil  derselben  scheint 
durch  deii  Krankheitsprozeß  direkt  bedingt  zu  sein. 

Organisch  bedingt  scheinen  auch  manche  katatone  Anfälle,  besonders 
wenn  sie  von  Parese  einzelner  Muskelgruppen  gefolgt  sind.  Eine  psychogene 
Entstehung  erscheint  bei  vielen  ausgeschlossen,  ganz  abgesehen  davon,  daß 
die  AnfaUe  oft  nicht  zu  unterscheiden  sind  von  den  Anfällen  bei  Epilepsie  und  bei 
Apoplexien. 

.      Bei  den  Scliizophrenen  ist  ja  der  Unterschied  von  Wirkliclikeit  und  Vorstellung  auch 
sonst  durch  die  Spaltung  der  Psyche  herabgesetzt  -  oft  bis  auf  Null  ^ 

ln„o  •  )  ^""^"^^'^  g^^t  es  bei  Migräne  eine  Pupillendifferenz,  bei  der  eine  organische  Grund- 
lage nicht  angenommen  werden  muß.  "igcimscne  v^runa- 


288 


Schizophrenie. 


Mit  diesen  Wahrscheinlichkeiten  ist  wohl  alles  gesagt,  was  wir  über  primäre 
Symptome  der  Schizophrenie  wissen. 

B.  Die  sekundären  Symptome, 
a)  Die  einzelnen  Symptome. 

Sekundär  sind  zunächst,  als  direkte  Folge  der  Lockerung  der  Assoziationen: 
der  Gebrauch  bloßer  Begriffsbruchstücke  zum  Denken  mit  seinen 
unrichtigen  Eesultaten,  die  Verschiebungen,  Symbolisierungen, 
Verdichtungen,  die  Zerfahrenheit  des  Denkens. 

Ferner  sind  die  Sperrungen  im  Entstehen  wie  im  Vergehen  von  psy- 
chischen Einflüssen  abhängig;  sie  können  also  nicht  dem  fortdauernden  Krank- 
heitszustand angehören  ^) . 

Das  Systematische  in  der  Spaltung  der  Assoziationen  kann 
nur  insofern  direkt  mit  dem  Kranlvheitsprozeß  zusammenhängen,  als  die  kom- 
plizierteren und  weniger  geübten  Funktionen  eher  zerfallen  als  die  anderen. 
Obwohl  ein  solches  Verhalten  in  manchen  akuten  Fällen  und  bei  sehr  genauem 
Zusehen  auch  zweiten  in  chronischen  Zuständen  nachzuweisen  ist,  so  springt  doch 
viel  häufiger  eine  ganz  andere  Spaltung  in  die  Augen:  in  scheinbar  ganz  un- 
regelmäßiger Weise  werden  einfache  wie  komplizierte  psychische  Gebilde  zerlegt ; 
unter  Umständen  werden  die  nächstliegenden  Assoziationen  vmterdrückt,  während 
daneben  Funktionen,  wie  das  Verstehen  wissenschaftlicher  Probleme,  untadelhaft 
vor  sich  gehen.  Diese  Art  Spaltung  hat  ihre  rein  psychischen  Gesetze:  die- 
jenigen Funktionen  werden  gestört,  die  in  Konflikt  kommen  mit 
gewissen  affektiven  Bedürfnissen  des  Patienten. 

Die  Neigung  zu  Assoziationsunterbrechung  und  Anknüpfung  ungewohnter 
Assoziationen  ist  also  wohl  eine  primäre;  die  Auswahl  der  Assoziationen  aber, 
die  in  concreto  gestört  werden,  wird  meist  sekundär  durch  die  affektbetonten 
Komplexe  bestimmt^). 

Zu  den  sekundären  Symptomen  zähle  ich  vorläufig  auch  die  Affektstörung, 
weiß  mich  aber  dabei  im  Widerspruch  mit  der  gewöhnlichen  Auffassung  der 
schizophrenen  Verblödung.  Meine  Gründe  sind  folgende:  Eine  wirkliche  Vernich- 
tung der  Affektivität  ist  auch  in  den  schwersten  Fällen  nicht  nachzuweisen ;  die 
fehlende  Funktion  kann  bei  eingehender  Untersuchung  des  Patienten,  bei  Antönung 
seiner  Komplexe,  bei  komplizierender  Hirnatrophie  wieder  manifest  werden. 

In  mittelschweren  Fällen  ist  die  Affektivität  in  einer  Weise  gestört,  wie  es 
einer  allgemeinen  Abschwächung  der  Fimktion  nicht  entsprechen  kann:  die 

1)  iNicht  unter  aUen  Umständen  ist  die  Abhängigkeit  eines  Symptoms  vom  psy- 
chischen Zustand  Beweis  für  dessen  sekundäre  Genese:  In  Auf regungen  wken  Schlafmittel 
schlecht  oder  gar  nicht;  eine  Narkose  wird  durch  den  psycliischen  Zustand  beemfliißt. 
Der  Berauschte  kann  plötzlich  nüchtern  werden,  nachdem  er  das  angestellte  Unglück  er- 
kannt hat.  j-   -^^  • 

2)  In  analoger  Weise  sehen  wir  bei  der  senilen  Gedächtnisschwache  die  l^rimierung 
zuerst  und  am  häufigsten  da  versagen,  wo  sie  mit  unangenehmen  Gefühlen  betont  ist  Ebenso 
kann  mancher  Paralytiker  sich  noch  ganz  gut  orientieren,  nur  die  ominöse  Irrenanstalt  sieht  er 
trotz  aUer  Gegenbeweise  für  ein  Hotel  an.  -  Ein  leichter  Reizzustand  des  Kehlkopfes  braucht 
keinen  Husten  zu  bedingen.  Dieser  wd  erst  ausgelöst  durch  Einatmen  yeninremigter  Luft  oder 
durch  eine  unangenelmie  psychische  Situation. 


Theorie.  Entstehung  der  sekundären  Symptome. 


289 


einen  Affekte  sind  da,  die  anderen  nicht,  und  zwar  ist  die  Auswahl  so,  daß  das 
Vorhandensein  der  einzelnen  nur  aus  psychischen  Ursachen  erklärbar  ist.  Auch 
zeitlich  wechseln  die  einzelnen  Affekte  wie  der  Zustand  der  Affektivität  je  nach 
psychischer  Konstellation  und  Anregung. 

In  leichten  Fällen  sehen  wir  oft  eine  Hyperfunktion  der  Affektivität,  nicht 
nur  Empfindlichkeit,  sondern  allgemeine  Empfindsamkeit. 

Das  genauere  Studium  der  Affektivität  überhaupt,  bei  Menschen  und 
Tieren,  bei  Gesunden  und  Kranken,  scheint  eine  isolierte  Vernichtung  einer  so 
primären  Funktion  bestimmt  auszuschließen. 

Ganz  selbstverständlich  sind  sekundär  die  bekannten  Störungen  des 
Gedächtnisses  und  der  Orientierung,  die,  wenn  überhaupt,  ausschließlich 
im  Sinne  bestimmter  Komplexe  auftreten,  und  die  Automatismen  (inklusive 
Zwangsgedanken  usw.),  die  nur  auf  Grund  einer  gewissen  Selbständigkeit  be- 
stimmter Komplexe  entstehen  können. 

Daß  die  Störungen  der  komplizierten  Funktionen  der  Intelligenz  (Blöd- 
sinn und  Wahnideen),  der  Synthese  der  Person,  des  Verhältnisses 
zur  Wirklichkeit  (Autismus)  und  des  Strebens  (Unberechenbarkeit, 
Abulie)  nur  im  Zusammenhang  mit  den  schon  genannten  sekundären  Sym- 
ptomen verständlich,  also  zum  allergrößten  Teil  selbst  sekundäre  Erscheinungen 
sind,  bedarf  ebenfalls  keines  Beweises.  Auch  der  Negativismus  ist  gewiß  ein 
ganz  kompliziertes  sekundäres  Phänomen. 

Wie  oben  ausgeführt,  gibt  es  noch  eine  Anzahl  Symptome,  zu  deren  Ent- 
stehen gewisse  sekundäre  Mechanismen  notwendig  sind,  bei  denen  wir  aber  zur 
Zeit  außerdem  eine  weitere  Ursache  voraussetzen  müssen,  die  nur  als  primäre 
Disposition  zu  bezeichnen  ist:  hierher  gehören  die  Halluzinationen,  die 
Stereotypien,  die  Katalepsie. 


b)  Die  Entstehung  der  sekundären  Symptome. 

Überblick.  Die  Lockerung  der  Assoziationen  bewirkt  einerseits,  daß 
von  der  Erfahrung  abweichende,  also  unrichtige  Bahnen  des  Denkens  ein- 
geschlagen werden,  andererseits,  daß  mit  Bruchstücken  von  Ideen  operiert 
werden  muß.  Aus  der  letzteren  Abnormität  ergeben  sich  die  Verschiebungen,  Ver- 
dichtungen, Verwechslungen,  die  Verallgemeinerungen,  die  Assoziationen  nach 
entfernter  Klangähnlichkeit,  die  Zerfahrenheit  und  unrichtige  logische  Ver- 
knüpf imgen. 

Die  Schwäche  der  logischen  Funktionen  gibt  den  Affekten  ein  relatives 
Ubergewicht.  Unangenehm  betonte  Assoziationen  werden  im  Entstehen  unter- 
drückt (Sperrungen);  was  dem  Affekt  widerspricht,  wird  abgespalten.  Daraus 
entstehen  wiederum  logische  Schnitzer,  die  u.  a.  die  Wahnideen  bedingen,  und 
vor  allem  wird  dadurch  eine  Zerklüftung  der  Psyche  nach  affektbetonten  Kom- 
plexen be^virkt.  Die  dem  Patienten  unangenehme  Wirklichkeit  wird  im  Autismus 
abgespalten  oder  in  den  verschiedenen  Wahnformen  umgestaltet.  Die  Abwendung 
von  der  Außenwelt  kann  die  Form  des  Negativismus  aimehmen.  Die  Spaltung 
der  Assoziationen  führt  auch  zur  pathologischen  Ambivalenz,  indem  wider- 
beXflTsser,^^™^  ""^^"^  Gedanken  nebeneinander  ablaufen,  ohne  einander  zu 

Handbuch  der  Psychiatrie:  Bleuler 

19 


290 


Schizophrenie. 


Inhalt  der  Wahnideen  sind  Wünsche  und  Befürchtungen,  die  aber  durch 
die  Assoziationsstörungcni)  oft  bis  zur  Unkenntlichkeit  karikiert  werden. 
Die  gleiche  (bewußte  oder  unbewußte)  Tätigkeit  der  abgespaltenen  Komplexe 
bedingt  ferner  die  Erinnerungstäuschungen  und  den  Inhalt  der  IJalluzinationen, 
der  Manieren  und  der  meisten  oder  aller  Stereotypien. 

Die  Affektsperrung  entsteht  im  wesentlichen  dadurch,  daß  die  Affekte 
(meist  schon  in  statu  nascendi)  unterdrückt  werden,  aber  dennoch  andere  Affekte 
hemmeu.  Die  Gleichgültigkeit  wird  aber  noch  durch  andere  Umstände  vergrößert, 
so  namentlich  durch  den  Autismus  und  die  Abspaltung  gefühlsbetonter  Komplexe! 

a)  Gedankenablauf.  Spaltung. 

Ausgehend  von  der  als  primär  aufgefaßten  Assoziationsstörung  können 
wir  die  große  Mehrzahl  der  sekundären  Symptome  zwar  noch  nicht  mit  zwin- 
gender Notwendigkeit  ableiten,  aber  doch  vorläufig  unter  einheithche  Gesichts- 
punkte bringen. 

Bei  der  Schizophrenie  haben  die  eingeübten  Assoziations- 
bahnen an  Festigkeit  verloren:  Assoziationen,  die  sonst  regelmäßig 
gemacht  werden,  unterbleiben;  dafür  wird  Material  assoziiert, 
das  normaliter  nicht  mit  dem  Ausgangsgedanken  zusammenhängt. 
So  straffe  Verbindungen,  wie  die  der  wesentlichen  Teile  eines  Begriffes  können 
unbenutzt  bleiben;  dafür  können  (aber  müssen  nicht)  ganz  neue  Bahnen  ein- 
geschlagen werden:  der  Vater  denkt  in  einem  bestimmten  Zusammenhang  sich 
selbst  als  Mutter  seiner  Kinder,  indem  er  notwendige  Attribute  seiner  Person 
ignoriert  und  an  deren  Stelle  Attribute  seiner  Frau  einsetzt!  Ganz  aufgehoben 
sind  indes  die  Unterschiede  in  der  assoziativen  Affinität  niemals.  Auch  in  den 
schwersten  Fällen  geht  die  Mehrzahl  der  Assoziationen  ihre  gewohnten  Bahnen; 
denn  immer  kommen  noch  unzählige  ungefähr  richtige  Begriffe  und  Gedanken- 
stücke zustande.  Unter  welchen  Einflüssen  und  nach  welchen  Eegeln  die  Ab- 
weichungen entstehen,  wissen  wir  nur  zum  Teil :  Viele  schizophrenen  Assoziationen 
erscheinen  uns  „zufällig".  Wir  sehen  indes,  daß  systematische  Affektwirkungen 
viele  Assoziationsfäden  zerreißen  und  andere  knüpfen.  Statt  der  Begriffe  und 
Ideen  leiten  oft  nur  Bruchstücke  derselben  oder  unrichtig  zusammengesetzte 
Konglomerate  solcher  Trümmer  den  Gedankengang.  Dieser  muß  deshalb  in  vielen 
Richtungen  entgleisen. 

So  werden  die  extremen  Klangassoziationen  verständlich,  die  sich  nur 
auf  die  Gleichheit  eines  einzigen  Lautes  gründen  (Schuh  —  Schönheit2).  Worte 
mit  mehreren  gleichen  Lauten  treten  leichter  und  häufiger  füreinander  ein 3). 

1)  Und  vielleicht  auch  durch  affektive  Bedürfnisse  im  Süuie  von  Freuds  Traumzensur. 

2)  Lobsien  hat  bei  Kindern  nachgewiesen,  daß  Alliterationen,  wie  „Federkasten — 
Flasche"  oft  Anlaß  zu  festen  Assoziationen  gaben.  Immerhin  ist  es  ein  großer  Unterschied, 
ob  solche  sinnlosen  Assoziationen  im  Experiment,  das  keinen  andern  Zusammenliang  gibt, 
entstehen  oder  im  gewöhnlichen  Denken.  —  Die  AlUterationen  der  altdeutschen  Dichtung 
müssen  ähnliche  Kraft  gehabt  haben  wie  der  moderne  Reka. 

^)  Das  ist  bei  Kindern  und  im  Traum  noch  häufiger  als  in  der  Scliizoplu-eme.  Ein  Kmcl 
kann  die  Wörter  „Itahener  und  Laterne"  miteinander  verwechseln.  Ich  trämnte  einmal  den 
Gedanken:  „Mach  nur  nicht  zu  vicV,  der  in  den  Worten  ausgedrückt  wurde:  ,i¥arandon 
de  Montyer  (natürhch  brauchte  es  noch  andere  konstelliercnde  Momente,  die  die  Auswaiu 
gerade  dieses  Namens  bestimmten). 


Theorie.  Gedankcnablauf.  Spaltung. 


291 


In  gleicher  Weise  können  Begriffe  miteinander  verwechselt  werden,  die  nur 
einen  kleinen  Teil  gemeinsam  haben:  Eine  Patientin  findet,  es  sei,  wie  wenn  sie 
Küsse  schicke,  wenn  sie  den  Faden  mit  dem  Munde  netzt. 

„Verschiebungen",  darin  bestehend,  daß  auf  einmal  in  einem  Gedanken- 
gang ein  Begriff,  eine  Idee  für  eine  andere  eingesetzt  wird,  sind  eine  ähnliche 
Folge  der  Unvollständigkeit  der  Assoziationskomplexe.  Der  Mangel  an  Logik 
verhindert  die  Kichtigstellung  des  Fehlers.  Der  häufige  Gebrauch  von  Sym- 
bolen ist  ein  Spezialfall  dieser  Anomalie. 

Mehrere  Begriffe  mit  gemeinsamer  Komponente  können  auf  diese  "Weise 
in  einen  verdichtet  werden,  indem  eben  nur  das  Gemeinsame  zur  Geltung 
kommt^),  so  verschiedene  Geliebte,  verschiedene  Aufenthaltsorte  der  Kranken. 

Begriffe  imd  Ideen,  die  nur  teilweise  gedacht  werden,  müssen  überhaupt 
leicht  verschwimmen.  Das  wird  eine  der  Ursachen  der  schizophrenen  Neigung 
zu  Verallgemeinerungen  und  Ausdehnung  eines  Sjonptoms  sein.  Andere 
Ursachen  sind  wohl  der  Mangel  an  Hemmungen,  die  eine  psychische  Funktion 
auf  inadäquate  andere  Psychismen  ausüben  sollte,  sowie  die  erleichterte  Benutzung 
ungewohnter  Bahnen. 

Wird  beim  Denken  die  Ziel  Vorstellung  nicht  beständig  mitgedacht,  so  entsteht 
Zerfahrenheit  aller  Art;  der  Kranke  verliert  sich  in  Nebenassoziationen, 
er  wird  von  außen  abgelenkt,  wo  es  sonst  nicht  der  Fall  ist,  und  beachtet  um- 
gekehrt äußere  Vorgänge  nicht,  die  den  Umständen  nach  beachtet  werden  soUten. 

Sind  die  Assoziationen  nicht  mehr  auf  die  gewohnten  Bahnen  angewiesen, 
so  können  zufällig  sich  bietende  Verknüpfungen  logischen  Wert  erhalten.  Was 
der  Kranke  eben  erlebt,  kann  verbunden  werden  in  beliebiger  durch  die  Um- 
stände gegebener  logischer  Form  (er  hat  eine  Scheibe  eingeschlagen,  „weil"  der 
Arzt  eine  Brille  trägt)^). 

Andere  Assoziationsstörungen  haben  außer  dem  häufig  vorhandenen 
Mangel  einer  Zielvorstellung  noch  vielerlei  Wurzeln.  Das  Ausassoziieren 
z.  B.  wird  u.  a.  auch  begünstigt  durch  das  „sentiment  d'incompletude",  das 
sich  bei  unvollständigem  Denken  leicht  einstellt.  —  Das  Benennen  und  die 
Gebundenheit  lassen  sich  unter  Umständen  dadurch  erklären,  daß  die  Ge- 
danken nicht  fortschreiten,  was  natürlich  wieder  verschiedene  Ursachen  haben 
kann,  z.  B.  die  Äff ektlosigkeit  oder  die  Benommenheit^).  Auch  die  mittelbaren 
Assoziationen  können  auf  verschiedene  Weise  zustande  kommen.  Wichtig 
ist  wohl  auch  hier  neben  dem  Mangel  der  Zielvorstellung  nach  Analogie  des 
Normalen  die  Störung  der  Aufmerksamkeit. 

^)  Auch  das  ist  im  Traume  etwas  Gewöluiliches. 

2)  Diege  Symptome  an  sich  sind  natürUch  nichts  Pathologisches.  Das  lünd  muß  erst 
.^•n'.T.^'''.^^  dargebotenen  Verbindungen  nach  Gleichzeitigkeit  und  Nacheinander 

„zufalbg  seien.  Em  2]ähriges  Kind  verschüttet  Wasser,  wälirend  ich  ihm  eine  Frage  über 
etwas  ganz  anderes  vorlege,  und  antwortet  ganz  unpassend  „wegen  dem  Wasser".  Auch  die 
Mythologie  mit  ihren  Personifikationen,  Verdichtungen  und  Auflösungen  bietet  eine  reiche 
J^undgrube  für  Analogien  zum  schizoplirencn  Gedankengang.  Der  Osterhase  legt  Eier  weü 
ST  K  n  1  ^r^"'^  "^'^  Fruchtbarkeit  und  der  Ostara  heilig  sind.  Die  Dreieinigkeit 
ist  gebildet  worden,  weil  man  das  Bediü-fnis  hatte,  jede  der  drei  darin  Vertretenen  Personen  zu 
ehren,  nachdem  die  Idee  des  einigen  Gottes  schon  durchgedrungen  war 
dn  ß  i  iJ!         GJedanken  versunken  an  einer  Fmnatafel  vorbeigehe,  kann  es  vorkommen 

daß  ich  dieselbe  ganz  unbewußt,  ZM^ar  nicht  hörbar,  aber  doch  mit  LippenbewegungeTTete. 

19* 


202 


Scliizopbrenie. 


Am  meisten  leiden  natürlich  die  logischen  Operationen.  Viele  Begriffe 
und  Ideen,  die  in  Rechnung  kommen  sollten,  werden  überhaupt  nicht  herbei- 
gezogen, andere  sind  nicht  voll  ausgedacht;  wenn  im  Begriff  „Vater"  nur  der 
Teilbegriff  „Erzeuger"  gedacht  wird,  kann  derselbe  mit  dem  der  Mutter  ver- 
wechselt werden.  So  kommen  manche  logischen  Operationen  zu  einem 
falschen  Resultat. 

Die  bisher  genannten  Anomalien  sind  so  unmittelbare  Folgen  der  primären 
Assoziationsstörungen,  daß  man  sie  fast  ebenso  gut  noch  selbst  zu  diesen 
hätte  zählen  können.  Nun  ergeben  sich  aber  außerdem  indirekte  Konsequenzen 
aus  dem  gestörten  Verhältnisse  zwischen  Assoziation  und  Affektivität,  die  zwar 
nur  bei  bestimmten  Anlässen  in  Erscheinung  treten,  aber  dennoch  im  Krank- 
heitsbilde meistens  dominieren.  Logische  und  affektive  Bedürfnisse  stehen 
oft  miteinander  im  Widerspruch.  Die  Wirkung  der  Äff  ekte  ko  mmt  deshalb 
beijeder  Krankheit,  welche  dieLogik  schwächt,  zustärkerer  Geltung. 

Während  die  intellektuellen  Gedankengänge  durch  die  Erfahrung  ge- 
gebene Bahnen  einschlagen^),  dirigieren  die  Aifekte  die  Assoziationen  im  Sinne 
der  entsprechenden  Strebungen  (Erlangung  von  Lust,  Abwehr  von  Unlust); 
sie  fördern  die  gleichsinnigen  Verbindungen  und  erschweren  das  Zustandekommen 
derer,  die  ihnen  nicht  entsprechen;  sie  geben  ferner  den  Ideen  andere  Valenzen, 
so  daß  z.  B.  die  Gefahr  einer  gewünschten  Unternehmung  unterschätzt,  die  einer 
unerwünschten  vergrößert  wird;  es  ist,  wie  wenn  man  in  einer  numerischen 
Rechenoperation  das  Dezimalzeichen  einzelner  Zahlen  versetzte.  Beim  Normalen 
bestimmt  die  Affektivität  im  wesentlichen  bloß  die  Richtung  des  Handelns; 
nur  in  ganz  starker  Erregung,  oder  da,  wo  die  Subjektivität  erlaubterweise 
mitspricht  (Geschmacksuxteil),  werden  logische  Operationen  normaliter  im  eigent- 
lichen Sinne  gefälscht.  Bei  krankhaft  geschwächter  Logik  aber  greift  die  Wirkung 
der  Affekte  auch  auf  sonst  klare  und  fest  gegründete  Detailassoziationen  über. 
Sie  werden  im  Sinne  der  Wünsche  und  Befürchtungen  gefälscht.  Was  man 
wünscht  und  fürchtet,  hält  man  für  eine  Realität  (vgl.  Theorie  der  Wahnideen). 

Die  auffallendste  Wirkung  der  Affektivität  ist  bei  der  Schizophrenie  die 
Sperrung.  Sie  ist  an  sich  kein  pathologisches  Symptom.  Wir  sehen  sie  beim 
Gesunden,  wenn  er  durch  eine  Gemütsbewegung  überwältigt  wird,  in  Schreck, 
Angst,  sogar  gelegentlich  einmal  bei  freudiger  Überraschung.  Kinder,  Imbezille, 
Hysterische,  die  sich,  jeder  aus  einem  andern  Grunde,  sehr  leicht  durch  Affekte 
überrumpeln  lassen,  werden  auch  leicht  gesperrt'^).  Wo  wir  bei  unseren  Schizo- 
phrenen den  Eintritt  der  Sperrung  verfolgen  können,  ist  immer  ein  Komplex- 
angeschnitten  oder  ein  unangenehmes  Gefühl  hervorgerufen  worden.  Der  Schluß 
liegt  nahe,  daß  die  allgemeinen  und  lange  dauernden  Sperrungen  in  katatonen 
Zuständen  eine  Übertreibung  des  gleichen  Phänomens  seien.  Wir  können  denn 

MüTdie  Formen  unserer  Logik  nur  durch  die  Erfahrung  gegebene  Assoziationen  Avieder- 
holen  oder  Analogien  dazu  biklen,  ist  es  selb3tver3tändüch,  daß  die  erworbenen  log.sclien 
Assoziationen  bei  einer  allgemeinen  Hnnstörung  vor  den  angeborenen  affektiven  geschädigt 
werden.  Wenn  es  eine  schizophrene  Anlage  der  Psyche  gibt,  möchte  dabei  m  Betracht  kommen, 
daß  Individuen,  d.ren  Fälligkeit  zur  Reproduktion  der  Wirklichkeit  und  ilu-er  Zusammenhange 
schwach  entwickelt  ist,  zum  Autismus  disponiert  sein  müssen.  •  w  „„ 

^)  Der  Emotionsstupor,  der  eintritt,  wenn  man  sich  einer  Anforderung  nicht  ge- 
wachsen fühlt  (Risch),  ferner  wohl  auch  die  Kataplexie  der  Tiere,  wenigstens  d.r  höheren, 
ist  etwas  Analoges. 


Theorie.  Gedankenablauf.  Spaltung. 


293 


auch  diese  Sperrungen  in  keiner  Weise  von  den  rascher  vorübergehenden  unter- 
scheiden. Sie  entwickeln  sich  auch  gelegentlich  aus  den  ersteren  unter  unseren 
Augen.  Zur  Entstehung  dieser  allgemeinen  Sperrungen  wirkt  vielleicht  auch  die 
scliizophrene  Neigung  zum  Andauern  beliebiger  Erscheinungen  (Stereotypierung) 
mit,  ganz  sicher  aber  die  Neigung  zu  Verallgemeinerung:  Wir  sehen  ganz  ge- 
wöhnlich, daß  sich  Sperrungen,  die  sich  zunächst  nur  auf  einen  bestimmten 
Gedanken  bezogen,  rasch  verallgemeinern,  so  daß  dann  mit  dem  Patienten 
überhaupt  nichts  mehr  anzufangen  ist.  —  Kraepelin  legt  Gewicht  darauf, 
daß  auch  Gegenantriebe  zu  Sperrungen  führen  können,  natürlich  mehr  auf  dem 
Gebiete  des  Wollens  als  dem  des  Denkens.  Das  ist  selbstverständlich  richtig. 
Mit  der  Ablehnung  eines  Impulses  ist  aber  so  häufig  ein  GegenimpuLs  verbunden, 
daß  für  uns  dadurch  mehr  die  Hervorhebung  einer  andern  Seite  des  gleichen 
Vorganges  als  ein  Novimi  gewonnen  ist. 

Manchmal  macht  es  auch  den  Eindruck,  daß  die  Interesselosigkeit  ihren  Anteil 
am  Zustandekommen  des  Sypmtoms  habe,  indem  sie  beim  ersten  Hindernis  den  Ge- 
dankengang stille  stehen  läßt.  Ferner  scheinen  bei  schweren  Katatonien  mit  benommen- 
heitsartigen Zuständen  noch  andere  Widerstände  den  Gedankengang  allgemein  zu 
hemmen;  sslbstverständlich  tritt  dann  die  Wirkimg  der  Affekte,  die  Sperrmig,  doppelt 
leicht  ein,  oder  Hindernisse  des  Denkens  summieren  sich.  Umgekehrt  kann  sich  der 
Kranke,  wenn  die  psychischen  Prozesse  auf  irgend  eine  Weise  (Vergiftung?  Hirn- 
druck?) andauernd  gehemmt  sind,  miter  dem  Einfluß  einer  Willensanstrengung  vor- 
übergehend normal  bewegen.  Wir  hätten  hier  nicht  eme  sich  plötzlich  lösende  allge- 
meine Sperrimg,  sondern  das  Gegenteil:  Überwindmig  eines  Hindernisses  durch  einen 
Affeki:. 

Da  aUes  dem  Affekt  Widerstrebende  stärker  als  normal  unterdrückt,  das 
ihm  Entsprechende  ebenso  abnorm  gefördert  wird,  so  kommt  es  schließlich  dazu, 
daß  Widersprüche  zu  einer  affektbetonten  Idee  gar  nicht  mehr  gedacht  werden 
können:  der  ehrgeizige  Schizophrene  träumt  nur  noch  von  seinen  Wünschen; 
die  Hindernisse  ihrer  Realisierung  existieren  für  ihn  nicht.  So  werden  Komplexe 
von  Ideen,  die  mehr  durch  gemeinsamen  Affekt  als  durch  logische  Verloiüpfimg 
verbunden  sind,  nicht  nur  gebildet,  sondern  auch  gefestigt.  Durch  den  Nicht- 
gebrauch büßen  die  von  einem  solchen  Komplex  zu  anderen  Ideen  übergehenden 
Assoziationsbahnen  im  Verhältnis  zu  den  adäquaten  Assoziationen  an  Gangbarkeit 
ein,  d.  h.  der  affektbetonte  Ideenkomplex  grenzt  sich  immer  mehr  ab  und  er- 
langt immer  größere  Selbständigkeit  (Spaltung  psychischer  Funk- 
tionen). 

Alle  (normalen  imd  pathologischen)  psychischen  Vorgänge,  sowohl  die 
affektiven  wie  die  logischen,  haben  aber  neben  der  positiven  Tendenz  der  Bahnung 
affdierten  Materials  auch  die  negative  der  Hemmung  aller  nicht  affilierten 
Psychismen.  Das  bekannteste  Resultat  dieser  Tendenz  ist  die  „Bewußtseins- 
enge", d.  h.  die  Unfähigkeit  des  Gesunden,  Verschiedenes  gleichzeitig  zu  denken. 
Smd  nun  die  Assoziationen  unterbrochen,  primär  durch  die  ursprüngliche 
Assoziationsstörung  und  sekundär  durch  die  Abgrenzung  des  Komplexes,  so 
wird  nicht  nur  der  verbindende,  sondern  auch  der  hemmende  Einfluß  der  Ver- 
schiedenen Ideen  aufeinander  herabgesetzt  oder  ganz  unterdrückt.  So  wird 
uns  die  Tatsache  verständlich,  daß  gleichzeitig  mehrere  Komplexe 
der  nämlichen  Psyche  funktionieren  und  unvereinbare  Ideen 


294 


Scbizophrenie. 


nebeneinander  laufen  können.  (Der  Patient  kann,  während  er  an  etwas 
Bestimmtes  denkt,  Stimmen  hören,  Zwangsideen  haben,  Handlungen  begehen, 
die  einem  ganz  anderen  Ideenkomplex  angehören:  er  sieht  im  Untersucher 
zugleich  den  Anstaltsarzt  N.  N.  und  seinen  Feind  X.  Y.)^). 

Im  Bewußtsein  ist  natürlich  in  einem  gegebenen  Moment  auch  bei  der 
Schizophrenie  gewöhnlich  nur  ein  Komplex.  Immerhin  laufen  etwa  der  autistische 
und  der  realistische  Gedankengang  gleichzeitig  ab^),  und  ganz  gewöhnlich  sehen 
wir  intime  Mischungen  von  Ideen,  die  verschiedenen  Komplexen  angehören,  im 
bewußten  Gedankengang.  Daß  die  Komplexe  im  Unbewußten  funktionieren, 
ersehen  wir  in  folgenden  Erfahrungen:  Sie  erscheinen  plötzhch  weiter  gebildet, 
indem  z.  B.  fertige  Wahnsysteme  auf  einmal  ins  Bewußtsein  springen;  in  jedem 
Moment  können  sie  bereit  sein,  sich  Erfahrungen  zu  assimilieren  (Beziehungs- 
wahn); sie  äußern  sich  direkt  in  Halluzinationen,  in  der  Mimik,  in  unbewußten 
oder  zwangsmäßigen  Handlungen  und  in  Stereotypien.  Ob  ein  Komplex  zu 
einer  gegebenen  Zeit  bewußt  ist  oder  nicht,  ist  also  recht  neben- 
sächlich. 

Die  Theorie  braucht  keine  Rück-:icht  auf  das  Vorhandensein  oder  Fehlen  der 
Bewußtheitsqualität  der  einzelnen  Komplexe  zu  nehmen.  Wir  haben  Grund  zu  der 
Annahme,  daß  sich  eine  bewußte  psychische  Funktion  bloß  dadurch  von  einer  imbe- 
wußten unterscheide,  daß  sie  mit  der  bewußten  Persönlichkeit  assoziativ  verbunden 
sei.  Ohne  Berücksichtigung  der  Tatsache,  daß  es  imbewnßte  Prozesse  gibt,  die,  abgesehen 
von  dem  Fehlen  der  Bewußtheitsqualität,  identisch  sind  mit  den  bewußten  psychischen 
Vorgängen,  kann  man  die  schizophrenen  Symptome  so  wenig  verstehen  wie  andere 
komplizierte  psychische  Erscheinungen  (73,  a). 

Wenn,  wie  es  wahrscheinlich  ist,  in  der  normalen  Psyche  Hemmungen 
auch  in  dem  Sinne  bestehen,  daß  disparates  Assoziationsmaterial  nur  schwer 
herbeigezogen  werden  kann,  und  daß  der  Übergang  auf  ein  anderes  Thema 
ganz  besonderer  Kräfte  bedarf  (Affekte,  Ablenkung  von  außen),  so  muß  in  der 
Schizophrenie  natürlich  auch  diese  Art  Hemmungen  wegfallen.  Jedenfalls 
sehen  wir  in  den  schizophrenen  Assoziationen  neben  der  Ausschaltung  normaler 
Assoziationen  auch  Verbindungen  am  unrichtigen  Ort.  Das  ist  mit  ein  Grund, 
warum  die  Gedanken  so  leicht  auf  Nebenbahnen  geraten,  und  warum 
3  n  ei  nem  Ideengang  ga  nz  f  remde  Assoziationen  auf  tauche  nkönnen^). 

Ganz  verständlich  werden  durch  diesen  Mangel  an  Hemmung  die 
mancherlei  Arten  von  Verquickung  verschiedener  Ideen,  die  so 
weit  geht,  daß  sogar  die  affektbetonten  Komplexe,  obgleich  sie 
größere  Selbständigkeit  als  beim  Gesunden  besitzen,  oft  ineinander 
fließen   oder  in  Bruchstücken  untereinander  gemengt  werden 


1)  Bei  einer  dynamischen  Auffassung  der  psychischen  Vorgänge  m  dem 
Simie,  daß  eine  bestimmte  Quantität  „psyclxischer  Energie"  zur  Verfiigung  steht,  die  jeweilen 
die  bei  der  gegebenen  Konstellation  wderstandslosesten  Bahnen  emschlagt,  fallt  die  geläufigere 
Vorstellung  der  Hemmung  weg.  Für  diesen  FaU  müßte  sich  unsere  ,  Erklärung 'auf  die  Zu- 
sammenstellung d3r  beiden  Beobachtungstatsachen  beschränken,  daß  die  psyclr^he  Iva.  1 
bei  der  Schizophrenie  ungewohnte  Bahnen  einschlägt,  und  daß  sie  sich  m  verschiedene  leile 
zerspalten  kann,  von  denen  jeder  seinen  besonderen  Weg  geht. 

2)  Vel  die  Spaltung  der  Aufmerk-^amkcit.  „  ,  n  u 
3  Am  Zustandekommen  dieser  Symptome  ist  natüi-Uch  außerdem  die  mangelhaft 

auBgedachts  Leitidee  und  der  Defekt  eines  einlieitlichen  Strebens  beteiligt. 


Theorie.  Gedankenablauf.  Spaltung. 


295 


Das,  was  fi'üher  über  die  schizophrenen  Assoziationen  gesagt  ist,  macht  es  selbst- 
verständlich, daß  die  Assoziation  von  Ideen  eines  Komplexes  an  den  andern 
nicht  nach  logischen  Gesetzen  zu  geschehen  braucht.  Daher  das  Unsinnige 
solcher  Verquickungen^), 

Die  Trennung  der  Komplexe  könnte  natürlich  auch  ohne  den  Wegfall  jener 
Hemmungen  keine  absolute  sein.  Sie  sind  ja  alle  mit  dem  Ich  mehr  oder  weniger 
verbunden  und  können  somit  mindestens  via  Persönlichkeit  einander  beeinflussen. 

Und  dennoch  zeigt  sich  ihre  Isolierung  gerade  im  Verhältnis  zur  Per- 
sönlichkeit am  auffallendsten.  Statt  daß  sie  zusammenfließen  und  als  Resul- 
tante ein  einheitliches  Streben  bilden,  ist  das  schizophrene  Ich  bald  mit  dem, 
bald  mit  einem  andern  einzelnen  Ideenkomplex  zusammengeschaltet.  Der  Patient 
kann  mit  dem  Arzt  ein  interessantes  Gespräch  führen,  um  im  nächsten  Augen- 
bhck  in  ganz  unlogischer  Weise  über  Verfolgung  durch  denselben  zu  schimpfen; 
er  kann  besorgt  sein  um  seine  Angehörigen  und  gleich  darauf  in  Haß  gegen  sie 
ausbrechen  oder  die  äußerste  Gleichgültigkeit  über  ihr  Schicksal  zur  Schau 
tragen;  er  kann  in  einem  Moment  nach  den  höchsten  Zielen  streben,  im  andern 
irgend  einem  lächerlichen  Einfall  seine  Existenz  opfern. 

So  erscheinen  die  Patienten  entsprechend  ihren  Komplexen  in  verschiedene 
Personen  gespalten 2).  Immerhin  ist  das  Ich  selbst  nur  in  den  hochgradigsten 
FäUen  ganz  zertrümmert.  Gewöhnlich  weiß  der  Klranke  noch,  wer  er  ist,  er  kennt 
seine  Vergangenheit,  er  orientiert  sich  in  Raum  und  Zeit  —  alles,  so  weit  nicht 
ein  aktuell  eingeschalteter  Komplex  etwas  anderes  verlangt.  Alle  diese  nicht 
unwesentlichen  Bestandteile  der  Persönlichkeit  stehen  mit  den  verschiedenen 
Komplexen  in  einer  gewissen  Verbindung;  nimmt  man  als  wesentlichsten  Teil 
der  Persönlichkeit  diese  intellektuellen  Bestandteile,  so  kann  man  meist  nicht 
sagen,  sie  sei  gespalten;  sie  ist  vielmehr  der  Spielball  der  Komplexe.  Betrachtet 
man  aber  das  Streben  als  das  Maßgebende  des  Ich,  dann  allerdings  hat  der 
Schizophrene  so  viele  Persönlichkeiten  als  Komplexe,  Persönlichkeiten,  die  von- 
einander mehr  oder  weniger  unabhängig  sind. 

Je  nach  der  Spaltung  wird  aber  auch  der  festere  intellektuelle  Bestandteil 
der  Person  verändert.  Solange  der  Patient  über  den  Arzt  schimpft,  ist  ihm  dieser 
der  femdliche  Schuster  N.,  während  er  sonst  in  dieser  Beziehung  ganz  gut  orientiert 
ist.  —  Hält  sich  der  Kranke  füi-  den  Kaiser,  so  kann  während  der  Verbindung 
des  Größenkomplexes  mit  dem  Ich  ein  wesentlicher  Teil  der  Vergangenheit  des 
Patienten  ausgeschaltet  und  durch  Wahnvorstellungen  ersetzt  sein.  —  Es  können 
sich  unter  Umständen  auch  wirkliche  und  wahnhafte  Vorstellungen  zu  einer 
wahnhaften  Erklärung  verbinden. 

Aber  auch  während  der  wahnhaften  Auffassung  funktioniert  die  richtige 
Orientierung  meist  ungestört,  nur  mehr  oder  weniger  abgespalten  vom  Ich 
bobald  der  Kranke  mit  seiner  Schimpferei  über  den  als  Schuster  verkannten  Arzt 
fertig  ist,  weiß  er  ganz  gut,  was  dieser  während  des  Schimpf ens  als  Arzt  getan 

1)  Das  letztere  ist  ein  wichtiger  Unterschied  gegenüber  der  Hysterie.  Auch  bei  dieser 
haben  wir  einen  ubertnebanen  Einfluß  der  .Effekte  auf  che  Assoziation^.  Da  aber  die  pitäre 

von  der  Ä 

Anzahl^I:^^^S^^,^;^^  ^--^  ^-.serniaßen  gleichzeitig  aus  ehier 


296 


Schizophrenie, 


hat.  Während  lang  andauernder  Dämmerzustände  läßt  sich  neben  der  syste- 
matischen Verkennung  der  ganzen  Umgebung  doch  meist  noch  eine  richtige 
Orientierung  nachweisen,  und  namentlich  können  die  Kranken  nachher  auch 
über  das  wirklich  Geschehene  verblüffend  gute  Auskunft  geben,  ohne  daß 
sie  sich  die  Dinge  zurecht  legen,  während  sich  epileptische  oder  alkoholische 
Deliranten,  deren  ganze  Persönlichkeit  an  der  Täuschung  teilnimmt,  nur  durch 
bewußte  Überlegung  zurecht  finden  oder  durch  Anregung  aus  dem  pathologischen 
Zustand  herausgerissen  werden  müssen,  und  nach  dem  Delir,  wenn  überhaupt, 
nur  mit  Mühe  die  wirklichen  Vorgänge  rekonstruieren  können.  ' 

Die  Spaltung  ist  die  Vorbedingung  der  meisten  komplizierteren 
Erscheinungen  der  Krankheit;  sie  drückt  der  ganzen  Symptomato- 
logie ihren  besonderen  Stempel  auf.  Hinter  dieser  systematischen 
Spaltung  in  bestimmte  Ideenkomplexe  aber  haben  wir  vorher 
eine  primäre  Lockerung  des  Assoziationsgefüges  gefunden,  die 
zu  einer  unregelmäßigen  Zerspaltung  so  fester  Gebilde  wie  der 
konkreten  Begriffe  führen  kann.  Mit  dem  Namen  der  Schizophrenie 
wollteich  beide  Arten  der  Spaltung  treffen,  die  in  ihren  Wirkungen 
oft  in  Eins  verschmelzen. 

Die  schizophrene  Spaltung  ist  wieder  nur  eine  Übertreibung  phj^siologischer 
Vorgänge.  Auch  der  Gesmide  kann  verschiedene  Komplexe  mehr  oder  weniger  un- 
verbimden  nebeneinander  beherbergen  mid  sogar  im  Unbewoißten  oder  im  Traum 
weiter  entwickehi.  Seine  Persönlichkeit  wird  auch  inhaltlich  eine  andere,  wenn  der 
Affekt  wechselt.  Ein  Fremid  macht  in  einer  Unterhaltung  eine  ims  sehr  unangenehme 
Bemerkung;  da  sind  die  wenigsten  imstande,  die  neue  Erfahrimg  einfach  hinzuzu- 
addieren  zu  dem  Bilde,  das  sie  sich  bis  jetzt  von  dem  Freunde  gemacht;  sie  werden 
gereizt,  denken  nur  noch  an  seine  schlimmen  Seiten  und  vergessen  die  guten  ganz 
oder  teilweise,  sie  lassen  sich  zu  Handhmgen  hinreißen,  die  sie  sonst  nicht  täten;  der 
Gereizte  ist  „ein  Anderer"  geworden. 

Von  hier  aus  gibt  es  alle  Übergänge  durch  die  hysterischen  Erscheinungen  bis 
zum  Autismus,  den  Dämmerzuständen  und  den  paranoiden  Syndromen  der  Schizo- 
phrenie, aber  nirgends  eine  prmzipielle  psychologische  Verschiedenheit.  Wir  müssen 
uns  vorstellen,  daß  bei  solchen  Schwankungen  beim  Normalen  —  sagen  wir,  um  nicht 
unbequem  große  Zahlen  anzuführen,  die  freilich  richtiger  wären  —  tausend  Assozia- 
tionen gehemmt  oder  abnorm  gebahnt  werden,  beim  gereizten  Schizophrenen  vielleicht 
hunderttausend,  beim  dämmernden  Millionen. 

Was  Groß  miter  ,,BewußtseinszerfaH"  versteht,  ist  das  Gleiche  wie  unsere 
„Spaltmig".  Das  Bewußtsein  kann  aber  nicht  zerfallen,  sondern  nur  sein  Inhalt;  wir 
finden  ferner  die  Spaltung  im  Unbewußten  so  gut  wie  im  Bewußten,  und  der  Ausdruck 
„Zerfall"  kann  die  besonders  feste  Bindung  einzelner  Assoziationskomplexe  nicht  üi 
sich  schließen.  Wir  ziehen  deshalb  den  Ausdruck  Spaltung  vor.  —  Für  ähnliche  Be- 
obachtungen ist  schon  längst  auch  das  Wort  „Dissoziation"  gebraucht  worden. 
Es  bezeichnet  aber  auch  anderes,  so  die  Einschränkung  des  Bewußtsemsüihaltes  bei 
den  Paralytikern,  imd  könnte  deshalb  zu  Mißverständnissen  Anlaß  geben.  —  Zu 
einem  großen  Teil  deckt  sich  unser  Begriff  der  Spaltung  mit  dem  der  Wernickeschen 
„Sejunktion".  Wir  dürfen  den  Ausdruck  dennoch  nicht  annehmen,  weil  der  Begriff 
der  Sejmiktion  außer  dem,  daß  er  etwas  weiter  ist,  anatomisch-physologisch  gedacht 
ist.  Die  Sejunktion  führt  z.  B.  zu  Rückstaumigen  des  Psychokyms,  das  dann  andere 
Bahnen  sucht,  in  inadäquate  Hirnteile  gerät  und  daselbst  Wahnideen  und  Halhizira- 
tionen  erzeugt.  Alles  das  möchten  wir  vom  Begriff  der  Spaltung  ausgeschlossen  wissen. 


Theorie,  Affektivität. 


297 


Foersterling  will  die  „Spaltung  des  Selbstbewußtseins"  als  Steigerung  der 
psychomotorischen  Störungen  ansehen.  Ich  kann  mich  nicht  recht  in  diese  Idee 
hineindenken. 

ß)  Die  Affektivität. 

Alles  was  wir  bei  der  gemütlichen  Verblödung  beobachten,  läßt  sich  zurück- 
führen auf  Übertreibung  von  normalen  Vorgängen  in  unserer  Psyche.  Dennoch 
meinen  wir  natürhch  nicht,  schon  alle  Faktoren  aus  dem  Ge wirre  der  psychischen 
Funktionen  herausgefunden  zu  haben,  die  die  schizophrene  Affektstörung  mit- 
bedingen. 

Daß  die  Affekte  wenigstens  für  gewöhnlich  nicht  vollständig  fehlen,  ist  natürlich 
schon  von  jedem  beobachtet  worden.  Man  dachte  sich  deswegen  etwa  eine  allgemeine 
Abschwächung  statt  der  Vernichtung  der  Funktion.  Dieser  Auffassung  widerspricht 
die  Beobachtmig.  Wemi  auch,  wie  selbstverständlich,  die  höheren  Funktionen  etwas 
stärker  leiden  als  die  einfacheren,  so  fehlt  doch  ein  gesetzmäßiges  Verhalten  in  dem 
Sinne,  daß  immer  die  komplizierteren  Affekte  vor  den  primitiveren  oder  etwa  den 
phylogenetisch  älteren  ausfallen  würden.  Eine  allgemeine  Herabsetzung  der  Affektivität 
ist  ferner  deswegen  auszuschließen,  weil  die  erhaltenen  Affekte  sich  oft  mit  großer 
Energie  äußern ;  man  denke  an  den  Zorn,  aber  auch  an  die  gelegentliche  Fröhlichkeit 
und  an  die  manchmal  entwickelte  Kraft  des  Trieblebens.  Ferner  sind  die  affektiven 
Wirktmgen  auf  die  Assoziationen  geradezu  stärker  als  bei  den  Gesmiden  (vgl.  Jung). 

Stransky  (748)  lümmt  eine  teilweise  Dissoziation,  eine  ,, Ataxie",  zwischen 
Thymopsyche  mid  Noopsyche  an,  woraus  eine  Unsicherheit  in  den  thymo-noopsychi- 
schen  Beziehmigen",  d.  h.  die  Ath}Tnie  mid  die  Parathymie  entstünde.  Es  ist  das 
eine  sehr  leicht  faßliche  Bezeichnung  des  tatsächlichen  Verhaltens,  aber  keine  Er- 
klärung^). 

Auch  der  Versuch,  die  Affektstörung  ausschließlich  auf  die  Denk- 
störung zurückzuführen,  mußte  scheitern.  Forster  meinte,  daß  die  höheren 
Affekte  ausfallen,  weil  die  höheren  Ideen  nicht  gebildet  werden^).  Eine  solche  Er- 
klärung genügt  für  die  Affektstörung  der  organischen  Psychosen.  Das  Wesen  dar 
schizophrenen  Affektivität  kann  sie  nicht  treffen,  denn  wir  sehen  oft  relativ  gut  er- 
haltene Affektivität  bei  schwerer  Denkstörung,  z.  B.  in  akuten  Anfällen,  die  von 
anderen  Schulen  als  Manien  und  MelanchoUen  aufgefaßt  Averden  —  und  umgekehrt 
vollständigen  Defekt  der  Gefühle  bei  Leuten,  die  so  gut  denken,  daß  sie  nicht  nur 
jeden  Richter,  sondern  auch  manchen  Psychiater  von  ihrer  Gesundheit  überzeugen 
kömien.  ° 

Selbstverständlich  müssen  sekundär  durch  die  Denkstörung  hervorgerufene 
Affektstörungen  neben  den  primäreren  vorhanden  sein.  Wenn  die  Begdffe  und 
Ideen  nur  in  Bruchstücken  gedacht  werden^),  wenn  die  Denktätigkeit  sich  in 
Nebenassoziationen  verliert,  wenn  ganz  falsche  ylssoziationsbahnen  eingeschlagen 

1)  Die  Bezeichnung  hat  außerdem,  daß  sie  dazu  verleitet,  sie  für  eine  Erklärung  zu  halten 
und  sich  damit  zufrieden  zu  geben,  den  Nachteil,  daß  sie  InteUekt  und  Affektivität,  die  beiden 
bciten  eines  einheitlichen  psychischen  Vorganges,  zu  sehr  als  selbständige  Funktionen  hinstellt 
)  Pfersdorff  (561)  äußerte  für  eine  bestimmte  Klasse  eine  ähnliche  Ansicht 
)  Wenn  man  sich  selbst  beobachtet,  so  sieht  man,  daß  Ideenkomplexe,  die  nicht  aus- 
gedacht werden,  leicht  von  einem  geringen  oder  gar  keinem  Gefühlston  begleitet  werden    Es  ist 

A«pS  W  "^T     "^"^     "^'^  ^'^^""'^  '"^l^t  '^'^  Ereignisse  an  sich, 'die  den 

Ättekt  bedingen,  sondern  ihr  Zusammenhang  mit  anderen  Verhältnissen.  Wenn  Geld  gestohlen 

Sifi^rr  '^""^^'^        ^'■""^^g  erscheinen,  oder  es  kami  bloß  das  cferechtig 

ke,t«gefuhl  verletzen.  Erst  wemi  man  sich  dabei  vergegenwärtigt,  daß  z.  B.  das  Gestohlene 


298 


Schizophrenie. 


werden,  so  können  die  Gefühlsäußerungen  -  am  Maßstab  des  Normalen  gemessen 
—  nicht  adäquat  sem.  Wenn  die  Gedanken  regellos  von  einer  Idee  zur  andern 
spnngen,  so  kann  kerne  emlieitliclie  Stimmung  resultieren.  Und  wenn  die  kranke 
Persönlichkeit  nach  ihren  Trieben,  von  denen  jeder  einem  Gefühl  entspricht 
m  verschiedene  verhältnismäßig  lose  zusammenhängende  Teüwesen  aufgelöst 
wird,  kann  keines  dieser  Gefühle  Besitz  von  der  ganzen  Person  nehmen  Eine 
adäquate  Betonung  der  Wahnideen  wird  ferner  dadurch  gestört,  daß  neben 
ihnen  psychische  Komplexe  in  den  Patienten  sind,  die  AYirklich  und  UnwirkHch 
unterscheiden,  d.  h.  die  Wahnideen  als  solche  taxieren.  Kranke,  die  sich  gut 
beobachten,  geben  manchmal  in  Eemissionen  diese  Erldärung  selbst.  Die  auti- 
stischen  Kranken  reagieren  auf  die  Wirklichkeit  nicht  mit  Affekten,  weil  sie 
sie  absperren;  auf  ihre  Wahnideen  nicht,  weil  etwas  in  ihnen  diese  als  Phantasie- 
spiel  erkennt.  Das  Wesentliche  der  schizophrenen  Gemütsstörung  zeigt  sich 
indes  unabhängig  von  der  Denkstörung  und  hat  einen  Typus,  der  auf  diese 
Weise  nicht  erklärt  werden  kann.  Es  ist  auch  zu  beachten,  daß  m?nche  Denk- 
störungen erst  Folgen  der  Affektanomalie  sind:  sie  können  nicht  zugleich  die 
Ursache  bilden. 

Das  Verständnis  eröffnet  uns  die  Betrachtung  folgender  Eigenschaften  der 
normalen  Af f ektivität ; 

1 .  Die  Affekte  besitzen  eine  obere  Intensitätsgrenze,  die  nicht  überschritten 
werden  darf,  wenn  sie  die  gewöhnlichen  subjektiven  und  objektiven  Symptome 
beibehalten  sollen.  Diese  Grenze  scheint  besonders  stark  je  nach  Individuum  und 
Umständen  zu  variieren;  ob  sie  überhaupt  bei  jedem  Individuum  erreicht  werden 
kann,  ist  unbekannt.  Die  Dichter  kennen  sie  von  je  her  sehr  gut.  Aus  der  wissen- 
schaftlichen Literatur  erwähne  ich  die  schöne  Selbstbeobachtung  von  Baelz 
bei  einem  Erdbeben,  von  Livingstone,  der  in  den  Klauen  eines  Löwen  war, 
und  Bremers  vollständig  gleichartige  objektive  Konstatierungen  bei  einer 
größeren  Anzahl  von  Personen  nach  einem  Zyldon!i)  Vielleicht  gehört  es  auch 
hierher,  wenn  unter  den  Qualen  der  Folter  mit  einem  Male  Analgesie  eintritt. 
Sicher  aber  ist  es,  daß  die  Intensität  der  Affekte  einen  großen  Teil  ihrer  Wirkungen, 
namentlich  das  Bewußtwerden  derselben,  hindern  kann. 

2.  Ein  bereits  aufgetretener  Affekt  kann  abgespalten  werden,  wenn  er 
schwer  zu  ertragen  ist.  Zugleich  bleibt  der  Ideenkomplex,  der  als  Träger  des 
Affektes  erscheint,  dem  Ich  meist  schwer  oder  gar  nicht  zugänglich.  Viele  Leute 
halten  sich  unangenehme  Erinnerimgen  fern,  indem  sie  sie  „vergessen".  Und 
wenn  es  sich  nicht  vermeiden  läßt,  daß  die  schmerzlichen  Ideen  ins  Bewußtsein 
gerufen  werden  müssen,  so  erscheinen  sie  wie  etwas  Fremdes,  Theoretisches,  nicht 
Ausgedachtes  gerade  in  denjenigen  Komponenten,  die  die  Berührung  mit  dem 
Ich  am  intensivsten  vermitteln.  Man  kann  vom  Verlust  eines  Lieben,  den  uns 
genau  vorzustellen  einfach  unerträglich  wäre,  sehr  häufig  reden,  ohne  dabei 
irgend  etwas  zu  fühlen,  was  dem  Gefühlston  des  ganzen  Komplexes  entspricht. 
Eine  Menge  Beziehungen  des  Verstorbenen  zu  unserem  eigenen  Ich  werden  dabei 
sorgfältig  von  der  Reproduktion  ausgeschlossen, 

die  einzige  Habe  einer  kranlcen  Mutter  war,  die  daraus  ilir  Kind  erziehen  wollte,  stimmt  uns 
das  traurig.  Wer  diese  Zusammenliänge  nicht  mit  dem  Grimdereignis  zugleich  als  ein  Ganzes 
denkt,  der  kann  unmöglich  einen  entsprechenden  Affekt  haben. 
1)  Vgl.  auch  d'Abundo. 


Theorie.  Affektivität. 


299 


Eine  Analogie,  vielleicht  eine  Identität,  bildet  die  unbewußte  Vermeidung 
von  Schmerz,  wenn  wir  an  einer  Verletzung  oder  einem  Rheumatismus  leiden. 
AYir  unterlassen  „instinktiv"  die  kritischen  Bewegungen,  ohne  daß  wir  aktuelle 
Schmerzen  oder  auch  nur  die  bewußte  Vorstellung  von  solchen  hätten.  Unsere 
Psyche  bleibt  durch  den  früher  empfundenen  Schmerz  für  einige  Zeit  so  eingestellt, 
daß  sie  gewisse  Bewegungen  nicht  ausführt.  Nun  kann  die  Wirkung  über  das  Ziel 
hinausgehen:  in  vielen  Fällen  werden  auch  solche  Bewegungen  nicht  gemacht, 
die  keinen  Schmerz  provozieren;  bei  nervösen  Leuten  können  unter  diesen  Um- 
ständen sogar  alle  Bewegungen  erschwert  sein. 

Es  kann  aber  auch  ein  neuer  Affekt  durch  seine  unangenehme  Qualität 
in  statu  nascendi  gehemmt  werden.  Bevor  sich  der  Affekt  entwickelt  hat, 
stellt  er  die  intrapsychischen  Weichen  so,  daß  er  die  bewußte  Persönlichkeit 
unbehelligt  lassen  muß. 

3.  Die  solcherart  vom  bewußten  Ich  abgesperrten  Affekte  sind  durch- 
aus nicht  aufgehoben;  sie  bleiben  in  ihren  Wirkungen  deutlich  zu  erkennen. 
Wer  durch  ein  affektives  Ereignis  präokkupiert  ist,  kann  subjektiv  und  objektiv 
der  direkten  Zeichen  des  Affektes  entbehren.  Deswegen  ist  er  aber  doch  un- 
fähig, andere  Affekte  zu  produzieren.  So  kann  man  gleichgültig  erscheinen  sowohl 
gegen  das  frühere  Unglück  als  auch  gegen  alle  neuen  Ereignisse.  Bin  stärkerer 
Affekt  kann  dauernd  die  ganze  Persönlichkeit  umgestalten,  ohne  daß  man  in  der 
neuen  Eigenart  den  Affekt  finden  könnte ;  auch  der  Betroffene  selbst  scheint  den 
Affekt  und  das  auslösende  Erlebnis  mehr  oder  weniger  vergessen  zu  haben;  es 
bedarf  besonderer  Ereignisse,  um  „die  alte  Narbe  wieder  bluten  zu  lassen". 
Dennoch  hat  er  mm  andere  Lebensziele,  andere  Lebensart,  andere  Grund- 
stimmung beibehalten.  Bei  Hysterischen  kann  das  auslösende  Ereignis  dem 
Bewußtsein  ganz  unzugänglich  geworden  sein. 

Beim  Assoziationsexperiment  sehen  wir  die  Jungschen  Komplexzeichen 
nicht  nur  bei  Ideen,  die  die  Versuchsperson  zur  Zeit  bewegen,  sondern  auch  bei 
solchen,  die  während  des  Experimentierens  weder  in  ihrer  intellektuellen  noch 
in  ihrer  affektiven  Komponente  zum  Bewußtsein  kommen,  ja  seit  vielen  Jahren 
nicht  mehr  bewußt  gewesen  sind.  Auch  das  psychogalvanische  Phänomen  zeigt 
Wirkungen  von  Affekten,  die  nicht  im  Bewußtsein  sind. 

Im  Traum  der  Gesunden,  in  hysteriformen  DeUrien  sehen  wir,  wie  ein  un- 
erträgliches Ereignis  —  sagen  wir  die  Untreue  eines  Geliebten  —  durch  seinen 
Gefühlston,  aber  auch  mit  seinem  Gefühlston,  aus  dem  Bewußtsein  ausgeschaltet 
wird  und  dennoch  seine  Wirkungen  ausübt,  indem  der  Affekt  Assoziationen 
so  bahnt  und  hemmt,  daß  die  Erfüllung  des  Wunsches  vorgetäuscht  wird,  während 
im  Bewußtsein  gar  kein  Affekt  vorherrscht  oder  geradezu  der  gegenteilige 

4.  Wir  kommen  damit  zum  Begriffe  der  unbewußten  oder,  wenn  man 
das  Wort  scheut,  der  latenten  Affekte. 

_  Diese  können  sich  durch  die  Mimik  bemerkbar  machen,  indem  z.  B.  Erröten, 
gewisse  Bewegungen,  gewisse  Modulationen  der  Stimme  und  ähnliche  Erscheinun- 
gen eintreten,  die  dem  Affekte  entsprechen. 

*  * 

— -   * 


^)  Freud,  Jung. 


300 


Schizophrenie. 


Der  Tendenz  zur  Abspaltung,  welche  gewisse  Intensitäten  und  Qualitäten 
von  Affekten  besitzen,  stellt  sich  beim  Gesunden  entgegen  die  Tendenz,  gegebenen- 
falls alles,  was  für  die  Persönlichkeit  wichtig  ist,  assoziativ  herbeizuziehen.  Da 
aber  in  der  Schizophrenie  die  assoziativen  Affinitäten  geschwächt 
sind,  werden  diejenigen  Affekte,  die  überhaupt  eine  Tendenz  zur 
Abspaltung  haben,  sehr  oft  wirklich  latent,  sei  es  nach  kurzem  Be- 
stehen, sei  es  schon  in  statu  nascendi.  Da  sie  dennoch  ihre  Wir  künden 
zum  Teil  beibehalten,  ja  sie  in  mancher  Beziehung  geradezu  un- 
gehemmter entfalten  können,  üben  sie  einen  unterdrückenden 
Einfluß  auch  auf  die  Entstehung  anderer  Affekte  aus:  der  Kranke 
erseheint  überhaupt  affektlos,  gleichgültig^).  Der  Grad  der  Hemmung 
ist  natürlich  abhängig  von  tausend  momentanen  Einflüssen;  daher  können 
gehemmte  Affekte  anscheinend  regellos  wieder  zum  Vorschein  kommen.  Selbst- 
verständlich wird  auch  die  affektive  Anlage  große  individuelle  Unterschiede  be- 
dingen. Dies  alles  sehen  wir  beim  Gesunden,  beim  Hysterischen  und  genau  in 
der  gleichen  Weise,  nur  quantitativ  enorm  vergrößert,  beim  Schizophrenen^). 

Der  präokkupierte  Gesunde  macht  manchmal  den  Eindruck  eines  Katatonikers. 
Der  ,,KoraplexbIödsinn"  macht  ihn  gefühlssteif  oder  geradezu  unüberlegt,  nachlässig, 
willensschwach.  —  Ein  sehr  intelligenter  mid  affektiv  ganz  normal  angelegter  Kollege, 
der  einige  Jahre  lang  in  einer  imangenehmen  Situation  war,  hatte  während  dieser 
Zeit  nicht  nur  steife  Affekte,  sondern  auch  auffallend  starre  Gesichtszüge.  Eme  gebildete, 
sonst  sehr  empfindsame  Angestellte  hatte  eine  Liebschaft,  die  ich  um  des  Mädchens 
willen  nicht  billigen  koimte.  Von  nun  an  war  sie  nicht  nm'  wie  die  meisten  verhebten 
Mädchen  ihren  Pflichten  gegenüber  gleichgültiger,  sondern  auch  gegen  alles  andere 
oft  geradezu  unempfindlich.  Sie  gab  mir  Anlaß  zu  sehr  ernsten  Vorstellmigen,  heß 
aber  alles  mit  steifem  Gesicht  und  einer  ganz  stereotypen  Haltung  über  sich  ergehen, 
ohne  eine  Spur  von  Affekt  und  folglich  auch  ohne  Wirkung.  Ich  hätte  sie  bei  einer 
solchen  Gelegenheit  niemals  von  einer  Katatonika  unterscheiden  können.  —  Jung 
macht  in  diesem  Zusammenhang  auf  die  „belle  indifference  des  hysteriques"  auf- 
merksam, die  ja  nur  eine  Keaktion  auf  überwältigende  Affekte  ist,  allerdhigs  aber  bald 
einem  lebhaften  Affektausbruch  zu  weichen  pflegt. 

Auch  bei  der  Affektabspaltung  handelt  es  sich  natürlich  um  relative  Ver- 
hältnisse. Je  stärker  der  Affekt,  um  so  geringer  braucht  die  dissoziative  Disposition 
zu  sein,  um  die  Gemütsverödung  hervorzubringen.  So  finden  wir  in  vielen  Fällen 
schwerer  Krankheit  an  der  Wurzel  starker  Verblödung  niu'  ganz  alltägliche 
Konflikte  mit  dem  Leben,  bei  leichterer  Erkrankung  aber  können  wir  auf  absolut 
starke  Affekte  als  auslösende  Ursachen  eines  akuten  Anfalles  treffen^),  und  nicht 
selten  mußten  wir  uns  nach  einer  genauen  Analyse  die  Frage  vorlegen,  ob  wir 
bei  einem  Patienten  nicht  ganz  allein  die  Wirkung  eines  besonders  starken  psy- 
chischen Traumas  auf  einen  empfindsamen  Menschen  und  gar  nicht  eine  Krank- 
heit im  engeren  Sinne  vor  uns  haben. 

Die  so  entstandene  Äff  ektlosigkeit  wird  im  früher  erwähnten  Sinne  vergrößert 


1)  Der  „Zweck"  der  ganzen  Einrichtung,  der  Schutz  vor  unangenehmen  Affekt  :>n 
ist  dadurch  erreicht.  Der  Patient  leidet  nicht  mehr;  er  hat  sich  einer  Art  Nir  vana  genähert. 

2)  Unsere  Auffassung  deckt  sich  so  ziemhch  mit  der  von  Risch  für  psj^chogene  Zu- 
stände angenommenen.  Seine  Arbeiten  erschienen,  nachdem  das  Obige  geschrieben. 

^)  Vgl.  Stadelmann. 


i 


Theorie.  Affektivität. 


301 


durch  die  Denkstör un»,  die  ihrerseits  zu  einem  Teil  durch  die  Affektstörung 
bedingt  ist,  so  daß  ein  Circuhis  vitiosus  entsteht. 

Ferner  trägt  auch  der  Autismus  dazu  bei,  die  Affektanomabe  zu  ver- 
stärken. Mit  ihren  unangenehmen  Affekten  sperren  die  Kranken  auch  die  dazu 
gehörenden  Erlebrisse  ab.  Dafür  leben  sie  in  einer  erträumten  Welt,  die  ihnen 
Wirklichkeit  wird.  Wenn  der  Patient  die  Meldung  vom  Tod  eines  lieben  An- 
gehörigen nicht  glaubt,  so  bleibt  er  natürlich  gleichgültig.  Oft  werden  solche 
Dinge  nur  halb,  nur  in  gewissen  Bestandteilen  für  wirklich  gehalten,  natürlich 
in  denen,  die  nicht  unangenehm  sind.  Wo  aber  die  Kranken  sich  ganz  in  ihren 
Autismus  verpuppt  haben,  hat  die  Außenwelt  höchstens  noch  insofern  Wirk- 
lichkeitswert, als  sie  sie  in  ihren  Gedanken  stört;  wenn  dann  ein  Affekt  äußere 
Ereignisse  begleitet,  so  kann  es  nur  noch  der  der  „Ablehnung"  sein.  Die  scheinbar 
parathvmische  Selbstzufriedenheit  vieler  Schizophrenen  ist  von  ihrem  Stand- 
punkt aus  gar  nicht  abnorm,  da  im  autistischen  Denken  ihre  Wünsche  erfüllt  sind. 

In  schweren  Fällen  hat  wohl  der  Autismus  den  größten  Anteil  an  der  Ge- 
staltung der  Affektstörung.  In  leichteren  tritt  er  beim  jetzigen  Stande  unserer 
Beobachtungskunst  zu  wenig  hervor,  als  daß  er  zur  Erklärung  herangezogen 
werden  könnte,  so  daß  die  anderen  Mechanismen  im  Vordergrunde  stehen. 

Besonders  aufgefallen  ist  von  jeher  die  Gleichgültigkeit  gegen  die 
eigenen  Wahnideen  und  Strebungen.  Die  Abstumpfung  aller  Affekt- 
äußerungen durch  die  Gewohnheit  und  die  geringere  Affektfähigkeit  einer  Phan- 
tasievorstellung gegenüber  der  Wirklichkeit  müssen  dabei  von  Bedeutung  sein. 
Dann  ist  die  Wahnidee  oft  nur  ein  sehr  uneigentlicher  Ausdruck  bestimmter 
Strebungen.  Ein  Patient  klagt  in  sonderbarem  Ton.  daß  seine  Kinder  umgebracht 
werden :  der  Affekt  ist  nicht  adäquat,  einesteils,  weil  etwas  in  ihm  weiß,  daß  das 
nur  eine  Phantasievorstellung  ist,  und  andernteils,  weil  der  Wunsch  —  nicht 
die  Befürchtung  — ,  die  Kinder  möchten  umkommen,  an  der  Wurzel  der  Idee 
steckt.  Wahrscheinlich  drückt  auch  die  Wahnidee  gerade  wie  in  den  Träumen  oft 
das  Gegenteil  dessen  aus,  was  der  Patient  eigentlich  anstrebt:  ein  Katatoniker 
hat  homosexuelle  Neigungen;  er  bildet  die  Wahnidee,  ein  höher  stehendes 
Fräidem,  das  ihn  gar  nicht  kennt,  liebe  ihn,  und  behauptet,  sie  auch  zu  lieben. 
Es  ist  begreiflich,  daß  er  unter  diesen  Umständen  mit  dieser  Wahnidee  keinen 
Affekt  verbindet:  er  liebt  das  Fräulein  in  Wirklichkeit  gar  nicht; 
die  Idee  ist  offenbar  nur  die  Eeaktion  auf  das  unangenehme  Be- 
wußtsein seiner  Homosexualität. 

Daß  nichtschizophrene  Formen  assoziativer  Schwäche  viel  seltener  zu  Affekt- 
A;i^°^°^"^Sen  führen,  ist  selbstverständlich.  Bei  den  Idiotien  ist  die  assoziative 
Affinität  mcht  geschwächt;  komplizierte  Assoziationen  werden  nicht  gebildet,  weitere 
Storimgen  gibt  es  nicht.  Bei  den  organischen  Psychosen  bekommen  die  Affekte  zwar 
auch  eme  abnorm  große  Gewalt  über  die  Assoziationen;  aber  sie  äußert  sich  in  ganz 
anderer  Eichtung,  weü  die  relative  Stärke  der  Affnütäten  weniger  geschwächt^ist; 
-Uinge,  die  unter  gewissen  einfachen  Gesichtspmokten  zusammengehören  werden 
noch  zusammengedacht.  So  bleiben  auch  die  Strebimgen  und  Affek-te  mit  der  Persön- 
lichkeit verbunden;  eine  Abspaltung  von  der  Wirklichkeit  fhidet  nicht  statt  und  der 
Autismus  kann  sich  nicht  ausbilden. 

in  rl.r^A«  i^'^'J^T^'''.'!'?'^  natürlich  nicht  genügend,  um  den  ganzen  Unterschied 
üer  Affektivität  der  Schizophrenie  von  der  der  anderen  Psychosen  zu  erklären; 


302 


Schizoplirenie. 


dagegen  könnte  die  Freiidsclie  Theorie  des  Auterotismus  und  der  verfeWten  Über- 
tragung der  Libido  auf  das  Objekt  auch  diesem  Unterscliied  gerecht  werden.  Sie  ist 
aber  noch  zu  wenig  ausgebaut  und  verlangt  zu  viel  Eingehen  auf  eine  Menge  unserem 
Thema  ferner  liegender  Dinge,  als  daß  sie  hier  angeführt  werden  köimte. 

Es  bleiben  nocli  einige  Details  zu  besprechen. 

Der  Mangel  an  Affekt  scheint  oft  in  einzelnen  Äußerungen  der  Kranken 
viel  ausgesprochener,  als  er  sonst  ist,  weil  ein  bestimmtes  Ziel  der  Äußerung  fehlt. 
Wenn  der  Patient  einen  langen  Brief  schreibt,  nur  weil  ihm  die  Idee  gekommen 
ist,  „etwas"  zu  schreiben,  ist  es  begreiflich,  daß  er  keinen  Affekt  oder  wenigstens 
keinen  einheitlichen  hineinlegen  kann,  weil  eben  zu  der  Situation  gar  keiner 
gehört  (vgl.  die  Schulaufsätze). 

Daß  einzelne  Affekte  wie  die  Mutterliebe  inselartig  wirksam  bleiben 
können,  ist  nach  unserer  Auffassung  selbstverständlich. 

Eine  besondere  Erklärung  bedarf  die  Eeizbarkeit,  die  sich  in  den 
schwereren  Fällen  als  Neigung  zu  Wut  und  Zorn  äußert.  Wir  finden  die  gleiche 
Tendenz  bei  Menschen  und  Tieren  dann,  wenn  die  Situation  nicht  genügend 
oder  gar  nicht  verstanden  wird.  (Die  Eeizbarkeit  infolge  von  zu  großer  Sinnes- 
empfindlichkeit bei  Neurasthenikern  ist  wohl  etwas  anderes.)  Das  gefangene 
Tier,  das  ohne  Eücksicht  auf  die  Situation  und  auf  seine  eigene  Integrität  blind 
wütet,  zeigt  den  Affekt  von  der  aktiven  Seite,  das  scheuende  Pferd,  das  ebenso 
unsinnig  davonrennt,  von  der  passiven.  Bei  Kindern  und  Idioten  sehen  wir 
das  gleiche,  ebenso  bei  Leuten,  deren  Eapport  mit  der  Umgebung  durch  Gehör- 
störungen gehindert  ist  (vgl.  Helen  Keller). 

Eine  Störung  des  inteUektuellen  Eapportes  mit  der  Umgebung  sehen  wir 
nun  ausnahmslos  bei  den  gereizten  und  wütenden  Schizophrenen.  Sie  fassen 
die  Umgebung  anders  auf  als  wir  oder  sind  doch  nicht  imstande,  uns  in  allen 
Dingen  zu  verstehen.  Eine  regelrechte  Verteidigung  gegen  vermeintliche  oder 
wirkliche  Angriffe  ist  also  unmöglich,  und  es  bleibt  in  aUen  schwereren  Fällen 
nur  das  Mittel  des  blinden  Wütens,  sei  es  in  Worten  oder  in  Handlungen. 

Noch  andere  Momente  werden,  wenn  auch  in  geringerem  Maße,  an  der 
Genese  dieses  Affektes  beteiligt  sein.  Die  Kranken  spinnen  sich  in  ihre  Phantasie- 
gebilde ein;  die  Wirldichkeit  ist  ihnen  nicht  nur  fremd,  sondern  feindlich,  in- 
sofern sie  sie  aus  ihrem  Autismus  herauszureißen  strebt.  So  fließen  die  Ursachen 
des  Zornaffektes  zum  Teil  mit  denen  des  Negativismus  zusammen. 

Die  von  Jung  hervorgehobene  Unbeherrschbarkeit  der  zutage 
tretenden  Affekte  ist  eine  selbstverständliche  Folge  der  Überlegungsschwäche 
und  wird  verstärkt  durch  die  Isolierung  der  einzelnen  Strebungen.  Es  scheint 
mir  aber  nicht  genügend,  sie  bloß  aus  der  Störung  der  Ichsynthese  abzuleiten, 
wie  es  der  Autor  versucht;  es  ist  eben  die  ganze  assoziative  Synthese  gestört 
und  damit  auch  das  Gleichgewicht  zwischen  Affektivität  und  Logik. 


Das  Verhalten  der  schizophrenen  Aufmerksamkeit  ist  mit  der 
Affektivität,  von  der  jene  nur  eine  Seite  bildet,  zum  größten  Teil  erklärt.  Wo  das 
Streben  und  das  Interesse  fehlt,  ist  die  aktive  Aufmerlcsamkeit  gering.  Es  muß 
aber  in  diesem  Zusammenhang  noch  daran  erinnert  werden,  daß  natürlich  auch 


Theorie.  Affektivität. 


303 


die  Denkstöningen  aUer  Art  die  Aufmerksamkeit  selbst  wie  ihren  Erfolg  beein- 
trächtigen. .  IT  -L 
Die  Möglichkeit  einer  Aufmerksamkeitsspaltung  ist  selbstverständliche 

Folge  der  Persöiüichkeitsspaltung. 

*  * 

Die  Parathymie  erklärt  sich  in  verschiedener  Weise.  Meist  läßt  sich  bei 
genauerem  Zusehen  nachweisen,  daß  sie  nur  scheinbar  ist,  indem  die  Kranken 
auf  einen  andern  Gedanken  reagieren,  als  die  Umgebung  von  ihnen  erwartet. 
Masseion  meint,  daß  es  sich  nicht  um  Anhänglichkeit,  sondern  um  Auto- 
matismen oder  Stereotypien  handle,  wenn  Kranke  sich  in  auffälliger  "Weise 
an  eine  beliebige  Person  attachieren,  so  daß  diese  mit  ihnen  machen  kann,  was 
sie  will.  In  den  Fällen,  die  ich  gesehen,  war  die  so  ausgezeichnete  Person  regel- 
mäßig der  Kepräsentant  eines  gefühlsbetonten  Komplexes.  Man  täuscht  sich 
leicht  in  der  Auslegung,  weil  die  Kranken  je  nach  dem  Zusammenhang  sowohl  die 
wahnhafte  wie  die  richtige  Auffassung  der  Person  haben  können.  Um  ähnliche 
Verschiebungen  handelt  es  sich,  wenn  ein  Patient  Heimweh  zu  haben  glaubt, 
sich  aber  nicht  freut  oder  geradezu  ärgert,  wenn  er  nach  Hause  gehen  soll. 
In  Wirklichkeit  hatte  er  gar  kein  Heimweh,  sondern  er  hat  irgend  ein  anderes 
Unbehagen  auf  die  Einsperrung  in  der  Anstalt  bezogen.  Wenn  die  Nachricht 
vom  Tode  eines  geliebten  Angehörigen  fröhlich  stimmt,  so  wird  sie  meist  nicht 
geglaubt,  aber  dennoch  werden  angenehme  Konsequenzen  daraus  gezogen 
(daß  man  nun  Briefe  mit  schwarzem  Rand  bekomme  u.  dgl.).  Eine  Patientin, 
die  in  einen  Weinkrampf  verfällt,  wenn  man  vom  Feuer  spricht,  faßt  das  Feuer 
als  Symbol  ihrer  unglücklichen  Liebe.  Es  kommt  auch  vor,  daß  ein  Affekt  deutlich 
dem  Gegensatz  des  aktuellen  Gedankens  entspricht;  das  wird  meist  davon  her- 
rühren, daß  der  Schizophrene  leicht  das  Gegenteil  irgend  eines  Gedankens  mit- 
denkt (vgl.  Ambivalenz  und  Theorie  des  Negativismus).  In  anderen  Fällen  ist 
die  Parathjonie  eine  Folge  der  Perseveration  des  Affektes :  der  Patient  ist  gereizt, 
hat  über  die  Einsperrung  geschimpft  und  kommt  nun  auf  ganz  andere  Themata, 
die  im  gleichen  Ton  und  mit  dem  gleichen  Affekt  behandelt  werden  wie  das  erste. 
Auch  Affekte,  die  samt  den  dazu  gehörigen  Vorstellungen  zur  Zeit  nicht  aktuell 
oder  geradezu  latent  sind,  können  bei  Anlaß  späterer  Erlebnisse,  die  in  gewisser 
Beziehung  ähnlich  sind,  aber  sonst  qualitativ  oder  quantitativ  anders  betont 
würden,  als  parathymische  Reaktion  manifest  werden.  Auch  wenn  den  Normalen 
etwas  drückt,  begleitet  der  latente  Affekt  gerne  kleine  Unannehmlichkeiten, 
ohne  daß  sein  intellektueller  Vorgang  bewußt  würde. 

Manchmal  wird  es  auch  deutlich,  daß  ein  fröhlicher  Affekt  sich  an  die  Stelle 
eines  verdrängten  setzt.  Wir  kennen  ja  auch  beim  Gesunden  die  „Obenhin- 
fröhlichkeit" und  den  blutigen  Witz,  die  Neigung,  als  Komiker  aufzutreten, 
Erscheinungen,  die  auf  eine  unterdrückte  negative  Gemütsstimmung  deuten. 
Noch  häufiger  sehen  wir  analoge  Parafunktionen  bei  Hysterischen  (319). 

Viel  seltener  konnten  wir  die  Paramimie  zergliedern.  Immerhin  läßt 
sich  manchmal  ihre  Entstehung  aus  Perseveration  der  Mimik  bei  wech- 
selndem Bewußtseinsinhalt  verfolgen.  Wenn  dagegen  ein  Patient  eine  dargebotene 
Dellkatesse  mit  jämmerUchem  Wehklagen  annimmt  und  eifrig  verzehrt,  so  ist 


304 


Schizophrenie. 


wohl  immer  bewußt  oder  unbewußt  etwas  Trauriges  an  das  angenehme  Erlebnis 
assoznert  worden.    Nachweisen  konnten  wir  das  aber  nur  in  wenigen  Fällen. 

Auch  die  Mischungen  der  mimischen  Äußerungen  entspringen  (wie 
zuweilen  bei  Gesunden)  der  Gleichzeitigkeit  zweier  Affekte,  so  wenn  der  Patient 
mit  den  Augen  fröhlich  verliebt  erscheint,  aber  mit  dem  Mund  Trauer  ausdrückt. 
Warum  aber  im  speziellen  Falle  gerade  die  Augen  das  Angenehme,  dee  Mund 
das  Unangenehme  ausdrücken  muß,  verstehen  wir  noch  nicht,  und  'wir  müssen 
hinzufügen,  daß  wir  lange  nicht  in  allen  Fällen  diese  Art  derParamimie  auf  einen 
g.,-niischten  Affekt  zurückführen  konnten.  Namentlich  können  wir  die  hoch- 
gezogenen Brauen,  die  sich  mit  allen  Arten  von  Affektausdruck  vergesellschaften, 
noch  gar  nicht  erklären  i). 

Hier  mag  auch  die  Analgesie  erwähnt  werden,  die  ganz  den  Charakter  eines 
psychischen  Symptoms  hat  (Absperrung),  aber  in  ihrer  Genese  noch  nicht  genauer 
verfolgt  werden  konnte. 


Y)  l^^r  Autismus. 

Eine  direkte  Folge  der  schizophrenen  Spaltung  der  Psyche  ist  der  Au- 
tismus; der  Gesunde  hat  die  Tendenz,  bei  logischen  Operationen  alles  hinzu- 
gehörige Material  ohne  Eücksicht  auf  dessen  affektive  Wertigkeit  herbeizuziehen. 
Bei  der  schizophrenen  Lockerung  der  Logik  dagegen  findet  ein  Ausschluß  aller 
einem  gefühlsbetonten  Komplex  widerstrebenden  Assoziationen  statt.  Das  keinem 
Menschen  fehlende  Bedürfnis,  in  der  Phantasie  Ersatz  für  ungenügende  '\^'irk- 
lichkeit  zu  suchen,  kann  auf  diese  Weise  widerstandslos  befriedigt  werden.  Die 
Phantasieprodukte  mögen  noch  so  sehr  im  Widerspruch  mit  der  Wirklichkeit 
stehen,  im  Gehirn  des  Kranken  kommen  sie  nicht  mit  ihr  in  Konflikt;  sie  werden 
ja  höchstens  so  weit  mit  ihr  zusammengebracht,  als  sie  mit  den  affektiven  Bedürf- 
nissen des  Kranken  in  Einklang  zu  bringen  sind.  In  den  schweren  Fällen  wird 
die  ganze  Wirklichkeit  mit  ihren  nie  aufhörenden  Sinnesreizungen  abgesperrt; 
sie  existiert  höchstens  in  banalen  Zusammenhängen,  beim  Essen,  beim  Ankleiden. 

So  bleibt  der  autistische  Gedankeninhalt  unkorrigierbar  und  bekommt 
für  den  Kranken  vollen  Kealitätswert,  während  der  subjektive  Realitätswert 
der  Wirklichkeit  bis  auf  Null  herabsinken  kann.  Der  Explorand,  der  sich  ein- 
bildet, wir  hätten  ihn  für  gesund  erklärt,  hört  täglich  von  uns  das  Gegenteil; 
er  faßt  auch  den  Sinn  der  Worte  und  kann  ihn  reproduzieren,  aber  unmittelbar 
nachher  stellt  er  doch  wieder  seine  Ansicht  als  die  unserige  hin,  weil  das  wirkHch 
von  uns  Gesagte  nicht  in  logischen  Kontakt  mit  seinen  Ideen  gebracht  worden 
ist.  Bietet  ihm  die  Außenwelt  Motive  für  seine  Ansicht,  dann  allerdings  benutzt 
er  sie  gern.  Unter  Umständen  verschiebt  er  oder  fälscht  er  die  Wirklichkeit.  So 
der  Kranke,  der  auf  die  Frage,  wann  er  entlassen  werde,  die  Antwort  erhält, 
wenn  er  sich  gut  halte;  er  wendet  ein:  „Aber  ich  kann  ja  zu  Fuß  gehen."  Er 
nimmt  statt  der  gestellten  schwierigen  Bedingung  eine  andere,  aber  überwindbare 
Schwierigkeit,  die  der  Reisekosten. 

1)  Möglich  ist,  daß  sie  das  Bestreben  ausdrücken,  den  verlorenen  Zusammenhang 
mit  der  Außenwelt  wiederherzustellen.  Peritz  (A.  Bd.  45.  1909,  S.  788)  hält  das  tickartige 
Heraufziehen  der  Brauen  für  die  Reaktion  auf  das  Gefühl  des  Stirndruckes. 


Theorie.  Autismus.  Ambivalenz. 


305 


Der  Autismus  hat  von  jeher  Beachtung  gefimden,  namentlich  bei  den  Franzosen. 
Diese  haben  z.  B.  die  eine  Seite  desselben  hervorgehoben  unter  den  Namen  der  Auto- 
philie,  des  Egozentrismus,  der  Hypertrophie  des  Ich,  der  Augmentation 
du  sens  de  la  personalite,  während  sie  die  negative  Seite  als  parte  du  sens  de 
la  realite  oder  perte  de  la  fonction  du  reel  beschrieben.  Pelletier  sagt,  der 
Kranke  unterscheide  überhaupt  nicht  mehr  zwischen  Wirklichkeit  mid  Phantasien; 
,,supposer  la  croyance  ä  leur  realite  chez  ces  malades  serait  doter  leurs  etats  de 
conscience  d'une  Energie  qu'ils  n'ont  pas."  Alle  diese  Auffassungen  haben  etwas 
Eichtiges;  sie  treffen  aber  unserer  Ansicht  nach  nicht  den  Kern  der  Erscheinung. 


Auch  der  Autismus  ist  die  Übertreibmig  eines  physiologischen  Phänomens. 
Es  gibt  ein  normales  autistisches  Denken^),  das  keine  Rücksicht  auf  die  Wirldichkeit 
zu  nehmen  braucht  mid  in  seiner  Richtung  von  Affekten  bestimmt  wird.  Das  Kind 
spielt  mit  einem  Stück  Holz,  das  ihm  das  eine  Mal  ein  Bebe,  das  andere  Mal  ein  Haus 
bedeutet.  Aber  auch  ohne  ein  Substrat  denken  sich  die  meisten  Menschen  ein  Märchen, 
in  dem  ihre  Wünsche  oder  Befürchtungen  erfüllt  werden  (bei  Hysterischen  kann  diese 
Phantasie  ins  Pathologische  übertrieben  werden;  vgl.  Pick,  570,  a).  Ein  großer  Teil 
der  schönen  Literatur,  der  Märchen  imd  Sagen  entspringt  dieser  Art  des  Denkens. 
Versucht  jemand  solche  imerfüllbare  Wünsche  im  Leben  zu  realisieren,  so  erfährt  er 
Enttäuschungen,  die  den  Phantasiemenschen  bis  an  die  Grenzen  der  Krankheit  führen 
können.  So  sind  manche  Frauen  in  der  Ehe  nicht  nur  deshalb  enttäuscht,  weil  der  Mann 
nicht  so  ist,  wie  sie  ihn  geträumt  haben,  sondern  weil  das  ganze  Eheleben  etwas  anderes 
ist,  als  sie  erwartet  haben.  Sie  können,  wenn  sie  sich  zu  sehr  vom  Traum  beherrschen 
ließen,  überhaupt  kernen  Genuß  finden,  weil  es  nicht  der  erwartete  ist,  sie  bleiben 
frigid,  gerade  wie  Schizophrene  gleichgültig  bleiben,  wenn  ihre  Wünsche  äußerlich 
in  ErfüUmig  gehen.  Wir  sehen  ferner  die  migenügende  oder  fehlende  Unterscheidung 
von  Phantasie  imd  Wirklichkeit  bei  Unaufmerksamkeit,  im  Traum  und  bei  Kindern, 
die  die  Unwahrheit  sagen,  ohne  wissentlich  zu  lügen,  sowie  bei  „Wilden"  (dem  Neger 
Jst  es  unverständlich,  wie  es  auffallen  kann,  wenn  er  heute  mit  aller  Sicherheit  einen 
Diebstahl  leugnet,  den  er  gestern  selbst  gestanden  hat,  und  der  auch  sonst  außer  allem 
Zweifel  steht). 

5)  Die  Ambivalenz. 

Auch  für  den  Gesunden  hat  jedes  Ding  seine  zwei  Seiten.  Die  Rose  hat 
ihre  Dornen.  Der  Normale  zieht  aber  in  99  von  100  Fällen  das  Fazit  aus  der 
Subtraktion  der  negativen  und  positiven  Werte.  Er  liebt  die  Rose  trotz  der 
Dornen.  Der  Schizophrene  mit  seinen  geschwächten  assoziativen  Verbindungen 
braucht  die  verschiedenen  Seiten  nicht  in  eine  Einheit  zusammenzudenken: 
er  liebt  die  Rose  um  ihrer  Schönheit  willen,  und  haßt  sie  zugleich  wegen  der 
Dornen.  So  haben  bei  ihm  viele  Begriffe,  einfache  wie  komplizierte,  und  namentlich 
viele  Komplexe  beide  affektiven  Vorzeichen,  die  nebeneinander  oder  im  bunten 
Wechsel  n  acheinander  zum  Vorschein  kommen.  AUerdings  unterbleibt  auch  unter 
normalen  Verhältnissen  die  Synthese  nicht  zu  selten;  auch  der  Gesunde  fühlt 
etwa  zwei  Seelen  in  seiner  Brust,  und  er  würde  nicht  so  viel  von  Sünde  sprechen 
wenn  sie  nicht  etwas  ilngenehmes  hätte.  Liegt  die  doppelte  Wertung  nicht  in  der 
■fcirfahrung  selbst,  sondern  in  doppelter  Relation  derselben,  so  verlangt  die  Logik 

cU.  J^'-^^'^l  ""c^^T       "^^""^  "^^^  ^'^Wgkeit  des  Kombinierens,  im  gleichen  Sinne  wie 
das  gewohnhche  Sp.el  (der  Tiere  und  lünder)  eine  Übung  körperHchef  FertigkeiHt 
Handbaoh  der  Psychiatrie  :  n  1  e  u  1  e  r. 

20 


306 


SchizopLrenie. 


imter  Umständen  das  Bestellenlassen  der  beiden  Vorzeiclien :  Das  gleiche  Wetter 
ist  schön  oder  gut  für  einen  bestimmten  Zweck,  schleclit  für  einen  andern;  es 
ist  schön  im  Verhältnis  zu  gestern,  schlecht  im  Verhältnis  zu  vorgestern.  Immerhin 
richten  die  Normalen  das  Vorzeichen  in  diesen  Fällen  genau  nach  der  Relation, 
während  die  Schizophrenen  zu  ganz  unpassenden  Wertungen  kommen. 

Die  affektive  Ambivalenz  hat  noch  eine  zweite  ebenso  wichtige  Wurzel 
in  dem  Umstand,  daß  die  Gegensätze  einander  näher  verwandt  sind,  als  heterogene 
Eigenschaften.  Haß  und  Liebe  stehen  einander  unendlich  viel  näher  aLs  der 
Gleichgültigkeit  („wo  ein  Weib  haßt,  da  liebt  sie,  hat  sie  geliebt  oder  wird  sie 
lieben").  Sie  wandehi  sich  beim  Normalen  oft  ineinander  um,  beim  Schizophrenen 
erscheinen  sie  ganz  gewöhnlich  nur  als  zwei  Seiten  des  gleichen  Affektes. 

Auch  die  Ambivalenz  des  WoUens  ist  bei  Gesunden  im  Keim  vorhanden: 
was  man  nicht  denken  will,  drängt  sich  erst  recht  auf;  der  Anfänger  im  Rad- 
fahren fährt  gerade  auf  die  Hindernisse  los,  die  er  vermeiden  will^).  Ich  will 
eine  Theke  aus  anderen  herausnehmen,  denke  mir  zum  voraus,  eine  bestimmte 
sei  es  nicht,  greife  aber  dann  gerade  auf  diese.  So  ist  es  bei  einer  Absicht  oft 
psychologisch  viel  wichtiger,  ob  sie  überhaupt  gedacht  wird,  als  ob  sie  positiv 
oder  negativ  gedacht  wird:  ein  Patient  erklärte  mir  —  wie  ich  aus  guten  Gründen 
annahm,  ganz  ehrlich  —  er  brenne  jetzt  nicht  mehr  durch,  denn  das  bringe  ihm 
nur  Nachteile;  ich  warnte  die  Wärter,  er  werde  bald  durchbrennen,  was  denn 
auch  geschah. 

Von  hier  zur  intellektuellen  Ambivalenz  ist  ein  ganz  kleiner  Schritt.  Dem 
Begriff  „schwarz"  liegt  der  Begriff  ,,weiß"  näher  als  irgend  einer,  der  mit  der 
Farbe  nichts  zu  tun  hat.  Der  Gedanke  „der  Schnee  ist  weiß"  enthält  zwar  zugleich 
die  Abweisung  des  Urteils  ,,der  Schnee  ist  schwarz",  aber  gerade  deshalb  liegt 
dieses  Urteil  näher,  wenn  man  den  ersteren  Satz  denkt,  als  wenn  überhaupt 
weder  Schnee  noch  schwarz  in  Betracht  kommt.  Kinder  geben  oft  sehr  klare 
Beispiele  für  dieses  Verhalten.  Da  brauchen  manche  den  Ausdruck  für  „Türe 
zu",  auch  wenn  sie  sagen  wollen,  die  Türe  soll  geöffnet  werden;  das  gemeinsame 
ist  ja  das  Bewegen  der  Türe;  der  Gegensatz  von  öffnen  und  Schließen  tritt  so 
zurück,  daß  das  Kind  nicht  zögert,  den  ihm  geläufigeren  Ausdruck  für  beides  zu 
benutzen.  In  einem  wenig  späteren  Alter  haben  die  Kinder  das  Bedürfnis,  spielend 
irgend  welche  Urteile  auszusprechen,  es  ist  ihnen  aber  ganz  gleichgültig,  ob  sie  sie 
positiv  oder  negativ  sagen,  und  zwar  nicht  bloß,  weim  sie  scherzen  wollen^). 

Im  Traum  des  Gesunden  ist  die  affektive  wie  die  intellektuelle  Ambi- 
valenz eine  ganz  gewöhnliche  Erscheinung.  Eine  Menge  von  Ideen  werden  daselbst 
fast  regehnäßig  durch  ihr  Gegenteil  ausgedrückt,  so  „Geheimnis"  durch  das 
Erscheinen  von  vielen  Leuten. 

Die  normale  Ambivalenz  und  namentlich  die  Ambitendenz,  die  zu  jedem  Antrieb 
einen  Gegenantrieb  schafft  oder  damit  eine  Wahl  respektive  eine  t3berlegung  erzwingt, 
hat  ihre  große  Bedeutung  in  den  psychischen  Mechanismen.  Die  Psyche  reguliert 
wie  der  physische  Organismus  die  feinere  Anpassung  dadurch,  daß  er  ein  Gleichgewicht 
schafft  zwischen  entgegenstehenden  Kräften;  es  ist,  wie  Eis  in  der  Versammlung  schwei- 
zerischer Psychiater  m  Bern  (1910)  sagte,  das  Prinzip  der  gedämpften  Magnetnadel. 

1)  Vgl.  74,  und  unter:  Theorie  des  Negativismus. 

^)  Siehe  auch  Freud,  Gegensinn  der  UrAvorte.  Jahrbuch  für  psychanal.  Forschung. 
IL,  S.  179. 


Theorie.  Gedächtnis  und  Orientierung.  307 

£)  Das  Gedächtnis  und  die  Orientierung. 

Die  Störungen  der  übrigen  einfacheren  Funktionen  wie  die  des  Gedächt- 
nisses und  der  Orientierung  erledigen  sich  nach  dem  Gesagten  von  selbst. 

Die  Wahrnehmung^)  und  die  Fixierung  des  Wahrgenommenen  funktionieren 
gut.  Das  Material  wird  aber  nur  dann  richtig  benutzt,  wenn  es  den  Komplexen 
nicht  widerspricht.  Wenn  der  Patient  arbeitet,  eine  Eeise  macht,  wenn  er  mit 
uns  über  die  Dinge  plaudert,  die  seine  Komplexe  nicht  berühren,  bemerken 
wir  von  einer  Störung  nichts.  Innerhalb  des  autistischen  Gedankenganges  aber 
tritt  statt  der  logischen  Keprodukbion  eine  den  Affekten  entsprechende  auf; 
so  kommt  es  auf  dem  Gebiete  des  Gedächtnisses  zu  Täuschungen  der  ver- 
schiedenen .Vrten-).  Die  Gedächtnislücken  haben  wie  bei  anderen  Kranken  und 
bei  Gesunden  verschiedene  Genesen.  Auch  sie  können  affektiven  Bedürfnissen 
entsprechen  (man  vergißt,  was  man  nicht  wissen  möchte);  mancher  deliriöse 
Zustand  ist  inhaltlich  wie  in  bezug  auf  die  Assoziationsschaltungen  so  sehr 
verschieden  vom  Habitualzustand,  daß  der  Kjranke  von  ihm  aus  nicht  mehr  die 
gleichen  Assoziationsfäden  auffinden  kann;  daß  er  ferner  kunterbunt  durch- 
einander gehende  innere  Ereignisse  überhaupt  vergißt,  hat  der  Schizophrene 
mit  dem  Gesunden  gemein. 

Es  läßt  sich  auch  verstehen,  daß  der  Schizophrene  oft  mehr  Gedächtnis- 
material zur  Verfügung  hat  als  der  Gesunde.  Dieser  sichtet  die  Eindrücke, 
die  ihm  die  Sinne  zutragen;  was  für  ihn  wichtig  ist,  wird  vielfältiger  (vielleicht 
auch  intensiver)  den  übrigen  Ideen  assoziiert,  so  daß  es  auf  vielen  Wegen  wieder 
aktualisiert  werden  kann.  Anderes  Material  (z.  B.  die  Erinnerungsbilder  aller  der 
Leute,  die  uns  bei  einem  Gang  durch  die  Straße  begegnet  sind)  wird  von  asso- 
ziativer Verbindung  möglichst  fern  gehalten  und  kann  deshalb  nur  unter  aus- 
nahmsweisen  Umständen  ins  Gedächtnis  zurückgerufen  werden.  Der  ziellose 
Schizophrene  unterläßt  diese  Sichtung.  Er  beachtet  Wichtiges  und  Gleich- 
gültiges in  gleichem  Maße ;  die  assoziativen  Verbindungen  des  letzteren  Materials 
werden  nicht  gehemmt.  Er  wird  also  unter  Umständen  alles  gleich  gut  reprodu- 
zieren können.  —  Daß  mit  dem  Gesagten  schon  alle  Wurzeln  der  Gedächtnis- 
abnormitäten  aufgedeckt  seien,  ist  natürlich  nicht  anzunehmen.  Doch  müssen  die 
genannten  Verhältnisse  den  Gang  der  Erinnerungen  beeinflussen,  und  sie  machen 
alles  begreifbar,  was  wir  bis  jetzt  vom  schizophrenen  Gedächtnis  wissen. 

Jung  denkt  nach  Analogie  Freudscher  Ideen  auch  daran,  daß  die  Gedächtnis- 
bilder, weil  kein  Abreagieren  stattfindet,  keine  Usur  erleiden.  Mir  erscheint  das  un- 
veränderte Fortbestehen  aller  Gcdächtnisbilder  während  des  ganzen  Lebens  auch 
bei  Gesunden  wahrscheinHch.  Die  Auffassung  könnte  also  für  mich  nur  dann  m  Betracht 
kommen,  wenn  man  statt  „Gedächtnisbilder"  sagen  würde  „Erinnerungsbahnen" 3).  _ 
Wußten  wir,  was  die  prünäre  Neigung  zu  Stereotypien  ist,  so  müßte  die  Frage  geprüft 
werden,  inwiefern  das  anscheinend  abnorm  starke  Gedächtnis  der  Schizophrenen 
mit  ihr  zusammenhänge,  eventueU  mit  derselben  identisch  wäre. 

1)  Ich  brauche  hier  den  Ausdruck  ohne  Rücksiclit  darauf,  ob  die  Wahrnehmung 
bewußt  oder  unbewußt  sei.  ^ 

Vgl.  unten  den  Abschnitt  über  die  analogen  Wirklichkeitstäuschungen 
^n^JZ^e^l^Jtr''''-  ^*™s*hnen  eW  von  den 


20* 


308 


Schizophrenie. 


Genau  wie  das  Gedächtnis  ist  die  Orientierung  innerhalb  realistischer 
Gedankengange  ungestört,  während  sie  m  anderer  Schaltung  nach  den  Komplex- 
bedürfnissen  umgestaltet  wird.  Natürlich  ist  die  Orientierung  in  der  eigenen 
Lage  am  seltensten  ganz  normal,  weil  eben  die  Krankheitserscheinungen  zum 
Komplex  gehören  und  vom  Patienten  selten  als  krankhaft  erkannt  werden 
können;  er  glaubt  sich  ungerecht  eingesperrt,  die  Ärzte  sind  seine  Feinde.  Aber 
auch  hier  gibt  es  alle  Übergänge  von  nahezu  vollständiger  Einsicht  bis  zur  kom- 
pletten Umdeutun<4  aller  Verhältnisse,  und  zwar  nicht  nur  von  Patient  zu  Patient, 
sondern  manchmal  auch  beim  nämlichen  Kranken,  und  zwar  gelegentlich  inner- 
halb weniger  Augenblicke. 

Die  „doppelte  Registrierung''  und  „doppelte  Orientierung" 
ist  nach  dem  Gegebenen  selbstverständlich.  Das  Erfahrungsmaterial  wird  richtig 
deponiert,  der  realistische  Gedankengang  benutzt  es  in  richtiger  Weise,  der 
autistische  fälscht  es ;  beide  laufen  aber  nebeneinander  ab,  ohne  sich  zu  stören. 
Kompliziert  wird  der  Vorgang  nur  da,  wo  Fälschungen  durch  eigentliche  Illu- 
sionen und  Halluzinationen  eintreten;  da  können  sich  die  Kranken  manchmal 
nicht  mehr  ganz  zurecht  finden.  Immerhin  ist  es  für  den  sekundären  Charakter 
der  Illusionen  bezeichnend,  daß  auch  unter  solchen  Umständen,  wo  man  nicht 
anders  annehmen  kann,  als  daß  der  Kranke  wirkHch  statt  seines  Vaters  einen 
Teufel  mit  feurigen  Augen  und  Haaren  und  einem  Schweif  sieht,  wohl  noch  die 
richtige  Wahrnehmung  neben  der  verfälschten  existiert. 


Q  Der  schizophrene  Blödsinn. 

Nachdem  wir  die  wichtigsten  Elemente  als  sekundär  bezeichnet  haben, 
aus  denen  sich  die  schizophrene  Demenz  zasammensetzt,  ist  es  selbstverständUch, 
daß  auch  diese  selbst  im  wesentlichen  als  sekundär  aufgefaßt  werden  muß.  Es 
werden  ja  wohl  einzelne  primäre  Symptome  an  dem  Bilde  beteiligt  sein,  doch 
sehen  wir  sie  für  gewöhnlich  nicht.  Es  ist  auch  gut  möglich,  daß  uns  andere 
Beobachtungsmethoden  später  einmal  in  schweren  Fällen  hinter  dem  sekundären 
einen  primären  Blödsinn  deutlich  machen.  Vorläufig  sehen  wir  nur,  daß  die 
Kranken  ihre  Gedanken  zerspalten,  daß  sie  ihre  Affekte  absperren,  daß  sie  sich 
von  der  Wirklichkeit  abkehren.  Wir  sehen  ferner,  daß  kein  geistiger  Besitz 
zugrunde  geht;  ja  die  Erfahrung  an  vielen  einzelnen  Fällen  macht  es  in  höchstem 
Grade  wahrscheinlich,  daß  in  aUen  chronischen  Zuständen  auch  die  Überlegungs- 
fähigkeit in  komplizierten  Dingen  nicht  ganz  ausgefallen,  sondern  im  wesent- 
lichen nur  sekundär  unterdrückt,  durch  die  Spaltung  gehindert  wird.  So  können 
wir  in  keinem  Stadium  vorübergehende  oder  bleibende  Besserungen  ausschHeßen. 
Daß  vielleicht  ein  Drittel  der  Anstaltsfälle  in  Wirklichkeit  nur  vorübergehend  oder 
gar  nie  aus  dem  Blödsinn  herauskommt,  spricht  natürlich  nicht  gegen  die  sekundäre 
Natur  der  Erscheinung.  Schon  Gesunde  verrennen  sich  nicht  selten  dauernd  in 
irgend  eine  Idee;  wieviel  mehr  muß  es  dem  Schizophrenen  begegnen,  der  die 
korrigierenden  Einwirkungen  der  Wirklichkeit  und  der  Überlegung  systematisch 
abspaltet  und  sonst  schon  eine  Neigung  zu  Perpetuierung  von  psychischen 
Funktionen  besitzt. 

Ein  Teil  der  hervorragendsten  Demenzsymptome  sind  nichts  als  Teil- 
erscheinungen  der  gemütlichen  Verblödung.  Wo  die  Affekte  fehlen  oder  ein- 


Theorie.  Schizophrener  Blödsinn. 


309 


.eklemmt  sind,  kann  sich  auch  kein  Streben  entwickeln  Zum  gleichen  Effekt 
fwrken  noch  andere  Faktoren  mit:  wo  alle  Wünsche  im  Autismus  befriedigt  sind, 
d™^^^^^^  ei.cheinen,  ist  kein  Grund  zum  Streben  -"^^^^ 

Wo  das  Verhältnis  zur  Außenwelt  unterbrochen  oder  stark  gefälscht  ist^  kann 
klin  itrieb  da  sein,  auf  sie  einzuwirken.  Auch  die  intellektuellen  Defek  e 
Wem  das  Streben:  die  Synthese  der  --Inen  Gedanken  zu  em^^^^^ 
zum  Handehi  treiben  könnte,  ist  gestört;  die  Feststellung  eines  Zieles  für  das 
Handeln  ist  durch  die  logische  Unfähigkeit  gehindert. 

Die  schizophrene  Intelligenzstörung  im  engeren  Sinne  setzt  sich 
im  wesentlichen  aus  folgenden  Elementen  zusammen :  Die  eigentliche  Assoziations- 
störuntr  führt  zu  vielerlei  falschen  Resultaten.  Die  Sperrungen  machen  viele 
Gedankengänge  unmöglich.  Aus  affektiven  Gründen  können  auch  ohne  Sper- 
rungen bestimmte  Denkrichtungen  gar  nicht  eingeschlagen  werden;  die  Pa- 
tienten denken  imd  reden  vorbei,  nicht  nur  aus  innerem  und  äußerem  Nega- 
tivismus, aus  Gleichgültigkeit  und  infolge  unvollständiger  Ideen,  sondern  auch, 
weil  gerade  die  Richtung  nach  der  aktueUen  ZielvorsteUung  ausgeschaltet  ist. 

Direkt  gefälscht  wird  die  Logik  dadurch,  daß  logische  Operationen  durch 
affektiv  bedingte  Assoziationen  ersetzt  werden;  ferner  durch  die  Abspaltung  der 
Komplexe,  welche  eine  Welt  für  sich  bilden,  ohne  andere  Ideen,  insbesondere 
die  Wirklichkeit  in  Berücksichtigung  zu  ziehen.  In  diesen  Spaltungen  widersetzen 
sich  die  Affekte  mit  einer  oft  unüberwindlichen  Stärke  der  Assoziierung  korri- 
gierender Gedanken.  Der  Paralytiker  macht  seine  blödsinnigen  Pläne  deshalb, 
weil  er  an  bestimmte  Dinge  „nicht  denkt";  er  kann  von  außen  an  seine  Fehler 
erinnert  werden,  so  daß  er  sie  wenigstens  durch  einen  neuen  Fehlschluß  kom- 
pensieren muß;  eine  ausgesprochene  schizophrene  Abspaltung  aber  ist  einer 
logischen  Korrektur  nur  selten  zugänglich.  Bei  der  Paralyse  wird  ein  Weg  aus 
Versehen  nicht  eingeschlagen,  bei  der  Schizophrenie  ist  der  Weg  physikalisch 
gesperrt,  oder  man  hat  Furcht,  ihn  zu  gehen.  So  wird  die  Kritik  in  vielen  FäUen 
nicht  nur  ungenügend  durch  die  Denkfehler,  sondern  sie  wird  geradezu  unmöglich 
gemacht  dadurch,  daß  die  Ivritisierende  Idee  nicht  mit  der  zu  korrigierenden 
zusammengebracht  wird.  —  Der  durch  die  bisher  genannten  affektiven  und 
intellektuellen  Defekte  erzeugte  Mangel  eines  Zieles  der  Gedanken  begünstigt 
die  Zerfahrenheit,  die  ohnedies  schon  durch  die  assoziativen  Aberrationen  her- 
gebracht wird. 

In  der  Resultante  aller  dieser  mangelhaften  Vorgänge,  im  Handeln, 
zeigt  sich  die  dritte  Seite  des  schizo])hrenen  Blödsinnes.  Aus  Mangel  an  Streben 
handeln  die  Kranken  bald  gar  nicht,  bald  ziellos,  bald  launenhaft;  letzteres, 
weil  ihnen  je  nach  der  Einschaltung  der  Komplexe  wechselnde  Ziele  vorschweben. 
Und  da,  wo  der  Patient  handeln  will,  tut  er  es  oft  infolge  der  falschen  Logik 
unzweckmäßig  oder  geradezu  widersinnig.  ,, Zufällig"  auftauchende  Assoziationen 
bedingen  ein  unbegründetes  Handeln  nach  Einfällen,  Zwangsimpiilse  rufen 
unpassende  Handlungen  gegen  den  Willen  des  Kranken  hervor. 

Man  hat  schon  viele  andere  Theorien  gemacht,  die  die  schizophrene  Demenz 
erklären  sollten.  Die  meisten  gehen  aus  von  der  Annahme  einer  „Schwächung 
der  geistigen  Funktionen",  wie  sie  ja  leicht  aus  dem  Begriff  des  Blödsinnes  her- 
ausgelesen wird.  Viele  stellen  sich  diese  Schwächung  dynamisch  vor.  P.  Jan  et  spricht 
bei  Kranken,  die  wir  zu  den  Schizophrenen  zählen  würden,  von  Abaissement  du 


310 


Schizophrenie. 


niveau  mental;  Lehmann  (409)  von  herabgesetzter  E nergie  des  Bewußt- 
seins. Wir  besitzen  indes  kein  Maß  für  die  psychische  Energie  und  sind  deswegen 
ganz  außerstande,  dynamische  Theorien  zu  diskutieren.  Immerhin  darf  man  nicht  ver- 
gessen, daß  manche  Schizophrene  innere  und  äußere  Leistungen  aufweisen,  die  mit 
dem  Gedanken  emer  allgemeinen  Herabsetzmig  der  psychischen  Energie  sehr  schwer 
vereinbar  sind. 

Andere  gehen  von  der  Beobachtungstatsache  aus,  daß  die  „psychische  Höchst- 
funktion" oder  —  was  in  ähnlichem  Simi  gememt  ist  —  die  psychische  Synthese 
geschwächt  ist.  Ich  glaube  nicht,  daß  uns  eine  solche  Betrachtungsweise  weiterführt. 
Solange  die  „psychische  Höchstfunktion"  ein  ganz  undefinierbarer  oder  wenigstens 
ad  libitum  definierbarer  Begriff  ist,  erscheint  eine  derartige  Erklärung  nur  ein  Spiel 
mit  Worten.  Es  ist  auch  methodologisch  sehr  gewagt,  etwas  erklären  zu  wollen  von 
den  kompliziertesten  und  deswegen  am  wenigsten  faßbaren  Funktionen  aus,  die  man 
überhaupt  kennt. 

Mit  dem  Begriffe  der  „Schwächung  der  psychischen  Synthese"  steht  es  etwas 
besser.  Wir  weisen  ja  wirklich  nach,  daß  die  Synthese  des  Assoziationsmaterials  oft 
fehlt  —  aber  sie  fehlt  nicht  immer  —  mid  wir  finden  schon  unterhalb  dieser  komphzier- 
ten  Funktion  in  den  Assoziationen  Störungen,  so  daß  die  Erklärimg  bestenfalls  un- 
genügend wäre. 

Eine  andere  plausiblere  Art  der  dynamischen  Erklärung  geht  von  der  Auf- 
merksamkeit oder  den  Affekten  aus.  Wir  sehen  wirklich,  daß  normaliter  bei 
affektiver  Präokkupation,  bei  großem  Mangel  an  Aufmerksamkeit  oder  auch  neben 
starker  Inanspruchnahme  der  Aufmerksamkeit  eine  Anzahl  schizophrener  Symptome 
vorkommen:  sonderbare  Assoziationen,  unvollständige  Begriffe  und  Ideen,  Ver- 
schiebungen, logische  Schnitzer,  Stereotypien.  Die  schizophrene  Dissoziation  geht 
aber  sehr  viel  weiter  als  diese  affektive;  ja  auch  bei  der  Hysterie,  wo  wir  die  Affekt- 
wirkung bis  zum  Extrem  vergrößert  sehen,  kommt  es  nie  zu  Begriffsspaltungen  im 
besonnenen  Zustand,  ixnd  bei  anderen  Krankheiten  mit  Störung  der  Aufmerksamkeit 
und  verstärktem  Einfluß  der  Affekte  wie  bei  den  organischen  Psychosen  mid  der 
Epilepsie  sehen  wir  keine  schizophrenen  Bilder.  Es  gehen  denn  auch  in  der  Schizophrenie 
die  Störungen  der  Affekte  mid  die  primären  Assoziationsanomalien  einander  gar  nicht 
parallel,  die  erstere  ist  vielmehr  abhängig  von  zufälligen  Erlebnissen,  während  die 
zweite  als  direkter  Ausdruck  der  Gehirnstörung  imponiert.  Es  kommt  hinzu,  daß 
auch  schwer  Kranke  miter  gewissen  Umständen  sehr  gut  aufmerken  können,  und 
daß  die  Kranken  bei  Aufmerksamkeit  die  gleichen  Fehler  machen  können,  wie  in  der 
Zerstreutheit.  Vielleicht  darf  man  auch  hinzuziehen,  daß  wir  oft  im  Traum  die  Auf- 
merksamkeit energisch  anspannen  und  doch  schizophrenieartige  Gedankengänge 
produzieren.  —  Der  Begriff  der  Aufmerksamkeit  selber  ist  für  die  meisten  Psycho- 
logen noch  ein  recht  dehnbarer  mid  schlecht  begrenzter;  er  erinnert  in  dieser  Beziehmig 
noch  stark  an  die  Apperzeption.  Wenn  man  aber  zur  Aufmerksamkeit  nur  das  rechnet, 
was  man  wirklich  bedachtet,  Hemmung  imd  Bahnung  bestimmter  Assoziations- 
gruppen unter  affektivem  Einfluß,  so  kann  eine  „Aufmerksamkeitsstörmig"  nichts 
Primäres  sein  und  bedarf  ihrerseits  wieder  einer  Ableitung.  Von  unserem  Standpmikt 
aus  ist  eine  solche  nicht  schwer  zu  geben. 

Claus  stellt  die  „Alteration  des  facultes  actives"  in  den  Vordergrund:  „la 
demence  precoce  est  une  maladie  qui  touche  primitivement  les  facultes  actives  de 
l'esprit.  Apathie,  aboulie,  perte  de  l'activite  intellectuelle,  teile  est  la  triade  sympto- 
matique,  caracteristique  de  la  demence  precoce".  Es  gibt  zu  viele  Schizophrene 
mit  großer  Aktivität  (Pseudoschriftsteller,  Weltverbesserer,  Arbeitende  m  Anstalten), 
als  daß  man  diese  verallgemeinernde  Umschreibung  gewisser  Symptome  annehmen 
könnte. 


Theorie.  Wahnideen. 


311 


Man  hat  auch  von  einem  Herabsmken  auf  subkortikale  Funktionen  ge- 
sprochen, meist  in  Verbindmig  mit  der  Herabsetzung  der  psychischen  Energie.  Wir 
kennen  aber  bis  jetzt  keine  Gründe,  psychische  Funktionen  unterhalb  der  Rinde  zu 
lokalisieren;  noch  viel  weniger  haben  wir  Unterscheidungszeichen,  was  in  der  Psyche 
kortikal  und  was  subkortikal  ist.  Mit  solchen  Auffassungen  ist  also  zur  Zeit  nichts 
anzufangen. 

Die  weitestgehenden  Erklärmigen  hat  Wernicke  versucht  unter  Benützung 
seiner  lokalisatorischen  Ideen.  Die  Symptomatologie  der  Schizophrenie  (inklusive 
Motilitätsstörungen)  gibt  vms  aber  gar  keine  eindeutigen  Hinweise  auf  eine  Lokalisa- 
tion (vgl.  Theorie  der  Motilität). 

rj)  Die  Wirklichkeitsfälschungen. 

Wir  erfassen  die  Außenwelt  nicht  direkt  mit  den  Sinnesorganen,  sondern 
müssen  sie  erst  durch  Synthese  und  logische  Schlüsse  aus  dem  durch  die  Sinne 
gegebenen  Material  in  ims  schaffen.  Die  Aberrationen  des  Gedankenganges 
führen  deshalb  zu  Fälschungen  in  der  Auffassung  der  Wirklichkeit.  Diese  Fäl- 
schungen finden  ihren  klarsten  Ausdruck  in  Wahnideen,  aber  auch  in  Sinnes- 
und Gedächtnistäuschungen.  Es  geht  nicht  an,  die  Wahnideen  sekundär  aus 
Hahuzinationen  und  Illusionen  der  Sinne  und  des  Gedächtnisses  abzuleiten. 
Es  handelt  sich  um  koordinierte  Symptome,  die  alle  der  Ausdruck  der  nämlichen 
Wirklichkeitsfälschung  sind.  Foreis  Patientin  L.  S.  drückt  dies  von  der  sub- 
jektiven Seite  sehr  klar  aus:  „Deutlich  zwischen  Wahnideen,  Illusionen  und 
Halluzinationen  zu  unterscheiden,  ist  oft  nicht  möglich."  So  ist  es  auch  nicht 
richtig,  wenn  man  sagt,  ein  Patient  bewege  sich  nicht,  weil  er  sich  fürchte,  in 
einen  halluzinierten  Abgrund  zu  fallen;  Bewegungslosigkeit  und  Vorstellungen 
des  Abgrundes  sind  parallele  Erscheinungen,  wie  sich  in  einem  solchen  FaUe 
etwa  damit  beweisen  läßt,  daß  der  Patient  auch  seinen  Speichel  nicht  verschluckt, 
eine  Bewegung,  die  ganz  ungefährlich  wäre.  Die  imperativen  Stimmen  befehlen 
nichts,  dem  der  Patient  nicht  aus  irgend  einem  Grunde  zu  folgen  die  Tendenz 
hat  usw. 

1.  Die  Wahnideen. 

Um  m  die  Genese  der  Wahnideen  einzudringen,  müssen  wir  uns 
notwendig  klar  machen,  daß  wir  unter  dieser  Bezeichnung  ganz  ver- 
schiedene Dinge  mit  verschiedenem  Ursprung  zusammenfassen.  Specht 
(731)  hat  zuerst  darauf  aufmerksam  gemacht,  ohne  indes  eine  Einteilung  zu  geben, 
die  den  speziellen  Bedürfnissen  an  dieser  Stelle  entspräche.  Die  hier  versuchte  For- 
mulierung der  Unterschiede  halte  ich  für  eine  sehr  vorläufige;  über  die  Schizo- 
phrenie hinaus  möchte  ich  ihr  kerne  Gültigkeit  beimessen. 

Aus  den  verschiedenen  Arten  von  Wahnideen  ist  zunächst  der  Grund- 
wahn heraiLsziüieben:  der  Kranke  ist  verfolgt,  mächtig,  Prophet,  geliebt 
Der  Grundwahn  enthält  die  Wahnrichtung,  und  zwar  meist  in  konkreter 
Anwendung:  der  Kranke  ist  verfolgt  von  bestimmten  Leuten  oder  unter  be- 
stimmten Umständen,  er  ist  Machthaber  in  einem  gewissen  Gebiete,  hat  eine 
religiöse  Mission  in  ganz  bestimmtem  Sinne,  wird  geliebt  von  einer  bestimmten 
Person.  Manchmal  gehört  ein  ziemlich  detaillierter  Ausbau  dazu  Der  Grund- 
wahn entsteht,  wie  gleich  näher  auszuführen  ist,  nur  unter  affek- 
tiven Ji^influssen  und  ist  immer  egozentrisch. 


312 


Schizophrenie. 


Ein  großer  Teil  der  Wahndetails  aber  sind  zufällige  Wahnanwen- 
dungen, im  logischen  Sinne  den  Irrtümern  näher  verwandt  als  dem  Grundwahn. 
Der  Kranke  mit  Vergiftimgswahn  bekommt  Diarrhöe;  unter  der  gegebenen 
Voraussetzung,  daß  die  Ärzte  ihm  nach  dem  Leben  trachten,  ist  der'' Schluß 

auch  für  den  Gesunden  selbstverständlich,  daß  im  Essen  Gift  gewesen  sei.   

Ein  Rrief  eines  Verfolgten  bleibt  unbeantwortet.  Mit  Fehlern  der  Post  rechnet 
man  nicht.  Der  Adressat  gilt  dem  Patienten  als  ein  zuverlässiger  Freund,  er 
kann  nicht  schuldig  sein;  dagegen  hat  der  Arzt  ein  großes  Interesse,  des  Patienten 
Brief  nicht  zu  befördern;  also  hat  er  den  Brief  unterschlagen.  Genetisch  handelt 
es  sich  um  einen  logischen  Irrtum,  der  sich  fast  notwendig  aus  der  falschen 
Prämisse  des  Grundwahnes  ergibt,  also  um  etwas  prinzipiell  anderes  als  dieser 
selbst  ist.  Während  der  Grundwahn  unwandelbar  ist,  läßt  sich  ein 
solcher  Irrtum  unter  Umständen  auch  bei  Kranken  leicht  korri- 
gieren; mit  besonnenen  Kranken  kann  man  oft  darüber  diskutieren  wie  mit 
Gesimden.  Sie  betonen  ihn  auch  nicht  so  konsequent  mit  dem  dem  Grundwahn 
zukommenden  Affekt. 

Eine  andere  iVrt  ist  als  „Erklärungswahn"  geradezu  nur  dem  Eest 
von  gesunder  Logik  zu  verdanken,  den  der  Patient  manchmal  behalten  hat. 
Der  Taglöhner,  der  sich  von  gräflicher  Abstammung  wähnt,  muß  seine  Eltern 
für  seine  Pflegeeltern  ansehen,  wenn  er  diese  Konsequenz  noch  zu  ziehen  vermag. 

Eine  dritte  Art  sekundären  Wahnausbaues,  die  auch  noch  als  Erkläruno-s- 
wahn  bezeichnet  werden  kann,  entspringt  dem  Kausalitätsbedürfnis; 
warum  verfolgen  die  Ärzte  den  Kranken?  Gestützt  auf  die  falsche  Prämisse  der 
bestehenden  Verfolgung  muß  sich  der  Patient  mehr  oder  weniger  zwingende 
Antworten  geben,  wie  sie  der  Gesunde  unter  gleichen  Umständen  auch  bilden 
müßte.  Oder  der  Patient  hört  Stimmen,  obschon  niemand  da  ist.  Hat  er  noch 
Kausalitätsbedürfnis,  so  bleibt  ihm  gar  nichts  anderes  übrig,  als  sich  Maschinen 
zu  denken,  mit  denen  man  ihm  Stimmen  macht  oder  aus  der  Ferne  zu  ihm 
spricht,  oder  er  muß  überirdische  Einflüsse  annehmen.  Allerdings  können  hier 
die  Schizophrenen  mit  ihrer  Abtrennung  von  der  Wirklichkeit  und  ihrer  logischen 
Schwäche  viel  weiter  gehen  als  Gesunde  unter  gleichen  Umständen;  sie  denken 
sich  manchmal  nicht  bloß  eine  für  sie  unverständliche  Maschinerie,  sondern 
einen  ganz  bestimmten  Apparat,  der  oft  so  Idar  vor  ihnen  steht  wie  eine  extra- 
kampine  Halluzination. 

Oft  ist  das  Kausalitätsbedürfnis  von  außen  gegeben:  Eine  Patientin  hat 
aus  irgend  einem  nicht  weiter  verständlichen  „Einfall"  eine  Uhr  genommen; 
auf  Vorhalt  erklärt  sie,  die  Uhr  gehöre  ihrem  Mannet).  —  Ein  Patient  will  oder 
kann  aus  irgend  einem  Grunde  nicht  essen;  zur  Begründung  schafft  er  sich  den 
Wahn,  es  sei  ihm  verboten.  Solche  Wahnentwicklungen  sind  etwas  Gewöhn- 
liches, sie  entstehen  teils  aus  logischen,  teils  aus  affektiven  Bedürfnissen,  teils 
aus  „Einfällen",  die  oft  in  vagen  Analogien  begründet  sind. 

Ungenügende  Analogien  und  alle  anderen  logischen  Schnitzer  können  bei 
der  Unzulänglichkeit  des  schizophrenen  Denkens  ohne  sichtbaren  Zusammen- 
hang mit  dem  Grundwahn  falsche  Ideen  bilden.  Oder  es  entstehen  solche  daraus, 

1)  Solche  Erklärungen  ex  post  finden  sich  in  genau  gleicher  Weise  nach  post- 
hypnotischer Ausführung  unsinniger  Suggestionen. 


Theorie.  Wahnideen, 


313 


daß  durch  Zufall  gleichzeitig  von  außen  gegebene  Ideen  fälschlich  in  logischen 
Zusammenhang  gebracht  werden  (Beispiele  S.  18).  Man  ist  vorläufig  gezwungen, 
auch  diese  Dinge  als  Wahnideen  zu  bezeichnen,  da  sie  sich  durch  die  krankhafte 
Art  der  logischen  Entwicklung  von  den  Irrtümern  des  Gesunden  unterscheiden. 

Alle  diese  Arten  von  Wahn  sind  nicht  scharf  getrennt,  indem  mehrere 
Ursachen  an  der  Entstehung  der  gleichen  falschen  Idee  zusammenwirken  können. 
Da  die  Logik  unserer  Kranken  meist  auch  außerhalb  der  Aifektwirkung  defekt 
ist,  spielen  logische  Fehler  leicht  überall,  auch  bei  den  „Erklärungen''  mit. 
Der  Affekt,  der  den  Grundwahn  erzeugt  hat,  wirkt  natürlich  fort  im  Detail- 
ausbau desselben.  Wenn  ein  Affekt  vorhanden  ist,  werden  die  Kranken  unter 
allen  Umständen  viel  geneigter  sein,  logische  Fehler  zu  machen,  so  daß  der 
Affekt  auch  die  Entstehung  anderer  Wahnformen  begünstigt:  Ein  Hebephrene 
bekam  die  Idee,  sein  Oheim  sei  unglücklich,  auf  dem  Wege  eines  ungenügenden 
Analogieschlusses:  er  selbst  ist  arm,  aber  glücklich;  der  Oheim  ist  reich,  also 
unglücklich.  Wahrscheinlich  hätte  Patient  diesen  Fehlschluß  nicht  gemacht, 
wenn  dieser  nicht  durch  die  Eifersucht  auf  den  Oheim  begünstigt  worden  wäre. 
Manchmal  aber  ist  der  Affekt  so  unbedeutend,  daß  er  uns  als  Nebensache  er- 
scheint, und  oft  finden  wir  überhaupt  keinen  Affekt  in  Verbindung  mit  solchen 
Ideen,  weder  bei  der  Entstehung  noch  nachher.  Die  Wahnideen  aus  rein 
logischen  Defekten  brauchen  also  nicht  egozentrisch  zu  sein,  zum 
großen  Unterschied  vom  Grundwahn. 

In  gewissen  Fällen  von  Wahnideen  liegt  das  proton  Pseudos  gar  nicht  in 
der  Idee,  sondern  in  einer  Erfahrung :  infolge  Abspaltung  selbsttätiger  Komplexe 
fühlt  der  Patient  oft  einen  zweiten  AVillen  in  sich.  Je  nach  seiner  Weltanschauung 
muß  er  bei  Unkenntnis  oder  affektiver  Ablehnung  des  Krankhaften  dieser 
Erfahrung  auf  Besessenheit  oder  hypnotische  Einflüsse  oder  etwas  ähnliches 
zurückschließen.  Die  Empfindung  der  zweiten  Seele,  eventuell  des  Zwanges,  ist 
etwas  Primäres,  die  Erklärung  ist  für  ihn  eine  notwendioe 

Primordiale  Wahnideen,  die  fertig  ins  Bewußtsein  treten  ohne  Veran- 
lassung durch  Halluzinationen  und  ohne  daß  der  Patient  ihre  Entstehung  verfolgen 
könnte,  sind  natürlich  als  Resultate  der  Denkarbeit  im  Unbemißten  aufzu- 
fassen, die  durch  die  Selbständigkeit  abgespaltener  Funktionen  so  sehr  er- 
leichtert ist.  Entspringen  sie  aus  einem  der  gefühlsbetonten  Komplexe,  so  müssen 
sie  egozentrisch  sein,  andernfalls  ist  dies  nicht  nötig. 

Die  wichtigste  und  oft  ausschließlich  allein  berücksichtigte  Wahnform 
ist  natürhch  der  Grundwahn  mit  seinem  Ausbau  nnd  seiner  Detailanwendung. 
Seme  Entstehung  ist  nach  dem  im  vorigen  Abschnitt  Gesagten  selbst- 
verständlich : 

Die  Affekte  hemmen  bei  jedem  Menschen  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
die  ihnen  widersprechenden  Assoziationen  und  fördern  die  gleichsinnigen.  Deshalb 
täuscht  sich  auch  der  Gesunde  unter  dem  Einfluß  der  Affekte  nicht  selten 
obgleich  er  im  Prinzip  als  selbstverständlich  zugleich  mit  einem  unerfüllbaren 
Wunsche  auch  dessen  Unerfüllbarkeit  und  zu  einer  bloßen  Befürchtung  auch 
die  Möglichkeit  ihrer  Unrichtigkeit  hinzudenkt.  Wer  sich  über  jemanden  ärgert 
sieht  dessen  Fehler  ausschließlich  oder  doch  in  Vergrößerung;  wer  etwas  sehr 
wünscht,  verkleinert  die  Hindernisse;  wer  sich  fürchtet,  vergrößert  sie-  wer 
aus  irgend  einem  Grunde  die  Außenwelt  feindlich  auffaßt,  findet  überall  Grund 


314 


Schizophrenie. 


ZU  Mißtrauen.  Die  Unbelehrbarkeit  und  Diskussionsunfähigkeit  bei  Gesunden, 
deren  Äff ektivität  nachhaltig  und  im  Verhältnis  zur  Uberlegungskraft  sehr  stark 
ist,  führt  zu  Irrtümern  und  geht  ohne  Grenze  in  die  Paranoia  über. 

Sind  die  logischen  Affinitäten  geschwächti),  so  verstärkt  sich  der  Einfluß 
der  Affekte;  Hindernisse  einer  Wunscherfüllung  werden  gar  nicht  mehr  im  Zu- 
sammenhang mit  dem  Wunsche  gedacht;  dadurch  erhält  dieser  EeaUtätswert ; 
die  Fälschung  geht  bis  zu  Wahnideen,  die  sich  somit  nur  quantitativ  von  jenen 
Täuschungen  des  Gesunden  unterscheiden.  Durch  die  weitgehende  Spaltung  der 
psychischen  Funktion  wird  der  Affekt  innerhalb  eines  bestimmten  Ideenkom- 
plexes zum  Alleinherrscher;  Kritik  und  Korrektur  werden  unmöglich.  So  schaffen 
sich  die  Affekte  in  den  abgespaltenen  Komplexen  phantastische  Welten  ohne  jede 
Rücksicht  auf  die  Wirklichkeit,  der  sie  nur  das  zu  ihnen  passende  Material 
entnehmen.  Das  letztere  wird  ihnen  in  der  Schizophrenie  besonders  leicht  ge- 
macht durch  die  Lösung  der  Assoziationsbahnen,  die  ihnen  ermöglicht,  jedes 
beliebige  Material  mit  dem  beständig  in  funktioneller  Bereitschaft  stehenden 
Komplex  zu  verbinden  und  in  dessen  Sinne  zu  verwerten.  Die  Logik,  so  weit  sie 
benutzt  wird,  tritt  nun  in  den  Dienst  der  affektiven  Bedürfnisse  und  beim  Ausbau 
in  den  Dienst  des  Wahnes. 

Diese  autistischen  Welten  sind  in  jedem  Falle  unter  der  Führung  irgend 
eines  oder  mehrerer  der  wichtigsten  menschlichen  Triebe  entstanden :  Liebesglück, 
Macht,  Reichtum  sind  erträumte  Ziele;  fehlende  oder  unrichtige  sexuelle  Be- 
tätigung, eigene  Nichtigkeit  und  Verfolgung  die  Befürchtungen,  die  sich  daran 
knüpfen. 

Diese  Auffassimg  von  der  Genese  des  schizophrenen  Grundwahnes  deckt  restlos 
alle  die  tausendfältigen  Beobachtmigen.  Alle  ihre  einzelnen  Elemente  smd  Beob- 
achtungstatsachen. Es  ist  ein  zwingender  Schluß,  daß  diese  Tatsachen  zu  Wahnideen 
führen ;  hypothetisch  wäre  nur  die  Voraussetzung,  daß  nicht  noch  andere  Mechanismen 
mitsprechen.  Wir  sind  uns  aber  klar  darüber,  daß  wir  nicht  alle  psychischen  Funktionen 
kennen,  und  daß  auch  hier  noch  manche  unbekannte  Verhältnisse  mitwirken  mögen. 
Dies  soU  uns  nicht  hiadern,  das,  was  wir  bis  jetzt  kennen,  in  seinen  Wirkimgen  zu 
studieren  2). 

Man  hat  alle  Wahnideen  auf  logischem  Wege  entstehen  lassen  wollen,  als  Er- 
klärungen von  veränderten  Körperempfindungen,  veränderten  Wahrnehmmigen  usw. 
{Schuele,  Berze,  Neißer,  518).  Dem  ist  entgegenzuhalten,  daß  wir  bei  vielen 
Kranken  diese  Veränderungen  gar  nicht  finden^)  und  jedenfalls  nirgends  an  der 

^)  Es  kommt  natürüch  aufä  gleiche  heraus,  wann  der  Affekt  abnorm  stark  ist  wie 
bei  der  Melancholie,  oder  wenn  gar  beide  Anomahen  sich  summieren  wie  bei  der  manischen 
und  der  melancholischen  Paralyse. 

")  Eingehender  ist  die  Entstehung  dieser  Wahnideen  geschildert  in  Bleuler,  Affekti- 
vität,  woselbst  sich  auch  eine  kurze  Kritik  der  wichtigsten  abweichenden  Theorien  findet. 

^)  Schon  aus  diesem  Grunde  sind  alle  die  Theorien  zu  verwerfen,  die  mit  dem  Wahn 
die  ganze  Krankheit  aus  Veränderungen  der  Körper empfindungen  herleiten:  Marandon 
de  Montyel  nennt  die  abnorme  Coenästhesie  das  Primäre;  Wherry  meint  geradezu,  der 
Krankheitsprozeß  sei  außerhalb  des  Gehirns,  dessen  Funktionen  nur  durch  veränderte  Körper- 
empfindungen gestört  werden.  Schuele  spricht  ebenfalls  mit  lokalisatorischen  Beziehungen 
von  einer  „zerebrospinalen  Verrücktheit"  und  deutet  einzelne  Formen  der  Schizoplirenie 
als  „neuralgische  Psychose":  „wahnliafte  Traumblüten  auf  dem  spinalen  Nervenbauni, 
aus  welchem  sie  erwachsen,  die  einzelnepiVahn Vorstellung  auf  einem  abnorm  funktionierenden 
Empfindungsnerv".  Auch  in  der  Sexualität  hat  Schuele  die  Wurzeln  der  Krankheit  ge- 


Theorie.  Sinnestäuschungen. 


315 


Wurzel  der  Waluiideen,  und  daß  erfahrungsgemäß  auf  logischem  Wege  Wahrheiten, 
Vermutungen  und  Irrtümer  deduziert  werden,  nicht  aber  Wahnideen  im  Siime  des 
Grundwahues.  —  Man  hat  die  Wahnidee  aus  dem  „Affekt  des  Mißtrauens"  heraus- 
wachsen lassen  (namentlich  Specht).  Die  Idee  könnte  höchstens  für  den  Verfolgungs- 
wahn Geltung  haben,  nicht  für  die  anderen  Formen.  Gibt  es  aber  einen  Affekt  des 
Mißtrauens?  Und  wenn  es  einen  gäbe,  woher  käme  der  bei  unserer  Krankheit? 

Am  nächsten  kommen  wir  der  Fried mannschen  Auffassung,  die  den  Wirk- 
lichkeitswert einer  Vorstellung  von  ihrer  Stärke  abhängig  macht.  Die  Stärke  hängt 
aber  auch  nach  dem  Autor  von  der  Affektbegleitung  ab.  Wir  können  also  die  meisten 
seiner  Ausführungen  akzeptieren,  so  weit  sie  nicht  statt  der  „affektbetonten  Vor- 
stellung" den  vmfaßbaren  Begriff  der  „starken  Vorstellimg"  setzen. 

Die  „Eigenbeziehungen",  die  in  der  Genese  der  Wahnideen  eine  so  große 
Rolle  spielen,  sind  für  luis  ein  selbstverständliches  Teüsymptom,  das  am  Zustande- 
kommen der  Wahnideen  mitbeteiligt  ist:  der  gefühlsbetonte  Komplex  funktioniert 
beim  Schizophrenen  auch  während  anderer  Gedankengänge,  ist  also  jederzeit  bereit, 
irgend  welches  Material  zu  assimilieren;  wir  brauchen  nicht  auf  Neißers  Verstärkung 
der  Empfindungen  zu  rekuTxieren,  die  nur  ausnahmsweise  vorhanden  ist.  Da  der  Kom- 
plex einen  wichtigen  Teil  des  Ich  repräsentiert,  sind  mit  dieser  Bemerkung  auch  die 
Auffassungen  getroffen,  die  den  Wahnideen  eine  ,, Hypertrophie  des  Ich"  oder  etwas 
Ähnliches  zugrunde  legen.  Besondere  Bedeutung  hat  nicht  das  Ich  bekommen,  sondern 
ein  Teü  desselben,  der  Komplex. 


2.  Die  Sinnestäuschungen. 

Wie  die  Wirklichkeitsfälscliungen  sich  in  Sinnestäuschungen  aus- 
drücken können,  wissen  wir  nicht.  Die  Beobachtung,  daß  neben  Illusionen  noch 
eine  richtige  Beobachtung  des  gleichen  Erlebnisses  stattfinden  kann,  weist 
uns  darauf  hin,  die  Störung  möglichst  weit  zentral  zu  verlegen.  Die  normalen 
Analogien  zu  den  Sinnestäuschungen  gehen  nicht  so  weit,  daß  man  zur  Zeit 
wie  bei  den  Wahnideen  bloß  von  einem  quantitativen  Unterschiede  sprechen 
könnte;  dennoch  mag  es  gut  sein,  sie  nicht  zu  übersehen:  jedermann  hat  Illu- 
sionen; jedermann  kann  im  Traum  oder  bei  verschiedenen  anderen  Anlässen 
halluzinieren.  Die  Disposition  zu  diesen  Täuschimgen  ist  also  gewiß  eine  recht 
naheliegende.  Über  den  Wirklichkeitswert  unserer  Sinnesempfindungen  täuschen 
wir  uns  beständig.  Wir  glauben  mit  den  Sinnen  eine  Gaslampe  wahrzunehmen, 
während  wir  in  Wirklichkeit  nur  HeUigkeits-  und  Formunterschiede  empfinden, 
die  wir  mit  Hilfe  der  früher  gesammelten  Erinnerungsbilder  als 
Lampe  deuten.  Es  liegt  also  in  der  Wahrnehmung  ein  wichtiger  intrazentraler 
Vorgang,  der  bei  der  Schizophrenie  leicht  in  Mitleidenschaft  gezogen  werden 
mag  und  dann  zu  TUusionen  führen  könnte.  Der  Schiitt  von  da  bis  zu  Hallu- 
zinationen muß  ein  recht  kleiner  sein,  denn  schon  innerhalb  der  Norm  gibt  es 
mcht  nur  Illusionen,  sondern  bei  hervorragender  optischer  oder  almstischer 

fanden;  er  hat  basser  beobachtet  als  andsre,  aber  die  Beobaclitungen  physiologisch  statt 
psychologisch  zu  deuten  versucht.  s     i'  J'       ö    "  »"^to 

entstehen  E^s\\Ti?^'l'  ^^J'^''^'''  Körperompfindungen  Halluzinationen 

ent  tehen  Es  handelt  sich  aber  dabei  nur  um  ein  Material,  das  von  einer  bereits  bestehenden 
Uahnrichtung  benutzt  wird,  analog  dem  speziellen  Vergiftungswahn  bei  Diarrhöe  we^ 
a i  gemeiner  Vorgiftungswahn  besteht.  Die  Wahnrichtung  kaniT  auch  im  Traur^e  nur 
^cf  a?fttto  "'^'^^^  ''''''''  -^^h-o-ge-^ß  -d  diese  Gründraus  ließ 


316 


Scliizoplirenie. 


Phantasie  können  bekanntlich  Vorstellungen  „so  lebhaft  werden",  daß  sie  sinn- 
licher Wahrnehmnng  gleichkommen.  Bei  der  Schizophrenie,  wo  sich  die  Unter- 
schiede zwischen  Realität  und  Phantasie  stark  verwischen,  mag  dies  noch  viel 
leichter  geschehen.  —  Die  spezielle  Form  der  Reflexhalluzinationen  wird  in 
der  Übertreibung  eines  normalen  Vorganges  wurzeln:  das  Sehen  einer  Hand- 
schrift, das  Hören  von  Schritten  erregt  oft  einen  sehr  lebhaften  Gefühlston, 
ja  bestimmte  Ideen,  die  dem  Urheber  der  Wahrnehmung  entsprechen,  auch  wenn 
man  diesen  im  Bewußtsein  nicht  erkannt  hat. 

Die  Anlässe  für  die  schizophrenen  Halluzinationen  sind  überhaupt  meist 
psychischer  Art.  Die  Sinnestäuschungen  selbst  erweisen  sich  ferner  als  psychische 
und  nicht  als  sinnliche  Anomalien,  indem  sie  nicht  nur  inhaltlich  einen  Ge- 
danken ausdrücken,  sondern  auch  in  Nebensachen  von  Vorstellungen  abhängig 
sind:  ihre  Lokalisation  geschieht  oft  nachweislich  nach  der  Richtung  der  Auf- 
merksamkeit, und  wenn  von  der  rechten  Seite  oder  von  oben  angenehme,  von 
links,  respektive  unten,  unangenehme  Stimmen  gehört  werden,  so  hat  das  seinen 
Grund  in  der  Regel  nicht  in  der  Veränderung  des  peripheren  oder  zentralen 
Gehörapparates  der  einen  Seite,  sondern  in  der  Bedeutung,  welche  diesen  Rich- 
tungen in  unseren  Vorstellungen  gegeben  wird.  Natürlich  brauchen  die  Halluzi- 
nationen nicht  bewußten  Vorstellungen  zu  entspringen;  von  ihnen  gilt  auch, 
was  Ziehen  von  den  Illusionen  sagt:  sie  ,, vollziehen  sich  bald  im  Sinne 
aktueller,  bald  im  Sinne  latenter  Vorstellungen"  (840,  S.  41).  Haben  sie  auch 
ihre  Wurzel  im  Unbewußten,  so  erzwingen  sie  sich  oft  die  Aufmerlcsarakeit  gegen 
den  Willen  des  Patienten  vermöge  der  affektiven  Bedeutung  des  Ursprungs- 
komplexes. Daß  die  Sinnestäuschungen  nicht  nur  die  einzelnen  Komplexe, 
sondern  auch  den  normalen  Rest  der  Persönlichkeit  mit  ihrer  Kritik  und 
eventuell  ihrer  teilweisen  Einsicht  repräsentieren  können,  erscheint  selbst- 
verständlich. 

Warum  bei  unserer  Krankheit  gerade  die  Täuschungen  des  Gehörs  und  der 
Körperempfiudungen  dominieren,  vermögen  wir  nicht  zu  sagen.  Immerhin 
wird  es  nicht  ohne  Bedeutung  sein,  daß  bei  keiner  andern  Psychose  das  Ich  und 
seine  Stellung  zur  Welt,  das  Denken  und  Fühlen  so  stark  alteriert  ist.  Der  Aus- 
druck des  Denkens  und  Fühlens  in  Worten  ist  so  naheliegend,  daß  behauptet 
worden  ist,  man  denke  überhaupt  nur  in  Worten.  Gerne  bringt  man  ferner  mit 
der  Veränderung  des  Ich  die  Körperhalluzinationen  in  Verbindung,  da  die  Emp- 
findungen des  eigenen  Körpers  den  Grundstock  des  Tchkomplexes  bilden  müsseni). 
Es  wird  wohl  etwas  Richtiges  an  dieser  Auffassung  sein;  bewiesen  ist  sie  nicht. 
Dagegen  ist  es  sicher,  daß  ein  großer  Teil  der  Körperhalluzinationen  aus  über- 
tragenen und  umgestalteten  Sexualgefühlen  entsteht;  können  doch  Schmerzen 
in  der  Lebergegend,  die  Gallensteine  vortäuschen,  sich  als  der  Ausdruck  ver- 
legter Schmerzen  einer  eingebildeten  Geburt  entpuppen.  -  Die  Gesichtshallu- 
zinationen treffen  wir  bei  der  Schizophrenie  wie  sonst  auch  nur  bei  den  deliriosen 
Zuständen  im  Vordergrund.  Ich  möchte  nicht  behaupten,  daß  dies  ausschließ- 
lich deshalb  der  Fall  sei,  weil  in  den  besonneneren  Zuständen  eine  Korrektur 
der  optischen  HaUuzinationen  durch  andere  Sinne  und  durch  den  ^Widerspruch 
mit  den  wirklichen  Gesichtsbildern  zu  leicht  sei. 


1)  „Den  Wahn  körperlicher  Beeinfkißimg  als  Ausdruck  der  verlorenen  Selbst- 
bestimmung finde  ich  in  SeVo  meiner  Fälle."  Albrecht  (S.  683). 


Theorie.  Gedächtnistäuscbungen. 


317 


Kerne  Kranldieit  ist  aber  so  geeignet  wie  die  Schizophrenie,  recht  eindringlich 
zu  zeigen,  daß  das  Wesentliche  an  dem  halluzinatorischen  Prozeß  im  psychischen  Organ 
liegt  weü  —  ganz  abgesehen  von  vielen  anderen  Gründen  —  die  HaUuzinationen 
nicht  Sinnesmaterial,  sondern  Gedanken  und  Gefühle  und  Strebungen  ausdrücken, 
wenn  wir  auch  wissen,  daß  die  A  uslös  u  n g  der  Halluzmationen  von  den  Sinnesorganen 
aus  so  gut  wie  durch  andere  Eeize  geschehen  kann. 

Konrad  hat  allerdings  bei  Halluzinanten  stärkere  Erregbarkeit  der  Gehörs- 
und Gesichtsnerven  gefunden;  die  Beobachtung  bedarf  aber  noch  der  Nachprüf  mag 
an  größerem  Material. 

Der  Wernickeschen  Sejunktionshypothese  liegen  ebenfalls  Beobachtungen  von 
Schizophrenen  zugrunde;  sie  ist  aber  zu  mechanisch,  als  daß  sie  so  komplizierte  Er- 
scheinungen wie  die  Sinnestäuschungen  verständlich  machen  könnte. 

Die  Kraepelinsche  Auffassung  der  „Perzeptionshalluzinationen",  die  durch 
eine  Erregvuig  der  Smneszentren  entstehen  sollen,  wird  der  Tatsache  zu  wenig  gerecht, 
daß  die  Halluzinationen  ganze  Strebungen  ausdrücken. 


3.  Die  Gedächtnistäuscbungen. 

Wer  ein  Tagebuch  führt  und  nach  Jahrzehnten  wieder  darin  liest,  weiß, 
daß  er  manches  anders  notiert  findet,  als  er  es  im  Sinne  hat.  Eegelmäßig  ist  dann 
die  Version  des  Tagebuches  die  weniger  angenehme.  Die  Erinnerung  ist  also 
umgestaltet  worden  in  der  Eichtung  der  Wünsche,  der  Eigenliebe.  Bei  den 
Schizophrenen  mit  ihrer  Schwäche  der  Logik  und  der  übertriebenen  Wirksam- 
keit der  Affekte  haben  solche  Umbildungen  freies  Spiel.  Ganz  wichtige  Erfahrungs- 
reihen werden  verändert  oder  von  der  Erinnerung  ausgeschaltet  und  durch 
anderes  Material  ersetzt:  Gedächtnisillusionen. 

Auch  die  Gedächtnishalluzinationen  sind  nichts  der  Schizophrenie 
Eigentümliches,  wenn  wir  auch  ihr  Prototyp  bei  Gesunden  fast  nur  im  Traum 
finden,  hier  aber  als  eine  gewöhnliche  Erscheinung.  Die  Neigung,  plötzlich  aus  dem 
Unbewußten  aufzutauchen,  teilen  sie  mit  den  schizophrenen  Halluzinationen 
und  Wahnideen:  die  vom  Bewußtsein  abgespaltenen  Komplexe  schaffen  ein 
Gedächtnismaterial,  das  sich  bei  irgend  einer  Gelegenheit  mit  dem  bewußten 
Ich  verbindet. 


4.  Genese  des  Inhaltes  der  Wirklichkeitstäuschungen. 

Wenn  man  auch  von  jeher  da  und  dort  in  einem  einzelnen  FaUe  einen 
Einblick  in  die  Mechanik  einer  Wirklichkeitsfälschung  bekommen  hat,  so  ver- 
danken wir  es  doch  erst  Freud,  daß  die  spezielle  Symptomatologie  der  Schizo- 
phrenie erklärbar  geworden  ist.  Zur  Darlegung  der  Verhältnisse  haben  wir  uns 
nur  an  einfache  Beispiele  gehalten  und  Komplikationen  ignoriert.  Es  soll  aber 
ausdrücklich  hervorgehoben  werden,  daß  die  Analysen  sehr  viel  weiter  geführt 
werden  können,  als  hier  geschehen  ist,  und  daß  natürlich  das  Zustandekommen 
des  einzelnen  Symptoms  nicht  bloß  durch  die  angeführten  Momente,  sondern 
außerdem  durch  mehrfache  andere  Konstellationen  bedingt  ist. 

Auf  die  Technik  der  Untersuchung  können  wir  nicht  eingehen.  Dagegen 
ist  es  leider  notwendig,  die  ganze  Auffassung  zu  verteidigen.  Man  hat  ethische 
Grunde  gegen  die  Freudschen  Untersuchungen  ins  Feld  geführt;  sie  mögen 
bei  der  Therapie  diskutierbar  sein,  nur  darf  man  auch  dort  nicht  die  momentanen 


318 


Schizoi)hrenie. 


sexuellen  Sitten  mit  der  Ethik  verwechseln.  Gegen  die  Erweiterung  unseres  Wissens 
an  sich  aber  gibt  es  keine  ethischen  Gründe,  so  wenig  wie  gegen  die  Richtigkeit 
von  Forschungsresultaten.  Gültige  Einwände  gegen  unsere  Auffassungen  habe 
ich  bis  jetzt  nicht  zu  Gesicht  bekommeu.  Es  beweist  natürlich  nichts,  wenn  man 
mit  oder  ohne  Recht  bestimmte  „Deutungen"  als  phantastisch  hinstellt.  Die 
ganze  Flut  \on  Angriffen  beruht  ausnahmslos  auf  Unkenntnis  des  Wesens  der 
Sache,  die  man  bekämpfen  will.  Diese  Unkenntnis  ist  begreiflich,  denn  ohne  jahre- 
lange eigene  Forschung  kann  man  nicht  zu  einem  Urteil  kommen.  Es  ist  ja  un- 
möglich, das,  worauf  es  ankommt,  nur  zum  hundertsten  Teil  in  die  Beschreibungen 
hineinzulegen.  Die  genauesten  Protokolle  der  Psychanalysen  sind  in  dieser 
Beziehung  wertlos,  weil  uns  die  Kranken  mit  ihrer  Mimik,  mit  Ton  der  Stimme, 
mit  Atmung,  Erröten,  mit  Bewegungen  der  Hände  und  Beine,  mit  Zittern  und 
Sperrungen,  kurz  mit  Affektausdrücken  viel  mehr  als  mit  Worten  die  Zusammen- 
hänge demonstrieren.  Auf  alle  diese  Dinge  reagiert  jedermann  unbewußt  sehr  fein. 
Der  ungebildete  Taglöhner,  das  einjährige  Kind,  ja  jeder  Hund  richtet  sich  mit 
großer  Sicherheit  nach  solchen  Ausdrücken  unserer  Stimmung.  In  der  Psych- 
iatrie ist  es  vorläufig  verpönt,  bewußt  darauf  Rüclcsicht  zu  nehmen,  während 
man  ganze  Ideen  in  einzelne  ZeUen  domizilieren  darf,  ohne  Entsetzen  zu  erregen. 

Die  Auffassung  schizophrener  Symptome  im  Sinne  der  Freudschen 
Symbolik  macht  aus  folgenden  Gründen  Anspruch  auf  Richtigkeit: 

Sie  erldärt  widerspruchslos  eine  unbegrenzte  Menge  von  Tatsachen,  die 
sonst  ganz  unvermittelt  und  unverständlich  dastehen.  Daß  dies  ein  Zufall  wäre, 
ist  so  undenkbar,  wie  daß  eine  Schrift  bei  veränderter  Bedeutung  der  Buchstaben 
eine  zusammenhängende  sinnvolle  Abhandlung  geben  würde. 

Bei  richtigen  Deutungen  ergeben  sich  trotz  der  vielen  ihnen  unterzuord- 
nenden Tatsachen  keine  Widersprüche,  während  eine  falsche  Deutung  meist 
vielfach  anstößt  und  auch  von  dem  Patienten  gewöhnlich  desavouiert  werden  kann. 
Richtige  Deutungen  werden  von  den  Kranken  gewöhnlich  bestätigt,  sobald  die 
Widerstände  überwunden  sind.  Die  meisten  Deutungen  stammen  überhaupt  gar 
nicht  vom  Arzt,  sondern  vom  Patienten. 

Wären  die  Deutungen  willkürlich,  so  müßten  sie  sich  auch  bei  beliebigen 
anderen  Zuständen  in  gleicher  Weise  anwenden  lassen.  Sie  versagen  aber  z.  B. 
beim  Delirium  tremens  und  überall  da,  wo  man  es  nicht  mit  einer  wesensgleichen 
Symptomatologie  zu  tun  hat.  Sie  lassen  sich  ferner  von  den  verschiedensten  Seiten 
verifizieren:  das  Studium  der  experimentellen  Assoziationen,  die  Symbolik  des 
Traumes,  der  Poesie,  der  Mythologie,  ergibt  genau  die  gleichen  Resultate.  Die 
Ergebnisse  sind  auch  im  einzelnen  FaUe  oft  auf  ihre  Richtigkeit  prüfbar,  indem 
wiederholte  Experimente  unter  gleichen  Umständen  die  gleichen  Resultate 

ergeben.  .  . 

Mit  der  Sicherheit  eines  physikalischen  Experimentes  verbürgen  diejenigen 
gar  nicht  seltenen  FäUe  die  Richtigkeit  der  Deutungen,  wo  diese  auf  reale  Vorgänge 
schließen  lassen,  die  sich  bei  der  objektiven  Prüfung  nachträglich  als  richtig 

erweisen.  ^    -r»-  1 4. 

So  konnte  ich  in  einem  FaUe  aus  dem  Roman  eines  bekannten  Dichters  die 
Trennung  von  seiner  Frau  voraussagen  mehrere  Jahre,  bevor  sonst  irgend  etwas 
darauf  hindeutete,  und  bevor  nach  allem  menschenmöglichen  Wissen  der  Ehe- 
mann selber  sich  der  Loslösung  von  der  Frau  bewußt  war.  Wir  konnten  m  anderen 


Theorie.  InLalt  der  Wirklichkeitstäuscliungen. 


319 


Fällen  bei  Nervösen  wie  bei  Geisteskranken  aus  Symptomen  Zerwürfnisse  zwischen 
Ehegatten  diagnostizieren,  deren  Eichtigkeit  sich  erst  später  herausstellte. 
Man  kann  aus  einer  bestimmten  Mimik  auf  Fellatio,  aus  einer  Wahnidee  auf 
Gewissensbisse  wegen  Päderastie  schließen  und  erhält  vom  Kranken  ohne  jede 
Suggestion  die  Bestätigung.  Eine  Menge  der  aus  der  Analyse  sich  ergebenden 
Erlebnisse  lassen  sich  auch  sonst  objektiv  verifizieren,  sind  also  nicht,  wie 
Keichardt  meint,  „selbstverständlich  Produkte  paranoischer  Einbildung" i). 


Ein  wesentlicher  Teil  der  schizophrenen  Symptome  entspringt  den  gefühls- 
betonten Komplexen.  Welche  speziellen  Komplexe  den  einzelnen  Kranken 
beherrschen,  das  läßt  sich  schwer  allgemein  bestimmen.  Von  einem  gewissen 
Einfluß  sind  unzweifelhaft  Vorkommnisse,  die  in  bezug  auf  die  Person  und  die 
Krankheit  zufällige  genannt  werden  müssen.  Wer  sich  gerade  zur  Zeit,  da  seine 
Ej-ankheit  akut  einsetzt,  verliebt  hat,  der  wird  diesen  erotischen  Komplex 
mit  großer  Wahrscheinlichkeit  in  die  Elrankheit  hinüber  zu  nehmen  haben. 
Wer  gerade  mit  etwas  anderem  beschäftigt  ist,  wer  z.  B.  um  seine  ökonomische 
Existenz  zu  kämpfen  hat,  wird  leicht  Ideen  von  Besitz  und  Reichtum  in  den 
Vordergrund  steller.  Religiös  angelegte  Naturen  werden  natürlich  eher  zu  „re- 
ligiösem Wahnsinn"  kommen  als  andere;  oft  wird  die  Kjankheit  allzu  intensiver 
religiöser  Beeinflussung  von  anderer  Seite  zugeschrieben ;  es  wäre  möglich,  daß 
eine  solche  Einwirkung  auch  bei  einem  von  Natur  nicht  religiös  angelegten 
Menschen  die  Wahnrichtung  bestimmen  könnte.  So  recht  nachgewiesen  habe  ich 
es  noch  nicht  gesehen.  Diejenigen  Fälle,  wo  man  den  Ursprung  der  religiösen 
Wahnideen  einigermaßen  verfolgen  konnte,  deuteten  alle  auf  frühere  starke 
Beschäftigung  mit  solchen  Dingen.  War  der  religiöse  Trieb  schon  früher  nicht  nur 
besonders  stark,  sondern  qualitativ  abnorm,  so  lag  es  allerdings  am  nächsten, 
die  religiöse  Betätigung  schon  der  verkannten  Kjrankheit  zuzuschreiben,  und 
bei  der  Unmöglichkeit,  gerade  bei  religiösen  Trieben  zwischen  ungewöhnlicher 
Stärke  und  krankhafter  Abnormität  prinzipiell  zu  entscheiden,  mußte  man  die 
Frage  nach  der  Ursache  wieder  offen  lassen.  Bei  Frauen  fanden  wir  am  häufigsten 
die  Liebe  zu  einem  Pfarrer  irgendwo  an  der  AVurzel  des  „religiösen  Wahnsinns"^). 

So  würde  nicht  die  Krankheit  aus  dem  Charakter  heraus- 
wachsen, wie  die  vulgäre  Auffassung  meint,  sie  würde  auch  nicht  in 
ihren  Symptomen  durch  den  Charakter  bestimmt,  wie  Tiling  sich 
denkt,  sondern  das,  was  die  Symptomatologie  bestimmt,  ist  der  ge- 
fühlsbetonte Komplex,  der  aber  seinerseits  wieder  oft  abhängig  ist 
V  0  n  a  n  g  e  b  0  r  e  n  e  n  A  n  1  a  g  e  n :  nur  wer  den  Trieb  hat,  eine  bestimmte  Rolle  in  der 
Welt  zu  spielen,  sei  es  in  Politik,  Religion  oder  Wissenschaft,  kann  die  Krank- 

1)  Eine  ausführlichere  Kritik  der  Angriffe  auf  Freud  und  auch  eine  teilweise  Kritik 
derFreudschen  Lehren  selbst  enthält:  Bleuler,  Die  Psychanalyse  Freuds.  Wien,  Deuticke 
lyil,  und  Jahrbuch  für  psychanalytische  Forschung  II,  1910. 

,  ,  .'^^'f  "^""^^  P""^^"^  Es  '^ann    B.  so  gehen,  daß  zunächst  die  hienieden 

unbefriedigte  Sexualität  m:Religiosität  subUmiert  wird,  und  dann  erst  auf  Grund  religiöser 
htimmungen  der  Pfarrer  vor  allen  anderen  Männern  angosclmärmt  und  dadurch  daa  Gefühl 
teilweise  resexualisiert  wird,  ,  v^eiuni 


320 


Schizophrenie. 


hcitssymptome  durch  einen  entsprechenden  Komplex  determinieren.  Eine 
Iriebrichtimg  mdes  ist  allen  Menschen  gemeinsam,  die  sexuelle,  die  mit  allem 
was  drum  und  dran  hängt,  einen  großen  Teil  unseres  Ichi)  ausmacht.  Deshalb 
treffen  wir  in  jedem  Falle  den  sexuellen  Komplex,  teils  allein,  teils  in  Verbindung 
mit  anderen.  ^ 

Hinter  vielen  der  einzelnen  Krankheitssymptome  stehen  also  Wünsche 
und  Befürchtungen,  Strebungen  und  deren  Hindernisse. 

Diese  Genese  bedarf  wohl  keines  Beweises  in  den  häufigen  Fällen,  wo 
z.  B.  Anstaltspatienten  ganz  unmotiviert,  aber  überzeugt,  plötzlich  erklären- 
„Heute  kommt  mein  Sohn  und  holt  mich  ab."  Beim  einen  Kranken  ist  diese 
Idee  unvermittelt  aufgetaucht,  dem  andern  haben  es  die  Stimmen  gesagt,  der 
dritte  hat  es  aus  Zeichen  erschlossen,  die  er  auf  sich  bezog,  und  im  Sinne  des 
Wunsches  deutete.  Gleich  selbstverständlich  ist  diese  Auffassung  in  vielen  anderen 
emfachen  Fällen:  Zwei  Frauen  glauben  (ohne  Berührung  miteinander)  den  Mann, 
den  sie  lieben,  in  der  Nähe,  bald,  weil  sie  seine  Stimme  hören,  bald  ohne  einen 
solchen  Anhaltspunkt,  obschon  die  beiden  Männer  in  Amerika  sind.  Eine  Schizo- 
phrene, die  in  der  Anstalt  geboren  hat,  aber  gar  keine  Milch  produziert,  hört  die 
Stimmen  sagen,  das  Kind  habe  die  ganze  Nacht  bei  ihr  getrunken.  Ein  Offizier, 
der  mit  seiner  Schwiegermutter  von  jeher  nicht  gut  auskommt,  ist  überzeugt, 
daß  sie  geköpft  werde  oder  —  auf  Einwand  —  doch,  daß  sie  lebenslängliches 
Zuchthaus  bekomme.  Er  hat  sie  ja  beim  Staatsanwalt  verklagt,  sie  habe  vor 
Jahren  eine  andere  Frau  vergiftet;  er  hat  nicht  die  mindesten  Beweise  für  seine 
Behauptung  beigebracht,  fühlt  sich  aber  ganz  sicher. 

In  diesen  Fällen  wird  der  Widerspruch  mit  der  Wirldichkeit  in  Zukunft 
und  Vergangenheit  verlegt.  Es  macht  aber  den  Kjanken  gar  nichts  aus,  wenn  sie 
auch  mit  der  Gegenwart  in  Kollision  kommen.  Ein  Hebephrene,  der  anfängt, 
alt  zu  werden,  und  lauter  schlechte  Zahnstümpfe  besitzt,  freut  sich  eines  morgens 
kindlich,  daß  er  neue  Zähne  bekommen  hat,  und  zeigt  mit  Stolz  den  Ärzten 
und  Wärtern  seinen  Mund;  er  muß,  um  seine  Behauptung  auch  vor  sich  selber 
aufrecht  zu  erhalten,  die  Empfindung  neuer  Zähne  in  seinem  Munde  illusionieren. 
Eine  latent  Schizophrene,  deren  Menstruation  zum  ersten  Male  aussetzt  (Meno- 
pause), erwacht  in  der  Nacht  daran,  daß  ihre  Glieder  sich  einziehen,  sie  wird  so 
klein  wie  ein  Neugeborenes,  strampelt  mit  Armen  und  Beinen  imd  muß  vom 
Manne  wie  ein  kleines  Kind  auf  den  Armen  herumgetragen  werden  (Regeneration 
an  Stelleder  Involution  [Jung]).  —  Ein  körperlich  armseliges  Geschöpf  (in  der 
Jugend  AVasserkopf)  glaubte  sich  wundervoll  gebaut  wie  eine  Statue;  sie  ist 
bloß  abgemagert  durch  das  Bad,  das  sie  beim  Eintritt  bekommen.  Ferner  ist  sie 
in  den  Himmel  aufgenommen,  verkehrt  mit  Heiligen;  sie  hat  also  die  Misere 
dieser  Welt  doppelt  überwunden  (Norman  526,  S.  279). 

Ein  hochintelligenter  Mann,  der  trotz  eines  ersten  katatonischen  Anfalles 
noch  eine  Rolle  spielt  und  viel  öffentlich  reden  muß,  stottert  und  stammelt  etwas. 
Im  zweiten  katatonischen  Dämmerzustand  meinte  er,  eine  ganz  reine  Stimme  zu 
haben,  „so  Idar,  so  rein  wie  nie;  jeden  Laut  kann  er  haarscharf  aussprechen". 
Diese  Idee  veranlaßte  ihn  dann,  fürchterlich  laut  zu  singen,  sogar  als  er  auf  Besuch 


1)  Mehr  als  die  Hälfte;  denn  die  andere  Hälfte,  die  der  Selbsterhaltung  dienenden 
Triebe,  sind  beim  Kiiltur menschen  verkümmert. 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeit stäuschungen. 


321 


^ar.  —  Ein  sexuell  Erregter  glaubt  sicli  in  der  Anstalt  in  einem  Frauenkloster 
und  koitiert  mit  der  Matratze. 

Der  WuDscli,  nicht  in  einer  Irrenanstalt  zu  sein,  veranlaßt  eine  Verfälschung 
der  örtliclien  Orientierung  in  dem  Fall  einer  ganz  attenten  und  arbeits- 
fähigen Frau,  die  an  ihren  Mann  schreibt:  „In  kurzen  Zeilen  mui3  ich  Dir  mit- 
teilen, daß  ich  seit  heute  14  Tage  in  der  Erholungsstation  bin  neben  der  Irren- 
anstalt im  BurghöM  aus  mir  noch  nicht  ganz  aufgeklärten  Gründen."  Sie  ist 
wirklich  im  Burghölzli,  nicht  neben  demselben,  erkennt  die  anderen  Kranken  als 
geistesgestört;  das  hindert  die  Verfälschung  der  örtlichen  Orientierung,  die 
übrigens  in  dieser  Art  recht  häufig  vorkommt,  nicht. 

Einen  voUen  Bruch  mit  der  Wirklichkeit  zeigt  auch  ein  Katatoniker,  den 
es  eine  Zeitlang  reute,  seine  Mutter  umgebracht  zu  haben,  und  der  während 
dieses  Stadiums  ernstlich  glaubte,  das  Unglück  könne  auch  ungeschehen  ge- 
macht werden,  wie  er  sich  selbst  ausdrückte. 

Nicht  immer  sind  die  Wünsche  so  gut  begründet  und  andauernd;  auch 
momentane  Kegungen,  die  im  ganzen  durch  entgegenstehende  lebhaftere  Ge- 
fühle im  Schach  gehalten  werden,  können  in  Wahnideen  umgesetzt  werden. 
Ein  junges  Mädchen,  das  sich  beim  Beginne  einer  Katatonie  ungeziemend  auf- 
führte, erhielt  von  der  Mutter  eine  Strafpredigt  und  eine  Ohrfeige;  sie  rannte 
zu  den  Hausleuten  und  schrie:  „Haben  Sie  gehört,  Papa  hat  die  Mutter  er- 
schossen"; gleich  nachher  bat  sie  die  Mutter  kniefällig  um  Entschuldigung. 
Die  von  Jung  analysierte  B.  S.  sieht  die  Personen,  die  sie  durch  irgend  eine 
Kleinigkeit  ärgern,  Wärterinnen,  Ärzte,  auch  Mitkranke,  die  etwas  tun,  was  ihr 
nicht  gefällt,  sofort  mit  dem  Leichenwagen  fortgeführt;  meinen  Vorgänger  sah 
sie  einmal  plötzlich  wie  von  einer  Kugel  weggerafft. 

Überhaupt  sind  den  Kranken  die  Leute,  die  in  ihren  Wahn- 
ideen sterben,  immer  irgendwie  im  Wege  und  wäre  es  nur  durch 
Beziehungen  zu  verhaßten  Personen.  Eine  Katatouika  mochte  die  Herr- 
schaft, bei  der  sie  einige  Zeit  vor  ihrer  Erkranktmg  gedient  hatte,  nicht  leiden. 
In  ihren  Wahnideen  nun  war  das  unschuldige  Kind  der  Herrschaft  umgekommen. 

Nicht  immer  werden  die  Verhaßten  einfach  als  gestorben  gedacht.  Ein 
Katatoniker  hat  Händel  mit  seinen  Geschwistern;  zweimal  sah  er  den  Tod 
zwischen  sich  und  dem  Bruder.  Die  Idee,  den  Verhaßten  selbst  zu  töten,  kommt 
nicht  selten  zum  Ausdruck.  Eine  Patientin  Hagte  sich  an,  ihren  Bruder  getötet 
zu  haben.  Auf  die  Frage,  ob  sie  ihn  gern  habe,  sagte  sie  zwar  ja,  aber  mit  einem 
Ton  imd  einem  Lächebi,  das  jedermann  überzeugen  mußte,  das  Gegenteil  sei 
wahr.  Ein  sehr  geiziger  Sohn,  dessen  Mutter  ihn  am  Emporkommen  verhinderte, 
weil  er  sie  unterstützen  mußte,  und  der  überzeugt  war,  von  ihr  die  geisti^^e  Un- 
zulänghchkeit  geerbt  zu  haben,  sagte  zu  ihr:  „Ich  könnte  dich  mir  ganz  "ut 
vorstellen  lang  ausgestreckt  auf  dem  Boden  und  mit  einem  Löchlein  auf  der 
Stime." 

Die  Wahnidee  des  Mordes  kommt  außerdem  noch  als  sexueUes  SjTnptom 
vor,  wie  wir  später  sehen  werden.  Bis  jetzt  haben  wir  einen  einzigen  Fall  beobachtet 
wo  sich  weder  das  Ausdemwegeräumen  noch  die  sexueUe  Liebe  als  Wurzel  der 
iuee  nachweisen  ließ. 

In  einer  komplizierten  Weise  erfüllt  sich  ein  paranoider  Quärulant  der 
Übrigens  ein  Paradigma  für  manche  andere  Schizophrenen  ist,  seine  Wünsche 

Handbuch  der  Psycliiiitiie :  Bleuler. 

21 


322 


Schizophrenie. 


Er  bescliuldigt  die  Leute,  die  er  nicht  mag,  verschiedener  Verbrechen')  und 
entnimmt  die  Beweise  dafür  seinen  Halluzinationen  und  Gedächtnistäuschungen. 
Er  hat  ferner  Forderungen  an  diese  Leute  zu  stellen.  Einen  Verleumdungsprozeß 
behauptete  er  gewonnen  zu  haben,  obgleich  er  die  Strafe  abgesessen  und  Buße 
und  Gerichtskosten  bezahlt  hat,  und  er  bleibt  bei  seinem  Glauben,  auch  wenn  man 
ihm  das  Urteil  wieder  zeigt.  Als  er  bei  uns  in  Untersuchung  war,  sagten  wir  ihm 
mit  aller  denkbaren  Bestimmtheit  bei  jeder  Gelegenheit,  daß  wir  ihn  für  geistes- 
krank und  seine  Forderungen  für  wahnhaft  halten;  er  ließ  sich  aber  nicht  davon 
überzeugen,  daß  wir  ihn  nicht  in  unserem  Gutachten  für  gesund  erklärt  und  ihm 
auch  bei  seinen  Forderungen  und  Anklagen  recht  gegeben  hätten.  —  Einem 
jungen  Manne,  der  an  Kinderlähmung,  allgemeiner  Schwäche  und  Kopfschmerzen 
litt,  war  das  Leben  verleidet:  er  gewann  die  Überzeugung,  daß  er  und  seine 
Verwandten  an  einem  bestimmten  Tage  sterben  müßten.  (Als  er  aber  den  Tag 
überlebte,  suchte  er  den  Wunsch  durch  einen  ganz  unbändigen  Selbstmordtrieb 
zu  erfüllen.) 

Die  Wünsche  nach  großem  Können,  nach  Reichtum,  Macht,  Vornehmheit 
werden  im  Größenwahn  erfüllt.  Er  gilt  als  ein  Zeichen  von  Blödsinn;  genau 
im  gleichen  Sinne  sind  es  aber  auch  die  anderen  autistischen  Wunscherfüllungen. 
Der  Wahn,  der  ungeliebte  Mann  habe  durch  seinen  Tod  der  Patientin  eine 
begehrte  Verbindung  ermöglicht,  hat  z.  B.  die  nämliche  Bedeutung.  In  Wirk- 
lichkeit verhält  sich  die  Sache  folgendermaßen:  Im  Beginn  des  Wahnes  finden 
wir  einen  Wunsch,  der  vom  Schizophrenen  ohne  Begleitung  der  Idee  seiner  Un- 
erf üUbarkeit  gedacht  werden  kann  oder  der  —  nach  dem  folgenden  Schritt  —  als 
erfüllt  gedacht  wird.  Der  Arbeiter  kann  sich  nur  mit  Hilfe  eines  vollen  Sacrificium 
inteUectus  als  regierenden  Kaiser  denken ;  die  Frau,  die  Tag  und  Nacht  mit  ihrem 
Manne  lebt,  kann  nur  bei  vollständigem  Abschluß  von  der  Wirklichkeit  oder 
gänzlichem  Bankerott  der  Logik  glauben,  daß  ihr  Mann  tot  sei.  Für  besonnenere 
Patienten  muß  somit  der  beständige  Widerspruch  des  Wunsches  mit  der  Wirk- 
lichkeit verhindern,  daß  der  Wahn  vollständig  ausgebaut  werde,  und  noch 
mehr,  daß  er  von  seinem  Komplex  aus  die  ganze  Person  beherrsche ;  er  wird  nicht 
durchgeführt,  bleibt  im  wesentlichen  im  Unbewußten  oder  wird  verschoben 
und  hinter  Symbolen  versteckt.  Um  so  fühlbarer  werden  die  Hindernisse,  die 
sich  der  Wimscherfüllung  oder  dem  Wahne  des  erfüllten  Wunsches  entgegen- 
stellen: Daher  wird  häufiger  zuerst  die  Idee  der  Verfolgung  ausgebaut,  die  schon 
bei  jedem  Normalen  bereit  liegt,  wenn  seine  Aspirationen  scheitern  (es  wird 
selten  ein  Kandidat  durchs  Examen  fallen,  der  nicht  einen  Teil  wenigstens  der 
Schuld  bei  den  Examinatoren  findet). 

Es  gibt  nun  Fälle,  wo  die  Vorstellung  des  erfüllten  Wunsches  nicht  auf  so 
große  Hindernisse  stößt:  der  kranke  Weltverbesserer,  der  Prophet,  der  Philosoph, 
der  Dichter,  oft  auch  der  Erfinder  und  andere  Leute  mit  ähnlichen  Strebungen 
lassen  sich  nicht  gleich  ad  absurdum  führen,  ja  sie  finden  oft  Gläubige.  Diese 
können  den  Größenwahn  ausbauen,  ohne  den  logischen  Zusammen- 
hang mit  der  Wirklichkeit  zu  verlieren,  und  der  Verfolgungswahn 
kann  ausbleiben  oder  erst  ganz  spät  einsetzen. 

Bei  allen  anderen  Formen  müssen  sich  die  Aspirationen  hinter  dem  Ver- 


1)  Vgl.  auch  ob3n  S.  5,  und  die  ähnUche  Genese  bei  Eifersuchtswahn  weiter 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschungen. 


323 


fol^uugswahn  verstecken;  nichtsdestoweniger  sind  sie  das  Primäre;  eine  Patientin 
kann  sich  nicht  dagegen  verwahren,  daß  sie  ein  Kind  von  Dr.  N.  habe,  wenn  ihr 
nicht  irgendwie  die  Idee  gekommen  ist,  sie  möchte  eines  haben  oder  habe  eines. 

Wenn  also  jene  Wahnformen,  die  einen  krassen  Widerspruch  mit  der 
Wirklichkeit  enthalten,  seien  sie  im  Sinne  des  Größenwahnes  oder  nicht, 
ungeschminkt  und  ausgebildet  hervortreten,  so  muß  es  sich  jedesmal  um  eme 
sehr  weitgehende  Abtrennung  von  der  Wirklichkeit  oder  dann  um  eine  hochgradige 
Denkstörung  oder  um  beides  handehi.  Ist  in  einem  chronischen  Zustand 
eine  dieser  beiden  Bedingungen  erfüllt,  dann  ist  der  Patient  gewöhnlich  unheilbar 
und  mag  zugleich  als  hochgradig  blödsinnig  gelten,  wenn  er  auch  andere  Verhält- 
nisse tadellos  beurteilt. 

Die  Lostrennung  von  der  Wirklichkeit,  die  hochgradige  Störung  der  Logik 
und  der  durch  diese  Dinge  ermöglichte  Größenwahn  und  andere  Wunsch- 
erfüUungen  können  aber  ebensogut  Teilerscheinungen  beliebiger  akuter  Zustände 
und  damit  vorübergehend  sein.  Die  Auffassung  des  Größenwahnes  als  Zeichen  der 
Verblödung  war  also  eine  praktische  Kegel  mit  vielen  Ausnahmen,  die  nicht  die 
ganze  Wahrheit  und  dafür  manches  Unrichtige  enthielt. 

Aspirationen  irgend  welcher  Art  verbinden  sich  leicht  mit  sexuellen 
Ansprüchen.  Ein  Arbeiter,  der  von  jeher  sehr  sparsam  gewesen  und  sehr 
darauf  sah,  daß  man  ihn  in  gebührender  Weise  ehrte,  lebte  seit  dem  23.  Jahre 
in  anscheinend  glücklicher  Ehe.  Mit  31  Jahren  erklärte  er  seiner  Frau  unter 
Tränen,  er  wolle  sie  glücklich  machen ;  er  werde  ein  bestimmtes  reiches  Fräulein 
heiraten.  Auf  Einwand,  daß  das  nicht  möglich  sei,  meinte  er,  er  werde  sich  eben 
scheiden  lassen.  Er  erhielt  Zeichen,  daß  er  die  Dame  heiraten  soUe,  tat  Schritte 
dafür.  Dieselbe  Bedeutung  der  gleichzeitigen  Erfüllung  sexueller  und  ökonomischer 
Wünsche  hat  es,  wenn  einer  geizigen  Frau  durch  die  Stimmen  telephoniert  wird, 
es  kommen  Herren,  die  ihr  Geld  bringen.  —  Eine  geistig  sehr  gut  entwickelte 
Frau  aus  dem  Volke  hat,  obwohl  sie  etwas  auf  Intelligenz  und  Bildung  hält, 
einen  Mann  geheiratet,  der  ihr  geistig  minderwertig  erscheint.  Sie  hat  zwar 
keinen  andern  Liebsten,  nimmt  nun  aber  so  Rache  am  Manne,  daß  die  Stimmen 
ihn  foppen  und  verspotten,  sie  aber  trösten,  sie  habe  ein  besseres  Los  verdient, 
sie  werde  20.000  Franken  erben. 

Komplizierter  äußert  sich  das  Bedürfnis  nach  Liebe  und  Standeserhöhung 
im  folgenden  Falle:  Eine  hebephrene  Bäuerin  ist  in  „telephonischem"  Verkehr 
mit  Herren  an  einem  Kurort ;  namentlich  ein  Baron  (der  in  Wirklichkeit  gar  nicht 
existiert)  will  sie  heiraten.  Ihr  Mann  ist  ihr  durchgebrannt  (wirklich,  er  war 
ein  Lump).  Patientin  hatte  aber  schon  vorher  den  Zwang  in  sich  gefühlt,  um 
Mitternacht  „zu  einem  andern  Mann"  in  ein  Nachbardorf  zu  laufen  und  ihm 
ihren  Ehevertrag  zu  bringen.  Später  halluzinierte  sie  vielfach:  viele  Menschen, 
die  sie  bedrohen,  eine  Schlange,  einen  ungeheuren  Drachen,  alles  Dinge,  die  mit 
der  Sexualität  im  Zusammenhang  stehen,  wie  die  Erfahrung  an  anderen  Kranken 
ergibt.  Zu  gleicher  Zeit  wird  das  Bedürfnis  nach  Reichtum  befriedigt :  sie  sieht  sich 
m  einem  großen  Garten  mit  wunderbar  schönen  Bhimen,  darin  ein  feenhaftes 
Schloß  mit  Girlanden  umgeben.  Wie  die  Kranlcheit  fortschreitet,  sieht  sie  bei  guter 
Besonnenheit  den  österreichischen  Kaiser  auf  ihrem  Felde;  ihr  Enkel  ist  ein  Kron- 
prinz von  Österreich;  mit  andern  hohen  Herrschaften  ist  sie  ebenfalls  in  Berüh- 
rung. Sie  mußte  auch  zwangsmäßig  in  Wirtschaften.gehen  und  Kotelette  befehlen. 

21* 


324 


Scliizopbrenie. 


Der  Gegensatz  zur  AVirldichkeit  kam  aber,  wie  oft,  ia  den  Kranklieits- 
symptomen  ebenfalls  zutage.  Die  Stimmen  sagten  ihr  z.  B.,  wenn  sie  in  Wirt- 
schaften groß  tat,  sie  sei  ein  Luder,  ein  Laster.  Ferner  meinte' sie,  der  Mann  habe 
sie  durch  em  Pulver  oder  durch  Zauber  an  sich  gefesselt  (sie  ist  also  nicht  schuld 
daß  sie  eine  so  ungeschickte  Heirat  gemacht  hat).  ' 

Die  Abneigung  gegen  den  Ehegatten  respektive  der  Wunsch  einen  andern 
zu  haben,  gibt  sich  bei  unseren  Kranken  auf  die  verschiedenste  Weise  zu  erkennen 
Nicht  selten  behaupten  die  Frauen,  sie  seien  gar  nicht  verheiratet  oder  wenigstens 
ihr  Mann  sei  nicht  ihr  Gatte.  Wie  andere  gehaßte  Leute  werden  die  Ehemänner 
häufig  tot  erklärt,  mit  oder  ohne  Jammern.  Sehr  diskret  zeigte  sich  die  Ab- 
neigung gegen  den  ungeliebten  Gatten  bei  einer  paranoiden,  längst  verheirateten 
Frau  m  einem  Versehen,  in  dem  sie  einen  Brief  mit  ihrem  Mädchennamen  unter- 
schrieb und  dann  ihren  erheirateten  Familiennamen  dazu  korrigierte.  (Sie  hatte 
außerdem  eine  immer  zunehmende  Menge  Wahnideen  und  Halluzinationen,  die 
zum  großen  Teil  gegen  den  Mann  gerichtet  waren.)  Dieses  Versehen  ist  eine  hübsche 
Übertragung  von  Freuds  Psychologie  des  AUtagslebens  ins  Pathologische. 

Eine  spätkatatone  Frau  K.  liebt  ihren  Mann  nicht,  dagegen  einen  Be- 
kannten aus  der  Jugendzeit.  Sie  behauptet  nun  eine  Zeitlang,  es  existieren 
„zwei  K.S.,  ein  weißer  und  ein  schwarzer,  ein  guter  und  ein  böser".  Die  einfache 
Symbolik  wird  in  diesem  Falle  von  der  Patientin  selbst  noch  empfunden  und 
erklärt.  Einige  Zeit  später  glaubt  sie  sich  mit  ihrem  früheren  Geliebten  ver- 
heiratet und  ihren  Mann  ebenfalls  mit  einer  früheren  Bekanntschaft.  Und  um 
ihr  Glück  voll  zu  machen,  sind  alle  ihre  lieben  Verstorbenen  wieder  lebendig 
geworden  und  im  Verkehr  mit  ihr. 

Eine  stramme  Bäuerin  hat  einen  Mann  geheiratet,  der  ihr  weder  körperlich 
noch  geistig  ebenbürtig  ist.  Sie  liebte  einen  Pfarrer.  Nach  Ausbruch  der  Katatonie 
macht  sie  sich  von  ihrem  Manne  dadurch  frei,  daß  sie  ihn  für  untreu  und  mit 
einer  andern  verlobt  glaubt  (ein  Wahn,  der  unter  solchen  Umständen  sehr  häufig 
ist;  vergleiche  auch  den  vorhergehenden  Fall).  Sie  geht  eines  Tages  aufs  Standes- 
amt, um  sich  zu  erkundigen,  ob  der  Mann  noch  nicht  als  Verlobter  ausgeschrieben 
sei.  In  der  Anstalt  ruft  sie  verbigerierend,  ihre  Genitalien  werden  für  den  Pfarrer 
zurecht  gemacht.  Die  Wirklichkeit  kommt  aber  auch  da  einigermaßen  zu  ihrem 
Recht,  indem  die  Kranke  sich  oft  beklagt,  der  Mann  komme  in  der  Nacht  zu  ihr 
ins  Bett  (eine  unter  solchen  Umständen  nicht  seltene  Idee) ;  sie  wolle  ihn  aber  nicht, 
sondern  den  Pfarrer.  Eine  andere  Art  Anpassung  liegt  wohl  auch  darin,  daß  sie 
in  der  Anstalt  nach  einiger  Zeit  den  Arzt  mit  ihrem  Pfarrer  identifiziert.  Der 
Arzt  ist  aber  verheiratet,  und  da  er  eines  Tages  zu  ihr  kommt,  empfängt  sie  ihn 
mit  dem  Ausruf:  „So,  ist  ihre  Frau  gestorben?"  Als  das  verneint  wird,  geht  sie 
mit  ihrem  Gedankengang  weiter,  wie  wenn  es  bejaht  worden  wäre:  „Sie  be- 
kommen ja  leicht  wieder  eine  Frau,  ich  z.  B.  würde  Sie  schon  heiraten."  Da  ihre 
Konkurrentin  doch  weiter  lebt,  nimmt  sie  eines  Tages  eine  Erinnerungstäuschung 
zu  Hilfe,  der  Arzt  habe  ihr  selbst  versichert,  er  könne  mit  seiner  Frau  nicht 
sexuell  verkehren. 

In  all  den  zahlreichen  Fällen,  wo  eine  Frau  ihren  Mann  fälschlich  tot  glaubte, 
wo  sie  glaubte,  nicht  verheiratet  zu  sein,  nicht  den  Namen  ihres  Mannes  zu  haben 
und  ähnliches,  fanden  wir  ausnahmslos  nicht  bloß  Unzufriedenheit  mit  irgend 
einer  einzehaen  Eigenschaft  oder  einer  einzelnen  Handlung  des  Mannes,  sondern 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschungen. 


325 


eine  tiefer  gehende  Unbefriedigtlieit,  die  indes  nicht  in  allen  Fällen  der  Patientin 
klar  bewußt  sein  mußte.  Unter  den  angegebenen  Anlässen  zur  Unzufriedenheit 
wird  auch  angeführt,  daß  der  Mann  sie  sexuell  nicht  befriedige.  Selten  handelt 
es  sich  dabei  um  Impotenz.  Die  Nichtbefriedigung  hat  also  wohl  wie  gewöhnlich 
ihren  Grund  in  mangelnder  Liebe  der  Frau  oder  teilweiser  Abneigung  gegen  den 
Mann.  Es  ist  nun  zur  Genese  dieser  "Wahnideen  nicht  nötig,  daß  der  Mann  im 
gewöhnlichen  Sinne  gehaßt  werde;  die  Frau  kann  alle  Hochachtung  vor  ihm 
haben,  sie  kann  ihn  sogar  in  einer  gewissen  "Weise  lieben,  aber  er  ist  ihr  irgendwie 
doch  imgenügend  oder  unangenehm  (Ambivalenz);  namentlich  scheint  in- 
tellektuelle oder  gemütliche  Insuffizienz  (im  Verhältnis  zu  den  Ansprüchen) 
schwer  empfunden  zu  werden.  Ebensowenig  braucht  der  Geliebte  allen  "Wünschen 
der  Patientin  zu  entsprechen;  er  wird  oft  wahnhaft  umgestaltet;  aber  irgend 
einen  wichtigen  "Vorteil  dem  Manne  gegenüber  muß  er  haben. 

"Was  von  der  Frau  gesagt  ist,  läßt  sich  mutatis  mutandis  auch  beim  Manne 
finden,  doch  im  Durchschnitt  weniger  ausgesprochen.  Der  Mann  ist  weniger 
auf  die  eine  Frau  angewiesen;  er  beschäftigt  sich  in  der  Idee  oder  handelnd 
leichter  mit  dem  Gedanken  der  Scheidung.  Die  Sache  geht  ihm  auch  weniger 
tief.  Er  kaim  neben  der  Frau  ganz  gut  noch  die  eine  oder  andere  Wahngeliebte 
(oder  auch  eine  wirldiche)  haben ;  er  kann  sogar  eine  andere  heiraten  wollen,  um 
seine  Frau  glücklich  zu  machen,  die  dann  seinen  Reichtum  teilen  soU. 

Vielleicht  häufiger  als  die  Frau  entledigt  sich  der  Mann  seiner  Verpflichtung 
gegen  die  Gattin  dadurch,  daß  er  sie  untreu  wähnt.  Dieser  Ursprung  des  Eif  er- 
sucht swahnes^)  verhindert  natürlich  nicht,  daß  die  Frau  dafür  angeklagt 
und  gehaßt  und  mißhandelt  wird,  denn  e.  ist  ja  gerade  der  ,, Zweck"  des  Wahnes, 
dem  Manne  das  Recht  zu  solchem  Fühlen  und  Handeln  zu  geben. 

Oft  gibt  die  Impotenz  den  Männern  Anlaß  zu  Wahnideen;  der  eine  schämt 
sich  vor  seiner  Frau  und  muß  sie  deshalb  herabsetzen;  der  andere  wirft  die 
Schuld  auf  sie,  ein  dritter  gibt  seine  Mannheit  auf  und  wird  Weib^).  Meist  ist 
indes  der  Wahn  gemischt,  indem  alle  drei  Formen  beim  gleichen  Patienten  vor- 
kommen, eine  .aber  im  Vordergrund  steht. 

Ein  Impotenter  der  ersten  Art  wirft  seiner  Frau  vor,  sie  sei  eine  Hure, 
sie  sei  schwanger;  dann  kommt  ihm  die  Idee,  er  müsse  sie  ermorden;  dazu  erhält 
er  den  Grund  in  der  weiteren  Wahnidee,  sie  habe  ihn  strangulieren,  mit  der  Hut- 
nadel erstechen,  vergiften  wollen.  Gleich  nach  der  Hochzeit  hatte  er  die  Frau 
gezwungen,  zu  einem  Arzt  zu  gehen  und  diesem  (fälschhch)  zu  sagen,  sie  sei  seit 
8  Wochen  verheiratet  und  schwanger.  Später  glaubte  er  selbst  an  diese 
Schwangerschaft. 

Ein  Schlosser  und  Vorarbeiter  empfindet  es  schmerzlich,  daß  er  keine  Kinder 
hat.  Er  war  aber  sexuell  nie  recht  leistungsfähig,  in  der  letzten  Zeit  meist  ganz 
impotent  oder  Ejaculator  praecox.  Wegen  Hebephrenie  war  er  seit  Jahren 
nicht  mehr  fähig,  auf  seinem  Berufe  zu  arbeiten;  dafür  machte  er  im  Hause  alle 
weiblichen  Arbeiten,  während  seine  Frau  ein  Geschäft  führte. 

Die  Metamorphosis  sexmlis  paranoica  mag  auch  noch  andere  Gründe  als 

^)  Er  hat  auch  noch  andere  Wurzeln. 
IV  ^.^hrebers  Wunsch  nacli  Kindern  ist  nicht  in  Erfüllung  gegaugen  Er  ist  auf  dem 

^^ege,  Wexb  zu  werden,  wird  von  Gott  geschwängert  und  soll  dleMenfcllTt  erneuern! 


326 


Schizophrenie. 


die  Impotenz  haben,  vor  allcni  eine  kcmplizierende  Homosexualität.  In  einem 
■Falle,  den  ich  nicht  analysieren  konnte,  habe  ich  Grund  zu  der  Vermutung 
daß  die  Patientin  sich  deshalb  für  einen  Mann  hielt,  weil  sie  nur  als  Mann  ihre 
Gelehrtenaspirationen  zu  erfüllen  hoffen  konnte.  Gelegentlich  ist  dieser  Wahn 
das  zufällige  Nebenprodukt  einer  weit  entwickelten  und  verschobenen  Wahn- 
idee: eine  Patientin  liebte  vor  50  Jahren  einen  Pfarrer;  schUeßlich  war  die  Pa- 
tientin (wie  manche  andere  im  gleichen  Falle)  Christus,  und  das  bewies  sie  da- 
mit, daß  sie  eine  Schenkelhernie  als  Plodensack  demonstrierte. 

Eine  ebenso  große  Rolle  wie  der  erotische  Komplex  im  engeren  Sinne  spielt 
namentlich  bei  Frauen  der  Trieb  nach  Kindern.  Ein  sehr  gebildetes  Mädchen 
schrieb  im  Anfang  ihrer  Katatonie  an  ihre  Schwester,  sie  habe  nie  einen  Mann 
geliebt,  nun  aber  werde  sie  ein  Kind  bekommen  und  freue  sich  so  innig  darauf. 
(Sie  war  übrigens  in  der  Krankheit  sehr  erotisch.) 

Die  eingebildeten  Kinder  werden  in  der  Regel  mit  dem  Vater  beschenkt, 
den  die  Patientin  wirklich  liebt.  Eine  verheiratete  Frau,  die  von  ihrem  ungehebten 
Manne  zwei  Kinder  hat,  meint,  sie  habe  mindestens  dreie  von  ihrem  Bräutigam" 
im  Leibe  und  verlangt,  daß  man  dieselben  herausschneide.  Mit  wirkHchen 
Kindern,  die  nicht  ganz  zu  den  Umständen  passen,  wissen  die  Kranken  sich  oft 
in  origineller  Weise  abzufinden.  So  erklärte  eine  Patientin,  die  vor  der  Heirat 
ein  uneheliches  Kind  hatte,  ihre  Kinder  seien  „überehelich";  sie  habe  deshalb 
heiraten  müssen,  obgleich  sie  Königin  der  Welt  sei. 

Die  Unklarheit  der  Begriffe  erlaubt  die  so  häufige  Identifikation  des  Ge- 
liebten mit  dem  Kinde.  Beide  haben  den  gleichen  Namen,  werden  mit  den  gleichen 
Koselauten  angeredet  und  überhaupt  in  keiner  Weise  unterschieden.  Eine  andere 
Art  der  Vereinigung  verschiedener  Wünsche  ist  es,  wenn  die  Patientin  die  Tochter, 
Braut  und  Frau  des  Geliebten  zugleich  ist. 

Ebensogut  wie  Wirklichkeit  dem  Angenehmen  gegeben  wird,  kann  sie  dem 
Unangenehmen  genommen  werden .  Die  Kranken  lassen  sich  oft  von  den  einfachsten 
Dingen  nicht  überzeugen,  wenn  sie  ihnen  nicht  passen.  Wir  haben  oben  schon 
bei  dem  Querulanten  ein  Beispiel  gesehen.  Manchmal  macht  diese  Ablehnung 
verschiedene  Stadien  durch.  Als  eine  unserer  Hebephrenen  vernahm,  der  Mann 
wolle  sich  von  ihr  scheiden,  nahm  sie  das  ernst  imd  schimpfte  gewaltig  über  ihn ; 
als  sie  aber  wirklich  geschieden  war,  war  es  auf  keine  Weise  möglich,  sie  davon 
zu  überzeugen,  und  man  durfte  sie  nicht  mit  ihrem  ihr  jetzt  wieder  zukommenden 
Mädchennamen  anreden.  Einer  Katatonischen  teilte  man  den  Tod  ihres  Vaters 
mit;  sie  erklärte  die  Nachricht  als  unwahr,  und  zur  Bekräftigung  hörte  sie  den 
Vater  gleich  draußen  reden.  Als  sie  doch  anfing,  überzeugt  zu  werden,  machte  sie 
es  wie  viele  bei  einem  Geständnis,  sie  verlegte  das  Unangenehme  in  die  Ver- 
gangenheit und  behauptete,  der  Vater  sei  ja  schon  vor  einem  Jahre  gestorben. 
Einige  Minuten  später  übermannte  sie  die  Wirklichkeit  ganz,  sie  weinte  ein  paar 
Tränen  und  war  dann  wieder  wie  früher. 

Sobald  unsere  Wünsche  als  erfüllbar  oder  erfüllt  gedacht  werden,  sind  ihnen 
wichtige  Faktoren  beigemischt,  die  negativen  Gefühlston  haben.  Sie  kommen 
nicht  nur  mit  der  Wirklichkeit  in  Konflikt,  die  ja  den  Wunsch  nicht  erfüllt  hat, 
sondern  die  Erfüllung  des  Wunsches  selbst  bringt  Unannehmlichkeiten  mit  sich. 

In  einigen  der  obigen  Beispiele  haben  wir  schon  gesehen,  wie  der  erstere 
Umstand  den  Wahn  beeinflußt.  Das  gewöhnliche  aber  ist,  daß  die  Hindernisse 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschungen. 


327 


Verfo  1  g  u  ngs  wa  hn  er  ze  u  ge  ni).  Wir  haben  in  derMythologie  genau  den  gleichen 
Vorgang:  die  günstigen  Naturkräfte  und  Zufälle  werden  in  den  guten  Geistern 
und  Göttern  personifiziert,  die  unerwünschten  in  den  bösen  Wesen.  Oder,  wo 
man  sich  mehr  an  die  Natur  anlehnt,  sind  einzelne  Götter  Träger  guter  und  böser 
Eigenschaften  zugleich,  wie  der  Sonnengott  in  seinen  verschiedensten  Gestaltungen 
nicht  nur  Fruchtbarkeit  spendete,  sondern  auch  tötende  Pfeile  veraandte; 
manchmal  allerdings  bekommen  die  Personifikationen  andere  Namen,  je  nach 
der  momentanen  Auffassung,  so  daß  sie  nahezu  oder  ganz  in  zwei  und  mehrere 
Wesen  zerlegt  werden.  Diese  Begriffsteilungen  bleiben  in  der  Mythologie  ebenso 
unscharf  wie  die  analogen  der  Schizophrenie^), 

Die  Beweise  für  die  gleiche  Genese  des  schizophrenen  Verfolgungswahnes 
liegen  zum  Teil  darin,  daß  er  fehlt,  wenn  die  Hindernisse  der  Wunscherfüllung 
nicht  gefühlt  werden,  daß  man  an  seiner  Wurzel  die  Hindernisse  immer  findet, 
und  namentlich  auch  darin,  daß  man  bei  tausend  Einzelheiten  nach  dem  Hinder- 
nis die  „Erklärung"  durch  die  Verfolgung  Platz  greifen  sieht.  So  wenn  der  Kranke 
keine  Antwort  auf  seinen  Brief  bekommt  und  nun  den  Arzt  der  Unterschlagung 
bezichtigt,  so  wenn  der  Geliebte  sich  unter  unseren  Augen  in  den  Verfolger  ver- 
wandelt^). 

Besonders  deutlich  zeigt  sich  der  Ursprung  gegensätzlicher  Wahnideen 
bei  dem  Haftkomplex,  der  ja  meist  ein  Symptom  der  Schizophrenie  ist,  aber 
auch  außerhalb  derselben  in  ganz  gleicher  Weise  vorkommt. 

In  Poesie  imd  Wirklichkeit,  im  Schlaf  und  im  Wachen  träumt  der  Ge- 
fangene von  Befreiung  (vgl.  das  hübsche  Bild  von  Schwind).  Diese  Befreiung 
ist  aber  gewöhnlich  nicht  möglich,  wenn  die  Wirklichkeit,  so  wie  sie  ist,  auf- 
gefaßt wird.  Der  Gefangene  wird  also  für  unschuldig  erklärt,  oder  seine  Strafzeit 
ist  schon  längst  abgelaufen  oder  ähnliches.  Unter  diesen  Umständen  sind  es 
eigentlich  nicht  Mauern  und  Gitter,  die  ihn  am  Weggehen  verhindern,  sondern 
Leute,  die  ihm  übel  wollen,  natürlich  die,  die  ihn  hier  eingesperrt  halten,  die 
Gefangenwärter  und  der  Direktor,  eventuell  der  Staatsanwalt,  der  sich  ja  schon 
beim  Prozeß  als  Feind  des  Gefangenen  gezeigt  hat.  Das  sind  nun  die  Verfolger, 
die  dann  im  weiteren  halluzinatorischen  Ausbau  des  Wahnes  ihre  Eolle  spielen.  — 
Bei  zwei  Patienten  —  beide  Italiener  —  waren  die  Befreiungsideen  dadurch  ersetzt, 
daß  die  Kranken  meinten,  sie  werden  von  der  Umgebung  als  Gottgesandte  an- 
gesehen, während  sie  sich  nur  für  fromm  hielten.  (Manche  schizophrene  Italiener 
lassen  sich  ganz  gern  in  der  Anstalt  ernähren.) 

Entsprechend  den  Assoziationseigentümlichkeiten  der  Schizophrenen 
werden  die  Widersacher  nicht  nach  logischen  Gesetzen  gesucht,  sondern  die 
Affekte  und  die  zufällige  Konstellation  bestimmen  im  wesentlichen  die  Per- 
sonen, die  in  den  Wahn  \  erflochten  werden.  So  werden  sehr  häufig  diejenigen, 
die  eine  solche  Auffassung  am  wenigsten  rechtfertigen,  als  Feinde  gedacht: 

1)  Die  Intensität  (nicht  der  Inlialt)  des  Verfolgungswahnes  kann  dadurch  erhöht 
werden,  daß  Kranke  (wie  Gesunde)  in  dem  Gefühl,  schlecht  behandelt  zu  sein,  manchmal 
geradezu  schwelgen  (Algolagnie?). 

^)  Vgl.  Abraham. 

')  Es  läßt  sich  vermuten,  aber  bis  jetzt  nicht  beweisen,  daß  auch  die  durch  Verdrängung 
sexueller  Wünsche  entstehende  Angst  bei  der  Bildung  von  Verfolgungswahn  aus  unerfüllbaren 
Wuaschen  mitwirke.  Denn  wir  sehen  auch  bei  Normalen  vorübergehendes  Älißtrauen  bis 
zu  vagen  Verfo!gung.sideen  auf  dem  Boden  dieses  Affektes  entstehen. 


323 


tScliizophrenie. 


die  welche  in  Wirklichkeit  die  Schützer  und  Wohltäter  des  Kranken  sind.  Eine 
unserer  Schizophrenen,  die  früher  vermöglich  gewesen  war,  seit  längerer  Zeit 
aber  von  Freundinnen  unterhalten  wurde,  die  ihr  nun  auch  in  der  ^instalt  die 
Taxe  für  eine  bessere  Klasse  bezahlen,  hält  sich  auch  von  diesen  Freundinnen 
verfolgt.  So  wie  sie  es  wünscht,  hilft  ihr  niemand.  Die  einzigen  Personen,  die 
sie  in  Verbindung  mit  dem  negativ  gewordenen  Hilfegedanken  bringen  kann, 
sind  die  Freundinnen,  d.  h.  sie  sind  diejenigen,  die  die  kausale  Lücke  ausfüllen^ 
die  Verfolger,  die  an  der  Nichthilfe  und  folglich  auch  an  ihrem  Unglück  über- 
haupt schuld  sind. 

Auch  wenn  die  Wünsche  des  Kranken  durch  die  Wahnideen  erfüllt  sind, 
hat  er  nur  selten  Nutzen  davon.  Was  hilft  ihm  der  Reichtum,  der  Ruhm,  den  er 
sich  erträumt  hat,  wenn  er  in  der  Anstalt  eingesperrt  ist;  ja  den  meisten  nutzen 
sogar  die  Freuden  der  halluzinierten  Liebe  nichts,  so  wenig  wie  sie  satt  werden 
von  halluzinierten  Speisen.  Scham,  Angst  und  andere  unangenehme  Affekte, 
die  bei  der  Betätigung  der  Sexualität  so  leicht  erregt  werden,  können  kaum  fehlen. 
Es  kommt  also  auch  da  eine  negative  Note  hinein;  sexuelle  Betätigung  mit 
negativem  Affekt  ist  aber  meist  gleich  Vergewaltigung;  kein  Wunder,  wenn  diese 
eine  so  große  Rolle  bei  unseren  Kranken  spielt.  Ferner  tut  der  GeHebte  nichts, 
um  der  Kranken  zu  helfen;  er  ist  doch  mehr  oder  weniger  an  allem  Unglück 
der  Patientin  schuld,  wenigstens  ist  er  assoziativ  mit  allem  Unangenehmen 
verbunden:  gerade  wenn  an  ihn  gedacht  wird,  treten  die  meisten  Sperrungen 
und  andere  pathologische  Zustände  auf.  Die  einfache  Erfahrung  zeigt  also,  daß 
der  Geliebte  auch  ein  Feind  ist.  Die  Kranken  werden  vom  Geliebten  verhext, 
elektrisiert,  vergiftet,  unter  Umständen  wird  er  sogar  als  Urheber  der  Einsperrung 
angesehen.  Gewöhnlich  existieren  die  positive  und  die  negative  Vorstellung 
nebeneinander:  Eine  Frau  läßt  ihren  Wahngeliebten  von  den  Stimmenden  Ober- 
sten der  Teufel  nennen,  während  er  ihr  optisch  gelegentlich  als  Adler  erscheint, 
„den  sie  eigentlich  ebensogut  als  Engel  bezeichnen  könnte"  (er  hat  in  "V'^'irkhch- 
keit  eine  ausgesprochene  Adlernase). 

Die  halluzinatorischen  Qualen,  die  der  sexuelle  Komplex  überhaupt  ver- 
ursacht, veranlassen  die  Kranken,  sich  darüber  zu  beklagen,  auch  wenn  sie  ganz 
bemißt  beständig  gerade  das  Nämliche  wünschen.  Einer  unserer  Katatoniker 
verlangt  sehr  kategorisch  fast  bei  jeder  Visite,  daß  man  ihm  bestimmte  Mädchen 
oder  Mädchen  im  allgemeinen  ins  Bett  gebe,  was  ihn  gar  nicht  hindert,  sich 
zugleich  zu  beklagen,  er  wolle  sich  nicht  als  Zuchtstier  benutzen  lassen.  —  Ein 
anderer  ist  sehr  erotisch,  verlangt  aber  wegen  Träumen  unsittlichen  Inhalts  die 
Versetzung  in  ein  anderes  Schlafzimmer^). 

Manchmal  stammt  das  Unangenehme  aus  der  logischen  Weiterentwicklung 
der  Wunschideen.  Eine  Patientin  fängt  plötzlich  an  zu  schimpfen,  man  habe  ihr 
nicht  vorzuwerfen,  daß  sie  eine  Kindsmörderin  sei,  sie  habe  kein  Kind  um- 
gebracht, sie  habe  auch  kein  Kind  gehabt,  sie  sei  ja  nicht  verlobt  mit  dem  Ab- 
teilungsarzt. Hier  wird  der  Wunsch,  da  er  uns  gegenüber  zum  ersten  Male  ge- 
äußert wird,  in  negativer  Form  ausgedrückt.  Wir  sehen  aber  in  dieser  Negation 

1)  Nach  Analogie  des  Traumes  ist  es  niclit  unwahrscheinlich,  daß  nur  Komplexe, 
die  von  vornherein  ambivalent  sind,  Anlaß  zu  eigentlichen  Wahnideen  geben.  Die  Ambivalenz 
des  Wahnes  wäre  dann  nicht  nur  in  diesen  Momenten  begründet,  sondern  außerdem  auch 
in  einer  besonderen  Disposition  der  wahnbildenden  Komplexe. 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschung 


329 


nicht  nur  die  AVirklichkeit,  die  dem  Wunsch  entgegentritt  sondern  noch  eine 
BeLhtung,  die  dem  Gemisch  von  Wunsch  und  Wirklichkeit  entstammt ;  wenn 
dil  Patientin  ein  Kind  vom  A.zt  bekäme,  so  wäre  das  eine  Schande  sie  mußte 
e  umbringen,  denn  „sie  ist  ja  nicht  mit  ihm  verlobt".  So  weit  sie  sich  also  den 
wich  ab  erfüllt  denkt,  ist  sie  zugleich  eine  Kindsmördenn,  und  das  werfen 
hr  die  Stimmen  vor.  Die  Idee  der  Kindsmörderin  frißt  dann  weiter.  In  ihrem 
Dorf  hat  vor  vielen  Jahren  mal  ein  Mädchen  ihr  unehehches  Kmd  unagebracht. 
sie  wäre  wie  dieses.  Die  Stimmen  machen  aber  daraus,  sie  sei  wirklich  diese 
Person  und  sie  sucht  in  Erregung  zu  beweisen,  daß  sie  sie  nicht  ist.  Hier  smd 
die  Verfolger  die  Bepräsentanten  des  inneren  Konflikts. 

Ganz  ähnlich  bei  einem  Paranoiden.  Seine  Frau  genügt  ihm  nicht  (mehr). 
Die  Stimmen  sagen  ihm,  er  könnte  eine  Jüngere  heiraten;  namentlich  eine  Nichte, 
die  aber  erst  16, jährig  ist,  hat  Eindruck  auf  ihn  gemacht.  Er  kann  legaliter  mcht 
mit  ihr  verkehren;  der  Wunsch,  es  auf  illegale  Weise  zu  tun,  ist  aber  da.  Die 
Stimmen  machen  einen  Kompromiß  zwischen  Wunsch  und  Wirldichkeit  und 
sagen  ihm,  er  hätte  sie  genotzüchtigt.  Das  ärgert  ihn  natürlich.  Die  Idee  greift 
um  sich,  da  er  in  der  Fabrik  an  einen  andern  Platz  kommt,  und  er  von  den  neuen 
Kebenarbeitern  haUuziaiert,  sie  wollen  neben  dem  Schweinehund  nicht  mehr 
arbeiten.  Nun  wird  er  aufgeregt  und  natürlich  auch  unangenehm  der  Frau  gegen- 
über, die  der  Erfüllung  seiner  Wünsche  im  Wege  steht. 

Die  affektive  Ambivalenz  kommt  nicht  nur  in  Neigung  und  Abneigung, 
sondern  auch  in  Hoffnung  und  Befürchtung  zur  Geltung.  Als  der  letzterwähnte 
Fabrikarbeiter  in  der  Anstalt  war,  sagten  ihm  die  Stimmen  bald,  er  komme 
in  6  Wochen  fort,  bald,  er  müsse  für  ewig  eingesperrt  bleiben.  Im  Gegensatz 
zu  den  späteren  schnöden  Bemerkungen  der  Mitarbeiter  hatten  ihm  die  Stimmen 
kurz  vorher  verheißen,  man  woUe  ihn  in  der  Fabrik  zum  Vorarbeiter  machen. 
Der  gleiche  Patient  hörte  als  Einleitung  zu  seiner  Psychose  viel  einfachere  Hy- 
postasierungen seiner  Wünsche  und  Befürchtungen:  so  flüsterte  man  ihm  zu, 
eine  bestimmte  Tochter  wolle  ihn  heiraten;  er  bekomme  vor  Abend  viel  Geld; 
beim  Schießen  hat  ihm  der  ganze  Schießverein  zugeflüstert,  er  soUe  doch  bei 
Gott  acht  geben,  daß  er  keinen  Zeiger  erschieße. 

Ein  wirklich  Geliebter  hat  auch  wieder  seine  schlimmen  Seiten;  er  kann 
z.  B.  moralisch  geringer  sein  als  der  nicht  geliebte  Gatte.  Eine  Patientin  bekam 
die  Wahnidee,  der  Lump,  an  den  sie  ihr  Herz  gehängt  hatte,  sei  verrückt.  Damit 
ist  er  wohl  mehr  entschuldigt  als  bestraft;  denn  es  würde  ihrem  ganzen  Fühlen 
widersprechen,  anzunehmen,  daß  sie  ausRachegefühl  den  Wunsch  hätte,  er  möchte 
geisteskrank  werden. 

Konflikte  ergeben  sich  namentlich  aus  den  gewöhnlichen  Kämpfen  unserer 
verschiedenen  Triebe,  nennen  wir  sie  mal  die  guten  und  bösen.  Entsprechend 
denselben  bekommen  die  Kranken  Stimmen  und  Antriebe  zu  handeln;  den  bösen 
Trieben  widersprechen  die  Kegungen  des  Gewissens  bei  denjenigen  Elranken, 
die  mit  einem  solchen  veranlagt  sind.  Die  guten  Triebe  werden  durch  die  Opfer, 
die  sie  uns  zumuten,  mit  einer  negativen  Gefühlsbetonung  versehen.  So  werden 
die  Kranken  häufig  getrieben,  die  gleichen  Dinge  sowohl  zu  tun  als  zu  unter- 
lassen. Die  Stimmen  namentlich  bringen  die  Kranken  oft  in  Verzweiflung,  wenn 
sie  ihnen  etwas  befehlen  und  dann  nach  vollbrachter  Tat  ihnen  die  gröbsten 
Vorwürfe  raachen. 


330 


Schizophrenie. 


In  manclien  Fällen  ist  der  Verfolger  nichts  als  das  personifizierte  Gewissen. 
Ein  Paranoider,  der  sich  schlecht  aufgeführt  hatte,  bekam  nach  der  Testaments- 
eröffnimg des  Vaters  Stimmen  des  Oheims,  eines  guten  Freundes  des  Vaters 
der  ihm  Vorwürfe  machte  über  sein  Lumpenleben,  ihm  sagte,  er  könne  nichts, 
er  lasse  sich  füttern  im  Burghölzli.  Nachher  schlössen  sich  auch  andere  Stimmen 
an,  die  ihn  in  anderer  Weise  verfolgten. 

Vielleicht  kann  unter  Umständen  der  ganze  Verfolgungswahn  aus  schlechtem 
Gewissen  entstehen^).  Ich  habe  ihn  zwar  bei  der  Schizophrenie  noch  nie  ohne 
Mischung  mit  enttäuschten  Aspirationen  getroffen,  obgleich  es  nicht  selten  ist, 
daß  ein  Kranker  meint,  man  sehe  ihm  die  Onanie  an,  und  schließlich  die  Idee 
entwickelt,  man  sehe  ihn  wegen  der  Onanie  an. 

Häufig  zeigt  sich  die  Ambivalenz  der  Gefühle  in  gegensätzlichen  Stimmen ; 
es  sind  solche,  die  den  Kranken  trösten,  die  Partei  für  ihn  nehmen,  und  solche, 
die  ihn  quälen  und  anklagen.  Sie  können  sich  in  die  Ohren  teilen;  indem  der 
Gute  das  rechte,  der  Böse  das  linke  Ohr  besitzt. 

Nach  Freud  wären  die  Befürchtungsträume  auch  Wünsche;  nur  wären 
sie  eben  negativ  gedacht  wegen  der  Hindernisse,  die  sich  entgegenstellen  können. 
Ich  bin  nicht  überzeugt,  daß  diese  Auffassung  richtig  ist,  und  sehe  vorläufig  nicht 
ein,  warum  nicht  ein  negativer  Affekt  ebensogut  direkt  die  ihm  entsprechenden 
Gedanken  hervorrufen  soll  wie  ein  positiver.  Wenn  ein  Patient  in  seinen  Träumen 
fürchtet,  seine  Geschwister  werden  sterben,  er  ist  aber  eifersüchtig  auf  dieselben, 
so  kann  man  das  wohl  als  Wunsch  deuten,  dem  eine  negative  Komponente 
beigemischt  ist.  Wenn  aber  eine  Hebephrene,  die  im  Kindergartenkurs  das 
Examen  nicht  mehr  hat  machen  können,  in  der  Anstalt  die  Wahnidee  bekommt, 
man  werde  ihre  Hefte  und  Bücher  zum  Spott  an  die  anderen  verteilen,  so  liegt 
doch  die  Auffassung  näher,  daß  sie  sich  eben  schämt,  und  daß  dieses  unangenehme 
Gefühl  in  der  Wahnidee  zum  Ausdruck  kommt. 

Einen  ganz  besonders  häufigen  Anlaß  zu  inneren  Konflikten  gibt  der  K  i  n  d  e  r- 
komplex.  So  selten  es  ist,  daß  schizophrene  Mütter  ihre  Kinder  wirlchch  um- 
bringen, so  häufig  ist  es,  daß  sie  sie  in  den  Wahnideen  tot  glauben;  oft  werden 
die  Kinder  auch  in  dieser  Beziehung  vollständig  mit  dem  Mann  identifiziert. 
So  glaubte  die  oben  erwähnte  Frau  nicht  nur  ihren  Mann  verrückt,  sondern 
auch  ihren  gemeinsamen  Sohn.  Eine  unverheiratete  gravide  Untersuchungs- 
gefangene liebt  den  Vater  ihres  Kindes  und  hatte  immer  Freude,  wenn  man  von 
ihrem  Zukünftigen  sprach.  Als  aber  der  Geliebte  zögerte,  sie  zu  besuchen  und 
überhaupt  Zeichen  von  Untreue  gab,  fing  sie  an  zu  jammern:  das  Kind  ver- 
schwinde in  ihrem  Leibe;  dann  hielt  sie  es  für  tot.  Einige  Tage  später,  da  es  eben 
nicht  abgestorben  war,  jammerte  sie,  sie  könne  das  Kind  nicht  erhalten;  oder 
es  könnte  so  elend  werden  wie  sie;  es  wäre  wohl  doch  besser,  wenn  es  stürbe. 
Recht  charakteristisch  ist  hier  die  deutliche  Gleichwertigkeit  der  Wahmdee 
des  Todes  mit  dem  Wunsch,  es  möchte  sterben.  Der  letztere  wird  dann  auch 
noch  logisch  begründet.  —  Schizophrene  Frauen,  die  den  Mann  nicht  lieben, 
sind  besonders  während  der  (wirklichen  oder  gefürchteten)  Gravidität  feindlich 

gegen  ihn.  .         i   ■  i 

Die  Identifizierung  des  Mannes  mit  dem  Kinde  zeigt  sich  auch  in  dem 


1)  Vgl.  Fall  3  in  Bleuler  (71). 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschungen. 


331 


Falle  einer  Frau,  die  während  des  Delirs  dem  Manne  zwei  Frauen  andichtete 
un  i  sarwie  er  ich  ertränken  wollte,  so  daß  sie  s.ch  alle  Muhe  geben  mußte, 
hn  über  Wasser  zu  halten;  auch  der  Sohn  wollte  sich  ms  Wa^r  stürzen  um  d^n 
Fehler  des  Vaters  zu  verdecken  (alles  im  schizophrenen  D ehr).  In  4  l^aUen,  die 
Sr  g  g  nwärtig  sind,  wollte  die  kranke  Mutter  die  Kinder  des  gehaß  en  Vaters 
wklich  tötend);  in  einem  Falle  wurde  dann  der  Mann  wenigstens  m  der  Wahn- 
dee  auch  umgedacht.  Eine  der  Frauen,  die  den  Knaben  schon  mit  Petrol  be- 
gossen hatte  und  dabei  betroffen  wurde,  wie  sie  das  Messer  wetzte,  begründete 
den  Mordversuch:  „es  sei  mcht  ihr  Knabe,  sie  wolle  das  Liebste  Gott  opfern  . 
Die  beiden  Gründe  nebeneinander  sind  auch  sonst  charakteristisch  für  bchizo- 
phrenie-  im  einen  Zusammenhang  ist  es  nicht  ihr  Kind  (sondern  das  des  Mannes), 
im  andern,  der  gleich  daneben  gesetzt  wird,  ist  es  doch  das  ihrige,  denn  es  ist 
ihr  Liebstes.  Eine  andere  Frau  begründete  die  Absicht  damit,  der  Mann  brauche 
keine  Freude  mehr  an  den  Kindern  zu  haben.  —  Ein  Mann  wollte  eme  andere 
Frau  heiraten,  um  die  jetzige  und  ihre  Geschwister  glücklich  zu  machen,  meinte 
aber  auch,  man  wolle  ihn  töten,  sein  Kind  müsse  geopfert  werden,  damit  durch 
dessen  unschuldiges  Blut  sein  Leben  gerettet  werde. 

Äußerlich  anders,  aber  in  ganz  gleichwertiger  Weise  drückt  den  Haß  gegen 
den  Mann  eine  Patientin  aus,  deren  Kinder  in  Wirklichkeit  gestorben  sind, 
die  aber  die  Gedächtnistäuschung  hatte,  sie  selbst  habe  sie  getötet.  —  Wieder 
eine  andere  Form,  die  nicht  zu  selten  ist,  zeigt  eine  andere  Katatonika  mit  dem 
Wahn,  der  Mann  habe  sich  erschossen;  sie  gab  ganz  gut  über  alles  Auskunft, 
nur  die  Frage  nach  der  Zahl  ihrer  Kinder  konnte  sie  wegen  imüberwindlicher 
Sperrungen  nicht  beantworten. 

Die  Identifizierung  von  Kind  und  Mann  kann  auch  einmal  umgekehrt 
Eigenschaften  des  Kindes  dem  Manne  beilegen:  Eine  Frau,  die  nicht  ganz  zu- 
frieden war  mit  ihrem  Manne,  verlegte  all  ihren  Stolz  in  den  Sohn:  „er  ist  Doktor 
und  Professor  und  Gelehrter;  er  ist  zwar  erst  20 jährig,  nach  dem  Verstände 
aber  älter".  (Und  der  Mann?)  „Der  ist  nichts,  ich  weiß  nicht,  was  er  treibt 
(Seufzer);  er  ist  auch  ein  Gelehrter;  er  ist  alles  in  allem" 2). 

Bei  den  schizophrenen  Frauen,  die  glauben,  gravid  zu  sein,  kann  man  fast 
immer  den  Wunsch  nach  Kindern  nachweisen.  In  den  selteneren  Fällen  sind 
sie  verheiratet,  aber  kinderlos ;  meist  haben  sie  einen  Geliebten,  mit  dem  sie  nicht 
zusammenkommen  können  (seien  sie  verheiratet  oder  nicht),  der  dann  der  Vater 
des  Kindes  ist.  In  einzelnen  Fällen,  besonders  im  Anfang  der  Krankheit,  weiß 
das  gewöhnliche  Bewußtsein  der  Patientinnen  nichts  von  der  (eingebildeten) 
Gravidität.  Sie  können  Geburtsschmerzen  durchmachen,  die  sich  wiederholen, 
oder  die  v/enigstcns  sehr  lange  andauern.  Man  macht  dann  etwa  die  Diagnose 
einer  Unterleibsaffektion.  In  einem  solchen  Falle  klärte  die  Patientin  nach 
^tiniger  Zeit  die  fieberlose  Peritonitis  selbst  auf,  indem  sie  behauptete,  sie  sei 
gravid  geworden,  weil  sie  (während  der  Krankheit!)  im  Bett  des  Vaters  habe 
liegen  müssen.  —  Eine  andere  Patientin  erkrankte  in  dieser  Weise  an  „Hy- 
pochondrie". Sie  hatte  einen  Offizier  geliebt,  aber  auf  Verlangen  des  Vaters 

1)  Möbius  erzählt  von  einer  Störchin,  die,  vom  Gatten  verlassen,  die  hebrüteten 
Eier  aus  dem  Nest  warf  und  das  Nest  voll  Rasen  trug. 

^)  Eine  gesunde  Frau  meiner  Bekanntschaft  nuanciert  den  Grad  ihrer  Zärtlichkeit 
gegenüber  dem  Manne  deutlich  nach  der  guten  oder  schlechten  Aufführung  der  Kinder. 


332 


Schizophrenie, 


einen  andern  Mann  geheiratet.  Obgleich  die  Frau  offenbar  schon  recht  früh 
an  bchizophrenie  litt,  ging  es  in  der  Ehe  viele  Jahre  lang  äußerlich  gut,  bis  sie 
einmal  dahinter  kommt,  daß  ihr  Mann  mit  einer  andern  zu  tun  hatte.  Nun  taucht 
der  Gedanke  auf,  sie  könnte  sich  scheiden  lassen  und  den  andern  heiraten-  die 
Idee  wurde  nicht  ausgedacht  (d.  h.  verdrängt);  dennoch  wurde  Patientin  (in 
der  Einbildung)  gravid,  bekam  Geburtsschmerzen,  die  sie  aber  zu  der  Zeit, 
da  wir  sie  zu  sehen  bekamen,  in  vager  Weise  in  den  oberen  Teil  des  Unterleibes 
verlegt  hatte,  bis  ihr  eine  Freundin  suggerierte,  sie  habe  Gallensteine,  an  die 
sie  nun  glaubt,  trotz  unserer  Ablehnung.  Sie  ist  dieser  Schmerzen  wegen,  die  ganz 
den  Typus  der  nervösen  tragen,  arbeitsunfähig  und  hat  eine  Menge  von  Ärzten 
konsultiert. 

In  einem  Falle  ist  vielleicht  der  Wahn,  schwanger  zu  sein,  ein  Produkt 
bloßer  Befürchtung.  Ein  Mädchen  hatte  sich  von  einem  in  ihr  Zimmer  dringenden 
unbekannten  Mann  überraschen  lassen,  und  glaubte  sich  nun  trotz  aller  ärztlichen 
Untersuchungen  und  trotz  der  nicht  fehlenden  Menstruation  gravid.  —  In 
einem  zweiten  Falle  hatte  eine  Witwe  sich  einmal  verführen  lassen,  bekam 
Graviditätsfurcht,  die  sich  unter  unseren  Augen  in  arge  Schmerzhalluzinationen 
in  den  Genitalien  mit  „hypochondrischen  Ideen"  verwandelte.  Etwas  mehr  als 
ein  Jahr  später  trat  nach  einigen  Heilungsprodromen  die  Periode  zum  ersten 
Male  seit  jenem  Koitus  ein,  und  einige  Tage  nachher  war  die  Patientin  arbeitsfähig. 

Davon,  daß  die  körperlichen  Symptome  das  primäre  seien,  daß  der  Schwan- 
gerschaftswahn z.  B.  durch  „Allegorie  der  spezifischen  Empfindung  aus  einem 
metritisch  erkrankten  Uterus"  entstanden  wäre  (Schneie,  Handbuch,  70) 
habe  ich  noch  nichts  gesehen.  Doch  wäre  es  ja  möglich,  daß  solche  Empfindungen 
den  Anlaß  zur  Wahnidee  geben  würden;  so  wenn  bei  Vergiftungswahn  eine 
zufällige  Diarrhöe  als  Vergiftung  aufgefaßt  wird,  oder,  wenn  eine  Patientin, 
die  schon  vorher  Königin  von  Württemberg  gewesen,  einen  Abszeß  in  den  Bauch- 
decken, den  sie  sich  durch  beständiges  Trommeln  auf  dieselben  erworben  hatte, 
für  einen  entstehenden  Prinzen  hielt.  Solche  Fehlschlüsse  aus  falschen  Prämissen 
sind  aber  etwas  ganz  anderes  als  die  Genese  eines  Wahnes  aus  körperlichen 
Störungen.  Die  Kranken  reagieren  denn  auch  meist  viel  weniger  intensiv  aaf 
die  bloßen  Anwendungen  ihres  Wahnes  als  auf  ursprüngliche  Wahnideen:  der 
Kranke,  der  gegen  den  Arzt  im  höchsten  Grade  gereizt  ist,  wenn  er  sich  über 
halluzinierte  Vergiftungssymptome  beklagt,  kann  seine  pseudotoxische  Diarrhöe 
bloß  mit  einem  fatalistischen  Achselzucken  den  anderen  Vergiftungen  beizählen. 

Bei  mehreren  Fällen  hino"  das  Aussetzen  der  Menstruation  deutlich 
mit  dem  Wunsch  nach  Kindern  zusammen;  wahrscheinlich  ist  das  viel  häufiger, 
als  man  nachweisen  kann.  Umgekehrt  sind  ein  Teil  der  so  gewöhnlichen  men- 
struellen Aufregungen  darauf  zurückzuführen,  daß  die  Dokumentierung  des 
Fehlens  der  Gravidität  die  Patientinnen  ärgert. 

Mit  den  früheren  Andeutungen  über  Liebe  und  Ehe  ist  natürlich  die  Rolle 
der  Sexualität  in  der  Symptomatologie  der  Schizophrenie  noch  lange  nicht 
erschöpft^).  Es  gibt  wohl  keinen  Schizophrenen  —  wie  auch  keinen  Gesunden  — , 
bei  dem  der  sexualle  Komplex  nicht  eine  große  Rolle  spielt.  Meist  ist  dieser 


1)  Lomer  (434)  gibt  Prozentzahlen  für  das  Vorkommen  sexueller  Ideen  und  Hallu- 
zinationsn.  Ich  glaubs,  diß  er  sie  bsdeutsnd  unterschätzt. 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschungen. 


333 


ganz  im  Vordergrund;  bei  vielen  Kranken  konnten  wir  ausschließlich  sexuelle 
Komplexe  finden.  So  sehr  wir  uns  dagegen  sträubten,  wurden  wir  doch  um  so 
„sexueller"  in  unserer  Auffassung,  je  mehr  Erfahrung  wir  hatten.  Ich  muß 
namentlich  gegenüber  Einwänden,  die  oft  gemacht  werden,  be- 
tonen, daß  wir  uns  mehr  als  genug  gehütet  haben,  die  Kranken  durch 
unsere  Fragen  auf  das  sexuelle  Gebiet  zu  führen.  Immerhin  kommen, 
namentlich  bei  Männern,  seltener  bei  Frauen,  auch  andere  Komplexe  zuv  Geltung, 
ohne  daß  die  Sexualität  anders  dabei  beteiligt  wäre,  als  wie  bei  jedem  beliebigen 
Gedanken,  der  natürlich  auch  seine  Assoziationen  an  diesen  größten  Ideen- 
und  Gefühlskomplex  hat;  bei  einzelnen  Männern  wurde  der  sexuelle  Komplex 
durch  die  anderen  geradezu  in  den  Hintergrund  gedrängt. 

Man  hört  gegen  die  sexuelle  Auffassung  hysterifoimer  Phänomene  so  oft  den  Ein- 
wand, es  können  nicht  alle  Leute  in  diesen  Dingen  so  bewandert  sein  und  solche  Ge- 
fühlsbetonung dabei  haben,  wie  die  Theorien  voraussetzen.  Das  steht  in  direktem 
Widerspruch  mit  der  Wirklichkeit.  Bei  den  Nervenkrankheiten  könnte  man  ja  die 
Ausrede  haben,  daß  eben  nur  solche  Mädchen  hysterisch  werden  können,  deren  Ge- 
schlechtsleben so  entwickelt  ist,  daß  sie  genug  entsprechendes  Wissen  und  genug 
entsprechende  Gefühle  haben.  Die  Schizophrenie,  die  eine  organische  Grimdlage 
haben  muß,  kann  nicht  so  auswählen.  Man  muß  sich  einfach  mit  der  Tatsache 
abfinden,  daß  es  keinen  Schizophrenen  gibt,  sei  er  Mann  oder  Weib,  sei 
er  alt  oder  jung,  aus  guten  oder  schlechten  Kreisen,  der  nicht  mehr  als 
genug  von  der  Sexualität  wüßte  und  fühlte,  um  sexuelle  Symptome 
hervorzubringen.  Wie  oft  hört  man  von  den  Eltern  die  verwunderte  Frage :  Woher 
kann  meine  Tochter  nur  das  alles  gehört  haben?  Diese  Eltern,  wie  die  Psychiater, 
die  die  gleiche  Frage  stellen,  beobachten  sich  selbst  eben  zu  schlecht.  Wer  hat  nichts 
von  sexuellen  Dingen  gehört?  Ich  meine  von  den  eigenthchen,  die  Zeugung  betreffenden 
Dingen.  Niemand;  jeder  hat  während  seüies  ganzen  Lebens  sehr  viel  davon  gehört. 
Und  jemanden  davor  zu  hüten,  ist  einfach  mamöglich,  wenn  man  ihn  nicht  als  Kaspar 
Hauser  erzieht.  Ich  will  von  der  Literatur  und  den  Zeitmagen  nicht  eiamal  reden, 
auch  nicht  von  den  Dienern  imd  Mägden,  auch  nicht  von  dem,  was  jedermami  auf  der 
Straße  hört,  auch  nicht  von  den  Spatzen,  Tauben  mid  Hmiden  der  Stadt  und  den 
Haustieren  auf  dem  Lande.  Aber  die  Geschichte  und  vor  allem  die  Eeligion,  so  wie 
sie  mit  Fleiß  und  Eifer  den  Kindern  emgepfropft  wird,  strotzt  ja  von  Dingen,' die  nur 
aufgefaßt  werden  können  bei  emigem  Verständnis  für  die  allerintimste  SexuaUtät. 
Und  protestantische  Kmder  kriegen  noch  die  Bibel  in  die  Hände,  die  ganz  so  unge- 
schmuikt  davon  spricht  wie  Freud;  kathohsche  treiben  ihren  Kultus  mit  der  Marien- 
legende,  sie  feiern  Feste  für  sexuelle  Vorgänge  —  und  die  Kmder  soUen  nichts  davon 
wassen?  Die  ärgsten  Idioten  müßten  sie  sein;  auf  sexuellem  Gebiet  gibt  es  aber  sehr 
wenig  Idioten,  denn  man  hat  dafür  eüi  phylogenetisch  sehr  altes  natürliches  Verständnis 
wie  der  Säugling  für  das  Saugen  und  das  einjährige  Kind  für  das  Essen.  Und  wenn  alle 
die  gut  gezogenen  Kmder  nicht  ehi  genügendes  Wissen  hätten,  so  müßte  ihnen  doch 
klar  Sern,  daß  sie  alle  diese  Dinge  nicht  verstehen,  sie  müßten  fragen;  sie  wissen  aber 
was  sie  mcht  fragen  dürfen,  oder  was  sie  nur  Kameraden  oder  Dienstboten  fragen  dürfen' 
imd  beweisen  damit,  wieviel  sie  wissen,  genau  wie  der  Vorbeiredende,  der  auf  die 
^  rage,  wieviel  3  und  2  sei,  mit  allen  Zahlen  bis  10  antwortet,  nur  nicht  mit  der  richtigen 
Sie  wissen  auch  sehr  früh  -  lange  vor  der  Schulzeit  -  im  großen  und  ganzen,  was 
sie,  aus  sexuellen  Gründen,  nicht  tun  dürfen.  Ein  recht  drastisches  Beispiel  haben 
wir_ vor  kurzem  erlebt.  Ein  lOjähriges  Mädchen  aus  einer  hochgebildeten  und  extrem 
christhchcn  Familie  wurde  katatonisch;  was  überhaupt  zu  tim  menschenmöghch  ist 
um  sie  „rein   zu  bewahren,  ist  in  diesem  Falle  getan  worden;  und  es  war  sehr  leicht 


334 


ScLizophrenie. 


«s  zu  tun  viel  leichter  als  in  den  meisten  anderen  Fällen,  da  das  Mädchen  etwas  debil 
war,  gar  keinen  Trieb  hatte,  sich  zu  bilden  und  zu  lesen,  und  zugleich  sehr  fol-sam 
war.  Man  kann  ziemlich  sicher  sein,  daß  sie  nichts  gelesen  hat,  was  nicht  die  elterliche 
Zensur  passierte.  Die  Erziehung  war  überhaupt  von  der  Schulzeit  an,  die  ihren  frühen 
Abschluß  fand,  fast  nur  in  den  Händen  der  Mutter.  Das  Mädchen  lebte  auch  möglichst 
zurückgezogen,  hebte  die  Gesellschaft  nicht,  beschäftigte  sich  nur  mit  der  Haushaltung 
der  Religion  imd  etwas  Musik.  In  der  Katatonie  nun  erfreute  sie  sich  nicht  weniger 
mit  ihrem  Heiland,  der  sie  eine  Zeitlang  im  Bett  besuchte,  wie  irgend  eine  alleswissende 
Frau,  und  er,  störte  sie  auch  gar  nicht,  daß  der  Heiland  meist  die  Gestalt  eines  Predigers 
annahm,  der  ihr  imponiert  hatte.  —  Ein  anderes,  nach  Möglichkeit  gehütetes  Mädchen 
wollte  Eier  nicht  kauen,  damit  sie  ganz  aufs  „Stöcklein"  (-Eierstock)  kommen  Sie 
g«bar  wahrend  des  Essens  Kinder  aus  dem  Munde. 

Ich  bin  nun  weit  entfernt  zu  behaupten,  daß  alle  die  weiblichen  Wesen,  die  be- 
haupten, vor  der  Ehe  nichts  von  diesen  Dingen  gewußt  zu  haben,  heucheln.  Im  Gegen- 
teil: ich  weiß,  wie  dieseDinge  abgesperrt  werden  können,  mid  ich  traue  keinemMädchen 
zu,  daß  diese  Sperrmig  nicht  eine  ganz  absolute  werden  müsse,  wenn  jemand  sie  danach 
frägt,  der  in  dem  sexuellen  Wissen  eine  Herabwürdigung  ihrer  Person  sieht  oder  nur 
irgendwie  sehen  könnte^). 

Noch  deutlicher  als  bei  den  Neurosen  kommen  bei  der  Schizophrenie  die  Ab- 
normitäten neben  dem  normalen  Triebe  zur  Geltung;  namentlich  die  „homosexuelle 
Komponente"  spielt  eine  ungeahnt  große  Rolle.  Wir  werden  aber  hier  nicht  weiter  auf 
diese  Einzelheiten  emgehen. 

Die  Sexualität  äußert  sich  in  der  Schizophrenie  zunächst  in  dem  sexuellen 
Charakter  der  meisten  Delirien,  der  sich  namentlich  im  Anfang  der  Krankheit 
leicht  nachweisen  läßt.  Da  ist  ein  Mädchen  erkrankt,  nachdem  sie  eben  in  einem 
Schutzmann  ihr  Ideal  gefunden.  In  der  Anstalt  deliriert  sie  Szenen  mit  dem 
Geliebten.  Sie  telephoniert  ihm,  die  Herrschaft  sei  ausgegangen,  er  könne  kommen; 
sie  verlangt  von  uns,  wir  sollen  ihr  das  Fenster  aufmachen,  damit  sie  mit  ihm 
reden  könne;  da  wir  nichts  tun,  findet  sie  sich  aber  sofort  zurecht,  sie  spricht 
mit  ihm  durch  die  Heizung,  die  für  sie  das  Fenster  repräsentiert.  Sie  liefert  uns 
kein  fein  ausgedachtes  Schaustück ;  die  Ausführung  der  Idee  scheint  uns  karikiert ; 
der  zeitliche  Zusammenhang  wird  nicht  genau  festgehalten,  sie  geht  in  den  Vor- 
stellungen auch  wieder  zurück,  wiederholt  Aufforderungen,  denen  der  Geliebte 
bereits  nachgekommen  ist  u.  dgl. ;  auch  mit  den  örtlichen  Vorstellungen 
geht  sie  sehr  frei  um;  es  geniert  sie  nicht,  auf  dem  Boden  zu  liegen  und  dabei  zu 
meinen,  sie  telephoniere  oder  spreche  durch  das  Fenster;  ihre  Sätze  sind  auch 
nicht  immer  fertig  oder  grammatisch  richtig;  aber  der  Faden  läßt  sich  ohne  die 
geringste  Schwierigkeit  verfolgen,  sobald  man  ihn  einmal  erkannt  hat.  Und 
man  mußte  ihn  erkennen  ohne  alles  Fragen,  nur  durch  geduldiges  Beobachten 
der  scheinbar  unsinnigen  Handlungen.  —  Eine  gebildete  Dame  geht,  als  der 
zweite  Anfall  sich  ankündet,  in  das  Arbeitszimmer  eines  Musikdirektors  und 
behauptet,  sie  werde  nun  da  arbeiten.  Man  hat  Mühe,  sie  wieder  fortzulotsen. 
Dann  bricht  das  Delir  aus,  das  einen  während  einiger  Monate  durchgeführten 
Liebestraum  darstellt.  Sie  liebt  einen  Musikdirektor,  wenn  auch  nicht  den,  in 
dessen  Wohnung  sie  eingedrungen  ist,  es  war  das  bloß  eine  Symptomhandhmg. 

1)  Man  kann  diese  Art  Nichtwissen  einen  partiellen  Emotionsstupor  nennen  und  die 
Erscheinung  vergleichen  dem  allgemeinen  Stupor,  den  z.  B.  Rekruten  haben,  wenn  sie,  bei 
gewisser  Art  zu  fragen,  die  einfachsten  Dinge  nicht  mehr  zu  wissen  scheinen. 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschungen. 


335 


Sie  ist  mm  imDelir  mit  ihm  verlobt,  dann  verheiratet,  sie  ist  gravid  mit  Zwillingen : 
einem  Kinde,  das  ihr  gleicht,  und  einem,  das  den  Vater  repräsentiert  ;  sie  gebiert 
schließlich  und  kommt  dann  in  Remission.  Während  des  Delirs  hat  sie  allerhand 
unverständliche  Sachen  gemacht,  sie  hat  eben  ihre  Umgebung  als  Hindernisse 
angesehen  imd  dementsprechend  feindselig  auf  sie  reagiert,  wenn  auch  nicht 
konsequent,  da  sie  ja  neben  dem  Traum  doch  die  volle  Wirklichkeit  als  solche 
registrierte.  Wenn  sie  mit  dem  Arzte  zufrieden  war,  wurde  er  in  einer  nicht  in 
allen  Details  aufzuklärenden  Weise  in  das  erotische  System  einbezogen  —  am 
häufigsten  ist  es,  daß  der  Arzt  in  solchen  Fällen  mit  dem  Geliebten  teilweise  oder 
ganz  identifiziert  wird — ihre  Handlungen  waren  aber  sehr  symbolisch,  sie  schenkte 
ihm  Verse,  die  sie  gemacht  hatte,  eingewickelt  in  viele  Papiere,  deren  Innerstes 
noch  ein  Schamhaar,  etwas  Menstrualblut,  auch  gelegentlich  ein  wenig  Fäzes 
enthielt  usw.  Derartige  Dinge  kamen  noch  vor  zu  einer  Zeit,  da  sie  schon  so  klar 
war,  daß  sie  mir  im  Gespräch  über  Kunst  u.  dgl.  in  Feinheit  des  Urteils  entschieden 
überlegen  war. 

Solche  Delirien  können  ein  ganzes  Leben  lang  fortgesponnen  werden. 
Ich  kenne  eine  Katatonische,  die  1874  in  ähnlicher  Weise  erkrankte,  dann  jahre- 
lang mit  dem  eingebildeten  Kind  des  Geliebten  lebte,  dieses  aber  meist  mit  ihm 
vollständig  identifizierte  und  auch  jetzt  noch  nicht  aus  dem  Traum  heraus- 
gekommen ist. 

Manchmal  tritt  die  Sexualität  in  weniger  angenehmer  Form  auf.  Sie  ist 
häufig  gemischt  mit  Angstvorstellungen,  nach  denen  dann  auch  die  Delirien 
modifiziert  werden.  Eine  Patientin  halluzinierte,  wie  die  Mutter  sie  beim  Vater 
anklagte,  dann  ,,sah  sie  der  Vater  so  an";  er  stach  sie  mit  einem  Speer  in  den 
Unterleib,  dabei  tanzte  er  so  merkwürdig;  er  war  schwarz  und  ganz  nackt;  er 
erschien  ihr  auch  sonst  oft  ganz  schwarz  an  ihrem  Bett,  gelegentlich  auch  in 
der  Gestalt  eines  Stiers.  Die  Patientin  erzählt,  daß  ihr  Vater  sie  oft  geschlagen 
habe  —  und  mißbrauchen  wollte;  er  hat  oft  ihre  Genitalien  berührt  und  mußte 
noch  weiter  gegangen  sein.  So  wird  die  Angst  vor  dem  Vater  begreiflich.  Daß 
aber  das  Attentat  mit  dem  Speer  ein  sexuelles  war,  beweist,  abgesehen  von  dem 
vielfachen  Vorkommen  dieser  Dinge  in  sexuellem  Zusammenhang,  die  vollständig 
sexuelle  Mimik  der  Patientin  beim  Erzählen  der  Halluzination,  die  ja  an  sich 
gar  nichts  verrät:  die  Kranke  verbarg  mit  verschämtem  Lachen  ihr  Gesicht. 
Die  tatsächlichen  Attentate  des  Vaters  erzählte  sie  mit  der  gleichen  Mimik,  wie 
Gesunde  solche  Dinge  erzählen,  in  objektivem  Ton,  etwas  geniert,  aber  nicht  mit 
der  aktiven  Erotik. 

Ein  junger  Mann  hat  Delirien  folgender  Art:  Er  sieht  seine  Schwester 
,,m  den  Kleidern  einer  erstklassigen  Balleteuse",  sie  gleicht  der  Diana;  bei  ihr 
ist  ein  wunderschöner  Jüngling,  den  hat  Patient  selbst  geschaffen  vermöge  der 
Beziehung  seiner  Himsubstanz  zur  Welt;  „das  ist  Arsenia,  das  ich  in  meinem 
Gehirn  habe,  das  ist  ganz  das  Gleiche  wie  Ambrosia".  Der  Jüngling  ist  ein 
Pseudo-N.  (sein  eigener  Name);  er  sieht  ihm  auch  ähnlich,  er  hat  das  Aussehen 
wie  Apollo;  er  wiU  die  Diana  vergewaltigen.  Patient  fürchtet,  sie  möchte  schließ- 
lich unterliegen,  dann  werde  er  für  7000  Jahre  ganz  aus  der  Welt  eliminiert 
Die  gleiche  Geschichte  erzählt  er  auch  so,  daß  er  sich  und  seine  Schwester 
am  Himmel  sieht.  Er  hatte  ein  (einseitiges)  Verhältnis  zu  seiner  altern  Schwester 
üas  aus  semem  vierten  Jahre  stammt,  aus  einer  Zeit,  wo  das  Mädchen  gerade 


336 


Schizophrenie. 


am  Aufblülien  war.  Er  beschäftigt  sich  nun  beständig  mit  diesen  Walmgebilden ; 
jede  Störung  von  außen  ist  ihm  deshalb  widerwärtig,  weil  sie  ihn  von  diesen 
Gedanken  abzieht,  xmd  so  hält  er  sich  für  schikaniert  und  wird  selber  unangenehm, 
wenn  man  nur  in  sein  Zimmer  kommen  muß. 

Eine  andere  Kranke  sah  in  einem  Tobanfall  Judas  Ischariot,  der  sie  mit 
einem  Schwert  bedrohte.  Wie  dort  die  Geschwisterliebe  in  Apollo  und  Diana 
nicht  übel  symbolisiert  wui'de,  vertritt  hier  Judas,  wie  oft,  den  ungetreuen 
Geliebten. 

Nicht  so  selbstverständlich  ist  das  Schwert  zu  deuten;  es  zeigt  sich  aber 
bei  dieser  Patientin,  wie  bei  allen  andern,  gleichwertig  dem  Speer  in  der  Hand 
des  Vaters  in  dem  frühern  Beispiel,  und  dem  Messer,  das  die  den  Hysterischen 
und  Schizophrenen  erscheinenden  „schwarzen  Männer"  in  den  Händen  haben: 
es  ist  das  agressive  männliche  Geschlechtsorgan^).   In  der  Mythologie  spielt 
die  gleiche  Rolle  der  Pfeil  des  Apollo,  der  als  Sonnenstrahl  wie  als  Sexualorgan 
befruchtet,  aber  auch  tötet.  Schwert  und  Speer  habe  ich  auch  von  zwei  gesunden 
Frauen  in  diesem  Sinne  brauchen  hören  (ganz  unabhängig  von  der  Defloration). 
Diese  Waffen  sind  immer  in  Verbindung  mit  anderen  sexuellen  Vorstellungen 
genannt.  ,,Ich  bin  dem  Doktor  ausgewichen,  weil  er  mir  immer  durchs  höchste 
Gut  in  Gedanken  Messerstiche  gegeben  hat,  daß  ich  oftmals  Schmerzen  be- 
kommen habe  und  Brand  auf  der  Seite  (zeigt  dabei  die  Genitalgegend,  und  erst 
bei  Wiederholung  wirklich  die  Seite),  und  habe  gedacht,  ich  könne  ihn  durchaus 
nicht  lieben"  (alles  mit  starker  sexueller  IMimik)^).  Sehr  häufig  werden  die  ver- 
schiedenen Symbole  ganz  promiscue  genannt.  Eine  unserer  Paranoiden  veränderte 
den  spontan  genannten  feurigen  Spieß  im  Leibe  in  viele  feurige  Nadeln,  als  man 
sie  über  die  Körperhalluzinationen  fragte;  dann  war  es  wieder  ein  dickes  Ding, 
das  man  ihr  in  die  Brust  und  den  Unterleib  stößt,  wobei  sie  sehr  viel  Affekt 
auf  den  Unterleib,  nicht  aber  auf  die  Brust  verwandte.  Die  Nadel  kommt  auch 
sonst  noch  im  gleichen  Sinne  nicht  selten  vor,  und  die  S}Tnbohk  kann  so  weit 
gehen,  daß  eine  junge  Katatonika  eine  Zeitlang  verschämt  errötete,  wenn  sie 
eine  Nadel  ansah.  Gelegentlich  spielt  auch  der  Revolver  eine  solche  Rolle;  so 
wird  eine  unserer  Hebephrenen  von  einem  Manne  mit  einem  Revolver  verfolgt, 
der  ungebührliches  von  ihr  verlangt;  eine  andere  wird  mit  einem  Revolver 
in  die  Beine  geschossen.  Auch  bei  Männern  haben  wir  den  Revolver  in  gleichem 
Sinne  beobachtet. 

Es  ist  ganz  charakteristisch,  daß  für  allgemeiner  gültige  Symbole  des 
männlichen  Gliedes  fast  nur  Dinge  genommen  werden,  die  auch  mit  Gefühlen 
betont  sind,  und  zwar  meist  mit  Grusehi  verbundene^).  Würste,  Kerzen,  einfache 
Stäbe  u.  dgl.  unschuldige  Dinge,  die  in  der  gewöhnlichen  Zote  von  Groß  und 
Klein  so  häufig  hervortreten,  scheinen  in  der  Schizophrenie  wie  im  Traum  nur 
unter  ganz  bestimmten  KonsteUationen  die  Genitalien  vertreten  zu  können. 
So  spricht  die  B.  S.  Jungs  von  Schweinsbratwürsten,  die  die  Fähigkeit,  als 
Symbol  zu  dienen,  durch  den  Umstand  erhalten,  daß  sie  in  Verbmdimg  gebracht 

1)  So  wird  wohl  das  „Dolchmesser  mit  Hochzeitszettel"  bei  Kraepelin  (388,  S.  198) 
verständh^k  ^^^^^^^^^  ^.^  ^^^^^  homosexuellen  Tendenzen  hat  Pollutionen,  wenn  seine 
Augen  und  sein  Anus  halluzinatorisch  mit  Messern  bearbeitet  werden 

3)  Die  Ambivalenz  der  Sexuaütät  kommt  also  auch  hier  zum  Ausdruck. 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschungen. 


337 


werden  müssen  mit  dem  Symbol  des  Mundes  für  Vagina  imd  des  Essens  für 
Koitieren.  Der  Stab  erscheint  als  Zauberstab  oder  als  „das  rote  Holz  des  Lebens". 
Es  ist  das  bezeichnend  für  die  wichtige  Eolle,  die  der  Affekt  bei  der  ganzen 
Symbolik  spielt.  Die  intellektuelle  Ähnlichkeit  ist  oft  Nebensache,  viel  wichtiger 
ist  die  affektive. 

Diesem  Umstand  verdankt  gewiß  eines  der  häufigsten  Sexualsymbole, 
die  Schlange,  ihre  Bedeutung.  Wir  finden  sie  alle  Augenblicke  in  den  Hallu- 
zinationen, und  wir  haben  noch  nie  eine  Analyse  dieses  Symptoms  gemacht, 
bei  der  es  sich  nicht  deutlich  als  sexuell  zu  erkennen  gab.  Eine  Jungfrau  von 
tadelloser  Lebensführimg  hat  während  eines  leichten  Schubes  ihrer  Hebephrenie 
„nicht  unangenehme  Erscheinungen  von  einem  schwarzen  Manne  oder  von 
einer  Schlange,  die  auf  sie  zukommen".  Eine  Präsenile  sieht  einen  Engel;  „da 
kommt  eine  Schlange,  die  umwickelt  ihn,  dann  steht  sie  so  vorn  heraus,  ganz 
steif  (Patientin  macht  mit  dem  Finger  die  Stellung  des  erigierten  Penis),  deshalb 
macht  sie  nichts  Böses".  Bei  einer  andern  Kranken  kam  die  Schlange  in  die 
Vulva,  um  zu  trinken').  Gelegentlich  ist  die  Schlange  feurig,  wenn  auch  seltener 
als  der  Spieß  und  das  Schwert. 

Ein  Hebephrene  beklagte  sich  darüber,  daß  eine  Schlange  ihn  umschnüre, 
den  Kopf  vor  seinem  Munde,  in  den  sie  Grift  hineinspritze.  Durch  seine  ana- 
mnestische u  Angaben  wurde  unsere  Vermutung  bestätigt :  er  war  Päderast  und 
machte  sich  deshalb  Vorwürfe. 

Auch  andere  Tiere  sind  nicht  selten  sexuelle  Symbole.  Neben  der  Schlange 
zunächst  das  Pf  erd^),  das  recht  viele  jimge  Mädchen  fürchten  und  in  ihre  Angst- 
träume aufnehmen;  dann  auch  der  Stier.  Der  letztere  ist  oben  in  einem  Beispiel 
erwähnt;  das  Pferd  kann  auch  in  Form  „zweier  Schaukelpferde  vorkommen, 
die  im  Bett  sind,  die  man  nicht  sieht,  man  spürt  nur,  wie  sie  stoßen  und  rhythmisch 
die  Decke  heben;  es  sind  der  N.  N.  und  der  X.  X."  (Bekannte  der  Patientin,  an 
die  sie  sexuelle  Wahnideen  knüpft).  Hunde  und  Katzen,  deren  Liebesleben 
jedes  Kind  kennt,  sind  auch  sehr  häufig;  die  Patientinnen  spüren  sie  im  Leibe 
und  am  Leibe,  sie  sehen,  wie  die  Hunde  sie  verfolgen  usw.  Ähnlich  der  Schlange 
wird  die  Maus  benutzt;  es  ist  uns  schon  mehr  als  einmal  vorgekommen,  daß 
die  gleiche  Halluzination  bald  als  Maus  oder  Ratte,  bald  als  Schlange  bezeichnet 
wurde.  Gelegentlich  schwillt  auch  die  Maus  unter  den  Augen  der  Patientin  zu 
emer  großen  Ratte  an.  Von  fremden  Tieren  zeigt  sich  bei  der  Prüfung  mit  Bildern 
(bei  Anlaß  der  Wahrnehmungsprüfungen)  auch  der  Elefant  als  ein  sexueUes 
Tier  (wohl  Größe  und  Rüssel);  in  den  Wahnideen  erinnere  ich  mich  nur  zweimal, 
ihn  als  deuthches  Sexualsymbol  getroffen  zu  haben:  einmal  vertrat  er  einen 
großen  Arzt,  an  den  die  Patientin  ihre  sexuellen  HaUuzinationen  knüpfte;  einmal 
erschien  er  als  Halluzination  einer  ganz  jungen  Hebephrenen  im  Anfang  der 
Krankheit,  die  durch  lauter  sexuelle  Gedanken  charakterisiert  war.  Eine  Patientin 
beklagte  sich  über  unsere  „Heurüsselbetten"  (Heu  ist  vulgär  oft  Pubes),  es  seien 
genug  Männer,  die  ihre  Heurüssel  in  ihrem  Bett  liegen  lassen  (alles  i^t  nicht 
mißzuverstehender  sexueller  Mimik).  Alle  als  Sexualsymbol  dienenden  Tiere 

•     1    \7^]'  ^"''^  "Erstes  Liebeslied  eines  Mädchens.«  Im  Traum  des  Gesunden 

m  den  Mythologien,  bei  Swedenborg,  überall  ist  die  Schlange  Sexualsymbol 
)  Das  Pferd  ist  zugleich  Symbol  für  die  Vornehmheitsaspirationen. 
Handbuoli  der  Psychiatrie:  Bleuler. 

22 


338 


Schizophrenie. 


wurden  von  einer  Patientin  in  recht  bezeichnender  Weise  spontan  als  „Schön- 
heitstiere" zusammengefaßt. 

Der  Koitus  findet  seinen  Ausdruck  unter  anderm  in  dem  Bilde  des  Mordes') 
und  zwar  sowohl  aktiv  beim  Manne  als  namentlich  passiv  beim  Weibe^).  Eine 
Katatonische  wird  vom  Pfarrer  sexuell  erregt;  er  sieht  sie  in  der  Kirche  mit 
„tötendem  Blick"  an,  sie  spürt  denselben  im  ganzen  Leibe.  Ferner  hat  sie  ängst- 
liche Träume  von  Toten.  Bei  der  Erzählung  auch  der  Träume  hat  sie  aber  einen 
ekstatisch-süßlichen  Blick,  der  sich  nicht  mißdeuten  läßt.  Eine  andere  Katatonika 
ist  ebenfalls  in  einen  Pfarrer  verliebt  und  schreibt  in  einem  Briefe:  „Der  re- 
formierte Pfarrer  muß  mich  zerschmettern."  Zuzeiten  muß  die  Wärterin  dieser 
Kranken  —  faute  de  mieux  —  als  Liebesobjekt  und  -Subjekt  dienen;  in  diesem 
Sinne  sagte  sie  einmal,  sie  möchte  sie  an  sich  drücken,  bis  sie  ganz  mager  wird, 
und  sie  dann  anzünden.  Eine  dritte  Katatonische  verbigeriert  in  einigen  Variationen 
die  Worte:  „Mordet  mich,  Sauhund,  morde  mich",  begleitet  sie  aber  mit  rasenden 
Küssen  der  eigenen  Hände  und  andern  sexuellen  Gesten  und  mischt  sie  mit 
einer  Menge  sexueller  Ausdrücke.  Eine  andere  erwacht  aus  dem  Schlafe  mit  einem 
Schrei  und  ruft,  die  Mörder  kommen,  der  Mann  hure  mit  den  Patientinnen. 

Auch  Krieg  imd  Duell  sind  Symbole  der  Kohabitation.  Eine  unserer 
Hebephrenen  verfolgte  mit  deutlich  sexuellem  Interesse  sogar  den  russisch- 
japanischen Krieg,  der  allerdings  noch  andere,  mir  unklare,  Beziehungen  zur 
Kranken  hatte.  (Vgl.  auch  unten  ,,Religionskries".) 

Der  Wahn  des  Selbstgetötetwerdens  könnte  außerdem  den  Wunsch  aus- 
drücken, zu  sterben.  Wenn  auch  in  vielen  Fällen  die  Wahnidee,  ermordet  zu  werden, 
sexuell  gemeint  ist,  so  wird  es  wohl  nicht  immer  so  sein,  obschon  wir  einen  andern 
Ursprung  noch  nicht  sicher  nachgewiesen  haben.  Am  ehesten  wäre  es  in  dem 
Fall  eines  Mädchens,  das,  gravid  vom  Liebhaber  verlassen,  gestohlen  hat  und 
am  meisten  darunter  litt,  daß  sie  den  Eltern  entfremdet  werde;  sie  gehöre  nie- 
mandem, sie  müsse  getötet  werden.  Sie  brachte  wegen  des  vollständigen  Gedanken- 
entzuges keinen  Brief  an  die  Eltern  zustande,  während  sie  an  den  Geliebten 
schreiben  konnte. 

Sehr  eng  verwandt  und  für  die  Patientinnen  oft  vollständig  identisch 
mit  dem  Getötetwerden  ist  meist  das  Verbrannt-  oder  Gebranntwerden. 
Das  Feuer  der  Liebe  drückt  sich  in  dieser  Weise  aus  sowie  in  der  feurigen  Be- 
schaffenheit der  Schwerter,  Spieße  und  Nadeln;  gelegentlich  macht  auch  ein 
Geliebter  als  feuriger  Mann  seine  Besuche;  oder  er  erscheint  in  der  Matratze, 
,,die  ganze  Genitalgegend  glühend  rot  wie  ein  Ofen". 

So  ist  es  zu  verstehen,  wenn  jenes  erfolglos  asexuell  erzogene  Mädchen 
mit  sanfter  Stimme  berichtet,  wie  sie  sich  fürchte  vor  „einem  Mördermesser, 
das  ja  immer  weiter  brennt".  —  Eine  Katatonika  antwortet  bei  der  Unter- 
suchung nur  zögernd  in  abgerissenen  seltenen  Sätzen;  auf  die  Frage:  „Was  ist 
mit  dem  Konrad?"  (ihrem  Geliebten),  sagt  sie  sofort  mit  lebhafter  Mimik  und 
ganz  anderer  Stimme:  „Muß  ich  verbrannt  werden?  Muß  ich  getötet  werden?"  — 

1)  Nicht  zu  verwechseln  mit  der  Anwendung  dieses  Wortes  für  alle  Ai'ten  von  Miß- 
handlung (vide  Sprache). 

2)  „Nun,  Heinrich,  sterb  ich  doch  den  süßen  Tod",  Ottegebe  in  Hauptmanns  „Der 
arme  Heinrich".  —  „Verwehr  deinem  Herzen  zu  lieben,  o  Kindlein;  denn  Liebe  ist  sterben, 
die  Lieb  ist  der  Tod."  Hu  oh,  Dornröschen  usw.  usw. 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschungen. 


339 


Patientinnen  beklagen  sich  manchmal,  man  halte  sie  für  Huren,  und  setzen 
hinzu:  „Ja,  ja,  ich  weiß  schon,  ich  laise  mich  nicht  verbrennen";  oder  etwas 
Gleichwertiges.  Auch  mit  der  Angst  wird  das  Feuer  zusammengebracht:  „Es  ist 
gerade,  wie  wenn  ich  ein  Feuer  in  mir  hätte,  so  habe  ich  Tag  und  Nacht  Angst." 
B3i  der  letzteren  Kranken,  wie  bei  mancher  andern,  führt  die  Idee  des  Feuers 
zu  der,  in  der  Hölle  zu  sein  oder  in  die  Hölle  zu  kommen  (was  nicht  immer 
unterschieden  wird).  Ein  Patient  verallgemeinert  die  Empfindung,  daß  seine 
Geschlechtsteile  verbrannt  werden,  zu  der,  ganz  im  Feuer  zu  sein.  Später  schwächt 
er  sie  wieder  ab  und  hat  infolge  der  Verlegung  nur  noch  Hitze  im  Kopf.  Die  ur- 
sprüngliche Halluzination  war  entstanden  aus  der  sexuellen  Reizung,  die  ihm 
die  Tochter  seiner  Hausfrau  bereitete.  Deshalb  drohte  ihm  diese  in  den  Hallu- 
zinationen mit  Verbranntwerden,  während  die  unschädliche  Mutter  ihn  tröstete, 
er  werde  nicht  verbrannt. 

Ein  Paranoider  wähnt  seine  Frau  untreu  und  tot;  ihn  beschuldigt  man  des 
Verkehrs  mit  einer  Schwägerin.  Einmal  hörte  er  einen  Schrei;  das  bedeutete, 
daß  seine  Frau  soeben  gestorben  sei.  Zugleich  war  es  ihm,  wie  wenn  man  ihm  eine 
Flamme  aus  dem  Herzen  herausreiße.  —  Ein  anderer  beklagt  sich,  es  sei  eins 
Frau  unter  ihm,  die  ihn  verführen  will,  um  ihn  durch  Brennen  umzubringen; 
hier  wird  das  Brennen  noch  in  einem  andern  Sinne  gefaßt :  er  meint,  man  hätte 
ihm  nach  der  Verführung  scharfe  Salben  eingerieben. 

Die  Identifizierung  von  Feuer  und  Koitus  kann  auch  in  bezug  auf  andere 
Personen  geschehen:  ein  eifersüchtiger  Ehemann  behauptete,  seine  Frau  habe 
einen  Mann  angestellt,  der  ihr  das  Bett  unter  dem  Hintern  anzünden  müsse. 

Eine  Frau  hat  die  Wahnidee,  daß  man  ihr  das  Haus  anzünden  wolle,  und 
zwar  hat  sie  einen  bestimmten  Kostgänger  im  Verdacht.  Ganz  im  gleichen  Ton, 
und  wie  wenn  sie  die  gleiche  Sache  ausführen  würde,  erzählt  sie,  sie  fürchte, 
daß  der  Kostgänger  es  einmal  so  weit  treiben  könne,  daß  sie  ein  Kind  von  ihm 
bekomme.  Hier  hat  das  Feuer,  das  das  Haus  verzehrt,  zugleich  noch  eine  andere 
Bedeutung,  die  die  gewöhnliche  ist,  wenn  von  „Hausanzünden"  geredet  wird. 
Es  bedeutet  die  Aufhebung  der  Familie,  eine  Idee,  die  allerdings  meist  auch 
durch  unbefriedigte  Sexualität  erzeugt  wird.  —  Eine  mit  ihrem  Manne  un- 
zufriedene Frau  erkrankte  in  der  zweiten  Gravidität;  sie  wurde  eifersüchtig, 
mißtrauisch;  die  Stimmen  befahlen  ihr,  das  Haus  anzuzünden,  um  dem  Herrgott 
em  Rauchopfer  darzubringen.  (Später  wollte  sie  auch  den  Sohn  opfern.)  — 
Eme  andere  Frau,  die  einen  Pfarrer  liebt,  fürchtet  zuerst,  das  Haus  müsse 
m  Flammen  aufgehen;  eines  Tages  glaubt  sie,  es  werde  angezündet ;  üüchtet  sich 
aus  dem  Hause,  und  wiU  nun  den  Herrgott  sehen;  nachher  meinte  sie,  sie  sei 
mit  dem  Geliebten  verheiratet.  —  Eine  andere  Frau,  deren  Mann  ein  Lump  ist, 
sah  und  hörte  Leute,  die  das  Haus  anzündeten;  auch  ihr  Knabe  ist  haUuzina- 
torisch  gestorben.  —  Die  Frau,  die  von  ihrem  eingebildeten  Geliebten  drei  Kinder 
im  Leibe  hatte,  hatte  versucht,  ihr  Haus,  „das  Unglückshaus",  anzuzünden. 

Unser  einziger  Fall,  wo  die  Sexualität  nicht  mit  Sicherheit  mitschuldig 
an  dem  Feuer  ist,  betrifft  einen  Katatoniker,  der  seine  Mutter  erschossen  und 
^en  Vater  verletzt  hatte,  um  sie  vor  Armut  zu  bewahren.  Er  träumte  in  der 
J^acht  darauf,  das  Haus  seiner  Eltern  brenne;  er  selber  sitzt  zu  oberst  auf  dem 
iJach  tut  mchts  und  staunt  nur.  (Immerhin  sind  einige  Indizien  da,  daß  ein 
einseitiges  sexuelles  Verhältnis  zur  Mutter  bestanden  habe.) 

22* 


340 


Schizophrenie. 


In  enger  Verbindung  mit  den  bisher  besprochenen  Koitussynibolen  steht 
die  Angst.  Schon  vor  Jahrzehnten  wußten  viele  Psychiater,  daß  ein  Zusammen- 
hang zwischen  Sexualität  und  Angst  bestände,  indem  sexuelle  Reizung  Angst 
erzeuge  und  umgekehrt  in  Angstzuständen  oft  triebartig  masturbiert  werde^). 
Freud  hat  dann  die  pathologische  Angst  überhaupt  ak  eine  Umsetzung  ver- 
drängter sexueller  Libido  erklärt.  Ich  sehe  nun  allerdings  nicht  ein,  warum  es 
nicht  auch  eine  Angst  bei  bedrohter  Existenz  des  Individuums  geben  solle  so  gut 
wie  eine  Genusangst.  Allerdings  muß  ich  konstatieren,  daß  in  den  pathologischen 
Fällen  und  in  den  Träumen,  die  wir  analysieren  konnten,  mit  Sicherheit  nur  die 
Genusangst  nachzuweisen  war.  Worin  der  Zusammenhang  zwischen  der  Se- 
xualität und  Angst  besteht,  ist  mir  noch  dunkel,  sicher  ist  nur,  daß  er  existierts). 

Man  kann  sich  denken,  daß  die  Unterdrückung  des  Geschlechtstriebes 
als  eine  Schädigung  des  Genus  Angst  mache,  wie  die  Gefährdung  des  Individuums ; 
doch  ist  das  nur  eine  Analogie.  Man  weiß  ferner,  daß  die  sexuelle  Erregung  nament- 
lich bei  der  Frau,  aber  in  gewissem  Sinne  auch  beim  Manne  mit  Angstsymptomen, 
mit  Gruseln  imd  Zittern  verbunden  ist.  Man  weiß,  daß  nicht  nur  beim  Menschen, 
sondern  bei  vielen  niederen  und  höheren  Tieren  das  Weibchen  der  Bewerbung 
einen  lebhaften  Widerstand  entgegensetzt,  der  um  so  auffallender  ist,  als  es  sehr 
häufig  sofort  die  Initiative  ergreift,  wie  das  Männchen  sich  zurückzuziehen  scheint. 
Man  könnte  sich  denken,  daß  eine  gewisse  Regdierung  stattfindet,  indem  zwei 
Kontraste  gegeneinander  spielen,  wie  wir  das  in  Physiologie  und  Psychologie 
so  häufig  sehen,  und  daß  die  Hemmung  eben  das  ist,  was  wir  Angst  nennen; 
aber  warum  es  gerade  dann  zum  Vorschein  kommen  sollte,  wenn  der  Akt  unter- 
drückt wird,  wäre  nicht  abzusehen. 

Wir  treffen  also  die  Angst,  wenn  sie  analysierbar  ist,  immer  in  Verbindung 
mit  sexuellen  Symptomen.  Wenn  man  allerdings  den  schwarzen  Mann  mit  dem 
Messer  als  das  Primäre  auffaßte,  so  wäre  die  Angst  in  diesen  Fällen  Individual- 
angst.  Wir  kennen  aber  die  sexuelle  Bedeutung  des  Mannes  und  sehen  alle  Tage, 
daß  die  gleiche  Angst  auch  auftritt,  wenn  das  Individuum  nicht  bedroht  wird. 
Wir  können  uns  ferner  leicht  erklären,  warum  das  Sexualsymbol  auftreten  soll, 
nicht  aber,  was  in  solchen  FäUen  die  körperliche  Bedrohung  zu  tun  hat. 

Meist  verläuft  die  Angst  unter  dem  Schein  einer  solchen  Bedrohung.  Manch- 
mal findet  man  diese  nicht.  Ein  Katatoniker,  der  inhaltlose  AngstanfäUe  hatte, 
bat  in  den  einen  inständig  um  ein  Mädchen,  in  den  andern  onanierte  er.  Eine 
Katatonische  mit  ziemlich  starkem  Negativismus  onaniert  ganz  regelmäßig, 
wenn  sie  zu  etwas  gezwimgen  wird,  zum  Essen,  zum  Sitzen  usw.  3). 


1)  Vgl.  z.  B.  Cullerre  (145),  Oppenheim  (529  a;  S.  117),  Muthmann  (502  ft; 
S.  42)  und  Bernhard. 

2)  Stekel  gibt  Anhaltspunkte  zum  Verständnis  dieses  Verhältnisses,  leider  noch  keine 
Erklärung.  Angstzustände  infolge  schlechter  Zirkulation  gehören  nicht  zum  Bilde  der 
Dementia  praecox. 

ä)  Es  gibt  auch  Nichtgeisteskranke,  die  in  der  Angst  Pollutionen  bekommen; 
einem  jungen  Herrn  begegnete  es  dann,  wenn  er  eilig  war,  z.  B.  i-ascli  zur  Bahn  gehen 
sollte  und  sich  noch  zurecht  zu  machen  hatte.  Kinder  haben  sexuelle  Erregung  bei  Angst 
vor  dem  Lehrer.  Vgl.  auch  v.  Kraff t-Ebing,  Moll.  Angstträume  sind  sexuelle  (Freud). 
S avage  kannte  den  Zusammenliang  von  Angstmelancholie  und  Sexualität  schon  vor 
Jahrzehnten. 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitatäuschungen. 


341 


Eine  altbekannte  Fortbildung  („Sublimierung",  Freud)  des  Geschlechts- 
triebes ist  die  Umsetzung  in  religiöse  Gefühle  und  Vorstellungen.  Viele 
Kranke  suchen,  gerade  wie  Gesunde,  ganz  bewußt  in  der  Religion  Ersatz  für 
das  entgangene  I.iebesglück.  Sobald  aber  dieKi-ankheit  anfängt,  die  Vorstellungen 
ungeordneter  zu  machen,  tritt  der  verdrängte  erotische  Komplex  wieder  hervor 
und  mischt  sich  mit  den  religiösen  Vorstellungen.  So  trägt  der  Erlöser  oder  Gott 
oder  wer  gerade  in  den  Vordergrund  des  religiösen  Interesses  gestellt  wird, 
sehr  häufig  die  deutlichen  Züge  des  Geliebten.  Eine  Patientin,  die  in  einen  Pfarrer 
verliebt  war,  zeichnete  den  lieben  Gott  gern  mit  Bäffchen  und  Klemmer;  auch 
Christus  bekam  Züge  von  einem  protestantischen  Geistlichen.  Eine  solche  Figur 
wurde  einmal  am  Kreuz  gezeichnet  mit  erigiertem  Glied:  sie  bedeutete  nach 
der  eigenen  Erklärung  der  Patientin  den  guten  Menschen;  am  Kreuz  nebenan 
war  der  schlechte  Mann  mit  schlaffem  Glied.  Eine  der  ersten  gleiche  gekreuzigte 
Figur  hatte  zwei  erigierte  Glieder.  Später  ist  die  Kranke  direkt  mit  dem  heiligen 
Geist  verheiratet.  —  Eine  (latente)  Hebephrene  liebte  ihren  Mann  nicht  mehr 
und  setzte  die  Scheidung  durch.  Am  Tage  des  Urteils  sah  sie  Gott,  der  ihr  eine 
Million  versprach;  der  Mann  hat  ihr  aber  die  Million  gestohlen.  Gott  sagte  ihr 
unter  anderm  auch :  „Laß  die  erste  Liebe  nicht,  denn  sie  hält  gewiß,  was  sie  ver- 
spricht." Er  sprach  sächsisch,  hatte  blonde  Haare,  karrierte  Hosen,  kurz  alles 
wie  ein  Herr  H.,  den  die  Patientin  vor  ihrem  Manne  geliebt  hat.  Zugleich  „schien 
die  ganze  Herrgottenmacht,  die  Sonne  und  die  Sterne  leuchteten;  doch  der  im 
Kirchengesangbuch  als  Tröster  genannt  wird,  den  kenne  ich  im  Leben,  er  hat 
Hosen  imd  Weste  wie  der  Herrgott  und  redet  sächsisch."  Auch  Christus  und  die 
Jünger  sind  in  ihrer  Familie  vertreten.  Sie  selbst  ist  die  Jehovah,  sie  ist  nicht 
Gott,  aber  Nachfolger  von  Gott ;  sie  sitzet  zu  seiner  Rechten.  Der  König  der  Ehren 
ist  Herr  H.  Wenn  sie  von  dem  letzteren  (auch  ganz  Profanes)  erzählt,  mischt 
sie  immer  eine  Flut  von  biblischen  Ausdrücken  bei.  —  Ihr  Mann  erschien  ihr, 
seit  sie  ihn  nicht  mehr  liebte,  in  den  verschiedensten  Gestalten,  nur  hatte  er 
immer  schwarze  Haare  (wie  in  der  Wirklichkeit).  Sie  spricht  von  ihm  meist 
als  „die  Schwarzen",  sie  hat  sich  von  den  Schwarzen  scheiden  lassen. 

Bei  Männern  vertritt  etwa  eine  Heilige  die  Geliebte.  Doch  genieren  sich 
schizophrene  Männer  gar  nicht,  auch  mit  Gott  oder  Christus  verheiratet  zu  sein; 
so  unser  oben  angeführter  Patient,  dessen  erste  erotische  Gefühle  an  die  Schwester 
geknüpft  waren:  Christus  erscheint  ihm  als  ein  sehr  schönes  Mädchen,  das  Züge 
von  der  Schwester  trägt. 

Häufiger  jedoch  sind  Männer  auch  in  der  Religion  aktiv;  sie  werden  Pro- 
pheten oder  Christus  oder  auch  Gott,  als  welchen  ihnen  dann  die  Vergnügungen 
der  verschiedenen  Paradiese  selbstverständlich  zur  Verfügung  stehen.  Sie  können 
in  ihrer  göttlichen  Eigenschaft  auch  nach  bekannten  Mustern  irgend  ein  irdisches 
Weib  lieben. 

Nicht  selten  spielt  der  Teufel  die  Rolle,  die  in  den  bisherigen  Beispielen 
den  guten  Personen  zugeschrieben  ist.  Eine  Frau,  die  sexuell  abstinent  lebt, 
wird  seitdem  „versucht"  vom  Geiste  Gottes,  wobei  sie  alle  Freuden  genießt' 
sie  sieht  und  hört  den  Teufel,  den  sie,  ohne  sich  darüber  klar  zu  sein,  mit  dem 
versuchenden  Geiste  Gottes  identifiziert.  Häufiger  ist  es  der  Teufel  ganz  ohne 
Beimischung.  Einer  Magd  erschien  der  Teufel  mit  dem  Gesichte  ihres  Dienst- 
herrn,  der  mit  seinem  Zauberstab  allerlei  Dinge  machte,  die  sie  in  den  Genitalien 


342 


Schizoiihrenie. 


spürte.  Der  Teufel  hat  auch  oft  bestimmte  Züge  vcm  Geliebten  oder  doch  von 
einem  andern,  die  Patientin  sexuell  erregenden  Manne. 

Neben  solch  einfachen  und  relativ  leicht  verständlichen  Vorstellungen 
gibt  es  noch  eine  Menge  unklarer,  die  bis  zur  Unkenntlichkeit  verzerrt  und  mit 
verschiedenen  Elementen  verquickt  sind.  Eine  Patientin  bekommt  jede  Nacht 
ein  schönes  Kind  von  Pfarrer  N.,  „sie  ist  eben  das  Mittel  zum  Eeligionskrieg" 
Wenn  man  weiß,,  daß  der  Kampf  oft  das  Symbol  des  Koitus  ist,  so  kann  das  ver- 
ständlich werden.  —  Eine  kinderlose  Frau,  die  ihren  Mann  haßte,  besonders 
wahrend  des  Aussetzens  der  Periode,  jammerte  zu  dieser  Zeit,  daß  im  Religions- 
krieg so  viele  Kinder  umgebracht  würden.  —  Die  schizophrene  Vermengung 
von  verschiedenen  Begriffen,  die  nur  äußerlich  zusammenhängen,  zeigt  sich  in 
dem  Ausspruch  einer  Kranken,  die  mit  dem  Ausdruck  erotischer  Erregung 
sagte:  „Die  Wärterinnen  sind  auch  Jesusblut,  die  sündigen  auch."  Jesus  und 
Sünde  gehören  allerdings  zusammen,  aber  nicht  in  dieser  Weise. 

Aus  religiösen  Assoziationen  stammt  wohl  auch  die  nicht  seltene  assoziative 
Verbindung  von  Fleisch  und  Genitalien.  Ein  sehr  intelligenter  Katatoniker 
mit  Versündigungswahn  sagte  direkt,  er  esse  kein  Fleisch,  weil  es  an  Fleisch- 
liches erinnere.  Eine  Hebephrene  assoziierte  im  Experiment  an  „lieben"   

,,d.  h.  ein  Fleischopfer", 

Die  Verbindung  von  Sünde  und  Sexualität  ist  wie  im  Leben  auch  in  der 
Schizophrenie  eine  der  häufigsten.  Bei  Selbstbeschuldigungen  spielen  die  sexuellen 
Sünden  eine  große  Rolle,  und  zwar  auch  da,  wo  zunächst  andere  Dinge  angegeben 
werden,  die  man  eher  sagen  und  denken  kann. 

Hierher  gehört  auch  das  Reinlichkeitsbedürfnis  und  das  Gefühl, 
unrein  zu  sein.  Man  hat  früher  schon  bemerkt,  daß  solche  Zwangsideen  gerne 
bei  Onanisten  vorkommen.  Frend  hat  gezeigt,  daß  es  sich  um  eine  Übertragung 
vom  Gefühl  moralischer  Unreinheit  auf  das  der  physischen  Beschmutzung 
handelt.  Die  Beobachtungen  in  der  Schizophrenie  geben  ihm  recht.  Ein  Patient 
sagte  gerade  heraus:  ,,Ich  kann  ihnen  die  Hand  nicht  geben,  weil  ich  onaniert 
habe".  Eine  Patientin,  die  unter  anderm  sich  auch  damit  gereizt  hatte,  daß  sie 
Katzen  an  die  Genitalien  gebracht,  litt  schwer  an  Zwangsideen  der  Reinlichkeit. 
Namentlich  wenn  sie  eine  Katze  sah,  mußte  sie  die  Hände  waschen,  ,,um  nichts 
Schädliches,  Giftiges  in  sich  zu  bringen"^).  In  analogem  Zusammenhang  wollte 
eine  Dame  beständig  die  Fenster  geöffnet  haben  wegen  unreiner  Luft.  Bei  einer 
sehr  feinfühligen  gebildeten  Dame  konnte  man  den  Zusammenhang  experimentell 
beweisen.  Sie  wollte  oft  in  ganz  negativistischer  Weise  die  Hand  nicht  geben, 
obschon  sie  in  der  Unterhaltung  sehr  liebenswürdig  war.  Sie  konnte  entweder 
keinen  Grund  angeben  oder  dann  den,  daß  sie  viel  an  die  Hände  schwitze,  was  nur 
in  ganz  geringem  Maße  der  Fall  war.  Es  stellte  sich  nun  heraus,  daß  die  Furcht,  die 
Hand  zu  geben,  immer  dann  auftrat,  wenn  im  Gespräch  etwas  vorgekommen 
war,  das  ihren  Onaniekomplex  wachgerufen  hatte.  —  Ein  Katatoniker  war  in  ganz 
unsinniger  Weise  aus  dem  Fenster  seiner  Dachstube  gestiegen  und  hatte  das  Bett 

^)  Obschon  ich  bei  Kranken  noch  nie  einen  andern  als  sexuellen  Waschtiieb  gefunden 
habe,  muß  man  mit  der  Auslegung  des  Symptoms  doch  vorsichtig  sein;  bei  zwei  Kindern 
habe  ich  im  ersten  und  zweiten  Jalire  die  heftige  Ablehnung  irgend  einer  Zumutung  beständig 
von  ähnlichen  Gesten  begleitet  gesehen,  in  einem  Falle  meist  ein  Händeringen  genau  wie 
wenn  der  Erwachsene  die  Hände  wäscht,  im  andern  ein  AbAvischen  der  Hände  an  den  Kleidern. 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuscbungen. 


343 


auseinander  genommen  und  wieder  zusammengesetzt.  Er  gab  an,  er  habe  nur 
aus  dem  Fenster  sehen  wollen  (er  war  aber  hinausgegangen) ;  warum  er  das  Bett  aus- 
einander genommen  habe,  wisse ernicht,  er  sei  ein  Sünder.  Dieser  Zusammen- 
hang von  Bettauseinandernehmen  und  Sünde  ließ  uns  vermuten,  daß  es  sich 
auch  um  einen  onanistischen  Reinlichkeitskomplex  handelte,  was  sich  denn 
in  anderen  iVssoziationen  und  aus  den  direkten  Angaben  des  Kranken  sicher 
nachweisen  ließ. 

ISicht  die  Sünde,  aber  das  Sichschämen  über  die  Onanie  und  das  Gefühl, 
man  sehe  einem  das  Laster  an,  drückt  sich  zuweilen  darin  aus,  daß  der  Patient 
das  Gesicht  nicht  zeigen  will,  eine  häufige  katatonische  Eigentümlichkeit,  die 
allerdings  noch  andere  Gründe  haben  kann.  Bei  einem  Mädchen  war  das  im 
Beginn  der  manifesten  Krankheit  lange  Zeit  das  einzige  hervortretende  Symptom; 
sie  konnte  nicht  anders  mit  jemandem  reden,  als  indem  sie  das  Gesicht  abwandte 
oder  bedeckte;  sie  gab  den  Grund  selbst  an,  konnte  aber  noch  lange  nachher, 
nachdem  sie  in  Eemission  eingetreten  war  und  gut  arbeitete,  von  der  „Zwangs- 
idee" nicht  lassen.  Eine  andere  steckte  auf  die  Frage,  warum  sie  das  Gesicht 
bedecke,  sowie  bei  sexu  eile  nAnspielungen  den  linken  Zeigefinger  ins  Ohr^). 

Selbstbeschuldigungen  können  auch  Ausdruck  des  Wunsches  nach  Koitus 
sein,  so  wenn  sich  der  Patient  unschuldig  eines  sexuellen  Attentats  anklagt. 
Andere  Vergehen  als  die  Onanie  habe  ich  nur  zweimal  als  wesentlichen  Inhalt 
von  Versündigungsideen  gesehen.  Ein  Hebephrene  war  untröstlich  darüber, 
in  seiner  Jugend  Äpfel  von  einem  bestimmten  Baum  gestohlen  zu  haben;  der 
Baum  wurde  dann  mit  allen  möglichen  späteren  Wahnideen  in  Beziehung  ge- 
bracht. —  Ein  junger  Katatoniker  hat  in  Wirldichkeit  Sardinen  und  Bonbons 
gestohlen;  im  Delir  waren  es  Diamanten,  wegen  deren  Wert  er  nun  für  ewig  in 
die  Hölle  kommt.  Bei  diesen  beiden  Patienten  haben  wir  überdies  Grund  zu  der 
Vermutung,  daß  hinter  diesen  Selbstbeschuldigungen  doch  noch  der  Onanie- 
komplex stecke. 

Eine  andere  Art  der  Abweisung  sexueller  Gedanken  ist  das  (nervös  be- 
dingte) Erbrechen,  das,  wie  Freud  gefunden  hat,  Ekel,  meist  sexuellen 
Ekel,  bedeutet^).  Eine  Patientin  war  ihrem  Manne,  der  ihr  unangenehm 
war,  entflohen.  Als  er  plötzlich  kam,  um  sie  zu  holen,  bekam  sie  Erbrechen, 
das  drei  Wochen  lang  dauerte.  Eine  andere  Kranke  sprach  eine  Zeitlang  von 
Schmerzen  in  den  Genitalien,  verbunden  mit  der  Idee  des  Eockaufhebens  und  von 
etwas  Ekelhaftem.  Einmal  hörte  sie  Stimmen,  die  vom  Rockaufheben  sprachen 
und  mußte  sofort  mitten  im  Wohlsein  erbrechen.  Nach  Attentaten  haben  wir 
anhaltendes  oder  anfallsweises  Erbrechen  mehrfach  erlebt.  Eine  Patientin 
wurde  im  14.  Jahre  mißbraucht.  Seitdem  hatte  sie  Angstträume  von  Lanzen 
und  Stieren.  Mit  19  Jahren  verliebte  sie  sich;  das  Paar  mußte  sich  trennen; 
darauf  em  Jahr  lang  katatonische  Depression  mit  HaUuzinationen  gleichen 
Inhalts  und  sexueller  Aufregung.  Seitdem  häufig  solche  Träume  und  Hallu- 

,  !}  Warum  sich  der  Onaniekoraplex  bei  Nervösen  und  bei  Schizophrenen  so  häufic 
und  mit  so  elementarer  Gewalt  vordrängt,  ist  noch  nicht  sicher  zu  sagen.  Es  gibt  doch  andere 
Sunden  die  vie  schhmmer  sind.  Vielleicht  ist  die  „Sünde"  hier  gar  nicht  im  religiösen  Sinn 
zu  verstehen;  die  „Gewissemangst"  wäre  vielmehr  der  primäre  Ausdruck  der  perversen 
Betätigung  des  mächtigsten  Naturtriebes.  perversen 
")  Vgl.  auch  H.  Müller  (499  a). 


344 


Scliizophrouie. 


zinationen,  wenn  ihr  etwas  Widerwärtiges  begegnet,  dabei  Ekel,  Aufstoßen  und 
Erbrechen  und  ein  Gefühl  des  Eingeschnürtwerdens  an  der  Stelle,  wo  der  Atten- 
täter sie  faßte  (Jung). 

Freud  hat  auch  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  ein  unbewußtes  sexuelles 
Verhältnis  zwischen  Vater  und  Tochter  und  zwischen  Mutter  und  Sohn  bestehe, 
das  namentlich  in  den  Kindern  zum  Vorschein  komme.  Diesen  „Ödipus- 
komplex" haben  wir  immer  häafiger  gefunden,  nachdem  wir  einmal  darauf 
aufmerksam  gemacht  worden  sind.  Er  ist  auch  ein  wichtiges  Agens  bei  der  Aus- 
wahl der  Geliebten  bei  Gesunden  und  Kranken.  Ein  Patient  meinte,  die  Mutter 
habe  den  Vater  vergiftet.  Einmal  erwachte  er  in  der  Nacht,  glaubte,  die  Mutter 
sei  zu  ihm  ins  Zimmer  gedrungen,  er  war  aufgedeckt,  hatte  eine  Erektion,  also 
habe  die  Mutter  mit  ihm  Schweinereien  getrieben. 

Auch  Eltern  können  den  Ödipuskomplex  haben.  Eine  Katatonische  stieß 
den  besuchenden  Sohn  weg ;  sie  fühle  ein  Brennen  auf  dem  Herzen  gleich  unter 
der  Haut,  und  die  Nerven  darüber,  wie  wenn  man  diese  nur  mit  den  Fingern  fassen 
könnte.  Ahnliche  Gefühle  hatte  sie  einmal  mit  deutlicher  erotischer  Färbimg 
dem  Aj'zte  gegenüber,  als  er  sich  zum  Zwecke  der  Untersuchung  über  sie  beugen 
mußte.  Auf  die  Tochter  war  sie  (in  den  Wahnideen,  nicht  in  dem  erhaltenen  Teil 
der  Persönlichkeit)  eifersüchtig,  weil  diese  sich  verlobt  hatte.  Sehr  wahrscheinlich 
hatte  die  Verlobung  den  Anlaß  zum  Ausbruch  der  Krankheit  gegeben.  Sie  meinte, 
die  Tochter  sei  vom  Manne  aus  dem  Hause  gejagt,  gravid,  eine  Hure,  ins  Wasser 
gegangen. 

Manchmal  wird  der  Ödipuskomplex  via  Identifikation  des  Kindes  mit  dem 
Geliebten  erst  sekundär  erzeugt.  Zwei  Frauen  waren  deshalb  eifersüchtig  auf 
den  Gatten,  der  das  Kind  zu  Hause  hielt,  eine  dritte  auf  Gott,  der  das  Kind 
zu  sich  genommen;  die  drei  Gatten  und  Gott  selbst  wurden  beschuldigt,  daß 
sie  mit  den  Kindern  widernatürliche  Unzucht  treiben.  (Transitivistische  Über- 
tragung der  eigenen  sexuellen  Liebe.) 

Schon  bisher  mußten  wir  oft  von  Sexualität  auch  da  sprechen,  wo  der 
Uneingeweihte  den  Zusammenhang  nicht  gleich  sehen  konnte.  So  werden  denn 
sexuelle  Empfindungen  und  Ideen  sehr  häufig  versteckt.  Manchmal  geschieht 
dies  durch  Verlegung  des  Genitalbegriffes,  meist  nach  oben.  Zunächst  hat 
die  Umgebung  der  Geschlechtsteile,  der  Damm  und  namentlich  der  Anus,  häufig 
sexuelle  Bedeutung.  Psychogener  Pruritus,  der  in  der  Vulva  entspringt,  geht  leicht 
auch  auf  den  Anus  über,  auch  wenn  er  ursprünglich  bloß  sexuelles  Symptom 
war.  Eine  Patientin,  die  zuerst  den  Finger  beständig  in  der  Vagina  hatte,  steckte 
ihn  später  trotz  allen  Gegenmaßregeln  immer  in  den  Anus.  Die  Defäkation 
wird  zuweilen  zum  Symbol  der  Geburt^).  Eine  Katatonika  berührt  mit  der  Hand 
beständig  die  Genitalgegend,  dann  greift  sie  unter  die  Arme,  dann  in  oder  an  den 
Mund,  dann  steckt  sie  die  Fingerspitze  in  ein  Ohr. 

Bei  zwei  Patientinnen  konnten  wir  verfolgen,  vne  die  ursprunghchen 
Wetzbewegungen  des  Beckens  nach  oben  verlegt  wurden,  indem  sie  bei  der 
einen  ziemlich  direkt  sich  in  Kopfbewegungen  verwandelten,  bei  der  andexn 
zuerst  in  Bewegungen  des  Bauches,  dann  in  solche  der  Brust  mid  erst  ziüetzt 
des  Kopfes. 

1)  Kaiser  (352):  „Heute  nacht  hat  sie  mit  Kot  geschmiert  und  am  Morgen  

berichtet:  heute  nacht  habe  ich  entbunden." 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschungen. 


345 


Das  häufigste  Symbol  für  die  Vagina  ist  der  Mund,  bald  allein,  bald 
in  Verbindung  mit  anderen  Verlegungen^).  Aus  ihm  werden  häufig  die  Wahn- 
kinder geboren.  Eine  Kranke,  der  der  Arzt  Milch  einflößen  wollte,  sagte  zu 
ihm:  „Ja,  Sie  können  mich  doch  nicht  heiraten."  Eine  Patientin  sieht  einen 
Engel,  der  bei  ihr  den  Mann  vertritt,  der  toten  Base  „den  roten  Lebensstengel 
in  den  Mund  stecken".  (Durch  andere  Äußerungen  der  Kranken  ließ  sich  sicher 
feststellen,  daß  das  ein  sexueller  Akt  sein  sollte.)  Eine  andere  Kranke  bezeichnet 
als  „Körbe"  sexuelle  Gefühle,  bei  denen  sie  auch  Bauchweh  spürt,  und  etwas 
Weißes  an  die  Finger  kommt,  das  sie  wie  Sperma  beschreibt.  Sie  muß  dabei  auch 
den  Finger  in  den  Mund  stecken.  Sie  hat  nun  „viele  Körbe,  Doppelkörbe,  oben 
hinaus,  unten  hinaus";  die  obere  und  die  untere  Öffnung  wird  identifiziert.  — 
Ein  katatonischer  Onanist  rieb  sich  den  Finger  im  Mund  hin  und  her,  dann  im 
Anus.  —  Eine  ganz  leicht  Hebephrene,  im  Alter  von  über  50  Jahren,  die  sich 
noch  recht  gut  in  Gesellschaft  bewegen  konnte,  ließ  sich  vom  Arzt  nicht  in  den 
Mund  sehen  und  machte  dazu  die  Mimik  des  sexuellen  Genierens,  genau  wie  sie 
sie  machte,  wenn  er  sie  untersuchen  mußte  wegen  ihrer  Zystitis,  eine  Unter- 
suchung, die  sie  mehr  zu  provozieren  suchte  als  nötig. 

Auch  das  Auge  gilt  als  Symbol  des  weiblichen  Genitale,  während  die 
Nase  das  des  männlichen  ujid  des  weiblichen  sein  kann,  sogar  beim  gleichen 
Kranken.  Frauen,  die  durch  die  Nase  gefüttert  werden,  beklagen  sich  manchmal 
d.abei,  wie  wenn  man  sie  sexuell  mißbrauchte;  ein  Patient,  der,  wenn  jemand 
die  Nase  berührte,  meinte,  das  heiße,  er  (der  Patient)  onaniere,  steckte  sich 
Zigaretten  in  die  Nase,  was  für  ihn  eine  bewußte  Symbolhandlung  war,  die  den 
Koitus  darstellen  sollte  2). 

Fütterung  und  Injektionen  werden  von  Männern  und  Frauen  oft  als  sexuelle 
Attentate  aufgefaßt;  manchmal  allerdings  mit  leichten  Umdeutungen:  eine 
Katatonische  erzählte  mit  unzweideutig  sexueller  Mimik:  „Der  Arzt  hat  mir 
emen  Schlauch  eingeführt  in  eine  Röhre,  die  zum  Herzen  führt."  —  Eine  Pa- 
tientm  träumte  nach  der  Injektion,  der  Äizt  habe  ihr  einen  Bleistift  in  den 
rechten  Arm  (wirkliche  InjektionssteUe)  gestoßen.  Der  Bleistift  kam  sofort  zum 
Unterleib  heraus;  sie  weiß  nicht  recht,  ob  er  ihr  nicht  auch  dort  hineingestoßen 
mirde.  —  Entsprechend  dieser  Vorstellungen  wird  die  injizierte  Flüssigkeit  zu- 
weilen „Schlangengift"  genannt. 

Die  Verlegung  genitaler  Empfindung  geschieht  oft  nach  anderen  Stelleu 
des  Unterleibes.  Wenn  Gesunde  statt  der  Genitalien  vom  Leibe  oder  Unter- 
leibe reden,  so  ist  für  sie  der  Ausdruck  nur  ein  Bild,  sie  denken  doch  nur  an 
das,  was  wirkhch  gemeint  ist.  Die  Schizophrenen  übertragen  aber  so  zu  sagen 
das  Bild  m  die  Wirklichkeit;  sie  spüren  ihre  Halluzinationen  wirHich  an  der 
mit  dem  Wort  bezeichneten  Stelle,  und  dabei  geht  die  Verlegung  viel  weiter 
als  die  Konvenienzausdrücke.  Schlangen  und  Mäuse  steigen  „vom  Leib  aus" 
bis  m  den  Kopf;  als  Ausgangspunkt  wird  dabei  häufig  die  Magengegend  gezeigt; 

^)  Vgl.  auch  Jungs  B.  S. 
«      1.  '^''''^  untersuchter  nicht  geisteskranker  Herr  assoziierte  im  Experiment 


346 


Schizophrenie, 


erst  wenn  man  länger  zuhört  oder  auch  mehr  fragt,  wird  das  Genitale  auch 
genannt,  dann  aber  meist  mit  deutlich  stärkerer  Gefühlsbetonung.  Immerhin 
kommt  eine  restlose  Verlegung  nach  oben  gar  nicht  selten  vor,  so  daß  die  Hallu- 
zination ganz  vom  Genitale  losgetrennt  ist,  von  dem  sie  ursprünglich  ausging 
Eine  bemerkenswerte  Kombination  hatte  eine  Patientin,  die  „im  Gehörorgan 
in  der  geistigen  Tätigkeit  Empfindungen  von  Liebe  spürte" ;  Gehörhalluzinationen 
schienen  nicht  gemeint  zu  sein.  —  Ein  Paranoider  beklagte  sich,  daß  er  mit 
Champooing  behandelt  werde  (imaginär),  d.  h.  Kopffriktion,  das  bedeute  Onanie 
Em  anderer  sprach  von  den  Teilen,  mit  denen  man  sündigt,  und  zeigte  die  Seite. 

Viele  halluzinatorischeZustände  haben  einen  sexuellen  Hintergrund. 
Einer  unserer  Kranken  berichtet,  daß  er  jcAveilei),  bevor  es  in  der  Nacht  mit  den 
Halluzinationen  losgehe  (meist  Gesichtstäuschungen),  „ein  süßes  Gefühl  durch 
den  ganzen  Körper  spüre".  Mit  Angst  verbundene  Visionen,  die  immer  größer 
werden,  sind  wohl  immer  sexuell.  Den  gleichen  Ursprung  haben  gewiß  die  meisten 
Halluzinationen  der  Körperempfindung. 

Vom  Brennen  haben  wir  das  nämliche  schon  beschrieben.  Von  all  den 
sexuellen  Scheußlichkeiten,  über  die  sich  männliche  und  weibliche  Patienten 
beklagen,  brauchen  wir  nicht  zu  reden;  wenn  „die  Natur  abgezogen"  wird,  wenn 
eine  Frau  geschändet  wird  usw.,  so  ist  das  selbstverständlich  sexuell.  Hierher 
gehören  aber  auch  noch  die  so  gewöhnlichen  elektrischen  Empfin dünge n^), 
und  zwar  wohl  in  zweierlei  Sinn.  Die  einen  sind  verbunden  m^t  einem  „süßen 
Gefühl"  und  sind  wohl  das  Gleiche,  was  die  Dichter  als  elektrischen  Schlag  be- 
zeichnen, wenn  man  einmal  unversehens  die  bis  jetzt  nur  von  weitem  Geliebte 
berührt.  Ein  sexuell  erregter  Hebephrene  halluziniert  einen  Offizier,  der  ihm 
am  Penis  saugt  und  ihn  elektrisiert.  Dann  aber  scheinen  mehr  kribbelnde  Emp- 
findungen mit  dem  gleichen  Ausdruck  bezeichnet  zu  werden,  die  im  Normalen 
vielleicht  kein  Analogen  haben.  Wenigstens  habe  ich  schon  sehr  häufig  in  sexu- 
ellem Zusammenhang  über  solche  Dinge  klagen  hören;  recht  oft  scheinen  sie 
vom  Hinterkopf  auszugehen.  Auch  noch  viel  gröbere  sexuelle  Empfindungen 
müssen  vorkommen;  so  ist  ein  Patient  „mit  einem  "Weib  elektrisch  verbunden; 
das  ist  eine  Qual  ärger  als  am  Kreuz".  Hierher  gehören  dann  viele  Gefühle  von 
Spannung  in  den  Muskeln,  von  Steifwerden,  die  der  Normale  eher  verstehen 
kann.  Sie  können  übergehen  in  Störungen  der  Motilität.  Manche  Krämpfe 
scheinen  daher  zu  stammen.  Die  Ähnlichkeit  des  epileptischen  Anfalles  mit  dem 
Orgasmus  ist  schon  im  Altertum  aufgefallen.  Ich  erwähne  sie  hier,  ohne  sicheres 
daraus  schließen  zu  können.  Eine  unserer  Kranken  hat  in  der  Nacht  öfters  or- 
gastische Anfälle,  mit  Stöhnen,  Lähmungsgefühlen,  Wasserlösen,  Erbrechen. 
Eine  andere  hatte  im  Bett  „wollüstige  Gefühle,  so  daß  sie  sich  krampfhaft  am 
Bett  festhalten  mußte",  dabei  wurde  sie  kalt  und  steif.  Die  wollüstigen  Gefühle 
steigen  ihr  auch  in  den  Kopf,  dann  kann  sie  nicht  mehr  denken,  es  ist,  wie  wenn 
sie  einen  Eiegel  im  Denkorgan  hätte  (allgemeine  Sperrungen).  Ein  sexuelles 
Krampfsymptom  ist  auch  der  hysteriforme  Kreisbogen.  In  einem  Falle  doku- 
mentierte sich  das  allerdings  nur  darin,  daß  die  Patientin  jedesmal  mit  dem 

1)  In  neuerer  Zeit  treten  oft  Röntgenstrahlen  an  die  Stelle  der  Elektrizität.  So  wurde 
eine  Patientin  mißhandelt  mit  Röntgenstrahlen,  die  sie  in  der  Größe,  im  Aussehen  überhaupt 
genau  als  Penis  beschrieb. 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschungen. 


347 


Unterleib  in  die  Höhe  ging,  wenn  männliche  Personen  sich  ihr  näherten;  in 
einem  andern  kam  der  Krampf  nach  Aussage  der  Patientin  immer  bei  gewissen 
Gedanken  an  den  Geliebten,  der  sie  an  den  Labien  in  die  Höhe  zu  ziehen  schien. 

Von  rhythmischen  Bewegungen  haben  wir  oben  schon  gesehen, 
daß  sie  sexuelle  Bedeutung  haben  können  (Kopfbewegungen).  (Vgl.  auch  die 
Schaukelpferde  im  Bett  der  Kranken.)  Bei  zwei  Frauen  haben  wir  anschließend 
an  den  Tod  des  Mannes  rhythmische  Beckenbewegungen  gesehen,  die  sich  auch 
den  Beinen  mitteilten;  eine  sichere  Schizophrenie  war  aber  nur  der  eine  der 
beiden  Fälle. 

Manchmal  werden  onanistische  Bewegungen  zu  Stereotypien;  wir 
haben  die  Katatonika  schon  erwähnt,  die  schließlich  jahrelang  den  Finger  im 
Anus  hatte.  Einer  unserer  Patienten  machte  die  Onaniebewegimgen  immer  höher, 
so  daß  er  schließlich  dem  Munde  nahe  kam.  Er  behauptete,  er  habe  hundert 
Geschlechtsteile,  werde  deshalb  nie  fertig;  als  er  in  der  Nähe  des  Mundes  war, 
kam  die  Idee  dazu,  er  müsse  den  leeren  Kopf  nachfüllen,  so  daß  die  Bewegungen 
jetzt  zwei  Bedeutungen  haben,  nach  unten  die  des  Onanierens,  nach  dem  Munde 
zu  die  des  Nachfüllens  respektive  Essens. 

Wie  man  schon  lange  wußte,  sind  auch  Gewohnheiten,  wie  die  des 
Schmierens  mit  Kot  und  Urin,  sexuelle  Symbole.  Uriniert  wird  von  den 
kranken  Frauen  manchmal  im  Orgasmus,  es  scheint  der  Akt  bei  ihnen  überhaupt 
leicht  mit  der  Sexualität  verbunden  zu  werden.  Die  Defäkation  kann  auch  bei 
Schizophrenen  mit  "Wollust  verbunden  sein  (Schieber). 

Andere  Anomalien  des  Geschlechtstriebes  können  durch  Verschiebungen 
entstehen.  Es  hat  nicht  jeder  homosexuelle  Neigungen,  der  in  der  Katatonie 
die  Mitpatienten  zu  koitieren  sucht  (Na ecke).  Die  Kranken  können  sich  eben 
über  das  Geschlecht  hinwegsetzen  oder  besser  sich  das  notwendige  Geschlecht 
hinzuillusionieren.  —  Ein  Herr  ist  fortgelaufen,  um  seine  (eingebildete)  Frau 
zu  suchen.  Er  sieht  dann  den  Arzt,  den  er  als  solchen  erkannt  hat,  lange  an,  und 
bricht  aus:  „Sie  sind  ja  meine  Geliebte."  Nachher  frägt  er  einen  andern  Arzt, 
ob  er  seine  Braut  sei,  öffnet  die  Hose.  Am  folgenden  Tag  sagte  er  zu  diesem: 
„Ich  weiß  nicht,  ob  Sie  ein  Eepräsentant  von  einem  Fräulein  sind;  gestern  war 
eine  da,  die  Ihnen  glich."  Auf  den  Bart  aufmerksam  gemacht,  sieht  er  den  Arzt 
lange  an,  dann:  „Im  Theater  kommt  es  auch  vor,  daß  Frauen  Männerrollen 
spielen."  Einige  Zeit  nachher  faßt  er  verklärt  die  Hände  des  Arztes:  „Sind  Sie 
nicht  das  Fräulein,  das  Privatstunden  bei  mir  hatte?"  Später  machte  er  x\tten- 
tate  auf  Patienten  im  gleichen  Sinne.  —  Ein  anderer  Katatoniker  übertrug  seine 
Liebe  auf  Männer,  nachdem  er  von  einem  Mädchen  sexuell  gereizt,  aber  nicht 
zugelassen  werden  war.  Er  kannte  indessen  noch  das  Geschlecht  der  begehrten 
Mitarbeiter  und  Mitpatienten. 

Die  Symbolik  der  Liebe  zeigt  sich  auch  in  den  Zeich nun<?en  vieler 
Kranken.  Sie  schlingen  Buchstaben  oder  Ringe  ineinander.  Deutliche  und  un- 
deutliche Genitalien  sind  nicht  selten.  Wer  etwas  besser  zeichnen  kann,  geht 
weiter.  Eine  junge  Dame  zeichnete  eine  Menge  Pagen  mit  Lanzen,  und  damit 
Uber  die  Bedeutung  der  letzteren  kein  Zweifel  walten  könne,  kamen  sie  in  zwei 
Figuren  aus  der  Hose,  in  der  Stellung  eines  erigierten  Gliedes.  Die  in  den  Pfarrer 
verliebte  Zeichnerin  identifizierte  schließlich  ihren  Geliebten  auch  mit  dem 
heiligen  Geist,  was  Anlaß  zu  einer  schönen  Apotheose  gab :  sie  als  Maria  der  heilige 


348 


Schizophrenie. 


Geist  als  strahlende  Sonne  da,  wo  ihr  Genitale  sein  sollte,  links  und  rechts  daneben 
zwei  stilisierte  betende  Engel.  Die  Zeichnung  wurde  vielfach  wiederholt  und 
schließlich  zur  Unkenntlichkeit  abgekürzt. 

Folgendes  Beispiel,  das  immerhin  sehr  gekürzt  ist,  mag  zeigen,  wie  sich  sexuelle 
Empfindimgen  und  Ideen  in  concreto  zu  emcm  Ganzen  gestalten: 

Eine  Magd  fühlte  sich  verzaubert  von  ihrem  Dienstherrn,  der  einen  Zauberstab 
dazu  „aufstellte"  (sie  macht  mit  dem  Fmger  die  Stellung  des  erigierten  Penis)-  der 
Zauberstab  „oder  eine  Schlange"  wird  ihr  auch  durch  den  Mund  gezogen.  Sie  beko'mmt 
Anfälle  von  Kreisbogen  mit  Koitusbewegungen  und  Orgasmus,  und  zwar  ganz  ohne 
ihr  Hinzutun.  Das  erste  Mal  während  einer  Theatervorstellung,  bei  der  sie  Zuschauer 
war.  Em  mitspielender  junger  Lehrer  saß  mit  gespreizten  Beinen  da;  Patientin  hatte 
das  Gefühl,  er  schaue  sie  besonders  an  (sie  hatte  früher  ein  Verhältnis  mit  emem 
Lehrer) ;  als  er  mit  dem  Ellbogen  an  die  StuhUehne  stieß,  spürte  sie  den  Stoß  im  ganzen 
Leibe,  sie  hörte,  wie  er  ihr  sagte,  „sie  solle  es  ihm  machen",  die  Beine  wm-den  ihr 
auseinander  gezogen,  dann  die  Labien,  sie  wurde  an  den  Labien  in  die  Höhe  gezogen; 
daim  vollständiges  Koitusgefühl.  Solche  Anfälle  erfolgten  von  nun  an  häufig  bei 
sexueller  Erregung;  in  der  Anstalt  sogar,  als  eine  Plochbürste  neben  ihr  Bett  gestellt 
worden  war  (der  Stiel!).  Die  sonderbaren  Gefühle  mit  Spreizen  und  Ziehen  an  den 
Labien  erklären  sich  dadurch,  daß  em  ungetreuer  Liebhaber  der  Patientm  vor  Jahren 
sie  und  sich  durch  ähnHche  Manipulationen  mit  den  Füigern  befriedigt  hatte.  —  Sie 
wußte,  daß  die  Anfälle  kein  wirkücher  Koitus  waren,  nichtsdestoweniger  war  sie 
sich  einmal,  als  sie  auf  dem  Klosett  stark  pressen  mußte,  nicht  klar,  ob  sie  nicht  ge- 
boren habe,  mid  getraute  sich  nicht,  das  Klosett  zu  spülen,  wofür  sie  getadelt  wurde. 


Nicht  alle  Icrankhaften  Äußerungen  der  Schizophrenen  lassen  sich  direkt 
in  die  Kategorie  der  Wünsche  und  Befürchtungen  einreihen.  Wenn  eine  Patientin 
erklärt,  sie  sei  die  Schweiz,  oder  eine  andere  einen  Strauß  ins  Bett  nehmen  will, 
sie  werde  dann  nicht  mehr  erwachen,  so  scheint  das  zunächst  ganz  imverständlich. 
Wir  bekommen  aber  den  Schlüssel  zur  Erklärung  durch  die  Erkenntnis,  daß 
die  Kranken  leicht  Ähnlichkeiten  wie  Identitäten  benutzen  und  unendlich 
viel  mehr  als  die  Gesunden  in  Symbolen  denken,  und  zwar  ohne  jede  Rücksicht 
darauf,  ob  ein  Symbol  im  gegebenen  Falle  passend  sei  oder  nicht i). 

Es  können  die  unwesentlichsten  Teile  einer  Idee  dazu  verwendet  werden, 
dieselbe  zu  repräsentieren.  In  dem  ganzen  Gedicht  und  der  Geschichte  der 
Kraniche  des  Ibylcus  spielt  das  „frei"  (von  Schuld  und  Fehle)  eine  sehr  geringe 
Rolle.  Das  gibt  nichtsdestoweniger  der  B.  S.  Anlaß,  sich  mit  den  Kranichen 
des  Ibykus  zu  identifizieren,  weil  sie,  wenn  auch  nicht  frei  ist,  doch  frei  sein  sollte. 

Das  letztere  Beispiel  zeigt  noch  in  einer  andern  Richtung,  wie  sorglos 
die  Kranken  mit  den  Ideenverbindungen  umgehen.  Die  Patientin  ist  zwar  nicht 
frei,  sie  sollte  nur  frei  sein;  das  hindert  nicht,  daß  sie  mit  den  Kranichen  des 
Ibykus  identifiziert  wird,  von  deren  Idee  „frei"  ein  Teil  ist.  Auch  von  dem  Plural 
wird  ganz  abgesehen;  sie  ist  die  Kraniche,  obschon  die  Patientin  sich  selbst  durch- 
aus nicht  im  Plural  denkt  (vgl.  oben  die  Patientin,  deren  Mann  „die  Schwarzen" 
genannt  wird).  Noch  mehr,  sie  ist  die  Kraniche.  Diese  unangebrachte  Kopida 
ist  überhaupt  bei  den  verschiedensten  Kranken  etwas  sehr  gewöhnliches.  Manchmal 


1)  Vgl.  Klip.stein. 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschungen. 


349 


fillerdings  „bedeutet"  irgend  ein  Symbol  für  sie  etwas  anderes.  Es  ist  aber  oft 
die  logische  respektive  grammatische  Form,  in  der  die  in  pathologischer  Weise 
aneinander  assoziierten  Begiiffe  verbunden  werden,  ganz  gleichgültig.  Da  liegt 
es  sehr  nahe,  die  Kopula  zu  verwenden;  denn  was  man  in  solchen  Fällen  aus- 
zusagen hat,  ist  doch  im  wesentlichen  eine  Eigenschaft  des  Subjekts ;  der  Kranke 
will  frei  sei7i ;  er  ist  groß  usw.  So  drückte  sich  die  früher  genannte  Braut  Jehovas 
aus,  sie  sei  „die  Jehova",  bemerkte  aber  noch  den  Widerspruch  mit  der  gewöhn- 
lichen Sprechweise  und  korrigierte  sich.  Fräulein  B.  S.,  die  die  Kraniche  des 
Ibylais  ist,  hat  dieselben  beim  Eintritt  in  die  Anstalt  auch  gesehen;  sie  waren 
ganz  schwarz,  das  bedeutet  Trauer  über  ihre  Internierung.  Sie  möchte  aus  der 
Anstalt  entlassen  werden;  Symbol  für  freie  Passage  ist  ihr  wie  mancher  andern 
Kranken  der  Schlüssel;  sie  möchte  also  den  Schlüssel  haben;  sie  kann  ebenso- 
gut sagen,  sie  stelle  den  Schlüssel"  fest,  oder  sie  „sei  der  Schlüssel".  Sie  ,, besitzt" 
auch  die  Schweiz ;  und  im  gleichen  Sinn  sagt  sie :  „Ich  bin  die  Schweiz."  Sie  könnte 
auch  sagen:  „Ich  bin  die  Freiheit",  denn  ,, Schweiz"  bedeutet  ihr  nichts  anderes 
als  Freiheit;  in  diesem  Sinne  sagen  deprimierte  Schizophrene  von  sich,  sie  seien 
die  Sünde.  Der  Unterschied  zwischen  solchen  Redeweisen  bei  Gesunden  und 
Kranken  besteht  darin,  daß  sie  von  den  ersteren  als  Metapher  aufgefaßt  werden, 
während  sich  den  Patienten  die  Grenzen  zwischen  eigentlicher  und  uneigent- 
licher  Rede  verwischen,  so  daß  sie  die  Dinge  oft  auch  im  buchstäblichen  Sinne 
denken. 

Eine  besonders  große  Rolle  spielen  die  Wortähnlichkeiten.  Ein  Kranker 
findet  eine  Leinenfaser  im  Essen.  Die  Laute  „lein"  kommen  auch  in  dem  Wort 
„Feuerlein"  vor.  Er  kennt  ein  Fräulein  Feuerlein.  Man  wollte  ihm  also  zu  ver- 
stehen geben,  daß  er  mit  ihr  ein  Verhältnis  gehabt  habe. 

Manches  Wort  bezeichnet  mehr  als  einen  Begriff.  So  können  verschiedene 
Begriffe  via  Wort  miteinander  verwechselt  oder  identifiziert  werden  (Haus  ak 
Gebäude  und  als  Familie;  Kreuz  als  Körperteil,  als  Gegenstand,  als  zeich- 
nerische Figur;  das  symbolische  Schwarz  der  Sünde  und  das  optische  Schwarz 
eines  sichtbaren  Gegenstandes). 

Ein  religiös  Paranoider  heißt  Nägeli  (das  Wort  ist  das  oberdeutsche  Di- 
minutiv von  Nagel  wie  Nelke  das  niederdeutsche  und  bezeichnet  sowohl  die  Blume 
wie  einen  kleinen  Nagel).  Christus  ist  ans  Kreuz  genagelt  worden;  also  ist  der  Nägeli 
Christus,  er  ist  auch  angenagelt  worden.  Nägel  brauche  man  aber  auch  zum  Lieben. 
Er  verehrt  den  Nagel,  nicht  das  Nagelloch  (ist  von  seiner  Frau  getrennt).  Der 
Nagel  ist  das  Symbol  der  Männlichkeit,  das  Nagelloch  das  des  Weibes  und  des 
Geldes.  In  der  Blumensprache  heiße  er  deshalb  Nägeli  als  Vertreter  des  Nagels. 
Das  Weib  stelle  die  Rose  dar,  die  unbeständige  verblätternde  Blume.  Deshalb 
heiße  auch  der  Präsident  von  Amerika  „Roosevelt",  d.  h.  der  Rose  die  Welt 
der  heutigen  Weltordnung  entsprechend,  die  das  Weib  verehrt.  Der  Mann  ist  auch 
Adam  d.  h.  Odem,  oder  Morgen  (die  geringe  Ähnlichkeit  der  letzten  beiden  Worte 
kann  bei  einem  Schizophrenen  voU  genügen  zur  Identifikation),  d.  h.  König  des 
Jages  oder  durch  die  Blume  gesprochen  Nägeli.  Die  Rose  ist  gleich  Eva,  d  h 
Abendruhe  (evemng)  oder  Königin  der  Nacht.  (Man  beachte  auch  die  Tdenti- 
tikation  nicht  nur  von  Abend  und  Nacht,  sondern  von  Abendruhe,  einem  ab- 
strakten Begriff,  und  der  Königin  der  Nacht.)  Eva  ist  auch  gleich  „ivy"  das 
ist  eine  Schlingpflanze,  d.  h.  ein  Gift,  d.  h.  Mitgift.  Des  Wken  hdßt 


350 


Schizophrenie. 


Mina,  d.  h.  die  meine.  Alle  diese  Dinge  gibt  der  Patient  spontan  zam  besten, 
wenn  man  ihn  nur  anhört. 

Der  gleiche  Patient  bekämpfte  den  Mißbrauch  des  eidgenössischen  Kreuzes 
ah  Reldamemittel.  Einmal  lag  er  wegen  allerlei  hypochondrischen  Klagen  mehrere 
Wochen  im  Bett,  wo  er  sich  aber  ganz  gut  befand,  „denn  er  lag  ja  auf  dem  Kreuz". 
Eine  hypochondrisch  angelegte  Patientin  bekam  Kreuzichmerzen,  wenn  sie  über 
einen  Kreuzweg  ging.  Ein  Paranoider  glaubte  Chloroform  im  Essen  zu  spüren: 
er  wird  von  einer  grünen  Gestalt  verfolgt  {yXopöi,  forma). 

Alltäglichen  Anlaß  zu  krankhafter  Symbolik  geben  auch  die  bildlichen 
Redensarten,  die  von  den  Kranken  im  eigentlichen  Sinne  genommen  werden. 
Ein  Patient,  der  sich  wegen  der  finanziellen  Zukunft  seiner  Familie  ängstigte, 
wird  in  besserer  Stimmung  der  Großkaufmann  F.,  ein  Riese,  Rothschild,  die 
ganze  Welt  dreht  sich  um  ihn;  er  sieht,  wie  sich  die  Erde  und  die  Bäume  darauf 
drehen.  Ein  anderer  beklagte  sich,  der  Wärter  habe  ihm  einen  Schlag  ins  Gesicht 
gegeben.  Die  Untersuchung  ergab  nichts  für  den  Wärter  Belastendes;  der  Patient 
rechtfertigte  sich:  Wenn  man  einen  zum  baden  wie  ein  Skelett  ausziehe,  so  sei 
doch  das  ein  Schlag  ins  Gesicht.  Eine  Patientin  träumt,  wie  man  ihr  eine  Matratze 
um  sehr  billigen  Preis  „abgedrückt''  habe  (d.  h.  sie  hat  sie  verkauft),  dann  sagt 
sie:  „Ich  habe  geschossen."  (Zu  beachten  ist  hier  auch  der  ungenierte  Wechsel 
des  Subjekts:  Sie  hat  zwar  verkauft,  aber  der  Käufer  hat  ihr  die  Matratze  ,, ab- 
gedrückt", er  müßte  also  derjenige  sein,  der  geschossen  hat;  schießen  —  ab- 
drücken). Ein  heiratslustiger  Schizophrene  hat  von  einer  Witwe  einen  Korb  be- 
kommen; das  ärgert  ihn,  und  er  bildet  den  Wahn  aus,  es  sei  Sünde,  daß  er  sie 
gefragt  habe;  er  fühlt  nun  einen  beklemmenden  Druck  auf  der  Brust:  es  sei, 
wie  wenn  jemand  auf  ihm  sitzen  würde;  es  sei  möglich,  daß  es  jene  Frau  sei; 
später  ist  er  davon  überzeugt,  daß  sie  es  ist.  Er  spürt  dann  auch,  wie  sie  ihm  mit 
Hülfe  von  Teufel  und  Spiritisten  den  Leib  zusammenschnürt.  Andere  Patienten 
haben  schwarze,  erschreckende  Stimmen,  sehen  ihr  Schicksal  als  eine  schwarze 
Wolke  auf  sich  zukommen,  sind  als  Sünder  ganz  schwarz,  haben  süße  (angenehme) 
und  saure  (unangenehme)  Träume,  es  kommt  ihnen  wie  „Rebenspritzzeug" 
(Kalkwasser  und  Kupfersulfat)  in  den  Mund,  so  bitter,  d.  h.  sie  bekommen  den 
Zwang  zu  fluchen.   Eine  Paranoide  „hat  Zucker  am  nötigsten  gegen  die  gallen- 
bittern  Weltbeschwerden".  Ein  Gelehrter  hält  sich  für  eine  Scharade,  weil  er  nicht 
versteht,  was  mit  ihm  geschieht.  Ein  (latenter)  Hebephrene  fällt  namentlich 
dadurch  auf,  daß  er  Lärm  macht,  wenn  irgend  etwas  Schwarzes  herumliegt, 
er  flucht  und  scharrt  es  beiseite :  er  hatte  ein  katholisches  Mädchen  heiraten 
wollen,  die  Schwarzen  haben  ihn  aber  daran  gehindert;  darum  sein  Haß  auf  alles 
Schwarze.  —  Ein  Katatoniker  sieht  die  „Sozialdemolcratie  als  vorübergehende 
Erscheinung"  durch  den  Saal  gehen  (Abraham  —  mündliche  Mitteilung).  — 
Eine  Paranoide  kann  nicht  schlafen,  weil  sie  die  Maitresse  ihres  Mannes  auf  dem 
Rücken  tragen  muß.  —  Eine  Hebephrene  beklagt  sich  über  Postkutschen,  die 
ihr  vom  Herzen  weg  unter  der  Haut  herumfahren,  dann  auf  die  Straße  kommen 
und  dort  verunglücken;  die  eine  Kutsche  ist  grün ;  da  ist  die  Königin  von  England 
darin,  die  ihr  ihr  Ich  gegeben  hat  (die  Königin  von  England  spielt  m  den  Großen- 
wahnideen  unserer  Frauen  oft  die  RoUe  des  höchsten  für  eine  Frau  Erreicü- 
baren  auf  weltlichem  Gebiete  wie  Maria  aaf  religiösem  und  erotischem);  sie 
iatte  Hoffnung,  Königin  von  England  zu  werden;  diese  ist  aber  verunglückt 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschungen. 


351 


und  liegt  noch  am  Wege.  Zwei  andere  Wagen  sind  gelb;  in  diesen  sind  zwei 
falsche  Geliebte,  die  verunglücken  beim  Kirchhof  und  liegen  tot  dort.  —  Einer 
Patientin  hat  man  Geld  in  die  Kasse  getan,  d.  h.  ihr  „in  Redensarten  Gold- 
stücke vorgeworfen".  Sie  identifiziert  in  einem  andern  Bilde  die  vorgeworfenen 
Goldstücke  auch  mit  Schnee  und  diesen  mit  Sperma  (Danae).  —  Eine  religiöse 
Patientin  hat  die  Illusion,  die  Krankenschwester  stehe  auf  dem  Kopfe:  sie 
ist  umgekehrt,  d.  h.  eine  Bekehrte,  was  die  Patientin  auch  gern  wäre.  —  Die 
Frau  eines  Potators  wähnt  sich  in  der  Hölle,  sie  muß  dem  Teufel  Kohlen  schüren. 

—  Ein  junges  Mädchen  ist  an  einer  Hochzeit,  meinte  aber,  selbst  Anspruch  auf 
den  Bräutigam  zu  haben;  sie  sah  die  Braut  am  Altar  in  Gestalt  eines  Hundes; 
der  Priester,  der  traute,  hat  ihr  in  der  Kirche  etwas  zu  essen  gegeben,  darum 
kann  sie  nicht  mehr  arbeiten.  Ah  sie  aus  der  EÖrche  kam,  rief  sie  Vorübergehende 
an :  „Wir  sind  noch  beide  da",  womit  ,5ie  offenbar  die  noch  bestehende  Zusammen- 
gehörigkeit mit  dem  Bräutigam  markieren  wollte.  —  Die  zweite  Frau  eines 
Witwers  war  überzeugt,  daß  die  erste  Frau  ihres  Gatten  noch  lebe:  sie  lebte 
aber  nur  im  Herzen  des  Mannes. 

Oft  wird  die  Teilidee,  die  das  Symbol  vermittelt,  nicht  der  Bezeichnung, 
sondern  dem  Begriff  selbst  entnommen.  Wenn  ein  masturbierender  Hebephrene, 
der  normalen  sexuellen  Verkehr  wünscht,  im  Gebirge  den  großen  Bergstock 
so  shocking  findet,  daß  es  zu  einem  Konflikt  mit  seinem  Kameraden  kommt, 
und  er  nach  Hause  reisen  muß,  so  ist  der  Vergleich  noch  kaum  kranlchaft  zu 
nennen;  sicher  ist  aber  kranlchaft  die  Auffassung  des  Vergleiches  im  Sinne  des 
wirklichen  Geschlechtsteiles  und  die  dementsprechende  Reaktion.  Vollständig 
in  die  Wirklichkeit  umgesetzt  wird  eine  Analogievorstellung  in  dem  Falle  einer 
Paranoiden,  die  mit  ihrem  Manne  nicht  zufrieden  ist,  sich  von  ihm  verstoßen 
fühlt  und  sich  darum  für  Genoveva  hält.  Für  eine  Katatonika  bedeuten  die 
Speisen,  die  von  Hause  kommen,  die  Freiheit  und  sind  deshalb  gut;  die  An- 
staltsspeisen bedeuten  die  Einsperrung  imd  sind  deshalb  schlecht.  Ein 
schweizerischer  Ea-anker  hat  Händel  mit  seiner  Frau,  die  eine  Berlinerin  ist; 
das  verallgemeinert  er  zu  der  Wahnidee,  die  Schweiz  bekomme  Krieg  mit  Preußen. 

—  Eine  Deutsche  hat  einen  Schweizer  geheiratet,  der  sie  verlassen  hat;  sie  ver- 
diente sich  ihr  Brot  namentlich  durch  Prostitution  bei  italienischen  Arbeitern. 
Dieses  Verhältnis  gibt  Anlaß  zu  der  Wahnidee,  verschiedene  „Völkerschaften" 
kämpfen  miteinander,  und  die  Italiener  nehmen  die  Deutschen  in  der  Schweiz  in 
Schutz.  —  Eine  junge  Tochter  fürchtet  wegen  schlechter  Aufführung  die  Vor- 
wurfe der  Eltern;  sie  haUuziniert  nun,  daß  sie  bald  von  der  Mutter,  bald  vom 
Vater  totgeschlagen  werde.  —  Einem  Hebephrenen  gibt  sein  Verhältnis  zu  einer 
Katholikin  Anlaß,  eine  ihm  unverständliche,  aber  sehr  ernst  und  eindringlich 
klingende  Stimme  als  Weisung  von  Gott  aufzufassen,  daß  er  berufen  sei,  die 
Spaltung  zwischen  Katholiken  und  Protestanten  zu  überbrücken,  besonders 
durch  sein  Beispiel  vorbildlich  zu  wirken  (wobei  er  sich  aber  recht  schlecht  auf- 
führte). —  Wie  eine  bewußte  Allegorie  tönt  es,  wenn  ein  Mathematiker  erzählt 
daß  ihm  der  große  Riese  Denk  erschienen  sei;  den  woUte  Gott  töten,  er  konnte 
es  aber  nicht,  da  wollte  ihn  das  Volk  töten:  daß  er  selber  der  Riese  Denk  sei 
zeigte  sich  bald  nachher,  da  er  als  Riese  Denk  hätte  von  Gott  getötet  werden 
sollen.  Gott  „tauchte  sehr  groß  auf".  Patient  war  aber  damals  gerade  so  groß 
wie  bott  und  hat  ihn  in  vierstündigem  Ringkampf  überwunden. 


352 


Schizophrenie. 


Hier  ist  auch  der  Vergiftungswahn  anzuführen.  Trotz  seiner  Häufig- 
keit haben  wir  seine  urzel  nur  in  einzelneu  Fällen  aufgefunden.  Die  einfache 
logische  Ausdeutung  unangenehmer  Körperempfindungen  oder  des  Zwanges 
m  der  Anstalt  zu  sein,  „wo  man  ruiniert  wird",  wo  das  Essen  den  Bedürfnissen 
des  Patienten  nicht  angepaßt  ist,  und  die  Pflege  überhaupt  als  eine  ungenügende 
oder  schädliche  angesehen  wird,  liegt  beim  Schizophrenen  nicht  so  nahe,  wie  sie 
die  gesunde  Logik  und  wie  die  alltäglichen  Erklärungen  der  Kranken  zu  ergeben 
Schemen.  Diese  Ideen  sind  bis  jetzt  noch  nie  an  der  Wurzel  des  Vergiftungswahnes 
gefunden  worden,  und  wir  wissen,  daß  zur  Ausbildung  des  Wahnes  ein  affektiver 
Komplex  nötig  ist,  der  das  „Ich"'  des  Patienten  viel  stärker  berührt  als  diese 
Unannehmlichkeiten.  Hinter  Zwangsgedanken  mit  Vergiftungsangst  finden  wir 
den  Onaniekomplex;  es  liegt  nahe,  ihn  auch  hier  herbeizuziehen;  doch  vernimmt 
man  nicht  selten  Eedensarten,  wie :  die  Patienten  haben  sich  durch  Onanie  ver- 
giftet, oder  „das  Fleisch  sei  durch  Ausschweifung  vergiftet",  ohne  daß  Ver- 
giftungswahn dabei  ist. 

Die  Fälle,  die  uns  einen  Einbhck  in  einzehae  Entstehungsweisen  des  Vergiftmigs- 
wahnes  gewährten,  sind  folgende: 

Eme  Paranoide  ist  eifersüchtig  auf  die  Ärztin.  Sie  wird  von  ihr  vergiftet,  aber 
vne  sie  ausdrücklich  hinzufügt,  nicht  im  Essen,  sondern  mit  Worten.  Die  Eifersucht 
gibt  hier  den  Affekt;  die  Symbolik  der  „giftigen  Worte"  das  Material  zur  Bildung 
der  Wahnidee.  —  Eme  andere  Kranke  hat  Händel  mit  der  Tochter,  warum  wissen  wir 
nicht.  Diese  „tut  ihr  Gift  ins  Essen,  weü  sie  so  ein  versalzenes  Maul  hat".  Gleiche 
Genese  wie  oben,  aber  die  Patientin  ist  einen  Schritt  weiter  gegangen  und  findet  das 
Gift  wirklich  im  Essen,  trotzdem  die  auslösende  symbolische  Redensart  der  Wahn'dee 
noch  anklebt.  —  Eine  Hebephrene  hatte  einen  Schatz,  den  sie  liebt,  aber  nicht  heiraten 
konnte.  Später  kam  zum  Liebeskomplex  noch  ein  Bedürhiis  nach  Reichtum  hinzu; 
sie  machte  sich  Hoffnimg,  daß  em  reicher  Herr,  der  Kaffeehändler  war,  sie  heirate. 
Er  tat  das  nicht  und  wurde  zum  Verfolger.  Nun  wollte  sie  keinen  Kaffee  mehr  trinken. 
Sie  beklagte  sich  aber  auch  bald,  daß  man  ihr  die  Milch  vergifte,  und  trank  auch  keine 
Milch  mehr.  Sie  erklärte  das  doppelt:  die  Leute  sind  neidisch  auf  sie,  weil  sie  nm\  den 
Kaffeehändler  heiraten  kann,  und  tun  ihr  in  die  Milch  Gift,  das  sie  mit  dem  Geschmacke 
wirklich  spürt;  sie  haben  es  ihr  auch  unmöglich  gemacht,  den  wirklich  Gehebten  zu 
heiraten,  durch  ihr  giftiges  Reden;  sie  haben  ihr  das  Verhältnis  zum  ersten  Gehebten 
(die  Milch)  vergiftet.  Die  Kranke  hat  diese  Erklärungen  selbst  gegeben,  wie  die  oben 
erwähnten;  sie  unterscheidet  dennoch  nicht  zwischen  wirklicher  und  s}Tiibohscher 
Vergiftimg;  sie  kann  zur  gleichen  Zeit  ganz  gut  arbeiten,  bem'teilt  die  Situationen 
und  Personen,  so  weit  sie  nicht  mit  den  Wahnideen  zusammenhängen,  richtig. 

Ein  Mann  hatte  ein  Verhältnis  mit  der  Frau  eines  Freundes  und  wurde  zur 
Rede  gestellt.  Nun  glaubte  er  sich  überall  verleumdet  und  „mit  Gift  bespritzt". 

Auf  mehr  logischem  Wege  kommt  ein  anderer  Patient  zur  Vergiftungsidee: 
er  hat  em  Konkm-renzgeschäft  gegen  einen  reichen  Verwandten  gegründet,  ist  ge- 
scheitert, verlangt  nichtsdestoweniger  von  demselben  Unterstützung,  bekommt  sie 
nicht  genügend;  nun  Wahnidee,  der  Verwandte  habe  semen  (verstorbenen)  Vater 
getötet,  weil  dieser  gewußt  habe',  daß  der  Verwandte  em  Urning  sei.  Die  Wahnidee 
benutzte  er  zu  einem  Erpressungsversuch  und  fürchtete  dann  die  Gegenwehr  des 
Angegriffenen  mit  Waffen  und  Gift,  abstmierte  in  der  Haft  wegen  Gift  in  den  Speisen.  — 
Der  früher  genannte  Impotente,  der  seine  Frau  gerne  los  hätte,  meint,  seuie  Frau 
wolle  ihn  unter  anderm  auch  mit  Gift  umbringen.  Hier  kann  die  Wahl  des  Moid- 
mittels  allerdings  ein  Zufall  sein. 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschungeu. 


353 


Im  folgenden  Falle  handelt  es  sich  auch  um  eine  Vergiftungsidee,  aber  in  ganz 
anderm  Sinne  als  bei  der  Vergiftung  durch  Femde.  Das  Beispiel  zeigt  zugleich, 
wie  die  Verschiebungen  die  Bedeutung  einer  Idee  verstecken  können. 

Eine  verheiratete  Patientin  ist  erkrankt,  nachdem  sie  eine  Sublimateinspritzung 
in  die  Scheide  gemacht  hatte,  in  der  Hoffnung,  dadurch  eine  Gravidität  zu  unter- 
brechen. Sie  behauptete  nim  beständig,  sie  sei  vergiftet,  das  sei  ein  fui'chtbares  Un- 
glück, klagt  den  Apotheker  an,  daß  er  ihr  to  viel  Gift  gegeben  habe;  der  müsse  bestraft 
werden.  Sie  hat  im  Konversationslexikon  gelesen,  daß  bei  Sublimatvergiftungen  Blut 
im  Rektum  auftrete;  sie  hat  nun  die  „Stereotypie",  beständig  den  Finger  ins  Rektum 
zu  bohren,  um  sich  zu  überzeugen,  daß  keiji  Blut  da  sei;  alle  Güte  liilft  so  wenig  da- 
gegen wie  Gewalt.  Sie  kann  nicht  beweisen,  daß  sie  vergiftet  sei;  sie  weiß  keine  Sym- 
ptome anzugeben;  dennoch  läßt  sie  sich  in  langer  Behandlimg  durch  niemanden  über- 
zeugen, daß  sie  nicht  vergiftet  sei.  Die  Klagen  kommen  ganz  stereot}^  ohne  weitere 
Assoziationen,  obgleich  man  sonst  mit  der  gebildeten  Krauken  über  viele  Dinge  recht 
eingehend  reden  kann.  Auch  die  Affektäußermigen  stimmen  nicht  zm*  Vergiftmigs- 
idee;  sie  jammert  einfach  in  bestimmten  Worten,  man  begreift  aber  den  Zusammen- 
hang nicht.  Ganz  anders  wird  die  Sache,  wenn  man  sich  emige  Stmiden  Zeit  nimmt, 
mit  der  Kranken  zu  reden.  Die  Assoziation  an  die  Vergiftung  wird  dann  beständig 
der  Mann,  den  sie  in  einem  Tone  rühmt,  wie  wenn  sie  etwas  zu  tadebi  hätte.  Ihr  Mann 
sei  ein  sehr  lieber  Mann,  ein  anständiger  Mann,  der  beste  Mann  —  alles  in  einem 
Tone,  wie  wenn  ein  ,,aber"  käme.  Das  ,,aber"  kommt  indes  nicht,  sondern  die  in 
gleichgültigem  Tone  hingeworfene  Bemerkmig:    ,,mein  Bruder  geht  abends  nicht 
aus".  Der  gleiche  Gedankengang  wiederholt  sich  viele  Male  in  ganz  stereotyper  Weise. 
Hält  man  sie  an  diesem  Thema  fest,  ohne  etwas  zu  suggerieren,  so  zeigt  sich,  daß  sie 
das,  was  sie  negativ  und  im  guten  Sinne  vom  Bruder  sagte,  positiv  und  im  schlechten 
vom  Manne  zu  sagen  hat;  es  kommt  endlich  heraus,  daß  der  Mann  in  letzter  Zeit 
lange  ausgeblieben  ist,  und  daß  sie  fürchtet,  er  sei  ihr  untreu.  Deshalb  und  nicht 
weil  sie  sich  vor  der  schweren  Geburt  fürchtet,  Avie  sie  angegeben  hatte,  wollte  sie 
kein  Kind  von  ihm.  Hat  man  sie  so  weit,  daß  dieser  ganze  Komplex  klar  in  ihrem 
Bewußtsein  ist,  rmd  daß  man  wirklich  mit  ihr  darüber  reden  kami,  dann  ist  auch 
der  Affekt  em  ganz  natürlicher,  und  man  findet,  daß  Bruchstücke  seiner  Äußerung 
m  die  Klagen  über  Vergiftung  eingegangen  sind.  Wer  das  erlebt  mid  mehrere  Male 
versucht  hat,  kann  gar  nicht  mehr  zweifehi,  daß  der  Komplex,  der  die  Krankheit 
zum  Ausbruch  brachte,  mid  der  nachher  die  Symptomatologie  beherrscht,  eben  die 
befürchtete  Untreue  des  Mannes  ist;  hinter  diesem  steckt  wiederum  das  Gefühl,  sie 
sei  dem  Gatten  nicht  schön  genug,  wozu  einiger  Grund  vorhanden  ist;  sie  hielt  ihn 
von  jeher  für  den  schönsten  Mann  weit  mid  breit,  sie  selbst  aber  ist  wirldich  nicht  schön 
und  hatte  die  Ehe  mit  ihm  erzwmigen,  vielleicht  ein  wenig  mit  Hilfe  ihres  Geldes. 
Es  wäre  nun  auch  denkbar,  daß  die  versuchte  Abtreibung  ihr  Gewissen  belastete, 
und  daß  deshalb  die  näherliegende  Idee  der  Vergiftimg  die  Affektbetonmig  erhalten 
hatte,  die  nötig  ist,  um  eine  so  misinnige  Wahnidee  daraus  zu  bilden.  Ich  habe  aber  nichts 
davon  gefunden.  Die  Frau  fühlt  sich  unglücklich,  weil  sie  dem  Manne  mißtraut;  auf 
der  einen  Seite  entstand  daraus  die  verzweifelte  Furcht  vor  einer  neuen  Schwanger- 
schaft, auf  der  andern  ist  ikr  diese  unerträgliche  Vorstellung  für  gewöhnlich  unzu- 
gänglich, während  sich  die  Affektbetonung  verschoben  hat  auf  die  erträglichere  Wahn- 
idee der  Vergiftung!). 

2  Der  Fall  ist  in  seiner  Genese  ganz  analog  dem  früher  publizierten  einer  Hysteiica 
die  im  Puerperium  fürchtete,  ihr  Mann  möchte  sie  verlassen,  dann  die  nahe  liegende  Wahn- 
idee bekam,  ihr  Kind  sei  gestorben,  und  iliren  ganzen  Affekt  auf  dieses  Ereignis  konzentrierte 
war  (72)     '  ''"''"^  ^^^"''^  vollständig  aus  ilirem  Gedäclitnis  geschwunden 

Hnndbuch  der  Psychiatrie:  Bleuler. 

CO 


354 


Schizophrenie. 


Die  „Affektbesetzung",  wie  Freud  den  Zusammenhang  nennt,  ist 
also  bei  unserer  Schizophrenen  von  der  Untreue  des  Mannes  auf  die 
Sublimatinjektion  „verschoben"  worden,  wodurch  diese  zur  Wahnidee 
werden  konnte;  die  Idee  der  Vergiftung  ist  eine  „Deckidee"  für  die  Idee 
der  Untreue. 

Durch  die  Verschiebungen  entfernen  sich  die  Wahnideen  oft  recht  weit 
von  ihrem  Ausgangspunkt,  und  es  wäre  meist  ganz  unmöglich,  diesen  noch  zu 
erkennen,  wenn  nicht  die  Patienten  die  ursprüngliche  Idee  immer  neben  den  neuen 
Ausarbeitungen  derselben  beibehalten  würden,  oder  wenn  man  nicht  die  Ent- 
wicklung verfolgen  könnte.  Allerdings  gibt  es  noch  genug  Fälle  von  hochgradigem 
Assoziationszerfall,  wo  wir  noch  nicht  zu  folgen  vermögen. 

Eine  Patientin  hat  den  (unbewußten)  Wunsch,  mit  dem  Vater  sexuell 
zu  verkehren,  und  drückt  ihn  durch  die  Wahnidee  aus,  der  Vater  wolle  sie  töten. 
Dem  Vater  assoziiert  sie  die  Mutter  und  setzt  sie  schließlich  a  n  Stelle  des  Vaters. 
Der  ursprüngliche  Wunsch  erscheint  also  zuletzt  als  Wahnidee,  die  Mutter  wolle 
sie  töten.  Viel  weiter  geht  die  Verschiebung  bei  der  früher  erwähnten  Patientin, 
die  ein  Mann  ist  und  einen  Hoden  hat,  was  via  Christus  heißt,  daß  sie  einen 
Pfarrer  liebt.  Eine  andere  Patientin  hat  die  nämliche  ursprüngliche  Wahnidee. 
An  Stelle  des  Pfarrers  werden  sukzessive  der  Heilige  Geist,  Gott  Vater  und 
namentlich  Christus  gesetzt,  der  seinerseits  wieder  durch  das  Lamm  vertreten 
wird.  Zum  Lamm  gehört  der  Schafbock.  „Ich  bin  ein  Bock"  heißt  also  in  diesem 
Falle  ursprünglich:  ,,Ich  habe  meinen  Pfarrer  bekommen."  Wie  weit  die  Pa- 
tienten solche  Ausdrücke  wirklich  nur  symbolisch  zur  Bezeichnung  der  ersten 
Wahnidee  brauchen,  läßt  sich  nicht  immer  entscheiden.  Sicher  ist,  daß  sie  den 
neuen  Ausdruck  der  Wahnidee  oft  wörtlich  nehmen,  also  eine  neue  Wahnidee 
gebildet  haben  (in  der  Regel  ohne  die  alte  aufzugeben),  aber  auch,  daß  die  Auf- 
fassungen in  dieser  Beziehung  bei  den  meisten  Kranken  wechseln,  so  daß  der 
verschobene  Ausdruck  bald  mehr  symbolisch  im  Sinne  der  ersten  Idee,  bald  im 
eigentlichen  Sinne  als  neue  Wahnidee  gebraucht  wird.  Doch  sind  für  den 
Kranken  die  Unterschiede  der  beiden  Denkweisen  nicht  so  groß 
wie  für  den  Gesunden. 

Eine  recht  häufige  Art  Verschiebung  ist  die,  daß  in  einen  erotischen  Wahn 
nach  bestimmten  Analogien  andere  Personen  eingesetzt  werden:  die  Kranke 
liebt  den  „Direktor"  einer  Fabrik;  in  der  Anstalt  wird  dieser  durch  den  „Direktor" 
der  Anstalt  ersetzt;  dieser  ist  ein  Arzt,  also  wird  er  durch  die  anderen  Anstalts- 
ärzte vertreten.  Meist  werden  diese  verschiedenen  Personen  zugleich  mehr 
oder  weniger  in  eine  einzige  verdichtet;  oder:  Ein  Mädchen  liebt  einen  Studenten 
der  Theologie,  der  die  Neigung  nicht  erwidert;  sie  sucht  nachher  vergebens 
einen  andern  Theologen  zu  heiraten,  schließlich  heiratet  sie  den  Bruder  des 
ersten  Geliebten,  in  dem  sie  nur  diesen  verehrt;  sie  wnirde  erst  nach  Jahr  und 
Tag  deutlich  schizophren^). 

Gar  nicht  selten  wird  die  Verschiebimg  durch  affektive  Gründe  bedingt, 
am  häufigsten  wohl  so,  daß  eine  höchst  unangenehme  Idee  ersetzt  wird  durch 
eine  weniger  unangenehme.  Leider  überträgt  aber  dann  der  Patient  den  ur- 
sprünglichen Affekt  auf  die  neue  Idee,  so  daß  er  wenig  Nutzen  von  der  Ver- 
1)  Solche  Heiraten  aus  Verschiebung  oder,  was  hier  ungefälir  das  gleiche  ist,  als  Symbol- 
handluiigen,  sind  bei  Gesunden  nicht  selten. 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschungeii 


355 


änderung  liat.  Einer  unserer  Katatoniker  war  manifest  erkrankt,  nachdem  er  auf 
einen  Eisenbahnzug  aufgesprungen,  der  sich  schon  in  Bewegung  gesetzt  hatte. 
Er  meinte  nun,  von  den  Eisenbahnen  verfolgt  zu  werden,  alle  Bahnsignale  deutete 
er  auf  sich  usw.  Es  stellte  sich  aber  heraus,  daß  der  Patient  sich  andere  Vor- 
würfe zu  machen  hatte,  die  imgleich  wichtiger  waren  als  jene  Übertretung:  er 
hatte  sich  mit  Kaninchen  sexuell  vergangen,  und  das  neue  („auxiliäre")  Trauma 
hatte  durch  die  wenn  auch  geringe  Analogie  die  schlummernde  Versündigungs- 
idee geweckt  und  sich  an  deren  Stelle  gesetzt.  Solche  Verschiebungen  können 
sich  natürlich  auch  nach  Ausbruch  der  Krankheit  vollziehen.  Es  ist  z.  B.  etwas 
Ähnliches,  wenn  der  Patient  glaubt,  unreine  Hände  zu  haben,  statt  sich  moralisch 
unrein  zu  fühlen. 

Eine  andere  Art  Entstellung  der  Wahnideen  ist  die  Verdichtung.  Wir 
haben  schon  gesehen,  daß  sehr  leicht  der  Geliebte  mit  dem  gemeinsamen  Kind 
in  eine  Person  verschmilzt.  Der  Prozeß  kann  noch  viel  weiter  gehen,  indem  irgend 
ein  Wahnbegriff  das  ganze  Wahnsystem  in  sich  faßt.  Einer  unserer  Kranken, 
bei  dem  Frauen  mit  kurz  geschnittenen  Haaren  eine  große  Rolle  spielen,  sah 
in  der  Anstalt  ein  Mädchen  mit  dieser  Haartracht,  die  noch  dadurch  besonders 
auffallend  M'urde,  daß  dasselbe  stereot}'p  den  Kopf  schüttelte.  In  kurzer 
Zeit  wurden  alle  seine  Wahnpersonen  und  das  ganze  komplizierte  Wahhgebäude, 
das  er  sich  in  etwa  20  Jahren  geschaffen,  mit  dem  Mädchen  verdichtet,  so  daß 
es  ihm  alle  jene  Personen  und  zugleich  den  ganzen  Wahnkomplex  repräsentierte. 

Die  Anwendung  der  Freudschen  Erklärungsprinzipien  ist  nicht  so  einfach, 
wie  die  fragmentarisch  angeführten  Beispiele  vielleicht  vermuten  lassen.  Eine 
Komplikation  bildet  z.  B.  oft  die  „Überdeterminier ung"  der  psychischen 
Gebilde.  Wenn  ein  Schweizer  mit  seiner  preußischen  Frau  Händel  hat,  so  braucht 
er  deshalb  noch  nicht  die  Wahnidee  zu  bilden,  daß  Preußen  mit  der  Schweiz 
Krieg  führe,  dazu  müssen  andere  Determinanten  mitbestimmend  wirken.  Um 
einen  Punkt  im  Räume  zu  bestimmen,  muß  er  in  drei  Dimensionen  fixiert  sein. 
Um  ein  psychisches  Gebilde  so  zu  determinieren,  daß  nichts  anderes  gedacht 
werden  kann,  braucht  es  eine  unabsehbare  Menge  Bestimmungen.  Die  „Über- 
determinierung",  die  %äele  „Deutungen"  des  gleichen  Symptoms  verlangt,  hat 
Freuds  Traumdeutung  sehr  in  Mißkredit  gebracht:  sie  wird  auch  ein  Hindernis 
sem  für  die  Annahme  der  Erklärungen  der  schizophrenen  Symptome,  und  doch 
erweist  sie  sich  bei  genauerem  Zusehen  als  eine  Selbstverständlichkeit;  eine  Menge 
von  „Konstellationen",  von  Dispositionen  und  Anlässen  müssen  vorhanden 
sem,  bis  gerade  der  zu  analysierende  Gedanke  in  allen  seinen  Nuancen  zustande 
kommt^). 

Um  die  Überdeterminierung  in  ihren  Komplikationen  zu  zeigen,  müßte  man 
Monographien  über  einzelne  Krankheitsfälle  schreiben.  Außer  den  wenigen, 
früher  angeführten  Beispielen,  wo  die  gleiche  Wahnidee  mehr  als  eine  Wurzel 

^)  Vergleiche  auch  die  mit  Recht  als  selbstverständlich  hingenommene  Vieldeutigkeit 
der  Symbolik  in  der  katholischen  Kirche.  Überhaupt  bietet  die  mittelalterUche  Denkweise 
w  1  TM  ^^'■g^^i^l^P^inl^te  mit  der  Schizophrenie;  auch  sie  hatte  sich  autistisch  von  der 
Wirklichkeit  abgewandt,  auch  ihr  war  das  Denkrcsultat  nicht  das  Ergebnis  einer  logischen 
Operation,  sondern  es  war  affektiv  zum  voraus  festgestellt,  und  die  Logik  kam  nur  so  weit 
zur  Reitling,  als  sie  zu  dem  gewünschten  Ende  führte.  Das  „Homo  Dei"  im  menschlichen 
uesicht  konnte  ganz  gut  von  einem  mod^rnon  Srhi^ophrcnen  herausgeklügelt  sein. 

23* 


356 


Scliizophreuie. 


hatte,  sei  nur  noch  an  Jungs  B.  S.  erinnert;  sie  ist  die  Kraniche  des  Ibykus 
nicht  nur,  weil  darin  das  AVort  „frei"  vorkommt,  sondern  auch,  weil  das  Gedicht 
den  Ausdruck  „frei  von  Schuld  und  Fehle  bewahrt  die  kindlich  reine  Seele" 
enthält,  den  sie  auf  sich  bezieht.  (In  solchen  Fällen  kann  auch  die  eine  Aus- 
legung nachträglich  von  der  Patientin  zur  ursprünglichen  Idee  hinzu  gemacht 
worden  sein.) 

Manchmal  tritt  die  Neigung  zur  Symbolisierung  auch  in  symbolischen 
Handlungen  zutage,  und  dazu  ist  bei  der  schizophrenen  Dissoziation  nicht 
einmal  nötig,  daß  ein  für  den  Patienten  wichtiger  Komplex  ausgedrückt  werde. 
Eine  Kranke  wollte  über  den  Zaun  steigen;  als  es  ihr  verboten  worden  war, 
erfand  sie  verschiedene  Ausreden,  wenigstens  die  Füße  auf  den  Zaun  zu  stellen' 
sie  löste  die  Schuhriemen  auf  und  band  sie  wieder  u.  dgl.i). 

Eine  andere  Patientin  stellte  sich  auf  die  Zehen,  wenn  sie  sagte,  die  und  jene 
sei  ihr  zu  gemein,  sie  selbst  sei  zu  gut  für  das  usw.  —  Eine  Katatonika,  die  aus 
dem  Untersuchungsgefängnis  gekommen  war,  hatte  sich  vor  mir  gefürchtet;  bei 
Gelegenheit  erklärte  sie,  sie  fürchte  mich  nun  nicht  mehr  und  rückte  gleichzeitig 
möglichst  nahe  zu  mir.  —  Eine  Katatonische  kommt  aus  dem  Urlaub,  sehr  betrübt, 
daß  es  draußen  nicht  gegangen  war.  Als  sie  auf  die  Abteilung  gehen  soll,  sagt  sie 
dem  Arzt  und  der  Oberwärterin  Adieu  statt  der  Mutter.  —  Ein  wichtiger  Komplex 
verbarg  sich  hinter  einer  solchen  Handlung  (die  allerdings  mit  einer  Deckidee 
verbunden  war)  bei  einer  Katatonischen,  die  im  ganzen  Saal  ihre  Geldtasche  suchte 
mit  der  Erklärung,  sie  müsse  sie  haben,  weil  die  Leute  auf  den  Zug  gehen  müssen. 
Der  eigentliche  Grund  war  aber  wohl  der,  daß  sie  sich  um  ihr  Vermögen  küm- 
merte, da  der  Mann  am  Sterben  und  sie  in  der  Anstalt  versorgt  war.  Eine  Para- 
noide zerriß  Papier  in  kleine  Fetzen  und  warf  es  in  den  Abtritt;  sie  hatte  auch 
sonst  die  Neigung,  kleine  Läppchen  zu  machen:  es  seien  das  ihre  Gedanken. 

Die  Neigung  zu  symbolischen  Handlungen  kann  den  Patienten  so  beherr- 
schen, daß  er  draußen  deswegen  unmöglich  wird.  Eine  unserer  Hebephrenen 
mußte  zweimal  in  die  Anstalt  gebracht  werden,  weil  sie  u.  a.  Enten  von  einem 
Quittenbaum  schnitt,  um  anzudeuten,  daß  sie  quitt  ist  mit  dem  Pfarrer ;  die  Euten 
warf  sie  in  den  Bach,  das  sind  die  Sünden,  die  werden  ins  Meer  getragen ;  sie  lief 
singend  mit  einem  Unterrock  und  anderen  Symbolen  auf  einer  Stange  im  Dorf 
herum,  um  das  Verhältnis  des  Pfarrers  zu  bestimmten  Frauen  anzudeuten  usw. 


Beziehungen  der  Schizophrenie  zum  Traum. 

Bei  imseren  Untersuchungen  sind  uns  an  den  verschiedensten  Stehen  Analogieu 
der  Krankheit  mit  dem  Traum  begegnet,  eine  Erschemmig,  die  nicht  ohne  Bedeutung 
sein  kann.  Im  Traum  gibt  es  eine  ganz  ähnliche  Dissoziation  des  Denkens:  die  Symbol- 
bildungen, die  Verdichtungen,  die  Herrschaft  der  Gefühle,  die  selbst  oft  versteckt 
bleiben,  die  Wahnideen,  die  Halluzhiationen,  alles  finden  wir  in  beiden  Zuständen 
auf  gleiche  Weise.  Die  Analogie  wird  zur  Identität  in  den  Fällen,  wo  die  Kranken  ihre 
Traumhalluzinationen  wie  wirldiche  behandeln,  ihre  Wahnideen  im  Traume  büden 
und  im  Wachen  daran  festhalten^).  Wie  viele  Traumwahnideen  in  der  Schizophrenie 


^)  Ähnliches  kann  man  bei  Kindern  sehen,  denen  man  etwa.s  verbietet. 

-)  Es  kommt  vor,  daß  ein  Schizophrene  jahrelang  nur  im  Traume  Halluzinationen 
produziert,  die  sich  durch  ihre  Verifikation  und  ihren  einheitlichen  Inhalt  als  pathologisch 
erweisen,  dann  gleichwertige  im  Halbschlaf,  und  erst  nach  Jalu-en  auch  im  Wachen. 


Theorie.  Inhalt  der  Wirklichkeitstäuschungen. 


357 


vorkommen,  wissen  wir  nicht;  sicher  ist  nur,  daß  Wahnideen  —  aber  nicht  alle  —  im 
Traum  gebildet  werden,  nnd  daß  traumhaftes  und  schizophren-autistisches  Denken 
für  unsere  jetzigen  Untersucliuiigsmittel  im  Avesentlichen  identisch  sind^). 

Es  mag  hier  auch  angeführt  werden,  daß  die  Träume  der  Schizophrenen  sich, 
so  weit  wir  sie  bis  jetzt  analysiert  haben,  nicht  von  denen  der  Gesunden  unterscheiden. 
Für  Längere  Analysen,  die  sich  auch  bei  ihnen  machen  lassen,  ist  hier  kein  Raum; 
ich  will  luir  den  Fall  erwähnen,  wo  ein  Hebephrene  sich  die  Neckereien  eines  andern 
recht  gutmütig  gefallen  ließ,  dami  aber  in  der  Nacht  darauf  träumte,  der  Quälgeist 
bekomme  Prügel.  In  einzelnen  Fällen  kam  die  Bedeutung  des  Traumes  den  Patienten 
direkt  zum  Bewußtsein;  sie  gaben  spontan  Freudsche  Analysen.  Wir  sehen  also  auch 
da  die  krankhafte  Vermengung  von  verschiedenen  Gedankenreihen. 

Der  einzige  Unterschied  der  schizophrenen  Erscheinimgen  vom  Traum,  den  ich 
bis  jetzt  nennen  könnte,  besteht  in  ihrer  stärkeren  Spaltung  der  Persönlichkeit.  Der 
Träumende  ist  meist  ganz  von  einem  Komplex  oder  einer  einheitlichen  Mischung 
von  Komplexen  beherrscht.  Ferner  registriert  der  Schizophrene  doppelt,  oder  viel- 
leicht, wenn  er  mehrere  selbständige  Komplexe  hat,  auch  mehrfach  im  Sinne  der 
Wirklichkeit  und  im  Sinne  der  Wahngedanken.  Der  Träumende  registriert,  so  viel 
wir  wissen,  die  Wirklichkeit  als  solche  nicht  oder  nur  in  Bruchstücken.  Der  Unterschied 
braucht  aber  kein  prinzipieller  zu  sein.  Denn  es  gehört  zum  Wesen  des  Schlafes,  sich 
gegen  die  Außenwelt  möglichst  abzuschließen.  Und  vollständig  ist  dieser  Abschluß 
auch  nicht.  Viele  registrieren  die  Zeit  im  Schlafe  besser  als  im  Wachen.  Die  Mutter 
erwacht  beim  leisesten  Seufzer  des  kranken  Bandes,  nicht  aber  bei  starken  anderen 
Geräuschen;  sie  wählt  also  aus,  unterscheidet  Vorgänge  in  der  Wirklichkeit. 

So  wäre  es  trotz  der  verschiedenen  Genese  und  trotz  dieses  kleineren 
Unterschiedes  doch  möglich,  daß  sich  die  bis  jetzt  bekannte  sekundäre 
Symptomatologie  der  Schizophrenie  ganz  mit  der  des  Traumes  deckt. 

Man  hat  auch  andere  Delirien  mit  den  Träumen  verglichen.  Namentlich  Franzosen 
haben  geradezu  eine  besondere  Klasse  von  „onirischen  Delirien"  aufgestellt  und  diese 
Klasse  als  eine  ätiologische  Gruppe  der  Intoxikationspsychosen  auffassen  wollen. 
Das  Prototyp  dieser  Krankheiten,  das  Delirium  tremens,  das  schon  vor  Dezennien 
in  Frankreich  als  em  verlängerter  Traum  aufgefaßt  worden  ist,  kann  aber  bei  genauerem 
Zusehen  nicht  wohl  mit  einem  Traume  verglichen  werden,  obgleich  beide  Er- 
scheinmigen  äußerlich  durch  die  Gesichtshalluzinationen  beherrscht  sind.  In  den 
typischen  Fällen  des  Alkoholdelirs  ist  die  Symbolik  nicht  erkennbar.  Ferner  ist  der 
Delirant  zu  häufig  bloßer  Zuschauer  der  Halluzinationen,  die  ihn  als  MerkAvürdigkeit 
interessieren,  aber  nicht  weiter  angehen.  Das  kommt  wohl  beim  Tramn  nicht  vor. 
Die  verschiedenen  Arten  von  Fieberdelirien  scheinen  mehr  Ähnlichkeit  mit  den  Träumen 
zu  haben;  sie  sind  aber  noch  zu  wenig  studiert,  um  hier  in  Betracht  gezogen  zu  werden. 
Die  meisten  Fieberdelirien,  die  ich  gesehen,  konnte  ich  leicht  von  der  Schizophrenie 
unterscheiden. 


)  Ls  18t  merkwürdig,  wie  Pilcz  und  Lasegue  finden  können,  daß  „paranoische 
Kranke  (nach  unserer  Nomenklatur  meist  Schizophrene)  nicht  von  ilircn  Wahnvorstellungen 
träumen  (Kraepelin  388.  L,  S.  153),  während  wir  mit  unseren  Beobachtungen  durchaus 
nicht  allem  stehen:  Kahlbaum,  Kraepelin  (vgl.  A.  Bd.  18,  S.  222),  Sante  de  Santis 
V.  Krafft-Ebing  haben  die  gleichen  Beobachtungen  gemacht  wie  wir,  und  einer  unserer 
f-atienten  formulierte  spontan  die  auch  anderen  Kranken  vielfach  bekannte  Tatsache  mit 
den  Worten^   „Das  Traumleben  der  Menschen  ist  identisch  mit  der  Stimmensphäre  der 


358 


.ScUizophreiiie. 


il)  Die  katatonen  Symptome. 

1,  Allgemeines.  ' 

Bis  jetzt  gibt  es  keine  annehmbare  Erklärung  der  katatonen  Symptomenreihe. 
Es  ist  zwar  leicht  zu  sehen,  daß  Analogien  dazu  bestehen  in  den 
Handlungen  des  Gesunden,  die  neben  dem  Gebiet  einer  konzentrierten  Auf- 
merksamkeit ablaufen.  Man  dreht  während  einer  Eede  einen  bestimmten  Knopf, 
zeichnet  während  gespannter  Aufmerksamkeit  stereotype  Figuren;  Newton  blieb 
einen  Tag  lang  in  ein  Problem  versmiken  mit  dem  Strumpf  in  der  Hand  auf  seinem 
Bettrand  sitzen.  Man  ist  geneigt,  einem  einfachen  Befehl  automatisch  zu  gehorchen, 
wenn  die  Aufmerksamkeit  in  anderer  Eichtung  fixiert  ist.  Dennoch  kann  man  diese 
Symiptome  bei  der  Schizophrenie  nicht  auf  eine  bloße  Aufmerksamkeitsstörmig  zurück- 
führen, schon  deshalb  nicht,  weil  sich  eine  solche  gar  nicht  immer  nachweisen  läßt. 
Zu  erwähnen  ist  der  merkwürdige  Versuch  Alters,  einen  Teil  der  katatonen  Sym- 
ptome aus  der  ,, auslöschenden  Wirkung  der  Aufmerksamkeit"  (also  nicht  aus  eijier 
Herabsetzung  derselben)  zu  erklären.  Negativismus,  Automatismen,  Stereotypien 
sind  nach  ihm  zum  Teil  psychisch,  zum  Teil  motorisch  bedingt.  Der  intrapsychische 
Vorgang  ist  so  aufzufassen,  „daß  in  den  entsprechenden  Fällen  gemäß  einer  sejmiktiven 
Störmig,  die  wohl  in  der  Norm  mit  einem  starken  Bewußtseinswert  ausgestattete 
Kongruenz  der  räumlichen  Komponente  der  Bewegxmgswahrnehmung  mit  der  des 
Bewegmigswillens  nicht  zustandekommt,  und  infolgedessen  der  korrekte  Abschluß 
einer  vollzogenen  Bewegung  nicht  bewußt  wird  . .  .  ."  —  Lundborg  meint,  die  psychi- 
schen Symptome  der  Katatonie  kommen  von  Insuffizienz  der  Thyreoidea,  die  motori- 
schen von  Insuffizienz  der  Parathyreoidea ;  für  mich  hat  er  diese  Auffassmig  nicht 
einmal  möglich,  geschweige  wahrscheinlich  gemacht.  —  Schuele  (680)  brmgt  katalepti- 
forme  Zufälle  (Raptus,  Abstinenz,  Mutismus)  mit  Onanie  oder  Uterinleiden  in  Ver- 
bindung, während  die  Wer  nicke  sehe  Schule  die  hyperldnetische  MotiHtätspsychor:e 
den  häufigsten  Typus  der  Menstrualpsychose  nennt.  Allerdmgs  ist  es  nicht  unwahr- 
scheinlich, aber  auch  nicht  bewiesen,  daß  die  katatonen  Symptome  mehr  Beziehmigen 
zur  Sexualität  haben  als  andere  sekundäre  Erscheinungen  der  Schizophrenie. 

Es  ist  anzunelimen,  daß  die  katatonen  Sjnnptonie  keine  einheitliche  Gruppe 
bilden.  Zum  Teil  werden  sie  wohl  nur  dadurch  zusammengehalten,  daß  die 
meisten  derselben  ein  Zeichen  stärkerer  Intensität  der  Krankheit  sind.  Doch 
kommen  z.  B.  Zwangshandlimgeu  auch  bei  ganz  leichten  Formen  vor;  wir  können 
sie  aber  nicht  wohl  von  den  anderen  katatonen  Automatismen  trennen. 

So  fehlt  uns  ein  einheitlicher  Gesichtspunkt  für  die  Betrachtung  der  Genese 
aller  katatonen  Erscheinungen. 

2.  Stupor, 

Da  wir  das  äußere  Bild  des  Stupors  nicht  als  eüa  emheithches  Sjonptom  be- 
trachten, sei  auf  die  Aufzählung  seiner  verschiedenen  Ursprünge  hmgewiesen  (S.  152). 
Außerdem  macht  durch  ödem  von  Pia  und  Hirn  oder  eine  andereArt  von  Hirn- 
schwellung entstandener  Himdruck  stuporartige  Erscheinungen.  Daß  aber  enie  aU- 
gemeine  Erschwermig  der  Hirnvorgänge  bei  Stupor  nicht  vorhanden  sem  muß. 
beweisen  die  früher  emähnten  Untersuchungen  von  Groß  mit  der  Schi-iftwage. 

3.  Der  Negativismus. 
Die  bisherigen  Theorien  über  die  negativistischen  Erscheinungen  sind  un- 
richtig oder  ungenügend,  wie  ich  glaube  bewiesen  zu  habend).  Der  Negativismus 

1)  Psychiatr. -neuro!  og.  W.  S.  1910/1911. 


Theorie.  Katatone  Symptome.  Stupor.  Negativismus. 


359 


ist  z.  B.  nichts  so  Einfaches,  daß  er  sich  von  der  Motilität  aus  erklären  ließe,  ganz 
abgesehen  davon,  daß  primäre  motorische  Störungen  bei  der  Schizophrenie 
noch  nicht  nachgewiesen  sind.  So  kann  zur  Zeit  eine  fertige  Theorie  nicht  auf- 
gestellt werden,  aber  als  Bausteine  einer  solchen  mögen  folgende  Bemerkungen 
dienen. 

Das  Verhältnis  der  Schizophrenen  zur  Außenwelt  ist  ein  anderes,  im  großen 
und  ganzen  feindliches  geworden.  Die  Patienten  leben  in  ihrer  autistischen  Welt. 
So  läßt  sich  denn  in  manchen  Fällen  direkt  nachweisen,  daß  sie  alle  Eeize  von 
außen,  die  sie  nicht  absperren  körjien,  als  unangenehme  Störungen  empfinden. 
Daraus  entspringt  negativistisches  Verhalten. 

JSTeben  dem  autistischen  Bedürfnis,  mit  seinen  Gedanken  und  Gefühlen 
allein  zu  sein,  fordert  der  Berührungsschmerz  der  Lebenswunde,  die  jeder 
schwerere  Schizophrene  mit  sich  herumträgt,  die  Abweisung  mancher  äußerer 
Einflüsse.  Wenn  man  bei  der  Analyse  oder  sonstwie  den  Komplex  berührt,  wird 
mancher  Patient  für  längere  Zeit  negativistisch.  Fragen,  die  den  Komplex  be- 
treffen, werden  bei  den  Kranken  noch  viel  häufiger  als  bei  Gesunden  zunächst 
negativ  beantwortet.  Man  kann  es  nach  Analogie  unseres  gewöhnlichen  Ver- 
haltens bei  körperlichen  Schmerzen  als  selbstverständlich  ansehen,  daß  nicht 
nur  die  geschehene  Berührung,  sondern  auch  die  mögliche  gefürchtet  wird, 
woraus  sich  der  andauernde  Negativismus  erklärt.  Wir  sehen  übrigens  auch  bei 
Gesimden,  namentlich  bei  Kindern,  daß  sie  deutlich  allgemein  negativistisch 
werden,  wenn  sie  einen  Schmerz  haben,  den  man  nicht  lindem  kann. 

Zur  Abwehr  fordert  auch  das  allgemeine  Verhalten  der  Umgebung  heraus, 
das  ja,  von  Seite  des  Patienten  gesehen,  ein  durchaus  feindliches  ist  (Einsperrung, 
Nichtberücksichtigung  der  wichtigsten  Wünsche  usw.).  Wir  sehen  deshalb  den 
Negativismus  zu-  und  abnehmen  mit  dem  Widerstand  von  Seite  der  Umgebimg. 

Es  kommt  hinzu,  daß  die  Kranken  vermöge  ihrer  Denlcstörung  die  Außen- 
welt nicht  genügend  verstehen.  Sie  haben  also  den  gleichen  Grund,  blindlings 
zu  widerstreben,  wie  manche  Epileptische  im  Dämmerzustand,  wie  erschreckte 
Kinder  und  Tiere.  Auch  dieser  Ursprung  des  Negativismus  läßt  sich  in  manchen 
Fällen  deutlich  sehen. 

Gibt  es  wirklich  schizophrene  Motilitätsstörungen,  so  müssen  auch  diese 
allen  Verkehr  mit  der  Außenwelt  unerwünscht  machen.  Sicher  aber  sind  viele 
Kranke  deshalb  abweisend,  weil  ihnen  aUes  Denken  und  Handeln  Mühe  macht. 

Auch  die  Se  xualität  spielt  mit.  Es  gibt  keinen  Affekt,  der  schon  normaliter 
so  sehr  ambivalent  wäre  wie  der  sexuelle  (namentlich  beim  weibhchen  Geschlecht 
der  Menschen  und  Tiere).  Wir  sehen  denn  auch  bei  negativistischen  Äußerungen 
recht  oft  deuthch  sexuelle  Mimik,  bald  verbunden  mit  Entrüstung,  bald  in  ver- 
schämter Weise,  je  nachdem  die  Empfindung  der  Annäherimg  eine  mehr  oder 
weniger  große  Lustkomponente  besitzt. 

Der  Schritt  vom  gewöhnlichen  Verhalten  zum  negativistischen  erscheint 
mcht  so  groß,  wenn  man  sich  klar  macht,  daß  jede  positive  Strebung  auch  eine 
negatave  Komponente  in  sich  hat  und  umgekehrt  (vgl.  Theorie  der  Ambivalenz) 
Es  braucht  also  em  nur  relativ  kleines  Übergewicht,  um  die  Wage  nach  der 
andern  Seite  ausschlagen  zu  lassen. 

Gerade  da,  wo  wir  eine  stark  ausgebildete  positive  Suggestibilität  finden 
ist  als  Gegensatz  oder  als  mehr  oder  weniger  bewußte  Schutzmaßregel  auch  die 


360 


Schizoi^hrenie. 


negative  Suggestibilität  stark  entwickelt  (Kinder,  Hysterische,  Senile).  Bei 
Schizophrenen  konstatieren  wir  in  der  Befehlsantomatie  einen  krankhaften 
Grad  der  Suggestibilität,  es  ist  also  zu  erwarten,  daß  auch  die  negative  Suggesti- 
bilität bei  ihnen  eine  hochgradige  sei.  Daß  sie  aber  oft  überwiegt,  dafür  sorgen 
die  zuerst  genannten  Fälschungen  des  Verhältnisses  zur  Umgebung. 

Daß  der  passive  Negativismus  in  den  aktiven  übergeht,  ist  selbstverständ- 
lich; man  muß  sich  im  Gegenteil  der  Torpidität  der  Schizophrenen  bewußt  sein, 
um  nicht  das  häufige  Vorkommen  des  bloß  passiven  Negativismus  auffällig  zu 
finden.  Wer  widerstrebt,  auf  Befehl  den  Mund  aufzumachen,  beißt  unwillkürlich 
die  Kiefer  aufeinander;  und  auch  in  komplizierteren  Dingen  macht  man  aus 
guten  Gründen  gerne  gerade  das  Gegenteil  von  dem,  wozu  man  gezwungen 
werden  sollte.  Der  aktive  Negativismus  im  Sinne  des  Dreinschlagens  ist 
natürlich  erst  recht  verständlich:  der  Angriff  ist  instinktiv  und  bewußt  die 
beste  Abwehr. 

Unsere  Auffassung  macht  es  auch  ohneweiters  begreiflich,  daß  sich  der 
Negativismus  oft  nur  bestimmten  Personen  gegenüber  äußert.  Diese  Personen 
sind  meist  die  Ärzte,  die  Wärter,  eventuell  Angehörige,  von  denen  der  Widerstand 
ausgeht,  oder  die  mit  den  Komplexen  in  Verbindung  stehen.  Die  Nebenpatienten, 
mit  denen  man  in  oberflächlicher  Berührung  steht,  reizen  nur  dann  zum  Ne- 
gativismus, wenn  der  Versuch  gemacht  wird,  sich  vollständig  einzuspinnen. 

Wie  der  Bruch  mit  der  Außenwelt  den  äußeren  Negativismus 
hervorbringt,  so  der  innere  Zwiespalt  den  inneren.  Bei  Gesunden,  die 
von  verschiedenen  Trieben  hin-  und  hergerissen  werden,  sehen  wir  das  Symptom 
ganz  deutlich.  Bei  der  Zerklüftung  der  schizophrenen  Psyche  muß  es  viel  öfter 
und  stärker  in  die  Erscheinung  treten.  Die  Patientin  kann  so  gespalten  sein,  daß 
sie,  während  sie  ungeniert  ihr  Gelüsten  an  einer  für  andere  bereit  stehenden 
Speise  befriedigt,  gleichzeitig  mit  Worten  sich  rechtfertigt,  sie  nehme  nichts. 

An  der  Wurzel  des  rein  intellektuellen  Negativismus  haben  wir  mit  anderen 
eine  allgemeine  Neigung  zu  Kontrastassoziationen  gesucht.  Sie  läßt  sich  aber  nicht 
nachweisen.  Dafür  haben  wir  bei  Besprechung  der  intellektuellen  Ambivalenz 
gesehen,  wie  nahe  die  Antithese  der  These  steht,  und  bei  dem  Unbehagen,  mit 
dem  viele  Patienten  ihr  eigenes  Denken  betonen,  bei  der  Unklarheit  der  inneren 
Vorgänge,  bei  der  Notwendigkeit,  die  Dinge  anders  als  gewöhnlich  anzusehen 
und  sich  vorzustellen,  ist  es  selbstverständlich,  daß  oft  statt  eines  Gedankens 
oder  statt  bestimmter  Worte  ihr  Gegenteil  zum  Vorschein  kommt.  Die  früher 
erwähnten  affektiven  Gründe  begünstigen  das  Auftreten  des  Kontrastes  statt 
der  primären  Vorstellung;  da  sie  aber  die  intellektuellen  Vorgänge  nicht  so 
stark  beeinflussen  wie  den  Willen,  so  ist  es  verständlich,  daß  der  intellektuelle 
Negativismus  viel  seltener  und  namentlich  lange  nicht  so  konsequent  ist  wie 
der  des  Willens.  Doch  glaube  ich,  daß  wir  noch  eine  Wurzel  desselben  zu  finden 
haben,  die  uns  auch  erklärt,  warum  z.  B.  im  Traum  geradezu  mit  Vorliebe  eine 
Idee  dujch  ihr  Gegenteil  dargestellt  wird. 

Daß  viele  Wahnideen  und  Halluzinationen,  wenn  nicht  zu  Negativismus, 
so  doch  zu  negativistischem  Benehmen  führen  müssen,  ist  selbstverständlich. 
Doch  ist  oft  der  Zusammenhang  ein  umgekehrter,  indem  z.  B.  Halluzinationen 
durch  den  Negativismus  determiniert  werden. 


Theorie.  Katatone  Symptome.  Motorische  Symptome. 


361 


4.  Die  motorischen  Symptome. 

Beobachtmigen,  die  zwingend  auf  eine  Entstehung  motorischer  Symptome 
in  spezifisch  veränderten  motorischen  Eindenzentren  oder  an  noch  periphererer 
Stelle  hinwiesen,  sind  noch  nicht  publiziert  worden.  So  stehen  auch  die  Loka- 
lisationsversuche,  die  gerade  hier  am  häufigsten  gemacht  worden  sind,  in 
der  Luft.  So  weit  wir  wissen,  sind  alle  motorischen  Symptome  in  Entstehen  und 
Vergehen  von  psychischer  Einflüssen  abhängig.  Diejenigen,  die  man  analysieren 
kann,  lassen  sich  oft  restlos  auf  psychischem  Wege  erklären.  Dennoch  ist  es 
nicht  auszuschließen,  daß  irgendwo  im  motorischen  Apparat  Alterationen  vor- 
kommen, die  einen  Teil  der  Symptome  hervorbringen  oder  die  dazu  nötige 
Disposition  schaffen  (man  denke  an  die  erhöhte  Erregbarkeit  der  Muskulatur). 

Es  ist  uns  aber  noch  nicht  gelungen,  Spuren  davon  zu  finden  und  z.  B. 
den  primären  Zerfall  der  Assoziationen  in  der  Motilität  nachzuweisen. 

Me  ynert  hielt  gemäß  seiner  Theorie  vom  Antagonismus  der  höheren  und  tieferen 
Zentren  diejenigen  Störmigen,  die  man  als  Reizsymptome  auffassen  kann,  für  eine 
Folge  der  gesteigerten  Tätigkeit  subkortikaler  Zentren  bei  kortikaler  Schwäche 
(i73,  S.  193).  Die  Theorie  ist  1898  von  F.  Lehmann  wieder  aufgegriffen  worden. 
Demgegenüber  muß  ich  betonen,  daß  bis  jetzt,  ganz  abgesehen  von  den  Schwächen 
der  Meynert  sehen  Ernährungstheorie,  noch  nicht  ein  Wahrscheüahchkeitsgrimd  an- 
geführt worden  ist,  der  uns  veranlaßte,  bei  miserer  Krankheit  auf  die  Tätigkeit  sub- 
kortikaler Zentren  zu  rekurrieren.  Choreatische,  athetotische,  tetanische  Erscheinmi  gen 
sind  etwas  ganz  anderes  als  die  motorischen  Sjonptome,  die  der  Schizophrenie  ange- 
hören. Auch  die  Bewegungen  der  Idioten  habe  ich  noch  nie  mit  katatonen  verwechselt; 
sie  haben  ihren  Zweck  offenbar  in  sich,  sie  sind  ein  Ausdruck  der  uns  allen  imie- 
wohnenden  Bewegungsfreude.  Ich  möchte  nun  nicht  sagen,  daß  die  gleichen  Be- 
wegungen nicht  gelegentlich  einmal  bei  der  Schizophrenie  vorkommen  könnten, 
es  hat  ja  auch  mancher  nicht  imbezille  Rentier  die  Stereotypie,  die  Daumen  umein- 
ander zu  drehen.  Aber  der  Schizophrenie  gehören  solche  Bewegungen  nicht  an.  Ebenso- 
wenig die  Rhythmen.  Doch  geben  unsere  Beobachtimgen  der  Ansicht  von  Fauser 
und  Kraepelin  (397)  recht,  daß  bei  derKatatonie  die  natüriiche Neigung  zuRhythmen 
ungehemmt  zum  Vorschem  kommen  könne  —  aber  nm*  m  dem  Sinne,  daß  eben  der 
Katatoniker  zuweilen  Rhythmen  benutzt,  wo  der  gesunde  sie  miterdrücken  würde. 
Der  Zurückführung  eines  großen  Teiles  der  schizophrenen  Motilitätsäußerungen  auf 
angeborene  Mechanismen  widerstrebt  die  Symptomatologie  sehr  bestimmt. 

Am  eingehendsten  hat  Schneie  (679)  die  Motilitätsstö  rmigen  studiert.  Trotz 
semer  glänzenden  Beschreibung  kann  ich  aber  semen  Unterscheidmigen  nicht  folgen. 
Etwas,  was  man  Krämpfe  nennen  könnte,  sehe  ich  fast  nie;  wohl  aber  beobachten 
wir  Zwangsbewegungen,  aber  sie  entsprechen  nicht  der  Schucleschen  Beschreibung; 
diese  schildert  Bewegungen,  die  wir  zum  größten  Teil  den  Stereotypien  zuteilen  würden! 
Psychisch-reflektorische  und  zerebral-reflektorische  Bewegungen  vermag  ich  nicht  zu 
unterscheiden.  Eine  einfach  tonische  Kontraktur  ist  mir  noch  lange  kein  „plump  muslai- 
lares"  Symptom.  Schucle  spricht  auch  von  emerÄndermig  der  muskulären  Molekular- 
konstitution bei  Flexibilitas  cerea;  ich  weiß  nicht,  worauf  sich  die  Aimahme  stützt. 

Schuele  und  Wernicke  leiten  auch  gewisse  Sonderbarkeiten  der  Haltung  und 
ähnliches  von  Parästhesien  oder  im  speziellen  von  „Störmigen  im  Bewußtsein  der 
Körperlichkeit"  her.  Man  kann  aber  diese  Parästhesien  meist  nicht  finden  Tikarti<Ten 
Bewegungen  können  sie  allerdings  zugrunde  liegen,  doch  gehören  solche  nicht  direkt 
der  Katatome  an^). 

1)  Kraepelin  (388,  IL.  S.  761/2)  kennt  bei  Phobien  Ticks,  die  Symbole  sind-  diese 
haben  dann  die  gleichen  Mechanismen  wie  katatone  Stereotypien. 


362 


Schizophrenie. 


Wo r nicke  kann  die  dauernden  Muskelspannungen  nicht  mit  Willenstätigkeit 
in  Beziehung  bringen.  GeAvisse  Bewegungen  nennt  er  „pseudospontan",  was  wohl 
nur  einen  negativen  Begriff  bezeichnen  kann,  d.  h.  etwas,  was  weder  spontan  noch 
automatisch  ist.  Die  Flexibilitas  ist  ihm  der  spezifische  Rindenreflex  auf  passive 
Bewegiuigen.  Anton  (19)  brmgt  die  katatone  Steifheit  in  Zusammenhang  mit  der 
Steifheit  bei  Exstirpation  des  Großhirns.  Alter  findet  eine  spezifische  Erkrankung 
der  Träger  der  Storchschen  Stercopsyche'^). 

Kleist  unterscheidet  mehrere  Arten  von  Bewegungsstörungen,  die  er  in  besondere 
Hirnbahnen  verlegt.  So  weit  ich  katatonische  Bewegungsstörungen  analysieren  konnte, 
waren  sie  immer  abhängig  von  psychischen  Einflüssen,  und  wenn,  was  ja  vorkommt, 
bestimmte  Symptome  auf  eine  stärkere  Lokalisation  des  Prozesses  in  einer  bestimmten 
Hirnpartie  hindeuteten,  so  hatten  diese  Erscheiniuigen  niemals  katatonen  Charakter, 
sondern  den  der  gewöhnlichen  Herdsjonptome ;  speziell  sind  die  schizophrenen  Sprach- 
symptome (Mutismus,  Verbigeration,  Maniriertheit,  Neologismen)  von  den  aphasischen 
Störmigen  prinzipiell  verschieden.  Eine  Alteration  des  ,,Sth'nhirn  —  Kleinhirnsystems" 
habe  ich  auch  einmal  bei  einer  Katatonischen  auftreten  sehen;  die  Puikinj eschen 
Zellen  waren  zugrmide  gegangen  und  die  Corpora  caudata  atrophiert.  Die  dadurch 
erzeugten  Bewegungsstörungen  imterschieden  sich  aber  auf  den  ersten  Blick  von  denen 
der  übrigen  400  schizophrenen  Anstaltsinsassen.  Von  ,,choreatischen"  Störungen,  die 
der  Schizophrenie  angehören,  habe  ich  bei  gewiß  intensiv  wie  extensiv  nicht  geringer 
Erfahrung  nie  eine  Spur  gesehen.  Wenn  die  Wer  nicke  sehe  Schule  von  solchen  spricht, 
so  ist  das  nur  deshalb  möglich,  weil  sie  sich  einen  Begriff  von  choreatischen  Bewegungen 
gemacht  hat,  der  über  das  hinausgeht,  was  man  bei  den  Choreaformen  sieht.  Die 
Lokalisation  in  einzelne  Muskelgruppen  läßt  sich  anatomisch  lange  nicht  so  em- 
leuchtend  begründen  wie  psychisch,  ganz  abgesehen  davon,  daß  in  manchen  einzelnen 
Fällen  die  psychische  Genese  zu  beweisen  ist.  Ein  Schnauzkrampf  ist  erklärlicher  als 
Zeichen  der  Verachtmig  wie  als  lokalisierter  Tonus  der  Hervorstrecker  der  Lippen, 
vmd  die  plötzliche  Intensitätsschwankungen  von  Null  bis  zum  Maximum  unter  psychi- 
schen Einflüssen  sind  doch  nur  dann  verständlich,  wenn  wenigstens  die  Auslösung  der 
Symptome  eine  psychische  ist. 

Man  hat  die  Katalepsie  indieMuskehi  verlegen  wollen;  Schneie  (680)  nimmt 
pathologische,  vielleicht  infelitiöse  Zustände  der  Muskulatur  an.  Kahlbaum  nennt 
sie  in  wenig  klarer  Weise  ein  zerebrospinales  Symptom.  Rieger  meint,  „die  ganze 
Lösung  des  Geheimnisses"  liege  darin,  daß  die  antagonistischen  Muskeln  gleich  stark 
wie  die  Protagonisten  iimerviert  werden.  Die  Schwierigkeit  spontaner  Bewegungen 
würde  für  die  letztere  Auffassung  sprechen,  wenn  sie  nur  nicht  in  so  vielen  Fällen 
fehlte.  Dann  sehen  wir  diese  antagonistische  Innervation  nicht  so  recht,  wenn  nicht 
Negativismus  sie  bedingt. 

Uns  scheint  es  unzweifelhaft,  daß  das  Symptom  auf  einer  allgemeineren, 
noch  nicht  näher  bekannten  Disposition  psychisch  ausgelöst  wird.  Nur  eine 
solche  Auffassung  kann  dem  raschen  Wechsel  unter  psychischen  Einflüssen 
gerecht  werden.  Leider  ist  das  ziemlich  alles,  was  wir  sagen  können.  Wenn  wir 
aUerdings  zusehen,  wo  wir  das  physiologische  Prototyp  der  Katalepsie  finden, 
so  wird  es  wahrscheinlich,  daß  das  Phänomen  etwas  zu  tun  hat  mit  der  Störung 
des  Gedankenablaufes.  Wir  sehen  Andeutungen  von  Katalepsie  beim  Gesunden, 
wenn  er  absorbiert  ist  (Newton!)  oder  wenn  seine  Gedanken  nicht  weiter 
kommen,  z.  B.  in  der  Ermüdung.  Man  behält  dann  etwa  eine  zufällig  ein- 
genommene Stellung  des  Körpers  oder  eines  Gliedes  bei.  Auch  bei  anderen  Psy- 

1)  Vgl.  forner  die  Besprechung  durch  Neisser  (512)  und  Roller. 


Theorie.  Katatone  Symptome.  Motorische  Symptome. 


363 


chosen  ist  Katalepsie  regelmäßig  mit  einer  starken  Störung  im  Gedankenablauf 
verbunden.  Kiklin  (612,  S.  306)  nimmt  einen  Zusammenhang  mit  Mono- 
ideismus an. 

Wirldiche  Bewegungsunfähigkeit,  die  unabhängig  vom  bewußten  oder 
unbewußten  Willen  des  Patienten  oder  direkt  im  Gegensatz  zum.  bewußten  Willen 
ist,  und  die  mit  oder  ohne  Begleit  kataleptischer  Erscheinungen  vorkommt, 
hat  gewiß  sehr  verschiedene  Gründe.  Bei  der  organischen  Benommenheit  wird  die 
Schwierigkeit  der  Bewegungen  ein  Teilzustand  des  allgemeinen  Hirnzustandes 
sein.  Dann  gibt  es  gewiß  Ausschaltungen  der  Motilität  nach  Analogie  der  des 
Schlafes;  sie  können  dann  empfunden  werden  wie  beim  Alpdrücken  oder  un- 
bewußt bleiben  wie  im  gewöhnlichen  Traum.  Sperrungen  und  Einwirkungen 
abgespaltener  Komplexe  überhaupt  hindern  natürlich  die  Motilität  oft.  Hallu- 
zinationen und  Wahnideen  und  die  autistische  Abschließung  von  der  Umgebung 
verbieten  oft  Bewegungen  oder  vermindern  die  Antriebe  dazu.  Alle  oder  doch 
mehrere  dieser  Momente  mögen  sich  oft  beim  gleichen  Patienten  zusammen- 
finden. Es  ist  dann  meist  unmöglich,  den  Anteil  jedes  einzelnen  derselben  am 
Zustandekommen  der  Bewegungslosigkeit  festzustellen. 

Die  Bewegungen  der  motorisch  erregten  Katato  nien,  das  Turnen, 
Wirbeln,  Grimassieren  usw.  sind  für  uns  psychisch  bedingt ;  Beobachtung  und 
Besprechung  derselben  mit  den  Patienten  gaben  uns  bis  jetzt  keine  Anhalts- 
pimkte,  andere  Ursachen  zu  vermuten. 

Für  die  Echopraxie  wird  wohl  bei  der  Katatonie  die  gleiche  Erklärung 
gültig  sein,  wie  sie  auch  an  anderen  Orten  angewandt  wird:  jede  Wahrnehmung 
einer  Bewegung  übt  einen  mehr  oder  weniger  starken  Keiz  zur  Nachahmimg 
aus,  der  aber  unter  normalen  Umständen  durch  die  anderen  Assoziationen  unter- 
drückt wird.  Wenn  nun  die  übrigen  Assoziationen  ausfallen  oder  geschwächt 
sind,  so  kann  dieser  Keiz  sich  geltend  machen.  So  sehen  wir  denn  auch  hier  Echo- 
praxie meist  in  Verbindung  mit  Benommenheit  und  ähnlichen  Zuständen;  sie 
kommt  aber  auch  zuweilen  sonst  vor,  und  das  zeigt  uns,  daß  wir  ihre  Genese  nicht 
ganz  kennen.  Manchmal  mag  die  optische  oder  akustische  Fesselung  dem  Sinnes- 
eindruck ein  Übergewicht  geben  und  zugleich  die  anderen  Assoziationen  hemmen; 
unter  anderen  Umständen  kann  der  Patient  mehr  oder  weniger  bewußt  in  einer 
vorgemachten  Geste  zugleich  eine  Aufforderung  zur  Nachahmung  sehen.  Alle 
diese  Vermutungen  können  uns  aber  nicht  genügen. 

Der  M  u tis  m  usi)  ist  oft  bloße  Teilerscheinung  der  aUgemeinen  Bewegungs- 
losigkeit, sei  diese  durch  Katalepsie  oder  Spannung  bedingt.  Der  Hauptgrund 
des  chronischen  Mutismus  liegt  aber  gewiß  in  drei  Grundursachen,  die  sich  zum 
Teil  decken:  m  der  Interesselosigkeit;  die  Patienten  haben  gar  nichts  zu 
sagen;  m  dem  Autismus:  die  Patienten  woüen  überhaupt  keinen  Verkehr  mit 
der  Außenwelt;  und  im  Negativismus:  die  Patienten  wollen  gerade  das  nicht 
was  man  normaliter  von  ihnen  erwarten  sollte.  Andere  Gründe,  wie  die  Schwieri«- 
keit  der  Wortfindung,  die  sich  bei  apraxieähnlicher  Benommenheit  etwa  nach- 
weisen laßt,  dann  Wahnideen  mögen  in  einzeken  FäUen  mitbeteiligt  sein. 

Nicht  ohne  Bedeutung  für  die  Auffassung  des  Symptoms  wird  es  sem,  daß  es 
üie  Neigung  hat,  bei  der  Lösung  von  Stuporzuständen  zuletzt  zu  verschwmden. 

^)  Vgl.  auch  Sohuele  (680). 


364 


Scbizoplirenie. 


5.  Katatone  Komplexsymptome. 

Alltomatismen.  Die  Abspaltung  der  Komplexe  macht  ohneweiters  die 
Automatismen  verständlich.  Die  im  Unbewußten  tätigen,  abgespaltenen 
Strebungen  unserer  Psyche  kommen  unter  Umständen  im  Handeln  und  Denken 
zur  Wirkung. 

Ist  der  Patient  einer  Analyse  zugänglich,  so  kann  man  fast  immer  den 
Komplex  hinter  den  Automatismen  finden.  Wo  der  Zusammenhang  nicht  auf- 
zudecken ist,  muß  man  sich  daran  erinnern,  daß  alle  möglichen  zufälligen  Er- 
eignisse mit  dem  Komplexe  assoziiert  werden  können,  so  daß  in  weit  vor- 
geschrittenen Fällen  analog  wie  bei  den  Wahnideen  eine  Verallgemeinerung  des 
Prozesses  eintreten  kann. 

Es  ist  ferner  möglich,  daß  bei  gewissen  Stadien  des  schizophrenen  Pro- 
zesses der  Zerfall  der  psychischen  Tätigkeit  so  hochgradig  sein  kann,  daß  auch 
wenig  gefühlsbetonte  Komplexe,  vielleicht  solche  von  irgend  einer  zufälligen, 
von  außen  gegebenen  Aktualität,  selbständig  werden  können^). 

Aktionen,  die  aus  dem  Unbewußten  kommen,  müssen  dem  reflektierenden 
Patienten  natürlich  als  etwas  Fremdes  erscheinen^).  Sind  sie  mit  seinem  aktuellen 
Bewußtseinsinhalt  im  Widerspruch  und  verbinden  sie  sich  bei  der  Ausführung 
und  unmittelbar  vor  derselben  assoziativ  mit  diesem,  so  wird  die  bewußte 
Persönlichkeit  widerstreben  und  den  Antrieb  als  Zwang  fühlen.  Je  nach  der 
Stärke  dieses  Widerstandes  entstehen  dann  Zwangshandlungen  oder  bloß 
Zwangsideen. 

Freud  sagt,  daß  der  Zwang  im  Psychischen  immer  von  Verdrängung  herrühre. 
Bei  unseren  Kranken  erscheinen  die  Komplexe  zwar  gar  nicht  immer  verdrängt,  dennoch 
möchte  ich  den  Satz  Freuds  ohne  weitere  Studien  noch  nicht  als  für  die  Schizophrenie 
imgültig  erklären,  besonders  da  auch  Friedmann  mit  seiner  Theorie  von  den  „unab- 
geschlossenen Vorstellungen",  die  den  Zwangserscheinimgen  zugrunde  liegen  sollen, 
ganz  ähnliche  Ansichten  gewonnen  hat,  während  schon  Neu  mann  den  Zusammenhang 
zwischen  Sexualität  und  Mysophobie  kamite. 

Ist  die  Abspaltung  eine  so  starke,  daß  auch  bei  der  Ausführung  keine 
assoziative  Verbindung  mit  der  bewußten  Person  eintritt,  so  haben  wir  eine 
automatische  Handlung,  bei  der  der  Patient  wie  ein  Dritter  als  Zuschauer 
fimgiert.  In  Zwischenfällen  ist  bloß  der  motorische  Teil  in  Verbindung  mit  der 
Person.  Der  Patient  glaubt,  aus  sich  zu  handeln,  gibt  sich  aber  keine  Kechen- 
schaft  über  die  Gründe  und  widersetzt  sich  auch  nicht^). 

So  sind  die  Automatismen  ganz  den  Halluzinationen  und  Wahnideen 
an  die  Seite  zu  stellen;  sie  sind  Halluzinationen  des  Denkens,  Strebens  und 


1)  Affektstupor  kann  auch  bei  Gesunden  zu  katatonischen  Haltungen,  zu  Stereo- 
typien und  sogar  zu  Verbigeration  führen.  „Ein  Gesunder,  der  vorher  gleichmutig  über 
eine  Ölimmersion  gesprochen,  gercät  etwa  eine  halbe  Stunde  nach  dierem  Gespräche  durch 
einen  Toilettefehler  bei  Begegnung  mit  einer  Dame  auf  der  Treppe  in  Verlegenheit  und 
ertappt  sich  anschließend  dabei,  daß  er  vor  sich  hinmurmelt:  eine  Ölimmersion  -  eme 
Ölimmersion  _  eine  Ölimmersion."   -   Löwy,  Zeitschr.  f.  d.  gcs.  Neur.  u.  Psych., 

Daher  die  verschiedenen  Alten  von  „Störungen  des  AktiWtätsgefühles"  usw. 

^'''^  Ifwenn  der  Komplex  die  ganze  Persönlichkeit  in  Beschlag  nimmt,  so  sprechen  wir 
von  (hystsriformen)  Dämmerzuständen. 


Theorie.  Katatone  Symptome.  Komplexsymptome. 


365 


Wollens,  so  gut  wie  es  Halluzinationen  der  Erinnerung  gibt.  Mschungen  und 
Übergänge  der  verschiedenen  Symptome  ineinander  sind  deshalb  häufig.  Ein 
verheirateter  Mann  hat  sexuelle  Gelüste  gegenüber  einer  Verwandten;  nach 
einiger  Zeit  klagen  ihn  die  Stimmen  eines  Sittlichkeitsverbrechens  an;  dann 
flüstern  sie  ihm  zu,  er  werde  ein  Unglück  anrichten.  Er  fühlt  den  Zwang  in  sich, 
das  Unglück  selbst  anzurichten,  aber  erst  elf  Jahre  später  begeht  er  ein  Attentat, 
nachdem  sich  der  Zwang  in  befehlende  Stimmen  umgesetzt  hat.  Ein  anderer 
hat  längere  Zeit  Zwangsgedanken,  dann  wird  ihm  „eine  Handlung  zugetrieben" 
(„Zwangsimpulse"),  dann  kommt  es  zu  Zwangshandlungen,  worauf  eine  „hyper- 
kinetische Motilitätspsychose"  ausbricht,  nach  der  der  Kranke  auf  Jahre  hinaus 
besser  ist  als  vorher,  wenn  auch  die  Katatonie  immer  noch  zu  diagnostizieren 
ist.  —  Ein  Hebephrenc  hatte  einmal  einen  Kollegen  „Sale  Juif"  geschimpft, 
wofür  er  getadelt  wurde.  Dann  bekam  er  die  Zwangsidee,  er  hätte  den  Ausdruck 
in  Briefe  hineingeschrieben,  und  mußte  diese  immer  wiedei  laut  lesen ;  später 
kam  der  Zwang,  das  Wort  auszusprechen,  der  sich  mit  der  Zeit  zu  einer  um- 
fangreicheren Koprolalie  verallgemeinerte. 

Auffallender  weise  behaupten  manche  Autoren  (im  Gegensatz  zu  anderen  z.  B. 
Schuele),  Zwangsvorstellungen  kombinieren  sich  nicht  mit  Psychosen  (z.  B. 
Thomsen).  Richtig  ist  nur,  daß  bei  den  Zwangsvorstellungen  der  Schizophrenie 
meist  sehr  früh  Symptome  der  letzteren  Kranldieit  deuthch  werden,  so  daß  man  sie 
in  den  Vordergrund  stellt,  mid  vielleicht  ist  auch  richtig,  daß  sich  die  Formen  von 
puren  Zwangsvorstellmigen,  wenn  einmal  die  Schizophrenie  ausgeschlossen 
ist,  sehr  selten  mit  eigentUchen  Psychosen  kombinieren. 

Es  muß  auch  daran  erinnert  werden,  daß  Bewegungen  wie  Klettern  infolge  der 
Idee,  eine  Katze  zu  sein,  Übergänge  zu  Automatismen  sein  köimen,  aber  durchaus 
keine  Zwangsbewegimgen  sein  müssen  (Decsi,  158)  mid  daß  in  ähnlicher  Weise  gerade 
gegenüber  der  Schizophrenie  die  Neigung  besteht,  den  Begriff  der  Zwangserschemungen 
ungebührlich  auszudehnen. 

Viele  brauchen  für  motorische  Automatismen  den  Namen  von  Trieb- 
handlungen. Dieser  sollte  beschränkt  bleiben  auf  Triebe  mfolge  bestehender 
Bedürfnisse  (Nahrungstrieb,  Erhaltmigstrieb,  Selbstmordtrieb),  deren  letzte  Motive 
bewußt  smd.  Leider  haben  wir  allerdings  für  die  Pyro-  mad  Kleptomanien  mid  ähnliche 
vieldeutige  Symptomenkomplexe  kern  anderes  deutsches  Wort.  Für  die  Schizophrenie 
mdes  kommt  diese  Ungenauigkeit  nicht  m  Betracht,  ihre  Automatismen  sind  von 
der  Person  mehr  oder  weniger  mmbhängige,  aber  keine  „triebartigen"  Handlungen 
m  emem  der  obigen  Sinne. 

Eme  gute  Beschreibung  der  automatischen  Symptome  ist  es,  weim  Berze  (59) 
mi  Anschluß  an  Wandt  darauf  Gewicht  legt,  daß  der  Bewßtseinsmhalt  msofern 
verändert  sei,  daß  er  nicht  „als  aktiv  gewoUter",  sondern  als  „passiv  erlebter"  zur  Er- 
schemung  komme;  das  so  bezeichnete  Sjonptom  ist  aber  nicht  charakteristisch  für  eme 
irgendwie  umgrenzte  Paranoia,  während  es  eben  bei  der  Schizophrenie  alltäglich  ist 
_  Anhaltspunkte  zu  emer  lokalisatorischen  Auffassung  der  Automatismen  existieren 
bis  jetzt  nicht;  ein  „automatisme  dans  les  centres  de  la  langue"  (Arnaud  in  Ballet 
b.  542)  ist  natürhch  eine  ganz  migenügende  Erklärmig  für  Dinge  von  so  großer  affek- 
tiver Bedeutung.  Auch  die  Einteilung  in  primäre  und  sekundäre  zerebrale  mid  zere- 
brospmale  Automatismen  (Brugia  mid  Marzocchi)  steht  natürlich  ganz  in  der 
i.utt.  Mit  den  ahnhchen  Auffassmigen  Schueles  können  wir  von  miser.^m  Standpmikt 
aus  nicht  rechten^).  ytuiKu 


Anfn^v,  I^iii-ch  posthypnotische  Suggestionen  lassen  sich  die  verschiedenen  Arten 
Automation  experimentell  hervorrufen. 


von 


366 


Scbizoplirenie. 


Bei  einem  Teil  der  sonderbaren  Einfälle  läßt  sich  leicht  nachweisen, 
daß  sie  plötzlich  aus  dem  Unbewußten  auftauchen.  Die  Liederverse,  Bibelsprüche 
u.  dgl.,  die  zur  Verwunderung  der  Umgebung  und  oft  des  Patienten  selbst  auf 
einmal  ausgesprochen  oder  gesungen  werden,  haben  immer  Beziehungen  zu 
den  Komplexen  der  Patienten.  Ebenso  andere  abrupte  Aussprüche^).  Eine 
unserer  Kranken  äußerte  einmal  ohne  jeden  Zusammenhang  „es  steht  in  der 
Bibel,  man  müsse  zur  Samariterin  am  Jakobsbrunnen  kommen"  (Ev.  Joh.  IV). 
Sie  wurde  in  der  Krankheit  davon  geplagt,  daß  sie  —  wie  jene  —  mehrere 
Männer  gehabt,  zwei  eheliche  und  einen  vorehelichen. 

Das  bekannteste  Symptom  der  Komplextätigkeit  ist  das  unmotivierte 
Lachen. 

Freud  macht  (235,  S.  14o)  darauf  aufmerksam,  daß  bei  Analysen  die 
ICranken  oft  lachen,  wenn  ein  Komplex  getroffen  werde.  Wir  haben  das  bei 
Schizophrenie  manchmal  gesehen;  und  unsere  Beobachtungen  deuten  darauf 
hin,  daß  das  ominöse  Lachen  unserer  Kranken  immer  diesen  Ursprung  habe; 
nur  kommt  die  Anregung  des  Komplexes  gar  nicht  immer  von  außen,  sondern 
viel  häufiger  von  innen.  Die  Kranken  wissen  meist  selbet  nicht,  warum  sie  lachen ; 
sie  empfinden  es  als  Zwang;  es  ist  also  hier  das  gleiche  Verhalten  wie  bei  anderen 
Komplexäußerungen, 

Ebenso  spricht  es  für  diese  Auffassung,  wenn  ein  periodischer  Hebephrene 
jeweüen  an  dem  Lachen  wieder  merkt,  wenn  ein  Anfall  kommt:  beim  Herannahen 
eines  neuen  Anfalles  kommen  ja  die  Komplexe  wieder  zur  Wirlamg.  Ein  früher  leicht 
ünbeziller  Patient,  der  erst  im  45.  Jahre  manifest  erkrankte,  soll  vorher  nie  gelacht 
haben;  im  Anfang  der  Krankheit  fiel  es  auf,  daß  er  lachte.  Im  folgenden  Falle  ist  der 
Zusammenhang  mit  dem  Komplex  sehr  deutlich:  eine  Patientin  hat  den  Alb,  der  sie 
einmal  drückte,  weiter  entwickelt  in  ,,eine  oder  zwei  Gummipuppen",  die  sie  mit  dem 
GeHebten  identifiziert.  Dieser  plagt  sie  mm  mit  den  Puppen,  drückt  sie,  würgt  sie, 
macht  ihr  Herzklopfen,  preßt  ihr  den  Kopf  zusammen  und  befiehlt  ihr,  lustig  zu  sein ; 
dann  muß  sie  den  ganzen  Tag  lachen. 

Das  ebenfalls  nicht  seltene  unmotivierte  Weinen  hat  natürlich  ähnlichen 
Grund. 

6.  Die  Manieren. 

Nicht  durch  Abspaltung,  sondern  vielmehr  durch  dauernde  Wirkung  der 
Komplexe  erklären  sich  die  Manieren  und  wenigstens  zum  Teil  die  Stereo- 
typien. Schon  der  normale  Mensch  hat  Neigung,  diejenigen  Äußerungen  zu  über- 
treiben oder  wenigstens  besonders  stark  hervortreten  zu  lassen,  die  seinen  Wün- 
schen entsprechen.  Der  Eitle  wird  sich  in  seiner  Kleidung  und  im  ganzen  Gebaren 
zu  erkennen  geben,  der  auf  seine  Körperkraft  Stolze  im  Gang  und  aUen  Be- 
wegungen. Aber  nicht  nur  die,  die  etwas  sind,  f8,llen  uns  auf,  sondern  noch  viel 
mehr  die,  die  etwas  sein  wollen,  was  sie  nicht  sind.  Beim  wirklich  Vornehmen 
ergibt  sich  die  vornehme  Haltung,  das  Vornehme  in  jeder  Bewegung,  von  selbst, 
es  ist  ein  Teil  von  seinem  Sein,  er  fäUt  deshalb  nicht  auf.  Bei  dem,  der  Vornehm- 
heit affektiert,  bemerkt  man  den  Gegensatz  zwischen  Natur  imd  Aäektation; 
die  gleichen  Bewegungen  sind  beim  einen  etwas,  das  zu  ihm  gehört,  beun  andern 

1)  Wie  bei  Gesunden.  Vgl.  Freud,  Psychologie  des  Alltagslebens,  und  Jung  (344, 

S.  62). 


Theorie.  Katatone  Symptome.  Manieren. 


367 


etwas  Fremdes;  wer  die  Form  nachahmt,  ohne  den  Inhalt  zu  verstehen,  kann  eben 
die  Form  nicht  dem  Inhalt  anpassen;  er  wird  z.  B.  auf  auffällige  Nebensachen 
ein  ungebührliches  Gewicht  legen;  der  Träger  natürlicher  geistiger  Kultur  mani- 
festiert die  größere  Unabhängigkeit  seiner  Finger  voneinander  in  allen  Bewegungen 
der  Hand;  der,  der  mehr  Kultur  zeigen  möchte,  als  er  hat,  sieht  nur,  wie  der  kleine 
Finger  nebenaus  gestellt  wird,  und  tut  das  in  extremer  Weise  bei  jeder  guten 
und  schlechten  Gelegenheit  usw.  So  auch  die  Schizophrenen;  nur  wird  da,  wo  die 
Kontrollo  fehlt  und  die  Komplexe  überhaupt  eine   viel  größere  Tyrannei 
entwickeln  als  bei  Normalen,  die  Übertreibung  noch  viel  stärker  werden.  Daher 
die  katatonische  Geziertheit,  das  lümmelhafte  Benehmen  der  Hebephrenen, 
die  lächerliche  Majestät  der  Megalomanen.  So  ist  es  auch  erklärlich,  daß  ein  Teil 
der  Manieren  ganz  bewußt  sind.    Ein  Hebephrene  legte  mir  sogar  seine  hohl- 
Idingenden  Neologismen  vor  und  wünschte  meine  Kritik,  von  der  er  allerdings 
nichts  als  Lob  erwartete.  Das  schnodderige  W esen  vieler  Hebephrenen,  verbunden 
mit  der  Neigung,  sich  wichtig  zu  machen,  die  höchsten  Probleme  anzugreifen, 
hat  man  als  einen  Symptomenkomplex  betrachtet,  den  der  Patient  aus  der 
Pubertät  herübergenommen  hätte.  Es  mag  sein,  daß  das  etwa  mitwirkt.  Bei 
unserem  schlimmsten  Repräsentanten    der    Flegeljahreigenschaften  war  es 
sicher  nicht  der  Fall;  so  lange  er  gesund  war,  besaß  er  diese  Eigenschaften  gar 
nicht;  seine  Krankheit  wurde  erst  anfangs  der  Zwanzigerjahre  manifest,  als  er 
längst  in  Stellung  war,  und  sie  war  eine  ausgesprochene  Katatonie.  Die  sym- 
ptomatologische  Ähnlichkeit  von  Pubertät  und  Schizophrenie  beruht  gewiß 
in  der  Hauptsache  auf  etwas  ganz  anderem:  junge  Leute  streben  gerade  -wie 
manche  Schizophrenen  gesellschaftlich  und  geistig  mehr  zu  scheinen,  als  sie  sind, 
das  äußert  sich  darin,  daß  sie  sich  über  die  Formen  wegsetzen,  und  daß  sie  sich 
mit  Dingen  beschäftigen  wollen,  die  eine  höhere  Intelligenz  verlangen.  So  erldärt 
sich  auch  teilweise  die  Neigung  zu  Fremdwörtern  und  zu  besonderer  Betonung 
derselben.  Kraepelin  hat  z.  B.  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  viel  Ka- 
tatoniker  „Herr  Doktor"  betonen.  Solche  Eigentümlichkeiten  fanden  wir  immer 
in  Verbindung  mit  einem  Komplex  von  Vornehmheit  und  Wichtigkeit. 

Auch  die  Neigung  zu  Diminutiven  und  das  oft  damit  verbundene  kind- 
liche Benehmen  überhaupt  erklärt  sich  auf  ähnliche  Weise.  In  einzelnen  Fällen 
konnten  wir  nachweisen,  daß  sie  der  Ausdruck  des  Kinderkomplexes  war.  Die 
Kranken  sprachen  zuerst  mit  ihren  eingebildeten  Kindern  in  dieser  Weise  und 
verallgemeinerten  dann  die  Manier,  besonders  wenn  der  Vater  des  Kindes  mit 
demselben  identifiziert  wurde.  Die  Diminutivform  kann  sich  aber  auch  ausschließ- 
lich im  Gespräch  mit  dem  Kind  erhalteni).  —  Heck  er  s  zweiter  Fall  sprach  im 
Offiziersjargon,  wohl  weil  sich  das  Mädchen  Hoffnung  auf  einen  Offizier  machte. 

Nicht  selten  wechsehi  die  Kranken  die  Manier  je  nach  dem  aktuellen 
Komplex  (Beispiel  S.  122). 

Auch  die  Stereotypien  haben  ihre  Analogien  beim  Gesunden,  der  bei  ab- 
gelenkter Aufmerksamkeit  nicht  aUzu  selten  stereotype  Bewegungen  oder  Zeich- 
nungen macht,  die  einen  versteckten  Komplex  verraten. 

Tn„.  ?  .ländliches  Benehmen  könnte  auch  einen  Traum  oder  sonst  einen  Komplex  aus  der 
Jugendzeit  andeuten,  worauf  mich  Bezzola  aufmerksam  machte;  ich  kenne  al,er  keh 
Beispiel  einer  solchen  Genese  bei  Schizophrenen. 


368 


Schizophrenie. 


Bei  den  schizophrenen  Stereotypien,  deren  Entstehung  man  verfolgen 
kann,  zeigt  sich  sehr  klar,  daß  sie  im  Zusammenhang  mit  einem  Komplex  stehen. 

Die  die  Schustorbewegung  nachmachende  alte  Jungfer  hat  vor  mehr  als  30  Jahren 
emen  Schuster  geliebt.  Die  Balanzierende  hat  bei  einer  Quadrille  ihren  Angebeteten 
kennen  gelernt.  Der  Geliebte  einer  bereits  Erkrankten  wird  zum  Besuch  angemeldet; 
die  Patientin  verbigeriert:  „das  ist,  er  ist"  bis  er  kommt,  und  behält  die  Gewohnheit'; 
später  verbigeriert  sie:  „mein  Lieber",  dann  dazwischen  auch:  „unser  Bübchen"! 
Eine  noch  als  Wärterin  brauchbare  Schizophrene  sagt  im  Gespräch  mit  beliebigen 
Personen  an  allen  möglichen  und  unmöglichen  Stellen:  „nicht  wahr,  Max";  so  hieß 
ihr  erster  Geliebter.  Sogar  Selbstmordversuche  kömien  nach  Abklmgen  des  Affektes 
in  stereotyper  Weise  wiederholt  werden. 

Eni  Kranker  gibt  mir  fast  bei  jeder  Visite  auf  einem  Zettel  vier  Worte,  die  an- 
deuten sollen,  wie  schlecht  man  ihn  behandelt  hat.  Kranke,  die  beständig  an  der 
Klinke  drücken,  hatten  früher  energisches  Begehren  hinaus  zu  kommen,  auch  wemi  sie 
jetzt  nichts  mehr  anzufangen  wissen,  sobald  man  ihnen  die  Türe  öffnet.  Solche,  die  die 
Schuhe  der  Anwesenden  oder  den  Boden  küssen,  haben  entweder  den  Komplex  der 
Niedrigkeit,  oder  sie  drücken  gelegenthch  auch  einmal  die  Liebe  zu  irgend  einer  Person 
so  aus.  Das  Wiegen  eüies  Gegenstandes  im  Arm  oder  die  gleiche  Bewegung  ohne  den 
Gegenstand  hängt  gewöhnlich  mit  dem  Kinderkomplex  zusammen.  Eine  Kranke 
zeichnet  eine  Menge  stilisierter  Münde;  diese  sagen:  ,,lobe  den  Herrn";  luid  aus 
anderen  Assoziationen  geht  hervor,  daß  der  „Herr"  ein  geliebter  Pfarrer  ist.  Die 
stereot}'pe  Berührmig  von  Axilla,  Mund,  Ohren  und  den  Genitalien,  die  von  einem 
Mädchen  tausendmal  im  Tag  ausgeführt  wird,  hängt  mit  dem  Onaniekomplex  zu- 
sammen; ebenso  Bewegmigen  der  Hände  bei  einem  Mami,  die  sich  mit  der  Zeit 
immer  mehr  von  den  Genitalien  entfernt  mid  dem  Mmide  genähert  haben ;  Fmger 
im  Mund,  im  Ohr  bedeuten  auch  oft  das  Gleiche.  Kopfbewegungen  sind  vor  unseren 
Augen  durch  Verlegung  von  Koitusbewegungen  entstanden.  Bei  zwei  Patienten  ließ  es 
sich  nachweisen,  daß  der  Schnauzkrampf  die  Verachtiuig  der  Umgebruig  bei  großer 
Zufriedenheit  mit  sich  selbst  ausdrückte^). 

Alle  diese  Deutmigen  sind  nicht  willkürlich,  sondern  von  den  Patienten  selbst 
gegeben  und  zum  Teil  objektiv  verifiziert;  die  Patienten  assoziieren  an  die  Stereotypie 
den  Komplex  und  umgekehrt  an  den  Komplex  die  Stereotypie.  Nicht  selten  geht 
deshalb  der  Zugang  zu  dem  Patienten  durch  die  Stereotypie.  So  war  die  balanzierende 
Katatonische  ganz  steif,  mutistisch  und  abweisend,  bis  man  mit  ihr  die  balanzierenden 
Bewegimgen  wie  im  Tanze  machte;  mit  einem  Schlage  war  sie  wie  umgewandelt; 
man  konnte  in  ihr  kaum  mehr  die  Kranke  erkennen;  sie  erzählte  von  ihrer  Liebschaft 
und  ihrer  Lebensgeschichte,  so  viel  man  wissen  wollte,  vollständig  klar  wie  eme  Gesmide. 
Das  Experiment  ließ  sich  noch  einige  Male  wiederholen,  bis  die  Fortschritte  der  schweren 
Katatonie  es  unmöghch  machten. 

Daß  sich  die  Stereotypien  mit  ihnen  ursprünglich  fremden  Gedanken 
assoziieren  können,  erscheint  in  Anbetracht  der  schizophrenen  Assoziations- 
eigentümlichkeiten selbstverständlich ;  daß  sie  sich  meist  mit  der  Zeit  vereinfachen, 
und  daß  sie  auch  sonst  Umwandlungen,  wie  Verlegung  sexueUer  Symptome  nach 
oben,  eingehen,  hängt  mit  allgemeinen  Eigenschaften  unserer  Psyche  zusammen. 

So  scheint  zunächst  die  Theorie  der  Stereotypien  gegeben:  sie  smd  Sym- 
ptomhandlungen in  Freudscheni  Sinne;  ein  Komplex,  der  immer  weiter  wirkt, 
findet  darin  seine  Entäußerung. 

1)  Nach  Darwin  verlängern  Orang-Utang  und  Schimpanse  die  Lippen,  weim  sie  un- 
zufrieden sind  (Dromard).  Auch  bei  kleinen  Kindern  sieht  man  das. 


Theorie.  Katatone  Symptome.  Manieren. 


369 


Einer  besonderen  Erklärung  bedarf  es  dann  allerdings,  daß  die  Stereotypien 
ein  so  zähes  Leben  haben.  Freud  und  Jung  geben  an,  daß  verdrängte  Affekte 
sich  nicht  abnutzen;  es  muß  aber  noch  nachgewiesen  werden,  daß  diese  aus  Er- 
fahrungen an  Nervösen  und  Gesunden  deduzierte  Regel  auch  für  die  Schizo- 
phrenie Gültigkeit  habe.  Wir  sehen  nun  aber,  daß  daselbst  Stereotypien  viele 
Jahre  lang  Komplexe  begleiten  können,  die  nicht  verdrängt  scheinen.  Ferner  treten 
in  Remissionen  Komplexe  oft  so  zurück,  daß  man  ihre  Affektbetonung  kaum 
mehr  nachzuweisen  vermag.  Es  ist  also  für  mich  noch  nicht  sicher,  weder  daß  die 
Verdrängung  die  Ursache  der  Beständigkeit  der  Stereotypien  sei,  noch  daß  die 
Komplexaffekte  sich  bei  der  Schizophrenie  nicht  doch  mit  der  Zeit  abschwächen 
können.  Allerdings  habe  ich  zur  Genüge  beobachtet,  daß  sich  Komplexe  mit 
ihren  Affekten  jahrzehntelang  an  Inhalt  und  Kraft  imverändert  erhalten  haben. 

Sei  dem  wie  ihm  wolle,  die  Erklärung  der  Stereotypien  als  Komplexsym- 
ptome möchte  vorläufig  genügen,  wenn  sich  nicht  die  Neigung  zu  Stereotypie- 
ningen bei  der  Schizophrenie  auch  außerhalb  der  Komplexe  nachweisen  ließe. 

Nicht  selten  wird  ein  zufällig  aufgegriffenes  Wort  lange  Zeit  verbigeriert.  Bei 
turnerischen  Freiübungen  können  einzelne  Patienten,  die  noch  gar  nicht  katatonisch  smd, 
nicht  rechtzeitig  mit  wiederholten  Bewegungen  aufhören;  mehrfach  habe  ich  beim 
Klavierspielen  beobachtet,  daß  sehr  gut  spielende  Kranke  an  einem  Triller  oder  an 
einer  anderen  Wiederholungsfigur  hängen  blieben.  Dromard  berichtet,  daß  die 
Patienten  die  Glieder  nicht  sinken  lassen,  wenn  man  die  Unterstützimg  plötzlich  weg- 
nimmt, und  daß  mitgeteilte  oszülierende  Bewegungen  nicht  mit  der  Ursache  aufhören. 
Hierher  gehört  es  vielleicht  auch,  daß  die  Mimik  so  oft  dem  Wechsel  der  Gefühle 
nachhinkt.  Bei  einem  Souffleur  war  es  das  erste  Zeichen  der  Krankheit,  daß  er  den 
gleichen  Satz  drei-  bis  viermal  soufflierte  mid  das  trotz  guter  Einsicht  nicht  lassen 
konnte.  Ein  Kranker  spült  den  Mund  und  kann  mit  den  Bewegungen  nicht  mehr  auf- 
hören, obwohl  er  kein  Wasser  mehr  im  Munde  hat;  ein  anderer  nickt  weiter,  wenn  er 
eine  Frage  mit  Nicken  beantwortet  hat,  staubt  eine  halbe  Stunde  lang  den  nämlichen 
Lappen  aus ;  beim  Benennenlassen  von  Bildern  findet  man  dann  und  wami  Persevera- 
tion ähnlich  wie  bei  organischen  Hirnkrankheiten,  ebenso  beim  Schreiben.  Ein  Hebe- 
phrene  hielt  an  einem  Fest  eine  leidHch  passende  Rede;  dreiviertel  Jahre  später  be- 
grüßt er  in  einer  andern  Rede  den  zurückkehrenden  Sekundararzt  und  brmgt  darüi 
viele  Sätze  aus  der  ersten  Rede  an,  die  gar  nicht  mehr  zum  Anlaß  passen.  Sommer 
(724)  fand  bei  wiederholtem  Rechnen  nach  8  Tagen  wieder  die  gleichen  Fehler  wie 
das  erste  Mal.  Bei  Leseversuchen  an  der  Tronunel  (Reiss,  S.  617)  imd  Schußplatte 
(Busch)  fand  man  Ähnliches.  Auch  passiv  gegebene  Bewegungen  können  zuweilen 
längere  Zeit  persistieren^).  —  Wiersma  vermutet  verlängerte  Nachdauer  der  Reize 
bei  „Paranoia". 

1)  Äußerungen,  die  ursprünglich  eine  affektive  Bedeutung  hatten,  können  sich  vom 
Komplex  loslösen  und  dann  eine  zufällige  Stereotj^ie  vortäuschen:  eine  Kranke  antwortete 
bei  der  Untersuchung  zunächst  jedesmal  „eben  das",  wenn  der  Komplex  getroffen  wurde. 
Nach  und  nach,  noch  in  der  gleichen  Unterredung,  wurde  das  Wort  immer  mehr  gebraucht 
und  schließlich  auf  alle  Fragen  als  erste  Antwort  gegeben.  Es  kommt  aber  gewiß  auch  vor, 
daß  zufällige  Äußerungen  mit  einem  Komplex  verbunden  werden,  ohne  daß  wir  einen  Zu- 
sammenhang auffinden.  Bei  jenem  balanzierenden  Mädchen  ist  die  Stereotypie  doch  ein 
recht  zufälliges  Symbol  für  den  Geliebten,  und  es  ist  bei  den  schizoplirenen  Assoziations- 
gesetzen leicht  möglich,  daß  z.  B.  ein  irgendwie  gehörtes  Wort  sich  definitiv  mit  einem 
Komplex  verbunden  habe.  Man  kann  aber  nicht  wohl  annehmen,  daß  in  allen  Fällen  wie  die 
oben  angeführten  solche  zufällige  Komplexverbindungen  den  Anlaß  zur  Stcreotvnierune 
gegeben  hätten.  ■'^  ° 

Handbuch  der  Psychiatrie:  Uleulor.  „. 

24 


370 


Scliizophronie. 


Trotzdem  sicli  diese  Neigung  zu  Stereotypierung  meist  nur  bei  akuten 
Schüben  Katatonischer  nachweisen  läßt  —  in  den  Assoziationen  chronisch 
Kranker  haben  wir  sie  immer  vermißt^)  — ,  kann  man  doch  nicht  annehmen, 
daß  diese  Disposition  ganz  ohne  Einfluß  auf  die  Entstehung  der  Stereotypien 
sei.  Wir  müssen  also  voraussetzen,  daß  beide  Ursachen  am  Zustandekommen 
der  Stereotypien  mitwirken;  die  allgemeine  Neigung  zur  Stereotypierung 
entspräche  der  Disposition;  die  Komplexwirkung  wäre  die  veranlassende  Ur- 
sache und  würde  zugleich  den  Inhalt  der  Stereotypie  bestimmen. 

Wahrscheinlich  kommt  noch  etwas  Drittes  hinzu.  Kra e  p el  i  n  macht  darauf 
aufmerksam,  daß  sich  bei  Störung  der  planmäßigen  Verfolgung  bestimmter 
Ziele  Nebenantriebe  geltend  machen  können,  und  daß  ohne  die  Hemmung  durch 
neue  Ziele  eine  einmal  bestehende  Handlung  große  Wahrscheinlichkeit  habe, 
immer  mehr  eingeübt  zu  werden ;  so  wären  die  Stereotypien  Willenserregungen, 
deren  Ziel  durch  den  vorhergehenden  Vorgang  bestimmt  ist.  Wir  sehen  ja  auch 
bei  Ablenlvung  des  Gesunden  eine  große  Einförmigkeit  der  Nebentätigkeit. 
Schiller  zeichnete  Bögen  voll  Eößlein. 

Viele  Autoren  suchen  die  Stereotypien  aus  dem  Wegfall  der  hemmenden  Hirn- 
rinde (z.  B.  Jastrowitz  [324],  Fauser  [215]),  aus  der  Demenz  zu  erklären. 

Weiter  können  wir  hier  auf  die  Theorie  der  Stereotypien,  die  für  die  ganze  Auf- 
fassmig  dsr  Schizophrenie  von  größter  Wichtigkeit  ist,  nicht  eingehen;  ich  verweise 
auf  Neisser,  Heilbrouner  (293).  Für  uns  sind  nur  noch  folgende  Einzelheiten  von 
Bedeutung:  daß  imterbewußte  Komplexe  Neigung  haben,  sich  in  Stereotypien  zu 
äußern,  zeigt  sich  auch  im  Assoziationsexperiment  (Riklin,  612  a),  ferner  macht 
auch  Ziehen  auf  den  Zusammenhang  der  Stereot3rpien  mit  ,, überwertigen  Ideen" 
aufmerksam.  —  Die  Haltungsstereotypien  wurden  und  werden  gerne  zurückgeführt 
auf  sensorische  Störmigen  (Korrektur  von  bestimmten  Ausfallserscheinmigen, 
Wernicke;  Störmigen  der  Selbstempfindung,  Siemerling).  Ganz  ungenügend  ist 
auch  Kahlbaums  Auffassmig  der  Sprachstereotypien.  Wir  kömien  uns  zur  Not 
vorstellen,  wie  ein  tonischer  Krampf  der  Sprachorgane  Mutismus  machen  könnte, 
kaum  aber,  wie  ein  klonischer  bestünmte  Worte  und  Sätze  hervorbringen  und  dieselben 
unter  Umständen  den  Verhältnissen  anpassen  sollte.  Auch  für  neuere,  mehr  psychische 
Lokalisationen,  wie  die  Alters  (Sejunlrtion  zwischen  Stereopsyche  und  Pathopsyche, 
10  a,  S.  264)  besitzen  wir  in  den  Beobachtmigen  kerne  Anhaltspunkte;  wohl  aber  spricht 
manches  gegen  das  Vorhandensein  so  einfacher  Störungen. 

Die  Stereotypien  werden  noch  mit  manchen  ähnlichen  Erscheinungen 
zusammengebracht  und  teüweise  mit  denselben  verwechselt;  es  handelt  sich  dabei 
meist  um  eben  so  komplizierte  Vorgänge,  wie  die  Stereotypie  einer  ist,  imd  so  ist  es 
ganz  gut  möglich,  daß  emzelne  Teüerscheinungen  sich  mit  Teüerschemungen  der 
Stereotypie  decken. 

Manche  nennen  es  noch  Stereotypie,  wenn  infolge  von  Stunmen  oder  Wahn- 
ideen immer  die  gleiche  Handlmig  begangen  oder  die  gleiche  Stellung  emgenommen 
u-ird.  Denkt  man  sich  die  Wahnidee  respektive  Halluzination  unabhängig  von  der 
Stereotypie,  wie  es  die  meisten  Psychiater  tun,  so  ist  natürlich  eme  solche  Auffassung 
unrichtig,  die  Anomalie  ist  dann  an  einem  andern  Orte,  m\d  die  Stereotypie  hat  psycho- 
logisch nur  die  gleiche  Bedeutung  wie  aus  guten  Gründen  oft  wiederholte  Handlungen 
des  Gesunden  (Fabrikarbeiter!),  oder  es  ist  wie  wenn  ein  Seniler  mfolge  seines  Ge- 
dächtnisdefektes immer  die  gleiche  Geschichte  erzählt.  —  Schon  mehr  der  Verbigera- 

1)  Pfenninger  hat  bei  Wiederholungsversuchen  im  Gegenteü  eine  höhere  Zahl 
neuer  Reaktionen  als  bei  Gesunden  gefunden. 


Theorie.  Allgemeine  Gesichtspunkte. 


371 


tion  nähert  es  sich,  wenn  ein  Kranker  alle  seine  Wünsche  immer  m  die  gleichen  Worte 
zusammendrängt:  „seien  Sie  so  gut",  und  bei  jedem  Eintritt  emcr  Person  m  den 
Saal  bei  jeder  Ortsveränderung  emes  Patienten  diese  Worte  ausstoßt,  btereotyp  ist 
hier  der  Wunsch  und  das  Ausdrucksmittel;  um  Verbigeratiou  handelt  es  sich  nicht, 
gerade  deshalb,  weil  der  Patient  eben  etwas  sagen  will.       ...  , 

Etwas  ganz  anderes  als  die  schizophrenen  Stereotypien  sind  die  Berufs- 
bewegungen, die  organisch  Hirnlcranke  nicht  so  selten  machen.  Mit  ihnen  zusammen 
zu  erwähnen  ist  dann  die  „Perseveration"  (Hängenbleiben,  Klebenbleiben),  die  von 
vielen  nicht  recht  von  der  Stereotypie  getrennt  wird,  obschon  es  sich  im  wesentlichen 
um  verschiedene  Dinge  handelt. 

Wenn  Heilbronner  (29.'3)  sagt,  daß  Perseveration  und  Verbigeration  sich  da- 
durch unterscheiden,  daß  zur  Perseveration  noch  ein  Sprechtrieb  hinzukommen  müsse, 
um  die  Verbigeration  zu  bilden,  so  ist  das  nur  für  die  organischen  Krankheiten  ganz 
ausreichend,  weil  bei  der  schizophrenen  Verbigeration  die  Komplexwirlomg  in  erster 
Linie  mitspricht. 

Rag nar  Vogt  (786)  will  eine  psychologische  Einheit  aus  Perseveration,  Stereo- 
typie und  dem  Kr aepe linschen  Begriff  der  Anregung  machen. 

Masoin  (455)  und  namentlich  Weygandt  (816)  bringen  die  schizophrenen 
Stereotypien  zusammen  mit  den  stereotypen  BewegTmgen  der  Kinder  und  der  Idioten, 
während  Kraepelin  zwei  Klassen  unterscheidet,  von  denen  die  eine,  die  namentlich 
durch  das  Rhythmische  der  Bewegmigen  charakterisiert  wird,  beiden  Zuständen 
angehört.  Die  automatischen,  im  wesentlichen  von  der  Stimmung  unabhängigen 
Stereotypien  bei  unserer  Krankheit  sehen  aber  schon  bei  oberflächlicher  Betrachtung 
meist  anders  aus  als  die  wiegenden  und  wackelnden  Bewegungen  der  Idioten. 

Als  Kuriosum  sei  auch  erwähnt,  daß  Dromard  (191)  die  Stereotypien  der 
Dementia  praecox  von  denen  der  sekundären  Demenz  unterscheiden  wUl. 

Zum  Verwechseln  ähnlich  können  den  Stereotypien  die  Ticks  werden,  die  ja  auch 
oft  nichts  anderes  als  Symbolhandlmigen  sind. 

Ziehens  Pseudostereotypien  ideenarmer  Manischer  geben  oft  Anlaß  zu 
diagnostischen  Schwierigkeiten;  nach  memer  Erfahrung  handelt  es  sich  dabei  meist 
um  Mischung  von  Hemmung  mit  Ideenflucht. 

Die  Onomatomanie  der  Franzosen  enthält  neben  anderen  Symptomen  oft 
auch  die  Verbigeration. 

Daß  die  Stereotypien  etwas  mit  Komplexen  zu  tun  haben,  ist  schon  vielen  auf- 
gefallen, 80  Dromard,  Ricci,  Mondio.  Schneie  nennt  gewisse  Haltungsstereotypien 
sohr  bezeichnend  „plastisch  gewordene  Wahngedanken". 

i)  Allgemeine  Gesichtspunkte. 

Trotz  der  vielen  Einzelheiten,  die  uns  die  Psychanatyse  aufgeklärt  hat, 
wäre  es  noch  zu  gewagt,  die  ganze  Symptomatologie  unter  einem  einheitlichen 
Gesichtspunkte  zusammenfassen  zu  wollen.  Eine  vorläufige  Formulierung  unseres 
Wissens  mag  aber  am  Platze  sein. 

Die  m  die  Augen  fallende  Symptomatologie  ist  sicher  zum  Teil  (möglicher- 
weise ganz)  nichts  anderes  als  der  Ausdruck  eines  mehr  oder  weniger  verun- 
glückten Versuches,  aus  einer  unerträglichen  Situation  herauszukommen  Wir 
kennen,  abgesehen  von  den  rein  hysteriformen  Mechanismen,  drei  verschiedene 
Modi,  nach  denen  die  Kranken  sich  zu  helfen  trachten. 

1.  Der  Patient  macht  die  Wirklichkeit  unschädlich,  indem  er  sie  nicht  an  sich 
her.nkommen  laßt  (Autismus);  er  ignoriert  sie,  spaltet  sie  ab.  üüchtet  in  seme  Ge- 

24* 


372 


Schizophrenie. 


danken.  Der  Autismua  hat  für  diese  Patienten  die  gleiche  Bedeutung  wie  die  Kloster- 
mauern  für  die  Mönche,  die  Einöde  für  manche  Heilige,  die  Studierstube  für  manche 
Gelehrtentypen.  Der  Unterschied  zwischen  krank  und  gesimd  ist  hier  nur  ein 
quantitativer. 

2.  Auf  die  Dauer  genügt  dieser  Behelf  selten:  in  den  meisten  in  die  Anstalt 
kommenden  Fällen  werden  die  Wünsche  als  erfüllt,  die  Hindernisse  als  beseitigt 
dargestellt.  Zu  vollständigem  Gelingen  kann  diese  Reaktipnsart  allerdings  nur  dann 
führen,  wenn  zugleich  nach  Modus  1  die  Wirklichkeit  ganz  abgespalten,  oder  wenn 
sie  im  Sinne  der  Wünsche  ganz  umgestaltet  wird.  Letzteres  geschieht  im  Dämmer- 
zustand, der  aber  meist  nicht  auf  die  Dauer  festgehalten  werden  kann;  die  Kranken 
helfen  sich  in  der  gleichen  Weise,  Avie  es  in  nuce  die  Tagträumer  und  die  Dichter  tun. 

Gelingt  es  nicht,  die  Vorstellung  von  der  Wirklichkeit  ganz  nach  Wmisch  zu 
verwandeln,  so  wird  sie  doch  so  weit  umphantasiert,  daß  die  Hindernisse  mehr  alt. 
zufällige,  wenigstens  im  Prinzip  überwindliche  erscheinen  (Verfolgungswahn,  der  die 
Hindernisse  in  Machinationen  von  Menschen  umsetzt). 

3.  Wohl  öfter  als  wir  bis  jetzt  wissen,  wird  der  zugängliche  Teil  der  Umstände 
wirklich  umgestaltet,  natürlich  nicht  im  Sinne  der  vollständigen  Wunscherfüllung 
—  wenn  das  den  Patienten  möglich  ist,  gibt  es  keine  manifeste  Krankheit  — ,  sondern 
im  Sinne  einer  Ausflucht:  die  Leute  werden  eben  manifest  krank.  Diese  Flucht  in 
die  Krankheit  ist  beim  Ganserschen  Syndrom  oder  bei  emzelnen  hypochondrischen 
Formen  oder  bei  der  Faxenpsychose  (75  a)  in  die  Augen  springend  und  bildet  bei 
anderen  Formen  sicher  dann  und  wann  den  ausschlaggebenden  Faktor.  Wir  sehen 
sie  aus  einleuchtenden  Gründen  namentlich  bei  rein  äußerlichen  Konflikten :  gericht- 
liclie  Untersuchimg,  ökonomische  Schwierigkeiten,  unerwünschte  Entlassmig  aus  der 
Anstalt^). 

Nicht  nur  die  ersten  beiden,  sondern  alle  drei  Ee aktionsweisen  können  sich 
in  beliebiger  Kombination  mischen.  Wie  bei  anderen  psychischen  Erscheinungen 
wirken  auch  hier  fast  immer  mehrere  Motive  zusanomen.  Außerdem  werden  die 
Mechanismen  und  die  Kesultate  dieser  affektiven  Eudämonie  verdeckt  und 
karikiert  durch  die  übrigen  Störungen,  vor  allem  die  Unklarheit  des  Denkaktes  und 
die  akzessorischen  Symptome. 

2.  Kapitel. 
Die  Theorie  der  Kraiiltlieit. 

A,  Die  Auffassung  der  Krankheit. 

Mit  der  Untersclieidung  von  primären  und  sekundären  Symptomen  ist 
die  Auffassung  der  Krankheit  gegeben.  Wir  nehmen  einen  Prozeß  an,  der 
direkt  die  primären  Symptome  macht;  die  sekundären  Symptome 
sind  teils  psychische  Funktionen  unter  veränderten  Bedingungen, 

~^  1)  Es  ist  gar  nicht  selten,  daß  Versclilimmerungen  auftreten,  wenn  die  Kranken  die 
Entlassung  vor  sich  sehen,  ja  wenn  sie  nur  auf  eine  bessere  Abteilung  versetzt  werden  sollen. 
Regelmäßig  kann  man  den  Grund  darin  finden,  daß  die  Kranken  die  Rückkehr  ms  Leben 
fürchten.  Die  Frau  will  nicht  gesund  sein,  weil  sie  es  (noch)  nicht  verträgt,  zum  ungehebten 
Gatten  zurückzukehren,  die  Gouvernante,  weil  sie  ihre  Stellung  haßt,  der  Mann,  woü  er  den 
Kampf  für  die  Existenz  (noch)  zu  schwer  findet.  Eine  unserer  Katatomkermnen  erklarte 
rundweg,  wenn  man  sie  aus  der  Schweiz  (wo  ihr  Geliebter  wohnt)  nach  der  Heimat  ver- 
setzen woUe,  so  werde  das  durch  einen  neuen  Anfall  unmöglich  gemacht.  Und  sie  hat  Woi  t 
gehalten.  Der  AnfaU  unterschied  sich  aber  in  keiner  Weise  von  den  fruhereii.  -  In  den  Fallen 
von  Birnbaum  ist  der  Krankheitsgewinn  meistens  ein  selu:  deutlicher. 


Theorie.  Auffassung  der  Krankheit. 


373 


teils  die  Folgen  mehr  oder  weniger  mißglückter  oder  aucli  geglückter 
Anpassungsversuche  an  die  primären  Störungen. 

"Wir  müssen  aber  hinzufügen,  daß  die  Voraussetzung  eines  physischen 
ICrankheitsprozesses  nicht  absolut  notwendig  ist.  Es  ist  denkbar,  daß  die  ganze 
Symptomatologie  psychisch  bedingt  sei,  und  daß  sie  sich  entwickeln  könne  auf 
leichten  quantitativen  Abweichungen  vom  Normalen;  etwa  wie  die  Anlage 
zu  hysterischen  Symptomen  zwar  bei  manchen  Menschen  so  groß  ist,  daß  sie 
bei  den  gewöhnlichen  Schwierigkeiten  des  Lebens  hysterisch  werden,  während 
der  Durchschnittsmensch  es  nur  bei  ganz  besonderen  psychischen  Traumen 
werden  kann. 

So  fehlt  es  nicht  an  Versuchen,  die  Krankheit  als  eine  funktionelle  aufzufassen. 
Tiling  paralleHsiert  sie  geradezu  mit  Hysterie  (mid  Paranoia)  und  mehit,  sie  entstehe 
bei  angeborener  Geistesschwäche  und  bei  mischlüssigen,  zwiespältigen  Natm'en.  Ähnüch 
spricht  sich  Stadel  mann  aus. 

Ganz  abgesehen  von  dem  den  schweren  Symptomen  nicht  entsprechenden 
anatomischen  Befund  ist  manches  der  Annahme  einer  psychischen  Genese  der 
I^janlcheit  nicht  imgünstig.  Verschlimmerimgen  und  Besserungen  sind  oft  psy- 
chisch bedingt.  In  den  Antezedentien  der  Schizophrenen  findet  sich  meist  eine 
Anlage  zur  Introversion,  aus  der  sich  der  Autismus  und  indirekt  die  meisten 
anderen  Symptome  erklären  ließen.  Die  Bedeutung  des  nicht  abzuleugnenden 
anatomischen  Befundes  läßt  sich  nach  Schott  (667)  als  Inaktivitätsatrophie 
oder  nach  Jung  als  Folge  von  durch  die  Affekte  gebildeten  Toxinen  weg- 
disputieren. Die  Symptomatologie  unterscheidet  sich  prinzipiell  von  der  aller 
bekannten  organischen  und  toxischen  Störungen^),  aber  so  wenig  von  den  funk- 
tionellen Neurosen,  daß  leichte  Schizophrenien  oft  lange  als  Hysterien  oder 
Neurasthenien  imponieren,  und  daß  fast  alle  Erscheinungen  nur  eine  Übertreibung 
bekannter  Neurosensymptome  darstellen;  wie  sich  diese  aus  einer  besonders 
starken  oder  besonders  stark  erregten  Affektivität  und  eventuell  der  primären 
Neigung  zur  Introversion  erldären  lassen,  hat  Jung  gezeigt.  Das  Zittern  ließe  sich 
zur  Not  psychisch  erklären,  sogar  die  manischen  und  depressiven  Symptome 
hat  man  so  auffassen  wollen.  Die  Unheilbarkeit  und  die  Unfähigkeit  der  meisten 
Patienten,  sich  durch  Abreagieren  zu  beruhigen,  ließe  sich  aus  der  einmal  be- 
stehenden Übertreibung  der  Introversion  ableiten,  die  ein  volles  Wiedererfassen 
der  Realität  unmöghch  macht. 

Aber  die  Hirnbefunde  sind  da,  und  wenn  auch  ihr  engerer  Zusammenhang 
mit  der  Psychose  noch  ganz  rätselhaft  ist,  so  erscheinen  doch  die  oben  ange- 
führten Auffassungen  der  von  ims  als  primär  bezeichneten  Erscheinungen  gezwun- 
gen. Es  ist  ferner  auffallend,  daß  man  bei  genauer  Anamnese  meist  die  Krankheit 
schon  vor  dem  als  Ursache  angeschuldigten  psychischen  Trauma  nachweisen 
kann.  Die  Lockerung  der  Assoziationen  geht  so  weit,  wie  wir  sie  beim  Normalen 
und  Neurotischen  nur  im  Traum,  nie  unter  bloßer  Affektwirkung  sehen.  Die  übric^en 
primären  Symptome,  wie  das  f einschlägige  mid  relativ  gleichmäßige  Zittern, ''ein 
ieil  der  PupiUenstörungen,  die  manisch-depressiven  Symptome,  die,  wo  sie  vor- 
handen sind,  integrierende  Bestandteile  des  Krankheitsprozesses  zu  sein  scheinen 
üieAnfaUedes  organischen  Typus,  alles  das  will  sich  der  funktionellen  Anschauii  ' 


.mg 


')  Sommer  hat-  sie  als  „Leitungsstörungen"  von  diesen  abgetrennt. 


374 


Schizophrenie. 


nicht  recht  fugen.  Die  Introversion  kann  nicht  gut  alles  erldären,  da  diejenigen 
i'atienten,  die  ihre  Komplexe  äußern  und  danach  handeln  wollen,  genau  so 
unheilbar  sind  wie  die  anderen.  Der  Verlauf  selbst  erscheint  trotz  mancher  Aus- 
nahmen im  großen  und  ganzen  als  ein  spontaner  und  von  psychischen  Einflüssen 
m  bedeutendem  Maße  unabhängiger.  Die  prinzipielle  Unheilbarkeit  aller  und  die 
Unbeemflußbarlceit  des  Verlaufes  der  meisten  Fälle  sind  bei  funktioneUen 
Störungen  ohne  alle  Analogie.  Wichtig  ist  auch,  daß  die  Krankheit  ebensowohl 
bei  „Wilden"  wie  bei  Kiüturvölkern  vorkommt,  wenn  auch  bei  den  ersteren  nach 
Kraepelin  die  Katatonien  zurücktreten. 

Allen  diesen  Tatsachen  wird  restlos  eine  Auffassung  gerecht,  welche  eine 
(anatomische  oder  chemische)  Störung  im  Gehirn  annim.mt,  die  meist  chronisch, 
aber  mit  akuten  Schüben  und  Stillständen  verläuft  und  die  primären  Symptome 
setzt  (Assoziationslockerung,  eventuell  die  Disposition  zu  HaUuzinationen  und 
Stereotypien,  ein  Teil  der  manischen  und  depressiven  Syndrome  und  der  Be- 
nommenheitszustände  usw.);  in  schwereren  Exazerbationen  sind  psychische 
Symptome  wie  gewisse  Verwirrtheits-  und  Stuporzustände  direkte  Folge  des 
Prozesses.  Die  übrigen  psychischen  Symptome  entstehen  indirekt  durch  ab- 
norme Wirkungen  normaler  Mechanismen  in  der  primär  gestörten  Psyche,  indem 
vor  allem  die  Affektivität  ein  pathologisches  Übergewicht  über  die  geschwächten 
logischen  Funktionen  bekommt. 

Die  Krankheit  als  psychischer  Prozeß  beginnt  meistens  oder  vielleicht 
immer  schleichend;  sie  bleibt  zunächst  latent,  bis  ein  akuter  Schub  auffallende 
primäre  Symptome  oder  ein  psychischer  Schock  stärkere  sekundäre  Erscheinungen 
hervorbringt^).  Natürlich  besteht  kein  sich  ausschließendes  Verhältnis 
zwischen  akutem  Schub  des  Hirnprozesses  und  dem  auslösenden  psychischen 
Erlebnis.  Auf  einer  geringen  oder  einer  kaum  fortschreitenden  Hirnveränderung 
kann  nur  ein  schweres  psychisches  Trauma  die  manifeste  Krankheit  auslösen. 
Je  rascher  aber  der  Prozeß  fortschreitet,  je  schwerer  die  dauernde  Veränderung 
ist,  um  so  geringere  Anlässe  genügen,  um  stärkere  Störungen  hervorzurufen,  bis 
schließlich  die  alltäglichen  Schwierigkeiten  des  Lebens  das  labile  Gleichgewicht 
zu  stören  vermögen.  So  wirken  am  häufigsten  beide  Ursachen  bei  der 
Kreierung  der  psychotischen  Symptomenkomplexe  zusammen. 

Nach  einem  akuten  Schub  kann  der  Hirnprozeß  stille  stehen  oder  auch  sich 
bis  zu  einem  gewissen  Grad  zurückbilden;  letzteres  ist  z.  B.  anzunehmen  bei 
nicht  letalen  Hirnschwellungen.  Dann  kann  auch  die  Psyche  sich  wieder  in 
sehr  hohem  Maße  erholen,  oder  es  bleiben  ein  Teil  der  gesetzten  Symptome  als 
„Kesidualzustand".  Zu  beliebigen  Zeiten  können  aber  auch  sowohl  der  Krank- 
heitsprozeß als  die  sekundären  Symptome  langsam  oder  rasch  weiter  schreiten. 

Die  Besserungen  können  auch  durch  psychische  Einflüsse  bewirkt  werden, 
teils  von  außen,  indem  eine  Veränderung  irgendwie  umstimmend  wirkt,  teils 
von  innen,  indem  der  Patient  lernt,  sich  mit  seinen  Komplexen  abfinden,  oder 
indem  ein  Dämmertraum  seinen  Abschluß  findet,  oder  der  Affekt  sich  erschöpft. 
Die  Heilungsmodi  aus  inneren  psychischen  Vorgängen  sind  noch  nicht  mit  voller 
Sicherheit  faßbar,  doch  müssen  irgend  welche  psychische  Selbstheilungsprozesse 
existieren. 

1)  Manchmal  besteht  eine  längere  Latenzzeit  zwischen  dem  Erlebnis  und  dem  akutL-ii 
Ausbruch,  indem  das  erstere  zunächst  einer  Verarbeitung  unterliegt. 


Theorie.  Auffassung  der  Krankheit. 


375 


Der  Verlauf  der  Symptome  und  der  des  Krankheitsprozesses 
brauchen  einander  also  gar  nicht  parallel  zu  gehen. 

Die  Bedeutung  des  Jünglingsalters  für  das  Manifestwerden  der  Krank- 
heit besteht  gewiß  wenigstens  zum  Teil  darin,  daß  in  dieser  Zeit  die  Schwierig- 
keiten des  Lebens  beginnen.  Vor  allem  macht  sich  nun  der  mächtigste  aller 
Komplexe  besonders  geltend:  die  Sexualität.  So  sehen  wir  bei  einer  großen 
Anzahl  unserer  Patienten  die  manifeste  Psychose  zwischen  15  und  25  Jahren 
ausbrechen,  obgleich  sie  vorher  schon  in  mehr  oder  weniger  latentem  Zustande 
vorhanden  war.  Es  ist  nicht  unbedingt  nötig,  daß  außerdem  noch  andere  Momente 
dieses  Alter  begünstigen.  Doch  ist  natürlich  nicht  auszuschließen,  daß  z.  B., 
wie  man  es  bis  jetzt  annahm,  auch  der  eigentliche  Krankheitsprozeß  eine  Vorliebe 
für  die  Nachpubertät  zeigu. 

Der  Ausgang  ist  nach  dieser  Auffassung  etwas,  was  nicht  bloß  in  der 
Krankheit  liegt,  sondern  auch  von  manchen  inneren  und  äußeren  Zufälligkeiten 
abhängt.  Bei  gleicher  Gehirnstörung  kann  der  eine  Patient  genesen,  der  zweite 
bei  etwas  anderer  psychischer  Anlage  oder  bei  fehlender  Anregung  oder  bei 
stärker  wirkendem  psychischem  Trauma  blödsinnig  werden.  AVir  sind  aber  ebenso- 
wenig imstande,  verschiedene  Verlaufsweisen  und  verschiedene  Krankheits- 
gruppen aus  der  psychischen  Disposition  oder  den  psychischen  Erlebnissen  ab- 
zuleiten wie  aus  einem  supponierten  Krankheitsprozeß. 

Die  wichtigsten  der  bisherigen  Theorien,  die  teils  einzelne  Symptome  oder 
Symptomgruppen,  teils  das  ganze  Krankheitsbüd  erklären  sollten,  sind  eingehend 
besprochen  von  J  ung,  auf  dessen  „Psychologie  der  Dementia  praecox"  ich  verweisen 
mußi). 

Hier  nur  folgendes: 

Wir  müssen  uns  klar  sein,  daß  wir  nicht  voraussetzen  dürfen,  die  Gnmdstörung 
zu  treffen,  wenn  wir  uns  begnügen,  die  „psychische  Höchstfunktion"  (Groß), 
oder,  was  damit  identisch  ist,  die  „Apperzeption"  im  Sinne  Wundts  (Weygandt) 
als  gestört  zu  erMären. 

Jede  allgemeine  Störung  muß  doch  die  kompliziertesten  Funk- 
tionen am  meisten  schädigen;  solange  also  der  Mechanismus  nicht  nachgewiesen 
ist,  durch  den  gerade  die  „Höchstfunktion"  angegriffen  wird,  sind  wir  damit  der  Pflicht, 
nach  Elementarsymptomen  zu  suchen,  nicht  enthoben. 

Es  ist  auch  nicht  besser,  wenn  man  statt  der  Höchstfunktion  im  allgemeinen 
nur  eme  Seite  derselben  heraushebt,  wie  die  Aufmerksamkeit  (Tschisch;  nach  Arndt 
24,  S.  98)  oder  die  „Fonction  du  reel"  oder  die  „Ichsynthese"  oder  den  „Umfanc^ 
des  Bewußtsems"  (P.  Janet).  »  o 

,    Aber  auch  Ausdrücke  wie  „Schwäche  der  Vorstellungen"  (hnages  mentales) 
(berieux),  „dunmution  de  l'activite  volontaire  et  mteUectuelle"  oder  „mcapacite 
de  leffort  mental"  (Masseion),  „abaissement  du  niveau  mental"  sagen  uns  nichts 
obschon  sie  eme  Allgememstörung  bezeichnen  sollen.  Es  fehlt  jeder  Anhaltspunkt,' 
die  btorung  bloß  quantitativ-dynamisch  aufzufassen,  sehen  wir  doch  in  einzehien 

.«nh  .!^.^^^^^^^^^^Geschmack  ist  aUerdings  der  Autor  more  philosophorum  etwas  zu 
.  semen  Vorgangern  umgegangen.  Theorien,  die  aus  Richtigem  und  Falschem 
gemischt  sind,  werden  der  Wissenschaft  gcfähi-hcher  als  ganze  Irrtümer,  und  Auffassungen 


376 


Schizophrenie. 


Fällen  eine  große  Entfaltung  psycMscher  Energie.  Will  man  aber  doch  eine 
„Scliwäcliung  der  psycliischen  Tätigkeit"  (Preusberg)  annehmen,  so  kann  die  Hypo- 
these alles  und  folglich  nichts  erklären;  der  Begriff  ist  zu  allgemein.  Soll  der  Ausdruck 
„abaissement  du  niveau  mental"  aber  das  „Herabsinken"  der  bewußten  Tätigkeit 
auf  Funktionen,  die  für  gewöhnlich  unbewußt  smd,  bezeichnen,  so  enthält  der  Ausdruck 
keine  Erklärung,  sondern  er  faßt  nur  einen  wichtigen  Teil  unserer  psychologischen 
Beobachtungen  an  Schizophrenen  in  Worte,  die  mißverständlich  sind,  indem  sie  auch 
dynamisch  verstanden  werden  können. 

Alle  diese  Worte  bedeuten  Scheinerklärungen,  die  aber  den  nicht  zu  unter- 
schätzenden Wert  haben,  daß  sie  eine  Diskussion  möglich  machen  und  zu  neuer  Be- 
obachtung anregen. 

Es  gibt  auch  Theorien  für  der  Schizophrenie  angehörende  Krankheitsbilder, 
die  eine  Lokalisation  in  gewissen  Teilen  des  Gehirns  oder  der  Psyche  annehmen.  Viel 
mehr  eine  sehr  gute  Beobachtung  als  eine  Erklärung  ist  die  Annahme  Neissers,  der 
ein  Eingreifen  tieferer,  Bewußtsein  nicht  vermittehider  Hirnteile  supponiert.  Das 
Hypothetische  —  und  sicher  auch  Falsche  —  liegt  nur  darin,  daß  der  Autor  die  unbe- 
wußten psychischen  Fimktionen  in  tiefere  Hirnteile  verlegt  als  die  bewußten. 

Van  Erp  Taalman  Kip  meint,  der  chronische  Wahnsinn  sei  zum  Unterschied 
von  allen  anderen  Psychosen  eine  infrakortikale  Krankheit.  —  Pfister  (564)  möchte 
in  einem  Falle  die  Schriftbizarrerie  mit  einem  Trauma  des  1.  Gyrus  angularis  in  Ver- 
bindung bringen.  —  Lomer  (423)  nimmt  gar  bei  einer  Patientin,  die  halluzinatorisch 
ein  Attentat  durchlebte  imd  dabei  alles  in  häßlichem  Grün  sah,  Kontraktion  der 
Eetinagefäße  an.  Hätte  er  ein  bischen  psychologisch  gedacht  und  gesucht,  so  hätte  er 
wohl  gefunden,  was  für  eine  Vorstellimg  von  imerwünschter  „Hoffnung"  sich  da  in 
grün  ausdrückte. 

De  Buck  erklärt  die  Katatonie  aus  Störmigen  des  Willens,  der  obersten  Zu- 
sammenfassung der  begleitenden  Gefühle  und  der  Umsetzung  in  Handlung,  Funktionen, 
die  er  in  die  tiefen  Schichten  der  Hirnrinde  verlegt. 

Wernicke  (804,  S.  449)  macht  den  Übergang  zu  den  psychischen  Lokalisationen, 
wenn  er  sagt:  ,,die  sogenannten  h}T)Ochondrischen  Lähmungen  geben  den  Beweis,  daß 
der  Ausschluß  des  Willens  sich  in  lokalisierten  Muskelgebieten  geltend  machen  kann". 
Es  handelt  sich  aber  nicht  um  lokalisierte  Muskelgebiete,  sondern  um  Vorstellungen 
von  lokalisierten  Muskelgebieten,  was  etwas  ganz  anderes  ist. 

Förste rlings  Ausdruck  emer  „autopsychischen  Identifikationsstörung"  ist 
natürlich  nicht  eine  Erklärung,  sondern  ein  Name  für  eine  einzelne  Symptomengruppe, 
die  sich  auf  die  Person  bezieht. 

B.  Der  Krankheitsprozeß. 

Was  der  schizoijhrene  Prozeß  ist,  das  wissen  wir  nicht.  Die  Ana- 
tomie zeigt  uns  in  vorgeschrittenen  Fällen  eine  leichte  Hirnatrophie  und  bestimmte 
histologische  Veränderungen^). 

Die  Bedeutung  dieser  Befunde  aber  ist  uns  unbekannt. 

Die  Atrophie  kann  die  Symptome  nicht  erklären,  da  diffuse  Reduktion 
der  Hirnrinde  ganz  andere  Erscheinungen  macht;  von  den  histologischen  Ver- 
änderungen wissen  wir  nicht,  ob  sie  die  Ursachen  der  Psychose  oder  bloß  den 
psychischen  Symptomen  paraUele  Erscheinungen  sind,  mdem  beispielsweise  em 
toxisches  Agens  einerseits  die  psychischen  Symptome,  anderseits  die  anatomischen 
Veränderungen  hervorbringt. 

^)Siehe  die  von  Alzheimer  bearbeitete  Anatomie  der  Psychosen  in  diesem  Handbuch. 


Theorie.  Krankheitsprozeß. 


377 


Kahlbaum  hat  Gehirnödem  mit  der  Katatonie  in  Beziehmig  gebracht. 
Auch  wir  haben  bei  einzelnen  schweren,  tödlichen  Fällen  starkes  Hirnödem  und  auf- 
fallend pralle  Anfüllung  der  Maschen  der  Arachnoidea  gesehen,  mid  die  Sj-mptomato- 
logie  gewisser  Verwdrrtheits-  mid  Benommenheitszustände  scheint  damit  im  Zusammen- 
hang zu  sein^). 

Kiernau  und  Weber  (797)  fanden  Überreste  einer  allgemeinen  oder  toxischen 
Meningitis  bei  der  Dementia  praecox ;  auch  ich  habe  auffallend  viele  Trübungen  der 
Pia  imd  mehrmals  längs  den  Gefäßen  angeordnete  weiße  Knötchen  gesehen,  welch 
letztere  vielleicht  Überreste  abgelaufener  tuberkiilöser  Meningitiden  sind.  Das  sind 
aber  nichts  weniger  als  konstante  Befunde. 

Doutrebente  imd  Marchand  haben  in  einem  Falle  Verdickung  der  Pia 
gefunden  und  meinen,  es  handle  sich  um  eine  daraus  folgende  Minderwertigkeit 
der  Hirnanlage.  Ideler  (disk.  Knechts  Vortrag,  Zeitschr.  1886,  S.  331)  meint,  die 
Katatonie  könne  eine  protrahierte  Paralyse  sein.  Klippel  und  L'Hermite  und 
andere  (Soc.  de  Psychiatric  de  Paris  21./1.  1909,  N.  C.  D.  1909,  S.  616)  bringen  die 
Krankheit  in  Beziehung  mit  Kleinhirnatrophie.  Schuele  (675  a)  und  Ferrari  denken 
an  Atavismus,  ersterer  wegen  der  Wahn-  imd  Mythenbildung,  letzterer  wegen 
Eigentümlichkeiten  des  schriftlichen  Ausdruckes.  Whitewell  vermutet  die  Ursache 
des  Stupors  in  einer  kongenitalen  Hypoplasie  des  Gefäßsystems,  Meynert  (473, 
S.  121,  und  474,  S.  184)  in  Hydrokephalus,  Natverschließimg  und  leicht  transsudieren- 
den  Gefäßen. 

Viele  denken  sich  die  Schizophrenie  als  Ausdruck  einer  ab  ovo  krankhaften 
Hirnanlage.  Das  Mitsprechen  der  Heredität,  die  Häufigkeit  der  Krankheit  bei  Imbe- 
zillen und  nach  Hirntraumen,  die  abnormen  Charakteranlagen  vieler  späterer  Schizo- 
phrenen deuten  in  dieser  Eichtung.  Das  aber,  was  man  als  abnorme  Anlage  auffaßt, 
kann  bereits  Äußerimg  der  Krankheit  selbst  sein.  Und  wenn  wir  die  Literatur  fragen, 
welche  Gehirne  denn  zu  solchen  Geisteskrankheiten  neigen,  stehen  war  einem  voll- 
ständigen Tohuwabohu  gegenüber.  Man  will  rüstige  und  invalide  Gehirne  unter- 
scheiden, man  trennt  die  Degenerierten  von  den  Nichtdegenerierten,  die  Psychopathen 
von  den  Normalen,  die  Psychoneurotischen  von  den  psychisch  Entarteten  —  aber 
was  der  eine  positiv  rechnet,  wird  beim  andern  negativ  gezählt^);  die  nach  diesen 
Schemata  abgetrennten  Krankheiten  decken  sich  gar  nicht,  und  was  am  schlimmsten 
ist,  wenn  man  die  Aufstellungen  an  einem  größeren  Material  nachprüft,  so  konstatiert 
man  lauter  Widersprüche,  die  dadurch  nicht  klarer  werden,  daß  man  eben  eine  fast 
unendliche  Zahl  von  Abweichungsrichtungen  vom  Normalen  findet,  und  daß  zur  Zeit 
noch  keine  dieser  Richtungen  mit  irgend  einer  der  bekannten  Psychosen  in  Verbindung 
gebracht  werden  kann. 

Die  Frage,  welche  von  den  vorkraepelinschen  Krankheitsbildern  auf  einer 
schlechten  Gehirnanlage  beruhen,  ist  also  nicht  beantwortet,' und  sie  ist  auch  nicht 
beantwortbar,  wenn  wirklich  die  alle  jene  Psychosen  umfassende  Schizophrenie  eine 
naturHche  Gruppe  bildet.  Die  Frage  aber,  ob  es  eine  besondere  Hirndisposition  zur 
Schizophrenie  gibt,  mid  wie  sie  sich  ausdrückt,  ist  noch  gar  nicht  in  Angriff  genommen, 
80  daß  wir  auch  von  ihr  nicht  wissen,  ob  sie  überhaupt  lösbar  ist. 

Zur  Zeit  beliebter  sind  die  toxischen  Theorien,  die  sich  teilen  in  autotoxische 
und  infektlöse. 

Die  einzige  Stütze  für  die  erstere  Annahme  bilden  die  Versuche  Bergers  (52), 
der  im  Blut  von  Katatonikern  eine  auf  die  motorischen  Rindenzentren  des  Hmides 

^)  Vgl.  auch  Tetzner,  Reichardt  und  Gi.anelii. 
H»r     '^.^''^^^        ^'^«l«'^  Autoren,  die  manche  Erscheinungsformen  der  Schizophrenie 
aer  angeborenen  oder  ererbten  Invahdität  des  Gehirns  zuschreiben,  sei  Ossipow  (539  a) 
erwähnt,  der  die  Katatonie  „eine  Erkrankung  des  bis  dahin  gesunden  Gehirns"  nennt 


378 


Scliizophrenie. 


reizend  wirkende  Substanz  fand,  die  bei  anderen  Krankheiten  inklusive  halluzinatori- 
scher  Verwirrtheit  fehlte.  Da  die  Katatonie  bis  jetzt  klinisch  nicht  von  der  letzteren 
Kranlcheit  abgrenzbar  ist,  und  die  Versuche  viel  zu  wenig  zahlreich  sind,  erlauben  die 
Untersuchiuigen  noch  gar  keinen  Schluß.  Auch  könnte  das  betreffende  Gift  ein  akziden- 
telles oder  sekundäres  sein. 

Im  übrigen  stehen  die  autotoxischen  Theorien  bislang  ganz  in  der  Luft.  Die 
Thyreoidea  ist  mehrfach  angeschuldigt  worden,  das  schizophrene  Gift  zu  liefern 
oder  CS  nicht  zu  neutralisieren.  Emen  Grund  zu  der  Annahme  kenne  ich  nicht;  die 
Unwirksamkeit  von  Thyreoidm  und  das  miterschiedslose  Vorkommen  der  Krankheit 
n  Kropfgegenden  wie  an  der  Meeresküste  spricht  aber  mit  Entschiedenheit  dagegen.  — 
Weniger  sicher  auszuschließen  ist  der  Zusammenhang  mit  einer  Hyperfmiktion  der 
Thyreoidea  im  Sinne  des  Basedow^),  besonders  da  die  meisten  Basedowpsychosen  trotz 
ihrer  ziemlich  lebhaften  Affektivität  der  Schizophi'enie  so  ähnlich  sehen,  daß  sie 
bis  jetzt  von  ihr  nicht  getrennt  werden  können.  —  Von  jeher  hat  man  die  Krankheit 
mit  der  Geschlechtsfunktion  in  Verbindung  gebracht,  und  da  Avurden  auch  die 
Keimdrüsen  verdächtigt  (Lomer,  Tschisch).  Die  Häufigkeit  des  Krankheitsbeginnes 
mit  und  gleich  nach  der  Pubertät,  die  Verschlimmerungen  während  der  Menses,  die 
Häufigkeit  der  Onanie,  das  Vorherrschen  sexueller  Wahnideen  Schemen  ja  auf  emen 
Zusammenhang  mit  der  Genitalfunktion  zu  deuten.  Die  Kastration  heilt  aber  die 
Krankheit  nicht  (vgl.  Therapie).  Bornstein  menit,  es  könne  sich  um  Ubertreibimg 
eines  Pubertätsvorganges  handeln,  weil  der  0-Stoffwechsel  bei  Kindern  höher,  bei 
seinen  Schizophrenen  niedriger  ist  als  bei  gesunden  Erwachsenen.  Di  de  (173)  hat 
in  den  Genitaldrüsen  nichts  gefunden,  was  die  Psychose  erklärte.  Haberkant  findet 
darin  einen  genetischen  Zusammenhang  von  Dementia  praecox  und  Osteomalazie, 
daß  beide  von  der  Keim-  und  Schilddrüse  abhängig  seien. 

Die  Franzosen  betrachten  die  verschiedensten  Delirien  und  Vei'wirrtheitszu- 
stände,  von  denen  die  meisten  zur  Schizophrenie  gehören,  als  Folgen  einer  Giftwirkung. 
Dercum  hält  die  Verwirrtheit  für  ein  Zeichen  der  Intoxikation,  die  Systematisierung 
bei  geordnetem  Benehmen  für  ein  Zeichen  einer  Himveränderung. 

Bei  Psychosen,  die  der  Schizophrenie  zuzuzählen  sind,  möchten  viele  Autoren 
der  Erschöpfung  oder  irgend  einer  andern  Form  körperlicher  Schwäche  einen 
wichtigen  ätiologischen  Einfluß  zuschreiben.  Stadelmann  supponiert  eine  „Er- 
müdungsanlage" als  Disposition  zur  Katatonie,  v.  Krafft-Ebing  meinte,  der,, hallu- 
zinatorische Wahnsinn"  trete  dann  ein,  wenn  em  Hirn,  das  infolge  neuropathischer, 
speziell  hereditärer  Konstitution  schon  vorher  mit  reizbarer  Schwäche  behaftet  ist, 
von  erschöpfender  Ursache  betroffen  wird.  Demgegenüber  mag  bemerkt  werden, 
daß  Tschisch  umgekehrt  Gewicht  darauf  legt,  daß  er  kräftige,  blühende,  nicht  be- 
lastete Personen  an  Katatonie  erkranken  sah.  In  Wirklichkeit  wird  es  sich  so  verhalten, 
daß  der  Kräftezustand  mit  der  Krankheit  nichts  zu  tun  hat;  auch  der  Verlauf  schemt 
weder  durch  den  Kräftezustand  beim  Ausbruch  noch  durch  Abstinenz  oder  Über- 
ernährung während  der  Krankheit  beemflußt  zu  werden  (Zablocka).  Den  Übergang 
zu  den  infektiösen  Theorien  bildet  die  Ansicht  Dides,  der  irgend  eme  Infektion, 
z.  B.  die  so  häufige  tuberkulöse,  aimimmt,  und  der  von  ihm  bei  Katatonie  und  Hebe- 
phrenie  häufig  gefundenen  Leberverfettung  die  ungenügende  Entgiftung  zuschreibt. 
Die  paranoiden  Formen,  bei  denen  er  die  Leberveränderung  nicht  gefunden  hat,  wären 
nach  seiner  Ansicht  vielleicht  sekundäre  Folgen  der  „toxi-mfektiösen"  Prozesse. 

Am  meisten  Wahrscheinlichkeit  hat  der  infektiösen  Auffassung  Bruce  ver- 
liehen, der  in  Krankheiten,  die  wir  den  akuten  ZufäUen  der  Schizophrenie  zuzählen 

1)  Nach  Abschluß  der  Arbeit  kam  mir  der  Bericht  Barkleys  über  Heilungen  durch 
partielle  Strumektomie  und  Jodlezithin  zu  Gesicht.  Die  Beobachtung  bedarf  der  Nach- 
prüfung. 


Theorie.  Kraakheitsprozeß. 


379 


müssen,  nicht  niu-  Bakterien  im  Blute  gefunden  hat,  sondern  namentlich  auch  aus 
dem  Verhalten  der  Leukozytose  auf  eine  Infektionskrankheit  schließen  möchte.  Auch 
Di  de  \md  Sacquepee  haben  ähnliche  Befunde  erhoben.  Der  Weg  ist  ein  gangbarer, 
aber  die  bakteriologischen  Befunde  aowohl  wie  die  hämatologischen  Untersuchungen 
sind  ganz  migenügend.  Immerhin  schließen  sich  oft  recht  schwere  Schübe  an  eine 
akute  Infektionskrankheit,  so  daß  der  Gedanke  nicht  ganz  abzuweisen  ist,  die 
Schizophrenie  könne  eme  Nachkrankheit  gewisser  Infektionen  sein.  Die  Krankheit 
könnte  aber  auch  direkt  durch  eine  oder  mehrere  spezifisch  wirkende  Infektionen 
hervorgerufen  sein,  die  chronisch  oder  akut  auftreten  und  lange  Zeit  latent 
bleiben  mögen,  von  denen  aber  der  Körper  nur  in  Ausnahme  fällen  wieder  ganz 
frei  werden  kann.  Wenn  die  jetzt  noch  häufige  Auffassung  des  Zusammenhanges 
von  chronischem  und  akutem  Gelenkrheumatismus  richtig  ist,  so  geben  uns  diese 
Infektionen  ein  Analogen  zum  Verlauf  der  Schizophrenie.  Die  Arthritis  deformans 
kann  chronisch  oder  akut  auftreten;  nach  emem  akuten  Schub  bleiben  oft  anatomi- 
sche Residuen  in  den  Gelenken;  die  gleichen  Veränderungen  können  sich  aber 
auch  chronisch  ausbilden;  die  akuten  Symptome,  die  Schmerzen,  können  gelinde  und 
heftig,  als  bloßes  dann  vmd  wann  auftretendes  Zwacken  hi  den  Gelenken  oder  als 
lähmender  Anfall  von  Gliedersucht  zur  Erscheinung  kommen;  sie  können  jahrelang 
aussetzen  oder  auch  viele  Jahre  lang  fast  täglich  oder  wöchentlich  zu  spüren  sein. 
Sind  aber  die  lokalen  Prozesse  intensiv,  so  bewirken  sie  immer  mit  der  Zeit  bestimmte 
Veränderungen  an  den  Gelenken,  die  in  den  hochgradigen  Fällen  den  Kranken  kon- 
trakt  machen. 

Genau  so  verläuft  die  Schizophrenie.  Aus  der  Parallele  möchte  ich  aber  nicht 
mehr  schließen  als  auf  die  Möglichkeit  einer  analogen  Infektion. 


XI.  Abschnitt. 

Die  Therapie. 


Die  Therapie  der  Schizophrenie  ist,  abgesehen  von  der  Behandlung  der 
rein  psychogenen  Erkrankungen,  wohl  die  dankbarste  für  den  Arzt,  der  nicht 
die  natürliche  Heilung  einer  Psychose  unrechtmäßigerweise  seinen  Maßnahmen 
zuschreiben  will. 

Eine  eigentliche  Pro  ph yla xe  der  Krankheit  kennen  wir  zwar  noch  nicht. 
Die  Hereditäts Verhältnisse  geben  uns  einen  Fingerzeig,  daß  Mitglieder  gewisser 
schwer  belasteter  Familien  nicht  heiraten  sollten.  Alkoholikerkinder  sind  mehr 
gefährdet  als  andere :  darin  liegt  eine  Indikation  zur  Bekämpfung  des  Alkoholis- 
mus. "Was  sonst  etwa  zu  sagen  wäre,  deckt  sich  mit  der  allgemeinen  Prophylaxe 
der  Geisteskrankheiten. 

Noch  schlimmer  steht  es  bis  jetzt  mit  der  individuellen  Vorbeugung, 
da  wir  die  auslösenden  Ursachen  der  Krankheit  nicht  kennen.  Onanie,  Liebesgram, 
Überanstrengung,  Schreck  zu  vermeiden  kann  man  mit  gutem  Gewissen  emp- 
fehlen, weil  es  sicher  auch  sonst  gut  ist,  sich  vor  diesen  Dingen  zu  hüten.  Daß 
jemals  durch  solche  Vorsicht  eine  Schizophrenie  am  Ausbrechen  verhindert 
wurde,  ist  nicht  zu  beweisen. 

Ein  wenig  günstiger  stehen  wir  —  wenigstens  theoretisch  —  dem  Prodro- 
malstadium gegenüber.  Ist  einmal  die  Diagnose  wahrscheinlich  oder  sicher, 
so  wird  kein  Arzt  auf  die  allgemeinen  Vorsichtsmaßregeln  verzichten :  möglichste 
körperliche  Hygiene,  wozu  namentlich  genügende  Schlafgelegenheit  imd  Nahrung 
gehört;  Vermeidung  aller  Exzitantien  toxischer  oder  psychischer  Natur;  wir 
wissen  ja,  daß  solche  Schädlichkeiten  nicht  selten  die  Elrankheit  manifest  machen 
oder  verschlimmern.  Wir  dürfen  aber  etwas  weiter  gehen.  Starke  Affekte  be- 
fördern den  Ausbruch  von  akuten  Anfällen.  Viel  Widerspruch  verschlimmert 
die  Krankheit;  Müßiggang  begünstigt  die  Herrschaft  der  Komplexe,  während 
eine  geregelte  Arbeit  das  normale  Denken  in  Übung  erhält.  Die  daraus  entstehen- 
den Forderungen  sind  nicht  immer  unerfüllbar,  da  es  sich  so  oft  um  Kranke 
handelt,  die  von  den  Eltern  abhängig  sind. 

Alle  ehrgeizigen  Pläne  müssen  aufgegeben  werden.  Dafür  muß  man  suchen, 
den  Kranken  zu  einer  leichteren  Beschäftigung  anzuhalten,  bei  der  ein  gelegent- 
liches Aussetzen  nicht  zu  viel  zu  sagen  hat,  so  daß  man  sich  nicht  mit  ihm  streiten 
muß,  wenn  ihn  eine  hebephrene  Laune  von  der  Arbeit  abhält.  Land-  oder  Garten- 


Therapie. 


381 


arbeit  ist  natürlich  am  geeignetsten,  namentlich  auch  deshalb,  weil  die  Kranken 
die  allgemein  als  „gesund"  geltende  Beschäftigung  gerne  als  kurmäßige  betrachten 
und  so  sich  leichter  dazu  bereden  lassen  als  zu  anderen  Berufswechseln.  Für 
Mädchen  ist  natürlich  auch  Hausarbeit  unter  geeigneter  Leitung  zu  empfehlen. 
Mechanische  Bureauarbeit  Icann  in  einzelnen  Fällen  ganz  gut  tun;  warnen  muß 
man  aber  vor  selbständiger  Kopfarbeit,  sobald  damit  eine  gewisse  Verantwort- 
lichkeit verbunden  ist;  fehlerfreie  Leistungen  sind  eben  selten  zu  erwarten,  und 
der  unvermeidliche  Tadel  würde  die  ganze  Arbeitsfreudigkeit  zu  sehr  gefährden. 
Den  Affekten  als  solchen  kann  man  nicht  ausweichen;  um  so  mehr  soll  man 
Situationen  vermeiden,  die  Gelegenheit  zu  gemütlichen  Erregungen  geben.  Vor 
allem  sind  bei  Unverheirateten  nähere  Bekanntschaften  mit  dem  anderen  Ge- 
schlechte, bei  Verheirateten  Gelegenheiten  zu  ehelicher  Unzufriedenheit  gefährlich. 
Bei  Frauen  ist  das  Eintreten  der  Schwangerschaft  mit  allen  Mitteln  zu  verhüten. 

Leideristes  nötig,  die  Empfehlung  der  Heirat  besonders  zu  erwähnen. 
Nicht  nur  Mütter  und  Basen  sind  sehr  oft  zu  einer  solchen  Maßregel  geneigt, 
auch  Ärzte  verfallen  merkwürdigerweise  darauf;  und  zwar  nicht  nur  dann, 
wenn  sie  die  „Entschuldigung"  der  falschen  Diagnose  ,, Nervosität"  anführen 
können.  In  einem  Fall  empfahl  ein  Arzt  die  Heirat,  weil  doch  die  Wahnideen 
sexueller  Natur  seien.  Die  Konsequenzen  sind  natürlich  die  bedauerlichsten, 
indem  dann  noch  eine  zweite  Familie  und  bei  der  nicht  auszuschließenden  Here- 
dität vielleicht  auch  die  Eander  unglücklich  gemacht  werden.  IstdieKrankheit 
diagnostiziert  oder  vermutet,  so  ist  vom  Heiraten  unter  allen  Um- 
ständen und  mit  möglichster  Energie  abzuraten. 

Dringend  ist  auch  vor  allen  teuren  Kuren  zu  warnen.  Wie  oft  empfehlen 
noch  Ärzte  und  Nichtärzte  chronischen  Patienten  alle  möglichen  Nervenkuren ! 
Die  näheren  und  manchmal  noch  die  entfernteren  Verwandten  opfern  dem 
unheilbaren  Kj-anken  ihr  Vermögen,  um  später  mit  ihm  der  Armut  zu  verfallen. 
Ein  Kleinbauer  von  einigem  Besitz  ist  ökonomisch  herabgekommen,  weil  der 
Arzt  seiner  Tochter  unter  anderm  andauernd  2  Flaschen  Champagner  täglich 
verschrieb.  Auch  in  wohlhabenden  Kreisen  muß  nicht  selten  die  Erziehung  der 
gesunden  Kinder  darunter  leiden,  daß  einem  Kranken  ganz  unnützerweise  zu 
viel  geopfert  wird.  Sagen  wir  es  uns  und  anderen  ganz  offen,  wir  kennen  bis 
jetzt  keinen  Eingriff,  der  die  Krankheit  als  solche  zur  Heilung  oder 
nur  zum  Stillstand  bringen  könnte. 

Auch  wenn  die  Kranken  in  die  Anstalt  gebracht  sind,  soll  man  noch  Rück- 
sicht auf  die  Verhältnisse  der  Familie  nehmen.  Für  recht  viele  der  schwerer 
Kranken  ist  es  dauernd  oder  doch  vorübergehend  vollständig  gleichgültig,  in 
welcher  Klasse  sie  verpflegt  werden.  Man  sage  das  in  solchen  Fällen  bei  Zeiten 
der  Familie,  die  nur  zu  leicht  geneigt  ist,  der  Liebe,  aber  auch  oft  der  Eitelkeit 
oder  dem  Geschwätz  der  Nachbarn  Hilfsmittel  zu  opfern,  die  in  anderer  Weise 
viel  nützlicher  verwendet  werden  könnten. 

Man  hat  sowohl  im  Prodromalstadium  wie  bei  der  ausgesprochenen  Kranldieit 
einige  Mittel  empfohlen,  die  heilen  oder  doch  bessern  sollten.  Man  hat  natürlich  in 
neuerer  Zeit  die  Organotherapie  (Kraepelin,  Sprague  und  Hill)  versucht  und 
nach  Analogie  des  Myxödems  Thyreoidea  gegeben,  sogar  Nebenschilddrüse  haben 
die  Kranken  bekommen  (Pighini)  -  ohne  Erfolg.  Jod  imd  Thyreolezithin  wird 
neuerhch  wieder  bei  Katatonie  empfohlen. 


382 


Schizophrenie, 


„.11  f  o  "^^^  ""''^  von  Rohe  ^deder  angerateneKast  ratio  n  ist  dem  Patienten 

selbst  unnutzi);  Sterilisation  wird  aber  hoffentlich  hier  ^äe  bei  anderen  koituBfähigen 
iragern  emer  pathologischen  Anlage  aus  rassehygienischen  Gründen  bald  in  größerem 
Maßstab  angewendet  werden  können. 

Erfolge  von  gynäkologischer  Behandlung,  die  von  Zeit  zu  Zeit  von 
]einandem  empfohlen  wird,  habe  ich  nicht  gesehen,  eher  Nachteile  (womit  natürlich 
mcht  gesagt  sem  soll,  daß  man  offenkundig  sexualleidende  Frauen  nicht  örtlich  be- 
handeln darf). 

Die  entspi;echende  Behandlung  der  Männer  mit  Bougieren,  Tuschieren  usw 
hat  natürlich  nicht  mehr  Erfolg,  obschon  sie  sich  wenigstens  gegen  ein  bestimmtes 
bymptom,  das  auch  als  Ursache  angesehen  wird,  die  Onanie,  richtet.  Als  PaUiativum 
gegen  dieses  Symptom,  nicht  aber  gegen  die  Krankheit,  mag  dafür  hier  das  Brom 
erwähnt  werden,  das  in  emzehien  Fällen  wirldich  den  Geschlechtstrieb  und  die  Onanie 
herabsetzt,  bezeichnenderweise  aber  keinen  Einfluß  auf  die  Krankheit  hat.  Hecker 
will  auch  m  einem  Falle  dui-ch  sehr  kleine  Dosen  Brom  die  sexueUen  Beziehungen  in 
den  Reden  besaitigt  haben. 

Man  wird  ja  unter  Umständen,  namentlich  in  der  Privatpraxis,  auch  nicht  ganz 
auf  die  diätetische  Bekämpfmig  der  Onanie  verzichten  und  daneben  kühles  und  nicht  zu 
weiches  Lager  verordnen;  ich  muß  aber  hinzufügen,  daß  diese  Mittel  bei  der  Schizo- 
phrenie von  sehr  problematischer  Wirksamkeit  sind,  imd  daß  es  sich,  wenn  nicht  be- 
sondere Gründe  es  nötig  machen,  hier  kaum  lohnt,  den  wenig  erfolgreichen  Kampf 
gegen  die  schlechte  Gewohnheit  aufzmiehmen. 

Wo  ein  neuer  Anfall  durch  die  Gravidität  ausgelöst  scheint,  muß  man  an  Abort 
denken.  In  einem  Fall,  wo  dieser  aus  gynäkologischen  Gründen  ausgeführt  worden  ist, 
und  die  Furcht,  von  ihrem  Mamie  noch  mehr  Kinder  zu  bekommen,  der  Hauptkomplex 
der  Kranken  war,  habe  ich  eine  unmittelbar  anschließende  Besserung  gesehen.  Ich 
getraue  mir  aber  beim  jetzigen  Stand  der  Gesetzgebung  nicht,  aus  psychischen  Gründen 
den  Eingriff  zu  empfehlen,  obgleich  ich  die  Kinderzeugung  durch  eine  schizophrene 
Mutter  für  ein  Unglück  halte. 

Gegen  die  Krankheit  selbst  werden  natürlich  alle  Arten  von  Diätkuren  emp- 
fohlen; namentlich  in  England  wird  auch  Gewicht  gelegt  auf  Mästung.  Ich  habe  von 
allen  diesen  Dingen  weder  Gutes  noch  Böses  gesehen,  soweit  es  sich  nicht  um  Alkohol- 
entzug handelt. 

Die  Bluttransfusion  ist  von  Carlo  Livi  bei  der  „lipemania  stupida"  empfohlen 
worden.  Auch  Kocbsalzinf  usionen  hat  man  versucht,  aber  ohne  Erfolg  (z.  B.  in 
Ufa.  W.S.  1904/05,  S.  490). 

Die  Beobachtung,  daß  nach  fieberhaften  Krankheiten  manchmal  eine  Remission 
eintritt,  hat  Veranlassung  gegeben,  künstlich  Fieber  zu  erzeugen  (Wagner  v.  Jauregg). 
Man  hat  geradezu  Erysipel  mid  Streptokokken  eingeimpft  (Catala,  Boeck).  In  neuerer 
Zeit  werden  die  Versuche  in  weniger  gefährlicher  Weise,  etwa  mit  Tuberkulin,  getöteten 

^)  Ich  erinnere  mich  genauer  an  vier  kastrierte  Schizophrene.  Ein  Mann  hatte  sich 
selbst  die  Hoden  abgeschrütten ;  zwei  Frauen  sind  wegen  „nervöser  Beschwerden",  d.  h.  in 
Wirklichkeit  wegen  der  Geisteskrankheit,  und  eine  dritte  wegen  entzündlicher  Prozesse 
in  den  inneren  Genitalien  kastriert  worden.  In  keinem  Falle  zeigte  sich  ein  günstiger  EinflüB 
auf  denjVerlauf.)Zweimal  schloß  sich  die  Verschlimmerung,  d.  h.  die  manifeste  Geisteskrankheit, 
an  die  Kastration  an,  und  es  bildete  die  Vorstellung,  kein  ganzer  Mensch  mehr  zu  sein,  einen 
integrierenden  Bestandteil  der  Klrankheitssymptome.  Auch  halbseitige  Kastration  war  bei 
einem  Manne  ohne  Einfluß.  So  bestätigt  die  allerdings  nicht  große  Erfahrung  die  selbst- 
verständliche Überlegung,  daß  sexuelle  Gedanken  nicht  auf  eine  sexuelle  Genese  der  Ivi'ank- 
heit  hinweisen;  sie  gehören  ja  zum  normalen  Menschen,  und  ihr  Vorhandeiasein  zeigt  also 
eher  das  Gegenteil,  nämhch  daß  die  psychische  und  physische  Sexualität  normal  oder 
wenigstens  aktionsfähig  sei. 


Therapie. 


383 


Kulturen  von  Bacillus  pyocyaneus,  mit  Antistreptokokkenserum  (Marr),  gemacht. 
Es  ist  noch  nicht  bewiesen,  daß  auf  diesem  Wege  nicht  doch  Besserungen  erzielt  werden 
können. 

Bruce,  der  die  zur  Schizophrenie  gehörenden  Psychosen  zum  großen  Teil  als 
Infektionspsychosen  ansieht,  hat  Terpentininjektionen  empfohlen,  um  durch  Ver- 
mehrung der  Lymphozyten  die  Widerstandsk-raft  zu  erhöhen;  der  Wert  dieser  Be- 
handlung ist  noch  problematisch^). 

Man  hat  auch  Zustände,  die  zu  unserer  Schizophrenie  gehören,  von  Ver- 
giftungen vom  Darm  aus  ableiten  wollen  und  Abführmittel  gegeben,  ja  den  Darm 
desinfiziert  (Macpherson).  Man  hat  keine  Anhaltspunkte,  die  Ansicht  für  richtig 
zu  halten. 

Ist  die  Krankheit  erkannt,  so  ist  die  Frage  zu  entscheiden,  ob  Anstalts- 
behandlung oder  nicht.  Die  Anstalt  als  solche  heilt  die  Krankheit  nicht.  Sie 
kann  aber  erziehen  und  kann  akute  durch  psychische  Einflüsse  erzeugte  Auf- 
regungszustände  verschwinden  machen.  Sie  bringt  dabei  die  Gefahr,  daß  der 
Kranke  dem  normalen  Leben  zu  sehr  entfremdet  wird,  und  auch  die  Angehörigen 
sich  an  die  Anstalt  gewöhnen.  Nach  einer  Anzahl  von  Jahren  hat  man  deswegen 
oft  die  größten  Schwierigkeiten,  auch  weitgehend  Gebesserte  draußen  unterzu- 
bringen (Kahlbaum,  S.  98;  Bleuler,'  72h). 

Behandlung  unter  normalen  Umständen  und  in  gewöhnlicher  Umgebung 
ist  ceteris  paribus  vorzuziehen.  Der  Kranke  soll  nicht  in  die  Anstalt  kommen, 
weil  er  an  Schizophrenie  leidet,  sondern  nur  dann,  wenn  eine  bestimmte  Indika- 
tion dafür  da  ist.  Eine  solche  ist  natürlich  gegeben,  wenn  der  Kranke  zu  störend 
oder  gefährlich  wird,  wenn  Zwangsmittel  angewendet  werden  müssen,  wenn  er 
die  gesunden  Familienglieder  aufzureiben  droht,  wenn  er  sich  nicht  mehr  be- 
einflussen läßt.  In  letzterem  Falle  wird  die  Anstalt  den  Kranken  zu  einem  erträg- 
lichen Verhalten  zu  erziehen  suchen  und  dann  wieder  entlassen. 

Die  Entlassung  aus  der  Anstalt  erfolgt  nach  gleichen  Grundsätzen. 
„Heilung"  braucht  man  nicht  abzuwarten.  Im  ganzen  kann  man  als  Eegel 
aufstellen,  daß  die  frühen  Entlassungen  die  besseren  Eesultate  haben.  An- 
scheinend ganz  schwer  Kranke  benehmen  sich  draußen  oft  plötzlich  ganz  gut. 
Man  muß  aber  alles  abwägen;  namentlich  auch  Eücksicht  nehmen  auf  die  Eigen- 
schaften der  Verwandten,  die  ebensogut  einen  Kranken  verderben  wie  weiter 
erziehen  können.  Hat  man  passende  Arbeit  für  den  Gebesserten,  so  wird  man 
viel  wemger  lange  zögern  wie  im  gegenteiligen  FaUe.  Welche  der  aufgeregten 
Kranken  sich  zu  frühzeitiger  Entlassung  eignen,  ist  schwer  zu  sagen.  Je  „organi- 
scher", je  wemger  psychogen  des  Bild  aussieht,  um  so  weniger  Chancen  hat  die 
Entlassung.  Das  einzige,  aUerdings  oft  gut  anwendbare  Kriterium  ist  die  Fähig- 
keit der  Patienten,  auf  Veränderungen  in  Umgebung  und  Behandlung  zu 
reagieren  2).  ° 

jeden  Erfolg Schwerkranken  Versuche  mit  Nucleinsäure  gemaclU,  ohne 


)  In  schlechten,  überfüllten  Anstalten,  die  ja  immer  seltener  werden,  werden  die 

un^Z  p'''"'  r/T'  f,  '''^  Arbeitesklaven  des  Personals  das  sie  ^de 

unarfge  Gesunde  behandelt;  sobald  sie  ein  wenig  besser  sind,  müssen  sie  aus  Platzmangel 
en  lassen  werden,  wozu  der  Arzt  leichter  die  Hand  zu  bieten  geneigt  ist  als  da,  wo  man  sfch 
küiiöh  1    V  ''f  chäftigt  und  die  Ki-anklieit  noch  deuthch  sieht.  So  w^rd  unS 

i^egntten)„guten  Anstalten  hangen  bleiben,  werden  aus  diesen  schlechten  „geheilfentlas^"" 


assen. 


384 


Schizophrenie. 


Daß  zu  frühe  Entlassungen  an  sich  bei  Schizophrenen  schaden,  wie  bei 
Manisch-Depressiven,  glaube  ich  nicht.  Dagegen  können  die  Verhältnisse  draußen 
so  sein,  daß  sie  neuen  Eücldall  bewirken  (Zusammentreffen  mit  dem  Geliebten, 
Streit  in  der  Familie,  Zusammenleben  mit  einer  glücklich  verheirateten  Schwester^ 
die  die  Patientin  an  die  eigene  Unfähigkeit,  zu  heiraten,  erinnert). 

Kann  man  die  Kranken  nicht  in  der  eigenen  Familie  unterbringen,  so  leistet 
oft  die  Pflege  in  fremden  Familien  sehr  gute  Dienste;  nur  verlangt  diese' natürlich 
eine  Überwachung  von  kompetenter  Seite.  Namentlich  die  abgelaufenen  Fälle, 
die  in  einer  Anstalt  mit  etwas  Bewegmigsfreiheit  Disziplin  gelernt  haben,  eignen 
sich  für  die  organisierte  Familienpflege. 

Die  einzige  zur  Zeit  ernst  zu  nehmende  Therapie  der  Schizophrenie  im 
ganzen  ist  die  psychische.  Leider  sind  wir  aber  auch  da  noch  nicht  weit  über 
eine  bloße  Empirie  hinaus.  Da  die  Symptomatologie  der  Krankheit  von  den 
Komplexen  beherrscht  wird,  und  da  man  von  diesen  aus  oft  in  die  Psyche  des 
Kranken  eindringen  kann,  sollte  man  erwarten,  daß  man  sie  von  da  aus  auch 
beeinflussen  könnte.  Besserungen  auf  psychische  Einflüsse  finden  auch  unzweifel- 
haft statt,  aber  wir  können  im  einzelnen  Falle  nicht  sagen,  was  zu  tun  ist,  um 
die  Besserung  herbeizuführen,  wir  sind  also  aufs  Tasten  angewiesen,  ja  ich 
möchte  sagen  darauf,  dem  Zufall  recht  viele  Möglichkeiten  zu  bieten,  damit  er 
eine  derselben  benutzen  könne.  Tut  man  das  und  im  richtigen  Moment,  so  kann 
man  aber  recht  viel  erreichen. 

Auf  der  Höhe  der  eigentlichen  Krankheitsschübe  ist  bis  jetzt  nichts  zu 
machen.  Wir  müssen  die  Besserung  abwarten.  Schwierig  ist  es  aber  in  vielen 
Fällen,  das  Ende  dieses  Stadiums  zu  erkennen.  Ein  Katatoniker  kann  noch 
schwer  krank  erscheinen,  negativistisch,  gewalttätig,  autistisch  im  höchsten  Grade 
sein  und  doch  schon  auf  bestimmte  Einflüsse  von  Seite  der  Umgebung  reagieren 
und  bei  einer  Versetzung  nach  Hause  plötzlich  den  Verwandten  als  gesund  im- 
ponieren. In  solchen  Fällen  sehen  wir  eigentlich  erst  aus  dem  Erfolg,  daß  die 
Krankheit  eine  andere  geworden  ist.  Wer  aber  gut  untersucht  und  beobachtet, 
wird  meist  vorher  schon  Anzeichen  finden,  daß  nun  mit  dem  Kranken  etwas  zu 
machen  wäre. 

Es  kommt  noch  etwas  hinzu. 

Daß  ein  akuter  Anfall  von  Schizophrenie  ausgebrochen  ist  und  dauert, 
flaß  der  eigentliche  Krankheitsprozeß  weiter  geht  oder  stille  steht,  ist  von  unserem 
Handeln  meist  unabhängig.  Daß  aber  ein  bestimmter  Kranker  nun  gerade  sich 
auf  den  Kopf  stürzen  will,  daß  er  schmiert,  daß  er  Scheiben  einschlägt,  Kleider 
zerreißt  u.  dgl,  das  ist  nicht  direkt  durch  den  Krankheitsprozeß  bedingt,  sondern 
das  ist  eine  Eeaktion  seiner  Komplexe  auf  innere  und  namentlich  äußere  Erleb- 
nisse. Es  ist  also  potentia  immer  die  Möglichkeit  vorhanden,  den  Kranken  in 
seinen  Symptomen  zu  beeinflussen. 

Auf  welchem  Wege  aber,  das  ist  im  einzehien  Falle  wie  im  allgemeinen 
schwer  zu  sagen.  Es  gibt  Kegeln,  die  sich  geradezu  widersprechen  und  doch 
richtig  sind,  je  nach  dem  Fall  und  der  Umgebung.  So  soll  man  vor  allem  danach 
trachten,  den  Negativismus  nicht  zu  reizen;  je  weniger  Widerstand  und  Wider- 
spruch beim  Personal,  um  so  weniger  Neigung  zu  Widerstand  beim  Patienten 
im  Sinne  des  Negativismus.  Alf  der  andern  Seite  kann  man  mit  bestimmten 
Befehlen,  wogegen  ein  Widerstand  unnütz  ist,  sehr  viel  erreichen.  In  der  Pflege- 


Therapie. 


385 


anstalt  Eheinau  traf  ich  seinerzeit  eine  Anzahl  Patienten,  mit  denen  man  nichts 
Anzufangen  wußte.  Das  Wartpersonal  behauptete  aUen  Ernstes,  es  sei  unmöglich, 
7el  B  zu  kämmen  oder  zu  waschen  u.dgl.  Die  strikte  und  ganz  unerbittliche 
Diu-chführung  der  Hausordnung  auch  in  dieser  Beziehung  hatte  bei  allen  innerhalb 
weniger  Tage  den  Erfolg,  daß  sie  den  Widerstand  aufgaben,  und  bei  der  Mehrzahl 
auch  den,  daß  sie  überhaupt  zugänglicher  ^^nirden.  Kann  es  einen  Patienten  von 
seinem  Selbstmordtrieb  heilen,  wenn  man  ihn  gewähren  laßt,  so  kann  es  aucü 
widerum  den  gleichen  Effekt  haben,  wenn  der  Kranke  die  absolute  Unmogüch- 
keit  einsieht,  dem  Trieb  zu  folgen.  Viele  la:ankhafte  Unarten  lassen  sich  dadurch 
aus  der  Welt  schaffen,  daß  man  sie  nicht  duldet. 

Die  aUgemeinen  Aufgaben  nun  der  Behandlung  sind  Erziehung  und 
Herstellung  des  Kontaktes  mit  der  Wirklichkeit,  d.  h.  Bekämpfung  des 

Autismus.  1  •  j- 

Beiden  Aufgaben  kann  man  oft  lange  Zeit  nicht  gerecht  werden,  bis  die 
Ki-anken  ihr  Widerstreben  aufgegeben  haben  und  sich  überhaupt  beeinflussen 
lassen.  Da  ist  es  sehr  wichtig,  daß  man  gelegentlich  einen  Versuch  macht.  Bei 
keiner  Krankheit  ist  es  so  nötig  wie  bei  der  Schizophrenie,  dann  und  wann  die 
äußeren  Bedingungen  zu  ändern.  Bleiben  die  Kranken  immer  unter  den  gleichen 
Umständen,  so  spinnen  sie  sich  leicht  immer  mehr  ein  und  werden  immer  weniger 
beeinflußbar.  Deswegen  auch  der  große  Vorteil  der  Versetzungen  auf  andere 
Abteilungen,  in  andere  Anstalten,  nach  Hause  oder  überhaupt  in  ein  anderes 
Milieu.  Namentlich  die  Versetzung  in  andere  Anstalten  sollte  bei  chronisch 
gewordenen  Fällen  mehr  geübt  werden  können  (Eiklin,  611).  Manchmal  kann 
man  auch  bei  aufgeregten  Patienten  die  Versetzung  auf  eine  bessere  iVbteilung 
zu  einer  Art  Kontrakt  benutzen.  Eine  Kranke  z.  B.,  die  wegen  beständigen 
Lärmens  und  immerwährender  Gewalttätigkeit  nur  noch  isoliert  gehalten  werden 
kann  und  sich  dabei  von  Tag  zu  Tag  verschlechtert,  wird  versetzt  unter  der  Be- 
dingung, daß  sie  sich  gut  halte,  und  mit  dem  ferneren  Versprechen,  sie  so  bald 
wie  möglich  zu  entlassen.  Sie  ist  vom  Augenblick  an  ruhig  und  entlassungsfähig. 

Am  meisten  wird  die  Arbeitstherapie  allen  Anforderungen  gerecht. 
Sie  übt  die  normalen  Funktionen  der  Psyche,  gibt  unaufhörliche  Gelegenheit 
zu  aktivem  und  passivem  Kontakt  mit  der  Wirklichkeit,  übt  die  Anpassungs- 
fähigkeit, zwingt  dem  Patienten  den  Gedanken  ans  normale  Leben  draußen  auf; 
und  vor  allem  bietet  die  Arbeit  fast  die  einzige  Gelegenheit  für  das  Wartpersonal, 
sich  mit  den  Ki'anken  eingehender  zu  beschäftigen ;  ist  es  doch  keinem  Menschen 
möglich,  ohne  solche  äußere  Anhaltspunkte  mit  Leuten,  mit  denen  man  keinen 
seelischen  Eapport  hat,  auf  die  Dauer  in  psychischem  Kontakt  zu  bleiben. 
Sogar  im  akuten  Stadium  ist  die  Arbeitstherapie  oft  anwendbar  und  nützhch. 
Jede  Anstalt  soll  so  eingerichtet  sein,  daß  jedem  Patienten  zu  jeder  Zeit  Arbeit 
angeboten  werden  kann.  Arbeit  im  Freien  wirkt  in  manchen  Beziehungen  am 
günstigsten.  Für  Frauen  tut  die  gewohnte  Hausarbeit  nahezu  die  gleichen  Dienste. 
Auch  Abschreiben  uiid  andere  mechanische  Bureauarbeiten  erweisen  sich  für 
manche  Kranke,  die  einer  solchen  Beschäftigung  von  früher  her  gewohnt  sind, 
ganz  zweckmäßig.  Anstrengung  des  Geistes  ist  in  einer  Großzahl  von  Fällen 
gar  nicht  zu  erreichen,  bei  anderen  schädlich.  Sehr  wichtig  ist,  daß  die  Arbeit 
so  organisiert  sei,  daß  sie  sich  eigentlich  für  den  Kranken  von  selbst  versteht. 
Die  Patienten  haben  sich  dann  einfach  in  einen  Organismus  einzufügen,  dem  sie 

Handbuch  der  Psychiatrie:  Bleuler.  25 


386 


Scbizoplireuie. 


schon  durch  den  Eintritt  in  die  Aaistalt  angehören;  die  Beteiligung  an  der  Arbeit 
verlangt  dann  nichts,  was  einem  besonderen  Gehorsam  ähiilich  sähe  und  erregt 
so  am  wenigsten  Negativismus. 

Die  Fälle,  in  denen  die  Arbeitstherapie  nicht  anwendbar  ist,  zeigt  der  Ver- 
such. Man  soll  auch  daran  denken,  daß  manche  Kranke  ein  abnormes  Ermüdungs- 
gefühl haben  und  deswegen  nur  vorsichtig  oder  zeitweise  gar  nicht  zur  Arbeit 
angehalten  werden  können.  In  seltenen  Fällen  vermehrt  die  Arbeit  die  Halluzina- 
tionen imd  muß  dann  auch  ausgesetzt  werden  —  aber  womöglich  nur  temporär. 

Bei  Pseudovornehmheit,  wo  der  Patient  und  eventuell  sogar  seine  Ange- 
hörigen prinzipielle  Einwände  gegen  Arbeit  machen,  kann  künstlerische  Be- 
tätigung ein  Notbehelf  sein,  der  in  einzelnen  Fällen  ganz  gute  Dienste  leistet, 
doch  wegen  des  mangelnden  Zwanges  zum  Kontakt  mit  der  Wirklichkeit  über- 
wacht werden  muß.  Auch  die  Neigung  zu  Spielereien,  Bizarrerien  und  namentHch 
bei  der  Musik  zu  bloßem  Gefühlsdämmern  bildet  eine  gewisse  Gefahr.  Immerhin 
wird  man  Berufskünstler  während  der  Besserung  sich,  wenn  immer  möglich,  in 
ihrem  Fache  betätigen  lassen. 

Auch  der  Sport  kann  als  minderwertiges  Ersatzmittel  der  Arbeit  gelten. 
Neben  der  Arbeit  aber  hat  er  unter  einer  Bevölkerung,  die  ihn  kennt,  großen 
Wert.  An  anderen  Orten  müssen  Spiele  wie  Karten,  Billard,  Kegel  den  gleichen 
Dienst  tun. 

Unterhaltungen  aller  Art  inklusive  Tanz  und  Spaziergänge  sind  für 
die  dazu  geeigneten  Kranken  oft  sehr  nützlich;  sie  erhalten  den  Kontakt  mit 
der  Wirklichkeit  oder  stellen  ihn  wieder  her^).  Chronisch  eingesponnene  Fälle 
können  manchmal  bei  einem  solchen  Anlaß  wieder  die  Wendung  zum  Besseren 
nehmen^). 

Man  sorge  auch  besonders  dafür,  daß  der  Sonntag,  der  für  unsere  Patienten 
im  ganzen  ein  ungünstiger  Tag  ist,  genug  Gelegenheit  zur  Unterhaltung  biete. 
Auch  auf  den  unruhigsten  Abteilungen  soll  Lektüre  sich  finden.  Sehr  gut  ist  es 
auch,  wenn  die  Landesgebräuche  nicht  verbieten,  daß  weibliche  Kranke  an  diesem 
Tage  für  sich  arbeiten  können  (z.  B.  Spitzen  häkeln,  das  ihnen  etwas  Taschen- 
geld einbringt). 

Die  Erziehung  der  Kranken  muß  namentlich  auf  Selbstbeherrschung 
gerichtet  sein.  Damit  ist  zugleich  eingeschlossen  die  Beherrschung  mancher 
Krankheitssymptome.  Viele  Kranke  können  lernen,  die  Aufregungen  zu  imter- 
drücken,  den  Halluzinationen  keine  Folge  zu  geben,  sich  nicht  von  ihnen  auf- 
regen zu  lassen,  schlechte  Gewohnheiten  abzulegen.  Intelligentere  Leute  von 
guten  Anlagen  bringen  es  in  einzelnen  Fällen  zu  einer  bewunderungswerten 
Selbstbeherrschung.  Man  kann  aber  auch  weniger  gut  begabten  Kranken  den 
Trieb  beibringen,  ihr  Benehmen  dem  normalen  so  weit  wie  möglich  anzupassen. 

Wie  bei  aller  anderen  Erziehung  ist  natürUch  auch  hier  in  erster  Linie  auf 
eine  gute  Ausfüllung  der  Zeit  hinzuarbeiten.  Da  viele  Schizophrene  die  Lange- 

1)  Es  ist  natürlich  -wächtig,  die  ünterhaltungsanlässe  alkoholfrei  zu  halten,  da  sonst 
oft  die  Nachteile  die  Vorteile  überwiegen. 

2)  Auf  einer  Abteilung,  die  ich  antrat,  traf  ich  eine  gewalttätige  Patientin,  deren  Zelle 
nur  von  vier  Wärterinnen  zusammen  betreten  werden  durfte.  An  Weihnachten  nahm  ich  sie 
zur  Feier.  Am  Berchtoldstage  produzierte  sie  sich  als  Sängerin,  und  einige  \Vochen  nachher 
war  sie  entlassen.  Sie  hat  sich  gehalten. 


Tlierapie. 


387 


weile  eincrebüßt  haben,  imiß  man  diese  durch  äußeren  Stimulus  ersetzen.  Diejemgen 
Ibr  die  noch  Lange;eile  empfindenden,  sollen  m  die  Möglichkeit  versetzt 
werden,  sie  zu  verbannen ;  sonst  fangen  sie  wie  die  Gesunden  m  gleicher  Lage 

'"''^  BeVmanchen  feiner  angelegten  Kranken  hilft  in  gewissen  Stadien  ein  AppeU 
an  die  Ethik,  an  den  Ehrgeiz;  oder  es  gelingt  wenigstens,  sie  für  irgend  eme 
nützliche  Beschäftigung  zu  interessieren.  Bei  den  weiter  fortgeschrittenen  und 
bei  von  Natur  weniger  seiisibel  angelegten  Patienten  ist  dieser  Weg  allerdings 
nicht  gancrbar.  Da  wird  halt  das  bewährte  Zuchtmittel  von  Zuckerbrot  und 
Peitsche  nicht  zu  entbehren  sein.  Nur  soll  die  Peitsche  so  weit  mögbch  mcht  m 
Zufügung  eines  Übels  bestehen,  sondern  in  Nichtgewähren  von  Zuckerbrot,  auf 
das  die  Kranken  kein  Anrecht  haben.  Unsoziales  Benehmen  führt  so  wie  so 
notwendigerweise  zu  Übeln,  die  als  Strafe  aufgefaßt  werden  können,  wie  nament- 
lich Versetzimg  auf  eine  Abteilung,  wo  eben  die  anderen  Kranken  auch  imsozial 
und  deswegen  für  den  Patienten  unangenehm  sind.  Ich  halte  es  aber  für  einen 
Vorteil,  auf  Disziplinarmittel  nicht  ganz  zu  verzichten,  wenn  auch  hier  em  Zu- 
wenig unendlich  viel  besser  ist  als  ein  Zuviel. 

Man  sollte  meinen,  daß  religiöse  Beeinflussung  ein  gutes  Erziehungs- 
imttel  wäre.  Ich  habe  aber  bei  der  Schizophrenie  noch  keinen  Erfolg  davon  ge- 
sehen. Ob  diejenigen,  die  sie  anwenden,  nicht  den  richtigen  Weg  finden? 

Eine  besondere  Aufgabe  der  Anstaltserziehung  ist  die  Gewöhnung  an 
die  Freiheit.  In  den  Anstalten  können  sich  die  Kranken  nicht  selbst  dirigieren. 
\iele  verlieren  nach  einiger  Zeit  die  Fähigkeit  dazu,  wenn  man  nicht  besonders 
darauf  achtet.  Man  muß  sie  also  durch  Gewährung  von  Freiheiten,  durch  Aus- 
gänge, Urlaube,  Probeentlassungen,  eventuell  auch  durch  selbständige  Arbeit 
m  der  Anstalt  daran  gewöhnen^).  Auch  die  Kranken,  die  in  den  Anstalten  ver- 
bleiben, kann  man  großenteils  so  erziehen,  daß  sie  am  Sonntag  Spaziergänge 
machen^) ;  es  sieht  ja  viel  menschlicher  aus,  wenn  die  Kranken  ausgehen  können ; 
ich  muß  aber  hinzufügen,  daß  ich  mich  im  einzelnen  Falle  oft  gefragt  habe,  ob 
ich  einem  solchen  Patienten  wirldich  einen  Dienst  geleistet  habe,  wenn  er  an  neue 
Bedürfnisse  gewöhnt  wurde. 

Ein  wichtiges  Erziehungsmittel  ist  ein  besonderer  Wärter,  der  auch 
einen  überwachungsbedürftigen  Kranken  von  den  anderen  Elementen  fernhalten 
und  ihm  Arbeit  und  Unterhaltung  verschaffen  kann.  Da  wo  die  Mittel  etwas 
knapp  sind,  raten  wir  den  Angehörigen  oft,  den  Kranken  in  eine  niedrigere  Ver- 
pflegungsklasse zu  versetzen  und  dafür  einen  Wärter  zu  bezahlen. 

Der  Suggestion  durch  das  Milieu  ist  natürlich  volle  Aufmerfeamkeit 
zuzuwenden.  Eine  gute  Umgebung  hat  einen  ganz  andern  Einfluß  als  eine 
querulierende  oder  lärmende.  Das  Geheimnis  des  Erfolges  vieler  Anstalten  be- 
niht  auf  viel  Platz,  vielen  Abteilungen  oder  weitgehender  Abschiebungsmöglich- 
keit zur  Trennung  der  antisozialen  Elemente.  Die  eigentliche  Suggestiv- 
therapie erreicht  bei  der  Schizophrenie  nicht  viel.  Manche  der  Kranken  sind 
allerdings  der  Hypnose  zugänglich;  man  kann  ihnen  Schlaf  suggerieren,  Halluzi- 

^)  Bei  Probeentlassungen  werden  auch  die  Angehörigen  zu  richtigem  Benehmen 
gegenüber  den  Kranken  erzogen. 

Besonders  wenn  die  Anstalt  nicht  in  der  Nähe  einer  Stadt  gelegen  ist. 

25* 


388 


Schizophrenie. 


nationen  für  kurze  Zeit  wegbringen,  sie  für  einmal  ruhiger  machen;  aber  die  Erfolge 
sind  nicht  dauernd,  außer  in  den  Fällen,  wo  eben 'die  Krankheit  auch  sonst  ab- 
nimmt. Die  Therapie  lohnt  also  die  angewandte  Mühe  nur  selten.  Immerhin  habe 
ich  in  einem  Falle  mit  sehr  schlimm  aussehenden,  häufigen  halluzinatorischen  Auf- 
regungen die  von  Forel  begonnene  Suggestivtherapie  in  dem  Sinne  fortgesetzt, 
daß  ich  den  Patienten  im  Beginn  jeder  Aufregung  hypnotisierte;  schließlich 
erreichte  man  das  definitive  Ausbleiben  der  Aufregungen,  so  daß  der  Patient 
nun  etwa  15  Jahre  sich  draußen  hält.  Versuche  mit  Aussetzen  der  Behandlung 
zeigten,  daß  die  Besserung  keine  zufällige  war. 

Dagegen  wird  man  auf  die  gewöhnlichen  Suggestivmittel  bei  der  Schizo- 
phrenie so  wenig  verzichten  wie  bei  anderen  Kranlcheiten.  Wenn  auch  viel  seltener, 
so  ist  es  doch  auch  hier  möglich,  durch  larvierte  Suggestion  ein  Leiden  zu  heben, 
durch  ein  pulvis  sacchari  lactis  Schlaf  zu  erzielen  usw. 

Das  Aufdecken  der  Komplexe  und  Abreagierenlassen  hat  in  den 
schwereren  Fällen  selten  den  Erfolg  wie  bei  den  Neurosen.  Die  Patienten  werden 
dadurch  nicht  verändert.  In  leichteren  Fällen  allerdings,  wie  sie  häufiger  in  der 
Privatpraxis  als  in  Anstalten  vorkommen,  ist  manchmal  auf  diese  Weise  ein 
deutlicher  Erfolg  zu  verzeichnen,  der  unter  Umständen  einige  Jahre  lang  dauert 
und  auch  bei  Wiederholungen  nicht  ausbleibt.  Wir  haben  aber  auch  gerade  jetzt 
in  der  Anstalt  einen  ziemlich  weit  gediehenen  Fall  von  Schizophrenie,  der  draußen 
in  mehreren  Sanatorien  seine  Schlaflosigkeit  nicht  los  wurde,  durch  Abreagieren 
in  wenigen  Tagen  zu  einem  normalen  Schlaf  gebracht.  (Es  ist  für  die  Therapie 
irrelevant,  ob  es  ein  eigentliches  Abreagieren  gebe,  oder  ob  es  sich  nur  um  eine 
andere  Form  larvierter  Suggestion  handle.)  Die  bei  der  Hysterie  so  gut  zu  frukti- 
fizierende  Übertragimg  der  Zuneigung  auf  die  Ärzte  hat  bei  ausgesprochener 
Schizophrenie  meist  nur  Icrankhafte  „Liebe",  gelegentlich  mit  konselmtiven 
geschlechtlichen  Verfolgungsideen  zur  Folge. 

Eine  systematische  Erziehung  des  Denkens  wüßte  ich  bis  jetzt  nicht 
recht  durchzuführen.  Wenn  man  dem  Kranken  die  Herrschaft  über  seine  Kom- 
plexe gibt,  so  ist  auch  für  gewöhnlich  das  Wünschbare  erreicht.  Man  hat  indessen 
auch  geistige  Gymnastik,  Schulunterricht,  empfohlen  (in  neuerer  Zeit  z.  B. 
Masseion).  Der  Erfolg  ist  wohl  nicht  groß. 

In  vielen  schwereren  Fällen  ist  eine  eigenthche  Erziehung  zu  zielbewußt 
richtigem  Plandeln  nicht  mehr  zu  erreichen.  Aber  auch  da  ist  ein  Erfolg  möghch, 
den  man  nicht  anders  als  mit  dem  etwas  anrüchigen  Worte  „Dressur"  richtig 
bezeichnen  kann.  Die  Kranken  können  dazu  gebracht  werden,  mechanisch  oder 
aus  Gewohnheit  das  zu  tun,  was  richtig  ist.  Sie  beherrschen  einigermaßen  ihre 
kranldiaften  Antriebe,  machen  wenig  oder  nichts  Böses,  essen  selbst,  ziehen  sich 
an  und  aus  und  sind  oft  noch  mechanischer  Arbeit  fähig.  Das  smd  im  Hmbhck 
auf  das  antisoziale  Verhalten  der  negativistischen  Schwerkranken  kemeswegs 
zu  unterschätzende  Eesultate  der  Behandlung. 

Wie  man  im  einzelnen  FaUe  handehi  soll,  muß  dem  Takt  des  Arztes  uber- 
lassen werden.  Nicht  nur  die  Individualität  des  Patienten  ist  zu  berücksichtigen, 
sondern  auch  die  des  Arztes;  eine  Maßregel,  die  in  der  Hand  des  einen  .\rztes. 
sich  bewährt,  kann,  von  einem  andern  angewandt,  nur  Mißerfolge  zeitigen.  Die 
Hauptsache  ist,  daß  man  keinen  Kranken  ganz  aufgibt,  sondern  immer  wiedox 
bereit  ist,  einzugreifen,  ihm  Gelegenheit  zu  bieten,  aus  semem  Icranldiaften 


Therapie. 


389 


Gedankengang  herauszukommen,  daß  genügend  Geld  und  Personal  da  ist,  um 
das  Notwendige  zu  tun,  und  namentlich,  daß  in  den  Anstalten  genügend  Platz 
vorhanden  sei,  um  jedem  Kranken  zu  gegebener  Zeit  eine  Umgebung  und  eine 
Behandhmg  teil  werden  zu  lassen,  die  in  diesem  Moment  für  ihn  die  beste  ist. 
Das  letztere  sind  pia  desideria,  die  man  nie  außer  acht  lassen  soll.  Einer  besonderen 
Besprechung  bedürfen  die  Bettbehandlung  und  die  Isolierung. 

Die  Bettbehandlung  ist  für  viele  akute  Fälle  das  Gegebene.  So  manche 
aufgeregte  Kranke  sind  im  Bett  am  besten  zu  halten.  Es  liegt  in  der  Bettlage  und 
im  kleiderlos  Sein  eine  nicht  zu  verachtende  Suggestion  zum  ruhigen  Verhalten. 
Außerdem  gibt  das  Bett  selbst  mit  seinen  Decken  und  Laken  in  manchen  Fällen 
Material  zu  einer  Art  unschädlicher  Beschäftigung.  Bei  schwachen,  abstinierenden 
Kranken  ist  auch  aus  körperlichen  Gründen  Bettruhe  notwendig.  Ich  muß  aber 
betonen,  daß  im  ganzen  die  Bettbehandlung  der  Arbeitsbehandlung  nicht  gleich 
kommt.  Ins  Bett  gehören  nur  Kranke,  die  aus  irgend  einem  Grunde  nicht  arbeiten 
können.  Natürlich  war  die  Bettbehandlung  ein  großer  Fortschritt  gegenüber  dem 
laisser  aller,  wie  es  früher  an  vielen  Orten  geübt  wurde.  Es  hat  ja  namentlich 
den  Vorteil,  daß  es  Wartpersonal  und  Patienten  einander  näher  bringt,  daß  das 
erstere  gezwungen  wird,  sich  mit  seinen  Kranken  abzugeben,  was  für  beide 
Teile  so  wichtig  ist.  Den  gleichen  Zweck  erfüllt  aber  die  Arbeit  noch  besser. 
Es  gibt  auch  selten  Kranke,  die  sich  über  die  Arbeit  beklagen,  während  ich  in 
der  Pflegeanstalt  es  in  12  Jahren  nicht  erreichen  konnte,  daß  nicht  viele  Kranke 
das  Betthegen  als  eine  sehr  empfindliche  Strafe  ansahen^). 

In  neuester  Zeit  wird  auch  Bettbehandlung  im  Freien  empfohlen.  Diese 
hat  natürhch  ihre  nicht  zu  imterschätzenden  Vorteile:  die  Abwechslung;  die  Not- 
wendigkeit einer  genaueren  Überwachung;  dann  die  hygienischen  und  psychischen 
Wirkungen  des  Liegens  in  Licht  imd  Luft.  Ich  habe  aber  leider  noch  keine  Erfahrung 
in  dieser  „Behandlmigsmethode". 

Auch  in  bezug  auf  die  Isolierung  stimmen  meine  Erfahrungen  nicht 
ganz  mit  den  Prinzipien,  die  sich  aus  der  modernen  Literatur  zu  ergeben  scheinen. 
Sie  ist  aus  vielen  Gründen  ein  Übel,  aber  in  manchen  FäUen  ein  notwendiges, 
und  in  vielen  das  kleinste  von  den  vermeidbaren  Übeln.  Sie  hat  aber  auch  viel 
Gutes.  Isolieren  muß  man,  wenn  man  ein  Herz  für  seine  Kranken  hat,  oft  des- 
wegen, weil  ein  einziger  unruhiger  Patient  einem  ganzen  Saal  voU  Kranker  in  der 
Nacht  den  Schlaf  rauben  und  am  Tag  das  Leben  sauer  machen  kann  tmd  aUerlei 
böse  Suggestionen  unter  seine  Kameraden  bringt,  so  daß  die  Beruhigung  der 
übrigen  verhindert  wird. 

Für  den  Kranken  selber  aber  kann  die  Isolierung  ein  ausgezeichnetes 
Erziehungsmittel  sein.  Und  das  viel  weniger  nach  der  Eichtimg  der  Peitsche 
als  nach  der  des  Zuckerbrotes;  die  Fernhaltimg  aller  Reize  wird  gerade  von 
Schizophrenen  sehr  oft  als  Wohltat  empfunden.  Kranke  mit  plötzHchen  Auf- 
regungen, die  sich  noch  nicht  genügend  zusammenzunehmen  vermögen,  können 
mit  großem  Erfolg  jedesmal  sofort  isoliert  werden,  wenn  man  dafür  Sorge  trägt 
daß  sie  das  als  eine  Notwendigkeit  und  nicht  als  eine  Strafe  ansehen.  Viele  lassen 
sich  dazu  erziehen,  daß  sie  beim  Herannahen  der  Aufregung  die  Isolierung  selbst 


Ich  habl  tal'lt'lT'  ^"'"^  ^''^ Bettbehandlung  zu  Wadenkrampf  disp, 


onieren. 


390 


Scliizoijbrenie. 


verlangen.  Auf  dieser  Stufe  haben  sie  schon  ein  Stück  Selbstbeherrschung  gelernt, 
und  es  wird  dann  leicht,  die  Türe  des  Isolierzimmers  offen  zu  lassen,  so  daß 
die  Kranken  selbst  entscheiden,  wann  sie  wieder  gesellschaftsfähig  sind.  Auch 
das  ist  wieder  ein  Erziehungsmittel,  von  dem  aus  manche  zu  voller  oder  doch 
größerer  Selbstbeherrschung  kommen i).  —  Daß  Schizophrene  ebenso  wie  Gesunde 
zum  großen  Teil  lieber  im  Einzelzimmer  schlafen,  als  unter  einer  meist  nicht 
gerade  sozialen  Gesellschaft,  wird  merkwürdigerweise  heutzutage  oft  übersehen. 
Ich  habe  von  den  Kranken  lange  nicht  so  viel  Klagen  über  Isolierung  gehört 
wie  über  das  Bettliegen.  Ja,  ich  war  in  der  Pflegeanstalt  oft  gezwimgen,  die 
Isolierung  mit  irgend  einem  Übel  zu  verbinden,  damit  sie  nicht  von  gewissen 
Patienten  erzwungen  werde. 

Gerade  bei  der  Schizophrenie  hat  aber  die  Isolierung  Gefahren,  wie  sie 
bei  einer  andern  Psychose  nicht  vorkommen.  Der  Schizophrene,  der  sich  selber 
überlassen  ist,  spinnt  sich  leicht  stärker  in  seinen  Autismus  ein,  er  fängt  allerlei 
unangenehme  Gewohnheiten  an,  so  namentlich  das  Schmieren. 

Wer  die  Isolierung  richtig  anwendet,  wird  nichts  von  solchen  Nachtf^ilen 
sehen.  Ich  kenne  aus  mehreren  Anstalten  die  fast  unverbesserlichen  „Zellen- 
produkte" sehr  gut.  Ich  kann  aber  auch  hinzufügen,  daß  ich  keines  mehr  habe 
entstehen  sehen,  und  doch  ist  die  Isolierung  bei  uns  immer  noch  geübt,  wenn 
auch  am  Tage  viel  seltener  als  früher.  Natürlich  wird  man  die  Isolierung  nie  einen 
Augenblick  länger  ausdehnen  als  nötig,  aber  das  Wesentliche  liegt  darin, 
daß  man  auch  mit  den  isolierten  Kranken  immer  Kontakt  zu  be- 
halten sucht.  Sie  bleiben  dann  psychisch  nicht  isoliert;  sie  können  ihre  Klagen 
vorbringen ;  wir  können  im  richtigen  Moment  die  Isolierung  aufheben  oder  sonst 
irgendwie  auf  die  Kranken  einwirken.  Fangen  sie  schlimme  Manieren  an,  so 
muß  man  sofort  eine  andere  Behandlung  einschlagen. 

Für  die  palliative  Therapie  stellen  die  akuten  Anfälle  die  wichtigsten, 
aber  auch  die  schwierigsten  Aufgaben.  Viele  Schizophrenen  sind  in  den  halluzina- 
torischen Zuständen  beständig  hochgradig  erregt  und  dabei  die  am  wenigsten 
beeinflußbaren  Kranken,  die  in  die  Anstalten  kommen.  Ihre  Selbstbeschädigungen, 
die  Zerstörung  von  allem,  was  in  ihrem  Bereiche  sich  befindet,  die  tätlichen  An- 
griffe auf  das  Personal,  alles  mit  der  größten  Gewandtheit  und  Rücksichts- 
losigkeit ausgeführt,  sind  die  schwersten  Feinde  des  No-restraint.  Ein  wirkliches 
No-restraint  wäre  hier  in  den  meisten  Fällen  die  Zerstörung  von  allem,  was  zer- 
störbar ist,  das  Personal  mit  eingeschlossen.  Wer  hier  meint,  ohne  Zwang  aus- 
zukommen, der  braucht  das  Wort  Zwang  in  einem  andern  Sinne  als  der 
Sprachgebrauch  verlangt. 

Wie  nun  das  notwendige  Restraint  anzuwenden  sei,  hängt  von  den  Anstalts- 
einrichtungen, von  den  Erfahrungen  und  auch  ein  wenig  von  der  Individualität 
des  leitenden  Arztes  ab.  Bettbehandlung  wird  zunächst  versucht  werden.  Scheitert 
sie,  so  ist  vom  Dauerbad  am  meisten  zu  erwarten.  Arbeit  ist  natürlich  nur  in 
den  leichteren  Fällen  und  mit  Vorsicht  zu  verwenden;  der  Prozentsatz  der  leichter 
zu  behandelnden  Kranken  ist  abhängig  von  der  Güte  der  Einrichtimgen,  von 
der  Art  der  Nebenpatienten,  von  dem  Spiritus  loci  der  Anstalt,  von  dem  Geschick 


1)  Rollers  Satz  (S.  35):  „Isolierung  bringt  erregten  Kranken  oft  rasch  Ruhe",  ist 
immer  noch  richtig. 


Therapie. 


391 


and  dem  Takt  der  Ärzte  und  des  übrigen  Personals  und  von  eniem  Etwas,  das 
eWalls  an  die  Personen  geknüpft  ist,  aber  sich  nicht  genau  fassen  laßt  und 
feb  n  der  Geschicldichkeit  und  dem  Takt  zur  Geltung  kommt.  Auch  die  auf- 
geregt n  Schizophrenen  sind  durch  die  Umgebxmg  beeinflußbar,  wenn  auch 
^iele  Fälle  zeitweise  aUer  verfügbaren  Mittel,  zielbewußt  auf  sie  einzuwirken, 

Erreicht  man  auf  diese  Weise  nichts,  so  kann  eine  Probeisoüerung 
_  mit  oder  ohne  Bewachung  durch  einen  Wärter  -  zeigen,  ob  Trennimg  von 
den  anderen  Kranken  etwas  zu  bewirken  vermag.  Wenn  ja,  wäre  temporare 
Isolierimg  anzuwenden.  Wenn  nicht,  bleiben  als  ultima  refugia  der  nasse  Wie  kel 
und  die  Narkotika,  einzeln  oder  kombiniert.  Wer  den  nassen  Wickel  auch  in 
den  leichteren  FäUen  anwendet,  wird  oft  die  Arme  frei  lassen  können.  Ich  finde 
ihn  aUerdings  in  solchen  Fällen  nur  ausnahmsweise  nötig.  Der  ganze  Wickel 
ist  der  ärgste  Restraint,  den  ich  kenne;  ich  habe  ihn  deswegen  oft  jahre- 
lang nicht  angewendet;  in  chronischen  FäUen  wird  er  auch  kaum  je  nötig  werden. 
In  der  Heilanstalt  gibt  es  Fälle,  bei  denen  ich  leider  dieses  Mittel  nicht  umgehen 
kann;  ich  bin  mir  aber  bewußt,  daß  ich  es  bei  mehr  Geld  und  Platz  kaum  je  an- 
wenden müßte. 

In  Fällen  von  unbezwingbarem  Selbstbeschädigungstrieb  greift  man  besser 
zum  Bettgurt,  der  sich  leichter  anwenden  läßt  und  nicht  den  vom  Kranken 
wie  vom  Personal  doch  durchschauten  Schein  einer  medizinischen  Maßregel 
zu  wahren  sucht.  Dabei  sieht  man,  daß  die  beim  Wickel  eintretende 
Beruhigung  gar  nicht  immer  der  nassen  Einhüllung,  sondern  dem 
physikalischen  Zwang  zur  Ruhe  zu  verdanken  sein  muß,  der  oft  die 
aufgeregtesten  Patienten  in  kurzer  Zeit  zum  Schlafen  bringt. 

Der  physikahsche  Zwang  hat  entgegen  dem,  was  die  neuere  Literatur 
vermuten  ließe,  nicht  nur  schädlichen,  sondern  in  manchen  einzelnen  FäUen 
auch  bessernden  Einfluß.  Die  ärgste  Unruhe  mit  Selbstmordtrieb  kann  nach  einer 
halbstündigen  Anwendung  des  Bettgurtes  zur  definitiven  Beruhigung  kommen. 
Wir  haben  aus  Widerwillen  gegen  solchen  Zwang  einmal  imnützerweise  monate- 
lang mit  allen  anderen  Mitteln  und  mit  großer  Verschwendung  von  Personal 
und  Schlafmitteln  ein  Mädchen  behandelt,  das  sich  nach  Ablauf  des  eigentlichen 
akuten  Schubes  nicht  von  dem  Triebe  frei  machen  konnte,  sich  auf  aUe  mögliche 
Weise  zu  beschädigen.  Sobald  der  Bettgurt  einmal  so  sicher  saß,  daß  alle  An- 
strengungen, sich  noch  zu  verletzen,  hoffnungslos  waren,  ergab  sich  die  Patientin, 
benahm  sich  normal  und  konnte  rasch  in  so  gutem  Zustande  entlassen  werden, 
daß  wir  sie  sogar  von  der  Bevormundung  befreien  mußten.  Der  Fall  ist  zugleich 
typisch  dafür,  wie  psychische  Residuen  der  Krankheit  die  Krankheit  selbst 
vortäuschen  könne i.  Wenn  also  mit  Güte  und  dem  weitestgehenden  Entgegen- 
kommen nichts  zu  erreichen  ist,  bin  ich  der  Meinimg,  daß  man  lieber  noch  solchen 
Zwang  versuchen  soU,  als  den  Patienten  zugrunde  gehen  zu  lassen. 

Bei  der  Schizophrenie  halte  ich  Zwang  durch  ein  physikalisches  Mittel 
unter  allen  Umständen  für  besser  als  das  Halten  durch  Menschenkraft,  die  den 
Negativismus  anregt  und  steigert  und  den  Kranken  auch  körperhch  wegen  des 
beständig  versuchten  Widerstandes  mehr  erschöpft. 

Die  Anwendung  von  Schlaf  mitt  el  n  ist  nicht  nur  als  chemischer  Restraint 
von  Bedeutung,  sondern  sie  ist  bei  Schizophrenen  wie  bei  anderen  ICranken  oft 


392 


Schizophrenie. 


em  Erleicliterungsmittel,  das  ihnen  nicht  vorzuenthalten,  die  bloße  Menschlichkeit 
verlang.  Wer  psychisch  leidet,  hat  innerhalb  der  Schranken  des  Unschädlichen 
ebensoviel  Anspruch  auf  Linderungsmittel,  wie  der  körperlich  Leidende.  Aller- 
dings ist  es  schwer  zu  sagen,  wo  die  Grenze  des  schädlichen  Gebrauches  ist. 
Man  bekommt  aber  auch  bei  recht  hohen  Dosen  verschiedener  Schlafmittel 
nicht  den  Eindruck,  daß  dadurch  die  Verblödung  befördert  werde,  so  daß  man 
auf  die  Unschädlichkeit  vernünftig  angewandter  Beruhigungsmittel  in  gewöhn- 
lichen Quantitäten  schließen  darf.  —  In  sehr  vielen  FäUen  haben  Schlafmittel 
auch  erzieherischen  Wert.  Kranke,  die  sonst  nicht  an  Arbeit,  ans  Bett,  ans  Bad. 
an  normale  Verhältnisse  zu  gewöhnen  wären,  können  unter  leichter'  Sulfonal- 
wirkimg  nach  und  nach  erzogen  werden  und  verdanken  dem  Mittel  die  Besserung. 
Natürlich  wird  kein  Schlafmittel  kontinuierlich  gegeben. 

Ein  dritter  Grund  zur  Anwendung  von  Schlafmitteln  ist  die  Eücksicht 
auf  andere  Kranke.  Ich  ziehe  es  vor,  den  Euhestörer  zu  narkotisieren,  wenn  sonst 
seinetwegen  eine  ganze  Anzahl  anderer  Kranken  des  Schlafes  beraubt  oder  auf- 
geregt werden  sollten. 

Eigentlichen  Schaden  habe  ich  von  Narkoticis  noch  nicht  gesehen.  Die 
größte  Kontraindikation  gegen  ihre  Anwendung  liegt  darin,  daß  man  sich  eben 
in  den  schwereren  Fällen  nutzlos  an  sie  wendet.  Es  ist  erstaunlich,  was  für 
Quantitäten  verschiedener  Schlafmittel  einzeln  oder  kombiniert  manche  Schizo- 
phrene einnehmen  können,  ohne  beruhigt  zu  werden^).  Vielleicht  dürfte  man 
allerdings  auch  in  solchen  Fällen  Dosen  geben,  die  wirken.  Wer  aber  will  aus- 
probieren, ob  bei  Steigerung  zuerst  KoUaps  oder  zuvor  unschädliche  Beruhigung 
eintrete? 

Ein  chemisches  Zwangsmittel  besonderer  Art  ist  das  Apomorphiu.  Man 
kann  mit  Injektion  einer  emetisch  wirkenden  Dosis  Apomorphin  manche  akute 
Aufregungen  sofort  koupieren.  Die  Beruhigung  hält  bei  Anfällen,  die  nicht  über 
einige  Tage  gehen,  oft  an,  so  daß  die  Aufregung  defüiitiv  beseitigt  ist. 

Apomorphin  wirkt  zugleich  als  Erziehungsmittel,  indem  es  die  Kranken  bei 
Bewußtsein  läßt,  während  sie  ruhiger  sind,  imd  sie  so  übt,  sich  besser  zu  benehmen. 
Ich  muß  das  Mittel  erwähnen,  wage  indes  aus  moralischen  Gründen  nicht,  es  zu 
empfehlen,  möchte  aber  fragen,  ob  es  nicht  unmoralischer  ist,  einen  ganzen  Saal  voll 
Kranker  durch  einen  aufgeregten  Patienten  mißhandeln  zu  lassen,  als  diesen  einmal 
erbrechen  zu  machen.  Soweit  ich  es  anwenden  sah,  beklagten  sich  auch  die  Kranken 
nicht,  imi  wir  haben  mit  keinem  den  Kontakt  verloren;  die  Patienten  selbst 
machten  sich  meistens  lustig  darüber,  wenn  sie  auch  einen  gewissen  Eespekt  vor 
der  prompten  Wirkung  hatten.  In  Fällen  vollständiger  Verwirrtheit,  in  der  die 
Kranken  gar  nicht  mehr  diskussionsfähig  waren,  habe  ich  keine  Erfahrung  damit^). 
Eine  medikamentöse  Behandlung  der  Schizophrenie  gibt  es  nicht.  Ziehen 


^)  Und  zwar  bei  rein  psychischen  Aufregungen  \yie  bei  anscheinend  organisch  be- 
dingten. Die  Theorie  des  Schlafes  und  die  der  Narkotika  hat  diesen  geAviß  höchst  Avichtigen 
Umstand,  so  viel  ich  weiß,  bis  jetzt  ignoriert. 

2)  An  manchen  Orten  scheint  das  Mittel  verpönt  zu  sein,  weil  man  schlechte  Er- 
fahrungen damit  gemacht  hat.  Da  hat  man  es  wohl  nicht  bloß  bei  geeigneten  Patienten 
angewandt.  Es  kann  natiü-hch  nur  nützen  bei  den  ziemUch  seltenen  Ki-anken,  mit  denen 
man  genügenden  Kontakt  hat,  um  ihnen  die  Maßregel  begreifhch  zu  machen,  und  die  zugleich 
noch  fähig  sind,  auf  eine  Zwangs maßregel  von  ärztlicher  Seite  im  günstigen  Sinne  und  mcht 
in  der  Richtung  des  Negativismus  zu  reagieren. 


Therapie. 


398 


(840,  S.  5-i3)  glaubt  bei  „hypochondrischer  Neurasthenie"  dem  Übergang  in  „hypo- 
chondrische Melancholie"  oft  durch  Opium  vorgebeugt  zu  haben.  Ich  kann  mir  nicht 
recht  denken,  daß  unsere  prognostischen  Kenntnisse  den  Glauben  rechtfertigen.  Alle 
sonstigen  Angaben  sind  wohl  nicht  der  Rede  wert. 

Hitzig  hat  bei  periodischen  Psychosen,  zu  denen  nach  seinen  Beispielen  auch 
unsere  periodischen  Schizophrenen  gehören,  Atropin  zur  Koupierung  der  AnElle 
empfohlen.  Das  Mittel  scheint  wirklich  zunächst  den  gewünschten  Erfolg  zu  haben; 
ich  wandte  es  aber  nur  in  wenigen  Fällen  an,  weil  die  Kranken  nach  einiger  Zeit  nicht 
mehr  darauf  reagierten  mid  dann  nachholten,  was  sie  vorher  zu  wenig  gelännt  hatten. 

Die  einzelnen  Symptome  der  Krankheit  werden  nach  den  gewöhn- 
lichen Grundsätzen  behandelt.  Es  mag  hier  nur  erwähnt  werden,  daß  man  oft 
für  einige  Stunden  die  Sperrungen  durch  Alkohol  beseitigen  oder  mildern  kann 
(was  etwa  für  eine  Untersuchung  angewendet  werden  mag),  und  daß  man  gut 
tut,  die  Eigentümlichkeiten,  die  die  Kranken  so  gerne  annehmen,  zu  unterdrücken. 
Die  papierenen  Kronen,  hölzernen  Schwerter  und  aus  Lumpen  gestoppelten 
Kinder  sind  aus  unseren  Anstalten  verschwunden,  und  zwar  zum  Vorteil  der 
Kranken.  Damit  soll  aber  nicht  gesagt  werden,  daß  man  nicht  in  einzelnen  Fällen 
den  Patienten  ein  Eigentum  belassen  soll,  das  mit  ihren  Komplexen  zusammen- 
hängt; aber  es  soll  nur  geschehen  unter  Erwägung  aller  Umstände,  weil  diese 
Dinge  den  Autismus  begünstigen. 

Ahnlich  ist  es  mit  den  hypochondrischen  und  hysteriformen  Klagen 
über  körperliche  Beschwerden.  Im  großen  und  ganzen  wird  man  am  besten 
tun,  den  Patienten  daran  zu  gewöhnen,  daß  er  sich  selbst  mit  diesen  Symptomen 
abzufinden  hat,  und  daß  das  Ignorieren  das  einzige  Mittel  dagegen  ist.  Doch 
kann  es  auch  Fälle  geben,  wo  man  irgend  ein  Suggestivmittel  anwendet.  Man 
sei  aber  vorsichtig,  um  den  Kranken  nicht  daran  zu  gewöhnen.  Ich  habe  es  bei 
Übernahme  einer  Abteilung  erlebt,  daß  eine  Patientin  gegen  gar  nicht  bestehende 
Übel  13  Mittel  zu  gleicher  Zeit  benutzen  mußte.  Als  ihr  die  Dinge  entzogen 
waren,  konnte  man  viel  besser  mit  ihr  auskommen. 

Die  Nahrungsverweigerung  wird  mit  den  gewöhnlichen  Mitteln  be- 
handelt. Man  kann  gerade  Schizophrene  oft  zum  Essen  bringen,  indem  man  sie 
scheinbar  für  andere  Kranke  bestimmte  Nahnmg  stehlen  läßt  oder  in  anderer 
Weise  ihrem  Negativismus  oder  ihren  Wahnideen  entgegenkommt.  Ich  sehe  aber 
nicht  recht  ein,  was  da  gewonnen  ist;  jedenfalls  wird  in  chronisch  werdenden 
Fällen  oft  viel  an  Disziplin  und  Kontaktfähigkeit  verloren.  Ich  glaube,  man  tut 
—  ganz  besondere  Fälle  vielleicht  ausgenommen  —  besser,  sich  strikte  an  die 
Ordnung  zu  halten;  ißt  dann  ein  Kranker  wirklich  8  Tage  nichts,  so  kann  man 
zur  Sonde  greifen,  soll  aber  immer  wieder  aussetzen,  um  dem  Patienten  Gelegen- 
heit zu  geben,  selbst  zu  essen.  So  wird  die  Sonde  kaum  je  lange  in  Anwendung 
bleiben.  Wenn  man  in  Privatanstalten  von  diesem  Prinzip  abgehen  muß,  so 
ist  das  nicht  des  Patienten,  sondern  seiner  Angehörigen  wegen,  die  leider  weniger 
Mitleid  mit  ihm  haben,  wenn  man  ihn  monatelang  mit  der  Sonde  quält  als 
wenn  er  mal  ein  paar  Tage  hungert.  Daß  Hunger  oder  gute  Ernährung' den 
Verlauf  der  Kranldieit  beeinflusse,  habe  ich  innerhalb  der  zulässigen  Grenzen 
moht  gesehen. 

Auch  anderen  unangenehmen  Eigentümlichkeiten,  namentlich 
bchraieren  u.  dgl,  wird  man  so  früh  imd  so  energisch  als  möglich  entgegentreten. 


894 


Schizophrenie. 


wena  man  nicht  nach  einiger  Zeit  iinbeeinfliißbaren  Stereotypien  gegenüber- 
stehen will.  Da  kommt  viel  auf  die  Geschicklichkeit  des  Personals  an.  Die  An- 
ordnung, die  Kranken  eifrig  auf  den  Nachtstuhl  zu  führen  oder  täglich  genau 
zu  bestimmter  Zeit  zu  klistieren,  ist  bei  Schmierern  gar  nicht  immer  genügend. 
Wegen  des  Negatisvimus  ist  es  in  vielen  Fällen  gut,  wenn  die  Maßregel  so  un- 
persönlich als  möglich,  wie  eine  physikalische  Notwendigkeit  durchgeführt  wird; 
bei  anderen  Kranken  kann  man  sich  umgekehrt  auf  ein  gewisses  Markten  ein- 
lassen; jedenfalls  aber  sind  auch  gegenüber  solchen  Einzelsymptomen  die  äußeren 
Umstände  oft  zu  wechseln  (Versetzung  usw.).  Kleinen  unerwünschten  Gewohn- 
heiten kann  man  oft  durch  ganz  einfache  Mittel  begegnen;  so  fing  eine  im  Privat- 
hause lebende  Katatonika  an,  das  Papier  im  Abort  in  die  Schüssel  zu  werfen; 
es  genügte,  das  Papierkörbchen,  das  auf  dem  Sitz  stand,  einen  halben  Fuß  höher 
zu  hängen,  um  die  Unannehmlichkeit  für  immer  zu  beseitigen.  AVichtig  ist 
auch,  daß  man  den  Kranken  die  Gelegenheit  zur  Ausübung  der  Sonderbarkeiten 
entzieht.  In  alten  Fällen  lohnt  es  sich  nicht,  gegen  gewisse  Manieren  zu  Felde 
zu  ziehen.  Kahlbaum  meint,  man  müsse  gegen  das  Ausziehen  der  Haare 
kämpfen,  um  die  dauernde  Haarlosigkeit  zu  vermeiden.  Man  kann  aber  ohne 
Schaden  einige  jahrzehntelang  Haare  ausziehen  lassen;  sobald  sie  der  Patient 
in  Ruhe  läßt,  wachsen  sie  auch  wieder. 

Das  unangenehmste  aller  Symptome  bei  Schizophrenie  ist  der  Selbst-' 
mordtrieb.  Ich  führe  das  deswegen  an,  um  einmal  deutlich  zu  sagen,  daß  die 
jetzige  Gesellschaftsordnung  in  dieser  Richtung  vom  Psychiater  eine  große  und 
ganz  unangebrachte  Grausamkeit  verlangt.  Man  zwingt  Leute,  denen  aus  guten 
Gründen  das  Leben  verleidet  ist,  weiter  zu  leben;  das  ist  schon  schlimm  genug. 
Aber  ganz  schlimm  ist  es,  werm  man  diesen  Kranken  mit  aUen  Mitteln  das  Leben 
noch  unerträglicher  macht,  indem  man  sie  einer  peinlichen  Bewachimg  unter- 
wirft. Der  größte  Teil  unserer  ärgsten  Zwangsmaßregeln  wäre  unnötig,  wemi 
wir  nicht  verpflichtet  wären,  den  Kranken  ein  Leben  zu  erhalten,  das  für  sie  und 
andere  nur  negativen  "Wert  hat.  Und  wenn  es  noch  etwas  nützte !  Ich  bin  aber 
mit  Savage  überzeugt,  daß  bei  der  Schizophrenie  gerade  durch  die  Bewachung 
der  Selbstmordtrieb  geweckt,  gesteigert  und  unterhalten  wird.  Nur  ausnahms- 
weise würde  sich  einer  unserer  Kranken  das  Leben  nehmen,  wenn  wir  ihn  gewähren 
ließen.  Und  wenn  es  auch  ein  paar  mehr  sein  sollten,  die  zugrunde  gehen  —  ist 
es  recht,  wegen  dieses  Resultates  hunderte  von  Kranken  zu  quälen  und  ihre 
Krankheit  zu  verschlimmern?  Vorläufig  stehen  wir  Psychiater  unter  der  traurigen 
Pflicht,  grausamen  Anschauungen  unserer  Gesellschaft  zu  folgen ;  aber  wir  haben 
auch  die  Pflicht,  unser  möglichstes  zu  tun,  daß  diese  Anschauungen  sich  bald 
ändern. 


Literatur. 


Abkürzungen : 

A.  =  Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  Berlin,  Hirschwald. 
Amps.  =  Annales  medico-psychologiques. 

An.     =  Archives  de  neurologie. 

B.  =  Band. 

CBN.  =  Centraiblatt  für  Nervenheilkunde  und  Psychiatrie.  Leipzig,  Barth. 

Dp.  oder  d.  =  Dementia  praecox,  demence  precoce,  dements  precoces,  demenza  precoce. 

H.       =  Heft. 

Jahrb.  =  Jahrbücher  für  Psychiatrie  und  Neurologie.  Leipzig  und  Wien,  Deuticke. 
JB.     =  Jahresbericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Neuro- 
logie und  Psychiatrie.  Berlin,  S.  Karger. 
Jmsc.  =  Journal  of  mental  science. 

MS.     =  Monatsschrift  für  Psychiatrie  und  Neurologie.  Berlin,  S.  Karger. 

Münch,  med.  WS.  =  Münchner  medizinische  Wochenschrift.  München,  J.  F.  Lehmann. 

NCB.  =  Neurologisches  Oentralblatt.  Leipzig,  Veit  &  Komp. 

Ref.     =  Referiert  in  ...  . 

S.        =  Seite. 

WS.     =  Psychiatrisch-neurologische  Wochenschrift.  Halle  a.  S.,  Älarhold. 
Z.        =  Allgemeine  Zeitschrift  füi-  Psychiatrie.  Berlin,  Georg  Reimer. 

Die  Zahlen  mit  Sternchen  ( *)  bedeuten  die  Seite  des  Literatur  beliebtes  der  „Allgemeinen 
Zeitschrift  für  Psychiatrie"  über  das  Jahr  des  Erscheinens  der  Arbeit. 


A. 

1.  Abraham,  Traum  und  Mythus.  Leipzig  und  Wien,  Deuticke,  1909. 

2.  —  Über  die  Bedeutung  sexueller  Jugendtraumen  für  die  Symptomatologie  der  Dd 

CBN.,  1907,  S.  409. 

3.  —  Die  psychosexuellen  Differenzen  der  Hysterie  und  der  Dp.  CBN.,  1908,  S.  521. 
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S.  121.  *  ' 

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